L 4 KR 1248/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 14 KR 3064/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 1248/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 29. Mai 2019 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.



Tatbestand


Zwischen den Beteiligten ist die Beitragspflicht des Klägers zur Kranken- und Pflegeversicherung seit 1. Januar 2015 streitig.

Der 1971 geborene Kläger ist bei der Beklagten zu 1 krankenversichert und dementsprechend bei der Beklagten zu 2 sozial pflegeversichert. Die Beklagte zu 1 führte den Kläger ab 1. September 2008 zunächst als Pflichtmitglied gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und nachfolgend als freiwilliges Mitglied und erhob – zugleich im Namen der Beklagten zu 2 – entsprechende Beiträge.

Nachdem der Kläger auf Einkommensanfragen nicht reagierte, setze die Beklagte zu 1 – zugleich im Namen der Beklagten zu 2 – die Beiträge mit Bescheid vom 12. März 2015 ab 1. Januar 2015 auf der Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze fest. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig. Im weiteren Verlauf beantragte der Kläger eine Überprüfung dieses Bescheids gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und legte am 23. Februar 2018 die Einkommensteuerbescheide für 2015 und 2016 vor, worauf die Beklagte zu 1 – zugleich im Namen der Beklagten
zu 2 – die Beiträge mit Bescheid vom 12. April 2018 ab 1. März 2018 aus der Mindestbemessungsgrundlage festsetzte. Mit Bescheid vom 13. April 2018 lehnte sie – zugleich im Namen der Beklagten zu 2 – nach Überprüfung der Beitragsbemessung für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis 28. Februar 2018 eine Neufestsetzung der Beiträge ab, da die Beiträge in zutreffender Höhe erhoben worden seien. Den gegen diese Bescheide eingelegten Widerspruch des Klägers wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten zu 1 – zugleich im Namen der Beklagten zu 2 – mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2018 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 10. Juli 2018 beim Sozialgericht Freiburg (SG) im Rahmen einer persönlichen Vorsprache, bei der er als Adresse „B1, V1“ angegeben hatte, Klage, die er trotz Ankündigung und Fristverlängerung zunächst nicht begründete. Auf die Betreibensaufforderung des SG vom 24. Oktober 2018, die dem Kläger ausweislich der Postzustellungsurkunde (vgl. Bl. 14a SG-Akte) am 27. Oktober 2018 zugestellt wurde, begründete er seine Klage im Wesentlichen damit, dass Beitragsansprüche der Beklagten nicht bestünden, da er „den Vertrag“ mit der Krankenkasse im Jahr 2013 gekündigt habe. Im weiteren Verlauf führte mit Schreiben vom 16. Dezember 2018 u.a. aus, die Beitragsforderungen seien für ihn nicht zahlbar, er habe „alles nachzweisende nachgewiesen“ und die Beklagten verweigerten eine Lösungsfindung. Er beklage seinen persönlichen Ruin durch die Krankenkasse. Er komme für seine gesundheitlichen Belange selbst auf. Ein regelmäßiger Gang zu seiner „Melde u. Postadresse“ sei nicht gewährleistet. Er flüchte nicht und habe „ausreichend Courage mich Ihnen zu stellen“. In einer E-Mail vom 20. Januar 2019 teilte er mit, er habe einen Wohnsitz „im Sinne von gemeldet sein“ unter der bekannten Anschrift. Sein gewöhnlicher Aufenthalt sei sein bewohnbares Fahrzeug. Er reise und lebe seit 20 Jahren in einem Wohnmobil überwiegend europäisch und außereuropäisch. In den letzten Jahren halte er sich weitestgehend 2/3 des Jahres im Ausland auf. Hierüber gebe es „bedingt bzw. keine Nachweise“. Ebenso wenig gebe es Nachweise über ein weiteres Einkommen. Die Beklagte blockiere mit der Sicherstellung von Ansprüchen durch eine Zwangshypothek eine Veräußerung seines Eigentums.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Mit Schreiben vom 12. Februar 2019 wies das SG den Kläger darauf hin, dass die Kündigung der freiwilligen Mitgliedschaft zu deren Wirksamkeit einen Nachweis erfordere, dass ein anderweitiger Krankenversicherungsschutz bestehe. Da er einen solchen Nachweis nicht vorgelegt habe, dürfte die Mitgliedschaft nicht beendet worden und die Klage nicht erfolgversprechend sein, weshalb eine Rücknahme der Klage angeregt werde. Der Kläger machte mit Schreiben vom 14. März 2019 weitere Ausführungen zu seiner persönlichen Situation und brachte zum Ausdruck, die Klage fortführen zu wollen. Mit Schreiben vom 10. April 2019 informierte das SG den Kläger darüber, dass beabsichtigt sei, eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und ohne die Beteiligung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid zu treffen, wobei eine Entscheidung nicht vor dem 10. Mai 2019 ergehen werde. Auf eine sodann erfolgte Sachstandsanfrage des Klägers mittels E-Mail übermittelte das SG dem Kläger das Schreiben vom 10. April 2019 auch elektronisch an dessen E-Mail-Adresse. Mit E-Mail vom 20. Mai 2019 erinnerte der Kläger an die angekündigte Entscheidung.

