I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 13. September 2022 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 6.162,72 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung der vom Kläger für die Zeit vom 1. September 2017 bis 30. April 2018 erbrachten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch (SGB XII) in Höhe von 6.162,72 €.
Dem Versicherten, A., geboren am 1978, sind wegen „geistiger und psychischer Behinderung“ ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Nachteilsausgleiche „B“, „G“ und „H“ zuerkannt (Bescheid des Versorgungsamtes Frankfurt am Main vom 26. März 1990). Er wohnt seit dem 1. Juni 2010 in der Wohnstätte B. e.V. (Aufnahmeanzeige vom 2. Juni 2010). Kostenträger dieser Maßnahme der Eingliederungshilfe ist der Kläger, der dem Versicherten entsprechende Leistungen unter anderem durch Bescheid vom 4. Juli 2017 für den Zeitraum vom 1. Juni 2017 bis 31. Mai 2020 gewährte. Anlässlich der Beantragung dieser Sozialhilfeleistungen hatte der Versicherte unter dem 16. April 2010 angegeben, Lohn aus seiner Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) zu beziehen. Aus der dem Sozialhilfeantrag beigefügten Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie C. vom Gesundheitsamt des Main-Kinzig-Kreises vom 22. Juni 1999 geht hervor, dass der Versicherte seit September 1998 in den B. Werkstätten arbeite.
Nachdem der Kläger in Erfahrung gebracht hatte, dass der Versicherte bereits seit 1. September 1997 in einer WfbM beschäftigt ist, meldete er mit Schreiben vom 8. Mai 2018 bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch nebst Zinsen für den Zeitraum vom 1. September 2017 bis 30. April 2018 an. Mit weiterem Schreiben vom 8. Mai 2018, eingegangen am 9. Mai 2018, beantragte der Kläger bei der Beklagten außerdem formlos Rente nach 20-jähriger Beschäftigung des Versicherten in einer WfbM und meldete vorsorglich ebenfalls einen Erstattungsanspruch auf die Nachzahlung und laufende Rente wegen voller Erwerbsminderung an.
Nachdem sie den Rentenantrag zunächst wegen fehlender Mitwirkung des Versicherten abgelehnt hatte (Bescheid vom 9. Oktober 2018), worüber sie den Kläger mit Schreiben vom selben Tag in Kenntnis gesetzt hatte, teilte die Beklagte mit Schreiben vom 21. November 2018 sodann mit, dass die Rente an den Kläger gezahlt werde. Für die Zeit vom 1. Mai 2018 bis 31. Dezember 2018 betrug die Nachzahlung 6.360,54 €. Ab dem 1. Januar 2019 ergab sich eine monatliche Rentenzahlung von 804,50 €.
Ausweislich einer Aufstellung beliefen sich die Wohnkosten des Versicherten für den Zeitraum vom 1. September 2017 bis 30. April 2018 auf insgesamt 17.207,20 €.
Mit Schreiben vom 27. November 2018 meldete der Kläger abermals bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch nebst Zinsen für den Zeitraum vom 1. September 2017 bis 30. April 2018 an. Daraufhin teilte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 27. November 2018 mit, über den Antrag vom 9. Mai 2018 am 21. November 2018 entschieden zu haben. Dem mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid war eine zu seinem Bestandteil erklärte Mehrausfertigung des an den Versicherten adressierten Rentenbescheides vom 21. November 2018 beigefügt, aus der hervorgeht, dass die Anspruchsvoraussetzungen ab dem 31. August 2017 erfüllt seien.
Gegen den bei ihm am 12. Dezember 2018 eingegangenen Bescheid erhob der Kläger mit Schreiben vom 13. Dezember 2018, eingegangen bei der Beklagten am 19. Dezember 2018, Widerspruch. Zur Begründung führte der Kläger aus, dass ein rückwirkender Erstattungsanspruch bereits ab 1. September 2017 bestehe, obwohl die Rente nicht spätestens nach Ablauf von drei Kalendermonaten nach Beginn des Leistungsanspruchs beantragt worden sei. Die Beklagte werde gebeten, die Leistungshöhe festzustellen.
Hierauf erwiderte die Beklagte mit Schreiben vom 16. Januar 2019, dass es an einer Rechtsgrundlage für die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs für die Zeit vom 1. September 2017 bis 30. April 2018 fehle. Die Leistungsverpflichtung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers setze einen Leistungsantrag voraus, sofern ein solcher Antrag - wie hier - materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung sei.
