1.) Ist der Lohnanspruch einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers zum Zeitpunkt eines Insolvenzereignisses durch Vollstreckung (i.v.F. eines Versäumnisurteils) vollständig befriedigt, entsteht der nach § 165 SGB III erforderliche Lohnausfall nach erfolgreicher Anfechtung eines Insolvenzverwalters erst mit Rückgewähr des Erlangten zur Masse (Anschluss an BAG, Urteil vom 26. Oktober 2017 – 6 AZR 511/16 – juris Rn. 36, BAGE 161, 21). Dies steht der Gewährung von Insolvenzgeld jedoch nicht grundsätzlich entgegen.
2.) Versucht die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer erfolglos, die Insolvenzanfechtung durch den Insolvenzverwalter gerichtlich abzuwehren, ist sie bzw. er zumindest bis zur Kenntnis von der Entscheidung im Sinne von § 324 Abs. 3 S. 2 SGB III ohne eigenes Verschulden an der Stellung eines Antrags auf Insolvenzgeld gehindert und kann den Antrag deshalb nach § 324 Abs. 3 S. 2 SGB III mindestens innerhalb von zwei Monaten seit Kenntnis der Entscheidung stellen. Die Frage der Vereinbarkeit der Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 S. 1 SGB III mit der Richtlinie 2008/94/EG (vgl. BAG, a.a.O.) stellt sich dann nicht.
Tenor: |
Der Bescheid der Beklagten vom 18.06.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.08.2021 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Insolvenzgeld für die Monate Februar, März und April 2018 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorgaben zu gewähren. Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
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Gründe: |
Tatbestand Die Klägerin begehrt die Gewährung von Insolvenzgeld für die Monate Februar, März und April 2018, wobei die Lohnforderung der Klägerin für diese Monate zunächst durch Zwangsvollstreckung eines Versäumnisurteils beigetrieben wurde, was der Insolvenzverwalter später gerichtlich bestätigt angefochten hat. Die Klägerin war in der Zeit vom 18.09.2017 bis zum 30.04.2018 in Teilzeit bei der Firma L. GmbH in K. zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt € 1.400,00 brutto beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete zum 30.04.2018 durch fristlose Eigenkündigung der Klägerin vom 26.04.2018, nachdem sich die Arbeitgeberin in Verzug mit den Gehaltszahlungen der Klägerin befunden hatte. Für die Monate Januar, Februar, März und April 2018 erhielt die Klägerin ohne weitere Tilgungsbestimmung durch die Arbeitgeberin eine Abschlagszahlung in Höhe von 1.000,00 €. Ab dem 01.05.2018 bezog die Klägerin von der Beklagten Arbeitslosengeld. Von einer zunächst angedrohten Sperrzeit sah die Beklagte ab, nachdem auf die erheblichen Lohrückstände und eine Zahlungsklage vor dem Arbeitsgericht K. hingewiesen worden war. Auf die Zahlungsklage der Klägerin hin erließ das Arbeitsgericht K. (Az. …) am 25.06.2018 ein Versäumnisurteil, in dem die L. GmbH zu Zahlungen in Höhe von 10.495,61 € brutto abzüglich geleisteter Nettozahlungen in Höhe von 3.250,00 € zuzüglich Zinsen und Kosten des Verfahrens verurteilt wurde. Im Wege der Zwangsvollstreckung erwirkte die Klägerin einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss und erlangte am 17.08.2018 (5.241,08 €), 10.09.2018 (1.207,89 €) und 05.11.2018 (111,64 €) Zahlungen in Höhe von insgesamt 6.560,61 €. Am 01.11.2018 nahm die Klägerin eine neue Beschäftigung auf, die Beklagte hob die Bewilligung von Arbeitslosengeld entsprechend auf. Mit Beschluss vom 28.12.2018 eröffnete