I. Eine Verkürzung von Wartezeiten für Patienten stellt keinen Vertretungsgrund im Sinne von § 32 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV dar.
II. Eine Vertretung durch Weiterbildungsassistenten ist mit dem Sinn und Zweck der Weiterbildung (vgl. § 1 der Weiterbildungsordnung) nicht zu vereinbaren und ist deshalb grundsätzlich als unzulässig anzusehen, es sei denn, es liegt ein Notfall vor.
III. Aus einer abweichenden Rezeptunterschrift kann grundsätzlich geschlossen werden, dass der Vertragsarzt die von ihm abgerechneten Leistungen nicht erbracht hat und insoweit ein Verstoß gegen den Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung (§ 32 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV) vorliegt (vgl Sozialgericht München, Urteil vom 01.07.2014, Az S 21 KA 484/11; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 01.06.2016, Az L 12 KA 136/14; Bundessozialgericht Beschluss vom 28.06.2017, Az B 6 KA 73/16 B). Eine unterschiedliche Behandlung von Erstrezepten und Wiederholungsrezepten ist nicht geboten.
IV. Im Ausnahmefall ist es aber gerechtfertigt, diesen Rückschluss nicht vorzunehmen, insbesondere, wenn das Tätigkeitsspektrum (hier: Facharztinternisten mit dem Schwerpunkt Endokrinologie mit einem mehr als 50-prozentige Anteil der Laborleistungen am Gesamthonorar) fundamental von dem anderer Facharztpraxen abweicht. Hier ist nicht von einem typischen Geschehensablauf im Sinne eines Anscheinsbeweises, bei dem nach allgemeiner Lebenserfahrung aufgrund einer hohen Wahrscheinlichkeit von der Rezeptunterschrift auf den Behandler geschlossen werden kann, auszugehen.
V. § 24 BMV-Ä schließt nicht aus, dass Überweiser, die derselben Fachgruppe angehören und die speziellen Behandlungsleistungen zwar erbringen können, aber rein faktisch nicht erbringen, an einen anderen Arzt überweisen.
I. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 28.11.2018 wird insoweit aufgehoben, als der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen wurde und die Beklagte wird verpflichtet, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu verhandeln und zu entscheiden, soweit der Rechtsstreit nicht für erledigt erklärt wurde.
II. Der Kläger trägt 1/5 der Kosten des Verfahrens, die Beklagte 4/5 der Kosten des Verfahrens.
T a t b e s t a n d :
Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage ist der Ausgangsbescheid der Beklagten in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.11.2018. Die Bescheide betrafen die Plausibilitätsprüfung, die sich auf die Quartale 4/11-3/16 bezog und die zu einer Aufhebung der Honorarbescheide und zu deren Neufestsetzung, verbunden mit einer Rückforderung in Höhe von 584.944,39 € führte. Der Kläger war in dem strittigen Zeitraum als Internist mit dem Schwerpunkt Endokrinologie zugelassen. Er befand sich in Praxisgemeinschaft mit F. und M1., beide ebenfalls Internisten mit dem Schwerpunkt Endokrinologie. Auch bei diesen Ärzten fand eine Plausibilitätsprüfung statt, die zur Aufhebung der Honorarbescheide, zur Neufestsetzung der Honorare und zu einer Rückforderung (73.954,93 €; 100.745,04 €; Quartale 4/14-4/16) führte. Die ebenfalls beim Sozialgericht anhängigen Verfahren unter den Aktenzeichen S 38 KA 196/21 und S 38 KA 318/21 wurden auch am 23.11.2023 verhandelt und entschieden. Nach den Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid waren neben den drei in Einzelpraxis tätigen Ärzten laut Internetauftritt in der Praxisgemeinschaft auch P. und B. tätig, die aber vertragsärztlich nicht zugelassen waren. Weitere Ärzte waren in der Praxisgemeinschaft als Sicherstellungsassistenten bzw. als Weiterbildungsassistenten tätig, sowie angestellte Ärzte (Z. (Internist, Kardiologie, Pneumologie; Tätigkeitsende 20.02.2015) und S. (hausärztlich tätige Ärztin; Tätigkeitsende: 15.05.2014)). Gegen den Kläger fand ein Ermittlungsverfahren vor der Staatsanwaltschaft M-Stadt I (Aktenzeichen XYZ) statt. Dieses endete mit einem Strafbefehl, verbunden mit einer Geldbuße.
Die Beklagte führte in dem Widerspruchsbescheid aus, es seien in den Quartalen 4/11 bis 1/16, später auch ausgedehnt auf die Quartale 2/16 und 3/16, Auffälligkeiten festzustellen gewesen. So habe es ab dem Quartal 3/14 einen erheblichen Fallzahlanstieg gegeben. Dieser Fallzahlanstieg sei nicht nachvollziehbar. Es sei zu sehr hohen Abrechnungen der GOP 01436 und 01602 gekommen. Diesbezüglich seien Abrechnungsfehler festzustellen. Auch seien Leistungen außerhalb der Praxis in einer Filiale erbracht worden, obwohl diese nur bis zum 30.06.2011 genehmigt gewesen sei.
Hauptsächlich wurde die Plausibilitätsprüfung auf den Vorwurf gestützt, der Kläger habe gegen das Gebot der persönlichen Leistungserbringung verstoßen. Es seien nicht genehmigte Ärzte beschäftigt worden. Vielfach hätten sich auf den Rezepten andere Unterschriften befunden (auch von nicht genehmigten Ärzten und Weiterbildungsassistenten), woraus zu schließen sei, dass der Kläger auch die ärztliche Leistung nicht persönlich erbracht habe (SG C-Stadt, Urteil vom 01.09.2014, Az S 21 KA 484/11; LSG Bayern, Urteil vom 01.06.2016, Az L 12 KA 136/14; BSG, Beschluss vom 28.06.2017, Az B 6 KA 73/16 B). Festzustellen sei ferner, dass Auftragsüberweisungen innerhalb der Praxisgemeinschaft hoch waren. So seien Leistungen nach Kapitel 32.3 EBM abgerechnet worden, obwohl die Kollegen in der Praxisgemeinschaft F. und M1. über eine eigene Genehmigung zur Erbringung der Leistungen des Kapitels verfügt hätten.
