S 20 KA 308/22

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
SG Hannover (NSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG Hannover (NSB)
Aktenzeichen
S 20 KA 308/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Nach der Therapieallergene-Verordnung verkehrsfähige Arzneimittel sind grundsätzlich von der Verordnungsfähigkeit im Rahmen der GKV ausgeschlossen.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen. Diese haben ihre Kosten selbst zu tragen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Verordnungsfähigkeit von Therapieallergenen im Quartal IV/2020.

Die Klägerin ist eine Berufsausübungsgemeinschaft mit Sitz in J. bestehend aus den Fachärzten für Innere Medizin, Pneumologie K.. Sie verordnete für zwei volljährige Versicherte der beigeladenen Krankenkassen jeweils Pollinex Quattro Gräser/Roggen (Verordnungen vom 18. und 26. November 2020).

Die Krankenkasse beantragte am 31. Januar 2022 bei der Beklagten wegen dieser Verordnungen die Festsetzung „eines sonstigen Schadens“ in Höhe der durch die Verordnung entstandenen Verordnungskosten (hier: 1.494,30 EUR) und begründet dies mit der fehlenden Zulassung. Die im Jahr 2008 in Kraft getretene Therapieallergene-Verordnung (TAV) begründe zwar während des laufenden Zulassungsverfahrens die Verkehrsfähigkeit. Jedoch seien bei über 50 zulassungspflichtigen Produkten die Zulassungsverfahren nach über 10 Jahren noch nicht abgeschlossen. Nach der Rechtsprechung des BSG sei eine Zulassung Voraussetzung für die Verordnung zulasten der GKV.

Die Beklagte leitete diesen Antrag mit Schreiben vom 3. Februar 2022 an die Klägerin mit der Bitte um eine fallbezogene Stellungnahme weiter. Die Klägerin hat eine Stellungnahme abgegeben. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung habe anlässlich der gestellten Prüfanträge mitgeteilt, dass auf Seiten der Bundesvertragspartner die grundsätzliche Verordnungsfähigkeit der nicht zugelassenen Therapieallergene nicht in Frage gestellt werde. Bisherige Informationsschreiben könnten nur so verstanden werden, dass die noch nicht zugelassenen Präparate weiterhin eingesetzt werden könnten. Vertrauensschutzgesichtspunkte müssten hier Berücksichtigung finden. Aus der Rechtsprechung des BSG ergebe sich, dass bei Rezepturarzneimitteln von der Verkehrsfähigkeit auch auf die Verordnungsfähigkeit geschlossen werden könne. Die mit der TAV geschaffenen langen Übergangsfristen zeigten, dass diese Präparate den Patienten weiterhin zur Verfügung stehen sollten. Hinsichtlich der Produktsicherheit und Qualität sehe die TAV eine Chargenprüfung vor. Eine Hyposensibilisierungsbehandlung dauere durchschnittlich drei bis fünf Jahre. Der Therapieerfolg hänge maßgeblich von der Compliance der Patienten ab. Sensibilisierungsspektrum und Sensibilisierungsgrad seien von Fall zu Fall verschieden. Die für die Behandler maßgebliche S2k-Leitlinie AIT2022 gehe ebenfalls davon aus, dass die im Zulassungsverfahren befindlichen Therapieallergene hinsichtlich ihrer Verschreibungs- und Verkehrsfähigkeit den zugelassenen Präparaten gleichstünden. Die Klägerin rügt, dass die Krankenkasse keine Angaben zu der aus Kassensicht wirtschaftlichen Alternativbehandlung gemacht hat. Schon wegen der insoweit fehlenden Angaben müsse der Antrag zurückgewiesen werden. Jedenfalls wären für eine Therapie mit einem vergleichbaren zugelassenen Präparat (hier: Grazax) deutlich höhere Kosten entstanden.

Die Krankenkasse teilte gegenüber der Beklagten mit, dass sie den Einsatz von nicht ausreichend geprüften Medikamenten über einen Zeitraum von über zehn Jahren für bedenklich halte und eine Verordnungsfähigkeit zulasten der GKV ablehne. Sie erkläre sich jedoch gegenüber der Beklagten damit „einverstanden, wenn Sie im Rahmen Ihrer Entscheidungsfindung § 106 Abs. 3 Satz 6 SGB V nutzen und anstatt einer Rückzahlungsverpflichtung eine vorrangige Beratung aussprechen.“

Die Beklagte setzte gegenüber der Klägerin mit Bescheid vom 29. November 2022 einen Regress in beantragter Höhe fest. Das beanstandete Präparat verfüge bisher über keine arzneimittelrechtliche Zulassung. Die von der Rechtsprechung geforderte Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit habe bisher nicht stattgefunden. Für beide Präparate laufe derzeit ein Zulassungsverfahren. Diese Verfahren könnten mit der Erteilung oder der Versagung der Zulassung enden. Auch sei nicht sicher, dass die vorgeschriebene Chargenfreigabe stets erteilt werde und das Produkt tatsächlich regelmäßig verfügbar sei. Es bestehe daher immer das Risiko, dass eine Therapie nicht kontinuierlich fortgeführt werden könne. Aus der Verkehrsfähigkeit nach der TAV könne nicht auf eine Verordnungsfähigkeit geschlossen werden. Schließlich handele es sich auch nicht um eine lebensbedrohliche Erkrankung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Nachforderung sei bei den hier betroffenen gänzlich unzulässigen Verordnungen (Basismangel) auch nicht beschränkt auf die Differenz der Kosten zwischen der wirtschaftlichen und der tatsächlichen ärztlichen Verordnung begrenzt. Auch gäbe es zur Festsetzung einer Nachforderung keine Alternative.

