I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 2. November 2021 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander für die Berufungsinstanz keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Aufhebung und Erstattung von Rente wegen voller Erwerbsminderung wegen Hinzuverdienstes der Klägerin für den Zeitraum vom 1. August 2012 bis 30. November 2014 in Höhe von zuletzt noch 3.278,26 €.
Die Beklagte bewilligte der 1952 geborenen Klägerin mit Bescheid vom 1. Dezember 2011 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. September 2011. Die Klägerin hatte bereits zuvor seit dem 12. April 2011 Krankengeld bezogen. Ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. vom 5. September 2011 kam u.a. zu der Diagnose einer depressiven Störung, mittelgradig ausgeprägt, und einer Leistungsfähigkeit der Klägerin sowohl in ihrem letzten Beruf als kaufmännischer Angestellten als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von drei bis unter sechs Stunden. Eine Wiederherstellung der vollschichtigen Erwerbsfähigkeit sei innerhalb Jahresfrist durch fortgesetzte ambulante psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung zu erwarten. Die depressive Störung sei ausgelöst durch verschiedene Umfeldbelastungen im familiären Bereich sowie chronische Schmerzzustände. Die Klägerin hatte von Partnerschaftskonflikten mit ihrem Ehemann berichtet, der auf ihr Betreiben hin wegen zunehmender Verhaltensauffälligkeiten (Selbstmorddrohung und aggressiven Verhaltens) stationär psychiatrisch behandelt werde. Nach Widerspruchseinlegung reichte die Klägerin eine Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. vom 6. Februar 2012 ein, wonach bei der Klägerin wegen der Belastungen rund um ihren Ehemann und ihre Scheidung inzwischen eine rezidivierende depressive Störung in Form einer schweren Episode vorliege. Die Klägerin gab zudem an, eine Fortführung ihrer Beschäftigung bei ihrem Ehemann sei nicht möglich.
In einer Anfrage der Beklagten vom 18. Mai 2012, Rückantwort eingegangen bei der Beklagten am 14. Juni 2012, erkundigte sich die Beklagte danach, ob die Klägerin in einem Arbeitsverhältnis stehe und bat darum, den Arbeitgeber einen entsprechenden Vordruck zukommen zu lassen. Auf dem der Beklagten zurückgesendeten Formular gab die Klägerin handschriftlich an, sie beziehe noch Krankengeld bis ca. August 2012. Ausweislich eines Vermerks in der Verwaltungsakte der Beklagten vom 11. Juni 2012 hatte die Klägerin zuvor telefonisch mitgeteilt, dass sie getrennt von ihrem Ehemann lebe. Dieser sei ihr Arbeitgeber. Das Formular zur Arbeitgeberbescheinigung werde sie ggfs. an den Steuerberater des Ehemannes geben. Die Beklagte teilte mit, dass sie ersatzweise auch Gehaltszettel für März und April 2011 berücksichtigen könne. Die Klägerin habe angegeben, außer Krankengeld und Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung keine weiteren Einkünfte zu haben. Zur Akte gelangte eine Arbeitgeberbescheinigung des Arbeitgebers S. 1-3D-Messtechnik vom 12. Juni 2012, wonach die Klägerin im März 2011 eine Bruttoarbeitsentgelt von 684,00 € sowie im April 2011 ein Bruttoarbeitsentgelt von 250,80 € erzielt hatte. Zur Akte gelangten zudem entsprechende Gehaltsmitteilungen für März und April 2011.
Die Beklagte half dem Widerspruch ab und bewilligte der Klägerin mit Rentenbescheid vom 22. Juni 2012 nunmehr eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer ab dem 1. März 2011. Berücksichtigt wurde Hinzuverdienst im März 2011 in Höhe von 684,00 €, im April 2011 in Höhe von 250,80 € und ab Mai 2011 keinerlei Hinzuverdienst mehr. Unter der Überschrift „Mitteilungspflichten und Mitwirkungspflichten“ führte die Beklagte aus: „Bitte teilen Sie uns unverzüglich mit, wenn Sie eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit aufnehmen oder ausüben. Ihre Rente wegen voller Erwerbsminderung kann dann wegfallen. ... Ihre Rente wegen voller Erwerbsminderung wird nicht oder in verminderter Höhe gezahlt, sofern durch Einkommen die für diese Rente maßgebende Hinzuverdienstgrenze überschritten wird. Die Hinzuverdienstgrenze finden Sie in der Anlage 19. Sie müssen uns unverzüglich mitteilen, wenn Ihr Einkommen über der Hinzuverdienstgrenze liegt.“ In Anlage 1 des Rentenbescheids wird bei Berechnung der Rente u.a. „für die Zeit ab 01.04.2011“ angegeben: „- trifft die Rente nicht mehr mit Hinzuverdienst zusammen“. In Anlage 19 - „Darstellung der Hinzuverdienstgrenzen“ - führt die Beklagte u.a. aus, ob die Rente wegen voller Erwerbsminderung in voller Höhe, in Höhe von drei Vierteln, in Höhe der Hälfte oder in Höhe eines Viertels geleistet wird, sei abhängig davon, welche Hinzuverdienstgrenze eingehalten werde. Die Hinzuverdienstgrenzen für die Rente wegen voller Erwerbsminderung würden auf dieser Anlage dargestellt. Für die Rente wegen voller Erwerbsminderung in voller Höhe betrage die Hinzuverdienstgrenze monatlich 400,00 €. Der Hinzuverdienst eines Kalendermonats werde der monatlichen Hinzuverdienstgrenze gegenübergestellt. Die maßgebende Hinzuverdienstgrenze dürfe zweimal im Laufe eines jeden Kalenderjahres um einen Betrag bis zur Höhe der für einen Monat geltenden Hinzuverdienstgrenze überschritten werden. Ein solches Überschreiten sei jedoch nur dann zulässig, wenn im Vergleich zum Vormonat ein höherer Hinzuverdienst erzielt und hierdurch die bisherige monatliche Hinzuverdienstgrenze überschritten werde. Sollte die Klägerin zu den Hinzuverdienstgrenzen und zu dem für sie zulässigen Hinzuverdienst weitere Auskünfte und Erläuterungen wünschen, werde ihr empfohlen, sich an eine der Auskunfts- und Beratungsstellen der Deutschen Rentenversicherung oder an den für sie zuständigen Rentenversicherungsträger zu wenden. In Anlage 21 - „Zusammentreffen von Rente und Hinzuverdienst“ - wurde festgestellt, dass die Rente wegen voller Erwerbsminderung mit Hinzuverdienst zusammentreffe. Für die Zeit ab dem 1. März 2011 wurde dabei Arbeitsentgelt in Höhe von 684,00 € berücksichtigt, für die Zeit ab dem 1. April 2011 in Höhe von 250,80 € und für die Zeit ab dem 1. Mai 2011 stehe der Klägerin die Rente in voller Höhe zu, weil die Rente nicht mehr mit Hinzuverdienst zusammentreffe.
Laut Telefonvermerk vom 24. August 2012 rief die Klägerin bei der Beklagten an und erkundigte sich nach der Auszahlung des Rentennachzahlungsbetrags aus dem Bescheid vom 22. Juni 2012. Ein erneuter Anruf erfolgte diesbezüglich laut Telefonvermerk am 30. August 2012. Nach Auszahlung des Restbetrags rief die Klägerin laut Telefonvermerk vom 25. September 2012 bei der Beklagten an und bat um Überprüfung der gespeicherten Entgeltzeit vom 1. Januar bis 30. April 2011. Ausweislich eines Telefonvermerks vom 29. Oktober 2012 gab die Klägerin gegenüber der Beklagten an, die Überprüfung habe sich erledigt. Die Beklagte habe laut Vermerk gegenüber der Klägerin angegeben, sie ginge von der Richtigkeit der gemeldeten Daten aus und die Klägerin solle Nachweise einsenden, sofern Unklarheiten vorlägen. Im Juni 2014 sprach die Klägerin in der Auskunfts- und Beratungsstelle der Deutschen Rentenversicherung Hessen in C-Stadt vor und erkundigte sich nach Probeberechnungen für eine mögliche Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit Beginn 1. Juni 2014 oder 1. November 2014. Am 24. Juni 2016 erkundigte sich die Klägerin nach einer fiktiven Berechnung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen zum frühestmöglichen Zeitpunkt ohne Abschläge unter Angabe der gültigen Hinzuverdienstgrenzen. Anlässlich der o.g. Kontakte zeigte die Klägerin die Erzielung von Einkommen für den Zeitraum ab Mai 2011 nicht an.
