Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Fehlen der Wegefähigkeit aufgrund eines häufigen imperativen Stuhldrangs im Zusammenhang mit einer Morbus Crohn-Erkrankung.
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 2. Dezember 2020 sowie der Bescheid der Beklagten vom 22. August 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2020 insoweit aufgehoben, als die Beklagte verurteilt wird, dem Kläger ausgehend von einem Versicherungsfall am 25. August 2022 Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. März 2023 bis 28. Februar 2026 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger ein Drittel der Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1981 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt und war zuletzt als Automobilverkäufer versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 18.09.2018 ist der Kläger arbeitsunfähig krank (Bl. 57 VA, ärztlicher Teil) bzw. arbeitslos. Er bezog bis 02.04.2021 Arbeitslosengeld I. Dies ist auch die letzte im Versicherungsverlauf vermerkte Pflichtbeitragszeit (vgl. Bl. 288 LSG-Akte). Beim Kläger wurde ein Grad der Behinderung (GdB) von 90 festgestellt (vgl. Gutachten N1, Bl. 214 LSG-Akte).
Der Kläger beantragte bei der Beklagten am 14.05.2019 eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Der Kläger wurde sodann im Auftrag der Beklagte am 24.07.2019 von S1 ambulant untersucht. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 25.07.2019 (Bl. 35 VA ärztlicher Teil) folgende Diagnosen:
1. Morbus Crohn, derzeit geringe Aktivität bei der Endoskopie 04/19 im Ileozökalbereich
2. Anpassungsstörung bei schwerwiegender gastroenterologischer Grunderkrankung
3. Exogen allergische asthmoide Bronchitis, derzeit rückgebildet bei Pollen- und Hausstaub- sowie Tierhaarallergie
Der Gutachter stellte fest, dass der Kläger leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch über sechs Stunden täglich ausüben könne. Auszuschließen seien Wechselschicht, Nachtschicht und Zeitdruck, Tätigkeiten überwiegend im Freien sowie mit starkem Publikumsverkehr. Die Tätigkeit müsse in überwiegend geschlossenen Räumen mit der Erreichbarkeit sanitärer Einrichtungen liegen. Die letzte Tätigkeit sei nicht mehr leidensgerecht.
Die Beklagte lehnte daraufhin den Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom 22.08.2019 ab (Bl. 4 SG-Akte)
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und trug vor, dass er seit September 2018 ununterbrochen krankgeschrieben sei. Aufgrund des Morbus Chron sei er auch nicht in der Lage nur drei Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein. Es bestehe auch für die Zukunft keine gute Prognose.
Die Beklagte wies den Widerspruch unter Bezugnahme auf die Einschätzung des sozialmedizinischen Dienstes mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2020 als unbegründet zurück (Bl. 15 VA). Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente lägen nicht vor. Das Leistungsvermögen des Klägers sei nicht auf unter sechs Stunden herabgesunken.
Hiergegen ist am 05.02.2020 Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg erhoben worden. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass der schwerbehinderte Kläger neben der schweren Morbus-Crohn-Erkrankung auch an einer Anpassungsstörung bei schwerwiegender gastroenterologischer Grunderkrankung sowie an einer allergischen Bronchitis leide. Aufgrund dieser Erkrankungen sei der Kläger nicht in der Lage leichte Tätigkeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt für mindestens sechs Stunden auszuüben.
Das SG hat zunächst Beweis erhoben durch die Befragung der behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen.
Der S2 hat in seiner Aussage vom 16.03.2020 (Bl. 33 SG-Akte) erklärt, dass er den Kläger im Jahr 2019 einmal behandelt habe. Eine Verlaufsbeurteilung könne er daher nicht abgeben. Der Kläger könne aber leichte Tätigkeiten in einen Umfang von sechs Stunden ausführen, sofern die Möglichkeit regelmäßiger Toilettengänge gewährleistet sei.
Der W1 (Bl. 39 SG-Akte) hat ebenfalls am 16.03.2020 mitgeteilt, dass der Kläger derzeit keine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben könne, da er an Depressionen und Stuhlinkontinenz leide. Eine weitere psychiatrische und gastroenterologische Abklärung sei erforderlich. Er halte daher eine befristete Erwerbsminderungsrente von z.B. zwei Jahren für sinnvoll.
Auf seinen Antrag auf medizinische Rehabilitation vom 24.10.2019 hin bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 12.03.2020 bis zum 02.04.2020 eine Maßnahme der stationären Rehabilitation in der B1-Klinik in K1. Die Ärzte der dortigen Klinik haben in ihrem Rehaentlassbericht vom 02.04.2020 (Bl. 34 ff. der LSG-Akte) folgende Diagnosen gestellt:
1. M. Crohn, ED 2000. Manifestation: Ileum, Peranale Fistelbildung
2. Darmperforation nach Bauchtrauma
3. Depressive Episode
Weiter ist ausgeführt worden, dass der Kläger einerseits durch seine Stuhlgangsbeschwerden mit Teilinkontinenz deutlich belastet sei, des weiteren trete jedoch eine erhebliche psychische Belastung in den Vordergrund mit Notwendigkeit der weiteren psychotherapeutischen Behandlung.
Grundsätzlich erscheine die Therapie und die Diagnostik noch nicht ausgeschöpft. Vorbehaltlich der weiteren psychischen Diagnostik und Therapie bestehe derzeit ein Leistungsvermögen von drei bis sechs Stunden täglich entsprechend für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten. Mittelfristig sei, nach Ausschöpfung der diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen, ein vollschichtiges Leistungsvermögen möglich, aktuell scheine jedoch eine Teilberentung mit Befristung für sechs bis zwölf Monate sinnvoll zur weiteren Diagnostik und Therapie, um langfristig wieder ein vollschichtiges Leistungsvermögen zu erreichen. Eine abschließende Begutachtung zur Berentung sollte daher zunächst eine gastroenterologische Vorstellung zur Diskussion weiterer Therapieoptionen beinhalten, wie auch eine fachärztlich psychiatrische Beurteilung.
Die Beklagte hat hierauf mit einer sozialmedizinischen Stellungnahme durch die K2 (Bl. 47 SG- Akte) erwidert und ausgeführt, dass der Reha-Entlassbericht in Bezug auf die vorgetragene psychische Gesundheitsstörung inkongruent sei. Die B1 Klinik habe keinen psychosomatischen Behandlungsschwerpunkt. Die das Leistungsbild der Klinik maßgeblich reduzierende Gesundheitsstörung sei dort nicht fachspezifisch betrachtet worden. Epikritisch werde das reduzierte Leistungsvermögen mit der psychischen Belastung des Klägers durch die bestehende Teilinkontinenz begründet und entgegen der üblichen sozialmedizinischen Standards in Entlassberichten eine befristetet Teilberentung in der Epikrise empfohlen. Gleichzeitig werde in eben jener Epikrise mittelfristig nach Ausschöpfung von Diagnostik und Therapie ein wieder vollschichtiges Leistungsvermögen erwartet. Im Aufnahmebefund des Entlassberichtes werde dem entgegen ein unauffälliger psychischer Befund, im dokumentierten Rehaprozess- und ergebnis zudem eine ungestörte Krankheitsbewältigung dokumentiert und wenige Sätze weiter erneut von einer erheblichen psychischen Beeinträchtigung berichtet.
