1. Da Versicherte mit Pflegegrad 1 keine Ansprüche auf Pflegegeld, sondern nur auf die in § 28a SGB XI abschließend aufgeführten Sach- oder Erstattungsleistungen haben, besteht kein Rechtsschutzinteresse an einer Zuerkennung von Pflegegrad 1 für vergangene Zeiträume.
2. Es liegt keine Klageerweiterung vor, wenn in der 1. Instanz „wenigstens“ Leistungen nach Pflegegrad 2 begehrt wurden und nunmehr in der Berufungsinstanz Leistungen nach Pflegegrad 4 beantragt sind.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. April 2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Leistungen der sozialen Pflegeversicherung ab dem 14. September 2016.
Der 1972 geborene Kläger, ägyptischer Staatsangehöriger, hielt sich nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens und vorübergehenden Duldungen zuletzt aufgrund befristeter Aufenthaltsgenehmigungen mit einer Wohnsitzauflage für den H1 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Nach Feststellung einer dauerhaften Erwerbsminderung durch den Rentenversicherungsträger bezog er zunächst Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – trotz Verstoßes gegen die Wohnsitzauflage – zumindest bis März 2017 und war bei der Beklagten sozial pflegeversichert.
Auf seinen Antrag auf Kombinationsleistungen der sozialen Pflegeversicherung vom 14. September 2016 beauftrage die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Begutachtung des Klägers. In seinem nach einem Hausbesuch erstatteten Gutachten vom 17. Oktober 2016 berücksichtige Pflegefachkraft F1 als pflegebegründende Diagnosen wiederkehrende depressive Störungen bei posttraumatischer Belastungsstörung, Bewegungseinschränkungen mit zeitweiser Gangunsicherheit bei Zustand nach (Z.n.) Schlaganfall mit beinbetonter Schwäche links, diabetischer Polyneuropathie, einen Z.n. Sturz mit Klavikulafraktur und einen anhaltenden Opioidanalgetikagebrauch bei chronischer Schmerzstörung linksthorakal. Hieraus resultiere kein Hilfebedarf in der Grundpflege (0 Minuten), sondern lediglich ein hauswirtschaftlicher Hilfebedarf (30 Minuten im Wochendurchschnitt). Eine psychische Erkrankung liege vor, wirke sich aber nicht relevant auf die Alltagskompetenz aus. Hierauf gestützt lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 18. Oktober 2016 mangels erheblicher Pflegebedürftigkeit ab; auch die Alltagskompetenz sei nicht auf Dauer erheblich eingeschränkt.
Auf den dagegen eingelegten Widerspruch und einen neuerlichen Leistungsantrag des Klägers vom 2. November 2016 ließ die Beklagte diesen erneut begutachten. In seinem ebenfalls aufgrund eines Hausbesuches unter dem 30. November 2016 erstatteten Gutachten bestätigte Pflegefachkraft P1, MDK, das Ergebnis der Vorbegutachtung (Hilfebedarf in der Grundpflege 0 Minuten; keine Einschränkung der Alltagskompetenz). Mit Bescheid vom 2. Dezember 2016 lehnte die Beklagte den zweiten Antrag ab. Auch hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 2017 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten die Widersprüche des Klägers aus den Gründen der Ausgangsbescheide zurück.
Hiergegen erhob der Kläger am 13. Februar 2017 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG). Zu deren Begründung trug er insbesondere vor, er benötige Unterstützung beim Stehen, Gehen und Treppensteigen sowie dem Umgang mit Rollstuhl, Rollator und Gehstöcken. Er sei insgesamt sturzgefährdet. Im Bereich der Körperpflege bestehe ein umfassender Hilfebedarf, vor allem beim Duschen. Des Weiteren sei er sowohl darm- wie auch harninkontinent und bedürfe bei der Bewältigung einer Teilunterstützung. Hilfebedarf bestehe auch beim Einnehmen der verordneten Medikamente, der Messung des Blutzuckers und des Spritzens von Insulin. Seit Antragstellung erfülle er damit die Voraussetzungen zumindest der Pflegestufe I mit zusätzlicher erheblicher Einschränkung der Alltagskompetenz, so dass er ab dem 1. Januar 2017 mindestens in Pflegegrad 3 überzuleiten sei. Zudem habe er Anspruch auf Gewährung von zusätzlichen Betreuungs- und Entlastungsleistungen. Das lediglich nach Aktenlage erstellte gerichtliche Sachverständigengutachten (dazu unten) sei nicht mehr ausreichend, da er mittlerweile einer Begutachtung wieder voll zur Verfügung stehe. Das Gutachten selbst sei nicht schlüssig, da der tatsächlich bestehende Hilfebedarf sowie die erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz verkannt würden. Zur Untermauerung seines Vorbringens legte er umfangreiche ärztliche Unterlagen aus dem Zeitraum von Juni 2016 bis Februar 2019 vor (Bl. 32/46, 68/79 sowie 143/179 der SG Akte), insbesondere Arztbriefe des Klinikums S1 vom 16. August 2016 und 1. Februar 2019 (Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie), vom 24. November 2016, 7. und 17. September 2018, 25. Januar 2019 (Zentrum für seelische Gesundheit), 8. Dezember 2018 (interdisziplinäre Notaufnahme) sowie des K1-Krankenhauses vom 24. Januar 2019 (Innere Klinik).
Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf die MDK-Gutachten entgegen.
