Eine einstweilige Reglungsanordnung ist zeitlich zu beschränken, wenn die Sach- und Rechtslage im gerichtlichen Eilverfahren kaum geprüft werden kann, weil einerseits dem Eilantragsteller ein weiteres Zuwarten auf die ihm mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zustehende existenzsichernde Leistungen nicht zuzumuten ist und andererseits die Leistungsverwaltung prozessrechtswidrig jedwede Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung im Gerichtsverfahren unterlässt und insbesondere ihre Verwaltungsvorgänge rechtswidrig geheim hält.
Nach dem Grundgesetz muss sich in Deutschland kein Ausländer zwischen seiner Familie und seinem Asylrecht entscheiden, weil eine derartige Zwangslage die Grundrechte auf Asyl, Ehe, Familie und Erziehung des eigenen Kindes verletzte.
Gegebenenfalls stellt es wegen der absehbaren Rechtsfolgen eines hypothetischen Verstoßes gegen die räumlichen Beschränkungen einer Aufenthaltsgestattung eine Schikane dar, wenn eine Behörde einem Asyl suchenden Vater und Ehemann das sog. „Taschengeld“ ohne nachvollziehbaren Grund streicht und ihm gleichzeitig wöchentlich 600 km lange Reisen abnötigt, um seine Ehefrau und seinen Sohn im Bundesgebiet aufsuchen zu können, derentwegen der mittellos gelassene Antragsteller wiederum Gefahr läuft, postalisch so schlecht erreichbar zu sein, dass seine Asylbewerberleistungen einzuschränken und sein Asylverfahren förmlich einzustellen sind.
Für eine erfolgreiche Rechtsverteidigung gegen bestehende Barauszahlungsansprüche muss eine Behörde zumindest mithilfe der Vorlage geeigneter Verwaltungsvorgänge entweder dartun, wann und wie sie in welcher Höhe die Barleistung ausgezahlt habe, oder aber darlegen, warum sie dies ausnahmsweise unterlassen durfte.
Der bestrittene Erhalt von Bargeld stellt für den (Sozial-) Leistungsempfänger aus beweisrechtlicher Sicht eine negative Tatsache der alleinigen Sphäre des (Sozial-) Leistungsschuldners dar, die sich regelmäßig aus Beweismittelnot nicht weiter substantiieren lässt.
Tenor: |
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Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens (sog. „Taschengeld“) nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Der am 1989 geborene Antragsteller ist vietnamesischer Staatsangehöriger. Er reiste in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Ihm wurde zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet am 14.09.2023 nur mit räumlichen Beschränkungen gestattet. Seine Aufnahme in die Landeserstaufnahmeeinrichtung des Landes Baden-Württemberg in Karlsruhe (LEA) erfolgte am 17.10.2023. Am selben Tag erlaubte ihm der Antragsgegner ausnahmsweise, den Bereich der Aufenthaltsgestattung vom 17.10.2023 bis 31.10.2023 zu verlassen, um sich zu seiner Frau und seinem Sohn nach Berlin zu begeben. Eine inhaltsgleiche Erlaubnis erteilte ihm der Antragsgegner am 02.11.2023 ab dann bis zum 15.11.2023.
In der Folgewoche hat der Antragsteller anstelle Berlins am 21.11.2023 das Sozialgericht Karlsruhe aufgesucht. Hier trägt er vor, dringend auf die sofortige Auszahlung des „Taschengeldes“ angewiesen zu sein. Er habe es für zwei Monate nicht erhalten. Dies verstehe er nicht. Er bitte um schnellstmögliche Entscheidung. An das Gericht habe ihn die „Caritas“ verwiesen. Vorgelegt hat der Antragsteller nebst den Reisegenehmigungen den ebenso vom Antragsgegner ausgestellten Ersatzausweis der LEA Karlsruhe. Dort sind handschriftlich (wohl seitens der „Caritas“ neben der Gerichtsadresse und dessen Öffnungszeiten) folgende Stichpunkte aufgelistet: „evtl. beim Sozialgericht klagen“ „Zeitpunkt der Auszahlung ist nicht klar“ „es gibt keinen rationalen Grund“ „sein Interesse ist größer“ „! Erziehungsschikane – dazu sind sie nicht da, zu erziehen“
Der nicht fachkundig vertretene Antragsteller beantragt demnach vor dem Sozialgericht sinngemäß in einer (prozessfürsorglich richterlich) sachdienlich formulierten Fassung,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ab 17.10.2023 vorläufig Grundleistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens nach § 3 I 2 AsylbLG unter Anrechnung ggfs. bereits zwischenzeitlich erbrachter Leistungen zu gewähren.