Das SG hat daraufhin ein psychiatrisches Gutachten von Amts wegen bei R1 eingeholt. Dieser hat den Kläger am 31.08.2020 ambulant untersucht und in seinem Gutachten vom 10.09.2020 (Bl. 59 ff. SG Akte) folgende Diagnosen gestellt:
1. Dysthymia
2. Psychologische Faktoren und Verhaltensfaktoren (im Sinne der Alexithymie) bei andernorts klassifizierten Krankheiten
3. Sonstige nichtorganische psychotische Störung
Der Gutachter hat weiter festgestellt, dass der Kläger sich mittelgradig depressiv gezeigt habe, er habe offen über seine Person und Krankheitsentwicklung gesprochen. Seine Emotionalität sei deutlich eingeschränkt im Sinne einer sogenannten Alexithymie, d.h. er sei nicht in der Lage, seine Gefühle in Worte, in Mimik und Gestik auszudrücken. Stattdessen bleibe er in einer sachlichen, etwas gehemmten, subdepressiven bis depressiven Haltung. Diese Defizite disponierten grundsätzlich zu psychosomatischen Erkrankungen. Auch in Zusammenhang mit der Entwicklung eines Morbus Crohn würden derartige Faktoren diskutiert. Da aber die Erkrankung selber als primär körperlich verursacht anzusehen sei, habe er deshalb hier für diese Zusammenhänge die Diagnose „psychologische Faktoren und Verhaltensfaktoren bei andernorts klassifizierten Krankheiten (F54)“ verwendet. Die aktuellen psychotischen Symptome erfüllten nicht die Kriterien für eine schizophrene Psychose. Die halluzinierten Objekte seien relativ banal und ohne Wahnstimmung noch Wahndynamik, das Denken ansonsten nicht wahnhaft noch überwertig, der Gedankengang geordnet, die Affekte nicht parathym. Möglicherweise seien diese Symptome ebenfalls Ausdruck seiner o.g. Alexithymie. Die depressive Verstimmung des Klägers erfülle nach Schweregrad und Dauer nicht die Kriterien für eine rezidivierende depressive Störung. Eine regelmäßige Erwerbstätigkeit sei aufgrund des psychischen Gesundheitszustandes möglich. Leichte Tätigkeiten geistiger und körperlicher Art ohne besondere nervliche Beanspruchung, Verantwortung, Zeitdruck und mit den somatisch begründeten Einschränkungen seien aus psychiatrisch/psychotherapeutischer Sicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich, auch wenn der Kläger aufgrund seiner Erkrankung zurzeit arbeitsunfähig sei. Diese Tätigkeiten seien mindestens sechs Stunden täglich möglich. Wegen seiner Darmproblematik seien zusätzliche Pausen in unregelmäßigen Abständen notwendig. Eine Gehstrecke von 500 Metern viermal täglich erscheine möglich, ebenso die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder des eigenen Kraftfahrzeugs.
Hierzu hat die Beklagte in einer erneuten sozialmedizinischen Stellungnahme durch die H1 (Bl. 78 SG-Akte) ausgeführt, dass der Gutachter eine Dysthymie diagnostiziert habe. Hierbei handle es sich definitionsgemäß um eine anhaltende depressive Verstimmung. Die Betroffenen grübelten und beklagten sich, fühlten sich unzulänglich, seien aber i.d.R. fähig, mit den wesentlichen Anforderungen des täglichen Lebens fertig zu werden. Das sei auch beim Kläger der Fall. Daher könne auch der Leistungseinschätzung des Gutachters gefolgt werden, welcher für leidensgerechte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer mindestens sechsstündigen Leistungsfähigkeit bestätigte. Der Gutachter halte hier zudem „wegen seiner Darmproblematik" zusätzliche Pausen in unregelmäßigen Abständen für erforderlich. Aus sozialmedizinischer Sicht seien störungsbedingte Arbeitsunterbrechungen aufgrund von häufigen Toilettengängen (wie auch bei Morbus Crohn) im Rahmen einer sog. persönlichen Verteilzeit einzuordnen, denn diese Arbeitsunterbrechungen gingen erfahrungsgemäß nicht über das übliche Maß der Arbeitspausen hinaus.
Das SG hat sodann nach vorheriger Anhörung die Klage mit Gerichtsbescheid vom 02.12.2020 abgewiesen. Die näher dargelegten Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente lägen nicht vor. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen lägen nach Mitteilung der Beklagten zwar vor, der Kläger sei aber weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.
Das Gericht hat seine Überzeugung im Wesentlichen auf das psychiatrische Gutachten von R1 sowie - bezüglich der Darmproblematik - auf die sachverständige Zeugenauskunft von S2 und die diesbezüglich vorliegenden Befundunterlagen gestützt.