Das SG bestellte den Pflegesachverständigen B1 zum gerichtlichen Sachverständigen und beauftragte ihn, nachdem der Kläger auch nach der vorgesehenen Krankenhausentlassung nicht erreichbar war, mit einer Begutachtung nach Aktenlage. In seinem Gutachten vom 11. Februar 2019 beschrieb er unter Berücksichtigung der pflegebegründenden Diagnosen Mobilitätsstörung bei Z.n. Schlaganfall mit beinbetonter Schwäche links, chronische Schmerzstörung mit Opiatgebrauch, insulinpflichtiger Diabetes mellitus sowie paranoide Schizophrenie, Persönlichkeitsstörung und rezidivierende depressive Störung einen personellen Gesamthilfebedarf in der Grundpflege von 21 Minuten täglich im Wochendurchschnitt (Duschen 12, Transfer hierzu 1, nächtliche Entleerung der Urinflasche 2 und Essen 6 Minuten). Die Alltagskompetenz sei nicht eingeschränkt.
Nach Anhörung der Beteiligten wies das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30. April 2019 ab. Nach den nachvollziehbaren und schlüssigen Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen und in den MDK-Gutachten erreiche der Kläger nicht den für Pflegestufe I vorausgesetzten Hilfebedarf in der Grundpflege von täglich mehr als 45 Minuten. Im Bereich des Duschens seien lediglich anteilige Hilfen bezogen auf den Unterkörper sowie des Vorbereitens der Utensilien erforderlich, was sich mit der Einschätzung des Hilfe- bzw. Pflegebedarfs durch das Klinikum S1 vom 2. November 2016 decke. Anzusetzen sei insoweit ein anteiliger zeitlicher Bedarf von 12 Minuten täglich zzgl. 1 Minute für den Transfer. Im Bereich der Mobilität sei ein durchgehender und regelmäßiger Hilfebedarf bei der Zurücklegung auch kurzer Strecken innerhalb der Wohnung nicht zweifelsfrei ableitbar. So sei im Gutachten des MDK vom 14. Oktober 2016 bereits festgehalten, dass der Kläger selbständig in die Stadt laufen könne. Auch aus dem Behandlungsbericht des Klinikum S1 vom 8. Oktober 2018 ergebe sich, dass der Kläger als Rollstuhlfahrer selbständig in die dortige Notaufnahme gekommen sein, die sich 1,7 km entfernt von seiner Wohnung befinde. Dauerhafte Beeinträchtigungen der Manualfunktionen sowie der oberen Extremitäten ergäben sich aus den vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht. Der Hilfebedarf im Umgang mit Medikamenten, Blutzuckermessungen und Insulininjektionen bezögen sich auf Maßnahmen der krankenversicherungsrechtlichen Behandlungspflege und sei somit im Rahmen der Grundpflege nicht zu berücksichtigen. Hingegen sei wegen der unregelmäßigen Nahrungsaufnahme eine punktuelle Hilfe in Form der Aufforderung oder Kontrolle schlüssig, der mit 6 Minuten täglich für die Aufnahme der Nahrung zu berücksichtigen sei. Einen Antrag auf Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach Maßgabe des ab dem 1. Januar 2017 geltenden neuen Pflegerechts habe der Kläger nicht gestellt.
Gegen diesen, seinem damaligen Prozessbevollmächtigten am 9. Mai 2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11. Juni 2019, dem Tag nach Pfingstmontag, Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben, mit der er Leistungen der Pflegestufe II ab dem 14. September 2016 und nach Pflegegrad 4 ab dem 1. Januar 2017 geltend gemacht hat. Zu deren Begründung hat er diverse, teils bereits aktenkundige ärztliche Atteste und Arztbriefe vorgelegt (Bl. 3/30 der Senatsakten).
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. April 2019 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 18. Oktober 2016 und 2. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2017 zu verurteilen, ihm Leistungen der sozialen Pflegeversicherung ab dem 14. September 2016 nach Pflegestufe II und nach Pflegegrad 4 ab dem 1. Januar 2017 sowie Entlastungsbeträge nach § 45b SGB XI zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, da mit der ordnungsgemäßen, am 6. November 2023 öffentlich zugestellten Ladung (§ 63 Abs. 1 und 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [Sozialgerichtsgesetz] i.V.m. §§ 185, 188 Zivilprozessordnung [ZPO] auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde (§ 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
2. Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft gemäß §§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG. Denn er begehrt laufende Leistungen für mehr als ein Jahr. Die einmonatige Berufungsfrist nach § 151 Abs. 1 SGG ist gewahrt. Da der Gerichtsbescheid dem erstinstanzlich prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt des Klägers ausweislich dessen Empfangsbekenntnisses am 9. Mai 2019 zugestellt wurde, endete die Frist unter Berücksichtigung des Wochenendes und des gesetzlichen Feiertags am 10. Juni 2019 (Pfingstmontag) erst mit Ablauf des 11. Juni 2019 (§ 64 Abs. 3 SGG). An diesem Tag hat der Kläger die Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt.
3. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Gewährung von laufenden Leistungen der sozialen Pflegeversicherung ab dem 14. September 2016 nach Pflegestufe II sowie nach Pflegegrad 4 ab dem 1. Januar 2017. Dies ergibt sich aus dem ausdrücklich bei Berufungseinlegung geäußerten Begehren. Darin liegt keine Klageerweiterung gegenüber dem erstinstanzlich verfolgten Klageziel. Denn dieses war auf Leistungen „wenigstens“ nach Pflegestufe I bzw. Pflegegrad 2 gerichtet und beinhaltete daher bereits das nun ausdrücklich formulierte höhere Begehren. Unter Berücksichtigung des ursprünglich bei der Beklagten gestellten und im Verlauf des Klageverfahrens nicht geänderten Antrags begehrt er die Gewährung von Kombinationsleistungen. Des Weiteren ist Gegenstand die Gewährung eines jährlichen Entlastungsbetrages. Dieses Begehren hatte der Kläger bereits erstinstanzlich hinreichend deutlich geltend gemacht, ohne dies im Berufungsverfahren erkennbar einzuschränken. Streitbefangen sind die Leistungen der Pflegeversicherung ablehnenden Bescheide der Beklagten vom 18. Oktober 2016 und 2. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2017 (§ 95 SGG).
4. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Diese ist teilweise unzulässig (dazu a), im Übrigen unbegründet. Der Kläger hat für zurückliegende Zeiträume keinen Anspruch auf Gewährung von Geldleistungen, weder nach dem bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Recht (dazu b) noch nach dem ab 1. Januar 2017 geltenden Recht (dazu c). Ansprüche für die Zukunft bestehen ebenfalls nicht (dazu d). Im Rahmen der zulässigen Klage sind die Bescheide der Beklagten vom 18. Oktober 2016 und 2. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 2017 rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
a) Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG statthafte Klage ist für zurückliegende Zeiträume nur insoweit zulässig, als der Kläger die rückwirkende Gewährung von Pflegegeld begehrt. Sachleistungen – im Rahmen der ursprünglich bei der Beklagten beantragten Kombinationsleistungen – können bereits ihrer Natur nach nicht für die Vergangenheit erbracht werden. Insoweit käme allenfalls ein Kostenerstattungsanspruch für selbstbeschaffte Leistungen nach dem in § 13 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ausgedrückten allgemeinen Rechtsgrundsatz (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 24. September 2002 – B 3 P 15/01 R – juris, Rn. 12 m.w.N.) in Betracht. Eine hierauf gerichtete Klage bedarf zu ihrer Zulässigkeit aber einer konkreten Bezifferung und der Darlegung, wie sich dieser Betrag im Einzelnen zusammensetzt (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2022 – B 1 KR 2/21 R – juris, Rn. 7; BSG, Urteil vom 24. September 2002 – B 3 P 15/01 R – juris, Rn. 11). Daran fehlt es vorliegend. Der Kläger hat bereits keine selbstbeschafften Leistungen in diesem Sinne bezeichnet. Dem Akteninhalt kann zwar entnommen werden, dass zwischenzeitlich ein Pflegedienst in Anspruch genommen wurde. Dieser erbrachte aber lediglich die Insulininjektionen im Rahmen der krankenversicherungsrechtlichen Behandlungspflege zulasten der Kranken-, nicht der hier beklagten Pflegekasse. Eigene Kosten für den Pflegedienst hat der Kläger auch nicht dargelegt. Da Versicherte mit Pflegegrad 1 keine Ansprüche auf Pflegegeld, sondern nur auf die in § 28a SGB XI abschließend aufgeführten Sach- oder Erstattungsleistungen haben, besteht vorliegend kein Rechtsschutzinteresse an einer Zuerkennung von Pflegegrad 1 für vergangene Zeiträume. Entsprechendes gilt für den Entlastungsbetrag nach § 45b Abs. 1 SGB XI sowohl in der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) wie auch in der ab 1. Januar 2017 geltenden Fassung. Der Entlastungsbetrag ist gesetzlich nicht als laufende Geldleistung ausgestattet, sondern von vornherein auf Kostenerstattung gerichtet (§ 45b Abs. 1 Satz 3 SGB XI: „Erstattung von Aufwendungen“; § 45b Abs. 1 Satz 2 SGB XI a.F.: „Kosten hierfür werden ersetzt“). Der Kläger hat keine Aufwendungen in diesem Sinne bezeichnet und auch nicht behauptet, erstattungsfähige Leistungen i.S.d. § 45b SGB XI in Anspruch genommen zu haben. Mangels schlüssiger Behauptung einer Rechtsverletzung fehlt es insoweit bereits an der Klagebefugnis. Für zukünftige Leistungen ist die Klage vollumfänglich zulässig.
b) Der Kläger hat im Rahmen der zulässigen Klage ab dem 14. September 2016 keinen Anspruch auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach dem bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Recht.
Da der Kläger seinen Antrag auf Pflegegeld am 14. September 2016, mithin vor dem 31. Dezember 2016 stellte, beurteilt sich nach § 140 Abs. 1 Satz 1 SGB XI sein Anspruch zunächst nach den Vorschriften des SGB XI in der bis 31. Dezember 2016 geltenden Fassung.
aa) Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI a.F. Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI a.F. genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI a.F.) der Hilfe bedürfen.
bb) Diese Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe I lagen beim Kläger im Zeitraum vom 14. September 2016 bis 31. Dezember 2016 nicht vor.
(1) Beim Kläger lag ab September 2016 zunächst ein Z.n. Apoplex 2013 mit linksbetonter Bein- und diskreter Faszialisparese vor. Weitere Auffälligkeiten mit dauerhaftem Krankheitswert lassen sich den vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht entnehmen. In den Arztbriefen des Zentrums für seelische Gesundheit vom 7. September 2018 und 25. Januar 2019 wurden solche ausdrücklich verneint. Bei einer Vorsprache des Klägers in der Notaufnahme des Klinikums S1 am 8. Oktober 2018 fand sich bei angegebenen Schmerzen in der rechten Schulter kein Anhalt für eine persistierende Schwäche des rechten Armes nach vollständig ausgeheilter Klavikulafraktur 2016 bei passiv freien Beweglichkeiten aller großen Gelenke der oberen Extremitäten. Im Arztbrief des K1-Hospitals vom 24. Januar 2019 ist eine freie Beweglichkeit der Extremitäten dokumentiert.
