L 5 AS 97/23

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 18 AS 2669/17
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 5 AS 97/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Der Bezug einer "Versicherungsaltersrente" von dem Rentenfond der Russischen Föderation führt zum Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 SGB II. Dies gilt auch, wenn die Rente wegen eines behinderten Kindes mit Abschlägen vorzeitig in Anspruch genommen wurde. 2. Die Rücknahme von rechtswidrigen vorläufigen Leistungen nach dem SGB II für die Vergangenheit gemäß § 45 Abs 1 SGB X ist auch nach Einführung von § 41a Abs 2 Satz 4 SGB X zum 1. August 2016 zulässig. 3. Zu den Anforderungen an die grob fahrlässige Verletzung von Mitteilungspflichten bei fehlenden Deutschkenntnissen. 4. Ein vorrangiger Erstattungsanspruch des Jobcenters gegen den Träger der örtlichen Sozialhilfe setzt nach § 105 Abs. 3 SGB X dessen Kenntnis von der Hilfebedürftigkeit im Erstattungszeitraum voraus. 5. Es kann offenbleiben, ob eine an das Jobcenter gezahlte Geldauflage zur Schadenswiedergutmachung gemäß § 153a Abs. 1 Nr. 2 StPO bei der Vollstreckung eingewendet werden kann. Bei der Feststellung der Erstattung überzahlter Leistungen gemäß § 50 Abs. 1 SGB X sind diese Zahlungen nicht zu berücksichtigen.

Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 9. August 2019 sowie der Bescheid des Beklagten vom 25. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. August 2017 werden aufgehoben, soweit der Beklagte gegenüber der Klägerin zu 2. für die Zeit vom 15. September 2009 bis 31. Dezember 2010 Beiträge zur Rentenversicherung i.H.v. 633,76 € und für die Zeit vom 1. Januar bis 30. April 2014 Leistungen i.H.v. mehr als 2.115,83 € zur Erstattung gestellt hat, sowie die Bewilligung für September 2016 i.H.v. mehr als 237,64 € und für Oktober 2016 i.H.v. mehr als 243,12 € zurückgenommen und zur Erstattung gestellt hat.

Im Übrigen wird die Berufung der Kläger zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten sind die Rücknahme der Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) und die Erstattung von insgesamt 49.496,66 € für den Zeitraum vom 15. September 2009 bis 31. Oktober 2016 wegen des Bezugs einer Versicherungsaltersrente vom Rentenfond der Russischen Föderation.

Die 1959 geborene Klägerin ist russische Staatsangehörige. Sie hatte nach Abschluss der Mittelschule (10. Klasse) eine Ausbildung als Zuschneiderin für Kinder- und Damenoberbekleidung absolviert. Bis zur Übersiedlung war sie im Ausbildungsberuf, als Schneiderin, als Sozialarbeiterin, als Sachbearbeiterin an einer Kunstschule für Kinder mit Zuständigkeit für Beitragskassierung durchgängig tätig gewesen. Sie war im Oktober 1999 mit ihrem Ehemann, dem Kläger, und der Tochter nach Deutschland übergesiedelt. Bis Oktober 2004 hatte sie vom Sozialamt des Landkreises B. Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) erhalten.

Ab Januar 2005 bezogen die Kläger als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II. Bis 31. Dezember 2010 wurden für die Klägerin Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung abgeführt. Ab Juni 2014 wurden für sie Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung abgeführt.

In den Formular-Weiterzahlungsanträgen war bis 2010 jeweils allgemein nach Veränderungen der Einkommensverhältnisse gefragt worden. Ab 2011 enthielten die Antragsformulare bei der Frage nach den Einkommensverhältnissen ausdrücklich den Hinweis auf mitzuteilende „Renten“. In den jeweiligen Leistungsbescheiden wurden die Kläger ferner auf die Verpflichtung hingewiesen, alle Änderungen in den persönlichen, familiären, wirtschaftlichen oder sonstigen Verhältnissen unverzüglich und unaufgefordert mitzuteilen (mit Hinweis auf § 60 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil [SGB I]). Dies erfolgte auch in dem Bescheid vom 24. Juni 2009 für den Zeitraum von Juli bis Dezember 2009.

Die Klägerin bezieht seit dem 15. September 2009 eine „Versicherungsaltersrente“ ab dem 50. Lebensjahr vom Rentenfond der Russischen Föderation. In dem Personenkonto der Staatlichen Einrichtung Verwaltung des Rentenfonds Russlands ist vermerkt: „Rente - (10220) Altersrente (Arbeit) / Mutter eines behinderten Kindes“. Die laufende Zahlung wurde im November 2009 aufgenommen und auf ein russisches Sparkonto überwiesen. Der monatliche Zahlbetrag betrug im Jahr 2009 3.458,92 Rub. und im August 2016 6.445,76 Rub. (=88,69 €). Im September 2016 lag das Guthaben auf dem Sparkonto bei 3.184,15 €.

In den ab Januar 2010, überwiegend von beiden Klägern unterschriebenen Kurzanträgen gaben diese die Versicherungsaltersrente jeweils nicht an.

Der Beklagte gewährte auf die Weiterzahlungsanträge der Kläger jeweils laufende Leistungen. Diese wurden ab Januar 2015 vorläufig bewilligt. Zuletzt hatte der Beklagte mit Bescheid vom 27. Juni 2016 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 25. Juli 2016 vorläufige Leistungen für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2016 bewilligt.

Am 21. Juli 2016 erhielt der Beklagte eine anonyme Mitteilung über die in Russland bezogene Rente.

Ein daraufhin gegen die Kläger eingeleitetes Strafverfahren wurde im Juni 2018 gemäß § 153a Abs. 1 Nr. 2 Strafprozessordnung (StPO) gegen Zahlung einer Geldauflage zur Schadenswiedergutmachung i.H.v. jeweils 1.000 €, davon jeweils 500 € zahlbar an den Beklagten und an die Landeskasse, eingestellt.

Der Beklagte stellte die Zahlung der Leistungen nach dem SGB II für die Klägerin zum 31. Oktober 2016 ein. Er meldete bei dem Sozialamt des S.kreises am 16. September 2016 einen Erstattungsanspruch an. Dieser bewilligte der Klägerin ab 1. September 2016 Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII) als Vorschuss/Vorwegzahlung (Bescheide vom 18. Oktober 2016 und 28. Februar 2017). Die laufenden Zahlungen erfolgten erst ab 1. November 2016. Die Leistungen für die Monate September (433,11 €) und Oktober 2016 (erst 421,38 €, reduziert auf 415,90 € mit Verrechnung der Überzahlungen in April/Mai 2017) sollten gemäß dem Erstattungsersuchen vom 16. September 2016 an den Beklagten erstattet werden.

Die Klägerin gab bei einer persönlichen Vorsprache beim Beklagten am 16. September 2016 an, auf das Sparbuch könne sie nur in Russland zugreifen. Unter dem 19. September 2016 teilte sie schriftlich mit, sie habe nicht gewusst, dass sie die russische Rente beim Jobcenter melden müsse.