Dem Antragsgegner hat das Gericht den Eingang des Eilantrags am 21.11.2023 mitgeteilt. Zugleich hat es ihn zur Erwiderung und Vorlage der Verwaltungsvorgänge binnen einer Woche aufgefordert. Hierbei ist der Hinweis ergangen, dass gerichtlich auch entschieden werden könne, wenn die Erwiderung nicht fristgemäß eingehe.
Der Antragsgegner hat dennoch binnen zwei Wochen die Verwaltungsvorgänge für sich behalten, keinen Antrag gestellt und auch sonst im Gerichtsverfahren nicht mitgewirkt.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte verwiesen.
II.
1. Obwohl der Antragsgegner weder auf den Eilantrag erwidert noch seine Verwaltungsvorgänge vorgelegt hat, darf das Gericht seinem Hinweis vom 22.11.2023 entsprechend gemäß § 104 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Zwecke der in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes besonders gebotenen Prozessbeschleunigung in der Sache entscheiden. Das Gericht hat nämlich die zur Antragserwiderung gesetzte Wochenfrist abgewartet und ihm hierfür sogar – erfolglos – eine zweite Woche zugestanden.
2. Ab dem (wegen dieser Verzögerung bereits zwei Wochen) zurückliegenden Zeitpunkt des Eingangs des Eilantrags bei Gericht ist er sowohl zulässig als auch begründet.
Rechtsgrundlage für die von den Antragstellern begehrte gerichtliche Eilentscheidung ist § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Danach sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Der Anordnungsanspruch betrifft die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, also ob der materielle Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, besteht. Der Anordnungsgrund betrifft die Frage der Eilbedürftigkeit, also ob es bei Abwägung aller betroffenen Interessen unzumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss also für die Abwendung wesentlicher Nachteile nötig sein, das heißt es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert. Eine solche Notlage ist bei einer Gefährdung der Existenz oder erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen zu bejahen (Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 86b SGG, Stand: 22.02.2021, Rn. 412; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 86b Rn. 27).
Nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO sind Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft zu machen. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeit-punkt der gerichtlichen Eilentscheidung (Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 86b SGG, Stand: 22.02.2021, Rn. 383; Keller in Meyer-Ladewig/Keller, SGG, 14. Auflage 2023, § 86b Rn. 42). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, das heißt der guten Möglichkeit, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 07.04.2011 – B 9 VG 15/10 B, juris Rn. 6; BSG, Beschluss vom 08.08.2001 – B 9 V 23/01 B, juris Rn. 5).
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander. Es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit beziehungsweise Schwere des drohenden Nachteils, also dem Anordnungsgrund, zu verringern sind und umgekehrt. Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. Auch dann kann aber nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden (Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 86b SGG, Stand: 22.02.2021, Rn. 475-478; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 86b Rn. 27). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden (Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 86b SGG, Stand: 22.02.2021, Rn. 506-507; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 86b Rn. 31). Wegen des Gebots nach Art. 19 Abs. 4 GG, effektiven Rechtsschutz zu gewähren, ist von diesem Grundsatz eine Abweichung nur dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht mehr gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines Verfahrens geht. Ist während des Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst, wenn die im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden. Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 20.05.2020 – 1 BvR 2289/19, juris Rn. 9; BVerfG, Beschluss vom 22.11.2002 – 1 BvR 1586/02, juris Rn. 7; BVerfG, Beschluss vom 29.07.2003 – 2 BvR 311/03, juris Rn. 12; BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05, juris Rn. 24-25; vergleiche dazu Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 86b SGG, Stand: 22.02.2021, Rn. 513-514; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 86b Rn. 2a). Kann vom Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage unter Berücksichtigung der Kürze der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren regelmäßig zur Verfügung stehenden Zeit nicht verwirklicht werden, so ist anhand einer sorgfältigen und hinreichend substantiierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016 – 1 BvR 1335/13, juris Rn. 20). Andererseits ist es nach Sinn und Zweck des Eilverfahrens regelmäßig nicht Aufgabe der Gerichte, schon im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine umfassende rechtliche Prüfung der Hauptsache vorzunehmen. Denn damit würde die Effektivität dieses Verfahrens geschwächt. Der grundsätzlich summarische Charakter des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens folgt aus dem Wesen vorläufiger Rechtsschutzgewährung und steht mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht in Widerspruch (BVerfG, Beschluss vom 20.05.2020 – 1 BvR 2289/19, juris Rn. 9; BVerfG, Beschluss vom 27.05.1998 – 2 BvR 378/98, juris Rn. 17).
