Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 20.01.2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung weiterer Unfallfolgen im Bereich der rechten Schulter aufgrund des Arbeitsunfalls vom 01.02.2018.
Der 1954 geborene Kläger war bei der B1 GmbH & Co. KG als Maschineneinrichter versicherungspflichtig beschäftigt. Laut Unfallanzeige vom 27.03.2018 verspürte er am 01.02.2018 beim Lösen einer festsitzenden Schraube an einem Werkzeug einen Schmerz in der Schulter (Bl. 36 VA). Unmittelbar danach suchte er den Durchgangsarzt (D-Arzt) K1 (Leiter der Praxisklinik K2) auf, der als Befund einen Druckschmerz ohne Schwellung am proximalen Oberarm bei freier Schulterbeweglichkeit, ohne Muskelwulst, ohne neurovaskulären Ausfall, ohne Hinweise auf eine Rotatorenmanschettenläsion sowie einen freien Schürzen- und Nackengriff beschrieb, eine Muskelzerrung am rechten Oberarm diagnostizierte (Bl. 1 VA) und eine konservative Therapie mit Kühlung und Verordnung von Schmerzmedikamenten einleitete. Am 12.02.2018 gefertigte MRT-Aufnahmen des rechten Schultergelenkes/proximalen Oberarms zeigten eine partielle Ansatzruptur der Subscapularissehne sowie eine Tendinose der Bizepssehne am Übergang vom Sulcus intertubercularis zum horizontal verlaufenden Abschnitt mit fraglicher beginnender Subluxation, einen geringen Reizzustand des Ansatzes der Rotatorenmanschette, eine diskrete Bursitis und eine geringgradige aktivierte Arthrose des AC-Gelenkes (Bl. 3 VA). Am 01.03.2018 wurde eine diagnostische Video-Arthroskopie des rechten Schultergelenks durchgeführt, die Läsionen der Rotatorenmanschette rechts zeigte (Bl. 16 VA), die anschließend operativ saniert wurden.
Die Beklagte ließ daraufhin die MRT-Aufnahmen vom 12.02.2018 fachradiologisch auswerten. Der D1 führte in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 20.04.2018 aus (Bl. 45 f. VA), dass die MRT-Aufnahmen eine gering hypertrophe, deutlich aktivierte Arthrose des AC-Gelenks, eine partielle Läsion der Rotatorenmanschette mit ausgeprägter Ansatztendinopathie und Bursitiden sowie eine geringe Läsion des Pulley zeigten. Verletzungsspezifische Begleitverletzungen seien trotz des kurzen zeitlichen Abstandes zwischen dem Unfallereignis und der MRT-Untersuchung nicht festzustellen, weshalb die sichtbaren Schäden dem Unfallereignis vom 01.02.2018 zeitlich vorzuordnen seien.
Mit Bescheid vom 02.05.2018 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 01.02.2018 als Arbeitsunfall (Verfügungssatz 1) und eine folgenlos ausgeheilte Zerrung im Bereich der rechten Schulter (Verfügungssatz 2) an. Die übrigen, nach dem Ereignis sichtbar gewordenen Veränderungen im Bereich der rechten Schulter lehnte sie als Unfallfolgen ab (Verfügungssatz 3) und verneinte auch einen Anspruch des Klägers auf Leistungen, insbesondere Heilbehandlung und sonstige Geldleistungen (z.B. Lohnersatzleistungen wie Verletztengeld) über den 12.02.2018 hinaus (Verfügungssatz 4). Zur Begründung führte sie aus, dass die fachärztliche Auswertung der radiologischen Aufnahmen ergeben habe, dass keinerlei verletzungsspezifische Begleitverletzungen vorlägen, die auf eine traumatische Schädigung hindeuteten. Es sei daher davon auszugehen, dass es sich bei den festgestellten Erkrankungen um anlage- und verschleißbedingte Veränderungen handele. Ein wesentlicher Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall könne nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.09.2018 zurück (Bl. 122 ff. VA).
Hiergegen hat der Kläger am 08.10.2018 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und neben der Feststellung weiterer Unfallfolgen in Form von Veränderungen des Schultereckgelenkes, einer Schädigung der Muskelsehnenkappe mit Schleimbeutelentzündung auch die Feststellung eines Anspruchs auf Leistungen - insbesondere Heilbehandlungen und „sonstige“ Geldleistungen - über den 12.12.2018 hinaus begehrt.
