S 20 EG 15/19 FG

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 20 EG 15/19 FG
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Anspruch auf bayerisches Familiengeld gem. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 BayFamGG neben österreichischen Familienleistungen.

2. Anwendung der Antikumulierungsregelung des Art. 68 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 nur bei gleichartigen Familienleistungen.

3. Bayerisches Familiengeld dient nicht der Existenzsicherung und wird einkommensunabhängig gewährt, damit ist es nicht mit dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld vergleichbar, vgl. auch österreichischer Oberster Gerichtshof, Entscheidung vom 26.05.2020, Az. 10 ObS 1/20 z.


I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 03.12.2018 sowie des Widerspruchsbescheids vom 26.02.2019 verurteilt, dem Kläger Familiengeld für seinen Sohn K in Höhe von 250 € monatlich ab dem 08.09.2018 bis 07.01.2019 zu gewähren.

II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits des Klägers.


T a t b e s t a n d :

Streitig ist vorliegend die Gewährung von Familiengeld für den Sohn des Klägers K, geboren am 08.01.2016, ab Inkrafttreten des bayerischen Familiengeldgesetzes zum 01.09.2018, vergleiche Art. 9a Abs. 1 BayFamGG, bis zum Ablauf des 36. Lebensmonats, vergleiche Art. 3 Abs. 3 BayFamGG.

Der Beklagte lehnte die Gewährung von Familiengeld ab, vgl. ablehnenden Bescheid vom 03.12.2018 in der Gestalt des ablehnenden Widerspruchsbescheids vom 26.02.2019. Er bezog sich dabei darauf, dass gem. Art. 11, Art. 67, 68 VO (EG) Nr. 883/2004, Verfahrensregelung in Art. 60 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 987/2009, vorliegend Österreich vorrangig für die Gewährung von Familienleistungen zuständig sei und Deutschland nachrangig ggf. zur Zahlung eines Unterschiedsbetrags verpflichtet sei. Eine diesbezügliche Berechnung habe aber nicht vorgenommen werden können, da die maßgeblichen Unterlagen nicht eingereicht worden seien.

Der Kläger führte im Klageverfahren mit Schriftsatz vom 17.03.2019 aus, dass er und seine Ehefrau in Österreich unselbstständig sozialversicherungspflichtig beschäftigt seien. Da Österreich gemäß den EG Verordnungen 883/2004 und 987/2009 vorrangig für Familienleistungen zuständig sei, hätten er und seine Ehefrau keinen Antrag auf das deutsche Elterngeld gestellt. Das bayerische Familiengeld habe man separat beantragt. In Österreich gebe es keine dem bayerischen Familiengeld vergleichbare Leistung. Der Kläger bekomme für seinen Sohn K die österreichische Familienbeihilfe und als Ausgleichszahlung das deutsche Kindergeld. Weitere Leistungen habe der Kläger und seine Ehefrau im Jahr 2018 nicht bezogen. Eine Beachtung zwischenstaatlicher Zahlungen sei gemäß Art. 4 BayFamGG vorgesehen, jedoch erhalte der Kläger keine solchen dem bayerischen Familiengeld vergleichbare Leistungen aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat. Somit gelte gemäß Art. 68 VO 883 die Zuständigkeit des Wohnsitzstaates. Auch das zeitliche Zusammentreffen des bayerischen Familiengelds mit anderen Familienleistungen außer dem Kindergeld inklusive österreichischer Familienbeihilfe trete beim Kläger im Zeitraum 01.09.2018 bis 07.01.2019 nicht auf. Der Kläger legte vor Schreiben der Salzburger Gebietskrankenkasse über Bezug von österreichischem Kinderbetreuungsgeld durch den Kläger vom 08.01.2017 bis 07.03.2017 in Höhe von 65,42 € täglich. Eine Nichtgewährung des bayerischen Familiengelds stelle eine Diskriminierung nach Art. 3 Grundgesetz dar. Es sei auch auf das Gutachten zu Anrechenbarkeit des Familiengelds auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch II vom 21.09.2018 zu verweisen. Gemäß Art. 1 BayFamGG solle das bayerische Familiengeld nicht auf andere existenzsichernde Sozialleistungen angerechnet werden. Es handele sich um eine einkommensunabhängige Zahlung. Der Kläger erfülle die Voraussetzungen gemäß Art. 2 BayFamGG und habe seinen Wohnsitz in Bayern.