Mit Gerichtsbescheid vom 29. Mai 2019 wies das SG die Klage ab und veranlasste am 31. Mai 2019 die Zustellung des Gerichtsbescheids durch die Deutsche Post AG mittels Postzustellungsauftrag an die vom Kläger bei Klageerhebung und in seinen weiteren Schriftsätzen jeweils angegebene Anschrift. Ausweislich der Zustellungsurkunde (vgl. Bl. 40a der SG-Akte) blieb der am 1. Juni 2019 erfolgte Zustellversuch erfolglos. Als Grund der Nichtzustellung ist in der Zustellungsurkunde dokumentiert „Empfänger unbekannt verzogen“. Die seitens des SG sodann am 2. Juli 2019 durchgeführte Melderegisteranfrage ergab, dass der Kläger weiterhin mit alleiniger Wohnung unter der von ihm jeweils angegebenen Anschrift gemeldet war. Das SG erteilte der Deutschen Post AG sodann am 2. Juli 2019 einen weiteren Postzustellungsauftrag. Dieser blieb gleichermaßen erfolglos. Als Grund der Nichtzustellung ist in der Zustellungsurkunde (vgl. Bl. 42 SG-Akte) wiederum dokumentiert „Empfänger unbekannt verzogen“. Mit Beschluss vom 9. Juli 2019 ordnete das SG die öffentliche Zustellung des Gerichtsbescheids vom 29. Mai 2019 gemäß § 63 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 185, 186 Zivilprozessordnung (ZPO) an, da der Aufenthaltsort des Klägers unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich gewesen sei. Gleichzeitig ordnete es an, dass die öffentliche Zustellung durch Aushang einer entsprechenden Benachrichtigung an der Gerichtstafel für die Dauer von einem Monat zu erfolgen habe. Die „Benachrichtigung über eine öffentliche Zustellung“ des Gerichtsbescheids vom 29. Mai 2019, die den Hinweis enthielt, dass das Schriftstück in der Geschäftsstelle der 14. Kammer eingesehen werden könne und durch die öffentliche Zustellung des genannten Schriftstücks Fristen in Gang gesetzt würden, nach deren Ablauf Rechtsverluste drohen könnten, wurde am 9. Juli 2019 an der Gerichtstafel ausgehängt und am 21. August 2019 abgenommen (vgl. Bl. 45 SG-Akte).

Am 17. August 2020 wandte sich der Kläger mittels E-Mail an das SG, nahm Bezug auf ein Telefonat, wonach er auf Anfrage die Mitteilung erhalten habe, das zwei Beschlüsse an ihn gesandt und mit dem Vermerk „unbekannt verzogen“ zurückgesandt worden seien. Er führte aus, es sei ein sich anhäufendes Problem, dass Post trotz Meldeadresse nicht ankomme und bat um Zusendung der „Nichtzustellbarkeitsprotokolle“, um Anzeige bei der Post zu erstatten. Es sei nicht akzeptabel, keinerlei Rechtsmittel einlegen zu können. Er wolle in Berufung gehen. Das SG übersandte sodann eine Abschrift der Entscheidung und Kopien der Postzustellungsurkunden.