Das SG hat radiologisches Bildmaterial sowie das Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers bei seiner Krankenkasse (m1 Betriebskasse) beigezogen (Bl. 33 ff. SG-Akte). Danach stand er bereits vor dem stattgehabten Arbeitsunfall, nämlich bereits seit dem ersten Quartal 2017 wegen Schulterläsionen (M75.8 ICD-10) in ärztlicher Behandlung.
Das SG hat außerdem von Amts wegen ein Sachverständigengutachten bei dem Facharzt H1 eingeholt (Bl. 44 ff. SG-Akte, Untersuchungstag: 08.07.2019). Der Sachverständige hat auf seinem Fachgebiet eine schmerzhafte Funktionsstörung am rechten Arm und in der rechten Schulter nach operativer Behandlung eines Sehnenschadens der Rotatorenmanschette und einer Instabilität des Zügelapparates der langen Bizepssehne diagnostiziert. Diese Beschwerden hat er auf unfallunabhängige degenerative Veränderungen zurückgeführt und eine wesentliche Bedeutung des Ereignisses vom 01.02.2018 mit dem Zustandekommen dieser Gesundheitsschäden verneint. Vielmehr hat er Zweifel daran geäußert, ob das Ereignis überhaupt zu irgendeinem eigenständigen Körperschaden geführt habe und es allenfalls als bloße Gelegenheitsursache eingestuft.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 20.01.2020 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klage im Hinblick auf den Antrag auf Feststellung eines Anspruchs „auf Leistungen, insbesondere Heilbehandlung und sonstige Geldleistungen über den 12.12.2018 hinaus“ bereits unzulässig sei. Soweit der Kläger darüber hinaus die Feststellung weiterer Unfallfolgen begehre, sei die Klage unbegründet. Gestützt auf das Sachverständigengutachten des H1 hat das SG dargetan, dass das Ereignis vom 01.02.2018 nicht zu Strukturschädigungen im Bereich der rechten Schulter geführt habe, sondern diese seien vielmehr wesentlich auf vorbestehende degenerative Veränderungen zurückzuführen. Den Antrag des Klägers auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das SG als verspätet abgelehnt (§ 109 Abs. 2 SGG).
Gegen den - seinen Prozessbevollmächtigten am 27.01.2020 zugestellten - Gerichtsbescheid hat der Kläger am 25.02.2020 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt und diese später (vgl. Bl. 42, 87 Senatsakte) auf die Anerkennung von Unfallfolgen durch die Beklagte (vgl. Bl. 17, 42 Senatsakte) beschränkt. Die Veränderungen des Schultereckgelenkes und die Schädigungen der Muskelsehnenkappe mit Schleimbeutelentzündung seien Folgen des Arbeitsunfalls vom 01.02.2018. Er sei vor dem stattgehabten Arbeitsunfall - entgegen dem Vorerkrankungsverzeichnis der m1 Betriebskrankenkasse und der Auskunft des behandelnden Facharztes R1 - zu keiner Zeit wegen Schulterbeschwerden behandelt worden.
Der Kläger beantragt (teilweise sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 20.01.2020 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 02.05.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2018 abzuändern sowie die Beklagte zu verurteilen, bei ihm als weitere Folgen des Unfalls vom 01.02.2018 eine partielle Ansatzruptur der Subscapularissehne, eine Tendinose der Bizepssehne, eine Narbenbildung, eine Einschränkung der Beweglichkeit der rechten Schulter, eine seitliche Abspreizung der rechten Schulter nur etwa bis 90°, eine nach hinten eingeschränkte Drehbeweglichkeit, ein Kraftverlust im gesamten rechten Oberarm und einen Kraftverlust in der rechten Hand anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf den Inhalt der Akten und den aus ihrer Sicht zutreffenden erstinstanzlichen Gerichtsbescheid.