Der Beklagte hörte die Kläger unter dem 12. Dezember 2016 zur beabsichtigten Erstattung von Arbeitslosengeld II und Sozialversicherungs(SV)-beiträgen i.H.v. insgesamt 49.492,57 € (davon 4.803,66 € Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungsbeiträge, (letztere für den Zeitraum vom 15. September 2009 bis 31. Dezember 2010), sowie den Zusatzbeitrag für die Krankenversicherung) an. Wegen der Versicherungsaltersrente bestehe kein Leistungsanspruch nach dem SGB II. Kommunikationsprobleme beim Umgang mit Behörden könnten nicht als Grund für die unterbliebene Bekanntgabe angeführt werden. Es sei beabsichtigt, die Bewilligungen aufzuheben/zurückzunehmen und die Erstattung der Leistungen zu verlangen.

Die Klägerin führte daraufhin aus: Die Versicherungsaltersrente habe ihr nicht zur Verfügung gestanden. Sie sei auch nicht über deren Bezug befragt worden. Sie sei davon ausgegangen, dass es hinsichtlich des Rentenalters auf das deutsche Rentenrecht ankomme.

Der Beklagte hob mit Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 25. April 2017 gemäß § 45 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) die Leistungsbewilligungen für die Klägerin für die Zeit vom 15. September 2009 bis zum 31. Oktober 2016 vollständig auf. Sie hob ferner die Leistungsbewilligungen für den Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. April 2014 teilweise auf (Überzahlung insgesamt: 27,05 € [wegen alleiniger Anrechnung seines einzusetzenden Einkommens auf seinen Hilfebedarf]). Für den Kläger ergab sich ein höherer Leistungsanspruch im November 2011 (+0,01 €) und in dem Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis 31. Oktober 2016 (gesamt: +231,50 € [wegen alleiniger Anrechnung seines einzusetzenden Einkommens auf seinen Hilfebedarf]). Um diese Nachzahlungsansprüche des Klägers reduzierte der Beklagte die jeweiligen Rückforderungen gegenüber der Klägerin.

Die Klägerin habe gemäß § 50 Abs. 1 SGB X und § 40 Abs. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 335 Abs. 1, 5 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) insgesamt 49.496,66 € (Leistungen nach dem SGB II für den gesamten Zeitraum und die SV-Beiträge (für KV, PV, RV) zu erstatten. Auch der an den Kläger in der Zeit von Januar bis April 2014 überzahlte Betrag i.H.v. 27,05 € wurde gegenüber der Klägerin zur Erstattung gestellt.

Die Klägerin sei seit dem 15. September 2009 wegen des Bezugs der Rente von Leistungen nach § 7 Abs. 4 SGB II ausgeschlossen. Die fehlerhafte Bewilligung sei erfolgt, weil die Kläger die geänderten tatsächlichen Verhältnisse grob fahrlässig nicht angegeben hätten. Kommunikationsprobleme mit Behörden entschuldigten nicht die unterbliebene Mitteilung.

In dem dagegen gerichteten Widerspruch machten die Kläger geltend, die Altersrente habe ihnen zu keiner Zeit zur Verfügung gestanden. Fraglich sei auch, ob sie vom Beklagten auf eine Rente angesprochen worden seien bzw. ob eine Verständigung überhaupt möglich gewesen wäre.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. August 2017 als unbegründet zurück. Die Klägerin habe ihre Mitwirkungspflicht grob fahrlässig verletzt. Unerheblich sei der Einwand einer möglicherweise fehlenden Verständigung. Ausländische Antragsteller müssten sich ggf. über den Inhalt amtlicher Formulare mithilfe eines Dolmetschers Klarheit verschaffen. Rechtsgrundlage für die Rückforderung der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungsbeiträge sei § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 335 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 SGB III. Der Erstattungsbetrag nach § 50 Abs. 1 SGB X ergebe sich aus dem Unterschied zwischen erhaltenen Leistungen und tatsächlichem Anspruch. Der Kläger sei von dem Bescheid nicht betroffen, weil er keine Leistungen zu erstatten habe.

Dagegen haben die Kläger am 11. September 2017 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben und die Aufhebung des Bescheids vom 25. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. August 2017 beantragt. Sie seien nicht nach einer russischen Rente gefragt worden. Diese habe auch mangels Transfermöglichkeiten nicht zur Verfügung gestanden. Der Antrag auf Leistungen nach dem SGB II sei zugleich ein Antrag auf solche nach dem SGB XII (BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014, B 14 AS 66/13 R [25]). Des Weiteren haben die Kläger auf ein Urteil des Sozialgerichts Magdeburg betreffend eine andere Person verwiesen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 9. August 2019 abgewiesen. Es ist davon ausgegangen, dass von dem Kläger ein Erstattungsbetrag für den Zeitraum von Januar bis April 2014 verlangt werde.

Die Klägerin sei ab dem 15. September 2009 gemäß § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Die Versichertenaltersrente sei mit einer deutschen Altersrente vergleichbar. Der vorzeitige Rentenbezug ab dem 50. Lebensjahr sei nachvollziehbar wegen der Behinderung des Kindes erfolgt. Die Klägerin habe die Altersrente auch bezogen, denn sie habe auf das Sparbuch Zugriff gehabt.

Die Voraussetzungen der Rücknahme nach § 45 SGB X seien erfüllt. Die Klägerin habe grob fahrlässig ihre Mitteilungspflicht verletzt. Es komme nicht darauf an, ob sie konkret nach einer russischen Altersrente gefragt worden sei. In den Antragsformularen sei jeweils nach dem Einkommen gefragt worden. Dies hätte zumindest Zweifel aufdrängen müssen, ob damit auch ausländische Renten gemeint seien. Mangelnde Sprachkenntnisse habe die Klägerin bisher nicht ausdrücklich behauptet. Ausländische Antragsteller müssten sich zudem über den Inhalt amtlicher Schriftstücke ggf. mithilfe eines Dolmetschers Klarheit verschaffen.

Die erbrachten Leistungen seien nach § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X zu erstatten. Fehler in der Berechnung seien nicht geltend gemacht worden und auch nicht ersichtlich. Die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung seien im streitigen Zeitraum ebenfalls zu erstatten. Auch die teilweise Rücknahme und Erstattung der dem Kläger zu 1. von Januar bis April 2014 gewährten Leistungen sei rechtmäßig. Auch er hätte den Rentenbezug der Klägerin angeben müssen.

Der Aufhebung und Erstattung stehe § 107 Abs. 1 SGB X nicht entgegen. Zwar hätte die Klägerin einen Anspruch nach dem SGB XII gehabt. Ein Erstattungsanspruch des Beklagten gegen den Sozialhilfeträger gemäß § 105 Abs. 1 SGB X sei aber wegen § 105 Abs. 3 SGB X ausgeschlossen. Der Sozialhilfeträger habe im streitigen Zeitraum keine Kenntnis von einem Anspruch der Klägerin auf Leistungen nach dem SGB XII gehabt. Eine Zurechnung der Kenntnis des Beklagten erfolge dabei nicht.

