1. Eine direkte chemisch-irritative oder toxische Rhinopathie ist nicht als Krankheitsbild der Nr 4302 der Anlage 1 zur BKV feststellbar, da diese BK - anders als die BK 4301 (vgl hierzu Art 1 Nr 9 der Verordnung zur Änderung der BKV vom 22. März 1988, BGBl. I, S. 400; BR-Drs. 33/88 vom 22. Januar 1988, S. 9) - tatbestandlich nur obstruktive Erkrankungen der mittleren und tieferen/unteren Atemwege erfasst (siehe BSG, Urt v 30. Oktober 2007 - B 2 U 15/06 R - juris).
2. Es existieren auch keine neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine generelle Eignung zu einer Einwirkungs-Ursachenbeziehung zwischen beruflicher Ammoniakbelastung und Entstehung einer Rhinopathie/Hyposmie, die als gesichert iSv § 9 Abs 2 SGB VII zu berücksichtigen wären und mit denen der Verordnungsgeber sich hätte auseinandersetzen bzw eine Anerkennung oder Ablehnung dieser Gesundheitsstörungen als Berufskrankheit - ggf durch Erweiterung der BK 4302 - hätte prüfen können.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist in den verbundenen Verfahren, ob eine Beeinträchtigung des Geruchssinns (Hyposmie) sowie eine Nasenatmungsbehinderung einschließlich Überempfindlichkeit der Nasenschleimhäute/Nasenschleimhautentzündung (Rhinopathie) weitere Folgen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen – BK 4302) bzw. wie eine BK (Wie-BK) festzustellen sind und Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 vom Hundert (vH) zu leisten ist.
Die 1944 geborene Klägerin erlernte von 1961 bis 1963 den Beruf einer technischen Zeichnerin und war bis April 2003 als solche bzw. Pauserin beim VEB M. B., VEB W. B. bzw. bei den Katasterämtern B. und M. tätig.
Am 25. Februar 2002 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Anerkennung ihrer o.g. Leiden als Wie-BK. Am 30. Mai 2002 erhielt diese außerdem von der Fachärztin für HNO-Heilkunde Dr. K. die Anzeige über den Verdacht des Bestehens einer BK. Die Klägerin leide unter einer hyperplastischen Rhinitis mit oft zugeschwollener Nase. Während ihrer beruflichen Tätigkeit im Katasteramt M. habe sie mit Lichtpausen gearbeitet und hierbei mehrmals täglich eine 25 %ige Ammoniaklösung eingeatmet. Ferner benannte die Fachärztin für Augenheilkunde W. die Diagnosen Brillenkorrektur, Konjunktivitis und trockene Augen. Ursache hierfür seien Umwelteinflüsse und hormonelle Schwankungen (Bericht vom 20. Oktober 2002).
Der Präventionsdienst der Beklagten führte in seiner Stellungnahme vom 8. Oktober 2002 aus, als Entwickler für das belichtete Pauspapier werde Ammoniak genutzt. Der Entwicklungsprozess finde in der Lichtpausmaschine statt. Der erforderliche Ammoniak entstehe durch Verdampfung von 25 %igem Ammoniakwasser. Das verfahrensbedingt in der Atemluft entstehende Ammoniak könne zu Verätzungen, Reizungen der Atemwege, Lungenödemen, Herzrhythmusstörungen, einer Blutdruckerhöhung oder zu einer erhöhten Infektanfälligkeit führen. Messungen am Arbeitsplatz der Klägerin im Katasteramt B. (1992-1996) lägen nicht vor. Ab 1997 sei sie im Katasteramt M. beschäftigt. Dort hätten Messungen Ammoniakkonzentration zwischen 3,5 und 8,6 ppm ergeben (MAK-Wert: 50 ppm). Für das Umfüllen des Ammoniakwassers stehe eine Atemschutzmaske zur Verfügung. Die Klägerin sei (auch vor 1992) im Sinne der BK 4302 langjährig gegenüber Ammoniak exponiert gewesen.
In ihrer gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 9. Dezember 2002 empfahl Dr. F. mangels der Höhe nach ausreichender Exposition die Ablehnung einer BK 4302. Dem schloss sich die Beklagte mit Bescheid vom 4. Februar 2003 an. Den hiergegen noch im selben Monat erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. August 2003 als unbegründet zurück.