Gemessen an diesen Beurteilungsmaßstäben kann sich der Antragsteller im Verfahren S 12 AY 2765/23 ER auf einen Anordnungsanspruch und -grund berufen. Im Rahmen der existenzsicherungsrechtlich gebotenen Folgenabwägung ist das sicherlich gegebene fiskalische Interesse des Antragsgegners an der Einbehaltung der Bargeldleistung nachrangig gegenüber dem Interesse des Antragstellers an der Gewährung des ihm mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zustehenden „Taschengeldes“.
Einen Anordnungsanspruch hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, weil er in hinreichend substantiierter Form darzulegen vermochte, dass der Antragsgegner ihm rechtswidrig die Grundleistungen nach § 3 Abs. 1 AsylbLG nicht vollumfänglich gewährt.
Ausweislich der vorgelegten Unterlagen ist dem Eilantragsteller als Asylsuchendem während seiner Erstaufnahme in der Landeserstaufnahmeeinrichtung des Antragsgegners in Karlsruhe von diesem gemäß § 3 Abs. 1 AsylbLG auch das sog. „Taschengeld“ zu gewähren. Diese Bargeldleistung steht dem Antragsteller Satz 2 der Vorschrift zufolge nämlich als „Leistung zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens“ zu. Die Höhe dieses „Taschengeldes“ beträgt im Fall des erwachsenden Leistungsberechtigten nach § 3a Abs. 1 Ziff. 2 Buchstabe b) im Jahr 2023 noch monatlich 146,- €, weil er in der LEA Karlsruhe untergebracht ist.
Dass der Antragsgegner dieses „Taschengeld“ bislang gestrichen hat, vermag das Gericht im Rahmen seiner summarischen Prüfung im Eilverfahren nicht mit Gewissheit festzustellen. Denn genauso wenig wie für (den Antragsteller und) die „Caritas“ ist auch für das Gericht nicht nachvollziehbar, ob, und wann bzw. ggfs. warum die Barauszahlungen unterblieben bzw. ggfs. seit der Anrufung des Gerichts vom Antragsgegner (nicht) nachgeholt worden sind.
Diese Unklarheit geht indes im Verfahren S 12 AY 2765/23 ER zulasten des Antragsgegners. Für eine erfolgreiche Rechtsverteidigung gegen bestehende Barauszahlungsansprüche muss eine Behörde zumindest mithilfe der Vorlage geeigneter Verwaltungsvorgänge entweder dartun, wann und wie sie in welcher Höhe die Barleistung ausgezahlt habe, oder aber darlegen, warum sie dies ausnahmsweise unterlassen durfte. Die Behörde trifft nämlich wegen des Beweises der (Sozial-) Leistungserbringung die objektive Beweis- bzw. Substantiierungslast. Denn bei der (Sozial-) Leistungserfüllung handelt es sich um eine anspruchsvernichtende Einwendung des (Sozialleistungs-) Schuldners. Betreffend die unterlassene Auszahlung rechtlich zustehender Barleistungen sind keine überhöhten Anforderungen an das Vorbringen eines (Sozial-) Leistungsempfängers zu stellen. Der bestrittene Erhalt von Bargeld stellt für den (Sozial-) Leistungsempfänger aus beweisrechtlicher Sicht eine negative Tatsache der alleinigen Sphäre des (Sozial-) Leistungsschuldners dar, die sich regelmäßig aus Beweismittelnot nicht weiter substantiieren lässt.
Trotz seiner Substantiierungslast hat der Antragsgegner im Verfahren S 12 AY 2765/23 ER nicht einmal behauptet, das „Taschengeld“ tatsächlich gewährt zu haben. Erst recht hat das Regierungspräsidium Karlsruhe diese Einwendung nicht hinreichend durch die Vorlage entsprechender Unterlagen (z. B. einer Auszahlungsquittung des Antragstellers) substantiiert. In Ermangelung dessen besteht keine Veranlassung, von den glaubhaften Angaben des glaubwürdigen Antragstellers abzuweichen. Ihm zufolge ist der künftige „Zeitpunkt der Auszahlung“ des ihm kraft Gesetzes zustehenden „Taschengeldes“ schlechterdings „nicht klar“ geworden. Hierfür kann ein sachlicher (bzw. „rationaler) Grund“ namentlich auch nicht den Verwaltungsvorgängen entnommen werden. Denn diese hat die der Rechts- und Fachaufsicht des Ministeriums des Inneren von Thomas Strobl (CDU) unterstellte Behörde rechtswidrig unter Verschluss gehalten entgegen ihrer sozialgerichtsverfahrensrechtlichen Mitwirkungspflicht aus § 104 Satz 5 SGG.