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 29. Dezember 2022 Klage erhoben. Sie rügt, dass hier auf die Durchführung eines Vorverfahrens verzichtet wurde. Ein Ausnahmefall im Sinne des § 106c Abs. 3 Satz 6 SGB V liege nicht vor. Das beanstandete Mittel falle unter die Übergangsfrist des § 3 TAV und gelten vorübergehend als zugelassen. Das Präparat werde seit Jahren von erfahrenen Ärzten eingesetzt und habe damit gezeigt, dass es grundsätzliche Erfolgschancen hinsichtlich des Behandlungszwecks aufweise. Es habe zuvor auch nie Beanstandungen durch die Kassen gegeben. Die Chargenprüfung gewährleiste die Produktsicherheit und die Qualität. Für das eingesetzte Arzneimittel sei in der Phase II-Studie zudem eine signifikante Dosis-Wirkungs-Beziehung für die marktübliche Dosierung nachgewiesen worden. Die Spitzenverbände auf Bundesebene gingen ebenfalls von einer grundsätzlichen Verordnungsfähigkeit aus. Auch die Vertragspartner auf Landesebene hätten mit der Arzneimittelvereinbarung dokumentiert, dass eine grundsätzliche Verordnungsfähigkeit anerkannt werde. Wegen der fehlenden Antragsbegründung zur Kostendifferenz müsse der Antrag der Krankenkasse als unzulässig zurückgewiesen werden.

 

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 29. November 2022 aufzuheben.

 

Die Beklagte beantragt,

       die Klage abzuweisen.

 

Die Beklagte verweist auf ihre Bescheidbegründung. Die Durchführung eines Vorverfahrens sei hier nach § 106c Abs. 3 Satz 6 SGB V entbehrlich. Das LSG Niedersachsen-Bremen habe bereits entschieden, dass ein Vorverfahren ausscheidet, wenn die Verordnungsfähigkeit eines nicht zugelassenen Arzneimittels zu beurteilen ist. Das Bundessozialgericht habe ebenso im Fall einer fiktiven Zulassung entschieden (Leukonorm). Die Zulassungspflicht ergebe sich hier aus § 35 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Arzneimittelgesetz. Die TAV regele nicht die Verordnungsfähigkeit für die GKV sondern lediglich die Verkehrsfähigkeit. Die Zulassung sei eine notwendige Bedingung für die Verordnungsfähigkeit. Denn die ausreichende Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit sei nach der Rechtsprechung zwingende Voraussetzung für die Verordnungsfähigkeit. Die Chargenprüfung sei als Qualitätskontrolle nicht mit der im Zulassungsverfahren zu prüfenden therapeutischen Wirksamkeit gleichzusetzen. Die im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage geäußerte Rechtsauffassung der Bundesregierung sei weder für die Beklagten noch das Gericht bindend. Die Festsetzung einer Beratung komme trotz der Stellungnahme der Krankenkasse nicht in Betracht. Es handele sich um einen Basismangel. Die Prüfvereinbarung sehe dann lediglich die Regressfestsetzung vor.

Die beigeladene KVN rügt, dass bisher kein Vorverfahren durchgeführt worden sei. Auf ein Vorverfahren können nur ausnahmsweise verzichtet werden. Ein eindeutiger Verordnungsausschluss existiere jedoch nicht. Dafür spreche die unterschiedliche Behandlung der bundesweit gestellten Prüfanträge. Die Zuständigkeit des Beschwerdeausschusses sei auch nicht auf Fälle beschränkt, in denen medizinische Fragestellungen zu beurteilen sind. Sie verweist auf eine parlamentarische Anfrage (BT-Drs 20/7056) und sieht sich in ihrer Rechtsauffassung zur Verordnungsfähigkeit dadurch bestätigt. Schließlich habe die Krankenkasse im Verwaltungsverfahren erklärt, auch mit der Festsetzung einer Beratung einverstanden zu sein. Es stellte sich daher die Frage, warum die Beklagte gleichwohl einen Regress festgesetzt hat. Therapieallergene seien vor und nach Einführung der TAV von den Krankenkassen bezahlt worden. Wirksamkeit und Unbedenklichkeit könnten daher nicht fraglich sein.

Die beigeladene Krankenkasse hat sich zum Verfahren nicht geäußert.

Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und den Inhalt der Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Kammer hat in der Besetzung mit je einem Vertreter der Vertragsärzte und Psychotherapeuten sowie der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG -).