Die dagegen erhobene Klage wies das Sozialgericht (SG) nach Einholung des arbeitsmedizinischen Gutachtens Privatdozent (PD) Dr. D. vom 29. November 2004 mit Urteil vom 23. März 2005 ab. Im anschließenden Berufungsverfahren (L 6 U 66/05) erstattete der Facharzt für Innere Medizin und Arbeitsmedizin PD Dr. S. auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten vom 13. Juni 2006. Dieser gelangte zu den Diagnosen durch chemisch-irritativ und toxisch wirkende Gefahrstoffe (Ammoniak 25 %) verursachte Atemwegserkrankung mit der Sekundärkomplikation einer unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität sowie durch chemisch-irritativ und toxisch wirkende Gefahrstoffe (Ammoniak 25 %) verursachte Hyposmie. Berufsunabhängig bestünden eine Keratokonjunktivitis sicca beiderseits, ein Zustand nach Sinusitis frontalis, eine Fettstoffwechselstörung, eine Osteoporose und ein Zustand nach Appendektomie. Anamnestisch lägen bei der Klägerin seit 1998 zunehmende Riechstörungen mit Trockenheit und Brennen der Nase sowie ein Trockenheitsgefühl beider Augen vor. Eine Belastungsdyspnoe, chronischen Husten oder eine lnfektanfälligkeit sowie Beschwerden im Sinne einer unkonjugierten Hyperbilirubinämie (erhöhte Bilirubinkonzentration im Blut), einer allergischen Diathese oder einer saisonalen Allergie mit rhinokonjunktivalen und asthmatischen Beschwerden habe die Klägerin verneint. Der Geschmackssinn sei erhalten. Lungenfunktionell fänden sich Hinweise auf eine leichtgradige obstruktive Ventilationsstörung der großen Atemwege ohne Restriktion oder Lungenüberblähung sowie in Ruhe der Nachweis einer beginnenden respiratorischen Partialinsuffizienz. Die MdE sei hinsichtlich der BK 4302 angesichts der sekundären Hyperreagibilität ab dem 27. April 2006 (Untersuchungstag) um 20 vH zu veranschlagen. Hinsichtlich der Hyposmie komme eine Anerkennung als Wie-BK in Betracht, wobei die MdE insoweit um 10 vH einzuschätzen sei. Ammoniak sei generell geeignet, bei langjähriger und zeitweise intensiver Exposition eine toxische Hyposmie zu verursachen. Die Klägerin sei auf einem Einzelarbeitsplatz tätig gewesen. Ein arbeitsbedingt erhöhtes Risiko, dass Pauser in Katasterämtern an Riechstörungen litten, sei statistisch nicht belegbar.
Unter Vorlage der Äußerung ihrer Präventionsabteilung vom 28. September 2006 verwies die Beklagte unter dem 14. September und 17. Oktober 2006 u.a. darauf, dass die Klägerin auch in den VEB M. bzw. W. B. als Pauserin gearbeitet habe und ähnliche Ammoniakexpositionen in einer Vielzahl früherer Großbetriebe der DDR typisch gewesen seien. Damit habe es sich um keinen Einzelarbeitsplatz gehandelt. Dass für Pauser kein berufsgruppenspezifisch erhöhtes Erkrankungsrisiko nachweisbar sei, habe der Sachverständige selbst eingeräumt.
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 26. Februar 2007 bemaß PD Dr. S. die MdE weiterhin um 20 vH. Eine einheitliche Einwirkung sei – auch wenn mehrere Zielorgane betroffen seien – mit einer Gesamt-MdE zu entschädigen. Bei der Klägerin bestünden sowohl eine durch Ammoniak verursachte obstruktive Atemwegserkrankung im Sinne der BK 4302 als auch eine durch Ammoniak verursachte Anosmie (Hyposmie) als Wie-BK. Die einheitliche Wirkung auf die Zielorgane Geruchssinn und Bronchien sei daher mit einer Gesamt-MdE um 20 vH als BK 4302 zu erfassen, die auch die Hyposmie einschließe.
In seinen beratenden Stellungnahmen vom 31. Mai und 29. Juni 2007 schätzte der Internist und Kardiologe Dr. G. u.a. ein, unter Berücksichtigung des Reichenhaller Merkblattes sei eine MdE um 20 vH leidensgerecht.
Unter dem 19. September 2007 beendeten die Beteiligten das Berufungsverfahren vergleichsweise dadurch, dass die Beklagte die Atemwegserkrankung der Klägerin als BK 4302 anerkannte und sich verpflichtete, über einen Anspruch auf Verletztenrente nach nochmaliger Begutachtung gesondert zu entscheiden.
In seinem HNOärztlichen Gutachten vom 29. Juni 2008 diagnostizierte PD Dr. Z. eine funktionelle Riechminderung mit herabgesetzter Wahrnehmung der Aromen. Hinsichtlich der Nasenatmung liege unter funktionellen Gesichtspunkten eine mittelgradige Obstruktion mit teilweise paradoxer Schleimhautreaktion vor. Die Klägerin habe bei der Untersuchung am 19. Juni 2008 einen seit 1998 bestehenden Riechverlust angegeben, der subjektiv vollständig sei. Sie bemerke bei Kontakt aber beißenden Ammoniakgeruch und auch den Geruch von Benzin. Beeinträchtigungen des Geschmackssinns bestünden z.B. insofern, als sie gekochte Gerichte nicht mehr selbst abschmecken könne und Früchte alle gleich schmeckten. Hinsichtlich der Nasenatmung bestehe eine wechselnde Symptomatik mit teilweiser Verstopfung, aber auch trockenen inneren Nasenverhältnissen. Gelegentlich laufe die Nase und sie habe heftige Niesattacken. Nach Abschwellen sei links im Gegensatz zu rechts eine Verbesserung der Nasendurchgängigkeit eingetreten. Eine Verborkung der Schleimhäute liege nicht vor. Bei Überprüfung des Geschmackssinns seien die Qualitäten süß, sauer, salzig und bitter korrekt identifiziert werden. Die Riechbeschwerden seien anhand der olfaktorisch-evozierten Potenziale nicht zu objektivieren, womit ein vollständiger Riechverlust insgesamt auszuschließen sei.
Die Beklagte beauftragte Prof. Dr. W., nach Aktenlage das pneumologische Gutachten vom 31. Juli 2008 zu erstellen. Dieser schätzte ein, angesichts einer lediglich grenzwertigen Obstruktion und bronchialen Hyperreagibilität sowie respiratorischer Symptome im Sinne einer Belastungsdyspnoe sei die MdE um 10 vH zu bemessen. Eine medikamentöse Behandlung sei nicht erforderlich.