Der Senat hat die den Kläger behandelnden Ärzte (schriftlich) als sachverständige Zeugen befragt. Der Facharzt R1 hat mitgeteilt (Bl. 39 f. Senatsakte), dem Kläger vom 09.01.2017 bis 13.01.2017 u.a. wegen eines Schulter-Arm-Syndroms rechts eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt zu haben. Eine spezifische Therapie sei zunächst nicht erforderlich gewesen und die Arbeitsunfähigkeit sei anschließend auch nicht verlängert worden. Am 16.03.2017 sei eine Überweisung wegen Nacken-Schulter-Schmerzen zum Chirurgen ausgestellt worden. Der Kläger sei sodann bis Februar 2018 mit der Dauerdiagnose Schulter-Arm-Syndrom rechts und danach unter Omarthrose rechts „geführt“ worden, um anlassbezogen auf eventuelle Beschwerden seitens der Schulter (insbesondere Seitenlokalisation) im Sinne einer Gedächtnisstütze und nicht im Sinne einer belastbaren speziellen Diagnose eingehen zu können. Der Facharzt K3 (Angestellter Arzt in der Praxisklinik K2) hat u.a. mitgeteilt (Bl. 50 ff. Senatsakte), den Kläger erstmals am 01.02.2018 wegen Schulterbeschwerden rechts behandelt zu haben, die am 01.03.2018 und am 29.01.2020 arthroskopische Operationen erforderlich gemacht hätten. Am 29.05.2019 sei der Kläger erstmals auch wegen Beschwerden an der linken Schulter vorstellig geworden.
Der Senat hat daraufhin eine ergänzende Stellungnahme bei dem Sachverständigen H1 eingeholt (Bl. 90 ff. Senatsakte), in der der Sachverständige an seiner bisherigen Einschätzung, wonach der Arbeitsunfall nicht in wesentlicher Weise zu den geltend gemachten Schulterbeschwerden geführt habe, festgehalten hat. Insbesondere hat er nochmals darauf hingewiesen, dass die kurz nach dem stattgehabten Unfall durchgeführte Kernspintomographie der rechten Schulter altersübliche degenerative Veränderungen sowohl im Schultereckgelenk (AC-Gelenksarthrose) als auch der langen Bizepssehne ergeben habe und gerade keine unfalltypischen oder gar unfallspezifischen Veränderungen. Das Unfallereignis habe nicht wesentlich zu den zur Anerkennung gestellten Körperschäden geführt.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG erteilt (Bl. 98 und 100 Senatsakte).
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung weiterer im Bereich der rechten Schulter bestehender Gesundheitsstörungen als Unfallfolge.
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 02.05.2018 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheids vom 20.09.2018, dies indes nur insoweit, wie die Beklagte damit verlautbart hat, dass das Ereignis vom 01.02.2018 beim Kläger allein zu einer zwischenzeitlich folgenlos ausgeheilten Zerrung im Bereich der rechten Schulter geführt hat, nicht jedoch zu weiteren Gesundheitsstörungen in diesem Bereich (Verfügungssatz 3). Nur hiergegen hat sich der Kläger mit der vorliegenden Berufung noch gewandt, nicht jedoch - da für ihn auch günstig - gegen die mit den angefochtenen Bescheiden ebenfalls verfügte Anerkennung des Ereignisses vom 01.02.2018 als Arbeitsunfall (Verfügungssatz 1) und - nach entsprechendem Hinweis des Senats - auch nicht mehr gegen die von der Beklagten - ohnehin nur pauschal - ausgesprochene Ablehnung von Leistungsansprüchen (Verfügungssatz 4); insoweit - und hinsichtlich der Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall (s.o.) - ist der Bescheid vom 02.05.2018 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2018) mithin in Bestandskraft erwachsen (§ 77 SGG).
Unter Zugrundelegung dessen ist das Begehren des Klägers darauf gerichtet, dass er die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung verlangt, dass der Arbeitsunfall vom 01.02.2018 nicht nur zu einer Zerrung im Bereich der Schulter rechts, sondern darüber hinaus zu den von ihm im Schriftsatz vom 28.04.2021 (Bl. 87 Senatsakte) klarstellend bezeichneten weiteren Gesundheitsstörungen (s. die Wiedergabe im Berufungsantrag) geführt hat.
Dieses Begehren verfolgt der Kläger statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Mit der Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG begehrt der Kläger die Aufhebung der die Anerkennung weiterer Unfallfolgen ablehnenden Entscheidung der Beklagten sowie - an Stelle der gerichtlichen Feststellung gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG - die Verurteilung der Beklagten, als (weitere) Gesundheitsschäden des Arbeitsunfalls vom 01.02.2018 die oben genannten Gesundheitsstörungen anzuerkennen („festzustellen“). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (05.07.2011, B 2 U 17/10 R, zitiert - wie sämtliche nachfolgende höchstrichterliche Rechtsprechung - nach juris, mit weiteren Ausführungen zur Anspruchsgrundlage) kann der Versicherte an Stelle gerichtlicher Feststellung auch die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung von Unfallfolgen als Element eines jeglichen Leistungsanspruchs im Wege der Verpflichtungsklage verlangen.