Das Gericht verkenne hierbei zunächst nicht, dass der Kläger durch die Stuhlgangbeschwerden belastet sei. Allerdings gehe das Gericht davon aus, dass diese Beschwerden keine quantitative Leistungsminderung begründeten. Auch sehe das Gericht - abweichend von dem Sachverständigen R1 - keinen unüblichen Pausenbedarf, welcher ebenfalls zu einer Erwerbsminderung führen würde. Ein unüblicher Pausenbedarf resultiere insbesondere nicht daraus, dass der Kläger öfters die Toilette aufsuchen müsse. Der Kläger habe hierzu im Rahmen der Anamnese bei der Aufnahme zur medizinischen Rehabilitation von Bauchschmerzen im Unterbauch, die häufig und stark seien im Sinn von Krämpfen, berichtet. Hier nehme er dann Buscopan, zwei Kapseln, bei Bedarf. Er habe hier weiter über Stuhlgangsunregelmäßigkeiten berichtet, morgens sei der Stuhlgang breiig, im Verlauf des Tages werde er zunehmend flüssig. Durchfall habe er circa vier bis fünf Mal am Tag, es bestehe auch eine leichte Inkontinenz, manchmal entdecke er Stuhlgang in der Unterhose (vgl. Bl. 2-1 des Reha-Entlassungsberichts vom 02.04.2020). Ein ähnlicher Befund werde auch durch den sachverständigen Zeugen S2 in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 16.03.2020 (Bl. 33ff. der Gerichtsakte) berichtet, wo über krampfartige Unterbauchschmerzen und viermal tägliche Durchfälle geklagt worden sei. Auch deckten sich die Angaben mit den Angaben gegenüber dem Gutachter S1 im Verwaltungsverfahren („vier bis fünf Stuhlgänge am Tage, zunächst breiig, später wässriger werdend“). Dieser Befund führe aber nicht zu einer quantitativen Leistungsminderung oder einem unüblichen Pausenbedarf. Die für den Kläger erforderlichen Toilettengänge könnten im Rahmen der Verteilzeit erfolgen. Nach § 4 Arbeitszeitgesetz stehe vollschichtig tätigen Arbeitnehmern eine Ruhepause von 30 Minuten zu. Die Ruhepause könne nach Satz 2 dieser Bestimmungen in Zeitabschnitte von jeweils 15 Minuten aufgeteilt werden. Diese Pausen könne der Kläger somit für Toilettengänge nutzen. Über die nach dem Arbeitszeitgesetz vorgeschriebenen Pausen hinaus, würden Arbeitnehmern in gewissem Umfang auch noch sogenannte Verteilzeiten zugestanden (Zeiten z.B. für den Weg vom Zeiterfassungsgerät zum Arbeitsplatz, das Vorbereiten bzw. Aufräumen des Arbeitsplatzes, den Gang zur Toilette, Unterbrechungen durch Störungen oder durch Dritte, usw.). Der Kläger könne damit diese Verteilzeiten ebenfalls für Toilettengänge nutzen. Ferner sei zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber nach § 3 Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) in Verbindung mit Ziffer 4.1 des Anhangs zur ArbStättV verpflichtet sei, sowohl in der Nähe der Arbeitsräume als auch in der Nähe von Kantinen, Pausen- und Bereitschaftsräumen, Wasch- und Umkleideräumen Toiletten zur Verfügung zu stellen. Nach Nr. 3 der Arbeitsstättenrichtlinie 37/1 (vgl. § 7 Abs. 4 ArbStättV) seien die Toilettenräume bzw. die Toiletten innerhalb einer Arbeitsstätte so zu verteilen, dass sie von ständigen Arbeitsplätzen nicht mehr als 100 Meter und, sofern keine Fahrtreppen vorhanden seien, höchstens eine Geschoßhöhe entfernt seien, der Weg von ständigen Arbeitsplätzen in Gebäuden zu Toiletten solle nicht durchs Freie führen. Insoweit sei es auch üblich, dass Toiletten in unmittelbarer Reichweite des jeweiligen Arbeitsplatzes vorhanden seien.
Aus diesen Gründen sei die Einschätzung von R1 für das Gericht bezüglich dem Pausenbedarf nicht schlüssig. Im Übrigen werde darauf hingewiesen, dass diese Einschätzung fachfremd erfolgt sei. Der Facharzt für Gastroenterologie, S2 gehe hingegen in seiner sachverständigen Zeugenaussage davon aus, dass dem Kläger leichte Tätigkeiten in einem Umfang von mindestens sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zumutbar seien.
Auch aus den psychiatrischen Leiden ergebe sich keine quantitative Leistungsminderung. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Sachverständigengutachten von R1. Dieser gehe für das Gericht schlüssig und nachvollziehbar von einem vollschichtigen Leistungsvermögen des Klägers aus.
Nicht zuletzt der gut geordnete Tagesablauf des Klägers, wonach er sich morgens um die jüngste Tochter kümmere, Teile des Haushalts erledige und mittags die Hausaufgaben betreue, spräche gegen eine erhebliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit. Ferner gehe R1 - aus der Gesamtschau nachvollziehbar - davon aus, dass hier keine rezidivierende depressive Störung vorliege, sondern lediglich eine Dysthymia.
Auch in der Gesamtschau, d.h. unter Beachtung der gastroenterologischen und der psychiatrischen Leiden, sei keine Erwerbsunfähigkeit erkennbar. Beiden Einschränkungen könne mit einem leidensgerechten Arbeitsplatz - ohne besondere nervliche Beanspruchung, ohne Zeitdruck und mit der Möglichkeit jederzeit eine Toilette aufsuchen zu können - ausreichend Rechnung getragen werden. Auch werde darauf hingewiesen, dass aus dem Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit gerade nicht auf Erwerbsunfähigkeit geschlossen werden könne, da sich die Arbeitsunfähigkeit auf die bisherige Tätigkeit und gerade nicht auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz beziehe. Die Einschätzung im Reha-Entlassungsbericht sei hier nicht schlüssig. Zum einen sei die Einschätzung hinsichtlich der psychiatrischen/psychischen Einschränkung, welche laut der sozialmedizinischen Epikrise „in den Vordergrund“ trete, durch das gerichtliche Fachgutachten überholt. Zum anderen rechtfertigten die erhobenen psychischen Befunde keine quantitative Erwerbsminderung.
Gegen den seinem Bevollmächtigten am 08.12.2020 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 07.01.2021 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erheben lassen. Zur Begründung ist u.a. vorgetragen worden, dass unabhängig von der Frage, ob weitere quantitative Einschränkungen durch die psychische Erkrankung bestehen, der Kläger bereits aufgrund seiner gastroenterologischen Erkrankung erwerbsunfähig sei. Das SG habe es unterlassen, auf diesem Fachgebiet ein Gutachten einzuholen. Ergänzend ist ein Bericht der behandelnden G1 vom 30.04.2021 vorgelegt worden (Bl. 56 LSG-Akte). Darin ist ausgeführt worden, dass der Kläger sich seit September 2020 bei ihr in Behandlung befinde und aufgrund der Depressivität, Angstsymptomen und halluzinatorischen Erlebnissen auf absehbare Zeit nicht in der Lage sei, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 2. Dezember 2020 sowie den Bescheid vom 22. August 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2020 aufzuheben und dem Kläger eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung ab dem 14. Mai 2019 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat sodann auf Antrag des Klägers ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei dem B2 eingeholt. Dieser hat den Kläger am 18.11.2021 unter Einbeziehung der P1 sowie der auf Testpsychologie spezialisierten M1 ambulant untersucht und in seinem Gutachten vom 24.11.2021 (Bl. 89 ff. LSG-Akte) folgende Diagnosen auf seinem Fachgebiet gestellt:
1. Schwere depressive Episode, chronifiziert, derzeit ohne psychotische Symptome aufgrund der Medikation
2. Dysthymia
3. Chronifiziertes Schmerzsyndrom Morbus Crohn - assoziiert intestinal mit
4. Somatoformer Störung intestinal und undifferenziert
Der Gutachter hat weiter ausgeführt, dass beim Kläger auf psychiatrischem Fachgebiet eine schwere depressive Episode gemäß internationaler Klassifikation psychiatrischer Störungen vorliege. Begleitend sei eine Dysthymia festgestellt worden. Da neben der Dysthymia eine schwere depressive Episode vorliege, spreche man von einer Double Depression, doppelte Depression. Außerdem liege ein chronifiziertes Schmerzsyndrom vor, was überlappend im psychiatrischen Fachbereich hineinwirke, weil es aufrechterhaltend sei für die Depression. Grundlage für die chronische depressive Entwicklung sei eine extrem belastende internistische Erkrankung, nämlich eine chronisch entzündliche Darmerkrankung mit intermittierender Inkontinenz und Schmerzen; der Kläger sei Windelträger.