Am 18. November 2016 beantragte die Klägerin eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 1. Januar 2017. Im Rentenantrag gab die Klägerin an, sie werde ab Rentenbeginn kein Arbeitsentgelt und keinen steuerrechtlichen Gewinn erzielen. Mit Rentenbescheid vom 6. Dezember 2016 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab dem 1. Januar 2017 die beantragte Altersrente für schwerbehinderte Menschen.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung bei dem Arbeitgeber E. - Modeagentur - stellte die Beklagte im November 2016 fest, dass die Klägerin seit dem 1. Januar 2012 als Bürokraft versicherungspflichtig in der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung gewesen sei. Nach maschinellem Hinweis vom 14. April 2017 wurde der Sachbearbeitung der Beklagten mitgeteilt, dass die Klägerin eine Beschäftigung aufgenommen habe. In einem Gesamtkontospiegel vom 28. April 2017 erfasste die Beklagte erstmals Arbeitsentgelt für eine versicherungspflichtige Beschäftigung für den Zeitraum vom 2. Juni 2012 bis 31. Dezember 2014. Laut eines Telefonvermerks vom 2. August 2017 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagte hinsichtlich einer Beschäftigung ab Juni 2012, sie wisse nichts von einer Beschäftigung, die sie ausgeübt haben soll. Auch der Name der Firma (E. - Modeagentur -) sage ihr nichts. Sie wolle den Sachverhalt überprüfen und sich nochmals melden.
In einer Arbeitgeberauskunft vom 8. August 2017 teilte die Arbeitgeberin G. (ehemals E.) mit, die Klägerin sei vom 2. Juni 2012 bis 31. Dezember 2014 als Bürogehilfin beschäftigt gewesen. Für sie seien Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung an die Einzugsstelle abgeführt worden. Die Klägerin habe in 2012 Arbeitsentgelt in Höhe von 3.840,00 €, in 2013 in Höhe von 4.964,00 € und in 2014 in Höhe von 3.840 € erzielt. Auf eine Anfrage der Beklagten teilte die Klägerin mit Auskunft vom 30. Oktober 2017 mit, in den letzten beiden Jahren habe sie im Januar und Februar 2016 für die Modeagentur E. gearbeitet, diese Beschäftigung aber aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben.
Laut Arbeitgeberbescheinigung vom 4. Januar 2018 erzielte die Klägerin ab Juni 2012 folgende Bruttoarbeitsentgelte:
Juni 2012 337,00 € August 2012 825,00 €
September 2012 1.365,00 € Dezember 2012 622,00 €
Februar 2013 1.065,00 € März 2013 1.155,00 €
Juni 2013 570,00 € August 2013 907,00 €
September 2013 675,00 € Dezember 2013 592,00 €
Februar 2014 1.207,00 € März 2014 1.042,00 €
September 2014 1.132,00 € November 2014 457,00 €
Die Klägerin habe unbefristet als Bürogehilfin je nach Arbeitsanfall gearbeitet.
Mit Schreiben vom 7. Mai 2018 hörte die Beklagte die Klägerin zu einer beabsichtigten Aufhebung des Bescheids vom 22. Juni 2012 mit Wirkung ab dem 1. August 2012 wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenzen und der Erstattung einer Überzahlung in Höhe von 3.734,74 € für den Zeitraum vom 1. August 2012 bis 30. November 2014 an. Mit Schreiben vom 6. Juni 2018, eingegangen bei der Beklagten am 11. Juni 2018, teilte die Klägerin durch den Prozessbevollmächtigten mit, die subjektive Vorwerfbarkeit sei derzeit nicht hinreichend geklärt.
Mit Rentenbescheid vom 18. Juni 2018 berechnete die Beklagte die Rente wegen voller Erwerbsminderung der Klägerin ab dem 1. Juni 2012 neu. Für den Zeitraum vom 1. Juni 2012 bis 31. Dezember 2016 ergebe sich eine Überzahlung von 3.734,74 €, die von der Klägerin zu erstatten sei. Grund der Neuberechnung sei die Änderung der Höhe des Hinzuverdienstes. Die Beklagte gab im Einzelnen an, für welche Zeiträume die Rente wegen des Hinzuverdienstes in voller Höhe, in Höhe von drei Vierteln, in Höhe der Hälfte, in Höhe von einem Viertel oder gar nicht zu leisten war. Der Rentenbescheid vom 22. Juni 2012 und die nachfolgenden Bescheide würden hinsichtlich der Rentenhöhe für die Zeit vom 1. August 2012 bis 30. November 2014 nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) aufgehoben. In dem Zeitraum habe die Klägerin nach § 96a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) anzurechnenden Hinzuverdienst erzielt mit dem die Hinzuverdienstgrenze für eine Vollrente überschritten worden sei. Damit sei eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten, die bei Erlass des Rentenbescheids vom 22. Juni 2012 vorgelegen hätten. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit ab dem 1. August 2012 seien gegeben, da die Klägerin sich nicht auf Vertrauen in den Bestand der Rentenbescheide berufen könne. Sie hätte aufgrund der Hinweise der Beklagten erkennen müssen, dass ihr Rentenanspruch gekürzt sei (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X), habe Einkommen erzielt, das zum Wegfall oder zur Minderung ihres Rentenanspruchs geführt habe (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X) und sei ihrer gesetzlichen Mitteilungsfrist, auf die sie hingewiesen worden sei, nicht nachgekommen (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X i.V.m. § 60 Sozialgesetzbuch Erstes Buch <SGB I>). Die Einzelheiten der Berechnung wurden in einer gesonderten Anlage „Berechnung der Rente“ dargestellt.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 18. Juli 2018, eingegangen bei der Beklagten am 19. Juli 2018, Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2018 zurückgewiesen wurde. Gegen den Widerspruchsbescheid erhob die Klägerin am 22. November 2018 Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 2. November 2021 gab die Klägerin u. a. an, an das Telefonat vom 11. Juni 2012 könne sie sich nicht erinnern. Den Vermerk auf dem Formular Bescheinigung/Erklärung zum Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit „Ich beziehe noch Krankengeld bis ca. August 2012!“ habe sie geschrieben. Sie habe bei Frau E. insgesamt pro Jahr nur immer fünf bis sechs Monate gearbeitet. Es habe sich um eine Bürotätigkeit in einem Büro in D-Stadt gehandelt. Sie sei überwiegend in bar bezahlt worden. Den Rentenbescheid habe sie erhalten. In den Jahren 2012 bis 2014, in denen sie berufstätig gewesen sei, sei ihr Ehemann übergriffig gewesen, weshalb mehrere Gewaltschutzprozesse geführt worden seien. Dies habe sie psychisch schwer belastet.