Mit Telefax vom 10. März 2021 bat der Kläger um Zusendung des „Beschlusses“ und gab an, er habe gestern („09.03.21“) erstmals Kenntnis erhalten und beantrage Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Prozesskostenhilfe. Das SG übersandte dem Kläger eine Kopie des Gerichtsbescheids vom 29. Mai 2019 und verwies auf die Rechtsmittelbelehrung. Da das Verfahren abgeschlossen sei, sei im Hinblick auf die gestellten Anträge nichts zu veranlassen. Sofern er Berufung habe einlegen wollen, möge er dies mitteilen.

Mit Schreiben vom 26. März 2021, mittels Telefax beim SG am 28. März 2021 eingegangen, teilte der Kläger mit, er „möchte“ Berufung einlegen. Zur Begründung seiner Berufung hat der Kläger vorgetragen, ihm sei der Gerichtsbescheid nicht zugestellt worden. Er sei unter der Anschrift B2 in V1 gemeldet und es habe regelmäßig jemand nach seiner Post gesehen. Er habe sich zum Sachverhalt nicht äußern bzw. die Berufung nicht fristgemäß einlegen können. Er sei mittlerweile ca. zehn Jahre ohne rechtlichen Krankenversicherungsschutz und müsse seine gesundheitlichen Belange zwangsweise selbst besorgen und finanzieren. Er werde mit Beiträgen von ca. 80.000 € konfrontiert, die vollstreckt würden, ohne dass er eine Leistung erhalte.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 29. Mai 2019 und den Bescheid der Beklagten vom 12. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juni 2018 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 13. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juni 2018 zu verpflichten, die Beitragsbescheide, mit denen sie Beiträge für die Zeit ab 1. Januar 2015 festsetzte, aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

                        die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zudem ausdrücklich (wörtlich) beantragt,

„dass meine Rechtsstellung als Deutscher anerkannt wird, da ich eine deutsche Bundesstaatenangehörigkeit nach § 4.1.1 RuStAG besitze und darüber hinaus, dass die Beklagte mir den rechtswirksam unterschriebenen Vertrag vorlegt sowie, dass man mir eine rechtswirksame vollstreckbare Ausfertigung bezüglich des Eintrags der Zwangshypothek vorlegt.“

Die Beklagte hat sich zu den weiteren Anträgen des Klägers nicht eingelassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe

1. Die nach §§ 143, 151 Abs. 1 und 2 SGG formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143 SGG statthaft. Sie bedarf insbesondere nicht der Zulassung, da der Kläger sich gegen Beitragsforderungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr wendet (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Der Senat hat das Rubrum berichtigt, da sich die Klage von vornherein nicht nur gegen die zu 1 beklagte Krankenkasse, sondern auch gegen die zu 2 beklagte Pflegekasse richtete. Deshalb ist eine Berichtigung des Rubrums auf Beklagtenseite – auch noch im Berufungsverfahren – möglich und keine Klageänderung im Sinne des § 99 SGG (vgl. Urteile des Senats vom 23. Februar 2018 – L 4 KR 807/17 – www.sozialgerichtbeitkeit.de und 12. September 2014 – L 4 KR 75/14 – juris, Rn. 17). Zwar hatte der Kläger in der Klageschrift die Pflegekasse nicht ausdrücklich bezeichnet. Er wandte sich aber gegen die Erhebung von Beiträgen wegen einer bei der Beklagten zu 1 begründeten Mitgliedschaft, so dass die Klage nach dem erkennbaren Klagebegehren von Anfang an nicht nur die Beiträge zur Krankenversicherung, sondern auch zur Pflegeversicherung betraf. Dies ergibt sich bereits aus dem Regelungsinhalt der angefochtenen Bescheide, mit denen über die Beiträge zu beiden Versicherungen entschieden wurde.

3. Der Kläger hat mit seinem am 26. März 2021 mittels Telefax beim SG eingegangenen Schreiben vom selben Tag ausdrücklich Berufung eingelegt und damit zum Ausdruck gebracht, dass er eine Überprüfung des Gerichtsbescheids des SG vom 26. Mai 2019 begehrt. Ob bereits das beim SG am 10. März 2021 eingegangene Telefax des Klägers, mit dem er „um Zusendung des Beschlusses“ bat und darauf hinwies, dass er „gestern erstmals Kenntnis“ erhalten habe und „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“ beantrage, als Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 26. Mai 2019 anzusehen ist, kann der Senat dahingestellt sein lassen. Denn die Berufung ist – unabhängig vom konkreten Zeitpunkt der Einlegung im März 2021 – gemäß § 158 Satz 1 SGG als unzulässig zu verwerfen, da sie entgegen § 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 151 Abs. 1 SGG nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids eingelegt worden ist.