Der Beklagte führte mit Stellungnahme vom 23.09.2019 aus, dass das bayerische Familiengeld nach den Gesetzesbegründungen folgende Zweckbestimmung habe, vergleiche LT-Drs. 17/22033, 18/346:

"Mit dem bayerischen Familiengeld erhalten Eltern mit Kleinkindern eine vom gewählten Lebensmodell der Familie unabhängige, gesonderte Anerkennung ihrer Erziehungsleistung. Eltern erhalten zugleich größere ökonomische Gestaltungsspielräume, frühe Erziehung und Bildung der Kinder einschließlich gesundheitsförderlicher Maßnahmen in der jeweils von ihnen gewählten Form zu ermöglichen, zu fördern und insbesondere auch entsprechend qualitativ zu gestalten.... Familiengeld dient somit nicht der Existenzsicherung, sondern darüberhinausgehenden Bedarfen. Das Geld soll insbesondere auch für Elternkurse zur Stärkung der Bindung- und Erziehungsfähigkeit der Eltern sowie für Kinderkurse zur Bildung der Kinder wie Kleinkinderschwimmen, Musikerziehung, besondere größere Ausflüge oder Bildungsunternehmungen zur Verfügung stehen."

Der Beklagte führt aus, dass das bayerische Familiengeld daher eine Familienleistung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. j VO (EG) Nr. 883/2004 sei und damit grundsätzlich der Koordinierung nach Art. 67 und 68 VO (EG) Nr. 883/2004 unterliege. Nach der Rechtsprechung des EuGH stelle gemäß Art. 12 der VO (EG) Nr. 1408/71 nur ein Anspruch auf mehrere Leistungen gleicher Art eine ungerechtfertigte Kumulierung dar (EuGH, Urteil vom 8.5.2014, C-347/12, Rn. 53, Wiering). Der EuGH legte dort dar, dass das nach deutschem Recht vorgesehene Elterngeld keine Leistung gleicher Art im Sinne von Art. 12 der VO (EG) Nr. 1408/71 sei wie das nach deutschem Recht vorgesehene Kindergeld und die nach luxemburgischem Recht vorgesehenen Familienzulagen.
Der Beklagte führt weiter aus, dass die Regelung nunmehr in Art. 10 VO (EG) Nr. 883/2004 enthalten sei. Er machte geltend, dass nach Abwägung aller Gesichtspunkte, insbesondere des Sinns und Zwecks des Bayerischen Familiengeldes und des Elterngeldes, es dafür spreche, dass im Rahmen der Koordinierung von Familienleistungen nach der VO (EG) Nr. 883/2004 das bayerische Familiengeld mit den Familienleistungen der Mitgliedstaaten der EU vergleichbar sei, die dem Elterngeld vergleichbar seien. Familiengeld sei deshalb nicht zu gewähren.

Das Gericht erteilte rechtlichen Hinweis vom 08.12.2020, wonach nach Ansicht des Gerichts Anspruch auf Familiengeld vorliegend bestehe.

Auch bei Anwendung von Art. 68 VO (EG) Nr. 883/2004 seien die Antikumulierungsregelungen nur bei gleichartigen Familienleistungen anzuwenden. Hier lägen aber nicht vergleichbare Leistungen vor.