Mit Urteil vom 2. November 2021 hob das Sozialgericht den Bescheid vom 18. Juni 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Oktober 2018 auf, soweit die Beklagte die Rente wegen voller Erwerbsminderung der Klägerin für die Monate Dezember 2012, Juni 2013 und November 2014 gekürzt habe. Der Erstattungsbetrag werde dementsprechend reduziert. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte das Gericht aus, der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, soweit von der Beklagten eine Erstattung auch für die Monate Dezember 2012, Juni 2013 und November 2014 geltend gemacht werde. Der Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 2012 sei bei Zugang im Juni und Juli 2012 rechtmäßig gewesen, da die Hinzuverdienstgrenze gem. § 96a SGB VI a.F. noch eingehalten worden seien. Durch die Erhöhung des Hinzuverdienstes im August 2012 (Änderung der tatsächlichen Verhältnisse) sei er hinsichtlich der bewilligten Rentenhöhe erstmals rechtswidrig geworden. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X seien erfüllt. Die Klägerin sei hinsichtlich der Höhe ihres Rentenanspruchs nicht gutgläubig gewesen, da sie jedenfalls ihre Mitteilungspflichten grob fahrlässig verletzt habe. Die Beklagte habe sie im Bescheid vom 22. Juni 2012 ausdrücklich und unmissverständlich auf ihre Mitteilungspflichten hingewiesen. Die Beklagte habe gebeten, ihr unverzüglich mitzuteilen, wenn eine Beschäftigung ausgeübt werde und darauf hingewiesen, dass die Rente wegen voller Erwerbsminderung wegfallen könne. Sie habe auch darauf hingewiesen, dass zum Einkommen u.a. Arbeitsentgelt gehöre, aber auch Arbeitseinkommen aus selbständiger Arbeit. Selbst falls die Klägerin davon ausgegangen sei, im Jahresdurchschnitt die Hinzuverdienstgrenzen einhalten zu können, ändere dies nichts an ihrer Mitteilungspflicht, die unabhängig von einer rechtlichen Wertung bestehe. Darüber hinaus sei in der Anl. 19 mit aller Klarheit die Darstellung der monatlichen Hinzuverdienstgrenzen erfolgt, die auch für den juristischen Laien, da es sich um reine Zahlenwerte gehandelt habe, die keiner weiteren Berechnung bedürften, leicht verständlich gewesen seien. Im Übrigen habe das Arbeitsverhältnis der Klägerin offenbar bereits im Januar oder März 2012 begonnen und auch im Juni habe die Klägerin einen Hinzuverdienst gehabt. Dies habe sie in einem Telefonat mit dem zuständigen Sachbearbeiter am 11. Juni 2012 nicht offengelegt, sondern ausdrücklich erklärt, neben der teilweisen Erwerbsminderungsrente und Krankengeld keine weiteren Einkünfte zu haben. Ebenso fehlten entsprechende Angaben in einem Auskunftsbogen vom 18. Mai 2012, der bei der Beklagten am 14. Juni 2012 eingegangen sei. Dort sei ausdrücklich nach einem Arbeitsverhältnis und auch nach Gewinnen aus selbständiger Arbeit gefragt worden. Es sei grob fahrlässig, falls die Klägerin eine Mitteilung über die von ihr ausgeübte Tätigkeit nur deshalb nicht gemacht habe, weil sie davon ausgegangen sei, dass das Arbeitsentgelt gleichmäßig auf die Monate, in denen gearbeitet worden sei, verteilt werde. Dass es auf den einzelnen Monat ankomme, habe sich im Übrigen auch aus dem Bescheid vom 22. Juni 2012 ergeben, soweit dort in Anlage 21 für den Monat März 2011 ein Arbeitsentgelt von 684 € und für den Monat April 2011 ein Arbeitsentgelt von 250,80 € berücksichtigt worden seien. Der Abschnitt ende mit der Mitteilung, dass für die Zeit ab dem 1. Mai 2011 die Rente in voller Höhe zustehe, weil die Rente nicht mehr mit Hinzuverdienst zusammentreffe. Hieraus habe die Klägerin zwanglos schließen können, dass bei einem erneuten Zusammentreffen von Rente und Hinzuverdienst im gleichen Monat eine Berücksichtigung hätte erfolgen müssen und sie insofern eine Mitteilungspflicht treffe. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte, warum die Klägerin im Juni 2012 - zu einem Zeitpunkt zu dem sie trotz ihrer seelischen Erkrankung schon wieder in gewissem Umfang als Bürogehilfin im Erwerbsleben habe stehen können – nicht in der Lage gewesen sein sollte, den ihr erteilten Bescheid ausführlich zu lesen und die ihr erteilten Hinweise zu verstehen. An der groben Fahrlässigkeit ändere auch die bestehende psychische Erkrankung der Klägerin nichts. Aus den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nicht einmal mehr in der Lage gewesen wäre, bei einem Anruf am 11. Juni 2012 wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Das Gleiche gelte für den Auskunftsbogen vom 18. Mai 2012 und die weiteren telefonischen Kontakte mit der Beklagten. Die nach § 48 SGB X einzuhaltenden Fristen seien gewahrt. Ein atypischer Fall liege nicht vor, eine Ermessensentscheidung sei von der Beklagten nicht zu treffen gewesen. Die Kammer komme allerdings unter Heranziehung der Regelung in § 96a Abs. 1 Satz 2 2. HS SGB VI a.F. zu dem Ergebnis, dass die Beklagte die Erstattungsforderung insoweit zu reduzieren habe, als der Klägerin für die Monate Dezember 2012, Juni 2013 und November 2014 die Rente wegen voller Erwerbsminderung jeweils in voller Höhe zugestanden habe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) komme nach dem Vormonatsprinzip die Privilegierung des § 96a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 SGB VI a.F. bei schwankendem Hinzuverdienst nicht nur in Betracht, wenn im Kalendermonat vor dem zu prüfenden Monat ein Hinzuverdienst erzielt und mit diesem eine der Hinzuverdienstgrenzen nicht überschritten worden sei. Vielmehr gebe es eine für die Prüfung des privilegierten Überschreitens maßgebliche Hinzuverdienstgrenze auch, wenn im Vormonat überhaupt kein Hinzuverdienst erzielt worden sei. Im Monat Dezember 2012 hätte die Beklagte eine Hinzuverdienstgrenze von 800,00 € (400,00 € verdoppelt) berücksichtigen müssen, welche die Klägerin mit einem Arbeitsentgelt von 622,00 € nicht überschritten habe, so dass ihr die Rente in voller Höhe zugestanden habe. Ebenso habe die Beklagte für den Monat Juni 2013 bei einem Arbeitsentgelt von 570,00 € die doppelte Hinzuverdienstgrenze von 900,00 € nicht zugebilligt und der Klägerin nur eine Rente i.H.v. ¾ bewilligt. Die Beklagte hätte der Klägerin auch hier noch einmal die Rente in voller Höhe zugestehen müssen. Im November 2014 hatte die Klägerin ein Hinzuverdienst von 457,00 €. Ihr hätte hier die doppelte zuvor geltende Hinzuverdienstgrenze von 450,00 € zugebilligt werden müssen, so dass sie auch im Monat November 2014 Anspruch auf die Rente in voller Höhe gehabt hätte. Der streitgegenständliche Bescheid sei insoweit aufzuheben und der geforderte Erstattungsbetrag zu reduzieren.
Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 25. November 2021 zugestellten Urteil hat die Klägerin am 27. Dezember 2021, d.h. unmittelbar nach den Weihnachtsfeiertagen, Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt.
Die Klägerin ist im Wesentlichen der Auffassung, die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 SGB X sei nicht eingehalten, da der Beklagten spätestens seit dem 28. April 2017 bekannt gewesen sei, in welcher Höhe die Klägerin in den Zeiträumen vom 2. Juni 2012 bis 31. Dezember 2014 Hinzuverdienst erzielt habe. Sie treffe kein Verschulden, insbesondere habe sie die Rechtswidrigkeit der Rentenbescheide nicht grob fahrlässig verkannt. Sie habe ihr Gehalt je nach Stundenanfall ausgezahlt bekommen, so dass die Auszahlungen sporadisch erfolgt seien. Sie habe davon ausgehen können, dass der Hinzuverdienst nicht in Bezug auf die Auszahlungsmonate, sondern auf ihre insgesamt durchgehend ausgeübte Tätigkeit bezogen werde. Im Hinblick auf ihre schwerwiegenden psychologischen Gesundheitsbeeinträchtigungen, die zur Gewährung der Rente wegen Erwerbsminderung geführt haben, habe sie auch nicht über die erforderliche Einsichtsfähigkeit verfügt. Der Beklagten sei ihre schwierige persönliche Situation mit streitiger Scheidung und Durchführung des Versorgungsausgleichs bekannt gewesen. Die Entscheidung sei damit auch ermessensfehlerhaft. Die telefonische Auskunft, außer Krankengeld und Rente wegen Erwerbsminderung keine Einkünfte zu haben, habe sie gegenüber der Beklagten entgegen des Aktenvermerks nicht gegeben.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 2. November 2021 und den Bescheid vom 18. Juni 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Oktober 2018 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und trägt ergänzend vor, eine atypische Fallgestaltung habe nicht vorgelegen, ein Ermessen sei nicht auszuüben gewesen.
Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, nachdem nur die Klägerin Berufung gegen das nur teilweise klageabweisende Urteil des Sozialgerichts erhoben hat, lediglich noch die Aufhebung und Erstattung eines überzahlten Betrags von 3.734,74 € abzüglich der Kürzung für die Monate Dezember 2012, Juni 2013 und November 2014. Dies betrifft von der Beklagten zunächst geltend gemachte Überzahlungen in Höhe von 152,53 € (Dezember 2012), 150,31 € (Juni 2013) und 153,64 € (November 2014), somit einen Betrag von 456,48 €. Der Gesamterstattungsbetrag reduziert sich nach dem insoweit rechtskräftig gewordenen Urteil des Sozialgerichts auf 3.278,26 €.
Die Berufung ist bezüglich der verbliebenen Aufhebung und Erstattung unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 2. November 2021 ist im angegriffenen Umfang nicht zu beanstanden. Der Bescheid vom 18. Juni 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Oktober 2018 ist in dem nach teilweiser Aufhebung durch das Sozialgericht verbliebenen Umfang rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG.
Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung des Rentenbescheids vom 22. Juni 2012 mit Wirkung für die Vergangenheit für den Zeitraum vom 1. August 2012 bis 30. November 2014 ist § 48 SGB X.
Nach § 48 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. § 45 SGB X regelt, dass ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden darf. § 45 SGB X findet Anwendung, wenn der Verwaltungsakt bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war und deswegen geändert werden soll. Beide Normen grenzen sich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes, der aufgehoben werden soll, ab (BSG, Urteile vom 1. Juni 2006, B 7a AL 76/05 R; vom 16. Dezember 2008, B 4 AS 48/07 R und vom 24. Februar 2011, B 14 AS 45/09 R).
Die Leistungsgewährung im Bescheid vom 22. Juni 2012 war nicht von Beginn an rechtswidrig. Der Klägerin stand zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids eine Rente wegen Erwerbsminderung in unverminderter Höhe zu. Dies gilt sowohl für den Monat Juni 2012 als auch für Juli 2012. In diesen Monaten führte das von der Klägerin erzielte Arbeitsentgelt (noch) nicht zu einem Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze von seinerzeit 400,00 € monatlich, da die Klägerin für Juni 2012 ein Arbeitsentgelt in Höhe von 337,00 € und im Monat Juli 2012 keinerlei Arbeitsentgelt erzielte. Eine Änderung der Verhältnisse ist erst zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Das Erzielen von Einkommen führt bei Überschreiten der Hinzuverdienstgrenzen zu einer Reduzierung der auszuzahlenden Rentenleistung und damit zu einer Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 SGB X.
Gemäß § 96a Abs. 1 Satz 1 SGB VI a.F. (in den vom 1. Januar 2008 bis 30. Juni 2017 gültigen Fassungen vom 8. April 2008 und 5. Dezember 2012) wird eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur geleistet, wenn die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten wird. Sie wird nicht überschritten, wenn das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit oder vergleichbares Einkommen im Monat die in § 96a Abs. 2 SGB VI a.F. genannten Beträge nicht übersteigt, wobei ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einen Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenze nach Absatz 2 im Laufe eines jeden Kalenderjahres außer Betracht bleibt (§ 96a Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Nach § 96a Abs. 1a Nr. 2 SGB VI a.F. wird abhängig vom erzielten Hinzuverdienst eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in voller Höhe, in Höhe von drei Vierteln, in Höhe der Hälfte oder in Höhe eines Viertels geleistet. Nach § 96a Abs. 2 Nr. 2 SGB VI a.F. betrug die Hinzuverdienstgrenze bei einer Rente wegen voller Erwerbsminderung in voller Höhe bis zum 31. Dezember 2012 400,00 €, ab dem 1. Januar 2013 450,00 €. Die Hinzuverdienstgrenzen betrugen darüber hinaus bei einer Rente wegen voller Erwerbsminderung
a) in Höhe von drei Vierteln das 0,17fache,
b) in Höhe der Hälfte das 0,23fache,
c) in Höhe eines Viertels das 0,28fache
der monatlichen Bezugsgröße, vervielfältigt mit der Summe der Entgeltpunkte (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 SGB VI) der letzten drei Kalenderjahre vor Eintritt der vollen Erwerbsminderung, mindestens jedoch mit 1,5 Entgeltpunkten.
§ 96a Abs. 1 Satz 2 SGB VI a.F. gebietet für die Ermittlung des verbleibenden Umfangs der Rentenzahlung eine Gegenüberstellung des erzielten (Brutto)Arbeitsverdienstes als „Hinzuverdienst“ und der jeweiligen Hinzuverdienstgrenzen; dabei geht die Vorschrift ausdrücklich von einer monatlichen Betrachtung aus („im Monat“; vgl. BSG, Urteil vom 26. April 2018, B 5 R 26/16 R, m.w.N.). Das BSG (Urteile vom 9. Dezember 2010, B 13 R 10/10, vom 6. Februar 2007, B 8 KN 3/06 R und vom 26. Juni 2008, B 13 R 119/07 R) geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das sog. Vormonatsprinzip ein geeigneter (verwaltungs-)praktikabler und dem Gesetzeszweck entsprechender Prüfungsmaßstab zur Feststellung eines privilegierten (d.h. „rentenunschädlichen“) Überschreitens i.S. des § 96a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 SGB VI a.F. ist. Danach ist Ausgangspunkt für die Prüfung, in welcher Höhe die Rente trotz eines Hinzuverdienstes zu zahlen ist, grundsätzlich die zum Zeitpunkt des Rentenbeginns bzw. des ersten Monats des Zusammentreffens von Rente mit zu berücksichtigendem Hinzuverdienst eingehaltene (einfache) Hinzuverdienstgrenze. Die Prüfung, ob ein privilegiertes Überschreiten vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach der im Vormonat eingehaltenen Hinzuverdienstgrenze. Denn ein „Überschreiten“ i.S. des § 96 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 SGB VI a.F. setzt bei chronologischer Betrachtungsweise voraus, dass sich der Hinzuverdienst über die im jeweiligen Vormonat eingehaltene Hinzuverdienstgrenze hinaus erhöht. Wird die Hinzuverdienstgrenze des Vormonats eingehalten, ist die (bisherige) Rente vom Rentenversicherungsträger ohne Weiteres in der dieser Hinzuverdienstgrenze zugeordneten Höhe (weiter) zu leisten. Ändert sich der Verdienst und wird hierdurch die im Vormonat noch eingehaltene Hinzuverdienstgrenze überschritten, ist weiter zu prüfen, ob das Überschreiten rentenunschädlich ist. Dies setzt voraus, dass der Hinzuverdienst innerhalb des Doppelten dieser Hinzuverdienstgrenze liegt; ein solches Überschreiten ist im Laufe eines Kalenderjahres in zwei Kalendermonaten zulässig. Von vornherein nicht anwendbar ist die Überschreitensregelung auf solche Rentenbezieher, die über Einkünfte verfügen, die nicht in unterschiedlicher Höhe einzelnen Kalendermonaten zugeordnet werden können und für diejenigen, die als abhängig Beschäftigte einen gleichbleibenden Monatsverdienst haben (BSG, Urteile vom 3. Mai 2005, B 13 RJ 8/04 R und vom 6. Februar 2007, B 8 KN 3/06 R).
Der Anwendungsbereich des Privilegierungstatbestands in § 96a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 SGB VI aF ist vorliegend eröffnet. Bei der dem Wortlaut und dem Grundkonzept dieser Norm zugrundeliegenden monatlichen Betrachtungsweise verfügte die Klägerin im hier zu beurteilenden Zeitraum über einen schwankenden monatlichen Hinzuverdienst.