Der Kläger antwortete hierauf mit Schreiben vom 8. Februar 2019, dass das Verwaltungs- bzw. Bewilligungsverfahren von dem Kostenerstattungsverfahren zu trennen sei. Die Kostenerstattungspflicht bestehe unabhängig von einem nicht rechtzeitig gestellten Leistungsantrag. Da die Beklagte über den streitigen Erstattungsanspruch nicht durch Bescheid entschieden habe, nehme er seinen Widerspruch vom 19. Dezember 2018 zurück, halte aber zugleich seinen Erstattungsanspruch aufrecht. Mit weiterem Schreiben vom 14. Oktober 2019 setzte der Kläger der Beklagten eine Frist bis 30. November 2019, um den Kostenerstattungsanspruch anzuerkennen. Andernfalls werde er den Klageweg beschreiten. Die Beklagte ihrerseits wiederholte mit Schreiben vom 14. November 2019, weiterhin keine Rechtsgrundlage für einen rückwirkenden Erstattungsanspruch erkennen zu können. Es verbleibe daher bei einem Rentenbeginn am 1. Mai 2018.
Hiergegen hat der Kläger am 16. November 2021 Klage vor dem Sozialgericht Kassel erhoben, mit der er im Wege der Stufenklage zunächst Auskunft von der Beklagten über die Höhe der dem Versicherten im Zeitraum vom 1. September 2017 bis 30. April 2018 zustehenden Rentenleistungen und sodann die Zahlung des sich aus dieser Auskunft ergebenden Betrags nebst Zinsen verlangt hat. Ein Erstattungsanspruch bestehe unabhängig vom Vorliegen eines rechtzeitigen Leistungsantrags. Dabei komme es nicht darauf an, ob das Antragserfordernis in der gesetzlichen Rentenversicherung auch die Dispositionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht des Versicherten schütze, weil bei Fehlen eines solchen Antrags dieser vom nachrangig verpflichteten Sozialleistungsträger gestellt werden könne.
Die Beklagte hat erwidert, für den rückwirkend geltend gemachten Zeitraum bestehe kein Erstattungsanspruch, der sich nach einer fiktiven Probeberechnung auf 6.162,72 € netto belaufen würde. Der Rentenantrag sei eine materiell-rechtliche Leistungsvoraussetzung, die für den geltend gemachten Erstattungsanspruch unverzichtbar sei. Jene Unverzichtbarkeit folge auch daraus, dass dieser Leistungsantrag Ausdruck der Dispositionsfreiheit und des Selbstbestimmungsrechts des Versicherten sei, dem es hierdurch ermöglicht werde, über Rentenbeginn und -höhe ganz bewusst selbst zu bestimmen. Für einen Erstattungsanspruch unabdingbar sei, dass der vorrangig verpflichtete Leistungsträger bereits im Zeitpunkt der Leistungserbringung durch den nachrangig verpflichteten Leistungsträger gegenüber dem Leistungsempfänger leistungsverpflichtet gewesen sei. Voraussetzung hierfür sei ein Leistungsantrag. Die Befugnis des Sozialhilfeträgers, die Feststellung einer Sozialleistung zu betreiben, stehe dem Antragserfordernis nicht entgegen. In diesen Fällen müssten aber dieselben gesetzlichen Folgen eines verspätet gestellten Antrags gelten wie bei einer Antragstellung durch den Leistungsberechtigten bzw. Versicherten.
Durch Urteil vom 13. September 2022 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Einer Auskunft der Beklagten bedürfe es nicht mehr, nachdem sie in ihrer Klageerwiderung die Höhe der Rentenleistungen beziffert habe. Für den streitigen Zeitraum stehe dem Kläger kein Erstattungsanspruch zu. Der Versicherte habe keinen vorrangigen Anspruch gegenüber der Beklagten. Der Rentenbeginn am 1. Mai 2018 entspreche den gesetzlichen Vorgaben. Das Fehlen eines früheren Antrags sei zwar nicht generell unbeachtlich. Es komme aber entscheidend darauf an, welchen Zweck das Gesetz mit dem Antragserfordernis verfolge. Schütze es auch die Dispositionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht des Leistungsberechtigten, sei dessen Antrag aus erstattungsrechtlicher Sicht eine unverzichtbare Anspruchsvoraussetzung. Ohne Antragstellung bestehe dann auch kein Erstattungsanspruch. In allen anderen Fällen sei hingegen das Fehlen eines Leistungsantrags erstattungsrechtlich ohne Bedeutung. Im Rentenrecht schütze das Antragserfordernis auch die Dispositionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht des Versicherten, der das Wahlrecht habe, ob er einen Rentenantrag stelle, ob er ihn später stelle oder ob er ganz davon absehe. Dies berücksichtigend sei es den Leistungsträgern möglich, das Gestaltungsrecht einzuschränken, beispielsweise beim Bezug von Krankengeld, Arbeitslosengeld, Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe.