Das SG hat die so verstandene Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Bescheid vom 02.05.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.09.2018 ist - soweit angefochten (s.o.) - rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Anerkennung weiterer Unfallfolgen. Die Beklagte hat dies vielmehr beanstandungsfrei abgelehnt.
Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG 12.04.2005, B 2 U 27/04 R, in juris). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Kann dagegen das Unfallereignis nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Gesundheitsschaden entfiele (conditio sine qua non), ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSG 09.05.2006, B 2 U 1/05 R).
Die hier vorzunehmende Kausalitätsprüfung hat somit nach dieser zweistufigen Prüfung zu erfolgen.
Die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Primärschädigung - oder auch als Unfallfolge - geltend gemachte Gesundheitsstörung müssen erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. BSG 20.12.2016, B 2 U 16/15 R; 30.04.1985, 2 RU 43/84). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG a.a.O., auch zum Nachfolgenden). Diese liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Es genügt nicht, wenn der Ursachenzusammenhang nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Dabei ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Denn es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde. Es reicht daher zur Begründung des ursächlichen Zusammenhangs nicht aus, gegen diesen Zusammenhang sprechende Umstände auszuschließen.
Vorliegend bestehen bereits Zweifel daran - worauf der Sachverständige H1 hingewiesen hat -, dass das Ereignis vom 01.02.2018 in einem naturwissenschaftlichen Zusammenhang mit der zur Anerkennung gestellten partiellen Sehnenruptur und Tendinose der Bizepssehne und der dadurch verursachten Funktionseinschränkungen steht. Der Sachverständige H1 hat insoweit zutreffend unter Bezug auf den MRT-Bericht vom 12.02.2018, die (urkundsbeweislich verwertbare) radiologische Auswertung des Beratungsarztes D1 und den Operationsbericht des K1 darauf hingewiesen, dass sich die - bereits wenige Tage nach dem Unfall - kernspintomographisch und - am 01.03.2018 - operativ gesicherten Strukturveränderungen problemlos auf dem Boden einer fortschreitenden Degeneration erklären lassen. H1 hat außerdem zutreffend ausgeführt, dass der unmittelbar nach dem stattgehabten Unfall aufgesuchte D-Arzt K1 lediglich einen gegen eine traumatische Schulterverletzung, insbesondere gegen eine akute strukturelle Verletzung der Rotatorenmanschette sprechenden Befund (Druckschmerz ohne Schwellung am proximalen rechten Oberarm bei freier Schulterbeweglichkeit, intaktem Schürzen- und Nackengriff, ohne Muskelwulst und ohne neurovaskulärem Ausfall) beschrieben sowie ausdrücklich keinen Hinweis auf eine Rotatorenmanschettenläsion gesehen hat. H1 hat hieraus und aufgrund des Umstands, dass beim Kläger bereits im Mai 2019 ähnliche und spontan ohne Anlass aufgetretene Probleme im Bereich der linken Schulter aufgetreten sind, gefolgert, dass das geschilderte Ereignis - also der Versuch mit dem Schraubenschlüssel eine festsitzende Schraube an einer Maschine zu lösen - hinweggedacht werden könnte, ohne dass die zur Anerkennung begehrten Schulterbeeinträchtigungen entfielen. Diese Ausführungen sind auch für den Senat schlüssig und nachvollziehbar.
Letztlich kann jedoch dahinstehen, ob bereits der naturwissenschaftliche Zusammenhang zwischen dem stattgehabten Ereignis vom 01.02.2018 und den vom Kläger geltend gemachten Schulterbeeinträchtigungen zu verneinen ist, denn jedenfalls ist das Unfallereignis hierfür nicht wesentlich gewesen (zweite Stufe der Kausalitätsprüfung).
Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben (BSG 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, auch zum gesamten Nachfolgenden). Sozialrechtlich ist allein relevant, ob (auch) das Unfallereignis wesentlich gewesen ist. Ob eine konkurrierende Ursache dies war, ist unerheblich. Wesentlich ist nicht gleichzusetzen mit gleichwertig oder annähernd gleichwertig. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange keine andere Ursache überragende Bedeutung hat. Ist jedoch eine Ursache gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist nur die erstgenannte Ursache wesentlich und damit Ursache im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als wesentlich anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als Gelegenheitsursache oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen Krankheitsanlage (egal, ob bislang stumm oder als Vorschaden manifest) zu vergleichen und abzuwägen ist (Problem der inneren Ursache), ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die „Auslösung“ (im Falle eines Vorschadens weiterer) akuter Erscheinungen aus ihr durch das Unfallereignis nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Gleiches gilt selbstverständlich, wenn die Erscheinung zu derselben Zeit ohne jede äußere Einwirkung aufgetreten wäre (s. BSG 02.02.1999, B 2 U 6/98 R). Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen.