Dagegen haben die Kläger am 19. August 2019 Berufung beim Sozialgericht Magdeburg eingelegt. Sie machen geltend, die russische Versichertenaltersrente sei mit einer deutschen Altersrente nicht vergleichbar. Im Sechsten Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) gäbe es keine Rente vor Erreichen des Renteneintrittsalters. Zudem sei die russische Rente wegen eines behinderten Kindes bewilligt worden. Sie hätte ausschließlich der Entschädigung wegen persönlicher bzw. familiärer Besonderheiten gedient.

Die Rente habe auch mangels Transfermöglichkeiten nicht zur Verfügung gestanden.

Sie hätten nur geringe deutsche Sprachkenntnisse und seien im Umgang mit der deutschen Bürokratie unerfahren gewesen. Ihre Persönlichkeit und der geringe Zahlbetrag der russischen Rente seien zu ihren Gunsten zu werten. Der Beklagte habe eine besondere Aufklärungs- und Beratungspflicht gehabt. Er hätte Dolmetscher hinzuziehen und sie nach einer russischen Rente fragen müssen. Er habe sie auch nicht auf eine Antragstellung nach dem SGB XII hingewiesen.

Sie hätten auf die Richtigkeit der bewilligten Leistungen nach dem SGB II vertraut und nur deshalb keine Leistungen nach dem SGB XII beantragt. Sie erklärten die Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung gemäß § 839 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.V.m. § 34 Grundgesetz (GG) - Hinweis auf BGH, Urteil vom 2. August 2018, III ZR 466/16.

Die vom Beklagten geleisteten Beiträge zur Rentenversicherung dürften nicht zu Erstattung gestellt werden.

Der Erstattungsbetrag sei ferner um die 2 x 500 € zu reduzieren, die sie im strafrechtlichen Verfahren bereits an den Beklagten gezahlt hätten.

Auch der Kläger sei beschwert, da er von Januar bis April 2014 zu viel Leistungen erhalten haben solle. Außerdem stünden ihm von Januar 2015 bis Oktober 2016 weitere Leistungen zu, die der Beklagte unzulässig verrechnet habe.

Die Kläger haben auf Anforderung des Senats Unterlagen über die Rentenbewilligung und die Kontoführung des Sparkontos vorgelegt. Die Klägerin hat dazu am 22. Januar 2021 angegeben: Sie habe bei Aufenthalten in Russland im August 2015, Januar 2016 und Juli 2019 jeweils größere Beträge (ca. 1.300 €, 1.100 € sowie 2.950 €) von dem Sparkonto abgehoben. Nunmehr habe die Schwester der Klägerin eine Vollmacht und schicke ihr die in Euro gewechselten Beträge per Post zu.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 9. August 2019 dahingehend abzuändern, dass der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 25. April 2017 (Zeitraum September 2009 bis Oktober 2016) in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 9. August 2017 aufzuheben bzw. zurückzunehmen ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Eine Erstattungsforderung gegenüber dem Kläger sei nicht erfolgt. Dessen weiteren Leistungsansprüche seien mit den Erstattungsforderungen gegen die Klägerin verrechnet worden.

Die Klägerin sei nach § 7 Abs. 4 SGB II von Anfang an vom Leistungsbezug ausgeschlossen gewesen. Eine Vergleichbarkeit der Versichertenaltersrente mit einer deutschen Rente liege - trotz der geringen Rentenhöhe - vor.

Die Zahlung von 1.000 € nach § 153a Abs. 1 Nr. 2 StPO bewirke keine Forderungstilgung und sei nicht auf den Erstattungsbetrag anzurechnen.

Ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin bestehe nicht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten des Beklagten und des S.kreises (Sozialamt) ergänzend verwiesen. Ferner hat die Akte der Staatsanwaltschaft M. (615 JS 16673/17) auszugsweise vorgelegen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

I.1.

Die Berufung der Kläger ist form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist auch statthaft gemäß § 144 Abs. 1 S. 1 SGG, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 € übersteigt.

2.a.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 25. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. August 2017. Der Beklagte hat darin für den Zeitraum vom 15. September 2009 bis 31. Oktober 2016 die Leistungsbewilligungen für die Klägerin vollständig aufgehoben und die überzahlten Leistungen sowie die gezahlten Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung ab Juni 2014 und die Rentenversicherungsbeiträge bis Dezember 2010 zur Erstattung gestellt.

Die Klägerin verfolgt ihr Klagebegehren zutreffend mit der reinen Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt 1 SGG (BSG, Urteil vom 8. Dezember 2022, B 7/14 AS 11/21 R [9]).

b.

Der Kläger wendet sich gegen die teilweise Rückforderung der Leistungsbewilligung für Januar bis April 2014 i.H.v. 27,05 € sowie gegen die unterbliebene Auszahlung der Nachzahlbeträge für Januar 2015 bis Oktober 2016 i.H.v 231,51 €. Insoweit ist er durch den angefochtenen Bescheid beschwert und es besteht ein Rechtsschutzbedürfnis (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

3.

Der Senat hat nach pflichtgemäßem Ermessen von einer Beiladung des Sozialamts des Beklagten gemäß § 75 Abs. 1 oder 2 SGG abgesehen. Denn eine Verurteilung des S.kreises als Träger der örtlichen Sozialhilfe zu einer Leistungsgewährung nach dem SGB XII gemäß § 75 Abs. 5 SGG kommt hier nicht in Betracht. Ob der Klägerin im streitigen Zeitraum gegen den Träger der örtlichen Sozialhilfe ein Anspruch nach dem SGB XII zustand, ist nämlich nicht Streitgegenstand der vorliegenden Anfechtungsklage (BSG, Urteil vom 8. Dezember 2022, B 7/14 AS 11/21 R [15]).

II.

Die Berufung der Klägerin ist nur teilweise begründet. Überwiegend zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.

1.a.

Für den Zeitraum vom 16. September bis 31. Dezember 2009 ist die Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Leistungsbewilligungen § 40 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 48 SGB X und § 330 Abs. 2 SGB III. Danach ist eine - zunächst rechtmäßige - Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit u.a. der Begünstigte einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Eine Ausübung von Ermessen ist nicht vorgesehen.

Die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II in dem Bescheid vom 24. Juni 2009 für den Zeitraum von Juli bis Dezember 2009 war zunächst rechtmäßig gewesen. Bis zur Rentenbewilligung mit Bescheid vom 15. September 2009 war die Klägerin leistungsberechtigt nach dem SGB II. Daher kommt für den Zeitraum vom 16. September bis 31. Dezember 2009 nur eine Leistungsaufhebung in Betracht. Der Beklagte hätte also die Leistungsbewilligung ab dem 15. September 2009 aufheben und zurücknehmen müssen.