Die Rückforderung im Zusammenhang mit der Rezeptauswertung nach Bildung einer Mischquote bzw. Quote der fehlerhaften Rezepte (Quartale 4/11-3/16), was als Verstoß gegen die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung anzusehen sei, und im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Weiterbildungsassistentin E2. (Quartale 3/15 bis 1/16) belief sich auf insgesamt 468.105,95 €. Dabei gewährte die Beklagte einen Sicherheitsabschlag von 15 % bzw. 25 %.
Gegen den Ausgangsbescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides ließ der Kläger Klage zum Sozialgericht München einlegen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers führte aus, der Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Die Bescheide seien bereits formell rechtswidrig, da ein Verstoß gegen die Begründungspflicht nach § 35 SGB X vorliege (wird weiter ausgeführt). Die Bescheide seien aber auch materiell rechtswidrig.
So seien die Aufhebung der Honorarbescheide, Honorarneufestsetzung und Rückforderung nur innerhalb von vier Jahren, ausgehend von den Honorarbescheiden, möglich. Dies habe zur Folge, dass hinsichtlich der Quartale 4/11-3/12 Verjährung eingetreten sei. Die Prozessbevollmächtigte wies darauf hin, Ihres Erachtens komme es auf den Zeitpunkt der Strafanzeige an. Zu diesem Zeitpunkt habe die Beklagte bereits detaillierte Vorstellungen und Kenntnisse gehabt. Verwaltungsverfahren und Ermittlungsverfahren stünden nebeneinander. Der Kläger habe auch nicht vorsätzlich gehandelt.
Zum Vorwurf der Beklagten, der Kläger habe gegen das Gebot der persönlichen Leistungserbringung verstoßen, wurde zunächst angezweifelt, dass als Aufgreifkriterium "Tagesprofile" überhaupt geeignet seien, zumal spezielle Laborleistungen in der klägerischen Praxis erbracht worden seien, die vom Leistungsspektrum her in Bayern nur mit wenigen Praxen (höchstens sechs Praxen) vergleichbar sei.
Ebenfalls könne man nicht von der Rezeptunterschrift auf den Arzt schließen, der die Leistung erbracht habe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei die Rezeptblockunterschrift nur eines von mehreren Indizien. Es handle sich allenfalls um einen Anscheinsbeweis, der aber widerlegt werden könne.
Ferner sei es zulässig gewesen, dass sich der Kläger vertreten lasse. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts München (SG C-Stadt, Urteil vom 25.03.2021, Az S 38 KA 162/19) sei auch eine stundenweise und halbtägige Vertretung zulässig und mit § 32 Abs. 1 Ärzte-ZV zu vereinbaren. Hierzu machte die Prozessbevollmächtigte des Klägers auf ein Merkblatt aufmerksam, wonach auch eine stundenweise Vertretung möglich sei und als ein Vertretungstag gezählt werde. Aber auch in anderen KV-Bezirken, so im KV-Bezirk Baden-Württemberg werde eine stundenweise und eine halbtätige Vertretung ohne Weiteres akzeptiert. Im Übrigen sei es auch zulässig, Leistungen zu delegieren.
Was Auftragsüberweisungen innerhalb der Praxisgemeinschaft betreffe, seien die Kollegen des Klägers wohl fehlinformiert gewesen. Es sei darauf hinzuweisen, dass die Kollegen eine Erweiterung ihrer Genehmigung erst im Zusammenhang mit der Laborreform 2008 erhalten hätten. Diese Änderung sei von den Kollegen unbemerkt geblieben. Insofern seien sie auch von der Notwendigkeit einer Auftragsüberweisung ausgegangen. Die Kollegen seien einem Irrtum unterlegen, indem sie die Leistungen nach Kapitel 32.2 EBM weiterhin nicht erbracht hätten. Die Irrtümer dürften aber nicht zulasten des Klägers gehen.
Auch das Schätzungsermessen sei teilweise fehlerhaft von der Beklagten ausgeübt worden. Denn die Fehlerquote sei auf das Gesamthonorar ausgedehnt worden und somit auch auf Laborleistungen, die den Großteil des Honorars ausmachten (mehr als die Hälfte der Leistungen des Klägers) und die somit völlig zu Unrecht zurückgefordert worden seien.
Die Beklagte entgegnete, es sei für die Quartale 4/11-3/12 nicht von einer Verjährung auszugehen. Die Frist beginne erst mit der positiven Kenntnis der die Rücknahme begründenden Tatsachen und somit frühestens im April 2017 mit dem Bescheiderlass. Im Übrigen könne eine Berichtigung auch nach Ablauf der Vierjahresfrist nach § 45 SGB X erfolgen.
Hinsichtlich des Gebots der persönlichen Leistungserbringung wurde ausgeführt, für eine stattgefundene nicht persönliche Leistungserbringung durch den Kläger spreche nicht nur die Rezeptunterschrift, sondern auch der Umstand, dass ein deutlicher Fallzahlanstieg zu verzeichnen war. Nach § 15 Abs. 2 BMV-Ä und § 2 Abs. 1 Nr 10 AMVV dürften Rezepte nur von dem Arzt ausgestellt werden, der sich vom Krankheitszustand des Patienten überzeugt habe oder ihm der Zustand aus der laufenden Behandlung bekannt sei.
Auch seien Auftragsüberweisungen innerhalb der Praxis unzulässig, wie sich aus § 24 BMV-Ä ergebe. Hierbei sei es unerheblich, ob der Kläger in Kenntnis des Sachverhalts war. Denn es handle sich um eine sachlich-rechnerische Richtigstellung, für die ein Verschulden nicht Voraussetzung sei. Insoweit seien auch die Leistungen des Klägers in unzulässiger Weise erfolgt.