Der Gerichtsbescheid des SG vom 29. Mai 2019 ist dem Kläger am 9. August 2019 zugestellt worden (hierzu a.), so dass die Berufungsfrist am 10. August 2019 begann und am 9. September 2019 endete (hierzu b.). Die Berufungsfrist war bei Berufungseinlegung im März 2021 mithin seit mehr als einem Jahr abgelaufen.

a. Die Zustellung des Gerichtsbescheids vom 29. Mai 2019 durch das SG erfolgte gemäß § 63 Abs. 1 und 2 SGG i.V. m. §§ 185, 186 ZPO am 9. August 2019 durch öffentliche Zustellung, nachdem zuvor zwei Zustellungsversuche nach § 176 Abs. 2 ZPO wegen unbekannten Verzugs des Empfängers (Klägers) gescheitert waren. Dies ergibt sich aus den Postzustellungsurkunden vom 1. Juni und 3. Juli 2019.

aa. Nach § 185 Nr. 1 ZPO kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung (öffentliche Zustellung) erfolgen, wenn der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist. Dies war vorliegend der Fall. Die Zustellung des Gerichtsbescheids vom 29. Mai 2019 an den Kläger war nicht möglich, da sein Aufenthaltsort nicht bekannt war und er in dem anhängigen Verfahren weder durch einen Bevollmächtigten vertreten war noch einen Zustellungsbevollmächtigten bestellt hatte.

Die Zustellungsfiktion der öffentlichen Bekanntmachung unter der Voraussetzung, dass der Aufenthaltsort einer Person unbekannt ist und an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht zugestellt werden kann (vgl. § 63 Abs. 2 Satz 1 SGG i.V.m. § 185 Nr. 1 ZPO), ist verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Art der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar ist (BSG, Beschluss vom 5. Juli 2018 – B 8 SO 50/17 B – juris, Rn. 6 m.w.N.). Unbekannt ist der Aufenthalt einer Person, wenn nicht nur das Gericht, sondern auch die Allgemeinheit den Aufenthalt des Zustellungsadressaten nicht kennt. Die öffentliche Zustellung kommt nur als letzte Möglichkeit in Betracht, wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind, ein Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zuzustellen (BSG, a.a.O., Rn. 7). Zuvor muss das Gericht alle geeigneten und zumutbaren Möglichkeiten zur Feststellung des Aufenthaltsorts des Zustellungsadressaten ergriffen haben (z.B. Anfrage beim Einwohnermeldeamt, Nachfrage bei Familienmitgliedern, Bekannten, Arbeitgeber, Vermieter, anderen Behörden; vgl. Senger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, Stand: November 2022, § 63 SGG Rn. 60).