Hier ist aber ein Austausch der Rechtsgrundlage von § 45 SGB X zu § 48 SGB X zulässig. Beide Entscheidungen - die der Aufhebung bzw. der Rücknahme - sind auf das gleiche Ziel gerichtet. Eine Aufhebung steht auch nicht im Widerspruch zur erkennbaren Absicht des Beklagten. Der streitige Bescheid war auch nach Auswechslung der Rechtsgrundlage weiterhin rechtmäßig. Es ist jeweils keine Ermessensentscheidung erforderlich.

b.

Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Leistungsbewilligungen für die Zeit ab dem 1. Januar 2010 ist § 40 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 45 SGB X und § 330 Abs. 2 SGB III. Danach ist eine anfänglich rechtswidrige begünstigende Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II auch nach Unanfechtbarkeit mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sie u.a. auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Eine Ausübung von Ermessen ist nicht vorgesehen.

Auf dieser Grundlage nahm der Beklagte die Bewilligung von Alg II für die Klägerin für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2014 zu Recht zurück. Denn die endgültigen und bestandskräftig gewordenen Bescheide waren jeweils schon zum Zeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrig gewesen.

c. a.a.

Hinsichtlich der erfolgten vorläufigen Leistungsbewilligungen im Zeitraum von Januar 2015 bis Oktober 2016 ergibt sich die gleiche Rechtsfolge aus § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III und § 45 Abs. 2 S.3 SGB X. Denn auch dabei handelt es sich um Verwaltungsakte i.S.d. § 45 SGB X, die gemäß § 39 Abs. 2 SGB X bis zur Rücknahme (oder sonstigen Erledigung) wirksam bleiben. Die Vorschriften des SGB X zur Bestandskraft und zu dessen Durchbrechung finden auf die vorläufigen Entscheidungen Anwendung.

b.b.

Nichts anderes ergibt sich hinsichtlich der vorläufigen Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. August bis 31. Oktober 2016 im Änderungsbescheid vom 25. Juli 2016.

Nach Einführung des § 41a Abs. 2 S. 4 SGB II zum 1. August 2016 ist eine vorläufige Entscheidung, soweit sie rechtswidrig ist, für die Zukunft zurückzunehmen. § 45 Abs. 2 SGB X findet - ausdrücklich - keine Anwendung. Diese Regelung betrifft eine zulässige Anpassung der - zu diesem Zeitpunkt noch laufenden - vorläufigen Leistungen bereits vor der endgültigen Leistungsbewilligung unter erleichterten Bedingungen. Es handelt sich um eine zusätzliche Möglichkeit, ohne Vertrauensschutzprüfung einen von Anfang an fehlerhaften vorläufigen Bescheid mit Wirkung für die Zukunft zu korrigieren. Diese Modifikation ist eingeführt worden, weil vorläufige Entscheidungen keinen Vertrauensschutz aufbauen und eine gemäß § 45 SGB X erforderliche Prüfung von vertrauensschutzbildenden Umständen somit fehlginge. Es sollte ein Gleichklang mit § 48 SGB X hergestellt werden, nach dem eine Aufhebung für die Zukunft zwingend ist (vgl. BT-Drucks. 18/8041, S. 53).

Daraus folgt aber nicht, dass die Rücknahme der vorläufig bewilligten Leistungen für die Vergangenheit gemäß § 45 Abs. 1 SGB X nunmehr ausgeschlossen wäre. Mit der Einführung dieser Vorschrift ist kein Ausschluss für Rückforderungen vorläufiger, bereits erbrachter Leistungen gemäß 45 SGB X für die Vergangenheit verbunden. Zwar mag der Gesetzgeber der Auffassung gewesen sein, dass für die Fälle anfänglicher Rechtswidrigkeit die endgültige Leistungsfestsetzung heranzuziehen wäre (BT-Drucks. 18/8041, S. 53). Dies kann etwa für die Umstände gelten, die Grund für die Vorläufigkeit waren (in der Regel: ungeklärtes Einkommen oder Hilfebedarf).

Auch bei von Anfang an rechtswidrigen vorläufigen Leistungsbewilligungen ist weiterhin eine Korrektur außerhalb einer endgültigen Leistungsfestsetzung möglich. Dies gilt insbesondere, wenn die anfängliche Rechtswidrigkeit - wie hier - gar nicht die Gründe für die Vorläufigkeit betrifft (vgl. Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand 2023, Rdnr. 264 f; so auch: Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. Februar 2021, L 31 AS 1562/20 B ER [19]; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. November 2022, L 13 AS 1610/22 [29]). Anderenfalls hätte der Leistungsträger in diesen Fällen keine Handhabe, auch die zu Unrecht geleisteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zurückzufordern. Dies ist bei einer „endgültigen Festsetzung auf Null“ gesetzlich nicht vorgesehen.

2.

Die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Klägerin war für den streitigen Zeitraum rechtswidrig. Denn diese war ab dem 15. September 2009 von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

a.

Nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II erhält Leistungen nach dem SGB II u.a. nicht, wer Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht.

Davon wird grundsätzlich auch der Bezug einer ausländischen Altersrente erfasst. Bei diesen kann es sich unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, systematischem Zusammenhang und dem Sinn und Zweck des § 7 Abs. 4 SGB II um Ansprüche nach dem SGB II ausschließende Leistungen handeln. Maßgeblich für den Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II ist die typisierende Annahme, dass Bezieher von Altersrenten - bereits vor Erreichen der Regelaltersgrenze gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 SGB II - aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind. Deshalb müssen sie auch nicht mehr in Arbeit eingegliedert werden. Die führt zum Ausschluss einer erforderlichen Integration in den Arbeitsmarkt durch eine steuerfinanzierte Leistung (dazu und im Folgenden: BSG, Urteil vom 16. Mai 2012, B 4 AS 105/11 R; Urteil vom 7. Dezember, B 14 AS 7/17 R, Urteil vom 8. Dezember 2022, B 7/14 AS 11/21 R ). Die ausländische Altersrente muss aber die gleichen typischen Merkmale aufweisen wie eine deutsche Altersrente. Sie muss von Funktion und Struktur mit dieser vergleichbar sein. Nach der Rechtsprechung des BSG liegt eine Vergleichbarkeit nur dann vor, wenn die ausländische Leistung in ihrem Kerngehalt den gemeinsamen und typischen Merkmalen der inländischen Altersrente entspricht. Die erwerbsbibliografische Lebensphase muss mit der Rentenbewilligung abgeschlossen sein (BSG, Urteil vom 7. Dezember 2017, B 14 AS 7/17 R [18]). Entscheidende Kriterien für die Vergleichbarkeit sind die Leistungsgewährung durch einen öffentlichen Träger, das Anknüpfen der Leistung an das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze und die Lohnersatzfunktion nach einer im Allgemeinen den Lebensunterhalt sicherstellenden Gesamtkonzeption (BSG, Urteil vom 8. Dezember 2022, B 7/14 AS 11/21 R [14 f.]). Erforderlich ist insoweit eine rechtsvergleichende Qualifizierung der ausländischen Rente mit einer deutschen Rente.

b.