Die berufliche Leistungsfähigkeit des Klägers sei erheblich beeinträchtigt. Er könne im Grunde zuverlässig nur Heimarbeiten erledigen. Dies sei aktuell praktisch gar nicht möglich, weil der Kläger bei seiner Schwester in der Wohnung eingeschränkten Unterschlupf gefunden habe. Es seien allenfalls noch leichte körperliche Arbeiten in wechselnden Körperhaltungen zumutbar, regelhaft müsse das Erreichen einer Toilette mühelos möglich sein, da völlig unkalkulierbare Stuhlabgänge mit entsprechenden körperlichen und olfaktorischen Einschränkungen zu seinem Alltag gehörten. Die depressionsbedingte Antriebshemmung sei im Gesamtkontext ein schweres Hemmnis. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne der Kläger drei bis unter sechs Stunden in Heimarbeit leichte Tätigkeiten verrichten, wobei hier die Frage aufkomme, welche Tätigkeit hier überhaupt geeignet seien und welche Lebensumstände dafür die Voraussetzungen seien. Überdies müsse mit Krankschreibungen aufgrund des Morbus Crohn gerechnet werden. Der Krankheitsverlauf sei prognostisch auch ungünstig. Zentrales Thema seien die Toilettengänge. Insofern müssten die Arbeitsbedingungen so geschaffen sein, dass in unmittelbarer Nähe eine Toilette vorhanden sei und auch die Möglichkeit zur Entsorgung von Windeln. Aufgrund der depressionsbedingten Ängste könne der Kläger selbst nicht mehr Auto fahren, überdies schieden längere Strecken aus. Fahrradfahren sei wegen der Analfistel nicht möglich. Einen fußläufigen Arbeitsweg von jeweils einer halben Stunde halte er für denkbar, der Betroffene wird mit öffentlichen Verkehrsmitteln erhebliche Schwierigkeiten bekommen, was sicher einleuchte.
Die Beklagte ist dieser Einschätzung unter Bezugnahme auf eine sozialmedizinische Stellungnahme von H1 entgegengetreten (Bl. 122 ff. LSG-Akte). H1 hat u.a. ausgeführt, dass der Gutachter den Kläger eine Menge an psychodiagnostischen Untersuchungen habe durchführen lassen, welche aber für die aktuelle sozialmedizinische Fragestellung keine objektive Aussagekraft hätten, da es sich mehrheitlich um leicht manipulierbare Selbstbeurteilungsbögen handle und Beschwerdevalidierungsverfahren nicht durchgeführt worden seien. Aus dem kurzen psychopathologischen Befund könne kein sicherer Ausprägungsgrad des depressiven Syndroms abgeleitet werden. Bei dieser Beschreibung könne es sich sowohl um eine leichte, reaktive Depression, forciert durch einen Rentenwunsch, als auch um eine schwerere (früher sog. „endogene") Depression handeln. Der Gutachter diagnostiziere eine schwere depressive Episode, chronifiziert - derzeit ohne psychotische Symptome aufgrund der Medikation. Ob es sich aber tatsächlich um eine so schwere Depression handle, könne anhand des Gutachtens nicht zweifelsfrei beurteilt werden, da weder eine verlässliche Beschreibung der noch vorhandenen Fähigkeiten und des aktuellen Alltags, noch ein aussagekräftiger psychopathologischer Befund vorhanden seien. Das Gutachten könne daher nicht zweifelsfrei davon überzeugen, dass beim Kläger seit Beginn 2019 eine quantitative Minderung der Leistungsfähigkeit bestehe und dass er aktuell unter einer wirklich schweren, chronifizierten und einer leitliniengerechten Behandlung nicht zugänglichen schweren depressiven Episode leide, auch wenn keine Zweifel daran bestünden, dass der Kläger im Zusammenhang mit seiner chronischen Darmerkrankung und daraus resultierenden Einschränkungen (mit psychosozialen, familiären und beruflichen Konsequenzen) auch psychisch beeinträchtigt sei, bei nachvollziehbaren existenziellen Ängsten und depressiven Versagensgefühlen.
Der Senat hat im Anschluss die behandelnde J1 als sachverständige Zeugin befragt. Diese hat am 02.03.2022 (Bl. 138 LSG-Akte) erklärt, dass der Kläger seit Februar 2022 bei ihnen behandelt werde. Seither habe sie den Kläger zwei Mal in der Sprechstunde gesehen. Sie habe die ambulante Behandlung übernommen, nachdem die Vorbehandlerin, G1, gegen Ende des Jahres 2021 aus dem Medizinischem Versorgungszentrum (MVZ) O1 in O2 ausgeschieden sei. Aufgrund des erhobenen psychopathologischen Befundes und der Eigenanamnese sowie der Vorbefunde habe sie die Diagnose einer rezidivierenden Depression mit ggw. schwerer Episode, chronifiziert (ICD 10: F33.2) gestellt. Als u. a. aufrechterhaltender Faktor für die depressive Symptomatik bestehe die internistische Erkrankung Morbus Crohn mit einhergehender Inkontinenz und chronifiziertem Schmerzsyndrom. Darüber hinaus sei derzeit die Trennung von der Ehefrau nach 23 Jahren ein belastender Faktor. Sicherlich sei beim Kläger eine stationäre oder auch teilstationäre Behandlung angezeigt. Er habe drei Töchter (12J, 10J, und 6J), die er regelmäßig nach 13 Uhr betreuen müsse, so dass er aktuell aufgrund der familiären Verpflichtungen keine Möglichkeit für eine Intensivierung der Behandlung sehe. Eine engmaschige, d.h. wöchentlich durchgeführte psychotherapeutische Behandlung wäre möglicherweise eine gute Alternative. Hier scheitere es nicht an der Motivation des Patienten, sondern an den fehlenden Kapazitäten unseres Gesundheitssystems. Aufgrund der Schwere und Chronifizierung der Depression sowie des ungünstigen Verlaufs der bestehenden internistischen Erkrankung sei es dem Kläger lediglich noch möglich leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weniger als drei Stunden an fünf Tagen in der Woche auszuüben.
Hierzu hat die Beklagte erneut eine sozialmedizinische Stellungnahme bei H1 eingeholt. Diese hat am 23.03.2022 (Bl. 149 ff. LSG-Akte) erklärt, dass auch die Leistungsbeurteilung durch J1 nicht zweifelsfrei nachvollziehbar sei. Diese sehe den Kläger - nach zweimaligem Kontakt - aufgrund der Schwere der Depression und des ungünstigen Verlaufs der bestehenden internistischen Erkrankung nur noch in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weniger als drei Stunden auszuüben. Auffällig sei hier, dass die Ärztin eine rezidivierende Depression mit gegenwärtig schwerer Episode diagnostiziert habe, hieraus habe sie aber offenbar keine therapeutischen Konsequenzen gezogen (denn eine wirklich schwere depressive Episode sollte/ könnte im Rahmen einer Klinik intensiver behandelt werden). J1 räume zwar ein, dass beim Kläger eine stationäre oder auch teilstationäre Behandlung „sicherlich angezeigt" wäre, aber... „er hat drei Töchter, 12J, 10J und 6J, die er jedoch regelmäßig nach 13:00 Uhr betreuen müsse, sodass er aktuell aufgrund der familiären Verpflichtungen keine Möglichkeit für eine Intensivierung der Behandlung sehe". Diese Aussage verstärke aber noch mehr die Zweifel an der tatsächlichen Ausprägung der depressiven Symptomatik beim Kläger. Denn bei einer wirklich schweren Depression könnte er solchen familiären Verpflichtungen sicherlich nicht nachgehen.