Das Gericht richtete ein Schreiben an die Prozessbevollmächtigte der Kläger zum Aktenzeichen S 38 KA 11/19. Dieses enthielt u.a. mehrere Fragen zu einzelnen zwischen den Beteiligten strittigen Punkten.
Die Prozessbevollmächtigte nahm hierzu Stellung und führte unter anderem aus, dass die Vergütung beim Kläger für die Laborleistungen in allen strittigen Quartalen mehr als 50 % betragen würde. Aus der Häufigkeitsstatistik sei zudem ersichtlich, dass allein die Grundpauschalen der endokrinologen GOPs 13340 ff EBM von weniger als 3 % der Fachgruppe abgerechnet würden. Die tatsächlichen Laborleistungen würden in der Regel oft nur von einem Prozent oder sogar weniger der Fachgruppe abgerechnet. Zur Frage nach dem Ablauf im Labor wurde folgendes vorgetragen:
" - Indikationsstellung für das Labor erfolgt durch den Kläger.
- technischer Teil: technische Beurteilung des Untersuchungsmaterials auf seine Brauchbarkeit zur ärztlichen Diagnose und die technische Aufarbeitung von Untersuchungsmaterial sowie die Durchführung von Untersuchungsgängen an den Laborgeräten, d.h. insbesondere das Bestücken der Analysemaschinen werden an qualifizierte nichtärztliche Mitarbeiterinnen, insbesondere an medizinisch-technische Laboratoriumsassistentinnen, delegiert.
- Die Befundung durch Interpretation der Laborwerte im Zusammenhang mit den übrigen klinischen Befunden und den Angaben des Patienten sowie die abschließende Freigabe der Labordaten erfolgt wieder durch den Kläger. Hinzu kommt allgemein, d. h. nicht auf den einzelnen Patienten bezogen, im Bereich des Labors die Überwachung der internen und externen Qualitätskontrollen, die Kontrollen von Eichkurven und Analysewerten sowie die Aufsicht und die fachliche Weisung der Beauftragung medizinisch-technischer Laboratoriumsassistentinnen. Diese Leistungen erfolgen zeitlich unabhängig vom Aufenthalt des Patienten in der Praxis und werden regelmäßig außerhalb der Sprechzeit erbracht...Somit besteht zwischen den Rezepten und den Laborleistungen in der Regel kein Zusammenhang."
Rezepte könnten quartalsweise benötigt werden, die Kontrollen im Labor seien jedoch oft nur in halbjährlichen oder jährlichen Abständen notwendig. Während ein stabil eingestellter Patient nur jährliche Kontrollen seiner Laborwerte benötige, könne es sein, dass in akuten Fällen Laborproben alle 4-6 Wochen erforderlich seien. Dies zeige, dass ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Ausstellung eines Rezeptes und einer Blutabnahme nicht bestehe.
Dem entgegnend führte die Beklagte im Schreiben vom 11.07.2023 aus, dass bei Aufschlüsselung der Honorarsummen für die Laborleistungen auch die Leistungen der LG 14 (Kosten-und Pauschalerstattungen) mit eingerechnet worden seien. Bei der LG 14 handle es sich aber nicht explizit um Laborleistungen. Die Laborleistungen setzten sich vielmehr zusammen aus der LG 10 (Basislabor) und der LG 12 (Speziallabor). Im Übrigen sei es unerheblich, welchen Anteil die Laborleistungen am Gesamthonorar einnähmen und ob die Laborleistungen des Klägers im Vergleich zur Fachgruppe eine Rarität darstellten. Denn es gehe hier nicht um den Vergleich der Fachgruppe.
Vielmehr sei entscheidend, dass die Laborleistungen zum Leistungsspektrum der Praxis gehörten und damit auch von den ungenehmigten Ärzten erbracht worden seien. Grundlage für die Rückforderungsberechnung sei nicht die im Zusammenhang mit der Rezeptausstellung erbrachten Leistungen, sondern alle in der Praxis abgerechneten Leistungen und damit das gesamte erwirtschaftete GKV-Honorar. Durch die Auswertung der Rezeptunterschriften werde lediglich der nicht genehmigte Tätigkeitsumfang der ungenehmigten Ärzte ermittelt. Ein weiteres Herausrechnen der Laborleistungen wäre nicht sachgerecht. Auch sei nicht glaubhaft, dass von den ungenehmigten Ärzten nur jeweils Grundleistungen erbracht wurden. Hierzu habe die Prozessbevollmächtigte des Klägers keine substantiierten Ausführungen gemacht.
Die Sach- und Rechtslage wurde zunächst in den mündlichen Verhandlungen am 30.03.2022 und 04.05.2023 mit den Beteiligten erörtert. Im Hinblick auf die Anregung der Beteiligten wurden sie vertagt, um die in anderen Kassenarztkammern des Sozialgerichts München (ursprüngliche Az und ) anhängigen Klageverfahren, betreffend die Kollegen des Klägers kammerübergreifend in einer Kammer zusammen zu führen.
In der mündlichen Verhandlung am 23.11.2023 wurde die Sach-und Rechtslage mit den Beteiligten abschließend besprochen. Die Prozessbevollmächtigte der Kläger gab für den Kläger E. folgende Erklärung ab:
"Hinsichtlich der Rückforderung der Leistungen nach den GOPs 01602 und 01436 in den Quartalen 4/12-3/16 wird der Rechtsstreit für erledigt erklärt. Darüber hinaus wird ein Betrag in Höhe von 108.216,17 € aus dem Ermittlungsverfahren und Strafbefehl wegen der ungenehmigten Tätigkeiten von E2. und B. anerkannt und für erledigt erklärt."
Die Vertreterinnen der Beklagten stimmten dieser Teilerledigterklärung zu.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers stellte die Anträge aus dem Schriftsatz vom 11.12.2020, soweit der Rechtsstreit nicht für erledigt erklärt wurde.