das Amtsgericht K. – Insolvenzgericht - das Insolvenzverfahren über das Vermögen der L. GmbH. Mit Schreiben vom 15.12.2020 verlangte der Insolvenzverwalter von der Klägerin die Zahlung der 6.560,61 € zur Insolvenzmasse, da die Klägerin die Zahlungen nach §§ 130, 131 InsO anfechtbar erlangt habe und setzte eine Frist bis längstens 15.02.2021. Dem Schreiben waren eine Kopie des Insolvenzantrags und des Eröffnungsbeschlusses vom 28.12.2018 beigefügt. Die Klägerin nahm anwaltliche Beratung in Anspruch und ließ gegenüber dem Insolvenzverwalter am 15.02.2021 mitteilen, man könne nicht erkennen, dass die Voraussetzungen der §§ 130, 131 InsO vorlägen. Nach Zustellung der Zahlungsklage des Insolvenzverwalters stellte die Klägerin am 17.05.2021 einen vorsorglichen Antrag auf Insolvenzgeld für die Monate Februar 2018, März 2018 und April 2018 bei der Beklagten. Diesen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18.06.2021 ab und verwies auf das Datum der Insolvenzeröffnung am 28.12.2018 und die Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 S. 1 SGB III, die nicht eingehalten worden sei. Eine Nachfrist gemäß § 324 Abs. 3 S.2 SGB III könne nach den Ermittlungen der Beklagten nicht eingeräumt werden. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 09.07.2021 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.08.2021 zurückwies. Die Klägerin habe den Antrag nicht innerhalb der zweimonatigen Ausschlussfrist nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt. Auch könne keine Nachfrist eingeräumt werden. Hiergegen hat die Klägerin am 27.08.2021 Klage zum SG Karlsruhe erhoben. Die Beteiligten und das Gericht haben diskutiert, ob und wenn ja ab welchem Zeitpunkt eine Leistungsklage zulässig ist und welche Klageart (ggfs. subsidiär) in Betracht komme. Mit am selben Tag verkündetem Urteil des Arbeitsgerichts K. vom 22.03.2022 (Az. …) hat dieses die Klägerin nach Teilerledigung dazu verurteilt, einen Betrag von 4.953,70 € an den Insolvenzverwalter zu zahlen. Die Klägerin habe die erlangten € 6.560,61 gemäß § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO zur Masse zurück zu gewähren. Abzuziehen sei ein Betrag in Höhe von 1.606,91 €, welcher nach Rechtshängigkeit auf die Rückzahlungsverpflichtung von dritter Seite geleistet und der Rechtsstreit deshalb übereinstimmend für erledigt erklärt worden sei. Die Rückzahlungspflicht belaufe sich also auf einen Betrag in Höhe von 4.953,70 €. Die Klägerin hat mit dem Insolvenzverwalter eine Zahlungsvereinbarung getroffen, wonach Teilbeträge von 200,00 € monatlich zu leisten seien, wobei die im Mai 2022 einsetzenden monatlichen Zahlungen zunächst für den Monat April 2018, sodann für den Monat März 2018, schließlich für den Monat Februar 2018 und so weiter an die Insolvenzmasse zurückzuzahlen sei und bei Einhaltung des Zahlungsplans auf Zinsen verzichtet werde. Der Insolvenzverwalter hat dem zustimmen lassen. Das Gericht hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten am 09.05.2023 erörtert. Die Klägerin hat dargelegt, dass die Zwangsvollstreckung zur vollständigen Befriedigung der Lohnforderung für die Monate Februar bis April 2018 geführt habe und diesbezüglich weitere Unterlagen vorgelegt. Die Klägerin ist auf das Wesentliche verkürzt der Auffassung, sie habe den Antrag auf Insolvenzgeld rechtzeitig gestellt, hilfsweise sei ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch begründet. Die Fristen des § 324 Abs. 3 SGB III