Der Beklagte wandte sich hiergegen mit Schriftsatz vom 9.2.2021. Es sei davon auszugehen, dass vorliegend der Gesamtanspruch auf österreichisches Kinderbetreuungsgeld den Anspruch auf deutsche Familienleistungen - hier Elterngeld sowie Familiengeld - übersteige. Der Beklagte äußerte, dass erhebliche Bedenken bestünden, ob das vom Gericht mitgeteilte Ergebnis von der VO (EG) Nr. 883/2004 so getragen werde. Der Beklagte stimme zunächst dem Gericht dahingehend zu, dass es sich beim Familiengeld um eine Familienleistung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 j), Art. 1 z) VO (EG) Nr. 883/2004 handele. Das Gericht differenziere sodann nach der Gleichartigkeit und führe aus, diese sei nicht gegeben, stelle sodann die Anwendbarkeit des Art. 68 VO (EG) Nr. 883/2004 in Frage. Titel III Kapitel 8 der VO (EG) Nr. 883/2004 gelte jedoch nach seinem Wortlaut für alle Familienleistungen. Eine rechtliche Regelung, dass zwischen den Familienleistungen zu differenzieren sei, enthalte die VO (EG) Nr. 883/2004 nicht. Die Auffassung, aus der VO (EG) Nr. 883/2004 ergebe sich nach strenger Auslegung des Wortlauts hier keine Lösung, vermöge den Beklagten nicht zu überzeugen. Zur Auslegung der Verordnung seien insbesondere die Erwägungsgründe heranzuziehen, hier Erwägungsgründe 34 und 35. Die Familienleistungen seien danach in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Zu dem Hinweis des Gerichts auf das Urteil des EuGH vom 8.5.2014, C-247/12 in Sachen Wiering, sei auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 25.7.2019, Aktenzeichen III R 34/18 Rn 25, zu verweisen, wonach die Frage offen gelassen werden könne, ob die Frage der Gleichartigkeit von Leistungen auch auf die neue Verordnung (EG) Nr. 883/2004 Anwendung finde. Jedoch werde diese Frage in der Literatur verneint. Professor Dr. Fuchs führe aus, dass die Entscheidung Wiering zum alten Recht der VO 1408/71 ergangen sei, dort werde zwischen Familienleistungen und Familienbeihilfen unterschieden. Diese Unterscheidung werde in der VO (EG) Nr. 883/2004 aufgegeben. Unter Geltung der VO (EG) Nr. 883/2004 müsse die Rechtssache Wiering deshalb anders entschieden werden, vergleiche NZS, 2015,121,126. Im Kasseler Kommentar, VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 68 Rn 4, werde ausgeführt, dass angesichts der neuen umfassenden Begriffsbildung in Art. 1 z) und der Schaffung einer speziellen Antikumulierungsvorschrift in Art. 68, die Art. 10 als lex specialis verdränge, ein methodisch tragfähiger Ansatz für einen Rückgriff auf die alte EuGH-Rechtsprechung fehle.

Ziel der VO (EG) Nr. 883/2004 sei es, die Sozialsysteme der Mitgliedstaaten zu koordinieren, um die Freizügigkeit zu gewährleisten. Eine Aufsplitterung von Familienleistungen nach diesen Unterschieden würde die praktische Wirksamkeit von Antikumulierung verhindern. Für die Ansicht des Beklagten spreche auch die geplante Änderung der VO (EG) Nr. 883/2004, wonach ein Erwägungsgrund 35 a eingeführt werden solle. Dort wird ausgeführt, dass für die Zwecke der Berechnung des Unterschiedsbetrags das Urteil des EuGH Wiering berücksichtigt werden solle. In Anbetracht der Besonderheit der verschiedenen Familienleistungen der Mitgliedstaaten solle zwischen zwei Kategorien von Familienleistungen differenziert werden, die sich aufgrund ihres Hauptzwecks, ihrer Ziele und der Basis, auf der sie gewährt würden, voneinander unterschieden. Familienleistungen in Form einer Geldleistung, die in erster Linie dazu dienten, Einkommensverluste wegen der Kindererziehung teilweise oder vollständig bzw. Einkommen, das die betreffende Person wegen der Kindererziehung nicht erzielen kann, zu ersetzen, können von anderen Familienleistungen zum Ausgleich von Familienlasten unterschieden werden.

Der Beklagte weist darauf hin, dass Art. 68 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 ebenfalls geändert werden solle. Nach dem vom Beklagten vorgelegten Text sollen dort die Worte "für gleichartige Leistungen" eingefügt werden. Weiter solle ein Absatz 2a eingefügt werden, wonach für die Zwecke der Berechnung des Unterschiedsbetrags bei Familienleistungen nach Abs. 2 sich zwei Kategorien von gleichartigen Leistungen ergeben würden, Familienleistungen im Zusammenhang mit Einkommensverlusten sowie alle sonstigen Familienleistungen.