Die innere Ursache muss bei dieser Prüfung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen, die bloße Möglichkeit einer inneren Ursache genügt nicht (BSG 07.09.2004, B 2 U 34/03 R). Dies gilt auch für das Ausmaß der inneren Ursache (BSG 06.12.1989, 2 RU 7/89). Demgegenüber ist für die Beurteilung, ob das Unfallgeschehen bloße Gelegenheitsursache war, ob ein alltägliches Ereignis etwa zu derselben Zeit zum selben Erfolg geführt hätte, Wahrscheinlichkeit notwendig; die bloße Möglichkeit genügt auch hier nicht (BSG 04.12.1991, 2 RU 14/91). Dies bedeutet, dass die Grundlagen der Beurteilung, ob das Unfallereignis bloße „Gelegenheitsursache“ gewesen ist, im Sinne des Vollbeweises feststehen müssen, die Kausalitätsfrage ist wieder nach Wahrscheinlichkeit zu beurteilen.
Für den Senat überzeugend ist H1 - nach Auswertung des MRT-Berichts vom 12.02.2018 und der radiologischen Stellungnahme des Beratungsarztes D1, der die Veränderungen ebenfalls als vorbestehend und unfallunabhängig erachtete - davon ausgegangen, dass die beim Kläger bereits elf Tage nach dem Unfall sichtbar gewordenen Veränderungen schon vor dem Unfall kraft Degeneration vorgelegen haben. Jedenfalls ist er in Ansehung der unfallnah dokumentierten klinischen Befunde (s.o.) in jeder Hinsicht schlüssig und nachvollziehbar von einem erheblichen degenerativen Vorschaden ausgegangen, so dass, selbst wenn die Beschwerden in der rechten Schulter des Klägers möglicherweise erst durch den Unfall ausgelöst oder durch ihn möglicherweise verschlimmert worden sind, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ohnehin auf Grund eben dieses überragend bedeutsamen Vorschadens in absehbarer Zeit auch bei jeder alltäglichen Belastung - wie auch im Bereich der linken Schulter im Mai 2019 - eingetreten wären, das Ereignis vom 01.02.2018 mithin nur eine sog. Gelegenheitsursache darstellt.
Dies überzeugt schon deshalb, weil - entsprechend den Ausführungen des H1, der die Einschätzung des D1 bestätigt hat - nach dem Unfall weder bildgebend noch intraoperativ verletzungs- respektive traumatypische Veränderungen im Bereich der rechten Schulter vorgelegen haben. Verletzungstypische Veränderungen sind jedoch auch nach dem vom Senat seiner Rechtsprechung regelmäßig zugrunde gelegten unfallmedizinischen Standardwerk (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, 2017, S. 433 ff.) zur Abgrenzung eines traumatisch entstandenen von einem degenerativ entstandenen Schaden erforderlich.
Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger tatsächlich - wie von ihm behauptet - entgegen den Angaben des behandelnden R1 nicht bereits Anfang 2017 an Beschwerden im Bereich der rechten Schulter gelitten hat und deswegen arbeitsunfähig gewesen ist. Denn zum einen geht insoweit auch der Sachverständige H1 im Rahmen seiner vom Senat eingeholten ergänzenden Stellungnahme davon aus, dass diese jedenfalls (noch) nicht zu erheblichen Funktionseinschränkungen geführt haben dürften, zum anderen ändert dies nichts an den bildgebenden und intraoperativen Befunden von Februar und März 2018, die gerade erhebliche degenerative Veränderungen im Bereich der rechten Schulter gezeigt haben, jedoch keine traumatischen Verletzungen.
Das Ereignis vom 01.02.2018 war demnach für die vom Kläger geltend gemachten weiteren Verletzungen im Bereich der rechten Schulter mit Wahrscheinlichkeit allenfalls eine bloße Gelegenheitsursache, selbst wenn man einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang entgegen den obigen Ausführungen bejahen wollte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 3061/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 677/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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