Die Vertreter der Beklagten beantragten, die Klage abzuweisen.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlungen waren die Beklagtenakten. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die sehr ausführlichen Schriftsätze der Beteiligten sowie die Sitzungsniederschriften vom 30.03.2022, 04.05.2023 und 23.11.2023 verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die kombinierte Anfechtungs-und Verbescheidungsklage ist zulässig und auch begründet, soweit sie nicht für erledigt erklärt wurde.
Rechtsgrundlagen für die Plausibilitätsprüfung sind §§ 75 Abs. 1, 83 Satz 1 SGB V, § 7 Abs. 1 Gesamtvertrag-Primärkassen bzw. § 8 Gesamtvertrag Ersatzkassen in Verbindung mit der Anlage 8 Gesamtvertrag-Ersatzkassen, § 106a Abs. 2 SGB V, § 46 Bundesmantelvertrag-Ärzte (= BMV-Ä) bzw. § 42 Arzt/Ersatzkassen-Vertrag (= A-EKV) bzw. § 50 Abs. 1 SGB X. Danach ist die Beklagte generell berechtigt, die Abrechnungen der Vertragsärzte auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen. Im Fall des Klägers wurde eine solche Prüfung in den Quartalen 4/11 bis 3/16 durchgeführt.
Eine Plausibilitätsprüfung findet grundsätzlich dann statt, wenn aufgrund von Aufgreifkriterien der Verdacht der Implausibilität besteht. Abrechenbar und vergütungsfähig sind nur solche Leistungen, die in Übereinstimmung mit den für die vertragsärztliche Versorgung geltenden Vorschriften, vor allem dem EBM, dem HVV bzw. dem HVM und den sonstigen Abrechnungsbestimmungen erbracht werden. Wird eine Implausibilität festgestellt, erfolgt die Rückforderung der zu Unrecht abgerechneten Leistungen gemäß § 50 Abs. 1 SGB X.
Rechtlich nicht zu beanstanden ist, dass die Beklagte als Auffangkriterium "Tagesprofile" zugrunde gelegt hat. Dies gilt auch für die klägerische Praxis im speziellen, auch wenn die Praxis mit ihrem Leistungsspektrum nach den Angaben der Klägerseite eine Sonderstellung im Vergleich zur Fachgruppe der Internisten einnehmen sollte. Ansonsten wäre bei dieser Konstellation eine Plausibilitätsprüfung nicht möglich. Es ist deshalb als zulässig zu erachten, in diesem Fall keine allzu großen Anforderungen an Aufgreifkriterien zu stellen. Die Feststellungen der Beklagten, dass es zu einem erheblichen Fallzahlanstieg kam, reichen dafür aus, in eine Plausibilitätsprüfung einzutreten.
Nach der Erledigterklärung durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung bedürfen im Wesentlichen zwei Komplexe einer Klärung, nämlich der von der Beklagten vorgenommene Rückschluss von der Rezeptunterschrift auf denjenigen, der die Leistungen erbracht hat sowie die vom Kläger erbrachten Auftragsleistungen (Aufträge von M1. und F.). Außerdem ist die Frage zu stellen, ob in den Quartalen 4/11-3/12 eine Verjährung eingetreten ist, sodass es in diesem Zeitraum nicht auf eine eventuelle Implausibilität ankommen würde.
Die Beklagte hat eine Auswertung von Rezepten vorgenommen und festgestellt, dass viele nicht vom Kläger unterzeichnet wurden, sondern von anderen in der Praxisgemeinschaft tätigen Ärzten, auch solchen die keine vertragsärztliche Zulassung besitzen, aber auch von Weiterbildungsassistenten. Die Klägerseite hat eingeräumt, dass Rezepte von unterschiedlichen Ärzten unterschrieben worden seien. Hintergrund sei gewesen, lange Wartezeiten, insbesondere am Quartalsanfang und am Quartalsende für die Patienten zu vermeiden. Daraus leitet die Beklagte einen Verstoß gegen die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung ab.
Bei der Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung handelt sich um eine der Grundpflichten jedes Vertragsarztes (BSG, Urteil vom 21.03.2012, Az B 6 KA 22/11 R). Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV hat der Vertragsarzt seine vertragsärztliche Tätigkeit persönlich in freier Praxis auszuüben. Er kann sich dabei unter den in § 32 Abs. 1 S. 2 und 3 Ärzte-ZV genannten Voraussetzungen vertreten lassen.
Die vom Kläger angegebene Verkürzung von Wartezeiten für Patienten stellt jedenfalls keinen Vertretungsgrund im Sinne von § 32 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV dar. Davon abgesehen hält das Gericht an seiner Rechtsauffassung fest, dass eine stundenweise oder halbtägige Vertretung unzulässig ist. Denn den Vorschriften der § 32 Ärzte-ZV und § 17 Abs. 3 BMV-Ä ist zu entnehmen, dass der Verordnungsgeber/die Vertragspartner des Bundesmantelvertrages zumindest von einer tageweisen Vertretung ausgehen. Bei einer nur stundenweisen oder halbtägigen ersatzweisen Tätigkeit durch einen anderen Arzt handelt es sich dagegen nach Auffassung des Gerichts nicht um eine Vertretung im Sinne der §§ 32 Ärzte-ZV, 17 BMV-Ä (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 08.06.2007, Az L 3 KA 9/07 ER). Derartige Fallkonstellationen werden - besteht ein dringender Behandlungsbedarf - durch andere Ärzte abgedeckt, die dann Notfallbehandlungen erbringen und über den Notfallschein abrechnen. Für dieses Ergebnis sprechen auch andere Erwägungen. Nachdem die Höchstdauer der Vertretung drei Monate innerhalb von zwölf Monaten beträgt (§ 32 Ärzte-ZV) und eine Addition der Vertretungstage erfolgt, wäre eine Ermittlung der Vertretungszeit bei einer nur stundenweisen oder nur halbtägigen Vertretung kaum möglich. Letztendlich würde dies die Vertretungsregelungen des § 32 Ärzte-ZV und des § 17 BMV-Ä "ad absurdum" führen (vgl SG C-Stadt, Urteil vom 25.03.2021, Az S 38 KA 162/19). Etwas anders ergibt sich auch nicht aus dem Merkblatt der KVB (Merkblatt aktuell - Vertretung vom 20.05.2021), wonach unter dem Punkt Vertretungsdauer eine stundenweise Vertretung als ein Vertretungstag gezählt wird. Es handelt sich diesbezüglich lediglich um die Berechnung der Gesamtvertretungsdauer im Sinne von § 32 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV. Daraus zu schließen, es sei eine stundenweise oder halbtägige Vertretung zulässig, folgt daraus nicht. Ebenfalls ist aus dem Umstand, dass in anderen KV-Bereichen, genannt ist der KV-Bereich Baden-Württemberg eine Vertretung stundenweise/halbtägige toleriert wird, nicht auf eine generelle Zulässigkeit zu schließen. Denn würde dies als zulässig erachtet, ergäbe sich die erhebliche Schwierigkeit, festzustellen, ob der Vertragsarzt den Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung eingehalten hat. Auch eine Überprüfung, ob ein unzulässiges paralleles Tätigwerden von mehreren Ärzten praktiziert wird, wäre zumindest deutlich erschwert. Zudem könnten sich Auswirkungen auf die Bedarfsplanung ergeben, da die Zulassung auch auf den Tätigkeitsumfang (Versorgungsauftrag) abstellt.