Nach Maßgabe der dergestalt prozessrechtswidrig manipulierten sozialgerichtlichen Prüfungsdichte und der deswegen dünnen Erkenntnismittellage erscheint das unzweifelhafte fiskalische Interesse des Antragsgegners an der Einbehaltung des Taschengeldes nachrangig gegenüber dem überragenden Interesse des Antragstellers an der Gewährung des ihm mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zustehenden existenzsichernden „Taschengeldes“. Auf dieses ist der Antragsteller zum Schutz grundrechtlicher Positionen noch mehr angewiesen als es Asylsuchende in Landeserstaufnahmeeinrichtungen üblicher Weise ohnehin schon allein deswegen sind, weil die Asylbewerberleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unerlässlich sind und damit der verfassungskräftigen Gewährleistung eines menschenwürdigen Überlebensminimums dienen, welches in Deutschland auch Menschen vietnamesischer Staatsangehörigkeit beanspruchen können (vgl. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG).
Über dieses – bereits für sich allein genommen das fiskalische Interesse des Antragsgegners regelmäßig überwiegende – Schutzbedürfnis hinaus, hat der Antragsteller im Verfahren S 12 AY 2765/23 ER weitere zwingende verfassungskräftige Gründe für den Erlass der gerichtlichen Eilandordnung hinreichend glaubhaft gemacht durch die Vorlage der Erlaubnisse vom 17.10.2023 und 02.11.2023. Unter deren verständiger Würdigung droht dem Asylantragsteller aufgrund der wahrscheinlich rechtswidrigen Einbehaltung des Taschengeldes durch den Antragsgegner nämlich nicht nur der Erlass einer ggfs. folgefehlerhaften Einschränkung weiterer Sozialleistungsansprüche mit sofortiger Wirkung durch denselben Antragsgegner. Daneben läuft der Antragsteller wegen der wahrscheinlich rechtswidrigen Einbehaltung seines „Taschengeldes“ nach Ablauf einer Woche auch Gefahr, aus der Bundesrepublik Deutschland abgeschoben zu werden. Im Einzelnen:
Die Reiseerlaubnisse des Antragsgegners vom 17.10.2023 und 02.11.2023 bestimmen, dass der Antragsteller nur in den ihm darin vorab genehmigten Zeiträumen den räumlich begrenzten Bereich seiner Aufenthaltsgestattung verlassen darf. Dessen Verlassen ist jedoch unerlässlich, damit der Asylantragsteller quer durch das ganze Bundesgebiet zu seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind nach Berlin reisen kann. Misslänge dem wohl rechtswidrig um sein „Taschengeld“ gebrachten Asylantragsteller ggfs. eine rechtzeitige Rückreise von Berlin in die ihm vom Antragsgegner zugewiesenen Aufnahmeeinrichtung in Karlsruhe, drohte dem Antragsteller – erstens – die Einschränkung seines Anspruchs auf Asylbewerberleistungen gemäß § 1 Abs. 1 Ziff. 1., § 1a Abs. 5 Satz 1 Ziff. 6. AsylbLG. Ggfs. würde der Asylantragsteller nämlich den ihm hier ggfs. gewährten Termin zur förmlichen Asylantragstellung (bei der zuständigen Außenstelle) des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abwesenheitsbedingt (nicht einmal zur Kenntnis nehmen oder aber trotz vorheriger Kenntnisnahme mangels Rückreisefinanzierung dennoch) nicht wahrnehmen können. Dies hätte der Antragsgegner ggfs. zum Anlass zu nehmen, die Asylbewerberleistungen des Antragstellers zum nächstmöglichen Zeitpunkt gemäß den o.g. Vorschriften einzuschränken.