könnten denklogisch nicht vor Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen des § 165 Abs. 1 S. 1 SGB III zu laufen beginnen. Die Frist des § 324 Abs. 3 S.2 SGB III könne auch nach ihrem Sinn und Zweck erst mit der Rückgewähr an die Insolvenzmasse einsetzen. Wenn den Arbeitnehmern nach § 146 InsO zugemutet werde, eine Leistung noch mehr als drei Jahre nach Erhalt nach § 130, 131 InsO an den Insolvenzverwalter zurückgewähren zu müssen, könne es der Beklagten nicht unzumutbar sein, den Anspruch auf Insolvenzgeld befriedigen zu müssen. Der § 324 Abs. 3 SGB III begründe auch in Satz 2 keine Verpflichtung zu einer vorsorglichen Antragstellung. Im Übrigen müsse die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 25. Mai 2022 – 6 AZR 497/21 –, juris) beachtet werden. Die Lohnforderung für die Insolvenzgeldmonate Februar bis April 2018 seien durch die Vollstreckung des Versäumnisurteils vollständig befriedigt worden. Die Klägerin lässt zuletzt beantragen: Der Bescheid der Beklagten vom 18.06.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.08.2021 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin hin Insolvenzgeld für die Monate April 2018, März 2018 und Februar 2018 in Höhe von jedenfalls insgesamt € 3.134,04, gemäß § 144 Abs. 1 InsO sukzessive zu gewähren, und zwar entsprechend der in Erfüllung des Urteils des Arbeitsgerichts K. vom 22.03.2022 (Az.: 7 Ca 232/21) an den Insolvenzverwalter geleisteten ratierlichen Zahlungen der Klägerin von jedenfalls monatlich € 200,00. hilfsweise: Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin nach sukzessiver Erfüllung des Urteils des Arbeitsgerichts K. vom 22.03.2022 (Az.: 7 Ca 232/21) bezogen auf die Nettovergütungen der Monate April 2018, März 2018 und Februar 2018 Insolvenzgeld in Höhe von jedenfalls insgesamt € 3.134,04 für die Monate April 2018, März 2018 und Februar 2018 zu gewähren. höchst hilfsweise: Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin entsprechend der sukzessiven Erfüllung des Urteils des Arbeitsgerichts K. vom 22.03.2022 (Az.: 7 Ca 232/21) Insolvenzgeld für die Monate Februar 2018, März 2018 und April 2018 zu gewähren. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Streitig seien letztlich zwei Anspruchsvoraussetzungen, nämlich das Bestehen eines nicht erfüllten insolvenzgeldfähigen Arbeitsentgeltanspruchs sowie die Wahrung der Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 SGB III. In jedem Fall sei die Frist versäumt, da die Klägerin spätestens am 05.01.2021 Kenntnis vom Insolvenzereignis gehabt habe und damit auch eine ggfs. einzuräumende Nachfrist versäumt worden sei. Auch die Tatsache, dass bis zum Ablauf der Frist gar kein insolvenzgeldfähiger Entgeltanspruch bestanden habe, vermöge an diesem Fristlauf nichts zu ändern. Die rechtzeitige Antragstellung könne auch nicht im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs fingiert werden, ein Beratungsverschulden sei nicht zu erkennen. Der Insolvenzantrag sei am 24.09.2018 gestellt und das Insolvenzverfahren durch Beschluss des Amtsgerichts K. – Insolvenzgericht - vom 28.12.2018 eröffnet worden. Zum Zeitpunkt der persönlichen und telefonischen Kontakte am 02.05.2018 und 04.06.2018 konnte den jeweiligen Mitarbeitern der Beklagten die Insolvenz des Arbeitgebers daher gar nicht bekannt sein. Der bloße Hinweis auf nicht gezahltes Arbeitsentgelt löse noch keine entsprechende Beratungspflicht aus. Bereits nach dem Gesetzeswortlaut sei ein Anspruch auf Insolvenzgeld ausgeschlossen, wenn wie hier „bei einem Insolvenzfall“ kein Lohnausfall bestanden habe, weil die Forderung zu diesem Zeitpunkt befriedigt worden sei. Man gehe mit der Klägerin davon aus, dass die Lohnansprüche der Klägerin für die Monate Februar bis April 2018 bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens vollständig befriedigt worden seien. Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakte nebst beigezogener Verwaltungsakte verwiesen. Diese waren Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe A.) Die Entscheidung konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung ergehen, nachdem die Beteiligten einem entsprechenden Vorgehen schriftlich zugestimmt haben. B.) Die zulässige Hauptklage ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Insolvenzgeld für die Monate Februar bis April 2018. I.) Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 165 SGB III. Danach haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt bestehen. Als Insolvenzereignis gelten die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers (Nr. 1), die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder (Nr. 2) oder die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Nr. 3). 1.) Da die Klägerin das Arbeitsverhältnis selbst zum 30.04.2018 gekündigt hatte, erstreckt sich der dreimonatige Insolvenzgeldzeitraum bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 28.12.2018 als maßgebliches Insolvenzereignis auf die Zeit vom 01.02.2018 bis 30.04.2018. Die Klägerin war auch im Inland als Arbeitnehmerin beschäftigt. 2.) Für diese Zeit liegt – bezogen auf den Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung - auch ein (vollständiger) Lohnausfall vor. a.) Dabei sind die Rechtsfolgen der durch den Insolvenzverwalter erfolgten Insolvenzanfechtung zu beachten. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 25.05.2022 – Az.: 6 AZR 497/21, juris Rn. 45), welcher sich das erkennende Gericht nach eigener Prüfung anschließt, gebieten unionsrechtliche Vorgaben keine auf das Existenzminimum bezogene Anfechtungssperre. Die Richtlinie 2008/94/EG bezweckt zwar einen Schutz des Arbeitnehmers bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Dieser Schutz soll aber nicht durch Beschränkungen des Anfechtungsrechts, sondern durch Garantieeinrichtungen erfolgen, welche die Befriedigung gar nicht erst erfüllter Ansprüche sicherstellen (vgl. Art. 3 der Richtlinie 2008/94/EG). Dabei können die Mitgliedstaaten nach Art. 4 dieser Richtlinie die Zahlungspflicht der Garantieeinrichtungen begrenzen. Die Vorgaben der Richtlinie hat der deutsche Gesetzgeber durch die Vorschriften über den Insolvenzgeldanspruch in §§ 165 ff. SGB III umgesetzt (BAG 06. September 2018 – 6 AZR 367/17 – Rn. 31, BAGE 163, 271). Der Anspruch auf Insolvenzgeld wird durch Anfechtung nicht reduziert, sondern nur dahingehend beeinflusst, dass er erst durch die Rückgewähr des Erlangten zur Masse entsteht (BAG 26. Oktober 2017 – 6 AZR 511/16 – Rn. 36, BAGE 161, 21). b.) Durch das Insolvenzgeld sind schon nach dem Wortlaut von § 165 SGB III nur solche Ansprüche auf Arbeitsentgelt auszugleichen, die noch nicht erfüllt worden sind (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25. Februar 2016 – L 9 AL 70/14 –, Rn. 35, juris). Wird die Vollstreckung aus einem endgültigen Titel, insbesondere aus einem rechtskräftigen Urteil, betrieben, so hat ihre erfolgreiche Durchführung das Erlöschen der