Der Senat hat daraufhin ein weiteres Gutachten von Amts wegen eingeholt und hierzu T1, Klinik für Innere Medizin II Gastroenterologie, Hepatologie, Endokrinologie und Infektiologie der Universitätsklinik F1 beauftragt. Dieser hat nach Genehmigung durch den Senat den Kläger unter Hinzuziehung von H2 und H3 am 25.08.2022 in der Darmambulanz ambulant untersuchen lassen und in seinem Gutachten vom 02.09.20222 (Bl. 163 ff. LSG-Akte) folgende Diagnosen gestellt:
1. Morbus Crohn, ED 2000
2. Z.n. Darmperforation 25.10.2015 nach stumpfem Bauchtrauma
3. H. pylori-assoziierte erosive Antrumgastritis und erosive Duodenitis 11/2014
4. Exogen-allergische, asthmoide Bronchitis - Bei Allergie gegen Pollen, Hausstaub und Katzenhaar
5. verschiedene orthopädische Diagnosen
6. Rezidivierende Depression mit gegenwärtig schwerer Episode, chronifiziert
7. Z. n. psychotischer Symptomatik mit optischen und akustischen Halluzinationen Aktenzeichen
8. Chronifiziertes Schmerzsyndrom bei M. Crohn ED 11/21
9. Somatoforme Störung intestinal und undifferenziert ED 11/21
10. Z. n. Hydronephrose bei Obstruktion durch Nieren- und Ureterstein 27.06.2017
In Hinblick auf die Morbus-Crohn-Erkrankung ergäben sich arbeitsalltägliche Einschränkungen, insbesondere aufgrund des imperativen Stuhldranges bzw. der bestehenden Stuhlinkontinenz. Hier habe der Kläger über eine in den letzten Jahren zunehmende Inkontinenz mit häufigem Einstuhlen berichtet. Er müsse ununterbrochen eine Windel tragen und seine Ehefrau habe sich u.a. aufgrund des nächtlichen Einstuhlens von ihm getrennt. Die Stuhlfrequenz betrage fünf Mal am Tag und ein Mal in der Nacht, der Stuhl sei immer weich bis flüssig/durchfällig. Er habe täglich krampfartige Bauchschmerzen. Dies erfordere die Möglichkeit zur unmittelbaren und sofortigen Unterbrechung der Arbeit zu jedem Zeitpunkt, um die Toilette aufsuchen zu können. Insofern bestehe daher keine Möglichkeit zur Durchführung beaufsichtigungspflichtiger Arbeiten, z. B. an Maschinen oder Fahrzeugen. Zudem müsse die Möglichkeit einer räumlich kurzen Distanz zu geeigneten sanitären Einrichtungen gewährleistet werden. Auch insofern sei eine Tätigkeit, die nicht innerhalb eines Gebäudes und eines festen Arbeitsplatzes (z. B. Außendienst, längere Autofahrten) stattfinde, nicht geeignet. Betrachte man eine Tätigkeit mit Kundenkontakt und längeren Beratungsgesprächen, so könne auch in diesem Rahmen die Tätigkeit nur dann durchgeführt werden, wenn beispielsweise ein Beratungsgespräch unterbrochen werden könne. Besonders hervorzuheben sei hier die soziale Stigmatisierung und damit verbundene psychische Belastung, die aufgrund der bei Inkontinenz entstehenden Gerüche hervorgerufen werden könne. Telefonische Beratungen oder Beratungen im Rahmen von Videokonferenzen könnten hierbei zu bevorzugen sein. Aufgrund der Inkontinenz sollte die Entstehung hoher intraabdomineller (innerhalb des Bauchraums auftretender) Drücke vermieden werden, da diese den unwillkürlichen Abgang von Stuhl begünstigen. Somit sei insbesondere das Heben und Tragen schwererer Lasten zu vermeiden. Einschränkungen hinsichtlich der Arbeitsposition seien fraglich, zu bevorzugen sei aber auch hier möglichst eine Haltung, die den Beckenboden entlaste und so die Inkontinenz nicht weiter verstärke. Somit sei hier eine sitzende Tätigkeit gegenüber einer stehenden oder gehenden Tätigkeit vorzuziehen, ebenfalls sei häufiges Bücken und Strecken zu vermeiden. Die chronische Analfissur sowie das Fistelleiden des Klägers erforderten die Einhaltung einer guten Hygiene, optimalerweise mit Möglichkeit zum Ab-/Ausduschen nach dem Stuhlgang. Zusammenfassend erscheine somit eine sitzende Bürotätigkeit möglich, falls diese jederzeit unterbrochen werden könne und falls kurze Wege zu den sanitären Anlagen gewährleistet werden. Dagegen seien körperlich schwere Arbeit mit Tragen und Heben von Lasten, nicht-unterbrechbare und beaufsichtigungspflichtige Arbeit z. B. auch am Fließband, Arbeiten mit Gefahrstoffen, Hitze und Feuer sowie das Führen von Maschinen und Kraftfahrzeugen über längere Strecke nicht möglich.
Es könnten auch bis zu 5 % der Arbeitszeit (oder zweimal pro Stunde) mittelschwere Arbeitsanteile enthalten sein. Aus gastroenterologischer Sicht bestehe daher bei Berücksichtigung vermehrter Arbeitsunterbrechung durch Toilettengänge, Hygieneerneuerung sowie des Bedarfs an notwendiger Infrastruktur (nahgelegene Toiletten, Möglichkeit zum Umziehen und Duschen) formal keine Einschränkungen für leichte Arbeiten im Umfang von täglich bis zu sechs Stunden. Allerdings sei im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung der Eindruck entstanden, dass bei gleichzeitiger Berücksichtigung der gastroenterologischen und psychiatrischen Komorbiditäten eine leichte Tätigkeit von sechs Stunden nicht möglich sein dürfte.