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. In dem anhängigen Verfahren hatte der Kläger seine Anschrift bei Klageerhebung und auch während des Verfahrens mit B3 in V1 angegeben. Unter dieser Anschrift korrespondierte das SG im laufenden Verfahren mit dem Kläger und das SG stellte ihm ausweislich der Postzustellungsurkunde vom 27. Oktober 2018 unter dieser Anschrift auch die Betreibungsaufforderung vom 24. Oktober 2019 zu. Gegenüber der Beklagten hatte der Kläger seine Anschrift ebenfalls mit B3 in V1 angegeben und sie korrespondierte während des Verwaltungsverfahrens mit dem Kläger gleichermaßen unter dieser Adresse. Der Kläger hielt sich unter dieser Adresse im Zeitraum nach Erlass des Gerichtsbescheids vom 29. Mai 2019 aber offenbar nicht auf. Denn der am 1. Juni 2019 durch die Deutsche Post AG erfolgte Versuch einer Zustellung des Gerichtsbescheids scheiterte, weil der Kläger unter dieser Anschrift nicht ermittelt werden konnte. Die Zustellungsurkunde vom selben Tag weist insoweit aus, dass der „Empfänger unbekannt verzogen“ war. Zur Klärung des neuen Wohnortes des Klägers führte das SG sodann am 2. Juli 2019 eine Abfrage beim Einwohnermeldeamt durch, die ergab, dass der Kläger weiterhin unter der Anschrift B3  in V1 gemeldet war. Noch am selben Tag beauftragte das SG die Deutsche Post AG erneut, dem Kläger den Gerichtsbescheid vom 26. Mai 2019 unter der genannten Anschrift zuzustellen. Auch der sodann am 3. Juli 2019 erfolgte Zustellversuch blieb erfolglos, wie der Zustellungsurkunde vom selben Tag zu entnehmen ist, die wiederum ausweist, dass der „Empfänger unbekannt verzogen“ ist. Einen anderweitigen Aufenthaltsort hatte der Kläger dem SG nicht mitgeteilt und ein solcher war dem SG auch nicht auf andere Weise bekannt geworden. Insbesondere war den Ausführungen des Klägers im Schreiben vom 16. Dezember 2018 kein von der angegebenen (bekannten) Anschrift abweichender Aufenthaltsort zu entnehmen, gleichermaßen auch nicht der E-Mail vom 20. Mai 2019, mit der er wenige Tage vor Erlass des Gerichtsbescheids noch an den Erlass der angekündigten Entscheidung erinnerte. Nach seinen eigenen Angaben lebte der Kläger in seinem Wohnmobil und reiste „europäisch und außereuropäisch“, wobei er sich 2/3 des Jahres im Ausland aufhalte. Einen konkreten Aufenthaltsort, an dem der angekündigte Gerichtsbescheid hätte zugestellt werden können, teilte der Kläger dem SG hingegen nicht mit, obwohl er wusste, dass das SG demnächst einen Gerichtsbescheid erlassen wird. Das folgt aus seinem Schreiben vom 20. Mai 2019. Eine Nachfrage bei etwaigen Familienmitgliedern, Bekannten, einem Vermieter oder Arbeitgeber schied aus, da entsprechende persönliche Verbindungen des Klägers nicht aktenkundig waren bzw. sind. Der Kläger hatte zur Durchführung des Klageverfahrens auch keinen Prozessbevollmächtigten bestellt und insbesondere auch keinen Zustellungsbevollmächtigten benannt - obwohl er selbst angegeben hatte, dass ein regelmäßiger Gang zu seiner Melde- und Postadresse nicht gewährleistet sei -, so dass auch eine Zustellung an einen Vertreter nicht möglich war. Sein Aufenthalt war mithin nicht nur dem Gericht, sondern auch der Allgemeinheit unbekannt. Die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung lagen somit in diesem besonderen Fall vor. Darüber hinaus wäre es dem Kläger verwehrt, sich auf eine etwaige Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung zu berufen, da konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er zielgerichtet versucht hat, die Zustellung, mit der er sicher rechnen musste, zu verhindern (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2008 – II ZR 61/07 –, juris). Denn er hat gegenüber dem SG - wie bereits dargelegt - selbst angegeben, dass ein regelmäßiger Gang zu seiner Melde- und Postadresse nicht gewährleistet sei, weil er sich zu 2/3 des Jahres im Ausland befinde und sein gewöhnlicher Aufenthalt sein bewohnbares Fahrzeug sei. In seiner Erinnerungs-E-Mail vom 20. Mai 2019, d.h. unmittelbar vor Erlass des Gerichtsbescheids, hätte er die Möglichkeit gehabt, dem SG mitzuteilen, ob er sich - im Hinblick auf die von ihm angemahnte Entscheidung des SG und die damit konkret bevorstehende Zustellung - an seiner angegebenen Meldeadresse aufhält oder er sich im Ausland befindet. Dies spricht für eine zielgerichtete Verhinderung der Zustellung.

bb. Gemäß § 186 Abs. 1 ZPO entscheidet das Prozessgericht über die Bewilligung der öffentlichen Zustellung. Die öffentliche Zustellung erfolgt nach Abs. 2 Satz 1 der Regelung durch Aushang einer Benachrichtigung an der Gerichtstafel oder durch Veröffentlichung der Benachrichtigung in einem elektronischen Informations- und Kommunikationssystem, das im Gericht öffentlich zugänglich ist. Die Benachrichtigung muss erkennen lassen die Person, für die zugestellt wird (Nr. 1), den Namen und die letzte bekannte Anschrift des Zustellungsadressaten (Nr. 2), das Datum, das Aktenzeichen des Schriftstücks und die Bezeichnung des Prozessgegenstandes (Nr. 3) sowie die Stelle, wo das Schriftstück eingesehen werden kann (Nr. 4). Die Benachrichtigung muss den Hinweis enthalten, dass ein Schriftstück öffentlich zugestellt wird und Fristen in Gang gesetzt werden können, nach deren Ablauf Rechtsverluste drohen können (Satz 3). Nach § 186 Abs. 3 ZPO ist in den Akten zu vermerken, wann die Benachrichtigung ausgehängt und wann sie abgenommen wurde.