Des Weiteren bestand ein Diabetes mellitus Typ 1 mit diabetischer Polyneuropathie. Bei fehlender Compliance des Klägers kam es immer wieder zu Hyper- und Hypoglykämien. Dies ergibt sich aus der Zusammenschau der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere der internistischen und diabetologischen Krankenhausberichte. Dem Arztbrief des Klinikum S1 vom 16. Juni 2016 ist insoweit zu entnehmen, dass der Kläger nach den durch den damals eingeschalteten Pflegedienst verabreichten Insulininjektionen nicht immer die vorgesehenen Mahlzeiten einnahm. Eine selbstgesteuerte Therapie war damals nicht möglich. Nach Entlassung erfolgte eine Therapie mit täglichen Insulininjektionen (morgens, mittags, abends). Nach einer notfallmäßigen stationären Aufnahme bei entgleistem Diabetes mellitus am 20. Juni 2018 erfolgte im M1 S1 zunächst eine Umstellung auf ein konventionelles Insulinschema mit Applikation zweier fester Dosen, später unter Aufteilung dieser Dosen in Abhängigkeit von der Nahrungsaufnahme. Nach Verlegung in das Zentrum für seelische Gesundheit wurde diese Therapie auch für die Zeit nach der dortigen Entlassung vorübergehend (mindestens vier Wochen) weiterempfohlen. Dies entnimmt der Senat dem dortigen Arztbrief vom 17. September 2018 und der vorgelegten Verordnung über häusliche Krankenpflege (Bl. 176 der SG-Akte). Dauerhaft wurde die Therapie aber mit je drei Insulininjektionen und entsprechenden Blutzuckermessungen täglich weitergeführt. Dies entnimmt der Senat dem Arztbrief des Zentrums für seelische Gesundheit vom 1. Februar 2019 und der dortigen entsprechenden Verordnung häuslicher Krankenpflege vom 31. Januar 2019.
Eine dauerhafte Inkontinenz von relevantem Ausmaß kann nicht festgestellt werden. Zwar wurde im Pflegebogen des Klinikum S1 während des stationären Aufenthaltes ab 21. Oktober 2016 eine Harninkontinenz angegeben, allerdings ohne konkreten Umfang und bei voller Selbständigkeit in der Bewältigung. Eine entsprechende Diagnose wurde aber nach den vorliegenden Unterlagen ärztlich zu keinem Zeitpunkt gestellt. Im Arztbrief des Klinikum S1 vom 16. August 2016 wurden nur eine Pollakisurie (häufiges Wasserlassen in kleinen Mengen) und eine Nykturie (nächtlicher Harndrang) beschrieben, aber keine Inkontinenz. Die weiteren ärztlichen Unterlagen bieten keine Anhaltspunkte für eine Inkontinenz. Vielmehr wurde im Folgenden die Miktion ausdrücklich als unauffällig beschrieben (Arztbriefe vom 7. September 2018 und 1. Februar 2019).
Eine relevante psychische Erkrankung des Klägers mit Auswirkungen auf pflegerischen Hilfebedarf vermag der Senat nicht festzustellen. Zwar wurde anlässlich des stationären Aufenthalts im Zentrum für seelische Gesundheit ab dem 21. Oktober 2016 die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie gestellt und der Verdacht auf komplexe posttraumatische Belastungsstörung geäußert. Die Aufnahme war wegen eines Suizidversuchs mit Insulin erfolgt. Allerdings erfolgte die Entlassung in deutlich gebessertem und stabilisiertem Zustand. Es gab keinen Anhalt für einen paranoiden Wahn. Der Kläger war offen, zukunftsorientiert und deutlich geordneter. Es fanden sich keine Hinweise auf akute Suizidalität oder anderweitige Eigen- oder Fremdgefährdung. Eine ambulante Behandlungsbedürftigkeit wurde zwar noch angenommen, weitere, insbesondere pflegerische Maßnahmen wurden aber nicht empfohlen (Arztbrief des Zentrums für seelische Gesundheit vom 24. November 2016). Dem Attest dieses Zentrums vom 29. Mai 2017 ist eine weitere ambulante Behandlung wegen einer paranoiden Schizophrenie zu entnehmen und die deswegen angenommene Unfähigkeit zur Teilnahme an Sprach- und Integrationskursen. Befunde wurden allerdings nicht mitgeteilt. Die Diagnosen einer paranoiden Schizophrenie und des V.a. komplexe posttraumatische Belastungsstörung wurden zwar auch im Arztbrief des Zentrums für seelische Gesundheit vom 7. September 2018 (stationärer Aufenthalt vom 27. Juni bis 4. September 2018) noch fortgeführt. Darin wurde aber festgehalten, dass diese Diagnosen zwar unter Berücksichtigung des bisherigen Krankheitsverlaufes beibehalten wurden. Ausdrücklich wurde jedoch herausgestellt, dass die immer wieder im Kontext von Forderungen geäußerten psychotischen Symptome vom Kläger manipulativ eingesetzt worden waren. Im Vordergrund wurde eine Persönlichkeitsstörung gesehen mit einem kalkuliert gesteuerten, manipulativen Verhalten und der Tendenz zur Instrumentalisierung des Behandlungsteams zur Durchsetzung von Zielen in juristischen Auseinandersetzungen (hier in Bezug auf die aufenthaltsrechtliche Problematik und den sozialgerichtlichen Rechtsstreit über den Grad der Behinderung). Ebenso ausdrücklich wurde eine fehlende Handlungs- und Steuerungsfunktion