Die von der Klägerin bezogene Versicherungsaltersrente erfüllt die Kriterien für eine nach § 7 Abs. 4 SGB II zum Ausschluss von Alg II führende Altersrente.

a.a.

Es handelt sich um eine Altersrente aus eigener Versicherung. Die Versicherungsaltersrente wird von dem Rentenfonds der Russischen Föderation als dem öffentlich-rechtlichen Träger der dortigen Rentenversicherung gewährt (BSG, Urteil vom 8. Dezember 2022, B 7/14 AS 11/21 R [18]). Im Personenkonto der Staatlichen Einrichtung Verwaltung des Rentenfonds Russlands ist vermerkt: „Rente - (10220) Altersrente (Arbeit) / Mutter eines behinderten Kindes“. Auch der Rentenbescheid vom 9. August 2016 des Rentenfonds der Russischen Föderation weist eine „Versicherungsaltersrente“ aus. Ganz eindeutig war zum Zeitpunkt der Leistungsbewilligung der Versicherungsaltersrente die Erwerbsbiografie der Klägerin abgeschlossen.

Nicht nachvollziehbar ist daher für den Senat die Behauptung der Klägerin, die Rente hätte ausschließlich der Entschädigung wegen persönlicher bzw. familiärer Besonderheiten gedient.

b.b.

Die bezogene Altersrente ist auch einer bundesdeutschen Altersrente vergleichbar, denn sie weist die gleichen typischen Merkmale auf und ist von Funktion und Struktur mit dieser vergleichbar.

Die Versicherungsaltersrente wird - wie eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland - monatlich und zeitlich unbefristet geleistet.

Der Leistungsanspruch ist auch nicht durch Übersiedlung in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland oder wegen einer Anrechnung von Erwerbseinkommen weggefallen.

Voraussetzungen für den Bezug einer Versicherungsaltersrente ist eine Beschäftigung mit Entrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen durch den Arbeitgeber von mindestens fünf Jahren und die Erfüllung der Wartezeit (vgl. dazu: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26. November 2020, L 4 AS 174/18 ZVW [52 f.]).

Es ergibt sich aus dem Lebenslauf der Klägerin, dass diese ab Beginn der Berufsausbildung im September 1976 bis zur Übersiedlung in Jahr 1999 durchgängig rentenversicherungspflichtige Tätigkeiten ausgeübt und somit die Wartezeit von 5 Jahren für eine Versicherungsaltersrente erfüllt hatte.

Die Versicherungsaltersrente der Klägerin knüpft auch an das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze - hier: das 50. Lebensjahr - an. Voraussetzung für den Bezug einer russischen Versicherungsaltersrente ist - auch unter Berücksichtigung verschiedener Reformen des Rentenrechts - neben bestimmten Beschäftigungs- und Wartezeiten auch das Erreichen des Renteneintrittsalters. Dieses lag im Regelfall für Männer bei Vollendung des 60. Lebensjahres und für Frauen beim 55. Lebensjahr. Hiervon bestanden jedoch zahlreiche Ausnahmen, die einen früheren Renteneintritt ermöglichten (vgl. BSG, Urteil vom 8. Dezember 2022, B 7/14 AS 11/21 R [18], LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26. November 2021, L 4 AS 174/18 ZVV [54 f.] mit weiteren Einzelheiten zu den Ausnahmen).

Die Klägerin hat dem Senat gegenüber angegeben, dass sie die Altersrente - mit Abschlägen - vor dem regulären Renteneintrittsalter, nämlich bereits ab dem 50. Lebensjahr bezogen hatte. Grund für diese Ausnahmeregelung war die anerkannte „Erziehung eines behinderten Kindes“. Ab Erreichen des regulären Renteneintrittsalters wurde die Rente dann ohne Abschläge bewilligt, was sich an den deutlich höheren Zahlbeträgen ablesen lässt.

Auch nach dem bundesdeutschen Rentenrecht ist eine vorzeitige Inanspruchnahme von Altersrenten vor der Regelaltersgrenze aufgrund von verschiedensten Voraussetzungen zulässig (so etwa § 236 f. SGB VI). In der Regel sind damit Abschläge vom Rentenzahlbetrag verbunden. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, dass nach dem bundesdeutschen Rentenrecht die Erziehung eines behinderten Kindes nicht zur vorzeitigen Altersrentenberechtigung führen kann. Das gleiche gilt für einen nach deutschem Rentenrecht frühestmöglichen Altersrentenbeginn, der nach dem SGB VI auf jeden Fall nach dem 50. Lebensjahr liegen muss.

Des Weiteren erfüllt die Versicherungsaltersente der Klägerin die Funktion des Lohnersatzes nach einer im Allgemeinen den Lebensunterhalt sicherstellenden Gesamtkonzeption (BSG, Urteil vom 8. Dezember 2022, B 7/14 AS 11/21 R [19]). Dabei ist abzustellen auf deren Stellung im System der Alterssicherung in der Russischen Föderation. Daher ist nicht entscheidend, ob die Höhe der Leistung ausreichte, um in der Bundesrepublik Deutschland den Lebensunterhalt sicherzustellen. Unerheblich ist auch, ob die Versicherungsaltersente im Einzelfall ausreichen würde, um den Lebensunterhalt im Herkunftsstaat zu sichern. Die Leistung muss nur ihrer Gesamtkonzeption nach so bemessen sein, dass sie den Unterhalt des Berechtigten in der Regel gewährleisten soll (BSG, Urteil vom 8. Dezember 2022, B 7/14 AS 11/21 R [20]).

In der Russischen Föderation sind die durchschnittliche Zahlbeträge der Versicherungsaltersrenten deutlich geringer als der Durchschnittsverdienst der Beschäftigten. So beträgt die durchschnittliche Altersrente seit den neunziger Jahren weniger als 50% des Durchschnittlohns. Deshalb ist es üblich, dass ein Teil der Rentner weiterhin erwerbstätig ist. Soweit in den 2000er Jahren der Anteil der Erwerbstätigen unter den Rentnern auf 1/3 geschätzt wurde, kann aber nicht von einem im Regelfall noch offenen Erwerbsleben nach Renteneintritt ausgegangen werden. (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26. November 2021, L 4 AS 174/18 ZVV [57]).

Der Lohnersatzfunktion der Versicherungsaltersrente zur Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts im Alter steht daher die geringe Rentenhöhe nicht entgegen.

c.c.

Für den Bezug einer anderen Rentenform wie etwa einer Hinterbliebenenrente, einer Invalidenrente oder einer Teilrente ergeben sich keine Anhaltspunkte. Das Gleiche gilt für eine Sozialrente, die für Bürger der Russischen Föderation ohne eigene Rentenansprüche vorgesehen ist.

c.