Der Beklagte führt aus, dass dies nachdrücklich unterstreiche, dass nach der aktuellen Rechtslage keine Unterteilung der Familienleistungen in eine größere Zahl von Kategorien zulässig sei. Selbst die Neuregelung sehe ausschließlich zwei Kategorien vor. Die Änderung solle damit wieder zwei Kategorien regeln ähnlich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, Art. 1 i) und ii) (Familienleistungen und Familienbeihilfen). Soweit entgegen dieser Rechtslage eine Koordinierung von bayerischem Familiengeld und österreichischem Kinderbetreuungsgeld abgelehnt werde müssten die weiteren österreichischen Familienleistungen (zum Beispiel Familienbeihilfe, Kinderabsetzbetrag) identifiziert und schließlich koordiniert werden. Es müsse also ermittelt werden, ob sich ein Unterschiedsbetrag ergebe.

Der Beklagte führte als hilfsweise Stellungnahme aus, dass unstrittig das Kinderbetreuungsgeld und das Elterngeld gleichartige Familienleistungen im Sinne der VO (EG) Nr. 883/2004 seien. Jedoch habe auch das Elterngeld zu einem nicht unerheblichen Anteil nicht den Charakter einer Entgeltersatzleistung, siehe Mindestbetrag von 300 €, der den Berechtigten auch dann verbleibe, wenn sie andere einkommensabhängige Sozialleistungen beziehen. Auch das Familiengeld stelle unabhängig vom gewählten Lebensmodell der Familie eine gesonderte Anerkennung der Erziehungsleistung dar. Es werde hier den Eltern ein ökonomischer Gestaltungsspielraum eingeräumt. Es sei somit eine moderne Weiterentwicklung des bayerischen Landeserziehungsgeldes. Unstreitig sei bisher auch gewesen, dass das Erziehungsgeld mit dem österreichischen Kinderbetreuungsgeld zu koordinieren sei. Es sei damit eine Vergleichbarkeit der Familienleistung Familiengeld mit der Familienleistung Kinderbetreuungsgeld genauso gegeben wie beim Elterngeld.

Zu der vom Gericht angesprochenen Kongruenz der Leistungszeiträume sei auszuführen, dass es nicht hinzunehmen sei, dass es im Ergebnis zu Doppelleistungen komme, etwa weil ein Berechtigter Bezugszeiträume so wähle, dass sie sich nicht überschneiden. Es sei hier eine teleologische Auslegung des Begriffs "Zeitraum" erforderlich. Es sei hier der gesetzlich mögliche Zeitraum gemeint. Dies seien beim Kinderbetreuungsgeld bis zu 1063 Tage ab der Geburt des Kindes, vergleiche § 5 Abs. 2 KBGG. Beim Elterngeld könne dies bis zum 46. Lebensmonat reichen, beim Familiengeld bis zum 36. Lebensmonat. Letztlich könne der Vermeidung von Doppelleistungen dadurch Rechnung getragen werden, dass die Anspruchsbeträge gegenübergestellt würden. Ein rechnerischer Vergleich könne hier nicht vorgenommen werden, da die Höhe des österreichischen Kinderbetreuungsgeldes der Ehefrau des Klägers nicht belegt worden sei. Auch habe das Elterngeld nicht fiktiv berechnet werden können. Es sei daher davon auszugehen, dass die österreichischen Familienleistungen die deutschen Familienleistungen, also den Gesamtanspruch auf Elterngeld zuzüglich den maximalen Anspruch auf Familiengeld in Höhe von 1000 € übersteigen würden.

In der mündlichen Verhandlung vom 12.10.2021 wurde seitens des Gerichts auf den rechtlichen Hinweis vom 08.12.2020 und ergänzend auf die Rechtsprechung des österreichischen Obersten Gerichtshofes (vgl. Urteil vom 26.05.2020, Geschäftszahl 10 ObS 1/20z sowie Entscheidung vom 13.09.2019, Geschäftszahl 10 ObS 110/19b) hingewiesen. In diesen Entscheidungen werde, wie in dem bereits gegebenen rechtlichen Hinweis, darauf abgestellt, dass die EG -Verordnung 883/2204 nur bei vergleichbaren Familienleistungen Anwendung finde.