Neben dieser ggfs. folgefehlerhaft rechtswidrigen Einschränkung existenzsichernder Leistungen drohte dem Asylantragsteller – zweitens – eine sofortige Abschiebung, falls der Antragsgegner effektiv eine rechtzeitige Rückreise aus Berlin nach Karlsruhe vereitelte, indem er das für die Rückreisefinanzierung erforderliche „Taschengeld“ des Antragstellers rechtswidrig einbehält. An die Einhaltung der räumlichen Beschränkungen der Aufenthaltsgestattung ist nämlich nicht nur das Fortbestehen einer uneingeschränkten Asylbewerberleistungsgewährung geknüpft. Falls der Antragsteller mangels „Taschengeld“ nicht rechtzeitig von seiner Kernfamilie in Berlin in die ihm für das Asylverfahren zugewiesene LEA Karlsruhe zurückkehrte, drohte ihm auch eine Einstellung des Asylverfahrens gemäß § 33 Abs. 1 und 2 Satz 1 Ziff. 3 Asylgesetz AsylG). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) träfe dann nämlich keine inhaltliche Entscheidung über den Asylantrag des Asylantragstellers. Das BAMF prüfte ggfs. nur das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz. Wenn diese nicht vorliegen, erlässt das BAMF einen Bescheid, mit dem es den Asylantragsteller gemäß § 38 Abs. 2 AsylG zur Ausreise innerhalb einer Woche auffordert und ihm die Abschiebung androht. Ein hiergegen ggfs. eingelegter Rechtsbehelf entfaltet keine aufschiebende Wirkung (§ 34, § 38 Abs. 2, § 75 Abs.1 AsylG).
Schon deshalb hat der Antragsteller nach den diesbezüglichen verfassungskräftigen Wertentscheidungen des Grundgesetzes (GG) für die Zeit ab dem Eingang bei Gericht auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Auf die existenzsichernden Leistungen ist der Antragsteller nämlich wegen der ihm persönlich (verfassungs-) rechtlich fehlenden Freizügigkeit und seiner vom Antragsgegner behördlich angeordneten räumlichen Trennung von Frau und Kind während des Asylverfahrens umso mehr angewiesen. Das Gericht muss bei der Anwendung von § 86b Abs. 2 SGG nämlich Art. 6 und 16a GG zur lebenspraktischen Wirksamkeit bringen und hierzu im Verfahren S 12 AY 2765/23 ER das Vorliegen eines Anordnungsgrundes erst recht bejahen. Aufgrund der räumlichen Beschränkungen der Aufenthaltsgestattung auf Karlsruhe und der zeitlichen Beschränkungen der diesbezüglichen Ausnahmegenehmigungen seitens des Antragsgegners muss der Asylantragsteller nämlich durchschnittlich einmal wöchentlich 602 km weite Reisen quer durch die Bundesrepublik finanzieren, um weder in Karlsruhe sein Asylverfahren noch seine Kernfamilie in Berlin zu verlieren.
Diese Reisen sind unerlässlich, da der Antragsteller ohne sie seine verfassungskräftigen Rechte und Pflichten aus Art. 6 GG und Art. 16a GG nicht verwirklichen könnte. Er kann in der Bundesrepublik Deutschland nämlich seine Ehe und sein Familienleben nach dem Willen der Asylbewerberleistungsverwaltung des Landes Baden-Württemberg nur führen, wenn er monatlich ca. 2.400 Kilometer weit zwischen dem Durchführungsort seines Asylverfahrens und dem Aufenthaltsort seiner Frau und seines Kindes hin- und herpendelt. Indes stellt Art. 6 Abs. 1 GG auch vietnamesische Ehen und Familien und Kinder nicht minder unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung als deutsche Ehen und Familien und Kinder. Dieser Schutz des Ehe- und Familienlebens ist deshalb vom Antragsgegner und – hilfsweise – vom Sozialgericht dergestalt zu gewährleisten, dass dem Antragsteller zumindest nicht von der Innenverwaltung des Landes Baden-Württemberg die Möglichkeit genommen wird, sein „Taschengeld“ für die allwöchentliche innerdeutsche Familienzusammenführung und Familientrennung aufzuwenden, welche ihm die räumlichen und zeitlichen Beschränkungen der Aufenthaltsgestattung des Antragsgegners abverlangen.