Unter dem 29. September 2008 berichtete Dr. K., Nasenprobleme in Form wiederkehrender Erkältungen und einer verstopften Nase habe die Klägerin erstmals 1998 und 1999 geäußert. Im Jahr 2000 habe sie eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes mit Abgeschlagenheit und Müdigkeit geklagt. Erst im Mai 2002 habe sie dann wieder angegeben, dass die Nase vollständig zu sei. Am 25. September 2003 habe die Klägerin erstmals konkret einen Riechverlust mitgeteilt. Damals sei die Nasenschleimhaut gerötet und verdickt gewesen. Die Rhinomanometrie habe eine mittelgradige Nasenatmungsbehinderung beiderseits und der Riechtest eine hochgradige Hyposmie ergeben. Ein Allergietest auf Inhalationsallergene sei bereits 1999 negativ ausgefallen.
Die Allgemeinmedizinerin Dipl.-Med. W. gab in ihrem Bericht vom 5. November 2008 an, die Klägerin stelle sich regelmäßig bei der Augen- und HNO-Ärztin vor. Erstere habe eine Keratokonjunktivitis diagnostiziert und regelmäßig Augentropfen verschrieben. HNO-ärztlich sei die Klägerin mit schleimhautpflegenden Medikamenten versorgt.
In seinem nach Aktenlage erstellten arbeitsmedizinisch-internistischen Gutachten vom 21. November 2008 gelangte Prof. Dr. M. zu den Diagnosen Hyposmie, chronische nasale Hyperreaktivität und chronische Otitis media. Ferner sei aufgrund der zugeschwollenen Nase und der gemessenen mittel- bis schwergradigen nasalen Obstruktion eine durch eine nasale Hyperreaktivität verursachte Rhinitis feststellbar. Die Exposition gegenüber Ammoniak sei langjährig und hoch gewesen. Auch wenn keine exakten Schwellendosen für die Entstehung einer toxischen Riechstörung, Rhinitis und nasalen Hyperreaktivität benannt werden könnten, sei nach gesicherten wissenschaftlichen Kenntnissen und aufgrund arbeitsmedizinischer Erfahrungen davon auszugehen, dass die Exposition der Klägerin hinreichend wahrscheinlich gewesen sei, die Krankheitsbilder zu verursachen. Die im Jahr 2003 beschriebene Verdickung der Nasenschleimhaut sei erst nach Ende der Exposition aufgetreten und daher nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Belastung zurückzuführen, zumal die Nasenschleimhaut rhinoskopisch bei mehreren Untersuchungen als unauffällig beschrieben worden sei. Die MdE sei insgesamt mit 10 vH zu bewerten.
Mit Bescheid vom 2. Dezember 2008 lehnte die Beklagte die Zahlung von Verletztenrente ab und stellte als Folge der BK 4302 eine Verengung der kleinen Atemwege im Sinne einer leichtgradigen bronchialen Überempfindlichkeit ohne geklagte Beschwerden bei klinischem Normalbefund, uneingeschränktem Gasaustausch und ohne Notwendigkeit einer atemwegserweiternden Therapie fest. Keine BK-Folgen seien laborchemisch nachgewiesene Blutwertveränderungen (Creaktives Protein, BIutsenkungsgeschwindigkeit, Harnsäure), eine Verminderung des Geruchssinns und eine toxische Nasenschleimhautschädigung mit dadurch bedingter erhöhter Anfälligkeit des Nasenraumes für unspezifische Reize.
Zur Begründung ihres hiergegen noch im selben Monat erhobenen Widerspruchs berief sich die Klägerin vor allem auf die Bewertung PD Dr. S.s. Auch die einem vollständigen Verlust gleichkommende Einschränkung des Geruchssinns, die auch nach Jahren ohne Kontakt noch immer bestehenden trockenen Augen, die Nasennebenhöhlenverschleimung sowie allergische Reaktionen auf bestimmte Stoffe seien BK-Folgen und dementsprechend bei der MdE-Bemessung zu berücksichtigen.
Unter dem 22. Januar 2009 teilte die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) der Beklagten auf entsprechende Anfrage mit, ihr seien keine neuen gesicherten Erkenntnisse bekannt, wonach eine bestimmte Personengruppe aufgrund einer besonderen beruflichen Einwirkung – insbesondere Ammoniak – in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung an Hyposmie leide. Der Ärztliche Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“ habe sich bislang nicht mit Geruchsstörungen befasst. Anknüpfend an die von der DGUV mitgeteilten sechs Fälle zog die Beklagte Unterlagen zu diesen bei. Darunter befindet sich u.a. ein Aufsatz von Prof. Dr. M. (et al.) mit der Schlussfolgerung, dem Ärztlichen Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“ die Aufnahme einer toxischen Riechstörung in die BK-Liste zu empfehlen (Zbl Arbeitsmed 1998, S. 66 ff.).
Mit Bescheid vom 10. März 2009 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Hyposmie, einer nasalen Hyperreaktivität und einer Rhinitis als Wie-BK ab. Den hiergegen am 7. April 2009 erhobenen Widerspruch wies sie mit auf dem Postweg übermitteltem Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2009 als unbegründet zurück. Hierin wird u.a. auf ein Telefonat mit Prof. Dr. M. vom 9. März 2009 verwiesen, wonach eine Sichtung der zwei repräsentativsten Datenbanken zu keinen neuen Erkenntnissen geführt habe.