Der Kläger legte dar, dass es sich beim österreichischen Kinderbetreuungsgeld sowie deutschem Elterngeld im Gegensatz zum bayerischen Familiengeld um existenzsichernde Leistungen handele, sie würden für ausgefallenes Einkommen gewährt, wohingegen das bayerische Familiengeld zur Förderung der Erziehung des Kindes einkommensunabhängig geleistet werde. Im Falle einer Anrechnung des Familiengeldes auf österreichische Leistungen liege eine Diskriminierung gemäß Art. 3 GG vor.

Die Beklagtenvertreterin führte aus, dass die Rechtsprechung des österreichischen OGH bekannt sei, jedoch nach den jeweiligen landesrechtlichen Regelungen zu verfahren sei. Sie führte weiter aus, dass auch das Elterngeld und das österreichische Kinderbetreuungsgeld zu einem Teil einkommensunabhängig seien. Insgesamt gehe es um eine Koordinierung der Familienleistungen, um Bevorteilungen und Benachteiligungen zu vermeiden.

Der Kläger erklärte, dass er mit seinem Sohn unter der im Klageverfahren angegebenen Adresse zusammenlebe und sein Kind selbst erziehe.


Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, unter Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide dem Kläger Familiengeld für seinen Sohn K in Höhe von 250 Euro monatlich ab dem 08.09.2018 bis 07.01.2019 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt
Klageabweisung.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Der Klage erweist sich als begründet.

Zur Überzeugung des Gerichts besteht vorliegend aufgrund der Antragstellung am 07.09.2018 ein Anspruch auf Familiengeld in Höhe von monatlich 250 € ab 08.09.2018 und bei fortlaufendem Vorliegen der Voraussetzungen bis zum Ablauf des 36. Lebensmonats, mithin bis zum 07.01.2019.

Gemäß Art. 9 a Abs. 1 BayFamGG gilt das bayerische Familiengeldgesetz für ab dem 1. Oktober 2015 geborene Kinder und wird frühestens ab 1. September 2018 Familiengeld gezahlt. Der Kläger erfüllt unstreitig die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 Satz 1 BayFamGG; er hat seine Hauptwohnung im Freistaat Bayern, lebt mit seinem am 08.01.2016 geborenen Kind in einem Haushalt, erzieht dieses Kind selbst und sorgt für eine förderliche frühkindliche Betreuung des Kindes. Nach dem im bayerischen Familiengeldgesetz geltenden Lebensmonatsprinzip, vgl. Art. 3 Abs. 2 BayFamGG, besteht damit vorliegend Anspruch ab 08.09.2018 bis Ablauf des 36. Lebensmonats am 07.01.2019.
 
Wie vom Beklagten zutreffend ausgeführt, ist vorliegend die VO (EG) Nr. 883/2004 einschlägig, vgl. Art 3 Abs. 1 lit. j der Verordnung, dort genannt Familienleistungen.

Gemäß Art. 68 dieser Verordnung sind Prioritätsregeln anzuwenden, wenn für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren sind.

Fraglich ist jedoch, ob Art. 68 der Verordnung hier überhaupt angewendet werden darf oder ob bereits mangels Vergleichbarkeit der Familienleistungen österreichisches Kinderbetreuungsgeld und bayerisches Familiengeld die Antikumulierungsregelungen des Art. 68 der Verordnung gar nicht eingreifen. Aus der Verordnung Nummer 883/2004 selbst ergibt sich nach strenger Auslegung des Wortlauts hier keine Lösung.

Das österreichische Kinderbetreuungsgeld ist aus Sicht des Gerichtes mit dem Elterngeld vergleichbar, es wird für Zeiten der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit bzw. Verminderung der Erwerbstätigkeit gezahlt.
 
