L 5 R 3073/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 2621/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 3073/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 19.08.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Tatbestand

Im Streit steht die Verrechnung einer Rückforderung der Bundesagentur für Arbeit mit der Rente des Klägers.

Der 1949 geborene Kläger bezieht seit dem 01.07.2014 von der Beklagten eine Altersrente in Höhe von 307,06 € monatlich netto. Daneben bezieht er eine Unfallrente der schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) in Höhe von monatlich 1.064,10 CHF und eine schweizerische Altersrente in Höhe von monatlich 42,00 CHF.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 24.01.2000 hob die mit Beschluss des Senats vom 04.10.2022 beigeladene Bundesagentur für Arbeit (damals „Bundesanstalt für Arbeit“) die Bescheide über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe im Zeitraum von 01.05.1991 bis 30.09.1999 auf und forderte insgesamt 100.184,77 DM (einschließlich Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung) vom Kläger zurück. Zur Begründung gab sie an, der Kläger habe seit März 1991 von der Schweizerischen Unfallversicherung eine Unfallrente bezogen, die als Einkommen zu berücksichtigen sei. Den Bezug der Unfallrente habe er trotz entsprechender Fragen in den Anträgen auf Arbeitslosenhilfe nie angegeben.

Die Beigeladene ermächtigte die Beklagte mit Schreiben vom 17.10.2000 nach § 52 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I), die Erstattungsforderung gegen die dem Kläger zuerkannte Rente zu verrechnen.

Mit Schreiben vom 18.06.2019 bat die Beklagte in Bezug auf die Ermächtigung vom 17.10.2000 die Beigeladene um Mitteilung, ob und in welcher Höhe die Forderungen noch bestehen. Die Beigeladene übermittelte der Beklagten daraufhin mit Schreiben vom 24.07.2019, eingegangen am 30.07.2019, sowie nochmals mit Schreiben vom 11.09.2019, eingegangen am 17.09.2019, eine Aufstellung der offenen Forderungen in Höhe von insgesamt 51.210,27 € (47.145,39 € Arbeitslosenhilfe, 3.536,35 € Krankenversicherungsbeiträge, 426,27 € Pflegeversicherungsbeiträge, 102,26 € Mahngebühren).

Mit Schreiben vom 28.10.2019 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Verrechnung der Erstattungsforderung mit der Hälfte der laufenden Rente (153,53 €) an.

Mit Bescheid vom 03.03.2020 verrechnete die Beklagte daraufhin die Erstattungsforderung der Beigeladenen in Höhe der Hälfte der Rente des Klägers. Seither zahlt sie monatlich 153,53 € Rente an den Kläger aus.

Hiergegen erhob der Kläger am 17.03.2020 Widerspruch. Die Verrechnung sei unzulässig, weil er hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII) werden würde. Er habe eine Bedarfsbescheinigung beim zuständigen Sozialamt beantragt. Die Beklagte teilte daraufhin dem Kläger mit, dass eine Berechnung des Bedarfs bereits vorliege. Das Landratsamt S1 habe im Schreiben vom 28.05.2019 alle Einnahmen und den sozialrechtlichen Bedarf aufgelistet. Daraus ergebe sich ein überschüssiges Einkommen in Höhe von 221,36 €. Eine geänderte Bedarfsberechnung legte der Kläger trotz Erinnerungen nicht vor.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.11.2020 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung gab sie an, der Kläger habe seine Hilfebedürftigkeit im Sinne der Vorschriften des SGB XII oder nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) trotz Erinnerung nicht nachgewiesen.