Erst recht ist eine angebliche Vertretung durch genehmigte Weiterbildungsassistenten grundsätzlich als unzulässig anzusehen. Der Sinn und Zweck der Weiterbildung besteht darin, dass den an der Weiterbildung teilnehmenden Ärzten eingehende Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten für definierte ärztliche Tätigkeiten nach Abschluss der Berufsausbildung vermittelt werden. Sie erfolgt auch nur unter Anleitung zur Weiterbildung befugter Ärzte (vgl. § 1 der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns). Damit ist eine Vertretung durch einen Weiterbildungsassistenten grundsätzlich nicht zu vereinbaren; es sei denn, es handelt sich um einen Notfall. Hierzu wurde von der Klägerseite aber nichts vorgetragen.
Das Sozialgericht München hat in einem Urteil vom 01.07.2014 (Az S 21 KA 484/11) umfangreich seine Auffassung zur auch hier mit Streit entscheidenden Frage dargelegt, ob aus einer abweichenden Rezeptunterschrift geschlossen werden könne, dass der Vertragsarzt die von ihm abgerechneten Leistungen nicht erbracht hat und insoweit ein Verstoß gegen den Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung (§ 32 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV) vorliegt. Es hat unter anderem ausgeführt:
"Zu berücksichtigen ist dabei, dass die so ausgestellten Rezepte auch nicht den Anforderungen nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BMV-Ä, § 13 Abs. 3 EKV-Ä bzw. § 2 Abs. 1 Nr 10 AMVV entsprachen. Denn das Ausstellen der Verordnungen gehört zum Bereich der ärztlichen Tätigkeiten, die vom zugelassenen Vertragsarzt persönlich zu erbringen sind. Der Kläger als verschreibende Person war nach § 2 Abs. 1 Nr 10 AMVV auch zur eigenhändigen Unterschrift verpflichtet. Eine Delegation der Unterschrift an einen anderen Arzt oder eine sonstige dritte Person ist nicht zulässig... Denn diese (Anm: Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung) schließt nicht nur die Behandlungs-sondern auch die Verordnungstätigkeit ein."
Die Entscheidung wurde vom Bayerischen Landessozialgericht (Urteil vom 01.06.2016, Az L 12 KA 136/14) bestätigt. Die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde war erfolglos (BSG, Beschluss vom 28.06.2017, Az B 6 KA 73/16 B).
Auch die erkennende Kammer vertritt die Auffassung, dass grundsätzlich von der Rezeptunterschrift auf den Behandler geschlossen werden kann. Weicht die Rezeptunterschrift von dem Namen des Vertragsarztes ab, ist zu vermuten, dass der Vertragsarzt auch die Behandlungsleistungen nicht persönlich erbracht hat. Wie die Prozessbevollmächtigte des Klägers zutreffend ausführt, handelt es sich um einen Anscheinsbeweis. Dieser beschreibt einen typischen Geschehensablauf, bei dem nach allgemeiner Lebenserfahrung aufgrund einer hohen Wahrscheinlichkeit auf die Beweistatsache geschlossen werden kann (Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 79. Aufl. 2021, Rn 22a vor § 284). Der Anscheinsbeweis kann aber vom Gegner erschüttert werden, indem er die konkrete Möglichkeit eines von der Lebenserfahrung abweichenden Geschehensablaufs nachweist. In diesem Sinne hat sich auch das BSG (aaO) geäußert, indem es ausführt, die abweichende Rezeptunterschrift sei nicht unmittelbar Grund für die Rückforderung, sondern eines von mehreren Indizien, die dafür sprächen, dass der Kläger auch Behandlungen, die er gegenüber der Beklagten abgerechnet habe, nicht selbst erbracht und damit gegen die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung verstoßen habe, ohne allerdings von einem Anscheinsbeweis zu sprechen.