Hier konnte eine Entscheidung trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beigeladenen zu 2) ergehen, weil diese ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit der Entscheidung in Abwesenheit hingewiesen wurde (§§ 110 Abs. 1 Satz 2, 126 SGG).

Die als Anfechtungsklage statthafte Klage ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere war das Klageverfahren hier gegenüber der beklagten Prüfungsstelle zu führen. Nach § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsaktes grundsätzlich in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Dies gilt auch für das Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V. § 106c Abs. 3 Satz 1 SGB V bestimmt, dass die dort aufgeführten Personen und Institutionen gegen die Entscheidungen der Prüfungsstelle die Beschwerdeausschüsse anrufen können. Nach § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGG bedarf es eines Vorverfahrens (nur) dann nicht, wenn ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt. Ein derartiger Ausnahmefall ist in § 106c Abs. 3 Satz 6 SGB V geregelt. Danach findet - abweichend von § 106c Abs. 3 Satz 1 SGB V - in Fällen der Festsetzung einer Ausgleichspflicht für den Mehraufwand bei Leistungen, die durch das Gesetz oder durch die Richtlinien nach § 92 SGB V ausgeschlossen sind, ein Vorverfahren nicht statt. Das ist hier der Fall. Denn ein Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln besteht im Rahmen der GKV nur nach Maßgabe des § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. § 31 Abs. 1 SGB V. Diesen Bestimmungen ist im Kontext mit den allgemeinen Regelungen der §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 1 SGB V zu entnehmen, dass im Rahmen der GKV nur solche Verordnungen zulässig sind, die die Gewähr für Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bieten. Dafür sind zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen über das Arzneimittel in dem Sinne erforderlich, dass der Erfolg der Behandlung durch eine ausreichende Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Davon kann im Arzneimittelbereich ausgegangen werden, wenn es sich um Fertigarzneimittel handelt, das nach Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach dem AMG zugelassen wurde (BSG, Urteil vom 5. November 2008 - B 8 KA 63/07 R, Rn. 17 ff. m.w.N.). Die arzneimittelrechtliche Zulassung ist eine notwendige Bedingung für die Verordnungsfähigkeit in der vertragsärztlichen Versorgung (§ 9 Abs. 1 Satz 6 Arzneimittel-Richtlinie). Ein Zulassungsverfahren nach den oben genannten Vorgaben hat Pollinex Quattro Gräser/Roggen nicht durchlaufen. Zwar wird nach der Rechtsprechung des BSG in Verfahren des Off-Label-Use ein Vorverfahren durchgeführt. Grundvoraussetzung für den Off-Label-Use ist aber, dass für das betroffene Präparat nach Prüfung seiner Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eine arzneimittelrechtliche Zulassung für ein bestimmtes, von der Anwendung im Einzelfall abweichendes Indikationsgebiet erteilt worden ist (BSG, Urteil vom 19. März 2002 - B 1 KR 37/00 R). Dies ist hier gerade nicht der Fall. Zudem muss nach der Rechtsprechung des BSG über die Notwendigkeit der Durchführung eines Vorverfahrens schon bei Erlass des Bescheides der Prüfungsstelle Klarheit bestehen. Deshalb kann es für den weiteren Rechtsweg nicht darauf ankommen, ob bzw. in welchem Umfang die Verordnung von dessen Aussteller begründet wird. Die Anwendbarkeit des 106c Abs. 3 Satz 6 SGB V soll sich nach der Rechtsprechung des BSG im „typischen Fall“ richten (BSG, Urteil vom 2. Juli 2014 - B 6 KA 25/13 R). In einem typischen Fall ist der Verordnung nicht zugelassener Arzneimittel unzulässig (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24. August 2016 – L 3 KA 120/11). 

Die Klage ist unbegründet.

Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Regressen in Bezug auf Arzneimittel ist hier § 106 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3, § 106b SGB V i.V.m. § 6 Abs. 1j, § 30 der Vereinbarung zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 106 SGB V ab dem Jahr 2017 (Prüfvereinbarung). Nach § 106b Abs. 1 SGB V wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung mit ärztlich verordneten Leistungen ab dem 1. Januar 2017 anhand von Vereinbarungen geprüft, die von den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen zu treffen sind. Auf Grundlage dieser Vereinbarungen können Nachforderungen wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise nach § 106 Absatz 3 SGB V festgelegt werden. Die Partner der Gesamtverträge in Niedersachsen haben in § 30 Abs. 2 der Prüfvereinbarung Einzelfallprüfungen wegen unzulässiger Verordnungen aufgrund von Verstößen gegen die Arzneimittelrichtlinie vorgesehen. Nach dieser Vorschrift stellt die Prüfungsstelle auf Antrag einer Krankenkasse einen Verordnungsregress fest (vgl. § 30 Abs. 2 iVm § 30 Abs. 3 PrüfV).