Als maßgebender Hinzuverdienst ist gemäß § 96a Abs. 1 Satz 2 SGB VI a.F. vor allem gleichzeitig neben der Erwerbsminderungsrente erzieltes Arbeitsentgelt aus einer abhängigen Beschäftigung von Bedeutung. Hierunter fallen alle laufenden und einmaligen Zuwendungen des Arbeitgebers bzw. Dienstherren, die bei bestehender Versicherungspflicht der Beitragsbemessung zu Grunde zu legen sind bzw. wären (§§ 14, 17 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) i.V.m. der Sozialversicherungsentgeltverordnung). Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Diese weite Begriffsbestimmung umfasst alle Einnahmen, die dem Versicherten in ursächlichem Zusammenhang mit einer Beschäftigung zufließen. Hierunter fallen die Gegenleistungen des Arbeitgebers für eine bestimmte Arbeitsleistung, aber auch Zuwendungen, denen ein Anspruch des Arbeitgebers auf eine konkrete Arbeitsleistung nicht gegenübersteht, wie die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, das Urlaubsgeld oder die Urlaubsabgeltung (vgl. hierzu BSG, Urteile vom 6. September 2017, B 13 R 21/15 R, vom 26. April 2018, B 5 R 26/16 R und vom 12. März 2019, B 13 R 35/17 R). Maßgebend ist das beitragspflichtige Arbeitsentgelt, ein hiervon abweichendes steuerpflichtiges Einkommen ist nicht bedeutsam (Reinhardt, SGB VI, 3. Auflage 2014, § 96a Rn. 6).
Hinsichtlich der im vorliegenden Fall zu berücksichtigenden Arbeitsentgelte fehlt es an einer konkreten Auskunft der Klägerin selbst. Aus der Arbeitgeberbescheinigung vom 4. Januar 2018 ergeben sich für den Senat jedoch nachvollziehbar und monatsgenau die Arbeitsentgelte der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum. Die dort angeführten Entgelte, die der Berechnung der Beklagten zugrunde gelegt wurden, sind von der Klägerin nicht bestritten worden. Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben fehlerhaft sind oder die Arbeitsentgelte nur zum Schein dokumentiert wurden, sind weder vorgetragen worden noch für den Senat ersichtlich. Einen weitergehenden Ermittlungsbedarf, wie von der Klägerin vorgetragen, sieht der Senat nicht. Die Klägerin erzielte danach folgende Arbeitsentgelte:
Monat | Arbeitsentgelt | Hinzuverdienstgrenzen (alte Bundesländer) unter Berücksichtigung der maßgeblichen monatlichen Bezugsgröße |
Juni 2012 | 337,00 € | 400,00 € / 669,38 € / 905,63 € / 1.102,50 € |
August 2012 | 825,00 € | 400,00 € / 669,38 € / 905,63 € / 1.102,50 € |
September 2012 | 1.365,00 € | 400,00 € / 669,38 € / 905,63 € / 1.102,50 € |
Dezember 2012 | 622,00 € | 400,00 € / 669,38 € / 905,63 € / 1.102,50 € |
Februar 2013 | 1.065,00 € | 450,00 € / 687,23 € / 929,78 € / 1.131,90 € |
März 2013 | 1.155,00 € | 450,00 € / 687,23 € / 929,78 € / 1.131,90 € |
Juni 2013 | 570,00 € | 450,00 € / 687,23 € / 929,78 € / 1.131,90 € |
August 2013 | 907,00 € | 450,00 € / 687,23 € / 929,78 € / 1.131,90 € |
September 2013 | 675,00 € | 450,00 € / 687,23 € / 929,78 € / 1.131,90 € |
Dezember 2013 | 592,00 € | 450,00 € / 687,23 € / 929,78 € / 1.131,90 € |
Februar 2014 | 1.207,00 € | 450,00 € / 705,08 € / 953,93 € / 1.161,30 € |
März 2014 | 1.042,00 € | 450,00 € / 705,08 € / 953,93 € / 1.161,30 € |
September 2014 | 1.132,00 € | 450,00 € / 705,08 € / 953,93 € / 1.161,30 € |
November 2014 | 457,00 € | 450,00 € / 705,08 € / 953,93 € / 1.161,30 € |
Hieraus ergibt sich folgendes:
Im Juni 2012 erzielte die Klägerin ein Arbeitsentgelt von 337,00 € und lag damit unterhalb der Hinzuverdienstgrenze von 400,00 € für eine Rente in voller Höhe. Die Rente wegen Erwerbsminderung verblieb in voller Höhe.
Im Juli 2012 erzielte die Klägerin kein Arbeitsentgelt, womit ihr die Rente weiterhin in voller Höhe zustand.
Im August 2012 erzielte die Klägerin ein Arbeitsentgelt von 825,00 € und überschritt die Hinzuverdienstgrenze für eine Rente in voller Höhe (400,00 €) sowie für eine Rente in Höhe von drei Vierteln (669,38 €), nicht jedoch die Hinzuverdienstgrenze für eine Rente in Höhe der Hälfte (905,63 €). Der Klägerin stand damit Rente in Höhe der Hälfte zu.
Im September 2012 erzielte die Klägerin ein Arbeitsentgelt von 1.365,00 €. Die zuvor maßgebende Hinzuverdienstgrenze von 905,63 € wurde überschritten, jedoch blieb das Arbeitsentgelt unterhalb einer Überschreitung der doppelten Hinzuverdienstgrenze von 1.811,26 €. Da die Hinzuverdienstgrenze innerhalb eines Kalenderjahres zweimal bis zur Höhe der für einen Monat maßgebenden Hinzuverdienstgrenze überschritten werden darf, blieb es bei der Rente in Höhe der Hälfte.
In Oktober und November 2012 erzielte die Klägerin kein Arbeitsentgelt und blieb jeweils unter der Hinzuverdienstgrenze für die Rente in voller Höhe (400,00 €). In diesen Monaten stand der Klägerin Rente in voller Höhe zu.
Die Rente für Dezember 2012 ist durch die Entscheidung des Sozialgerichts bereits in voller Höhe zugesprochen worden. In diesem Monat erzielte die Klägerin Arbeitsentgelt in Höhe von 622,00 €, d.h. oberhalb der Hinzuverdienstgrenze von 400,00 €, jedoch unterhalb einer doppelten Hinzuverdienstgrenze von 800,00 €, so dass dieses zweite Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze im Kalenderjahr 2012 aus Sicht des Sozialgerichts den Rentenbezug der Klägerin nicht beeinträchtigte. Der Senat weist insoweit lediglich darauf hin, dass auch nach der Rechtsprechung des Senats das Einhalten der Grenzwerte keine negative Anspruchsvoraussetzung für die Anwendbarkeit des Privilegierungstatbestands des § 96a Abs. 1 Satz 2 SGB VI a.F. ist. Ein privilegiertes Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze ist unter Anwendung des Vormonatsprinzips auch in den ersten zwei Monaten des Rentenbezugs möglich sowie dann, wenn - wie hier - im vorangegangenen Kalendermonat kein Hinzuverdienst erzielt worden ist (vgl. Urteil des Senats vom 23. März 2021, L 2 R 154/18 unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 9. Dezember 2010, B 13 R 10/10 R).
Im Januar 2013 erzielte die Klägerin kein Arbeitsentgelt. Die Rente stand ihr in voller Höhe zu.
Im Februar 2013 erzielte die Klägerin Arbeitsentgelt in Höhe von 1.065,00 €. Sie überschritt damit die Hinzuverdienstgrenze für Rente in voller Höhe (450,00 €), für Rente in Höhe von drei Vierteln (687,23 €) und Rente in Höhe der Hälfte (929,78 €), blieb jedoch unterhalb der Hinzuverdienstgrenze für Rente in Höhe von einem Viertel (1.131,90 €). Das Doppelte der Hinzuverdienstgrenze des Vormonats wurde ebenfalls überschritten (900,00 €), so dass die Ausnahmevorschrift des § 96a Abs. 1 Satz 2 SGB VI a.F. nicht zugunsten der Klägerin greift. Ihr stand damit die Rente in Höhe von einem Viertel zu.