ausgeschlossen. In Übereinstimmung hiermit wurde beschrieben, dass der Kläger – trotz beendeter Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit – seine Entlassung verwehrte und die Klinik aufforderte, sich um seine finanziellen Schwierigkeiten und die Problematik der Residenzpflicht zu kümmern. Zum einen relativiert dies die Bedeutung der Länge des stationären Aufenthalts. Zum anderen gibt die differenzierte Betrachtungsmöglichkeit über einen so langen Zeitraum der ärztlichen Einschätzung zusätzliches Gewicht. Dieses Verhalten des Klägers wiederholte sich während des kurz darauf erfolgten stationären Aufenthalts im selben Zentrum, nachdem der Kläger zur Verhinderung der Durchsetzung der Residenzpflicht die Gabe von Insulin durch den damals eingeschalteten Pflegedienst verweigert hatte. Wiederum wurde im Arztbrief vom 17. September 2018 festgehalten, dass keine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit und keine Selbst- oder Fremdgefährdung mehr vorlag. Der Kläger wurde mit Zwang von der Station und im weiteren Verlauf in den zugewiesenen Kreis gebracht. Nach seiner Rückkehr erfolgte vom 24. bis 25. Januar 2019 eine erneute stationäre Behandlung im Zentrum für seelische Gesundheit, nachdem er in einer Verhandlung vor dem SG zunächst gegenüber Justizbeamten renitent geworden war und dann in angenommener suizidaler Absicht Tabletten eingenommen hatte. Wiederum wurde im Arztbrief vom 25. Januar 2019 ein manipulatives Verhalten ohne Hinweise auf eine produktiv psychotische Symptomatik festgehalten. Der Kläger zeigte sich bewusstseinsklar, umfassend und sicher orientiert, in Auffassung, Konzentration, Merkfähigkeit und Gedächtnis sowie in Antrieb und Motorik nicht beeinträchtigt. Bei dysphorisch gereizter Stimmung war die affektive Schwingungsfähigkeit aber erhalten. Es bestanden keine Ängste, Phobien oder Zwänge. Der formale Gedankengang war zwar eingeengt. Inhaltliche Denk- oder Wahrnehmungsstörungen sowie akute Eigen- oder Fremdgefährdung bestanden nicht. Eine dauerhafte, der freien Steuerungsfähigkeit des Klägers entzogene Verhaltensbeeinträchtigung im Alltag vermag der Senat daher nicht mit der ausreichenden Sicherheit festzustellen. Bestanden haben hingegen nach den genannten ärztlichen Unterlagen ausreichend sicher eine somatoforme Schmerzstörung sowie eine Abhängigkeit von Pregabalin und Benzodiazepinen.
(2) Das SG hat im angefochtenen Gerichtsbescheid ausführlich und zutreffend dargelegt, dass für einen Leistungsanspruch mindestens nach Pflegestufe I der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen muss, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI a.F.) und dass der tägliche Hilfebedarf des Klägers bis zum 31. Dezember 2016 im Wochendurchschnitt für die Grundpflege 45 Minuten nicht überschritt, sondern bei höchstens 21 Minuten lag. Dieser Beurteilung schließt sich der Senat nach eigener Prüfung insbesondere aufgrund der Gutachten des MDK vom 17. Oktober und 30. November 2016, die er im Wege des Urkundenbeweises verwerten konnte (vgl. etwa BSG, Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51), und des Gutachtens des Sachverständigen B1 an. Zu Recht hat das SG auch den vom Kläger später vorgelegten ärztlichen Unterlagen keinen weiteren pflegerischen Hilfebedarf entnommen. Der Senat nimmt insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des SG Bezug und sieht von einer weiteren Begründung ab. Lediglich hinsichtlich einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI a.F. ist zu ergänzen, dass auch eine solche für die Zeit bis zum 31. Dezember 2016 nicht festgestellt werden kann.
Nach § 45a Abs. 1 Satz 2 SGB XI a.F. waren erfasst auch Personen, die einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung haben, der nicht das Ausmaß der Pflegestufe I erreicht, mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, bei denen der MDK oder die von der Pflegekasse beauftragten Gutachter im Rahmen der Begutachtung als Folge der Krankheit oder Behinderung Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens festgestellt haben, die dauerhaft zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz geführt haben, was in Abs. 2 näher konkretisiert war. Vorliegend konnte sich der Senat bereits von insoweit relevanten kognitiven oder psychischen Erkrankungen, wie oben dargelegt, nicht mit der notwendigen Sicherheit zu überzeugen.
cc) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegegrad 2 ab 1. Januar 2017 nach Maßgabe des Überleitungsrechts mit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz – PSG II) vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2424) mit Wirkung zum 1. Januar 2017. Denn die Voraussetzungen der Überleitung in die seit 1. Januar 2017 geltenden Pflegegrade sind nicht erfüllt.