Das bayerische Familiengeld wird jedoch unabhängig von einer etwaigen Unterbrechung oder Verminderung der Erwerbstätigkeit geleistet und dient gem. § 1 BayFamGG dem Zweck, eine vom gewählten Lebensmodell der Familie unabhängige, gesonderte Anerkennung der Erziehungsleistung zu gewährleisten. Gem. Art. 1 S. 2 BayFamGG sollen Eltern den nötigen Gestaltungsspielraum erhalten, frühe Erziehung und Bildung der Kinder einschließlich gesundheitsförderlicher Maßnahmen in der jeweils von ihnen gewählten Form zu ermöglichen, zu fördern und insbesondere auch entsprechend qualitativ zu gestalten. Das Familiengeld dient damit nicht der Existenzsicherung, es soll auf existenzsichernde Sozialleistungen nicht angerechnet werden, vgl. Art. 1 S. 3, 4 BayFamGG, vergleiche hierzu die auch vom Beklagten zitierte Gesetzesbegründung, LT-Drs. 17/22033, 18/346.

Der EuGH hatte nach früherer Rechtslage unter Geltung der Verordnung (EWG) Nummer 1408/71 und Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nummer 574/72 die Anwendung von Antikumulierungsregelungen nur für gleichartige Familienleistungen befürwortet, vergleiche Urteil des EuGH vom 08.05.2014, C-347/12, Wiering. Auch nach früherer Rechtslage war dies nicht explizit in den genannten Vorschriften so ausgeführt.

Im zeitlich vor dem Urteil des EuGH erschienenen Aufsatz von Vießmann/Merkel zu europarechtlicher Koordinierung von Familienleistungen nach der Verordnung (EG) Nummer 883/2004, vergleiche NZS 2012, 572, 577 ff. wird ausgeführt, dass ein wesentliches Prob-lem bei der Anwendung von Art. 68 VO 883 darin liege, welche Arten von Familienleistun-gen ein so hohes Maß an Übereinstimmung aufwiesen, dass es gerechtfertigt erscheine, diese nicht ungekürzt nebeneinander zu gewähren (Vergleichbarkeit). Nach dem Wortlaut von Art. 68 VO 883 würden in das Antikumulierungregelement undifferenziert sämtliche Familienleistungen erstens für denselben Zeitraum und zweitens für dieselben Familienangehörigen einbezogen. Die Verfasser sprechen sich sodann unter Nennung eines Bei-spielsfalls für eine eher zurückhaltend zu handhabende Unterdifferenzierung innerhalb der Leistungsart der Familienleistungen aus.

Aus Sicht des Gerichts spricht der Rechtsgedanke des oben genannten EuGH-Urteils aus dem Jahr 2014 dafür, auch bei Anwendung von Art. 68 VO 883 die Antikumulierungsrege-lungen nur bei gleichartigen Familienleistungen anzuwenden. Ganz offensichtlich wird dies auch bezüglich Kindergeldanspruchs etwa in Deutschland und Anspruch auf (niedrigere) Familienbeihilfe in Österreich so gehandhabt, sodass auch der Kläger hier nach seinen Angaben eine Ausgleichszahlung bezüglich des (höheren) Kindergelds erhält. Eine Berücksichtigung von daneben zustehenden Ansprüchen auf Elterngeld oder österreichischem Kinderbetreuungsgeld findet offenbar nicht statt. Der Beklagte hatte hierzu ausgeführt, dass das Kindergeld eine Leistung für das Kind sei, vgl. § 1 Abs. 1 BKGG, § 62 EStG, und das Elterngeld eine Leistung für die Eltern. Dem ist aus Sicht des Gerichts entgegenzuhalten, dass sowohl gemäß § 1 Abs. 1 BKGG als auch § 1 BEEG sowie Art. 2 BayFamGG anspruchsberechtigt jeweils (i. d. R.) ein Elternteil ist.