Im März 2013 erzielte die Klägerin Arbeitsentgelt in Höhe von 1.155,00 € und überschritt die Hinzuverdienstgrenze des Vormonats (1.131,90 €), jedoch nicht die doppelte Hinzuverdienstgrenze (2.263,80 €). Als erste Überschreitung im Kalenderjahr bleibt die Überschreitung nach § 96a Abs. 1 Satz 2 SGB VI a.F. unbeachtlich. Der Klägerin stand weiterhin Rente in Höhe von einem Viertel zu.
In April und Mai 2013 erzielte die Klägerin kein Arbeitsentgelt. Die Rente stand ihr jeweils in voller Höhe zu.
Die Rente für Juni 2013 ist durch die Entscheidung des Sozialgerichts bereits in voller Höhe zugesprochen worden. Die Tatsache, dass im Vormonat kein Hinzuverdienst erzielt wurde, steht der Anwendbarkeit der Privilegierungsvorschrift des § 96a Abs. 1 Satz 2 SGB VI a.F. nicht entgegen.
Im Juli 2013 erzielte die Klägerin kein Arbeitsentgelt. Die Rente stand ihr in voller Höhe zu.
Im August 2013 erzielte die Klägerin ein Arbeitsentgelt in Höhe von 907,00 € und überschritt die Hinzuverdienstgrenze für Rente in voller Höhe (450,00 €) sowie für Rente in Höhe von drei Vierteln (687,23 €), nicht jedoch die Hinzuverdienstgrenze für Rente in Höhe der Hälfte (927,78 €). Der Klägerin stand Rente in Höhe der Hälfte zu.
Im September 2013 erzielte die Klägerin ein Arbeitsentgelt in Höhe von 675,00 € und überschritt die Hinzuverdienstgrenze für Rente in voller Höhe (450,00 €), nicht jedoch die Hinzuverdienstgrenze für Rente in Höhe von drei Vierteln (687,23 €). Der Klägerin stand Rente in Höhe von drei Viertel zu.
In Oktober und November 2013 erzielte die Klägerin kein Arbeitsentgelt. Die Rente stand ihr jeweils in voller Höhe zu.
Im Dezember 2013 erzielte die Klägerin ein Arbeitsentgelt in Höhe von 592,00 € und überschritt die Hinzuverdienstgrenze für Rente in voller Höhe (450,00 €), nicht jedoch die Hinzuverdienstgrenze für Rente in Höhe von drei Vierteln (687,23 €). Der Klägerin stand Rente in Höhe von drei Viertel zu.
Im Januar 2014 erzielte die Klägerin kein Arbeitsentgelt. Die Rente stand ihr in voller Höhe zu.
Im Februar 2014 erzielte die Klägerin Arbeitsentgelt in Höhe von 1.207,00 €. Sie überschritt damit sowohl sämtliche Hinzuverdienstgrenzen einschließlich der Hinzuverdienstgrenze für Rente in Höhe von einem Viertel (1.161,30 €) als auch das Doppelte der Hinzuverdienstgrenze des Vormonats (900,00 €), so dass § 96a Abs. 1 Satz 2 SGB VI nicht einschlägig war. Die Rente der Klägerin war in diesem Monat nicht zu zahlen.
Im März 2014 erzielte die Klägerin Arbeitsentgelt in Höhe von 1.042,00 € und überschritt die Hinzuverdienstgrenze für Rente in voller Höhe (450,00 €), für Rente in Höhe von drei Vierteln (687,23 €) und für Rente in Höhe der Hälfte (953,93 €), nicht jedoch die Hinzuverdienstgrenze für Rente in Höhe von einem Viertel (1.161,30 €). Der Klägerin stand in diesem Monat Rente in Höhe von einem Viertel zu.
Im Zeitraum April bis August 2014 erzielte die Klägerin kein Arbeitsentgelt. Die Rente stand ihr jeweils in voller Höhe zu.
Im September 2014 erzielte die Klägerin Arbeitsentgelt in Höhe von 1.132,00 € und überschritt die Hinzuverdienstgrenze für Rente in voller Höhe (450,00 €), für Rente in Höhe von drei Vierteln (687,23 €) und für Rente in Höhe der Hälfte (953,93 €), nicht jedoch die Hinzuverdienstgrenze für Rente in Höhe von einem Viertel (1.161,30 €). Der Klägerin stand in diesem Monat Rente in Höhe von einem Viertel zu.
Im Oktober 2014 erzielte die Klägerin kein Arbeitsentgelt. Die Rente stand ihr in voller Höhe zu.
Die Rente für November 2014 ist durch die Entscheidung des Sozialgerichts bereits in voller Höhe zugesprochen worden. Die Tatsache, dass im Vormonat kein Hinzuverdienst erzielt wurde, steht der Anwendbarkeit der Privilegierungsvorschrift des § 96a Abs. 1 Satz 2 SGB VI a.F. erneut nicht entgegen.
Im Zeitraum von Dezember 2014 bis Dezember 2016 hat die Beklagte kein Arbeitsentgelt der Klägerin mehr berücksichtigt und die Rente in voller Höhe gewährt. Ein weitergehender Rentenanspruch im Rahmen der von der Klägerin eingelegten Berufung besteht nicht.
Die Beklagte konnte die Rentenbewilligung in den benannten Monaten auch rückwirkend vollständig (Februar 2014), zu drei Vierteln (Februar und März 2013, März und September 2014), zur Hälfte (August und September 2012, August 2013) oder zu einem Viertel (September und Dezember 2013) aufheben.
Führt das Überschreiten einer Verdienstgrenze zum Wegfall einer Sozialleistung (z.B. bei § 96a SGB VI a.F.), so kann eine Bewilligung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X nur in Höhe des Mehrverdienstes aufgehoben werden (BSG, Urteil vom 17. Februar 2011, B 10 KG 5/09 R); anderes gilt jedoch, wenn die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 oder 4 SGB X erfüllt sind (Steinwedel in: BeckOK Sozialrecht (Kasseler Kommentar), Stand 1.12.2020, SGB X, § 48 Rn. 50). Letzteres ist vorliegend der Fall.
Die Klägerin wusste, dass ihr Anspruch (teilweise) zum Ruhen gekommen ist oder hätte dies bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt wissen müssen; die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X liegen vor. Ob eine betroffene Person die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat, ist nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen, d.h. es ist bei der Beurteilung ein subjektiver Maßstab anzulegen (BSG, Urteil vom 5. September 2006, B 7a AL 14/05 R). Der in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X umschriebene Verschuldensmaßstab entspricht der groben Fahrlässigkeit (Definition in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Grob fahrlässig handelt nach der Legaldefinition in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, 2. Halbsatz SGB X, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchtet; dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; vgl. u.a. BSG, Urteile vom 26. August 1987, 11a RA 30/86, und vom 8. Februar 2001, B 11 AL 21/00 R m.w.N.). Auf dieser Ebene besteht die erforderliche Kenntnis, wenn der Begünstigte weiß oder wissen muss, dass ihm die zuerkannte Leistung oder anderweitige Begünstigung so nicht zusteht (vgl. Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 45 Rn. 65). Daher kann einem Leistungsempfänger immer nur dann grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, wenn ihm der Fehler bei seinen subjektiven Erkenntnismöglichkeiten aus anderen Gründen geradezu „in die Augen springt“. Das ist der Fall, wenn er aufgrund einfachster und ganz naheliegender Überlegungen sicher die Rechtswidrigkeit hätte erkennen können (vgl. BSG, Urteil vom 26. August 1987, 11a RA 30/86) oder er das nicht beachtet hat, was im gegebenen Falle jedem hätte einleuchten müssen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 1980, 7 RAr 13/79). Augenfällig im vorstehenden Sinne sind Fehler zunächst, wenn die Begünstigung dem Verfügungssatz nach ohne weitere Überlegungen als unzutreffend erkannt werden kann. Darüber hinaus ist der Begründung des Verwaltungsaktes nach ein Fehler augenfällig, wenn die Fehlerhaftigkeit dem Adressaten unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit ohne weitere Nachforschungen und mit ganz naheliegenden Überlegungen einleuchten und auffallen muss (vgl. Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 45 Rn. 66 ff.). Für den Versicherten besteht eine Obliegenheit, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn sie nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2010, B 13 R 77/09 R). Denn die Beteiligten haben sich gegenseitig vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren (vgl. BSG, Urteile vom 8. Februar 2001, B 11 AL 21/00 R; vom 1. Juli 2010, B 13 R 77/09 R; Hess. LSG, Urteil vom 12. März 2002, L 12 RJ 32/01).