Dafür, dass im streitgegenständlichen Verfahren die Rezepte nur versehentlich von einem anderen Arzt ausgefüllt wurden, ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte. Im Gegenteil! Es handelte sich nach dem Vortrag der Klägerseite offensichtlich um ein gelebtes Procedere, dass derjenige, der gelegentlich am Empfang vorbeiging, die Rezepte unterschrieb, um die Wartezeiten für die Patienten zu verkürzen. Dass lediglich Folgerezepte von Dritten unterschrieben wurden, ist ebenfalls nicht ersichtlich; zudem wurde hierzu von der Klägerseite nichts vorgetragen. Abgesehen davon würde sich die Frage stellen, ob zwischen Ersterstellung eines Rezeptes und Folgerezepten (Wiederholungsrezepten) zu differenzieren ist. Es mag sein, bei Wiederholungsrezepten anders als bei Erstrezepten dazu zu neigen, die Anforderungen an die persönliche Leistungserbringung herabzusetzen und in diesem Fall eine Rezeptierung durch Dritte zuzulassen. Jedoch gilt auch für Wiederholungsrezepte das Gebot der persönlichen Leistungserbringung und § 15 Abs. 2 S. 1 BMV-Ä, § 28 EKV-Ä. Eine Unterscheidung zwischen Erstrezepten und Wiederholungsrezepten ist den genannten Vorschriften nicht zu entnehmen. Im Übrigen ist es auch bei Dauermedikation notwendig, dass dem Vertragsarzt der Krankheitszustand aus der laufenden Behandlung bekannt ist. Der Vertragsarzt muss aufgrund seiner Kenntnisse über den Krankheitszustand in der Lage sein, die Notwendigkeit der Fortsetzung der Medikation beurteilen zu können und gegebenenfalls Überlegungen anstellen, die Medikation zu ändern, eventuell auch auf andere Medikamente auszuweichen. Genau dies ist bei dem gelebten Procedere in der Praxisgemeinschaft nicht anzunehmen.
Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass auch die 38. Kammer des Sozialgerichts München der Auffassung ist, es könne grundsätzlich von der Rezeptunterschrift auf den Behandler geschlossen werden und die so errechnete Fehlerquote könne auf das Gesamthonorar in Ansatz gebracht werden, ungeachtet der jeweiligen Behandlungsleistungen.
Im Ausnahmefall ist es aber gerechtfertigt, diesen Rückschluss nicht vorzunehmen. Um einen solchen Ausnahmefall handelt es sich hier. Denn das Tätigkeitsspektrum der klägerischen Praxis legt es nahe, diesen Rückschluss nicht zur Gänze zu ziehen. Zu Recht machte die Klägerseite darauf hin, dass das Gesamthonorar in allen Quartalen zu mehr als 50 % aus Laborleistungen erzielt wird. Insoweit weicht die klägerische Praxis fundamental von anderen Facharztpraxen ab. Aus diesem Grund ist das Gericht der Meinung, dass die Entscheidung des Sozialgerichts München vom 01.07.2014 (Az S 21 KA 484/11), bestätigt durch die nachfolgenden Entscheidungen (Bayerischen Landessozialgericht, Urteil vom 01.06.2016, Az L 12 KA 136/14; BSG, Beschluss vom 28.06.2017, Az B 6 KA 73/16 B) - Gegenstand der Verfahren war die Abrechnung von Leistungen eines hausärztlich tätigen Internisten - auf diesen Fall nur eingeschränkt übertragbar ist. Im Übrigen setzt sich das Bundessozialgericht (BSG, Beschluss vom 28.06.2017, Az B 6 KA 73/16 B) nur kurz damit auseinander, ob der von anderen Ärzten unterschriebene Rezeptblock einen Rückschluss darauf zulässt, ob der dortige Kläger auch Behandlungen nicht selbst erbracht und damit gegen die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung verstoßen hat. Es ist fraglich, ob nach Auffassung des BSGs auch Laborleistungen mit eingeschlossen sind, zumal diese zumindest keine Behandlungsleistungen im engeren Sinn darstellen. Hierbei ist nach Auffassung des Gerichts zwischen den Grundpauschalen (GOP 13340, 13341, 13342) und den Laborleistungen insgesamt zu differenzieren. Nachdem die Grundpauschalen einen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt und/oder Arzt-Patienten-Kontakt im Rahmen einer Videosprechstunde voraussetzen, ist es gerechtfertigt, den Rückschluss von der Rezeptunterschrift auf die Grundpauschalen zu ziehen; anders aber bei den Laborleistungen einschließlich der Kosten/Pauschalerstattungen (Leistungsgruppe 10 entspricht den Gebührenordnungspositionen des Kapitels 32.2 EBM (Basislabor); Leistungsgruppe 11 entspricht den Gebührenordnungspositionen des Kapitels 32.3 EBM (Speziallabor); Kosten/Pauschalerstattungen der Leistungsgruppe 14). Bei den letztgenannten Gebührenordnungspositionen ist nicht von einem typischen Geschehensablauf, bei dem nach allgemeiner Lebenserfahrung aufgrund einer hohen Wahrscheinlichkeit von der Rezeptunterschrift auf den Behandler geschlossen werden kann, auszugehen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat auf schriftliche Nachfrage des Gerichts hin den Ablauf im Labor geschildert. Es handelt sich zu einem Großteil um technische Leistungen, die von Laboratoriumsassistentinnen erbracht werden und die zeitlich unabhängig vom Aufenthalt des Patienten in der Praxis, also ohne Zusammenhang mit der Ausstellung von Rezepten und regelmäßig außerhalb der Sprechzeit erbracht werden.
Insofern ist hier der Anscheinsbeweis als widerlegt anzusehen. Folglich konnte die Beklagte nicht davon auszugehen, dass diese Leistungen nicht tatsächlich und ordnungsgemäß erbracht worden sind. Für die Notwendigkeit einer weiteren Differenzierung nach den Leistungsgruppen 10, 11 und 14 gibt es dagegen nach Auffassung des Gerichts - abgesehen davon, dass dies unpraktikabel wäre- keine Anhaltspunkte.