Am 20. Juli 2009 hat die Klägerin vor dem SG Klage erhoben, das diese mit Urteil vom 26. Februar 2013 abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt hat: Voraussetzung zur Anerkennung der Hyposmie, der nasalen Hyperreaktivität oder der Rhinitis als Wie-BK sei nach § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII), dass eine bestimmte Personengruppe bei ihrer Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung bestimmten Einwirkungen ausgesetzt sei, diese Einwirkungen nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft geeignet seien, Krankheiten solcher Art zu verursachen und ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der gefährdenden Arbeit und der Erkrankung im konkreten Einzelfall hinreichend wahrscheinlich sei (u.a. Hinweis auf Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 20. Juli 2010 – B 2 U 19/09 R – juris; Urteil vom 30. Januar 1986 – 2 RU 80/84 – juris). Auch nach den Ausführungen PD Dr. S.s und Prof. Dr. M.s stehe fest, dass keine gesicherten Erkenntnisse vorlägen, nach denen eine bestimmte Personengruppe aufgrund berufsbedingter Ammoniakeinwirkung in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung an den o.g. Erkrankungen leide. Die DGUV habe dies ebenso bestätigt. Da andererseits eine Vielzahl von Arbeitsplätzen existiere, an denen Versicherte Umgang mit Ammoniak hätten, liege auch kein Seltenheitsfall vor.
Gegen das ihr am 14. März 2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15. April 2013 (Montag) beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) Berufung eingelegt, das diese zunächst ruhend gestellt hat (Beschluss vom 22. Juli 2015 – L 6 U 24/13).
Nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 24. September 2015 stellte der Lungenfacharzt Dr. A. unter dem 6. Oktober 2015 die Diagnosen anerkannte BK 4302, Adipositas ersten Grades (BMI 32), Hyperurikämie, Bluthochdruckerkrankung, Keratokonjuktivitis sicca beiderseits, Osteoporose und Zustand nach Appendektomie 1972. Die Klägerin habe Riech- und Geschmacksstörungen angegeben. Luftnot habe sie verneint; insgesamt sei sie gut belastbar. Lungenfunktionell bestehe keine obstruktive Ventilationsstörung, keine Restriktion und eine leichtgradig eingeschränkte Diffusionskapazität. Bei einem Abfall des FEV1-Wertes um 20 % gegenüber dem Ausgangswert im Methacholintest werde eine bronchiale Hyperreagibilität bei enger Betrachtung der Ruhegrenzen gerade so verfehlt. Die MdE sei entsprechend der Beurteilung Prof. Dr. W.s um 10 vH zu veranschlagen.
Die Klägerin wandte hierzu vor allem ein, im Gegensatz zur Untersuchung bei PD Dr. S. habe Dr. A. keine Lungenfunktionsdiagnostik mit ammoniakhaltigen Proben vorgenommen, was die Differenzen – auch hinsichtlich der bronchialen Hyperreagibilität – erkläre. Entgegen der Vermutung Dr. A.s sei der Anstieg des Sauerstoffpartialdrucks unter Belastung auch nicht vor allem auf das Übergewicht zurückzuführen.
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 1. Dezember 2015 führte Dr. A. aus, eine Provokationstestung mit Ammoniak sei nicht erfolgt, weil dies für die Beurteilung der aktuellen BK-Folgen nicht notwendig sei; die Zusammenhangsfrage sei geklärt. Darüber hinaus sei aus dem von der Klägerin mitgebrachten Material nicht ersichtlich gewesen, ob es sich um eine 25 %ige Ammoniaklösung oder eine andere Substanz gehandelt habe. Die Lungenfunktionsprüfung sei leitliniengerecht erfolgt. Das Körpergewicht sei bei der Beurteilung nicht mit in die Sollwertberechnung eingeflossen. Die Atemwegswiderstandserhöhung sei für sich kein Krankheitsparameter. Beim Belastungstest habe sich kein krankhafter Abfall des Sauerstoffpartialdrucks, sondern ein adäquater Anstieg gezeigt. Maßgeblich zur Feststellung einer unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität sei der Methacholintest und keine Provokationsuntersuchung.
Mit auf dem Postweg übermitteltem Widerspruchsbescheid vom 2. März 2016 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 2. Dezember 2008 als unbegründet zurück.
Am 4. April 2016 hat die Klägerin vor dem SG Klage erhoben und sich zur Begründung nochmals auf das Gutachten PD Dr. S.s gestützt. Dieser habe sowohl die Erkrankungen ihrer oberen als auch unteren Atemwege auf die beruflichen Bedingungen am Arbeitsplatz zurückgeführt. Daher seien in die BK 4302 sämtliche Atemwegserkrankungen einzubeziehen. Selbst wenn die unteren und oberen Atemwegserkrankungen für sich genommen jeweils nur mit einer MdE um 10 vH zu bemessen seien, ergebe sich jedenfalls insgesamt eine MdE um 20 vH.
Die Beklagte ist bei ihrer Ansicht geblieben. Die von PD Dr. S. dokumentierten Lungenfunktionswerte rechtfertigten keine MdE um 20 vH. Dies hätten im Ergebnis auch Prof. Dr. W. und Dr. A. bestätigt.