Aus dem Rentenbescheid vom 22. Juni 2012 ergab sich für die Klägerin eindeutig und unmissverständlich, dass bei Berechnung der Rentenhöhe Hinzuverdienst aus Einkommen Beachtung findet. Es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ihre Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht oder nur in verminderter Höhe ausgezahlt wird, sofern durch ihr Einkommen die für die Rente maßgebende Hinzuverdienstgrenze überschritten wird. Anlage 19 des Bescheids befasste sich detailliert mit den Auswirkungen des Hinzuverdienstes unter Darstellung der Hinzuverdienstgrenzen. Dabei wurde ausdrücklich auf eine „monatliche“ Hinzuverdienstgrenze hingewiesen und ausgeführt, dass der Hinzuverdienst eines Kalendermonats der monatlichen Hinzuverdienstgrenze gegenübergestellt werde. Anhaltspunkte für eine abweichende zeitliche Betrachtungsweise, etwa unter Berücksichtigung des Gesamtjahresarbeitsentgelts, finden sich an keiner Stelle. Die Klägerin durfte danach zu keinem Zeitpunkt davon ausgehen, dass ihr unregelmäßig erzieltes Einkommen auf einen längeren Zeitraum verteilt Berücksichtigung finden würde. Die maßgebliche monatliche Betrachtungsweise wurde unmissverständlich dargestellt. Hiervon ausgehend konnte und musste die Klägerin angesichts der Höhe ihres Hinzuverdienstes erkennen, dass sie die Hinzuverdienstgrenzen in den von der Beklagten aufgezeigten Monaten überschritt und ihr die Rente nicht mehr durchgängig in voller Höhe zustand.
Zur Überzeugung des Senats standen im streitgegenständlichen Zeitraum von August 2012 bis November 2014 die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin der notwendigen individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit nicht entgegen. Allein der Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund psychischer Gesundheitsstörungen, hier einer depressiven Störung, vermag die individuelle Einsichts- und Urteilsfähigkeit nicht auszuschließen. Die Klägerin litt ausweislich des neurologisch-psychiatrischen Gutachten des Dr. D. vom 5. September 2011 u.a. an einer depressiven Störung, seinerzeit mittelgradig ausgeprägt, ausgelöst durch Partnerschaftskonflikte mit ihrem Ehemann sowie chronische Schmerzzustände. Die behandelnde Ärztin Dr. H. berichtete in einer Stellungnahme vom 6. Februar 2012 von einer Belastung der Klägerin rund um ihren Ehemann und ihre Scheidung. Inzwischen liege eine rezidivierende depressive Störung in Form einer schweren Episode vor. Das medizinische Berichtswesen enthält dagegen keine Hinweise darauf, dass die Klägerin in ihrer Lebensgestaltung derart eingeschränkt war, dass sie nicht in der Lage gewesen wäre, behördliche Schreiben zur Kenntnis zu nehmen und inhaltlich zu erfassen. Ein stationärer Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik war nicht erforderlich. Die Klägerin hatte zwischen dem 24. August 2012 und dem 24. Juni 2016 vielmehr vielfachen Kontakt mit der Beklagten, in denen sie die Auszahlung einer Rentennachzahlung anmahnte und sich über ihre Ansprüche auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen informierte. Anlässlich der Kontakte verzeichnete die Beklagte keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nicht in der Lage gewesen sei, ihre sozialrechtlichen Rechte und Pflichten erfassen zu können. Der gesundheitliche Zustand der Klägerin vermag für den Senat auch nicht zu erklären, warum die Klägerin ausweislich eines Telefonvermerks vom 2. August 2017 gegenüber der Beklagte hinsichtlich einer Beschäftigung ab Juni 2012 angegeben hat, sie wisse nichts von einer Beschäftigung, die sie ausgeübt haben soll; auch der Name E. - Modeagentur - sage ihr nichts. Sie wolle den Sachverhalt überprüfen und sich nochmals melden. Eine entsprechende Stellungnahme der Klägerin folgte daraufhin jedoch nicht. Für den Senat vermag auch der zwischenzeitliche Namenswechsel der Arbeitgeberin von E. zu G. die dokumentierte Unwissenheit der Klägerin nicht zu erklären, da ihr die Ausübung der Bürotätigkeit in einem Büro in D-Stadt mit einem nicht unerheblichen Arbeitsentgelt ab Juni 2012 jedenfalls hätte bekannt sein müssen. Zutreffend hat das Sozialgericht im Übrigen darauf hingewiesen, dass die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum trotz ihrer seelischen Erkrankung in geringerem zeitlichen Umfang als Bürogehilfin im Erwerbsleben habe stehen können. Hierbei handelt es sich zur Überzeugung des Senats um die Ausübung einer in gewissem Umfang auch geistig anspruchsvollen Tätigkeit, die schwerlich mit dem Fehlen der individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit in Einklang zu bringen ist.
Unter Berücksichtigung der oben aufgezeigten Maßstäbe ist der Klägerin zur Überzeugung des Senats unter den gegebenen Umständen eine Sorgfaltspflichtverletzung in besonders schwerem Maße vorzuwerfen, da bei ihr zumindest eine grob fahrlässige Unkenntnis der aufgrund einer Änderung ihrer Einkommenssituation durch Aufnahme der Beschäftigung für die E. - Modeagentur - eingetretenen Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 22. Juni 2012 vorlag. Die Klägerin hätte erkennen können und müssen, dass das von ihr erzielte Einkommen zu einer Minderung ihrer Rentenzahlungen führen würde. Auf Vertrauensschutz kann sich die Klägerin nicht berufen.
Die Klägerin kann sich auch wegen § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X nicht auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheids vom 22. Juni 2012 berufen. Denn sie ist zumindest grob fahrlässig ihren nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) bestehenden Mitteilungspflichten in Form der Anzeige einer Änderung in den Verhältnissen, die für die Leistung - hier die Rente wegen voller Erwerbsminderung - erheblich waren, nicht nachgekommen, indem sie die Beklagte zu keinem Zeitpunkt selbst über die Aufnahme der Beschäftigung für die Firma E. - Modeagentur - oder die Erzielung von Einkommen informiert hat. Die Beklagte hatte die Klägerin auf das Bestehen der Mitteilungspflichten im Rentenbescheid vom 22. Juni 2012 ausdrücklich und unmissverständlich hingewiesen („Bitte teilen Sie uns unverzüglich mit, wenn Sie eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit aufnehmen oder ausüben“ und „Sie müssen uns unverzüglich mitteilen, wenn Ihr Einkommen über der Hinzuverdienstgrenze liegt“). Ob und in welcher Höhe das angezeigte Einkommen der Klägerin aus ihrer Sicht Einfluss auf die monatliche Höhe ihrer Rentenzahlung hatte, d. h. ob ein rentenschädliches Überschreiten der Hinzuverdienstgrenzen vorlag, ist für die Erfüllung der ihr obliegenden Mitteilungspflichten unbeachtlich. Auch hier hat der Senat keine Zweifel an der individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum.