Auch in der Entscheidung des österreichischen OGH vom 26.Mai 2020, Geschäftszahl 10ObS1/20z, dort strittig Anrechnung von bayerischem Familiengeld auf die der dortigen Klägerin gewährte Ausgleichszahlung zum österreichischen pauschalen Kinderbetreuungsgeld, wird auf die Vergleichbarkeit beider Leistungen abgestellt und eine Anrechnung verneint. Der österreichische OGH führt zu der auch hier maßgeblichen Rechtslage im Jahre 2018 aus, dass das Erfordernis des Vorliegens von Leistungen gleicher Art (Art. 10 VO (EG) 883/2004) auch im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 3 KBGG gelte. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sei es Sache der nationalen Gerichte zu prüfen, ob das bayerische Familiengeld als Leistung gleicher Art wie das österreichische pauschale Kinderbetreuungsgeld angesehen werden könne und ob es daher bei der Berechnung des der Klägerin geschuldeten Unterschiedsbetrags berücksichtigt werden dürfe. Der österreichische OGH verweist hierzu auf die EuGH Entscheidung C-347/12, Wiering, und des Weiteren auf die weitere Entscheidung des österreichischen Obersten Gerichtshofs vom 13.09.2019, Geschäftszahl 10 ObS 110/19b.

Nach hiesiger Rechtsauffassung ist zwar vorliegend Art. 10 VO (EG) 883/2004) nicht unmittelbar anwendbar, da die in Rede stehenden österreichischen Leistungen des Kinderbetreuungsgeldes und der Familienbeihilfe ebensowenig auf Pflichtversicherungszeiten beruhen wie das bayerische Familiengeld. Dem österreichischen OGH wird jedoch im Ergebnis zugestimmt, dass nach dem Rechtsgedanken des Art. 10 VO (EG) 883/2004) auch vorliegend es auf eine Vergleichbarkeit der Leistungen ankommt.

Der Beklagte hatte sich in seiner Stellungnahme dagegen gewandt und darauf abgehoben, dass Titel III Kapitel 8 der VO (EG) Nr. 883/2004 nach seinem Wortlaut für alle Familienleistungen gelte. Eine rechtliche Regelung, dass zwischen den Familienleistungen zu differenzieren sei, enthalte die VO (EG) Nr. 883/2004 nicht. Auch in der Literatur werde dies so gesehen. Es sei auf die entsprechenden Erwägungsgründe hinzuweisen und zudem auf die geplante Neuregelung von Art. 68 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 und geplante Neueinführung eines Absatz 2a, dort werde dann nach zwei Kategorien von gleichartigen Leistungen unterschieden.

Wie vom Beklagten zitiert hatte der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 25.7.2019, Aktenzeichen III R 34/18, Rn 25, die Rechtsfrage, ob es sich um Familienleistungen gleicher Art handeln müsse, offen gelassen. Demnach wird auch im Kasseler Kommentar, Rz. 4 zu VO (EG) 883/2004 Art. 68, ausgeführt, dass diese Rechtsfrage noch nicht abschließend geklärt sei, der Bundesfinanzhof lasse dies offen, halte es aber für erwägenswert, dagegen Fuchs, NZS 2015, 121 (126). Es bleibt damit festzuhalten, dass soweit ersichtlich in der deutschen Rechtsprechung diese Rechtsfrage ungeklärt ist.
 
Zur Überzeugung des Gerichts ist ebenso wie vom österreichischen OGH zugrunde gelegt auf die Vergleichbarkeit von Familienleistungen abzustellen. Dies kann wie vom österreichischen OGH zugrunde gelegt aus dem Rechtsgedanken des Art. 10 VO (EG) 883/2004 entnommen werden. Auch die vom Beklagten zitierte beabsichtigte Änderung des Art. 68 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 einschließlich Einführung eines neuen Absatzes 2a und damit neuerliche Hinwendung zur Rechtsprechung des EuGH, Entscheidung C-347/12, Wiering, verdeutlicht, dass eben nach der VO (EG) 883/2004 die Vergleichbarkeit ausdrücklich berücksichtigt werden soll und dies nun künftig auch wieder klar in der Verordnung zum Ausdruck kommen soll. Dafür spricht auch der Erwägungsgrund 35 a, in dem ausdrücklich auf die Entscheidung Wiering Bezug genommen wird. Es wird dort von den erforderlichen Klarstellungen und Vereinfachungen gesprochen. Die beabsichtigten Neuerungen in der Verordnung sollen damit keine neue, veränderte Rechtslage schaffen, sondern dienen der Verdeutlichung der auch bisher intendierten Rechtsanwendung.
 