Die beigeladene KK hat einen solchen Antrag für die Verordnungen von Pollinex Quattro Gräser/Roggen im Quartal IV/2020 am 31. Januar 2022 gestellt und um Festsetzung eines Regresses in Höhe von 1.494,30 EUR gebeten. Diesen Antrag hat die Krankenkasse auch nicht (teilweise) zurückgenommen. In ihrem Schreiben vom 10. März 2022 an die Beklagte hat die Krankenkasse ausgeführt:

„Zum Schutz der Ärztinnen und Ärzte, die den Angaben der Pharmafirmen zur Verordnungsfähigkeit der Medikamente vertraut haben, erkläre wir uns jedoch einverstanden, wenn Sie im Rahmen Ihrer Entscheidungsfindung § 106 Abs. 3 Satz 6 SGB V nutzen und anstatt einer Rückerstattungsverpflichtung eine vorrangige Beratung aussprechen.“

Nach Ansicht der Kammer kann eine Krankenkasse einen einmal gestellten Prüfantrag grundsätzlich zurücknehmen oder seinem Inhalt nach beschränken. An einen solchen geänderten Antrag wären die Prüfgremien trotz Fehlens einer § 123 SGG (ne ultra petita) vergleichbaren Regelung auch gebunden. Für die antragsgebundenen Verfahren ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die vollständige Rücknahme eines Prüfantrags sogar nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens noch möglich ist (vgl. Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 15. März 2017 – L 5 KA 17/16). Zudem regelt die Prüfvereinbarung ausdrückliche eine zeitliche Beschränkung für die Antragsrücknahme in Prüfverfahren nach Durchschnittswerten (§ 17 Abs. 3 PrüfV), nicht jedoch für die hier durchgeführte Einzelfallprüfung. Für Fälle einer teilweisen Antragsrücknahme kann nichts anderes gelten. Die Einzelfallprüfungen nach § 30 der Prüfvereinbarung können nur auf Antrag der betroffenen Krankenkasse durchgeführt werden und ein daraufhin festgesetzte Regress wird ausschließlich der antragstellenden Krankenkasse gutgeschrieben (§ 10 Abs. 1 Satz 2 PrüfV). Die Einzelfallprüfungen nach § 30 PrüfV werden daher ausschließlich im Interesse der jeweils antragstellenden Krankenkasse durchgeführt. Das Dispositionsinteresse der Krankenkasse ist aber in gleicher Weise schützenswert.

Indes kann die Kammer dem Schreiben der Krankenkasse vom 10. März 2022 nicht entnehmen, dass der ursprünglich gestellte Regressantrag zurückgenommen und stattdessen ein Antrag auf Festsetzung einer Beratung gestellt werden sollte. Zwar geht der Erklärungsinhalt über ein bloßes Vergleichsangebot hinaus, da das Einverständnis nicht von einer Zustimmung des geprüften Leistungserbringers abhängig gemacht wird. Nach dem Wortlaut des Schreibens wollte die Krankenkasse gegenüber der Prüfungsstelle jedoch lediglich die Ausübung des – aus ihrer Sicht bestehenden – Entscheidungsermessens zugunsten der geprüften Leistungserbringerin anregen. Sie hat damit konkludent auch zum Ausdruck gebracht, dass im Fall der Festsetzung einer Beratung keine Rechtsbehelfe gegen eine solche Prüfentscheidung eingelegt würden. Der Formulierung ist jedoch nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass der ursprüngliche Regressantrag auf einen Antrag auf Festsetzung einer Beratung reduziert werden sollte. Dazu hätte es mit Blick auf die weitreichenden Folgen für das Prüfverfahren einer eindeutigen Erklärung bedurft.   

Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass der von der Kasse gestellte Regressantrag unzureichend begründet und damit keine Grundlage für den angegriffenen Prüfbescheid seien kann. § 30 Abs. 3 Satz 1 PrüfV sieht zunächst lediglich vor, dass der Antrag der Kasse zu begründen ist. Konkrete Vorgaben für diese Begründungspflicht fehlen. Zwar ist ein Antrag ausgeschlossen, wenn der vermutete Schaden 50 EUR nicht übersteigt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 PrüfV). Dies lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass die Krankenkasse im Rahmen der Antragsbegründung stets Ausführungen zu einer möglichen Differenzkostenberechnung vornehmen muss. Anknüpfungspunkt für eine Wertgrenze als formelle Zulässigkeitsvoraussetzung kann nur die von der jeweiligen Krankenkasse - unter Berücksichtigung ihres Rechtsstandpunktes – geltend gemachte Schadenshöhe sein (siehe dazu auch: Hofmayer in: Schiller, Bundesmantelvertrag-Ärzte, 2. Aufl. § 51 Rn. 6). Die Anwendung der Differenzkostenberechnung für den hier gestellten Antrag ist rechtlich umstritten (dazu später). Die Durchführung einer Differenzkostenberechnung bei Einleitung des Prüfverfahrens ist daher nicht geboten und kann schon aus diesem Grund keine Begründungspflicht im Rahmen der Antragstellung auslösen. Die Begründungsverpflichtung der Krankenkasse besteht überdies auch nur gegenüber der Prüfungsstelle. Eine drittschützende Wirkung zugunsten des geprüften Leistungserbringers entfaltet die Antragsbegründungspflicht daher regelhaft nicht (BSG, Urteil vom 16. Dezember 1987 – 6 RKa 15/87; vgl. zu Antragsfristen in Prüfvereinbarungen: BSG, Urteil vom 29. Juni 2011 – B 6 KA 16/10 R Rn. 27).