Die seit dem 15. September 2009 bezogene Versicherungsaltersrente führt daher nach § 7 Abs. 4 SGB II zum Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II.

Auf die Frage, ob dieses Einkommen als „bereites Mittel“ auf den Hilfebedarf der Klägerin anzurechnen war, kommt es folglich nicht an. Unerheblich ist daher auch, dass die laufende Rentenzahlung erst im November 2009 aufgenommen wurde.

Ebenfalls ohne Bedeutung ist die Behauptung der Klägerin, sie habe von Deutschland aus keinen Zugriff auf die Rente gehabt. Der Senat hatte daher auch nicht der Frage nachzugehen, ob der seit 2016 praktizierte Geldtransfer über die Schwester davor nicht möglich gewesen wäre.

3.

Die Rücknahme bzw. Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Klägerin ist auch formell rechtmäßig gewesen.

a.

Die gemäß § 24 Abs. 1 SGB X vorgeschriebene Anhörung der Klägerin ist unter dem 12. Dezember 2016 ordnungsgemäß erfolgt. Es kann dabei offenbleiben, ob der Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens ausdrücklich genannt werden musste. Denn spätestens im Rücknahmebescheid vom 25. April 2017 konkretisierte der Beklagte den Verschuldensvorwurf. Die Klägerin hatte Gelegenheit, im Widerspruchsverfahren dazu Stellung zu nehmen.

b.

Die in beiden Fällen der Leistungsaufhebung und der -rücknahme vorgesehene Jahresfrist gemäß § 45 Abs. 4 S. 2 bzw. § 48 Abs. 4 SGB X ist eingehalten. Der Beklagte hatte erstmals im Juli 2016 durch die anonyme Anzeige Kenntnis vom Bezug der Versicherungsaltersrente erhalten.

c.

Ermessen war weder bei der Leistungsaufhebung noch der -rücknahme auszuüben.

4.

Die Rücknahme bzw. Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Klägerin ist auch materiell rechtmäßig gewesen.

a.

Die Klägerin kann sich weder für die Leistungsaufhebung noch für die -rücknahme auf Vertrauensschutz berufen.

Sie war einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für sie nachteiliger Änderungen der Verhältnisse grob fahrlässig nicht nachgekommen (§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X) bzw. beruhten die ihr gegenüber ergangenen Leistungsbewilligungen auf Angaben, die sie zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig bzw. unvollständig gemacht hatte (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X).

Der Senat hat unter Berücksichtigung der schulischen und beruflichen Bildung, des beruflichen Werdegangs sowie des persönlichen Eindrucks von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung die Überzeugung gewonnen, dass sie zumindest grob fahrlässig den Bezug der Versicherungsaltersrente nicht angegeben hatte.

Sie hatte gegenüber den Mitarbeitern des Beklagten langjährig weder auf eigene Verständnis- oder Verständigungsprobleme hingewiesen noch Nachfragen gestellt. Ausweislich der Verwaltungsakten funktionierte die Kommunikation zwischen der Klägerin und Beklagtem uneingeschränkt. So konnten der wechselnde Bezug von verschiedenen Einkommen als auch Maßnahmen zur Vermittlung auf den Arbeitsmarkt von der Verwaltungsseite uneingeschränkt abgewickelt werden. Im Bedarfsfall sprachen die Kläger auch persönlich beim Amt vor oder ließen ihre Tochter Sachverhalte schriftlich darstellen.

Die Klägerin war sich in dem streitigen Zeitraum durchaus ihrer Mitteilungspflichten bewusst und kam ihnen auch nach, etwa als sie eine Rente wegen Erwerbsminderung auf Zeit erhielt oder wenn ihr Einkommen aus einer geringfügigen Beschäftigung zufloss.

Der Senat hat bei der Befragung der Klägerin auch keine Hinweise auf eine persönlichkeitsbedingte Einschränkung der Auffassungsgabe oder eingeschränkter geistigen Fähigkeiten schon im streitigen Zeitraum ab 2009 erkannt. So fiel ihr etwa beim Sachvortrag sofort auf, dass der für 2016 genannte Rentenzahlbetrag in der Anfangszeit deutlich geringer war.

Die erfolgreiche berufliche Ausbildung und auch die letzte Tätigkeit als Sachbearbeiterin und Kassiererin von Beiträgen für eine Kunstschule spricht ebenfalls für eine vorhandene uneingeschränkte geistige Leistungsfähigkeit.

Fehlende Sprachkenntnisse waren bei der Prüfung von grober Fahrlässigkeit nicht zu berücksichtigen. Die Klägerin wäre im Zweifelsfalle gehalten gewesen, sich durch die Hinzuziehung einer für die Übersetzung der Antragsformulare ausreichend sprachkundigen Person und durch Nachfrage bei dem Beklagten hinreichende Klarheit über deren Inhalt zu verschaffen. Wenn sie aufgrund fehlender Sprachkenntnisse den Leistungsantrag im Hinblick auf entscheidungserhebliche Angaben "blind" unterschrieben haben sollte, entschuldigt sie dies nicht (BSG, Urteil vom 8. Dezember 2022, B 7/14 AS 11/21 R [24]). Darüber hinaus geht der Senat davon aus, dass die Klägerin - wie sie selbst bekundet hat - aufgrund der absolvierten Sprachkurse zumindest einer einfachen Konversation mit dem Jobcenter gewachsen war.

Unbeachtlich ist auch die Rechtfertigung im Schriftsatz vom 19. September 2016, sie habe nicht gewusst, dass sie die russische Rente beim Jobcenter melden müsse. Der Klägerin stand keine eigene Einschätzung wegen des Bezugs der Versicherungsaltersrente für den Leistungsanspruch nach dem SGB II zu. Vielmehr war sie gehalten, dem Beklagten sämtliche Umstände mitzuteilen, die die Einkommenssituation und Hilfebedürftigkeit beeinflussen konnten. Darüber war sie auch in allen Leistungsanträgen und Bewilligungsbescheiden hingewiesen worden.

Sollte sie ihre Unterschriften in den jeweiligen Weiterzahlungsanträgen geleistet haben, ohne sich beim Ehemann über den Inhalt der Fragen und Antworten zu erkundigen, wäre dies ebenfalls eine grob fahrlässige Verletzung der Mitwirkungspflichten.

Auch der geringe Zahlbetrag der Rente entschuldigt die Klägerin nicht. Denn trotz geringer monatlicher Rente waren im Lauf der Zeit doch nicht unerhebliche Beträge auf dem Rentenkonto aufgelaufen. Dies musste der Klägerin bekannt gewesen sein, auch wenn sie nicht regelmäßig Sparbuchauszüge erhalten haben sollte. Allerspätestens beim erstmaligen Abheben einer größeren Geldsumme hätte es sich ihr aber aufdrängen müssen, dass dieses Geld Einfluss auf ihren Hilfebedarf haben konnte.

b.