Titelforderung nach § 362 BGB zur Folge (Kerwer in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl, § 362 BGB (Stand: 01.02.2020), Rn. 52). Hat ein Insolvenzverwalter wie im vorliegenden Fall eine inkongruente Befriedigungshandlung nach Maßgabe von § 131 Abs. 1 InsO erfolgreich angefochten, besteht ein Anspruch auf Insolvenzgeld grundsätzlich so lange nicht, bis eine Rückgewähr tatsächlich erfolgt ist. Das bloße Bestehen eines Rückgewähranspruchs beseitigt die Erfüllungswirkung gezahlten Arbeitsentgelts nicht (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25. Februar 2016 – L 9 AL 70/14 –, juris). c.) Die Abschlagszahlung vom 19.03.2018 in Höhe von 1.000,00 € ist mangels Tilgungsbestimmung nach § 366 Abs. 2 BGB vollständig auf den Monat Januar 2018 anzurechnen. Danach wird zunächst die fällige Schuld, unter mehreren fälligen Schulden diejenige, welche dem Gläubiger geringere Sicherheit bietet, unter mehreren gleich sicheren die dem Schuldner lästigere, unter mehreren gleich lästigen die ältere Schuld und bei gleichem Alter jede Schuld verhältnismäßig getilgt. Nachdem die Klägerin bezogen auf ausgefallenes Gehalt in den Monaten Februar bis April 2018 Insolvenzgeld beanspruchen kann, bietet die Schuld für den Monat Januar 2018 bei jeweils vorhandener Fälligkeit (zum Zeitpunkt der Zahlung) für diesen Monat eine deutlich geringere „Sicherheit“ als diejenigen der späteren Gehaltsmonate Februar 2018 bis April 2018. Dies hat zur Folge, dass der Abschlag vollständig auf den Monat Januar entfällt, weil hier ein Nettolohnanspruch von mehr als 1.000,00 € bestanden hat. d.) Die Klägerin hat zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung sämtliche auf die Monate Februar bis April 2018 vollstreckten Lohnleistungen an den Insolvenzverwalter zurückgewährt. Sie hat mindestens 3.800,00 € zurückgezahlt, wobei die Zahlungen aufgrund tilgungsbestimmender Vereinbarung mit dem Gläubiger zunächst auf den vollstreckten Lohn für die Monate Februar bis April 2018 entfällt (§ 366 Abs. 1 BGB) und den Nettolohnanspruch übersteigt. e.) Da der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts nach allgemeinen Grundsätzen im Rahmen der vorliegenden kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1, 4 SGG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich ist, kann das Gericht den Hauptantrag, soweit er auf lediglich ratenweise Zahlung des Insolvenzgelds gerichtet ist, nun als Antrag auf vollständige Zahlung auffassen, ohne gegen den Grundsatz ne ultra petita zu verstoßen. Der Hauptantrag ist nämlich bei verständiger Würdigung so aufzufassen, dass nur für den Fall des noch nicht entstandenen Anspruchs auf Insolvenzgeld zukünftige Leistung begehrt wird. Hier ist der Anspruch jedoch vollumfänglich entstanden. 3.) Das Gericht ist der Auffassung, dass es für die Geltendmachung des Anspruchs auf Insolvenzgeld ausreicht, dass der Lohnausfall der Klägerin zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegt. Das Gericht ist sich dabei bewusst, dass die Formulierung des Gesetzes „bei einem Insolvenzereignis“ zunächst gegen die Einbeziehung von zu diesem Zeitpunkt erfüllten Ansprüchen sprechen mag. Bei näherer Betrachtung der vorliegenden Sonderkonstellation lässt sich ein Ausschluss von Forderungen, die zum Zeitpunkt des Insolvenzereignisses befriedigt wurden, jedoch später zurück zu gewähren sind, weil eine erfolgreiche Anfechtung durch den Insolvenzverwalter erfolgt, nicht herleiten. Aus der