Hierzu hat die Beklagte unter Bezugnahme auf eine sozialmedizinische Stellungnahme von L1 (Bl. 184 der LSG-Akte) ausgeführt, dass der Gutachter in der Antwort auf Frage 3 festgestellt habe, dass aus gastroenterologischer Sicht ”formal" keine Einschränkungen für leichte Arbeiten im Umfang von täglich bis zu sechs Stunden bestünden. Es sei allerding im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung der Eindruck entstanden, dass bei gleichzeitiger Berücksichtigung der gastroenterologischen und psychiatrischen Komorbiditäten eine leichte Tätigkeit von sechs Stunden nicht möglich sein dürfte. Aufgeführt worden seien leichte körperliche Arbeiten mit bis zu 5 % der Arbeitszeit (oder zwei Mal pro Stunde) mittelschweren Arbeitsanteilen, ferner die Berücksichtigung „vermehrter Arbeitsunterbrechung" durch Toilettengänge, Hygieneerneuerung sowie des Bedarfs an notwendiger Infrastruktur (nahegelegene Toiletten, Möglichkeit zum Umziehen und Duschen). Aus sozialmedizinischer Sicht sei jedoch das Gutachten auch in der Zusammenschau mit den übrigen Gutachten und Berichten in der Akte nicht geeignet, eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens bezüglich unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichtbaren geeigneten Tätigkeiten gesichert abzuleiten. Im Anamneseteil des Gutachtens sei eine Häufigkeit von Stuhlgängen tagsüber fünf Mal und nachts ein Mal aufgeführt. Eine solche Häufigkeit erforderlicher Toilettengänge spreche aber nicht gegen die täglich sechsstündige Tätigkeit bei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bei üblicher Verfügbarkeit einer Toilette. Die Beschwerdeanamnese enthalte außerdem die Aussage, der Kläger müsse ununterbrochen eine Windel tragen, und seine Ehefrau habe sich unter anderem aufgrund des nächtlichen Einstuhlens von ihm getrennt. Hierzu diskrepant finde sich im Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik vom 02.04.2020 (Blatt 2-1) die Aussage, „es bestehe auch eine leichte Inkontinenz, manchmal entdecke er Stuhlgang in der Unterhose, nachts trage er eine Windelhose".
Der Senat hat weiter ein psychiatrisches Gutachten von Amts wegen bei dem N1 eingeholt. Dieser hat den Kläger am 06.06.2023 ambulant untersucht und in seinem Gutachten vom 30.06.2023 (Bl.- 205 ff. LSG-Akte) folgende Diagnosen gestellt:
1. Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichtgradige Episode
2. Psychologische Faktoren bei andernorts diagnostizierten Gesundheitsstörungen
(M. Crohn mit Stuhlinkontinenz u. Schmerzstörung)
3. Kopfschmerz vom Spannungstyp
Der Gutachter ist zusammenfassend zu der Einschätzung gelangt, dass der Kläger zwar qualitativ in seinem Leistungsvermögen erheblich eingeschränkt sei, quantitative Leistungseinbußen ließen sich aber unter Berücksichtigung des aktenkundlichen Sachverhaltes und des bisherigen Krankheitsverlaufes nicht plausibel begründen, zumal auch noch therapeutische Optionen offenstünden. Zu vermeiden seien schwere und mittelschwere körperlichen Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten mehr als sieben kg. Dauerndes Stehen und Gehen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie Tätigkeiten unter Stressbelastung und Zeitdruck und unter nervlicher Beanspruchung. Dem Kläger noch möglich seien dagegen leichte körperliche Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis zu sieben kg in abwechslungsreicher, überwiegend sitzender Körperhaltung und unter Vermeidung der o. g. qualitativen Einschränkungen. Solche Tätigkeiten könne der Kläger noch sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Besondere Arbeitsbedingungen seien insofern unerlässlich, da dem Kläger jederzeit die Möglichkeit gegeben sein müsse, eine Toilette aufzusuchen und auch bei Auftreten von Schmerzen im Rahmen der Morbus-Crohn-Erkrankung Pausen einzulegen. Hinsichtlich des Arbeitsweges bestünden keine Einschränkungen. Soweit der Kläger angebe, seit Monaten kein Auto mehr zu fahren, ließen sich aber Einschränkungen der Wegefähigkeit im Hinblick auf die leichtgradige depressive Episode nicht plausibel begründen.
Hierauf hat der Kläger mit Schreiben vom 31.07.2023 ausgeführt, dass dem Gutachten von N1 nicht gefolgt werden könne. Zudem sei festzustellen, dass N1 als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychotherapie nur in der Lage sei, auf seinem Fachgebiet den Kläger zu beurteilen. Bei dem zu beurteilenden Leistungsvermögen des Klägers sei jedoch auch die vorhandene Einschränkung „Morbus Crohn" entsprechend zu berücksichtigen.
Wegen der weiteren Einzelheiten, der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die beigezogene Akte der Beklagten über den Kläger verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Eiverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG entscheiden konnte, ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe liegen nicht vor (§ 144 SGG).
Die Berufung ist auch teilweise begründet. Das SG hat zu Unrecht die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 22.08.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.01.2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat ab dem 01.03.2023 bis zum 28.02.2026 einen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, da (zumindest) ab dem Zeitpunkt der ambulanten Untersuchung bei T1 (25.08.2022) von einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auszugehen ist und bei Eintritt des Versicherungsfalls auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Kein Anspruch besteht auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Antragstellung, zudem ist die Rentengewährung zu befristen.
Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (s. hierzu § 43 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI]). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).
Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (s. hierzu § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).
Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (Gürtner in KassKomm, Stand 114. EL Mai 2021, SGB VI, § 43 Rn. 58 und 30 ff.). Nach der vom BSG entwickelten Rechtsprechung zur "konkreten Betrachtungsweise" ist von einem verschlossenen Teilzeitarbeitsmarkt auszugehen, wenn die Versicherte nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich arbeiten kann und arbeitslos ist bzw. keine Tätigkeit ausübt (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 14.01.2010 - L 3 RJ 139/04 -, juris, Rn. 64 - 66 mit Verweis auf BSGE 43, 75 f).
Darüber hinaus ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI generell nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigten (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Der Senat ist zwar, wie auch die Beklagte und das SG nach den im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen nicht davon überzeugt, dass das Leistungsvermögen des Klägers auf unter sechs Stunden herabgesunken ist.
Der Schwerpunkt der Erkrankungen des Klägers liegt auf internistischem Fachgebiet. Es besteht ein Morbus Crohn. Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet liegt eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichtgradige Episode vor.
Diese beim Kläger vorliegenden Erkrankungen bedingen nur qualitative Leistungseinschränkungen, nicht aber auch quantitative. Der Kläger ist nach Überzeugung des Senats noch in der Lage leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne Heben und Tragen von Lasten mehr als sieben kg, ohne dauerndes Stehen und Gehen, ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie ohne Tätigkeiten unter Stressbelastung und Zeitdruck und unter nervlicher Beanspruchung mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Diese Erkrankungen und die daraus zu folgernden Leistungseinschränkungen entnimmt der Senat im Wesentlichen den im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten von T1 und N1. Die Ausführungen der Gutachter sind schlüssig, widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Der Senat hat daher keinen Anlass, an der Vollständigkeit der erhobenen Befunde und an der Richtigkeit der daraus gefolgerten Leistungsbeurteilung zu zweifeln. T1 hat für die Erkrankungen auf internistischem Fachgebiet ein noch sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten bejaht. Soweit hier auf die (möglicherweise bestehende) Komorbidität auf psychiatrischem Fachgebiet verwiesen wird, hat sich diese im Gutachten von N1 nicht bestätigen lassen. N1 hat keine quantitative Leistungseinschränkung feststellen können.