Mit Urteil vom 20. Februar 2020 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Sowohl PD Dr. S. als auch Prof. Dr. M. hätten die Hyposmie/Anosmie als primäre Folge der beruflichen Ammoniakeinwirkung eingeordnet. Als obstruktive Atemwegserkrankungen im Sinne der BK 4302 kämen nur ein Asthma bronchiale, eine COPD und ein Lungenemphysem, nicht jedoch eine Rhinopathie, eine Veränderung des Geruchs- oder Geschmackssinns oder eine toxische Rhinitis in Betracht (Hinweis auf Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Stand Februar 2019, Nr. 4302, Seite 6; Reichenhaller Empfehlung, Stand November 2012, S. 29 ff.) Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die anerkannte leichtgradige bronchiale Überempfindlichkeit mittelbar zu einer Beeinträchtigung des Geruchs- und Geschmackssinns bzw. der Rhinitis geführt habe, lägen nicht vor. Demnach scheide eine Anerkennung dieser Erkrankungen als weitere Folgen der BK 4302 aus. Da die leichtgradige bronchiale Überempfindlichkeit entsprechend den überzeugenden Darlegungen Prof. Dr. W.s und Dr. A.s keine MdE um mindestens 20 vH rechtfertige, habe die Klägerin auch keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente. Auch PD Dr. S. habe allenfalls eine leichtgradige obstruktive Ventilationsstörung der Atemwege ohne Hinweise auf eine Restriktion oder Lungenüberblähung festgestellt. Aus seiner ergänzenden Stellungnahme vom 26. Februar 2006 ergebe sich zudem, dass er die MdE um 20 vH unter Berücksichtigung der Anosmie eingeschätzt habe, die aber keine BK-Folge und daher nicht bei der MdE-Bemessung zu berücksichtigen sei. Dem widerspreche auch nicht das Gutachten PD Dr. Z.s. Denn dieser habe lediglich eine mittel- bis schwergradige nasale Obstruktion mit einer Störung der Nasendurchgängigkeit, nicht aber eine Lungenfunktionsstörung, festgestellt. Zudem habe die Klägerin ihm gegenüber keine Lungenprobleme angegeben. Aus den Berichten Dr. K.s und Dipl.-Med. W.s gingen ebenfalls keine Hinweise darauf hervor, dass zu einem früheren Zeitpunkt weitergehende Lungenfunktionsstörungen bestanden hätten.
Gegen das ihr am 28. Februar 2020 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 30. März 2020 unter Wiederholung ihres Vorbringens beim LSG Berufung eingelegt und sich ergänzend auf das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten gestützt. Nach diesem seien entgegen der Ansicht der Beklagten auch eine Überempfindlichkeit der Nasenschleimhäute bzw. eine chronische Nasenschleimhautentzündung mit Beeinträchtigungen des Geruchssinns vom Tatbestand der BK 4302 erfasst, jedenfalls als Wie-BK feststellbar.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Magdeburg vom 26. Februar 2013 und 20. Februar 2020 aufzuheben, unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 10. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2009 und Abänderung des Bescheides vom 2. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2016 auch eine Rhinopathie mit Hyposmie als Folge der Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung bzw. wie eine Berufskrankheit festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihr vom 1. April 2003 an Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 vH zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidungen des SG im Ergebnis für zutreffend. Beeinträchtigungen des Geruchs- und Geschmackssinns, eine Überempfindlichkeit der Nasenschleimhäute bzw. eine chronische Nasenschleimhautentzündung seien weder als BK 4302 noch Wie-BK anzuerkennen. Auch der vom LSG eingeschaltete Sachverständige habe darauf verwiesen, dass die BK 4302 nur bronchialobstruktive Atemwegserkrankungen erfasse. Die anerkannten BK-Folgen bedingten keine MdE um mindestens 20 vH.
Auf entsprechende gerichtliche Anfrage hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“ unter dem 30. März 2015 mitgeteilt, neue Erkenntnisse, dass eine bestimmte Personengruppe durch berufliche Ammoniakeinwirkungen in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung an Hyposmie, Rhinitis oder nasaler Hyperreaktivität erkrankt sei, lägen ihm nicht vor.
Mit Beschluss vom 20. Juli 2020 hat der Senat die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und von Prof. Dr. B. das arbeitsmedizinisch-pneumologische Gutachten vom 1. Dezember 2020 eingeholt. Diesem gegenüber hat die Klägerin u.a. erklärt, wegen bronchialer Beschwerden und Luftnot wiederholt einen Lungenfacharzt aufgesucht zu haben; bislang habe sie aber keine Asthmamedikamente bekommen. Früher habe sie drei bis fünf Zigaretten täglich geraucht; seit 20 Jahren rauche sie nicht mehr. Prof. Dr. B. hat lungenfunktionell eine im Normbereich liegende Vital- und Totalkapazität ohne Hinweise auf eine restriktive Ventilationsstörung gemessen. Die Atemwegswiderstände seien leicht bis mäßiggradig erhöht und der Einsekundenatemstoßwert unauffällig. Der Anteil des Residualvolumens an der Totalkapazität sei diskret erhöht und alle forcierten exspiratorischen Flüsse seien vermindert (55-61 % des Referenzwerts). Die Diffusionskapazität sei mit 53,6 % vermindert. Im Methacholin-Provokationstest sei bereits nach der ersten Stufe eine leichte Zunahme des spezifischen Atemwegswiderstands (von 1,51 auf 1,97) ohne Änderung der Einsekundenkapazität aufgetreten. Demnach handele es sich insgesamt um eine obstruktive Ventilationsstörung mit Beteiligung der tieferen mittleren und kleinen Atemwege (bronchialobstruktive Erkrankung) sowie der oberen Atemwege (chronische obstruktive Rhinopathie mit Behinderung des Atemflusses) nebst Riechstörung. Das Merkblatt zur BK 4302 beziehe sich formal zwar nur auf bronchialobstruktive Erkrankungen. Vom Tatbestand der BK 4302 sei eine Rhinopathie mit erheblicher Riechstörung aber nicht ausgeschlossen, so dass entsprechend der Argumentation PD Dr. S. eine Erfassung auch insoweit möglich sei. Ansonsten komme die Anerkennung als Wie-BK in Betracht. Hinsichtlich einer Rhinopathie lägen im Unterschied zur Hyposmie zwar keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse hinsichtlich einer Verursachung durch berufliche Ammoniakeinwirkung vor. Der Ärztliche Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“ habe jedoch weder vor noch nach der Verabschiedung der BK 4302 im Jahr 1979 geprüft, inwieweit eine Rhinopathie bzw. Hyposmie/Anosmie der BK 4302 zuzuordnen sei.