Gegen das ihm am 14. November 2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17. November 2022 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Er betont nochmals, dass der nachrangig verpflichtete Sozialleistungsträger einen fehlenden Rentenantrag stellen könne. Ein Antragserfordernis im Rahmen der Kostenerstattung sei dann zu verneinen. Eine unterbliebene Rechtswahrnehmung durch den Versicherten wirke sich daher nicht auf den Erstattungsanspruch aus.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 13. September 2022 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an ihn 6.162,72 € nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der vom Kläger vorgelegten Verwaltungsakte betreffend den Versicherten A., der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die nach Zulassung durch das Sozialgericht (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 13. September 2022 ist nicht zu beanstanden. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Erstattungsanspruch in Höhe von 6.162,72 € zu.
Für den Erstattungsstreit zwischen Sozialleistungsträgern, die nicht in einem Über- und Unterordnungsverhältnis stehen, ist eine allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG die statthafte Klageart.
Jedenfalls einer notwendigen Beiladung des Versicherten gemäß § 75 Abs. 2, 1. Alt. SGG bedurfte es nicht. Im Erstattungsstreitverfahren zwischen zwei Leistungsträgern ist der Leistungsempfänger nicht notwendig beizuladen, wenn er die Leistung bereits erhalten hat, er diese nicht nochmals beanspruchen kann und die Entscheidung über die Erstattungsforderung keine Auswirkungen auf seine Rechtsposition hat (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2010, B 1 KR 21/09 R - SozR 3-1300 § 104 Nr. 4). So verhält es sich hier. Der Versicherte hat für den Zeitraum vom 1. September 2017 bis 30. April 2018 bereits Sozialleistungen erhalten, die er nicht nochmals beanspruchen kann. Ebenso wenig ist denkbar, dass der Ausgang des Erstattungsstreitverfahrens Auswirkungen auf die Rechtsposition des Versicherten hat. Das folgt schon aus der Bestandskraft der gegenüber dem Versicherten ergangenen Bescheide (§ 77 SGG), die einer Korrektur gemäß § 45 bzw. § 48 SGB X nicht mehr zugänglich sind.
Dem Kläger steht kein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte hinsichtlich seiner Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII an den Versicherten für die Zeit vom 1. September 2017 bis 30. April 2018 zu.
Einzig denkbare Anspruchsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Erstattungsanspruch ist § 104 SGB X.
Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (§ 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist ein Leistungsträger nachrangig verpflichtet, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Ein Erstattungsanspruch besteht nach § 104 Abs. 1 Satz 3 SGB X nicht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen. Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (§ 104 Abs. 3 SGB X).
Die Erstattungsansprüche der §§ 102 ff. SGB X sind zwar grundsätzlich selbständig und nicht mit dem Sozialleistungsanspruch gegen den auf Erstattung in Anspruch genommenen Leistungsträger identisch. Die eigenständigen Erstattungsansprüche entstehen nicht erst dadurch, dass der Erstattung begehrende Leistungsträger etwa aufgrund einer Überleitungsanzeige oder im Wege des Forderungsübergangs in eine Anspruchsposition des Berechtigten gegenüber dem auf Erstattung in Anspruch genommenen Leistungsträger einrückt (vgl. BSG, Urteil vom 28. April 1999, B 9 V 8/98 R - juris Rdnr. 15 m.w.N.). Vielmehr sind die Erstattungsansprüche allein von der Erfüllung der in §§ 102 ff. SGB X geregelten Tatbestandsvoraussetzungen abhängig und entstehen grundsätzlich unabhängig von und selbständig neben einem Anspruch des Berechtigten gegen den zur Erstattung herangezogenen Leistungsträger. Ungeachtet dieser Selbständigkeit ist der Erstattungsanspruch allerdings inhaltlich abhängig von und untrennbar verbunden mit dem Anspruch des (vermeintlich) Leistungsberechtigten. Denn es ist offensichtlich Sinn des Erstattungsanspruchs, die Kosten von Sozialleistungen, die einem bestimmten Berechtigten gewährt worden sind, auf die als leistungspflichtig in Frage kommenden Träger angemessen zu verteilen und dabei zugleich Doppelleistungen zu vermeiden.