Nicht überzeugen vermag die Leistungseinschätzung von B2. Auch wenn keine Zweifel daran bestehen, dass beim Kläger schon allein aufgrund der internistischen Erkrankung und der hieraus resultierenden Einschränkungen eine psychische Belastung vorliegt, so kann dem im Gutachten von B2 erhobenen psychopathologischen Befund kein so gravierender Ausprägungsgrad entnommen werden, als dass von einer auch zeitlichen Einschränkung des Leistungsvermögens ausgegangen werden kann. Nicht zuletzt lässt sich dem Gutachten weder ausreichende Beschwerdevalidierung noch eine verlässliche Beschreibung des Alltags des Klägers entnehmen, zumal dem Gutachten von N1 zu entnehmen ist, dass der Kläger immerhin noch in der Lage ist, seine minderjährigen Kinder am Nachmittag zu betreuen.
Dennoch ist dem Kläger hier eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren. Denn vorliegend ist aber (zumindest derzeit) von einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auszugehen, da der Kläger spätestens seit der Untersuchung bei T1 nicht unter betriebsüblichen Bedingungen arbeiten kann und von einer eingeschränkten Wegefähigkeit auszugehen ist.
Dies ergibt sich nach Überzeugung des Senats daraus, dass der Kläger aufgrund seiner Morbus Crohn-Erkrankung unter imperativem Stuhlgang und Stuhlinkontinenz leidet. Der Kläger leidet hier inzwischen fünf Mal am Tag unter weichem bis flüssigem Stuhlgang (vgl. Bl. 167 LSG-Akte), was auch zu häufigem Einstuhlen führt, so dass der Kläger regelmäßig Windeln trägt. Auch nachts kommt es zu Stuhlabgang, was letztlich nach den Angaben des Klägers zur Trennung von der Ehefrau geführt hat. Es ist dem SG zwar dahingehend Recht zu geben, dass allein das Bedürfnis häufiger die Toilette aufsuchen zu müssen, nicht zu einem betriebsunüblichen Pausenbedarf führt, da für allein vier bis fünf Toilettengänge pro Tag die nach dem Arbeitszeitgesetz zustehenden Ruhepausen zusammen mit den zusätzlichen persönlichen Verteilzeiten ausreichen würden. Beim Kläger ist aber nicht allein notwendig, dass eine Toilette vorhanden und diese rasch aufgesucht werden können muss, sondern es kommt auch regelmäßig zu unwillkürlichem Stuhlabgang. Im Vergleich zur durchgeführten Rehamaßnahme und der Begutachtung im Verwaltungsverfahren ist es inzwischen zudem zu einer weiteren Verschlechterung der Symptomatik beim Kläger gekommen. So wird in den Berichten der Darmambulanz im Jahr 2020 noch ein fester bis flüssiger Stuhlgang fünf Mal pro Tag, ein Mal nachts beschrieben und im Rehaentlassbericht „nur“ berichtet, dass er manchmal Stuhlgang in der Unterhose entdecke. Inzwischen leidet der Kläger unter breiig bis flüssigem Stuhlgang. Es kommt nach Angaben des Klägers daher zwei- bis dreimal pro Tag zu einem unwillkürlichen Stuhlabgang, so dass nun täglich Windeln getragen werden müssen. Auch aus dem Alltagsverhalten lässt sich entnehmen, dass der Radius des Klägers eingeschränkt ist. So versorgt er zwar regelmäßig am Nachmittag die Kinder, die bei seiner getrenntlebenden Ehefrau leben. In der Regel bleibt er mit den Kindern aber in der Wohnung, bis sie von der Mutter abgeholt werden. Nicht zuletzt erfordert die bestehende Analfissur beim Kläger neben der Möglichkeit der Entsorgung von gebrauchten Windeln und der Möglichkeit sich umzuziehen, nach jedem Stuhlgang gute Hygiene, mit der Möglichkeit zum Ab-/ Ausduschen. Der Senat hat auch keinen Zweifel an den Feststellungen hierzu von T1 da sich auch aus den medizinischen weiteren Unterlagen eine Verschlechterung der Durchfallsymptomatik ergibt (z.B. wird auch im Gutachten von N1 von unregelmäßigem Stuhlabgang sowie dem Erfordernis von Windeln berichtet, vgl. Bl. 208 LSG-Akte). Auch wenn ein Arbeitgeber Toiletten in erreichbarer Nähe zur Arbeitsstätte vorhalten muss, so wird es in den wenigsten Fällen adäquate Möglichkeiten zum Umziehen, der notwendigen Hygienmaßnahmen (z.B. Abduschen) und dem sachgerechten Entsorgen von Hygieneprodukten geben, so dass eine berufliche Tätigkeit dem Kläger schon aus diesem Grund nicht zuzumuten ist.
Darüber hinaus ist der Senat nach den im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen davon überzeugt, dass zumindest seit der Begutachtung bei T1 der Arbeitsmarkt auch aufgrund fehlender Wegefähigkeit verschlossen ist. Denn neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Hat - wie hier - der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm möglich sein müssen, - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege absolvieren muss. Eine (volle) Erwerbsminderung setzt danach grundsätzlich voraus, dass der Versicherte nicht vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 Metern mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.2011 - B 13 R 79/11 R - juris, Rn. 20 m.w.N.). Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Dazu gehört z.B. auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeuges.
Aufgrund des Gesamtergebnisses der Beweisaufnahme, einschließlich der in den Verwaltungs-verfahren eingeholten ärztlichen Äußerungen, die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten kann (vgl. dazu BSG, Beschluss vom 14.11.2013 - B 9 SB 10/13 B - juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 05.02.2008 - B 2 U 8/07 R - juris, Rn. 51), steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger jedenfalls seit der Begutachtung bei T1 aufgrund der Morbus-Crohn-Erkrankung mit Durchfällen sowie plötzlicher und unvorhersehbarer Dranginkontinenz nicht mehr wegefähig ist. Ein früherer Wegfall der Wegefähigkeit kann anhand der vorliegenden Unterlagen nicht nachgewiesen werden.