Die Verordnungen von Pollinex Quattro Gräser/Roggen im Quartal IV/2020 waren rechtswidrig.

Ein Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln besteht im Rahmen der GKV nur für solche Verordnungen, die nach Maßgabe des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse Gewähr für Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bieten. Dafür sind zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen über das Arzneimittel in dem Sinne erforderlich, dass der Erfolg der Behandlung mit ihm durch eine ausreichende Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist (BSG, Urteil vom 5. November 2008 - B 6 KA 63/07 R, Rn 17 mwN). Davon kann im Arzneimittelbereich ausgegangen werden, wenn es sich um ein Fertigarzneimittel handelt, das nach Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach dem AMG zum Verkehr zugelassen wurde (BSG aaO, Rn 19). Versicherte können eine Versorgung mit vertragsärztlich verordneten Fertigarzneimitteln, die nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedürfen, daher regelmäßig nur beanspruchen, wenn für das Arzneimittel eine für das jeweilige Indikationsgebiet betreffende Zulassung vorliegt (BSG, Urteil vom 23. Juli 1998 – B 1 KR 19/96 R; Urteil vom 18. Mai 2004 - B 1 KR 21/02 R, Rn 14; Urteil vom 8. November 2011 - B 1 KR 19/10 R, Rn 11; Urteil vom 27. September 2005 – B 1 KR 6/04 R, Rn. 14).

Das Präparat Pollinex Quattro Gräser/Roggen unterliegt der Zulassungspflicht nach § 1 TAV, verfügte zum Verordnungszeitpunkt über keine Zulassung, war aber aufgrund eines laufenden Zulassungsverfahrens verkehrsfähig. Pollinex Quattro Gräser/Roggen ist ein Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 5 AMG. Es darf grundsätzlich nur nach arzneimittelrechtlicher Zulassung in den Verkehr gebracht werden (§ 21 Abs. 1 AMG). Von der Zulassungspflicht sind nach § 21 Abs. 2 Nr. 1g AMG explizit solche Therapieallergene ausgenommen, die individuell für einen Patienten aufgrund einer Rezeptur hergestellt werden. Für bestimmte in der Anlage zur TAV aufgeführte Therapieallergene ist in § 1 TAV wiederum eine Zulassungspflicht vorgesehen. Darunter fällt auch das hier streitige Präparat. § 3 TAV sieht weiterhin vor, dass zulassungspflichtigen Therapieallergene bis zur Entscheidung über die Zulassung weiterhin ohne Zulassung in den Verkehr gebracht werden dürfen, sofern innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten der TAV bei der zuständigen Bundesoberbehörde das Therapieallergen unter Mitteilung der Bezeichnung sowie der Zusammenfassung der Produktmerkmale angezeigt und bis zum 1. Dezember 2010 ein Antrag auf Zulassung gestellt wird. Pollinex Quattro Gräser/Roggen erfüllt diese Voraussetzungen und war u.a. zum Zeitpunkt der hier streitigen Verordnung nach Maßgabe der TAV verkehrsfähig. Ob die nach der TAV übergangsweise angeordnete Verkehrsfähigkeit zur Begründung einer Verordnungsfähigkeit im Rahmen der GKV ausreichend ist, wird in der Literatur unterschiedlich beantwortet (beispielhaft etwa: Engelke, Seubert, MedR 2020, 546 mwN; Grau, A&R 2021, 75 82 mwN).

Aufgrund der zum Verordnungszeitpunkt fehlenden Zulassung besteht nach der o.g. Rechtsprechung grundsätzliche keine Leistungspflicht der GKV (BSG, Urteil vom 23. Juli 1998 aaO). Für die Beurteilung der Verordnungsfähigkeit im Rahmen der GKV kommt es auch nicht entscheidend darauf an, ob sich aus den Regelungen der TAV „nur“ eine Verkehrsfähigkeit oder eine vorläufige bzw. übergangsweise Zulassung des Präparats ergibt. Denn nach der Rechtsprechung des BSG kann selbst aus einer formal bestehende Zulassung nicht auf die Verordnungsfähigkeit geschlossen werden, wenn die Zulassungsentscheidung ohne vorherige fundierte Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erfolgte (BSG, Beschluss vom 15. Juli 2015 – B 6 KA 19/15 B Rn. 5 mwN). Eine solche Überprüfung ist jedoch nicht mit den in § 3 TAV aufgeführten Anzeigepflichten bzw. mit den fortlaufenden Chargenprüfungen nach § 2 TAV erfolgt. Vielmehr ordnet die TAV die Verkehrsfähigkeit lediglich übergangsweise bis zum Abschluss des eingeleiteten Zulassungsverfahrens an. Sie endet im Fall der Versagung der Zulassung (vgl. § 3 Abs. 4 TAV). Denn die Erweiterung der Zulassungspflicht auf bestimmte Therapieallergene erfolgte nach dem Willen des Normgebers gerade deshalb, um Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit im Rahmen eines Zulassungsverfahrens zu belegen (BR-Drucks. 712/08 Begründung A. Allgemeiner Teil). Auch aus einer nach den Regelungen des AMG ergebenden Verkehrsfähigkeit kann ohne die vorherige Überprüfung nicht auf die Verordnungsfähigkeit geschlossen werden (BSG, Beschluss vom 30. Oktober 2019 – B 6 KA 21/18 B mwN).