Da die bronchialobstruktive Atemwegserkrankung langjährig streng expositionsbezogen aufgetreten sei, sich nach einer fast 40 Jahre anhaltenden erheblichen Belastung Ende der 1990er Jahre verstärkt und typisch chronisch manifestiert habe sowie auch fachärztlich diagnostiziert worden sei, bestehe ein wahrscheinlicher beruflicher Ursachenzusammenhang. Die bronchialobstruktiven Veränderungen seien ganz überwiegend nicht durch die Adipositas zu erklären. Eine differenzialdiagnostisch relevante angeborene Gesundheitsstörung wie z.B. eine Anomalie im Bereich der oberen oder tieferen mittleren Atemwege scheide ebenso aus. Dass keine konsequenten lungenfachärztlichen Konsultationen erfolgten und bis heute keine laut Leitlinie angezeigte Therapie durchgeführt werde, stehe der bronchialobstruktiven Atemwegserkrankung ebenso wenig entgegen wie die nicht eingeschränkten FEV1/FVC-Werte. Denn die Erkrankung verlaufe typischerweise wechselhaft. Für die berufsbedingte Entstehung der Rhinopathie und Hyposmie sprächen die für die Exposition typischen Krankheitssymptome (insbesondere die akuten Reizwirkungen im Bereich der Schleimhäute der oberen Atemwege mit rhinitischen Beschwerden), die fachärztlich festgestellten Befunde, die zeitliche Koinzidenz zwischen der langjährigen beruflichen Schadstoffbelastung und dem Auftreten dieser Befunde sowie das Fehlen anderweitiger Krankheitsursachen wie vorbestehende Leiden, schwere oder rezidivierende Infektionen im Bereich der Nase und der Nasennebenhöhlen bzw. Allergien auf ubiquitäre Allergene.
Die obstruktive Erkrankung der tieferen mittleren und kleinen Atemwege sei ab dem Ausscheiden der Klägerin aus ihrem Beruf im April 2003 mit einer MdE um 20 % zu bewerten, wofür vor allem die Belastungsdyspnoe, die Einschränkung der Lungenfunktionsparameter, die bronchiale Hyperreagibilität sowie die Therapiebedürftigkeit maßgeblich seien. Für die chronisch obstruktive Rhinopathie und Hyposmie sei unabhängig von der formalen Zuordnung eine MdE um 15 vH zu veranschlagen, womit insgesamt eine MdE um 30 vH zu empfehlen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Die Bescheide der Beklagten vom 10. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2009 und 2. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2016 beschweren die Klägerin nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Ihre Rhinopathie nebst Hyposmie ist weder als Folge der anerkannten BK 4302 noch wie eine BK feststellbar (nachfolgend unter 1. bzw. 2.). Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Verletztenrente (hierzu unter 3.).
1. Nachgewiesene Gesundheitsstörungen können einer BK grundsätzlich dann als zusätzliche Folgen zuzurechnen sein, wenn zwischen der versicherten Tätigkeit und den beruflichen Einwirkungen sowie zwischen diesen und den primär einschlägigen Erkrankungen ein hinreichend wahrscheinlicher Ursachenzusammenhang besteht oder aber diese Gesundheitsstörungen hinreichend wahrscheinlich durch die anerkannten BK-Folgen – also mittelbar – verursacht worden sind (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 5/05 R – juris).
Vorliegend ist eine Rhinopathie mit Hyposmie im Sinne einer Nasenatmungsbehinderung mit Überempfindlichkeit der Nasenschleimhäute bzw. chronischer Nasenschleimhautentzündung mit Beeinträchtigung des Geruchssinns insbesondere auf Grundlage der Gutachten von PD Dr. S., PD Dr. Z. und Prof. Dr. B. belegt. Ebenso ist nach dem Bescheid vom 2. Dezember 2008 sowie den Darlegungen aller eingeschalteten Gutachter und Sachverständigen unstrittig, dass diese Erkrankung durch die berufsbedingte Ammoniakeinwirkung verursacht worden ist, wie Prof. Dr. B. zuletzt nochmals bekräftigt hat.
Eine Anerkennung der Rhinopathie nebst Hyposmie als Krankheitsbild der BK 4302 scheidet jedoch deshalb aus, weil eine direkte chemischirritative oder toxische Rhinopathie nicht von dieser BK erfasst wird (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007 – B 2 U 15/06 R – juris). Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Norm in seinem systematischen Zusammenhang. Der Begriff der „obstruktiven Atemwegserkrankungen" erscheint in der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) in den Nrn. 4301 und 4302. Während der Begriff in der Nr. 4301 durch den Klammerzusatz „(einschließlich Rhinopathie)" ergänzt wird, fehlt eine solche Erweiterung bei der BK 4302. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass der Begriff der obstruktiven Atemwegserkrankung die Rhinopathie als Funktionsstörung der oberen Atemwege – rechtlich – nicht von vornherein mit einschließt. Ansonsten wäre der Klammerzusatz überflüssig und damit falsch, wovon nicht ausgegangen werden kann (BSG, a.a.O., Rn. 15). Auch die Normentwicklung spricht für diese Rechtsauslegung (ausführlich hierzu BSG, a.a.O., Rn. 16). Folglich umfasst die BK 4302 – anders als die BK 4301 (vgl. hierzu Art. 1 Nr. 9 der Verordnung zur Änderung der BKV vom 22. März 1988, BGBl. I, S. 400; BR-Drs. 33/88 vom 22. Januar 1988, S. 9) – tatbestandlich nur obstruktive Erkrankungen der mittleren und tieferen/unteren Atemwege.