Klärungsbedürftig ist des Weiteren, ob die Plausibilitätsprüfung darauf gestützt werden kann, dass der Kläger Auftragsleistungen des Kapitels 32.3 EBM abrechnete, obwohl die Überweiser M1. und F. (Mitglieder der Praxisgemeinschaft) ebenfalls befugt gewesen wären, diese Leistungen selbst zu erbringen. Die Beklagte verweist in diesem Zusammenhang auf § 24 Bundesmantelvertrag-Ärzte und vertritt die Auffassung, Auftragsüberweisungen seien nicht möglich gewesen, der Kläger habe deshalb die Leistungen in unzulässiger Weise abgerechnet. Nach § 24 Abs. 1 BMV-Ä hat der Vertragsarzt die Durchführung erforderlicher diagnostischer oder therapeutischer Leistungen durch einen anderen Vertragsarzt ... durch Überweisung auf vereinbartem Vordruck (Muster 6 bzw. Muster 10 der Vordruckvereinbarung) zu veranlassen. Die Überweisung an einen anderen Arzt kann auch zur Auftragsüberweisung erfolgen (§ 24 Abs. 3 Ziffer 1 BMV-Ä). Gem. § 24 Abs. 3 S. 2 BMV-Ä ist in der Regel nur die Überweisung an einen Arzt einer anderen Arztgruppe zulässig. Ausnahmen davon sind in § 24 Abs. 4 BMV-Ä genannt. Danach sind unter anderem Überweisungen an einen Vertragsarzt derselben Arztgruppe, vorbehaltlich abweichender Regelungen im Gesamtvertrag, u.a. nur zulässig zur Inanspruchnahme besonderer Untersuchungs-und Behandlungsmethoden, die vom behandelnden Vertragsarzt nicht erbracht werden.
Nach Auffassung des Gerichts kann sich die Plausibilitätsprüfung nicht auf diesen Komplex erstrecken. Denn zum einen richtet sich § 24 BMV-Ä nicht an denjenigen, an den überwiesen wird, sondern an den Überweiser, hier also M1. und F. Wenn, dann hätten diese in ihrer Eigenschaft als Überweiser, die derselben Arztgruppe angehören und befugt gewesen wären, die Leistungen des Kapitels 24.3 EBM zu erbringen, gegen § 24 BMV-Ä verstoßen. Der Wortlaut des § 24 BMV-Ä lässt es nicht zu, demjenigen, an den überwiesen wird, einen Verstoß gegen diese Vorschrift zum Vorwurf zu machen mit der Folge, er habe die Auftragsleistungen unzulässig erbracht. Hinzu kommt, dass von dem Arzt, an denen überwiesen wird, nicht verlangt werden kann, er müsse sich über den Genehmigungsstatus des Überweisers informieren und auf dem Laufenden halten. Denn die Auftragsüberweisungen könnten auch an Ärzte derselben Fachgruppe außerhalb der Praxisgemeinschaft erfolgen. Es besteht kein sachlich einleuchtender Grund, Fachärzte derselben Fachgruppe, die sich in Praxisgemeinschaft befinden, anders zu behandeln, als Fachärzte derselben Fachgruppe außerhalb der Praxisgemeinschaft.
Unabhängig davon spricht auch der Wortlaut des § 24 Abs. 4 Ziff 1 BMV-Ä dafür, dass auch M1. und F. nicht gegen diese Vorschrift verstoßen haben. Die genannten Vertragsärzte konnten zwar im strittigen Zeitraum die Laborleistungen selbst erbringen. Sie waren mit der Laborreform 2008 zu dieser Leistungserbringung befugt. Irrtümlicherweise sind sie aber weiterhin davon ausgegangen, sie seien hierzu nicht berechtigt und haben deshalb nach Rückfrage des Gerichts diese Leistungen nicht erbracht. Dieser Sachverhalt ist nicht unter § 24 Abs. 4 Ziff. 1 BMV-Ä zu subsumieren. Denn der Wortlaut spricht davon, dass eine Überweisung nur zulässig ist zur Inanspruchnahme besonderer Untersuchungs-und Behandlungsmethoden, die vom behandelnden Vertragsarzt nicht erbracht w e r d e n, nicht dagegen, dass eine Überweisung nur zulässig ist zur Inanspruchnahme besonderer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die vom behandelnden Vertragsarzt nicht erbracht werden k ö n n e n. Insofern ist es nicht maßgeblich, ob die Überweiser befugt sind, die Auftragsleistungen zu erbringen. Nachdem somit die Mitglieder der Praxisgemeinschaft M1. und F. nicht gegen § 24 BMV-Ä verstoßen haben, kann erst recht dem Kläger nicht vorgeworfen werden, er habe gegen diese Vorschrift verstoßen und die Auftragsleistungen in unzulässiger Weise erbracht.
Was die Leistungen nach den Gebührenordnungspositionen 01602 und 01436 betrifft, hat der Kläger deren Leistungsinhalte nicht erfüllt. Insofern hat er gegen die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung verstoßen. Dafür spricht auch, dass in den nachfolgenden Quartalen die Klage insoweit für erledigt erklärt wurde.
Soweit nach Auffassung des Gerichts eine Pflichtverletzung vorliegt (Anmerkung: betrifft die GOP 01602 und 01436 in den Quartalen 1/11 bis 3/12 und Grundpauschalen (GOP 13340, 13341, 13342) in sämtlichen Quartalen) ist diese auch verschuldet. Voraussetzung ist zumindest eine grobe Fahrlässigkeit. Dafür, dass lediglich versehentlich Rezeptunterschriften von anderen Ärzten erfolgten, ergeben sich keine Anhaltspunkte. Dem Kläger musste klar sein, dass das Procedere, wie es in der Praxis gehandhabt wurde, mit dem Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung nicht zu vereinbaren ist. Insofern hat der Kläger die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße außer acht gelassen.
Entgegen der Auffassung der Klägerseite ist allerdings bezüglich der Quartale 1/11-3/12 keine Verjährung eingetreten. Nach gefestigter Rechtsprechung zur Vermeidung des ewigen Prüfverfahrens gilt eine Höchstgrenze von vier Jahren im Sinne einer Ausschlussfrist ab dem Erlass des Honorarbescheides (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.10.2014, Az L 5 KR 1161/12; BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az B 6 KA 5/09 R). Diese Ausschlussfrist ist für die Quartale 1/11-3/12 überschritten. Die Beklagte ist aber befugt, über diesen Vierjahreszeitraum hinaus, bestandskräftige Honorarbescheide zurückzunehmen, sofern die allgemeinen Voraussetzungen des § 45 SGB X vorliegen. Danach darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Abs. 2-4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Dies gilt nicht, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 SGB X). Hierzu wurde klägerseits nichts vorgetragen, sodass nicht von einem Vertrauensschutz auszugehen ist. Im Übrigen spricht viel dafür, dass § 45 Abs. 2 S. 3 Nrn 2 oder 3 SGB X zur Anwendung gekommen. Im Fall, dass der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, kann sich der Begünstigte nicht auf einen Vertrauensschutz berufen.