Nach § 140 Abs. 2 Satz 1 SGB XI werden Versicherte der sozialen Pflegeversicherung und der privaten Pflege-Pflichtversicherung,
bei denen das Vorliegen einer Pflegestufe im Sinne der §§ 14 und 15 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung oder einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung festgestellt worden ist und
bei denen spätestens am 31. Dezember 2016 alle Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine regelmäßig wiederkehrende Leistung der Pflegeversicherung vorliegen,
mit Wirkung ab dem 1. Januar 2017 ohne erneute Antragstellung und ohne erneute Begutachtung nach Maßgabe von Satz 3 einem Pflegegrad zugeordnet. Für die Zuordnung gelten nach § 140 Abs. 2 Satz 3 SGB XI die folgenden Kriterien:
Versicherte, bei denen eine Pflegestufe nach den §§ 14 und 15 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung, aber nicht zusätzlich eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung festgestellt wurde, werden übergeleitet
von Pflegestufe I in den Pflegegrad 2,
von Pflegestufe II in den Pflegegrad 3,
von Pflegestufe III in den Pflegegrad 4 oder
von Pflegestufe III in den Pflegegrad 5, soweit die Voraussetzungen für Leistungen nach § 36 Abs. 4 oder § 43 Abs. 3 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung festgestellt wurden;
Versicherte, bei denen eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung festgestellt wurde, werden übergeleitet
bei nicht gleichzeitigem Vorliegen einer Pflegestufe nach den §§ 14 und 15 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung in den Pflegegrad 2,
bei gleichzeitigem Vorliegen der Pflegestufe I nach den §§ 14 und 15 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung in den Pflegegrad 3,
bei gleichzeitigem Vorliegen der Pflegestufe II nach den §§ 14 und 15 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung in den Pflegegrad 4,
bei gleichzeitigem Vorliegen der Pflegestufe III nach den §§ 14 und 15 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung, auch soweit zusätzlich die Voraussetzungen für Leistungen nach § 36 Abs. 4 oder § 43 Abs. 3 SGB XI in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung festgestellt wurden, in den Pflegegrad 5.
Das Vorliegen einer Pflegestufe im Sinne der §§ 14 und 15 SGB XI a.F. oder einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI a.F. konnte der Senat – wie bereits ausgeführt – nicht feststellen. Damit scheidet eine Zuordnung zu Pflegegrad 2 nach Überleitungsrecht aus.
c) Der Kläger hat für zurückliegende Zeiträume schließlich auch keinen Anspruch auf Pflegegeld mindestens nach Pflegegrad 2 nach dem ab 1. Januar 2017 geltenden Recht, was entgegen der Ansicht des SG im vorliegenden Verfahren zu prüfen ist (BSG, Urteil vom 17. Februar 2022 – B 3 P 6/20 R – juris, Rn. 17 ff.).
aa) Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI, hier in der ab dem 1. Januar 2017 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 13a Drittes Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften [Drittes Pflegestärkungsgesetz – PSG III] vom 23. Dezember 2016, BGBl. I, S. 3191) können Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Der Anspruch setzt voraus, dass der Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld dessen Umfang entsprechend die erforderlichen körperbezogenen Pflegemaßnahmen und pflegerischen Betreuungsmaßnahmen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung in geeigneter Weise selbst sicherstellt (§ 37 Abs. 1 Satz 2 SGB XI). An diesen Voraussetzungen hat sich auch durch die Neufassungen der Norm vom 11. Dezember 2018, 6. Mai 2019 und 28. Juni 2022 nichts geändert. Nimmt der Pflegebedürftige die ihm nach § 36 Abs. 3 SGB XI zustehende Sachleistung nur teilweise in Anspruch, erhält er daneben ein anteiliges Pflegegeld im Sinne des § 37 SGB XI (§ 38 Satz 1 SGB XI).
Nach § 14 Abs. 1 SGB XI sind Personen dann pflegebedürftig, wenn sie gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Maßgeblich für das Vorliegen von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten sind nach § 14 Abs. 2 SGB XI die in den folgenden sechs Bereichen genannten pflegefachlich begründeten Kriterien:
1. Mobilität: Positionswechsel im Bett, Halten einer stabilen Sitzposition, Umsetzen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen;
2. kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld, örtliche Orientierung, zeitliche Orientierung, Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen, Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen, Treffen von Entscheidungen im Alltagsleben, Verstehen von Sachverhalten und Informationen, Erkennen von Risiken und Gefahren, Mitteilen von elementaren Bedürfnissen, Verstehen von Aufforderungen, Beteiligen an einem Gespräch;
3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten, nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten, Beschädigen von Gegenständen, physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen, verbale Aggression, andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten, Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen, Wahnvorstellungen, Ängste, Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage, sozial inadäquate Verhaltensweisen, sonstige pflegerelevante inadäquate Handlungen;
4. Selbstversorgung: Waschen des vorderen Oberkörpers, Körperpflege im Bereich des Kopfes, Waschen des Intimbereichs, Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare, An- und Auskleiden des Oberkörpers, An- und Auskleiden des Unterkörpers, mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken, Essen, Trinken, Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls, Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma, Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma, Ernährung parenteral oder über Sonde, Bestehen gravierender Probleme bei der Nahrungsaufnahme bei Kindern bis zu 18 Monaten, die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Hilfebedarf auslösen;
5. Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen in Bezug auf: Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöser Zugänge, Absaugen und Sauerstoffgabe, Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deutung von Körperzuständen, körpernahe Hilfsmittel, Verbandswechsel und Wundversorgung, Versorgung mit Stoma, regelmäßige Einmalkatheterisierung und Nutzung von Abführmethoden, Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung, zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung, Arztbesuche, Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, zeitlich ausgedehnte Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, Besuch von Einrichtungen zur Frühförderung bei Kindern sowie auf das Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften;
6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen, Ruhen und Schlafen, Sichbeschäftigen, Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen, Interaktion mit Personen im direkten Kontakt, Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds.
Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten in den Bereichen der Haushaltsführung und der außerhäuslichen Aktivitäten werden nicht zusätzlich berücksichtigt, sondern fließen in die Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit ein, soweit sie in den oben genannten Bereichen abgebildet sind. Darüber hinausgehende Beeinträchtigungen in diesen beiden Bereichen wirken sich mithin nicht auf die Bestimmung des Pflegegrades aus (vgl. § 14 Abs. 3 SGB XI; zum Ganzen: Meßling, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, Stand: Januar 2023, § 14 Rn. 264 ff. m.w.N.). Sowohl die Auflistung der sechs Pflegebereiche als auch die zu deren Konkretisierung aufgeführten Pflegekriterien bilden einen abschließenden Katalog, der nicht um - vermeintlich fehlende - zusätzliche Kriterien oder gar Bereiche ergänzt werden kann (Meßling, a.a.O., § 14 Rn. 118). Inhaltlich erfahren die Pflegekriterien eine nähere Bestimmung durch die auf Grundlage des § 17 Abs. 1 SGB XI vom Medizinischen Dienst Bund erlassenen Richtlinien zum Verfahren der Feststellung von Pflegebedürftigkeit sowie zur pflegefachlichen Konkretisierung der Inhalte des Begutachtungsinstruments (Begutachtungs-Richtlinien – BRi) vom 29. September 2023, in Kraft seit dem 18. November 2023 (zuvor galten die ab dem 1. Januar 2017 vom Spitzenverband Bund der Pflegekassen erlassenen Begutachtungs-Richtlinien). Soweit sich diese untergesetzlichen Regelungen innerhalb des durch Gesetz und Verfassung vorgegebenen Rahmens halten, sind sie als Konkretisierung des Gesetzes zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen zu beachten (Meßling, a.a.O., § 14 Rn. 87 m.w.N.; zum alten Recht vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 1998 – B 3 P 7/97 R – juris, Rn. 17; BSG, Urteil vom 13. Mai 2004 – B 3 P 7/03 R – juris, Rn. 32 m.w.N.; BSG, Urteil vom 6. Februar 2006 – B 3 P 26/05 B – juris, Rn. 8).
Nach § 15 Abs. 1 SGB XI erhalten Pflegebedürftige nach der Schwere der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten einen Grad der Pflegebedürftigkeit (Pflegegrad). Der Pflegegrad wird mit Hilfe eines pflegefachlich begründeten Begutachtungsinstruments ermittelt, wobei dieses in sechs Module, entsprechend den oben genannten Bereichen, gegliedert ist. Die Kriterien der einzelnen Module sind in Kategorien unterteilt, denen Einzelpunkte entsprechend der Anlage 1 zu § 15 SGB XI zugeordnet werden. Die Kategorien stellen die in ihnen zum Ausdruck kommenden verschiedenen Schweregrade der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten dar (§ 15 Abs. 2 Satz 3 SGB XI). Die Einzelpunkte in den jeweiligen Modulen werden sodann addiert und entsprechend der Anlage 2 zu § 15 SGB XI einem jeweiligen Punktbereich zugeordnet, aus dem sich die gewichteten Punkte ergeben. Insgesamt wird für die Beurteilung des Pflegegrades die Mobilität mit 10 Prozent, die kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten sowie Verhaltensweisen und psychische Problemlagen zusammen mit 15 Prozent, die Selbstversorgung mit 40 Prozent, die Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen mit 20 Prozent und die Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte mit 15 Prozent gewichtet (§ 15 Abs. 2 Satz 8 SGB XI).
Auf der Basis der erreichten Gesamtpunkte sind pflegebedürftige Personen in einen der nachfolgenden Pflegegrade einzuordnen: ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 1: geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, ab 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 2: erhebliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, ab 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 3: schwere Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, ab 70 bis unter 90 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 4: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, ab 90 bis 100 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 5: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung (§ 15 Abs. 3 Satz 4 SGB XI).
bb) Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Senats fest, dass diese Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach Pflegegrad 2 beim Kläger ab 1. Januar 2017 nicht vorlagen, dass er also nicht mindestens 27 gewichtete Gesamtpunkte erreichte.
In Modul 1 (Mobilität) bestand beim Kläger ein nachvollziehbarer Hilfebedarf allein im Bereich des Treppensteigens. Im MDK-Gutachten vom 17. Oktober 2016 wurde festgehalten, dass der Kläger am Rollator gehend selbständig gehen konnte und nach Angaben des damals anwesenden Pflegedienstes zeitweilige sogar in die Stadt laufe. Im weiteren zeitlichen Verlauf lässt sich den vorliegenden ärztlichen Unterlagen keine Verschlechterung diesbezüglich entnehmen. Zwar wird die Verwendung eines Rollstuhls angegeben, dies jedoch für längere Strecken. So hat das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger in der Notaufnahme des Klinikums S1 am 8. Oktober 2018 selbständig mit dem Rollstuhl erschienen war (Entfernung ca. 1,7 km). Weiter wurde im genannten MDK-Gutachten festgehalten, dass das Aufsuchen und Verlassen des Bettes problemlos selbständig möglich war. Bei der zweiten Begutachtung durch den MDK verweigerte der Kläger bei diesen Prüfungen die Kooperation. Gleichwohl konnte beobachtet werden, dass der Kläger die Lagekorrektur im Bett selbständig durchführte und eine stabile Sitzposition hielt. Weitere Hilfebedarfe sind in den ärztlichen Unterlagen insoweit nicht dokumentiert. Ausgehend von einem Hilfebedarf beim Treppensteigen (überwiegend unselbständig) ergeben sich in diesem Modul mithin 2 Einzel- und 2,5 gewichtete Punkte. Diese würden sich auch bei Annahme einer Unselbständigkeit bei diesem Item nicht erhöhen.