Regelung des § 324 Abs. 3 S. 3 SGB III ergibt sich für das Gericht, dass Lohnansprüche grundsätzlich mit der erforderlichen Sorgfalt durchgesetzt werden sollen. Derjenige, der sich dieser Obligation entsprechend verhält, darf nicht durch eine restriktive Auslegung des Merkmals „bei einem Insolvenzereignis“ gegenüber demjenigen, der sich nicht obligatorisch verhält, schlechter gestellt werden. Der sonst entstehende Wertungswiderspruch lässt sich nicht rechtfertigen und ist zur Überzeugung des Gerichts unter Berücksichtigung der Richtlinie 2008/94/EG und der dort enthaltenen Garantieeinrichtungen, die in §§ 165ff SGB III umgesetzt wurden, so vom Gesetzgeber bei der Formulierung auch nicht beabsichtigt worden. Insoweit ist der Anspruch auf Insolvenzgeld in der vorliegenden Konstellation nicht schon tatbestandlich als ausgeschlossen anzusehen. 3.) Die Klägerin hat den Antrag zwar nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 S. 1 SGB III gestellt, weil seit dem Insolvenzereignis deutlich mehr als zwei Monate vergangen waren. Unter Berücksichtigung des maßgeblichen Insolvenzereignisses am 28.12.2018 wäre der Antrag bis zum 28.01.2019 zu stellen gewesen. Tatsächlich wurde der Antrag erst am 17.05.2021 gestellt. Wurde die Frist jedoch aus nicht selbst zu vertretenden Gründen versäumt, wird Insolvenzgeld gleichwohl geleistet, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt worden ist, § 324 Abs. 3 S. 2 SGB III. Ein selbst zu vertretender Grund liegt ausdrücklich dann vor, wenn sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung ihrer Ansprüche bemüht haben. Vorliegend ist das Gericht davon überzeugt, dass die Klägerin aus nicht von ihr selbst zu vertretenden Umständen gehindert war, den Antrag rechtzeitig zu stellen, so dass gleichwohl Insolvenzgeld zu leisten ist. Es besteht auch in Ansehung der Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 S. 1 SGB III kein Anlass, die Klägerin zu einem Zeitpunkt zur Stellung eines (vorsorglichen) Insolvenzantrags zu zwingen, zu dem noch überhaupt nicht feststeht, ob es zu einer Rückgewährung kommen muss, z.B. weil die auf Insolvenzanfechtung gerichtete Klage noch nicht rechtskräftig entschieden wurde. Das Gericht berücksichtigt dabei ausdrücklich, dass sich die Klägerin durch die gerichtliche Geltendmachung des Lohnanspruchs, deren Vollstreckung und die spätere Klage gegen die Insolvenzanfechtung ausdrücklich im Sinn der gesetzlichen Vorgaben des § 324 Abs. 3 S. 3 SGB III verhalten hat, die gerade eine Durchsetzung der Ansprüche „mit der erforderlichen Sorgfalt“ abverlangen. Bemüht sich die Klägerin entsprechend der gesetzlichen Vorgaben gerichtlich um die Abwehr einer Insolvenzanfechtung, darf sie aber zumindest im Rahmen von § 324 Abs. 3 S. 2 SGB III erwarten, dass die Versäumung der Ausschlussfrist so lange nicht als verschuldet angesehen wird, bis eine negative erstinstanzliche Gerichtsentscheidung verkündet wurde. Im Übrigen spricht viel dafür, dass die Frist des § 324 Abs. 3 S. 1 SGB III erst zu laufen beginnen kann, wenn die Erfüllungswirkung durch Rückgewähr (zumindest eines Teils des Erlangten) entfallen ist. Liegt vorher der erforderliche Lohnausfall wegen fortbestehender Erfüllungswirkung nicht vor (vgl. zutreffend BAG 26. Oktober 2017 – 6 AZR 511/16 – Rn. 36, BAGE 161, 21) macht ein Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld zunächst noch keinen Sinn. Er wäre wegen fehlendem Lohnausfall so lange abzulehnen, bis