Für eine mittelbare Verursachung durch die als Folge der BK 4302 bestehende Verengung der mittleren und tieferen kleinen Atemwege nebst bronchialen Überempfindlichkeit besteht kein Anhaltspunkt, so dass auch insoweit eine Erfassung der Rhinopathie/Hyposmie im Rahmen der BK 4302 ausscheidet. Hierauf hat im Urteil vom 20. Februar 2020 bereits das SG zutreffend hingewiesen.
2. Die nach § 9 Abs. 2 SGB VII erforderlichen Voraussetzungen zur Feststellung einer Wie-BK (vgl. hierzu nur BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 – B 2 U 6/12 R – juris; Urteil vom 20. Juli 2010 – B 2 U 19/09 R – s.o.) sind vorliegend hinsichtlich der Rhinopathie/Hyposmie ebenfalls nicht erfüllt, wobei auch kein Spielraum im Sinne einer allgemeinen Härtefall- oder Auffangklausel verbleibt (vgl. hierzu etwa BSG, Urteil vom 13. Februar 2013 – B 2 U 33/11 R – juris, Rn. 17; Urteil vom 27. April 2010 – B 2 U 13/09 R – juris, Rn. 9, jew. m.w.N.).
Gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII erfordert die Feststellung einer Wie-BK, dass im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Abs. 1 Satz 2 der Norm erfüllt sind. Es muss sich also um eine Erkrankung handeln, die durch besondere Einwirkungen, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, verursacht wird. Danach setzt die Anerkennung einer Erkrankung wie eine BK Folgendes voraus (siehe z.B. BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 – B 2 U 6/12 R – s.o.; Urteil vom 13. Februar 2013 – B 2 U 33/11 R – s.o.; Urteil vom 20. Juli 2012 – B 2 U 19/09 R – s.o.):
Der Versicherte muss die Feststellung einer bestimmten Krankheit wie eine BK beanspruchen.
Die Voraussetzungen einer in der Anlage 1 zur BKV bezeichneten Krankheit dürfen nicht vorliegen.
Die Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als Listen-BK durch den Verordnungsgeber nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII müssen erfüllt sein (es muss also eine bestimmte Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit besonderen Einwirkungen in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt [gewesen] sein und es müssen medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse über das Bestehen einer Einwirkungs- und Verursachungsbeziehung existieren).
Die zu Grunde liegenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen neu sein.
Schließlich müssen die unter 3. bezeichneten Voraussetzungen im individuellen Fall des Versicherten vorliegen.
Ausgehend hiervon ist die Rhinopathie nebst Hyposmie hier nicht als Wie-BK feststellbar.
Diese Erkrankungen sind bei der Klägerin zunächst gesichert (s.o.) und sie beansprucht auch deren Feststellung als Wie-BK. Ebenso erfüllen diese Krankheiten nicht die Voraussetzungen einer Listen-BK; insbesondere werden sie nicht vom Tatbestand der BK 4302 erfasst (s.o.). Schließlich ist eine Krankheitsverursachung durch die berufsbedingte Einwirkung von Ammoniak bei der Klägerin sogar unstrittig (s.o.). Der Feststellung der Rhinopathie/Hyposmie als Wie-BK steht aber entgegen, dass zur Überzeugung des Senats keine neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse hinreichend gesichert sind, wonach das Risiko, an diesen Leiden zu erkranken, bei irgendeiner abgrenzbaren Berufsgruppe erheblich über demjenigen der Durchschnittsbevölkerung liegt und daher ein Kausalzusammenhang zwischen der beruflichen Einwirkung von Ammoniak und der Entstehung einer Rhinopathie bzw. Hyposmie wahrscheinlich wäre. Denn auch nach den Darlegungen PD Dr. S.s und Prof. Dr. B.s steht nicht fest, welche Versicherten konkret regelmäßig beruflich gegenüber Ammoniak exponiert und somit überhaupt im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII als Personengruppe bestimmbar sind.
Zwar sind an die bestimmte Personengruppe im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII hinsichtlich ihrer Größe oder sonstigen charakterisierenden Merkmale keine besonderen Anforderungen zu stellen (siehe nochmals BSG, Urteil vom 27. April 2010 – B 2 U 13/09 R – juris, Rn. 19). Weder für den Zeitpunkt des Erkrankungseintritts, des Erlasses des Bescheides vom 10. März 2009 noch denjenigen der letzten BKV-Änderung durch Art. 1 der Fünften Verordnung zur Änderung der BKV vom 29. Juni 2021 (BGBl. I, S. 2245) sind jedoch neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse hinsichtlich eines Ursachenzusammenhangs zwischen einer Ammoniakexposition und einer Rhinopathie/Hyposmie ersichtlich, die als gesichert zu berücksichtigen wären (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt nochmals BSG, Urteil vom 13. Februar 2013 – B 2 U 33/11 R – s.o.). Bezüglich der Rhinopathie wird entsprechendes ausdrücklich auch von Prof. Dr. B. eingeräumt. Soweit vom Sachverständigen auf die Hyposmie abgestellt wird, ist hiermit inhaltlich im Wesentlichen Prof. Dr. M. angesprochen, der sich diesbezüglich vor allem im o.g. Aufsatz aus dem Jahr 1998 geäußert hat. Diskutiert wird hierin auf Basis zweier Einzelfälle (Elektromechaniker bzw. Tankanlagenmonteur), die gegenüber verschiedenen schleimhautreizenden Substanzen (z.B. Formaldehyd, organischen Lösungsmitteln) exponiert gewesen seien, allein die Möglichkeit, dass zahlreiche Substanzen aus der Arbeitswelt Hyp- und Anosmien verursachen können. Ein hinsichtlich der beruflichen Einwirkung von Ammoniak ableitbarer Ursachenzusammenhang ist dort nicht hervorgehoben, den Prof. Dr. M. auch laut der Beklagten am 9. März 2009 selbst in Abrede gestellt hat. Dies entspricht den Darlegungen PD Dr. S.s, wonach für Pauser auch statistisch kein berufsgruppenspezifisch erhöhtes Hyposmierisiko nachweisbar ist.