Das SG als Prozessgericht bewilligte in diesem Sinne mit Beschluss vom 9. Juli 2019 die öffentliche Zustellung, weil der Aufenthaltsort des Klägers unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich war. Die öffentliche Zustellung erfolgte sodann durch Aushang der „Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung“ vom 9. Juli 2019 an der Gerichtstafel des SG. Der Aushang erfolgte am 9. Juli 2019 und wurde am 21. August 2019 abgenommen (vgl. Bl. 45 SG-Akte). Ihr Inhalt entsprach den dargelegten gesetzlichen Anforderungen. Sie enthielt den Namen des Klägers als der Person, der zugestellt wird, seine letzte bekannte Anschrift (B3 in V1), bezeichnete das Schriftstück und dessen Datum („Gerichtsbescheid vom 29.05.2019“) sowie das zugehörige Aktenzeichen (S 14 KR 3064/18), das die Bezeichnung des Prozessgegenstandes erkennen lässt und benannte mit der Geschäftsstelle der 14. Kammer die Stelle, wo das Schriftstück eingesehen werden konnte. Die Benachrichtigung enthielt im Übrigen auch den Hinweis, dass das genannte Schriftstück öffentlich zugestellt wird und Fristen in Gang gesetzt werden können, nach deren Ablauf Rechtsverluste drohen können.

cc. Gemäß § 188 ZPO gilt das Schriftstück als zugestellt, wenn seit dem Aushang der Benachrichtigung ein Monat verstrichen ist. Ausweislich von Bl. 45 der SG-Akte wurde die Benachrichtigung am 9. Juli 2019 ausgehängt und am 21. August 2021 abgenommen. Der Gerichtsbescheid gilt somit einen Monat nach dem Aushang, mithin am 9. August 2019, als zugestellt.

b. Der Gerichtsbescheid vom 29. Mai 2019 wurde dem Kläger am 9. August 2019 zugestellt, so dass der Lauf der einmonatigen Berufungsfrist am 10. August 2019 begann (§ 64 Abs. 1 SGG) und mit Ablauf des 9. September 2019 endete, da dieser Tag nach seiner Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis der Zustellung des Gerichtsbescheids fällt (§ 64 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Der Kläger hat die Berufung erst mit Telefax vom 10. März 2021 bzw. 28. März 2021 (jeweils Eingang beim SG), also verspätet, eingelegt.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Berufungsfrist kommt im Hinblick auf die Ausschlussfrist des § 67 Abs. 3 SGG nicht in Betracht. Danach ist der Antrag nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Entsprechende Gesichtspunkte sind nicht vorgetragen worden und liegen offensichtlich auch nicht vor, wie die vor Ablauf der Jahresfrist an das SG gerichtete E-Mail des Klägers vom 17. August 2020 und der angesprochene telefonische Kontakt dokumentieren.

4. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung weitere Anträge gestellt hat (Feststellung seiner deutschen Staatsangehörigkeit, Vorlage eines rechtswirksam unterschriebenen Vertrags und einer rechtswirksamen vollstreckbaren Ausfertigung bezüglich des Eintrags einer Zwangshypothek), handelt es sich um neue Streitgegenstände. Zwar ist eine Klageänderung grundsätzlich auch noch im Berufungsverfahren möglich (§ 153 Abs. 1 SGG i.V.m. § 99 SGG). Der Klageänderung steht aber bereits die Unzulässigkeit der Berufung entgegen (BSG, Urteil vom 31. Juli 2002 – B 4 RA 20/01 R – juris, Rn. 22; Guttenberger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, Stand: Juni 2022, § 99 SGG Rn. 47; Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 99 Rn. 12 m.w.N.).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

6. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.

 

Rechtskraft
Aus
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