Ermessen ist bei einer Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X nur im Ausnahmefall auszuüben. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bedeutet das „soll“ in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X, dass der Rentenversicherungsträger den Verwaltungsakt im Regelfall („typischer Fall“) rückwirkend aufzuheben hat. Liegt jedoch ein Ausnahmefall (sog. „atypischer Fall“) vor, so ist eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen, ob und in welchem Umfang von der gegebenen Aufhebungsmöglichkeit abgesehen werden kann. Anders als bei § 45 SGB X enthält also § 48 SGB X nicht für alle, sondern nur für „atypische Fälle“ eine Verpflichtung zur Ermessensausübung. Die Prüfung, ob ein solcher „atypischer Fall“ vorliegt, ist nicht Teil der Ermessensentscheidung, sondern gerichtlich in vollem Umfang nachprüfbar (vgl. u.a. BSG, Urteile vom 6. November 1985, 10 RKg 3/84 vom 11. Februar 1988, 7 RAr 55/86 und vom 25. April 1991, 11 Rar 21/89).
Wann ein „atypischer Fall“ vorliegt, in dem die Behörde eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen hat, ob der Verwaltungsakt mit Dauerwirkung rückwirkend aufgehoben wird, hängt von dem jeweiligen Zweck der Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X und den Umständen des Einzelfalls ab. Diese müssen im Hinblick auf die mit der rückwirkenden Aufhebung des Verwaltungsakts verbundenen Nachteile, insbesondere der aus § 50 Abs. 1 SGB X folgenden Pflicht zur Erstattung der erbrachten Leistungen, vom Normalfall derart abweichen, dass der betroffene Leistungsempfänger deutlich schlechter dasteht, als es beim Vorliegen eines Normalfalles der einschlägigen Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X der Fall wäre (vgl. BSG, Urteil vom 30. Juni 2016, B 5 RE 1/15 R m.w.N.). § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X zielt darauf ab, dem Sozialversicherungsträger die Möglichkeit der Aufhebung von Dauerverwaltungsakten ab Änderung der Verhältnisse zur Herstellung der materiellen Gerechtigkeit zu geben. Dagegen ist es nicht Sinn und Zweck dieser Regelungen, dem Versicherten ein über die Erstattungspflicht nach § 50 SGB X hinausgehendes zusätzliches „Sonderopfer“ abzuverlangen (BSG, a.a.O., m.w.N.). Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Leistungsempfänger durch die mit der Rücknahme verbundenen Nachteile, insbesondere die aus § 50 Abs. 1 SGB X folgende Pflicht zur Erstattung der erbrachten Leistungen in besondere Bedrängnis gerät (vgl. BSG, Urteil vom 6. November 1985, 10 RKg 3/84) oder wenn er sonst für den von der Aufhebung betroffenen Zeitraum Anspruch auf eine andere Sozialleistung, etwa auf Sozialhilfe, gehabt hätte (vgl. BSG, Urteil vom 12. September 1984, 4 RJ 79/83). Auch ein Verschulden des Rentenversicherungsträgers weist regelmäßig auf einen „atypischen Fall“ hin. Ein „atypischer Fall“ kann ferner gegeben sein, wenn ohne ein Verschulden des Rentenversicherungsträgers besondere Umstände vorliegen, die die Aufhebung für die Vergangenheit als unbilligen Eingriff in die persönlichen, sozialen oder wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen erscheinen lassen.
Unter Anlegung dieser Maßgaben lag ein atypischer Fall vorliegend nicht vor, denn es ergibt sich aus keinem Gesichtspunkt eine über die Herstellung der materiellen Gerechtigkeit hinausgehende Belastung der Klägerin. Die mit jeder Erstattung verbundene finanzielle Belastung für sich genommen ist noch nicht geeignet, einen „atypischen Fall“ zu begründen (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 10. Februar 2012, L 5 R 207/11; Urteil vom 23. Mai 2014, L 5 R 197/12 m.w.N.). Die hiermit einhergehende Härte mutet das Gesetz jedem Betroffenen zu, weil dies dem Rechtsgrundsatz der unbeschränkten Vermögenshaftung entspricht. Auch ein irreversibler Verbrauch der erhaltenen Überzahlung, aus der der Empfänger sonst die Erstattungsforderung beglichen hätte, stellt für sich genommen keinen Umstand dar, der eine besondere Härte im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X begründet. Dass die Klägerin im Vergleich zu anderen Betroffenen durch die mit der Aufhebung verbundene Erstattungspflicht schwerwiegender getroffen wäre und hierdurch in eine „besondere Bedrängnis“ geraten würde, ist nicht ersichtlich.
Die eingetretene Überzahlung beruht auch auf keinem mitwirkenden Fehlverhalten auf der Seite der Beklagten (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juni 1986, 7 Rar 126/84). Die Beklagte musste nicht durch eigenständige Ermittlungen vor Kenntnis von der Beschäftigung der Klägerin eine Überzahlung verhindern. Vielmehr fällt die Überzahlung ausschließlich in den Verantwortungsbereich der Klägerin und beruht auf der Verletzung ihrer Mitteilungspflichten.
Die für die Aufhebung maßgeblichen Fristen sind eingehalten. Die Aufhebung des Bescheids vom 22. Juni 2012 durch Bescheid vom 18. Juni 2018 erfolgte innerhalb der Zehn-Jahres-Frist des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X. Auch die Ein-Jahres-Frist gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist eingehalten, denn sie beginnt zu laufen, sobald dem zuständigen Sachbearbeiter der Behörde die für die Aufhebungsentscheidung erheblichen Tatsachen bekannt sind. Dazu gehören alle Umstände, deren Kenntnis es der Behörde objektiv ermöglicht, ohne weitere Sachaufklärung über die Aufhebung zu entscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 2. Juli 1997, 9 RV 14/96 m.w.N.). Der Umfang der Kenntnis der Tatsachen richtet sich nach dem Tatbestand der Aufhebungsnorm. Bei der „entsprechenden“ Anwendung der Jahresfristregelung auf die Aufhebungsvorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X muss das maßgebende Wissen der Behörde sämtliche Tatsachen und Umstände betreffen, die die wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse bei Erlass des aufzuhebenden Verwaltungsakts darstellen (BSG, Urteil vom 25. Oktober 1995, 5/4 RA 66/94). Ausreichend ist beispielsweise nicht die Kenntnis der bloßen Tatsache der Beschäftigung, sondern es kommt auch auf die Kenntnis der Höhe der Einkünfte, deren Art und Verteilung im Hinblick auf eine Anrechnung an (BSG, Urteil vom 11. Juni 2003, B 5 RJ 28/02 R). Die Kenntnis erstreckt sich auch auf die Tatsachen zu den übrigen Rücknahmevoraussetzungen, d.h. auch auf die subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen, die einem Vertrauensschutz der Klägerin entgegenstehen können. Damit beginnt die Jahresfrist in aller Regel frühestens mit der Anhörung des Begünstigten oder mit dem Ablauf der dem Betroffenen für eine Äußerung gesetzten Frist (Steinwedel in BeckOK Sozialrecht (Kasseler Kommentar), SGB X, § 45 Rn. 27 m.w.N.). Die Beklagte hatte folglich weder durch die automatisierte Mitteilung der Krankenkasse der Klägerin am 14. April 2017 noch durch die Arbeitgeberauskunft vom 4. Januar 2018 bereits Kenntnis der Rücknahmegründe i.S.v. § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X erlangt. Erst mit Eingang der auf die Anhörung erfolgten Erwiderung der Klägerin vom 6. Juni 2018, eingegangen bei der Beklagten am 11. Juni 2018, konnte die Beklagte erstmals eine Entscheidung unter Berücksichtigung eines subjektiven Verschuldens der Klägerin treffen. Die unmittelbar im Anschluss veranlasste Bekanntgabe des angefochtenen Bescheids vom 18. Juni 2018 erfolgte offenkundig innerhalb der Jahresfrist.
Soweit die Beklagte damit berechtigt war, die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung rückwirkend gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X aufzuheben, ist die Klägerin nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X für die Zeit vom 1. August 2012 bis 30. November 2014 zur Erstattung des überzahlten Betrages von zuletzt noch 3.278,26 € verpflichtet.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.