Dem Ärztlichen Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“ liegt nach seinen eingeholten Mitteilungen nichts Anderes vor. Auch derzeit finden bei ihm zur Rhinopathie/Hyposmie weder Beratungen statt noch sind insoweit Empfehlungen ersichtlich (siehe unter: https://www.bmas.de/DE/Soziales/Gesetzliche-Unfallversicherung/Aerztlicher-Sachverstaendigenbeirat/aerztliche-sachverstaendigenbeirat.html).
Bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung existieren folglich keine wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine generelle Eignung zu einer Einwirkungs-Ursachenbeziehung zwischen beruflicher Ammoniakbelastung und Entstehung einer Rhinopathie/Hyposmie, mit denen der Verordnungsgeber sich hätte auseinandersetzen bzw. eine Anerkennung oder Ablehnung dieser Gesundheitsstörungen (bei Pausern) als BK – ggf. durch Erweiterung der BK 4302 – hätte prüfen können. Es fehlt damit an den abstrakten Erfordernissen des § 9 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 2 SGB VII im Sinne der o.g. Voraussetzungen 3 und 4. Darauf, dass die Klägerin entgegen PD Dr. S. auf keinem Einzelarbeitsplatz tätig gewesen ist, hat die Beklagte bereits unter dem 14. September und 17. Oktober 2006 überzeugend hingewiesen.
3. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Verletztenrente.
Ein solcher setzt nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII voraus, dass die Erwerbsfähigkeit der Klägerin infolge der BK 4302 über die 26. Woche nach Eintritt des Versicherungsfalls hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist. Der Grad der MdE richtet sich gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens. Die Bemessung der MdE ist eine rechtliche Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung unter Berücksichtigung der in Rechtsprechung und im einschlägigen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze trifft, die in Form von Tabellenwerten oder Empfehlungen zusammengefasst sind (siehe im vorliegenden Zusammenhang etwa Reichenhaller Empfehlung, S. 74 f.). Diese sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend. Sie bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und sind die Basis für den Vorschlag, den der medizinische Sachverständige dem Gericht zur Höhe der MdE unterbreitet (vgl. nur BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 – B 2 U 14/03 R – juris; Urteil vom 18. März 2003 – B 2 U 31/02 R – Breithaupt 2003, 565).
Ausgehend hiervon ist die bei der Klägerin als BK 4302 bestehende Verengung der mittleren und tieferen Atemwege nebst bronchialer Hyperreagibilität im Sinne der zuletzt von Prof. Dr. B. belegten obstruktiven Ventilationsstörung entsprechend den überzeugenden Vorschlägen Prof. Dr. W.s und Dr. A.s mit einer MdE um 10 vH zu bemessen. Denn angesichts der durchgehend lediglich grenzwertigen klinischen und lungenfunktionellen Befunde, der ärztlich mehrfach verneinten Erforderlichkeit einer medikamentösen Therapie sowie der anamnestisch im Wesentlichen noch geringen Beschwerden ist insoweit entgegen Prof. Dr. B. noch keine MdE um 20 vH begründbar (vgl. nochmals Reichenhaller Empfehlung, S. 74, f.).
Dieser MdE-Grad ist auch nicht um die von PD Dr. S., Prof. Dr. M. bzw. Prof. Dr. B. für die Rhinopathie nebst Hyposmie veranschlagte MdE um 10 bzw. 15 vH zu erhöhen. Zwar ist bei der MdE-Festsetzung ggf. auch zu berücksichtigen, ob die Folgen des Versicherungsfalls andere gesundheitliche Leiden des Versicherten beeinflussen, wie dies typischerweise bei Betroffenheit derselben Körperfunktion durch zwei Schäden/Erkrankungen der Fall sein kann. Die entsprechende Gesundheitsstörung muss dabei auch nicht ihrerseits als BK oder deren Folge anerkannt sein (vgl. insoweit zu Vorschäden BSG, Urteil vom 5. September 2006 – B 2 U 25/05 R – juris, Rn. 11 ff. und 15 ff.). Hier hat jedoch kein eingeschalteter Gutachter bzw. Sachverständiger die Ansicht vertreten, dass die als BK 4302 anerkannte obstruktive Ventilationsstörung der mittleren und tiefen Atemwege die Rhinopathie/Hyposmie überhaupt (erschwerend) beeinflusst.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Frage der fehlenden Anerkennungsmöglichkeit einer Rhinopathie/Hyposmie als Folge einer BK 4302 bzw. wie eine BK bei zugleich unstrittiger individueller beruflicher Krankheitsverursachung für grundsätzlich bedeutsam hält (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).