Nicht nachvollziehbar ist der Vorwurf der Klägerin, der Beklagte hätte sie gezielt, gegebenenfalls mithilfe eines Dolmetschers, über den Bezug einer Rente befragen müssen. Ein Anspruch auf Beratung gemäß § 14 SGB I setzt ein der Behörde gegenüber bekundetes Informationsdefizit voraus. Insoweit hatte der Beklagte aber zu keinem Zeitpunkt einen Hinweis auf den Bezug einer Altersrente außerhalb der Bundesrepublik Deutschland bekommen.

5.a.

Für September und Oktober 2016 ist der Beklagte wegen der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X gehindert, die gezahlten SGB II-Leistungen gegenüber der Klägerin in vollem Umfang zur Erstattung zu stellen. Die Rückforderung ist um die für diese Monate bewilligten Leistungen nach dem SGB XII zu reduzieren.

Gemäß § 107 Abs. 1 SGB X gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch (nach den §§ 102 f. SGB X) besteht. Dann darf der erstattungsberechtigte Leistungsträger die rechtswidrig erfolgten Leistungsbewilligungen gegenüber dem Leistungsempfänger nicht gemäß der §§ 44 f. SGB X aufheben. Der erstattungsberechtigte Leistungsträger ist vielmehr gehalten, seinen Erstattungsanspruch gegenüber dem erstattungspflichtigen Leistungsträger durchzusetzen. Er hat kein Wahlrecht, die Erstattung entweder vom anderen Leistungsträger oder vom Leistungsempfänger zu verlangen. Die von dem Gesetzgeber aus Gründen der Rechtsklarheit und der Verwaltungsökonomie mit der Erfüllungsfiktion geschaffene Form des Ausgleichs von Leistungsbewilligungen ist für den vorleistenden Träger mit einer Befreiung von dem Risiko der Durchsetzung eines Anspruchs nach den §§ 45, 48 SGB X i.V.m. § 50 SGB X verbunden. Der Leistungsberechtigte kann insofern nicht mehr gegen den eigentlich zur Leistung verpflichteten Leistungsträger vorgehen.

Das Sozialamt des Beklagten bewilligte der Klägerin ab 1. September 2016 Leistungen nach dem SGB XII (Bescheide vom 18. Oktober 2016 und 28. Februar 2017). Die Leistungen für September (433,11 €) und Oktober 2016 (erst 421,38 €, reduziert auf 415,90 €) sollten wegen des Erstattungsanspruchs des Beklagten vom 16. September 2016 an diesen erstattet werden. Dieser war gehalten, seinen Erstattungsanspruch in dieser Höhe gegenüber dem erstattungspflichtigen Sozialamt durchzusetzen. Somit scheidet eine nochmalige Rückforderung von der Klägerin aus. Unerheblich ist dabei, dass bisher kein Zahlungseingang beim Beklagten für September und Oktober 2016 erfolgt ist.

Von den der Klägerin gezahlten SGB II-Leistungen i.H.v. 670,75 € für September 2016 war daher der nach dem SGB XII bewilligte Betrag i.H.v. 433,11 € abzusetzen, sodass sich die Rückforderung gegenüber der Klägerin auf 237,64 € reduziert. Von den gezahlten SGB II-Leistungen i.H.v. 659,02 € für Oktober 2016 war der nach dem SGB XII bewilligte Betrag i.H.v. 415,90 € abzusetzen, sodass sich die Rückforderung gegenüber der Klägerin auf 243,12 € reduziert.

b.

Der Rücknahme der Leistungsbewilligung gegenüber der Klägerin steht jedoch für September 2009 bis August 2016 nicht die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X entgegen. Denn das Sozialamt des Beklagten hatte in diesen Zeiträumen keine Sozialleistungen bewilligt.

6.

Dem Beklagten steht für September 2009 bis August 2016 auch kein anderer Erstattungsanspruch gegen sein Sozialamt nach den §§ 102 f. SGB X zu.

a.

Insbesondere scheidet ein Anspruch nach § 104 SGB X aus (Anspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers). Denn es besteht hinsichtlich der Ansprüche auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den §§ 7 f., 19 f. SGB II einerseits und derjenigen auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach den §§ 27 f. SGB XII andererseits kein Vorrang-/Nachrangverhältnis (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II, § 21 S. 1 SGB XII).

b.

Von den möglichen Anspruchsgrundlagen nach den §§ 102 f. SGB X kommt allein ein Anspruch des Jobcenters als unzuständiger Träger in Betracht.

a.a.

Nach § 105 Abs. 1 S. 1 SGB X ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 SGB X vorliegen, soweit der zuständige Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Vorliegend kann dahinstehen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 105 Abs .1 Satz 1 SGB X vorliegen.

b.b.

Einem solchen Erstattungsanspruch steht jedenfalls § 105 Abs. 3 SGB X entgegen. Danach gelten die Absätze 1 und 2 gegenüber den Trägern der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe nur von dem Zeitpunkt ab, von dem ihnen bekannt war, dass die Voraussetzungen für ihre Leistungspflicht vorlagen. Hieran fehlt es für den Zeitraum bis August 2016. (dazu und zu Folgenden: BSG, Urteil vom 8. Dezember 2022,      B 7/14 AS 11/21 R [26 f.]).

Das Sozialamt des Beklagten hatte im streitgegenständlichen Zeitraum keine eigene Kenntnis von den Voraussetzungen einer Leistungspflicht auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel (§ 18 Abs. 1 SGB XII). Für eine solche positive Kenntnis der Leistungspflicht - hier - reichen ein Kennen müssen oder auch eine grob fahrlässige Unkenntnis nicht aus. Das Sozialamt des Salzlandkreises hatte vor dem 16. September 2016 keine Kenntnis darüber, dass die Klägerin im Zeitraum September 2009 bis August 2016 weiterhin hilfebedürftig gewesen wäre. Es wusste auch nichts von dem Rentenbezug, der aufgrund des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 4 SGB II einen Anspruch nach dem SGB XII erst eröffnen konnte.

c.c.

Anders als für den Leistungsfall nach dem SGB XII erlaubt es § 105 Abs. 3 SGB X nicht, dem Sozialhilfeträger die Kenntnis eines anderen Leistungsträgers zuzurechnen. Dies gilt insbesondere für die Kenntnis des erstattungsberechtigten Leistungsträgers, weil für die Regelung dann kein Anwendungsbereich verbliebe. Soweit eine solche Zurechnung im Leistungsverhältnis auf der Grundlage von § 16 Abs. 2 S. 2 SGB I und § 18 Abs. 2 SGB XII allgemein anerkannt ist, ist dies auf das Erstattungsverhältnis im Rahmen des § 105 Abs. 3 SGB X nicht übertragbar (BSG, a.a.O. [30]).

7.