Ausreichenden Feststellungen zur Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit lagen zum Verordnungszeitpunkt für Pollinex Quattro Gräser/ Roggen nicht vor. Für ist Kammer ist auch nicht ersichtlich, dass Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit zum Verordnungszeitpunkt bereits vorgelegen haben. Dagegen spricht bereits, dass bis heute eine Zulassung für das streitige Präparat nicht erteilt wurde. Die Klägerin behaupten im Verfahren unter Verweis auf eine Aufstellung der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) eine signifikante Dosis-Wirkungs-Beziehung. Das Gericht hat die öffentlich einsehbare Aufstellung der DGAKI mit Stand 19. Juli 2023 für die Gräserpollen eingesehen (abrufbar unter: https://dgaki.de/leitlinien/s2k-leitlinie-ait/graeserpollen-ait-produkte/). Dieser weist für Pollinex Quattro zwei „publizierte Phase 3“ Studien von Drachenberg (2001) und DuBuske (2011) aus. Die Studie von Drachenberg (A well-tolerated grass pollen-specific allergy vaccine containing a novel adjuvant, monophosphoryl lipid A, reduces allergic symptoms after only four preseasonal injections, abrufbar unter https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/11421893/) und die Studie von DuBuske (Ultrashort-specific immunotherapy successfully treats seasonal allergic rhinoconjunctivitis to grass pollen, abrufbar unter: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/21535913/) erfolgten außerhalb des „TAV-Prozesses“. Nach Mitteilung des Paul-Ehrlich-Instituts vom 22. Oktober 2019 wurden für die noch im Zulassungsverfahren befindlichen Therapieallergene im Jahr 2018 „klinische Mängelschreiben“ erstellt und den Unternehmen unter Fristsetzung Gelegenheit zur Nachbesserung gegeben. Für Pollinex Quattro wurde im Jahr 2019 eine Phase 2-Studie von Zielen (Strong dose response after immunotherapy with PQ grass using conjunctival provocation testing, abrufbar unter: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31709029/) sowie im Jahr 2023 eine Studie von de Kram (Short-course subcutaneous treatment with PQ Grass strongly improves symptom and medication scores in grass allergy, abrufbar unter: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37366581/) veröffentlicht.

Auch der Hinweis auf die in der TAV vorgeschriebene Chargenprüfung kann fehlende Feststellungen zu Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nicht ersetzten. Die staatliche Chargenprüfung ist keine Besonderheit der nach der TAV vorübergehend verkehrsfähigen Therapieallergene. Es handelt sich vielmehr um eine gesonderte Prüfung für Sera, Impfstoffe und Allergene. Die Chargenprüfung wird „unbeschadet einer bestehenden Zulassung“ (§ 32 Abs. 1 Satz 1 AMG) durchgeführt. Nach 32 Abs. 1 Satz 2 AMG ist die Charge freizugeben, wenn eine Prüfung ergeben hat, dass die Charge nach Herstellungs- und Kontrollmethoden, die dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen, hergestellt und geprüft worden ist und dass sie die erforderliche Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit aufweist. Hintergrund der Chargenprüfung ist, dass es sich bei den betroffenen Produkten um biologische Erzeugnisse handelt. Mit der Chargenprüfung soll sichergestellt werden, dass trotz einer naturgemäß schwankenden Konsistenz eine gleichbleibende Qualität sichergestellt wird (Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, 3. Auflage 2022, § 32 AMG Rn 2 mwN). Hingegen werden im Zulassungsverfahren Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit überprüft (vgl. § 25 AMG). Die Chargenprüfung kann und soll weder nach der Konzeption des AMG noch nach der der TAV das Zulassungsverfahren ersetzen. Sie kann daher auch kein gleichwertiger Ersatz für eine systematische Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit im Rahmen eines Zulassungsverfahren sein (vgl. dazu auch: LG Hamburg, Beschluss vom 5. April 2019 – 312 O 435/16 Rn. 76; LSG Hamburg, Beschluss vom 7. Juni 2021 – L 1 KR 40/21 BER; SG Dresden, Urteil vom 3. März 2023 – S 11 KA 40/19).