In Modul 4 (Selbstversorgung) war zunächst zu beachten, dass die im MDK-Gutachten beschriebenen Funktionsbeeinträchtigungen in Folge der damals noch aktuellen Klavikulafraktur nicht dauerhaft waren. Dies ist bereits beiden MDK-Gutachten und den nachfolgenden ärztlichen Unterlagen zu entnehmen. Ein Hilfebedarf ergab sich daher zunächst nur aus den nach dem Apoplex 2013 verbliebenen Funktionsbeeinträchtigungen, konkret Beinschwäche links. Die ohnehin nur diskrete Faszialisparese bedingte keinen personellen Hilfebedarf. Eine relevante Beeinträchtigung der Manualfunktionen wurde in den MDK-Gutachten anschaulich ausgeschlossen. So konnte der Kläger trotz angegebener Beeinträchtigungen auch der linken Hand ohne Schwierigkeiten greifen und beispielsweise seine Papiere durchblättern. Bei Gesten erreichte er vollständig den Kopf und den Rücken. Einschränkungen in der Handfunktion sind in keinem der vorliegenden ärztlichen Berichte festgehalten. Vielmehr spricht die oben angeführte Fähigkeit, den Rollstuhl selbständig bis zur Notaufnahme zu bewegen, gegen eine solche. In Übereinstimmung mit dem Sachverständigen B1 legt der Senat wegen der Rutschgefahr bei nassem Untergrund einen Hilfebedarf beim Duschen zugrunde, konkret beim Transfer, im Bereich des Unterkörpers und beim Bereitstellen der Utensilien. Dieser ist im Pflege-Item 4.4 Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare nach BRi F.4.4 mit überwiegend selbständig zu bewerten, da der Kläger mehr als nur geringe Anteile der Aktivität selbständig durchführen konnte. Ein Hilfebedarf im Bereich des Pflege-Items 4.11 (Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma) kann nicht berücksichtigt werden, da – wie oben festgestellt – jedenfalls ab 2017 keine überwiegende Inkontinenz bestand. Nach Anlage 1 zu § 15 SGB XI gehen die Einzelpunkte für das Pflege-Item 4.11 in die Berechnung nur ein, wenn bei der Begutachtung beim Versicherten darüber hinaus die Feststellung „überwiegend inkontinent“ oder „vollständig inkontinent“ getroffen wird oder eine künstliche Ableitung von Stuhl oder Harn erfolgt. Die in den MDK-Gutachten beschriebene Tröpfcheninkontinenz ist nach BRi F4.4 als überwiegend kontinent einzustufen. Des Weiteren benötigte der Kläger gelegentlich Aufforderungen, nach der Insulinvergabe die erforderlichen Mahlzeiten zu sich zu nehmen. Da sich dieser Hilfebedarf nicht auf die Einhaltung der diätischen Vorgaben selbst, sondern der Einnahme der jeweiligen Mahlzeit bezog (zur Abgrenzung Senatsurteil vom 15. Mai 2023 – L 4 P 132/22 – juris, Rn. 51), berücksichtigt der Senat diesen in Modul 4. Hier zeigte sich der Kläger unter Berücksichtigung der Vorgaben der BRi F.4.8 somit nur als überwiegend selbständig. Der Kläger erreichte mithin in diesem Modul insgesamt 4 Einzel- und damit 10 gewichtete Punkte. Letztere erhöhten sich auch nicht, wenn man einen Hilfebedarf beim Essen mit überwiegend unselbständig zugrunde legte. Berücksichtigte man den Hilfebedarf beim Essen abweichend unter dem Gesichtspunkt der Einhaltung einer Diät, erreichte der Kläger insgesamt auch nicht die für Pflegegrad 2 nötige Gesamtsumme an gewichteten Punkten.
In Modul 5 (Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen) ergab sich nach obigen Feststellungen ab 2017 ein Hilfebedarf im Pflege-Item 5.1 (Medikation einmal täglich bereitstellen) sowie in den Pflege-Items 5.2 (Injektionen) und 5.6 (Messung und Deutung von Körperzuständen) dauerhaft von je dreimal täglich. Weitere Hilfebedarfe lassen sich aus den vorliegenden Unterlagen nicht ableiten. Damit bestand ein Hilfebedarf von 7 Einzel- und damit 10 gewichteten Punkten.
Dauerhafte personelle Hilfebedarfe in den Modulen 2 (kognitive und kommunikative Fähigkeiten) und 3 (Verhaltensweisen und psychische Problemlagen) sind im relevanten Zeitraum nicht festzustellen. Denn bereits von insoweit relevanten kognitiven oder psychischen Erkrankungen vermochte sich der Senat, wie oben dargelegt, nicht mit der notwendigen Sicherheit zu überzeugen. Entsprechendes gilt für Hilfebedarfe in Modul 6 (Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte). Denn allein durch die körperlich begründeten Beeinträchtigungen bestand in diesem Bereich kein personeller Hilfebedarf.
Insgesamt erreichte der Kläger ab dem 1. Januar 2017 mithin einen gesamtpflegerischen Hilfebedarf von höchstens 22,5 gewichteten Punkten und damit nicht die Voraussetzungen von Pflegegrad 2.
d) Ein Leistungsanspruch für die Zukunft besteht nicht. Es fehlt bereits an der Eingangsvoraussetzung einer fortbestehenden Mitgliedschaft bei der Beklagten. Da der aktuelle Aufenthaltsort und Erwerbsstatus des Klägers nicht bekannt sind, vermag der Senat bereits nicht festzustellen, dass dieser weiterhin i.S.d. §§ 20, 21 SGB XI Mitglied der Beklagten oder überhaupt noch sozial pflegeversichert ist.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
6. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.