Allerdings ist die Einjahresfrist gemäß § 45 Abs. 4 SGB X zu beachten. Es handelt sich um eine Ausschlussfrist. Danach ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen möglich, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen (§ 45 Abs. 4 S. 2 SGB X). Sinn und Zweck der Regelung des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X ist die Rechtssicherheit. Dagegen dient die Jahresfrist nicht dem Vertrauensschutz des Betroffenen (BSG, Urteil vom 31.01.2008, Az B 13 R 23/07R). Haben die eigenen Ermittlungen der Behörde oder die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, von denen die Behörde Kenntnis erhalten hat, eine Ermittlungsdichte erreicht, die als hinreichend sichere Informationsgrundlage anzusehen ist, ist ab diesem Zeitpunkt von einer Kenntnis im Sinne des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X auszugehen, mit der Folge, dass dann die einjährige Frist zu laufen beginnt. Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn die Aufhebung der Honorarbescheide keine weiteren Ermittlungen mehr erfordert (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 04.07.2007, Az L 12 AL 105/06; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.03.2011, Az L 5 AS 1547/09). Erst dann darf der Leistungsempfänger davon ausgehen, dass die Behörde den rechtsfehlerhaften Bescheid nicht mehr revidiert.
Was das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren betrifft (vgl. §§ 160 ff. StPO) hat diese den Sachverhalt zu erforschen. Es sind Ermittlungen anzustellen, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind. Dabei hat die Staatsanwaltschaft eine allgemeine Ermittlungsbefugnis auch unter Zuhilfenahme anderer Behörden und der Beamten des Polizeidienstes (§§ 161, 163 StPO). Die Ermittlungsbefugnis der Staatsanwaltschaft erstreckt sich auch auf die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen (§ 161a StPO). Die Zeugen haben dabei die Pflicht zur Aussage, was im Fall des Nichtbefolgens von der Staatsanwaltschaft sanktioniert werden kann (§§ 55, 70, 77 StPO).
Zwar besitzt auch die Beklagte eine Ermittlungsbefugnis, die auch Zeugeneinvernahmen mit einschließt. Die Zeugen sind aber nur dann zur Aussage verpflichtet, wenn dies durch Rechtsvorschrift vorgesehen ist (§ 21 Abs. 3 SGB X). Die Möglichkeit der Zeugeneinvernahme, zu der auch die Beklagte als Behörde befugt ist, kann aber anders als bei der Staatsanwaltschaft nicht erzwungen werden. Insofern ist die Zeugeneinvernahme durch die Behörde grundsätzlich ein "stumpfes Schwert". Somit ist die Staatsanwaltschaft, was die Ermittlungen betrifft, mit wesentlich weitreichenderen Kompetenzen ausgestattet. Es ist deshalb nachvollziehbar, wenn bei Unregelmäßigkeiten, die daneben einer strafrechtlichen Würdigung bedürfen, die Verwaltungsbehörde den Ausgang des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft abwartet und ihre eigenen Ermittlungen zurückgestellt. Jedoch kann die Beklagte als Verwaltungsbehörde parallel zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ihrerseits ermitteln. Die Ermittlungen stehen somit nebeneinander. Sie haben unterschiedliche Aspekte, nämlich zum einen den strafrechtlichen Aspekt und zum anderen die Beurteilung vertragsärztlicher Aspekte.
In Anwendung dieser allgemeinen Überlegungen kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Einjahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X nicht verstrichen ist. Insofern darf die Beklagte nach § 45 Abs. 1 SGB X die Honorarbescheide für die Quartale 1/11-3/12 aufheben, die Honorare neu festsetzen und die Differenz vom Kläger nach § 50 Abs. 1 SGB X zurückfordern.
Was die Berechnung der Rückforderung betrifft, hat die Beklagte ein weites Schätzungsermessen. Sie hat zwar ausreichend Referenzquartale gebildet, die als repräsentativ anzusehen sind, und daraus eine Misch-(fehler)Quote bzw. eine Fehlerquote errechnet. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden, soweit Pflichtverletzungen und Implausibilitäten vom Gericht zu bestätigen waren. Angesichts dessen, dass aus den oben genannten Gründen ein Rückschluss von den Rezeptunterschriften auf die Laborleistungen nicht zulässig ist, ist es als ermessensfehlerhaft anzusehen, die Misch-(fehler)Quote bzw. eine Fehlerquote - wie geschehen - auf das gesamte Honorar zu erstrecken. Sollte es nicht möglich sein, die Laborleistungen einschließlich der Kostenpauschalen herauszurechnen, kann dem mit der Zuerkennung eines großzügigen Maßstabes in Orientierung an die jeweiligen auf das gesamte Honorar entfallenden Anteile angemessen Rechnung getragen werden.
Abgesehen von der nach Auffassung des Gerichts nicht zulässigen Erstreckung der Plausibilitätsprüfung auf die beiden oben genannten Komplexe und der damit einhergehenden fehlerhaften Ausübung des Schätzungsermessens sind die gewährten Sicherheitsabschläge im Hinblick auf eventuelle Unwägbarkeiten rechtlich nicht zu beanstanden.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.v.m. § 155 Abs. 1 VwGO. Die Kostenentscheidung hat einheitlich zu erfolgen, was bedeutet, dass die in der mündlichen Verhandlung am 23.11.2023 erfolgte Teilerledigterklärung, der die Beklagte zugestimmt hat, zu berücksichtigen ist. Entsprechend war die Kostenquotelung vorzunehmen.