Es liegt hier auch kein sogenannter Seltenheitsfall vor. Die Verordnungsfähigkeit eines nicht zugelassenen Arzneimittels kommt nach der Rechtsprechung ausnahmsweise in Betracht, wenn der Versicherte an einer sehr seltenen, einer systematischen Erforschung von darauf bezogenen Therapiemöglichkeiten nicht zugänglichen Erkrankung leidet (vgl BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 27/02 R).  Ein solcher Seltenheitsfall setzt daher neben der Häufigkeit der Erkrankung voraus, dass das festgestellte Krankheitsbild aufgrund seiner Singularität medizinisch nicht erforschbar ist (BSG, Beschluss vom 30. September 2020 – B 6 KA 23/19 B mwN). Diese Voraussetzungen liegen für die in die TAV aufgenommenen Therapieallergene gerade nicht vor. Der Verordnungsgeber hat den Anwendungsbereich der TAV auf diejenigen Allergene beschränkt, für die auch der Beleg einer therapeutischen Wirksamkeit möglich sei (vgl. BR-Drucks. 712/08 B. Besonderer Teil zu § 1).

Dieses Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch zu den Zielen bei der Einführung der Therapieallergene-Verordnung. Insbesondere führte die Rechtsänderung 2008 nicht dazu, dass bisher verordnungsfähige Therapieallergene von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen wurden. Denn auch im Bereich der arzneimittelrechtlichen Zulassungsfreiheit können nur solche Verordnungen zulasten der GKV erfolgen, die die Gewähr für Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach Maßgabe des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse bieten (BSG, Urteil vom 3. Februar 2010 – B 6 KA 37/08 R; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18. April 2018 – L 3 KA 31/15).

Die Klägerin kann sich im Verfahren nicht mit Erfolg darauf berufen, sie und sämtliche relevanten Akteure in der vertragsärztlichen Selbstverwaltung wären von der Verordnungsfähigkeit der im Zulassungsverfahren befindlichen Therapieallergene ausgegangen. Maßnahmen im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung setzten nach der Rechtsprechung des BSG kein Verschulden des Leistungserbringers voraus. Es kommt etwa nicht darauf an, ob sie eine Unwirtschaftlichkeit zum Zeitpunkt der Verordnung erkennen musste. Indes kann ein Vertragsarzt nach dieser Rechtsprechung vor Rückforderungen geschützt sein, wenn ein anderer Beteiligter einen besonderen Vertrauenstatbestand gesetzt hat. Bei umstrittenen Verordnungen kann ein derartiger Vertrauenstatbestand nur von den Prüfgremien oder vom Kostenträger gesetzt werden. Vertrauensschutz setzt voraus, dass die zuständigen Körperschaften oder Gremien explizit die für die von den betroffenen Ärzten praktizierte oder beabsichtigte Verordnungsweise gebilligt und die Ärzte in Kenntnis dieser Auskunft ihre Verordnungsweise fortgesetzt bzw aufgenommen haben (BSG, Urteil vom 20. März 2013 – B 6 KA 27/12 R mwN). Äußerungen von Dritten sind zur Begründung von Vertrauensschutz nicht geeignet (vgl. etwa zu Äußerungen des PEI bzw. Mitgliedern des Bundestags: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 22. Mai 2019 – L 3 KA 55/16 und nachfolgend: BSG, Beschluss vom 30. September 2020 – B 6 KA 23/19 B). Aus dem Umstand, dass die Prüfgremien oder Kostenträger über einen längeren Zeitraum vergleichbare Verordnungen nicht beanstandet haben, erwächst kein Recht und kein Vertrauensschutz, auch in Zukunft entsprechend verordnen zu dürfen (vgl. BSG vom 20. März.1996 - 6 RKa 34/95; LSG Stuttgart vom 16.3.2016 - L 5 KA 169/14). Auf Vertrauensschutz kann sich die Klägerseite nach den o.g. Vorgaben daher nicht berufen. Die antragstellende Krankenkasse und die für Niedersachsen zuständigen Prüfgremien haben keine vertrauensschutzbegründenden Äußerungen getätigt. Die von der KVN im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgelegte Rezept-Info – spezifische Immuntherapie (SIT) der Gemeinsamen Arbeitsgruppe Arzneimittel der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen und den Verbänden der gesetzlichen Krankenversicherungen in Niedersachsen kann ebenfalls keinen Vertrauensschutz begründen. Zum einen hat die antragstellende Krankenkasse ihren Hauptsitz in Nordrhein-Westphalen und ist damit nicht Mitglied des an dieser Rezept-Info beteiligten BKK Landesverbands Mitte (§ 207 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Dieser Landesverband ist die Dachorganisation für alle Betriebskrankenkassen, die ihren Rechtssitz in Brandenburg, Berlin, Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben. Zum anderen zählt die Vertretung der Mitgliedskassen in dem hier durchgeführten Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht zu den gesetzlich vorgegebenen Aufgaben des Landesverbands. In der Gesamtbetrachtung handelt es sich bei der Rezept-Info unter Vertrauensschutzgesichtspunkten um eine unbeachtliche Äußerung eines Dritten.

Zu Recht hat die Beklagte aufgrund der festgestellten Unzulässigkeit einen Regress festgesetzt.