So führt auch der österreichische Oberste Gerichtshof in seinem Urteil vom 13.09.2019, Geschäftszahl 10 ObS 110/19b, Rechtliche Beurteilung Ziff. 2.1. aus: "Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 146/16t, SSV-NF 31/2, ausführlich begründet hat, hat das vom EuGH postulierte Erfordernis der Gleichartigkeit im Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 weiterhin Gültigkeit. Dass es - soweit es um die Berechnung des Unterschiedsbetrags nach Art 68 Abs 2 VO (EG) 883/2004 geht - zu einem Systemwandel gekommen wäre und in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des EuGH sämtliche (und nicht nur gleichartige) Familienleistungen angerechnet werden sollten, ist weder aus der in Art 1 lit z der VO (EG) 883/2004 enthaltenen Begriffsdefinition noch aus der allgemeinen Antikumulierungsregel des Art 10 VO 883/2004 noch aus Art 68 der VO (EG) 883/2004 abzuleiten...".

Der Beklagte hatte eingewandt, dass die Rechtsprechung des österreichischen Obersten Gerichtshofs zwar bekannt sei, jedoch landesrechtliche Regelungen jeweils anzuwenden seien. Bezüglich der Anwendung und Auslegung der VO (EG) 883/2004 kann jedoch zur Überzeugung des Gerichts auf die österreichische Rechtsprechung zurückgegriffen werden, da insofern sowohl für Deutschland als auch Österreich dieselben rechtlichen Anforderungen aus dieser Verordnung gelten. Dies verdeutlicht auch die Regelung des Art. 267 AEUV, Vorlage zur Vorabentscheidung durch den EuGH, die gerade eine einheitliche Rechtsanwendung sicherstellen soll.

Bei Zusammentreffen von bayerischem Familiengeld und österreichischem Kinderbetreuungsgeld ist somit zur Überzeugung des Gerichts für die Frage, ob Antikumulierungsregelungen überhaupt eingreifen, zunächst auf die Vergleichbarkeit abzustellen.
 
Beide Leistungen sind aus Sicht des Gerichts - wie auch vom österreichischen OGH angenommen - nicht miteinander vergleichbar, vgl. obige Ausführungen. Das österreichische Kinderbetreuungsgeld wird für Zeiten der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit gewährt, das bayerische Familiengeld jedoch völlig unabhängig von dem gewählten Modell der Kindererziehung. Gestützt wird dieses Argument auch dadurch, dass eine Anrechnung von bayerischem Familiengeld auf Elterngeld oder Elterngeldplus nicht stattfindet. Die Argumentation des Beklagten, dass auch der Mindestbetrag des Elterngeldes in Höhe von 300 € sich unabhängig von zuvoriger Erwerbstätigkeit ergibt, vermag nicht zu überzeugen, da das Elterngeld in Höhe dieses Mindestbetrags eben nur bei Unterbrechung der Erwerbstätigkeit bzw. Reduzierung der Erwerbstätigkeit gewährt wird, wohingegen diese letztgenannten Faktoren für den Bezug von Familiengeld keine Rolle spielen.

Aus Sicht des Gerichts ist das bayerische Familiengeld im Verhältnis zum österreichischen Kinderbetreuungsgeld wegen fehlender Vergleichbarkeit damit nicht von der Antikumulierungsregelung des Art. 68 VO 883/2004 betroffen. Auf eine etwaige Kongruenz von Leistungszeiträumen kommt es damit nicht mehr an.

Das Familiengeld steht damit dem Kläger zur Überzeugung des Gerichts unter den Voraussetzungen des Bayerischen Familiengeldgesetzes zu, europarechtliche Regelungen stehen dem nicht entgegen. Der Kläger erfüllt die in Art. 2 BayFamGG normierten Voraussetzungen, auch Art. 4 BayFamGG steht vorliegend einem Familiengeldbezug nicht entgegen, da in Österreich wie ausgeführt keine dem bayerischen Familiengeld vergleichbare Leistung gewährt wird.

Aus Sicht des Gerichts ergibt sich somit ein Anspruch auf Bayerisches Familiengeld ab dem 08.09.2018 bis zum Ablauf des 36. Lebensmonats, mithin 07.01.2019.

Der Klage war damit stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

 

Rechtskraft
Aus
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