Die von der Klägerin im Berufungsverfahren erklärte Aufrechnung mit den im Rahmen des eingestellten Strafverfahrens gezahlten jeweils 500 € Geldauflage zur Schadenswiedergutmachung an den Beklagten führt nicht zu einer Reduzierung des streitigen Erstattungsanspruchs gemäß § 50 Abs. 1 SGB X. Dieser Betrag ergibt sich allein aus der Summe der gemäß § 44 ff. SGB X zurückgeforderten Leistungen.

Vielmehr ist dieser Einwand im Rahmen der sich nach der Rechtskraft des Urteils anschließenden Vollstreckung geltend zu machen. Insoweit kann die Vollstreckung - teilweise - einzustellen sein, soweit der Anspruch des Beklagten auf die Erstattung der Leistungen erloschen ist (§ 23 Abs. 1 Nr. 4 Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt - VwVG LSA). Inwieweit die zur Schadenswiedergutmachung gezahlten Geldauflagen insoweit die Vollstreckung des streitigen Bescheids hindern, ist im dortigen Verfahren zu klären.

8.

Ob wegen eines Anspruchs auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung gemäß § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. § 34 GG wirksam eine Aufrechnung mit der Erstattungsforderung des Beklagten erklärt werden durfte, kann offenbleiben. Denn schon nach dem Vorbringen der Klägerin existiert ein solcher Anspruch nicht. Dieser müsste vor den Zivilgerichten geltend gemacht werden.

9.a.

Die Erstattungsverpflichtung der Klägerin für die zu Unrecht bezogenen SGB II-Leistungen ergibt sich aus § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 50 SGB X.

b.

Die Erstattungspflicht für die erbrachten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ergibt aus § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 335 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 SGB III.

c.

Zu Unrecht hat der Beklagte allerdings die Beiträge zur Rentenversicherung 2009 bis 31. Dezember 2010 i.H.v. insgesamt 633,76 € zur Erstattung gestellt. Die Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 3 Nr. 3a SGB VI bei Bezug von Leistungen nach dem SGB II endete am 31. Dezember 2010.

Die auf die Rentenversicherungsbeiträge der Klägerin entfallenden Rückforderungen durften gemäß § 40 Abs. 2 SGB II i.V.m. 335 Abs. 1 und 5 SGB III nicht zu Erstattung gestellt werden. Diese Pflicht obliegt allenfalls gemäß § 335 Abs. 3 SGB III einem Arbeitgeber.

d.

Unzulässig war jedoch, die für die Zeit von Januar bis April 2014 gegenüber dem Kläger zurückgenommenen Leistungen i.H.v. 27,05 € von der Klägerin zur Erstattung zu stellen.

Es handelt sich bei den Leistungen nach dem SGB II, auch im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft, um Individualansprüche. Die Rückabwicklung kann nur gegenüber dem jeweiligen Leistungsbezieher erfolgen. Deshalb war der Erstattungsbetrag für die Klägerin für diesen Zeitraum von 2.142,88 € auf 2.115,83 € zu reduzieren (-27,05 €).

III.

Die Berufung des Klägers ist unbegründet.

1.a.

Soweit der Beklagte in dem Zeitraum vom 1. Januar bis 30. April 2014 für den Kläger eine Überzahlung der Leistungen nach dem SGB II i.H.v. insgesamt 27,05 € feststellte, ist der angefochtene Rücknahmebescheid nicht zu beanstanden. Dies ist Folge des Ausschlusses der Klägerin aus dem System des SGB II. Wegen der deshalb vorliegenden sog. „gemischten Bedarfsgemeinschaft“ war für den Hilfebedarf des Klägers anstelle der horizontalen eine vertikale Bedarfsberechnung durchzuführen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2021, B 14 AS 89/20 R [21]). So war etwa das für Januar 2014 verfügbare, bereinigte Einkommen des Klägers i.H.v. 10,72 € nicht mehr anteilig        i.H.v. je 5,36 € auf die Hilfebedarfe beider Kläger anzurechnen. Vielmehr minderte es nur den Hilfebedarf des Klägers um den vollen Betrag; was zu einer Überzahlung i.H.v. 5,36 € führte. Nachdem sein Einkommen nur noch auf seinen Hilfebedarf anzurechnen war, reduzierte sich in den vier Monaten der Leistungsanspruch.

Im Übrigen lagen die formellen und materiellen Voraussetzungen für die Rücknahmeentscheidung auch beim Kläger vor. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.

Die teilweise Rücknahme der Leistungsbewilligungen des Klägers vom 1. Januar bis 30. April 2014 erfolgte somit zu Recht.

b.

Hinsichtlich einer Erstattungsforderung ist der Kläger zu 1. nicht beschwert, denn der Beklagte hatte ausdrücklich im Widerspruchsbescheid gegen ihn keine Erstattung dieser Leistungen verlangt. Das Sozialgericht ist insoweit irrtümlich davon ausgegangen, dass der Beklagte diese überzahlten Leistungen auch zurückgefordert habe.

2.

Hinsichtlich der erfolgten Feststellung eines höheren monatlichen Leistungsanspruchs für November 2011 (weitere 0,01 €) sowie für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis 31. Oktober 2016 (weitere 231,50 €) liegt keine Beschwer des Klägers vor. Denn insoweit enthält der Bescheid vom 25. April 2017 keine Regelung, welche die bewilligten Leistungen an den Kläger ganz oder teilweise zurücknahm. Im Gegenteil stellte der Beklagte einen höheren Leistungsanspruch des Klägers in diesem Zeitraum ausdrücklich fest. Die Formulierung „Der vorläufige Bewilligungsbescheid …. wird für den Zeittraum … insoweit zurückgenommen, als für den Zeitraum … Leistungen über einen Betrag in Höhe von monatlich über (Summe) für Herrn R. hinaus bewilligt wurden …“ ist insoweit auslegungsbedürftig, aber auch auslegungsfähig. So war z.B. für Januar 2015 als Summe der (zuvor festgestellte neue) Bedarf i.H.v. 540,07 € anstelle des bisherigen Zahlbetrags von 529,84 € genannt.

Insoweit stehen dem Kläger aus dem Bescheid vom 25. April 2017 noch höhere Leistungsansprüche im November 2011 (0,01 €) und in dem Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis Oktober 2016 (gesamt: 231,51 €) zu. Diese müssten ggf. mit einer echten Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG durchgesetzt werden (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 14. Aufl., § 54 Rdnr. 41). Hier ist aber streitgegenständlich allein eine reine Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 1. Alt. SGG.

Der Beklagte erklärte im Bescheid vom 25. April 2017 auch keine Aufrechnung gemäß § 51 Abs. 1 SGB I der festgestellten weiteren Ansprüche des Klägers mit den Erstattungsansprüchen gegenüber der Klägerin. Dies wäre auch unzulässig, weil es sich nicht um Geldansprüche von dem und gegen den gleichen „Berechtigten“ handelte.

Soweit deren Erstattungsanspruch reduziert wurde, ist der Bescheid vom 25. April 2017 gegenüber der Klägerin sogar begünstigend.

IV.

 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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