Wie T1 ausgeführt hat, ist es aufgrund des bestehenden imperativen Stuhldrangs bzw. der Stuhlinkontinenz notwendig, dass der Kläger, jederzeit eine Toilette aufsuchen zu kann. Dies setzt zum einen einen relativ kurzen Arbeitsweg voraus, wobei der Senat offen lassen kann, ob der Kläger überhaupt die geforderten 500m zurücklegen könnte. Denn er kann zumindest nicht auf die Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel verwiesen werden, da diese entweder (etwa Busse oder Straßenbahnen) gar keine Toiletten oder (etwa in Regionalverkehrszügen) Toiletten nicht in quantitativ ausreichender und funktionell zuverlässiger Weise haben (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.12. 2020 - L 7 R 3817/19 -, juris Rn. 27 - 38. Darüber hinaus fehlt auch selbst für den Fall, dass eine funktionierende Toilette gegeben ist, wieder die Möglichkeit des Ab-/ Ausduschens nach dem Stuhlgang. Der Kläger kann auch nicht zumutbar auf die Nutzung eines Personenkraftwagens (Pkw) verwiesen werden. Unabhängig davon, ob der Kläger überhaupt noch in Besitz eines Kraftfahrzeuges ist, ist auch die regelmäßige Anfahrt mit einem Pkw zur Arbeit aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar. Denn auch die Anfahrt mit dem Pkw setzt aufgrund des imperativen Stuhldrangs die Möglichkeit des sofortigen Aufsuchens einer Toilette voraus, was auch bei der Benutzung eines Pkws nicht immer gegeben ist.
Die Einschränkung der Wegefähigkeit kann schließlich nicht durch den Verweis auf die Nutzung von Einlagen/Vorlagen beseitigt werden. Insofern ist für den Senat ohne Weiteres plausibel, dass die Nutzung von Einlagen/Vorlagen bei Stuhlinkontinenz - anders als unter Umständen etwa bei Harninkontinenz - einem Versicherten aufgrund der durch die entstehenden Gerüche zu vermutende soziale Stigmatisierung nicht zumutbar ist, zumal wenn er sich nicht etwa auf dem Weg nach Hause mit der Möglichkeit anschließender Hygienemaßnahmen, sondern auf dem Weg zur Arbeitsstätte befindet (vgl. auch hierzu LSG Baden-Württemberg a.a.O.).
Die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist lediglich als Zeitrente zu leisten. Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn (§ 102 Abs. 2 Satz 2 SGB V). Sie kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn (§ 102 Abs. 2 Satz 3 SGB VI). Verlängerungen erfolgen für längstens drei Jahre nach dem Ablauf der vorherigen Frist (§ 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI). Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen (§ 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI). Nach diesen Maßstäben ist die Rente lediglich befristet zu gewähren. Die dem Kläger zustehende Rente ist zwar unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass hinsichtlich der die Erwerbsminderung begründenden Wegefähigkeit und des Erfordernisses betriebsunüblicher Pausen eine Besserung eintritt und der Kläger - ggf. durch Optimierung der Therapie - wieder in der Lage sein wird, die erforderlichen Wege zu einem Arbeitsplatz zurückzulegen bzw. auf betriebsunübliche Pausen (wegen des Erfordernisses des Abduschens nach dem Stuhlgang) verzichten kann. Auch dies entnimmt der Senat dem Gutachten von T1, in dem u.a. ausgeführt wird, dass eine Therapie mit TBF-Alpha-Antikörpern zu empfehlen sei, um die Durchfallfrequenz und damit auch eine Besserung des imperativen Stuhldrangs zu erreichen. Der Therapieerfolg kann nach den Angaben im Gutachten zwar nicht sicher vorhergesagt werden, aber viele Patienten sprechen demnach auf diese Therapie gut an. Damit ist es zumindest nicht unwahrscheinlich, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann.
Eine Rente aus eigener Versicherung wird zudem gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzung für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, indem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat angeleistet, indem die Rente beantragt wird (§ 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet (§ 101 Abs. 1 SGB VI).
Die Verschlossenheit des Arbeitsmarktes kann vorliegend erst ab dem Begutachtungszeitpunkt bei T1 zur Überzeugung des Senats festgestellt werden. Der Senat konnte sich nicht von einem früheren Eintritt der Leistungsminderung überzeugen. Dies ergibt sich im Wesentlichen daraus, dass zwar die Frequenz des Stuhlganges bereits zuvor ähnlich hoch war. Bestand im Jahr 2020 aber noch ein fester bis flüssiger Stuhlgang und nur manchmal „Stuhlgang in der Unterhose“ liegt inzwischen Inkontinenz mit breiig bis flüssigem Stuhlgang vor. Es kommt nach Angaben des Klägers daher zwei- bis dreimal pro Tag zu einem unwillkürlichen Stuhlabgang, so dass nun täglich Windeln getragen werden müssen. Auch die seit 2020 regelmäßig angepasste Medikation - inzwischen erhält der Kläger eine TNF-Antikörpertherapie - und ihm wurde sogar als ultima ratio die Anlage eines Stomas angeboten, sprechen dafür, dass es seit Rentenantrag zu einer immer weiteren Verschlechterung der Symptomatik gekommen ist.
Ausgehend von einem somit erst am 25.08.2022 nachgewiesenen Versicherungsfall ist Rentenbeginn hier also der 01.03.2023 und die Rentengewährung aufgrund der Möglichkeit der Besserung (s.o.) bis zum 28.02.2026 zu befristen. Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind nach dem von der Beklagten vorgelegten Versicherungsverlauf vom 26.10.2023 für den hier festgestellten Versicherungsfall erfüllt. Soweit eine unbefristete Rente wegen Erwerbsminderung sowie eine Rentengewährung bereits ab Antragstellung begehrt worden ist, ist die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Kostengrundentscheidung ist nach § 193 Abs. 1 Satz 2 SGG vom Gericht nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu treffen. Die Ermessensentscheidung des Gerichts hat sich dabei an den Erfolgsaussichten (voraussichtliches Obsiegen oder Unterliegen), dem erreichten Prozessergebnis und den zur Klageerhebung sowie zur Erledigung des Rechtsstreits führenden Umständen zu orientieren. Werden erst während des Rechtsstreits die Anspruchsvoraussetzungen für das Begehren durch eine Veränderung der Verhältnisse erfüllt, hat die Beklagte dann keine Kosten zu tragen, wenn sie unverzüglich ein Anerkenntnis abgibt oder einen sachgerechten Vergleich anbietet (BSG, Beschluss vom 24.05.1991 - 7 RAr 2/91 - SozR 3-1500 § 193 Nr. 2). In einem solchen Fall kann davon ausgegangen werden, dass die Beklagte auf einen neuen Antrag hin die Leistung zuerkannt hätte und der Rechtsstreit nicht erforderlich gewesen wäre (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 14.12.2011 - L 3 R 247/10 -, juris, Rn. 44). Hier hat die Beklagte auch nach Vorlage des Gutachtens von T1 an dem ihrem auf Zurückweisung der Berufung in vollem Umfang gerichteten Antrag festgehalten. Nach billigem Ermessen war dem Kläger daher eine Kostenerstattung für das Berufungsverfahren im Umfang einer Quote von einem Drittel zuzusprechen, da der Senat die begehrte Rente wegen Erwerbsminderung nicht bereits wie beantragt ab Antragstellung, sondern erst ausgehend von einem Versicherungsfall am 25.08.2022 zugesprochen hat. Die Erstattung von Kosten für das Klageverfahren kam nicht in Betracht, da der Versicherungsfall erst nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens eingetreten ist.
Gründe für die Zulassung der Revision (§160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.