das Erlangte auf erfolgte Insolvenzanfechtung hin tatsächlich zurückgewährt wurde, worauf sich die Beklagte im vorliegenden Verfahren noch im Schriftsatz vom 21.01.2022 ausdrücklich berufen hat. Einen Antrag zu einem Zeitpunkt zu verlangen, zu dem er (auch nach der eigenen Rechtsauffassung) abzulehnen wäre, verstößt gegen die auch im sozialgerichtlichen Verfahren zu beachtenden Grundsätze von Treu und Glauben im Sinne des Verbots des widersprüchlichen Verhaltens. Ist die Klägerin nach der Überzeugung des Gerichts zu einer Beantragung von Insolvenzgeld jedenfalls vor einer Entscheidung des Arbeitsgerichts über die Begründetheit der Insolvenzanfechtungsklage (ob der Antrag noch bis zur Rechtskraft dieser Entscheidung zuzulassen ist, kann vorliegend dahinstehen) nicht verpflichtet, beginnt die Frist von zwei Monaten nach § 324 Abs. 3 S. 2 SGB III jedenfalls nicht vor dem 22.05.2022 zu laufen. Die Klägerin hat den Antrag vorsorglich „für den Fall des Obsiegens der Insolvenzanfechtungsklage“ bereits am 17.05.2021 gestellt, mithin überobligatorisch (früh) gehandelt, was ihr nach den vorstehenden Erwägungen nicht zum Nachteil gereichen kann. 4.) Damit kann die vom Bundesarbeitsgereicht (BAG, Urteil vom 25. Mai 2022 – 6 AZR 497/21 –) aufgeworfene Frage, ob die Frist des § 324 Abs. 3 S. 1 SGB III mit europäischem Recht vereinbar ist, dahinstehen, weil der geltend gemachte Anspruch auf Insolvenzgeld bereits nach den einfachgesetzlichen Vorgaben besteht. 5.) Die im Erörterungstermin diskutierte Frage, ob bei einem zum Zeitpunkt des Insolvenzereignisses verbliebenen (partiellen) Lohnanspruch für die Monate Februar bis April 2018 ein abweichendes Ergebnis gerechtfertigt wäre, braucht vorliegend nicht entschieden werden, weil vorher eine vollständige Befriedigung erfolgte. C.) Da die Hauptsacheklage Erfolg hat, braucht über die Hilfsklagen nicht mehr entschieden zu werden. D.) Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klage im Ergebnis in vollem Umfang erfolgreich gewesen ist. Eine Korrektur ist nach der Überzeugung des Gerichts auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Veranlassung geboten. Zwar war die Klage zum Zeitpunkt der Klageerhebung (noch) nicht begründet, weil der für den Insolvenzgeldanspruch erforderliche Lohnausfall mangels Rückzahlung des Vollstreckten noch nicht eingetreten war. Die Klägerin hat dem jedoch dadurch Rechnung getragen, dass sie (auch) einen Feststellungsantrag und (bei verständiger Würdigung) auch einen Antrag auf zukünftige Leistungen gestellt hat. Die Argumentation der Beklagten, wonach die Frist des § 324 SGB III nicht eingehalten worden sei, belegt aus Sicht des Gerichts, dass die frühe Antragstellung der Klägerin nicht zum Nachteil gereichen darf. Es wäre vielmehr an der Beklagten gewesen, unter Berücksichtigung der noch im Klageverfahren vertretenen Auffassung, der Anspruch auf Insolvenzgeld sei mangels Lohnausfall (der erst mit Rückzahlung des Vollstreckten entstehe) noch gar nicht entstanden, auf ein Ruhen des Verwaltungsverfahrens bis zum Ausgang der Insolvenzanfechtungsklage bzw. bis zur Rückzahlung des Vollstreckten hinzuwirken. Insoweit hat die Beklagte die Klageerhebung auch unter Veranlassungsgesichtspunkten verursacht, so dass eine Korrektur nicht zu erfolgen hat. E.) Die Berufung bedarf vorliegend nicht der Zulassung, weil die Beklagte in Höhe von mehr als 750,00 € zu verurteilen war, § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG. |