Ausgehend hiervon scheitert der Erstattungsanspruch des Klägers schon daran, dass die Beklagte einen Anspruch des Versicherten auf Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vor dem 1. Mai 2018 bestandskräftig abgelehnt hat. Den im Leistungsverhältnis zwischen der Beklagten und dem Versicherten ergangenen Bescheid vom 21. November 2018 über den Rentenanspruch hat der Kläger grundsätzlich zu akzeptieren. Denn die Leistungspflicht des auf Erstattung in Anspruch genommenen Leistungsträgers ist grundsätzlich durch die gegenüber dem Leistungsempfänger ergangenen Bescheide begrenzt (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juli 2007, B 13 R 38/06 R - SozR 4-2600 § 116 Nr. 1; BSG, Urteil vom 12. Mai 1999, B 7 AL 74/98 R - SozR 3-1-300 § 104 Nr. 15; BSG, Urteil vom 25. Januar 1994, 7 RAr 42/93 - SozR 3-1300 § 104 Nr. 8; BSG, Urteil vom 23. Juni 1993, 9/9a RV 35/91 - SozR 3-1300 § 112 Nr. 2; BSG, Urteil vom 1. April 1993, 1 RK 10/92 - SozR 3-1300 § 103 Nr. 3; BSG, Urteil vom 24. Juli 1986, 7 RAr 13/85 - SozR 4100 § 105b Nr. 6; BSG, Urteil vom 13. September 1984, 4 RJ 37/83 - SozR 1300 § 103 Nr. 2; BSG, Urteil vom 22. Mai 1985, 1 RA 33/84 - SozR 1300 § 104 Nr. 7). Rechtsgrund für dieses Akzeptierenmüssen ist das im geltenden Recht vorgesehene gegliederte und auf dem Prinzip der Aufgabenteilung beruhende Sozialleistungssystem und letztlich die auf diesem System beruhende Verpflichtung der Sozialleistungsträger zur engen Zusammenarbeit gemäß § 86 SGB X. Indessen bedeutet dies nicht, dass in Erstattungsverfahren allgemein jegliche inhaltliche Überprüfung der Entscheidung des anderen Leistungsträgers ausgeschlossen wäre. Vielmehr ist anerkannt, dass die „Bindungswirkung“ eines Leistungsbescheides etwa dann entfällt, wenn die Leistungen nicht aus Gründen des besonderen Leistungsrechts, sondern gerade wegen der Leistungsverpflichtung eines anderen Sozialleistungsträgers abgelehnt wurden (vgl. BSG, Urteil vom 28. September 1993, 11 RAr 7/93 - juris Rdnr. 14). Ein solcher Fall liegt hier allerdings nicht vor. Ein weiterer Ausnahmefall wird angenommen, wenn der Leistungsbescheid offensichtlich fehlerhaft ist (vgl. BSG, Urteil vom 13. September 1984, 4 RJ 63/83 - juris Rdnr. 21). Ein Beharren des möglicherweise erstattungspflichtigen Leistungsträgers auf einer offensichtlich rechtswidrigen Entscheidung verletzt das in § 86 SGB X ausdrücklich festgelegte Gebot der engen Zusammenarbeit der Leistungsträger.