Zudem genügt der Antragsteller nur im Wege dieser kostspieligen Reisen seiner Pflicht zur Pflege und Erziehung seines Kindes in Berlin. Pflege und Erziehung stellen nach Art. 6 Abs. 2 GG aber sowohl eine ihm zuvörderst obliegende Pflicht als auch sein natürliches Grundrecht dar. Auch dies ist bei der Asylbewerberleistungsverwaltung von der zuständigen Behörde (bzw. bei der Entscheidung über einstweiligen Anordnungen nach § 86b Abs. 2 SGG vom ggfs. angerufenen Sozialgericht anordnungsbegründend) zu berücksichtigen. Im Verfahren S 12 AY 2765/23 ER droht indes nach der inzwischen wohl siebenwöchigen staatlichen Kindesentziehung in Anbetracht des jungen Lebensalters des kleinen Kindes des selbst erst 24-jährigen Antragstellers bereits eine empfindliche Störung der Bindung von Vater und Sohn. Dabei dürfen Art. 6 Abs. 3 GG zufolge Kinder gegen den Willen der Erziehungsberechtigten durch staatliche Stellen nur von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. Dennoch trennt der Antragsgegner hier dem Antragsteller nach Lage der Gerichtsakte wohl ohne sachlichen Grund faktisch von seinem Sohn, indem er dem Asylsuchenden gleichzeitig auferlegt, regelmäßig sein Asyl- und sein Asylbewerberleistungsverfahren in Karlsruhe zu betrieben, und ihm zugleich ohne nachvollziehbaren Grund das sog. „Taschengeld“ streicht, welches der Antragsteller dringend benötigte, um von hier zum Sohn nach Berlin zu pendeln.
Weil die Innenverwaltung des Landes Baden-Württemberg im Fall des Antragstellers rechtswidrig ihre Verwaltungsvorgänge geheim gehalten hat, kann im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht mit Gewissheit festgestellt werden, ob bei der Gerichtsanrufung das mutmaßliche Behördengebaren zutreffend als „Schikane“ bezeichnet worden ist. Ungeachtet dieser Zweifel in tatsächlicher Hinsicht, bestünden ggfs. zumindest in verfassungsrechtlicher Hinsicht keine Zweifel: Nach dem Grundgesetz muss sich in Deutschland kein Ausländer zwischen seiner Familie und seinem Asylrecht entscheiden, weil eine derartige Zwangslage die Grundrechte auf Asyl, Ehe, Familie und Erziehung des eigenen Kindes verletzte. Gegebenenfalls stellt es wegen der absehbaren Rechtsfolgen eines hypothetischen Verstoßes gegen die räumlichen Beschränkungen einer Aufenthaltsgestattung eine Schikane dar, wenn eine Behörde einem Asyl suchenden Vater und Ehemann das sog. „Taschengeld“ ohne nachvollziehbaren Grund streicht und ihm gleichzeitig wöchentlich 600 km lange Reisen abnötigt, um seine Ehefrau und seinen Sohn im Bundesgebiet aufsuchen zu können, derentwegen der mittellos gelassene Antragsteller wiederum Gefahr läuft, postalisch so schlecht erreichbar zu sein, dass seine Asylbewerberleistungen einzuschränken und sein Asylverfahren förmlich einzustellen sind.
Die einstweilige Anordnung des Gerichts wird bis einschließlich 20.02.2024 beschränkt. Eine einstweilige Reglungsanordnung ist zeitlich zu beschränken, wenn die Sach- und Rechtslage im gerichtlichen Eilverfahren kaum geprüft werden kann, weil einerseits dem Eilantragsteller ein weiteres Zuwarten auf die ihm mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zustehende existenzsichernde Leistungen nicht zuzumuten ist und andererseits die Leistungsverwaltung prozessrechtswidrig jedwede Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung im Gerichtsverfahren unterlässt und insbesondere ihre Verwaltungsvorgänge rechtswidrig geheim hält. Das ist hier der Fall (s.o.).
3. Für die schon vor der Anrufung des Sozialgerichts Karlsruhe am 21.11.2023 vorvergangene Zeit ist in Ermangelung eines Anordnungsgrundes der Eilantrag abzulehnen. Aus dieser Vorvergangenheit in die Gegenwart fortwirkende, schwere, irreparable und unzumutbare Nachteile sind nicht ersichtlich (vgl. Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 86b SGG (Stand: 20.11.2023), Rn. 434).
4. Die Entscheidung zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten folgt aus § 193 SGG analog, dem weit überwiegenden Obsiegen des Antragsstellers, der einseitigen Veranlassung des Eilverfahrens durch den Antragsgegner sowie der durch ihn verursachten Notwendigkeit einer strittigen Erledigung.
5. Dieser Beschluss kann gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG i. V. m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1, Satz 2 SGG nicht mit der Beschwerde an das Landessozialgericht Baden Württemberg angefochten werden, da im Hauptsacheverfahren eine Berufung gegen eine erstinstanzliche Entscheidung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts bedürfte, weil das hier angefochtene Verwaltungshandeln die Gewährung einer Geldleistung betrifft und insgesamt weniger als 750,- € im Streit stehen.
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