Nach § 106 Abs. 3 Satz 1 SGB V entscheidet die Prüfungsstelle unter Beachtung der Vereinbarungen nach den §§ 106a und 106b, ob der geprüfte Leistungserbringer gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche Maßnahmen zu treffen sind. Eine Maßnahme kann insbesondere auch die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung sein (§ 106 Abs. 3 Satz 1 SGB V). § 106b Abs. 2 SGB sieht vor, dass in Rahmenvorgaben der KBV und des Spitzenverbands der Krankenkassen durch Vorgaben sicherzustellen ist, dass individuelle Beratungen bei statistischen Prüfungen der Ärztinnen und Ärzte der Festsetzung einer Nachforderung bei erstmaliger Auffälligkeit vorgehen; dies gilt jedoch nicht für Einzelfallprüfungen. Die Prüfvereinbarung selbst sieht als einzige Rechtsfolge für Einzelfallprüfungen nach § 30 PrüfV die Festsetzung eines Regresses vor. Der Beklagten stand hier daher keinerlei Entscheidungsspielraum zu.

Die Beklagte hat schließlich zu Recht auf die Durchführung einer Differenzkostenberechnung verzichtet. § 106 b Abs. 2a SGB V sieht zwar vor, dass „Nachforderungen nach Absatz 1 Satz 2“ auf die Differenz der Kosten zwischen der wirtschaftlichen und der tatsächlich ärztlich verordneten Leistung zu begrenzen sind. Zudem begründen etwaige Einsparungen keinen Anspruch zugunsten des verordnenden Arztes. Das Nähere wird in den einheitlichen Rahmenvorgaben nach § 106b Absatz 2 vereinbart. Zum Zeitpunkt der hier streitigen Verordnungen existierten zu der Regelung in § 106b Abs. 2a SGB V folgende Rahmenvorgaben des GKV-Spitzenverbands und der KBV:

„§ 3a Berücksichtigung einer Kostendifferenz gemäß § 106b Abs. 2a SGB V

(1) Nachforderungen sind auf die Differenz der Kosten zwischen der wirtschaftlichen und der tatsächlich verordneten Leistung zu begrenzen. Etwaige Einsparungen begründen keinen Anspruch zugunsten des verordnenden Arztes. Die Sätze 1 und 2 gelten auch im Falle von Maßnahmen nach § 106b Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 SGB V. Die Berücksichtigung einer Kostendifferenz ist nur dann vorzunehmen, wenn die in Rede stehende Verordnung nicht bereits durch § 34 SGB V oder nach Anlage 1 der Heilmittel-Richtlinie ausgeschlossen ist und die Voraussetzungen nach § 12 Abs. 11 Arzneimittel-Richtlinie nicht vorliegen.“

Nach dem Wortlaut des § 106b Abs. 2 Satz 1 SGB V gilt die Verpflichtung zum Abzug der (fiktiven) wirtschaftlichen Kosten für „Nachforderungen nach Absatz 1 Satz 2“ und damit zunächst für sämtliche Nachforderungen auf der Grundlage der Prüfvereinbarung (Engelhard in: Hauck/Noftz SGB V, § 106b Rn. 145; Ulrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 106b SGB V Rn. 61 (Stand: 15.12.2022)). Demgegenüber sieht § 106b Abs. 2a SGB V als Rechtsfolge die Bestimmung der Kostendifferenz zwischen der tatsächlich verordneten und „der wirtschaftlichen“ Leistung vor. Dies spricht dafür, dass der Anwendungsbereich der Vorschrift sich auf Fälle der Wirtschaftlichkeitsprüfung im engeren Sinne beschränkt und damit für Fälle generell unzulässiger Verordnungen nicht zur Anwendung kommt (so im Ergebnis auch: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. April 2023 – L 7 KA 19/22 KL, derzeit anhängig beim BSG unter dem Aktenzeichen: B 6 KA 10/23 R; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 8. Februar 2023 – L 12 KA 31/22, derzeit anhängig beim BSG unter dem Aktenzeichen: B 6 KA 5/23 R; BeckOGK/Hess, 15.2.2023, SGB V § 106b Rn. 26; BeckOK SozR/Wehebrink, 68. Ed. 1.12.2021, SGB V § 106b Rn. 30; LPK-SGB V/Murawski, 6. Aufl. 2022, SGB V § 106b Rn. 11). Die Kammer schließt sich dieser überwiegend vertretenen Auslegung zum engen Anwendungsbereich der Differenzkostenberechnung an. Eine möglicherweise in den seinerzeitigen Rahmenvorgaben von GKV-Spitzenverband und der KBV vereinbarte teilweise Erweiterung der Differenzkostenberechnung wäre nicht mehr von der Regelungsermächtigung des § 106b Abs. 2a Satz 3 SGB V gedeckt und damit unwirksam.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Den Beigeladenen waren keine Kosten aufzuerlegen, da sie keine Anträge gestellt haben (§ 154 Abs. 3 VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren auch nicht der unterlegenen Partei oder der Staatskasse aufzuerlegen. Gründe für eine solche Billigkeitsentscheidung (§ 162 Abs. 3 VwGO) waren weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Rechtskraft
Aus
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