Ob der dem Versicherten eine Erwerbsminderungsrente erst ab dem 1. Mai 2018 zusprechende Bescheid vom 21. November 2018 offensichtlich unrichtig war, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Denn der ersatzbegehrende Leistungsträger kann sich auf eine offensichtliche Unrichtigkeit der Bescheide jedenfalls dann nicht berufen, wenn er - wie hier der Kläger - als Sozialhilfeträger berechtigt war, das Verwaltungsverfahren für den Hilfeempfänger selbst zu betreiben, und dieses auch tatsächlich betrieben hat. Nach § 95 Satz 1 SGB XII kann der erstattungsberechtigte Träger der Sozialhilfe die Feststellung einer Sozialleistung betreiben sowie Rechtsmittel einlegen. Der Kläger hat hier von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und als gesetzlicher Prozessstandschafter (vgl. BSG, Urteil vom 10. Juli 2014, B 10 SF 1/14 R - juris Rdnr. 21) für den Versicherten das Verwaltungsverfahren gegenüber der Beklagten durchgeführt. Der dieses Verwaltungsverfahren abschließende Rentenbescheid der Beklagten vom 21. November 2018 war ihm zusammen mit dem weiteren Bescheid der Beklagten vom 27. November 2018 am 12. Dezember 2018 bekanntgegeben worden (§ 37 Abs. 2 Satz 3, 2. Halbs. SGB X). Gegen den im Bescheid vom 21. November 2018 verfügten Rentenbeginn am 1. Mai 2018, bei dem es sich um eine eigenständige Regelung im Sinne von § 31 Satz 1 SGB X und damit um einen anfechtbaren Verwaltungsakt handelt (vgl. BSG, Urteil vom 11. Mai 2011, B 5 R 8/10 R - juris Rdnr. 13 m.w.N.), hat der Kläger keinen Widerspruch erhoben, der deshalb in Bestandskraft erwachsen ist (§ 77 SGG). Der Widerspruch des Klägers vom 13. Dezember 2018 bezog sich ausdrücklich nur gegen den Bescheid auf „unseren Antrag auf rückwirkenden Erstattungsanspruch“ und nicht auch auf den Rentenbeginn. Aber selbst wenn der Widerspruch des Klägers dahingehend hätte verstanden werden können, dass er sich damit (auch) gegen den Rentenbeginn erst am 1. Mai 2018 gewandt hatte, würde sich an dessen Bestandkraft gleichwohl nichts ändern. Denn die Bestandskraft wäre dann jedenfalls mit der Rücknahme des Widerspruchs „aus formalen Gründen“ durch das weitere Schreiben des Klägers vom 8. Februar 2019 eingetreten.
Bei dieser Sachlage kann der Kläger nach dem Gebot der engen Zusammenarbeit gemäß § 86 SGB X eine nochmalige Überprüfung auch bei offensichtlicher Unrichtigkeit der bisherigen Leistungsablehnung nicht verlangen. Das gilt umso mehr, als er eine „offensichtliche“ Unrichtigkeit im Regelfall erkennen können müsste und schon deshalb nicht auf eine Überprüfung der Richtigkeit der Leistungsablehnung in einem Rechtsbehelfsverfahren verzichten darf. Für dieses Ergebnis spricht im Übrigen auch der Umstand, dass der Sozialhilfeträger an versäumte Verfahrensfristen - wie die Einhaltung der Widerspruchsfrist (§ 84 SGG) - gebunden ist, soweit er das Verfahren selbst betrieben hat (§ 95 Satz 3 SGB XII). Ob in besonderen Fallkonstellationen etwas Anderes gilt, etwa bei missbräuchlicher Ausnutzung einer formalen Rechtsstellung, sodass ein Akzeptierenmüssen unter dem hier maßgeblichen Gesichtspunkt des § 86 SGB X von dem eigentlich verpflichteten Sozialleistungsträger gerade nicht eingefordert werden darf, kann hier dahinstehen. Denn ein derartiger Ausnahmefall ist nicht gegeben. Er lässt sich insbesondere nicht daraus ableiten, dass der Kläger offenkundig den Regelungsgehalt des Rentenbescheides vom 21. November 2018 verkannt hat.
Mangels Hauptforderung steht dem Kläger kein Anspruch auf Prozesszinsen zu. Im Übrigen sind im Bereich der Sozialversicherung für Erstattungsansprüche der Sozialleistungsträger untereinander Prozesszinsen nicht zu erstatten, weil es an einer ausdrücklichen sozialrechtlichen Anspruchsgrundlage und mangels planwidriger Regelungslücke auch an den Voraussetzungen für eine Analogie des § 291 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) fehlt (vgl. BSG, Urteil vom 2. Februar 2010, B 8 SO 22/08 R - juris Rdnr. 9 m.w.N.).
Nach alledem musste die Berufung des Klägers ohne Erfolg bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach fallen die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. Das ist vorliegend der Kläger gewesen.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).