Am 01.12.2020 hat der Kläger beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, er werde im Falle einer entsprechenden Verrechnung hilfsbedürftig. Eine Verrechnung sei daher ausgeschlossen. Eine Garantiebescheinigung sei beim zuständigen Sozialamt des S1 bereits beantragt. Wegen der noch ausstehenden Vorlage verschiedener Belege sei eine entsprechende Entscheidung allerdings noch nicht ergangen.
Zuletzt hat der Kläger dem SG mitgeteilt, dass keine Belege zur Hilfebedürftigkeit vorgelegt werden könnten.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Mit Gerichtsbescheid vom 19.08.2021 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klage sei zulässig, jedoch unbegründet. Es werde auf die Ausführungen des angefochtenen Widerspruchsbescheids verwiesen. Auch im Gerichtsverfahren habe der Kläger keine brauchbaren Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemacht und keine Belege bspw. in Gestalt von Kontoauszügen vorgelegt. Nachdem der Kläger seine Hilfebedürftigkeit nach den Vorschriften des SGB II oder SGB XII nicht nachgewiesen habe, sei die mit dem angefochtenen Bescheid vom 03.03.2020 vorgenommene Verrechnung rechtmäßig.

Gegen den seinem Prozessbevollmächtigen am 26.08.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 27.09.2021 (einem Montag) Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Er trägt vor, das Haus, in dem er wohne, sei verkauft worden. Er müsse sich eine behindertengerechte Wohnung suchen und voraussichtlich eine höhere Miete zahlen. Würde etwas von seiner Rente abgezogen, wäre er dann gezwungen wieder auf Grundsicherungsleistungen zurückzugreifen.


Der Kläger beantragt - sinngemäß -,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 19.08.2021 und den Bescheid der Beklagten vom 03.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.11.2020 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und ihre Bescheide für zutreffend.

Die Beigeladene hat auf Anforderung des Senats den Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 24.01.2000 vorgelegt und bestätigt, dass dieser bestandskräftig geworden ist. Sie hat keinen Antrag gestellt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Der Senat ist trotz Ausbleibens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 18.01.2023 nicht gehindert gewesen, zur Sache zu verhandeln und zu entscheiden (vgl. hierzu Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 126 Rn. 4), da die Beteiligten zum Termin fristgerecht und auch im Übrigen ordnungsgemäß geladen worden sind (§ 110 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, aber in der Sache unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 03.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.11.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Bescheid vom 03.03.2020, mit dem die Beklagte die Verrechnung der Erstattungsforderung der Beigeladenen mit der Hälfte der laufenden Rente des Klägers verfügt hat, ist formell rechtmäßig. Er ist insbesondere hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch <SGB X>). Zudem wurde der Kläger vor Erlass des belastenden Verwaltungsaktes ordnungsgemäß angehört (§ 24 Abs. 1 SGB X).

Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.

Rechtsgrundlage der Verrechnung ist § 52 i.V.m. § 51 Abs. 2 SGB I. Der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger kann danach mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. Die Aufrechnung ist nach § 51 Abs. 1 SGB I zulässig, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 SGB I pfändbar sind. Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach dem SGB I kann der zuständige Leistungsträger nach § 51 Abs. 2 SGB I gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des SGB XII oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II wird.

Die Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Es besteht die von der Beigeladenen gegen den Kläger geltend gemachte Erstattungsforderung und eine Verrechnungslage, denn die Beigeladene hat die Erstattungsforderung durch bestandskräftigen Bescheid vom 24.01.2000 festgesetzt. Es liegt auch eine ordnungsgemäße Ermächtigung der Beklagten zur Vornahme der Verrechnung durch die Beigeladene vor (Schreiben vom 17.10.2000 sowie Schreiben vom 24.07. und 11.09.2019). Die Verrechnung mit der Erstattungsforderung der Beigeladenen ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die monatlichen Rentenzahlungsansprüche des Klägers unter der Pfändungsfreigrenze nach § 850c Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 54 Abs. 4 SGB I von monatlich 930 € (seit 08.05.2021 monatlich 1.178,59 €) liegen.
Denn mit den Vorschriften der §§ 52, 51 Abs. 2 SGB I hat der Gesetzgeber den Sozialleistungsträgern zur Durchsetzung ihrer Beitrags- und Erstattungsforderungen die Möglichkeit eröffnet, ohne Bindung an die Pfändungsfreigrenzen der ZPO auch mit dem unpfändbaren Teil einer laufenden Geldleistung bis zu deren Hälfte und bis zur Grenze der Hilfebedürftigkeit nach dem SGB XII oder SGB II zu verrechnen. Demgemäß durfte die Beklagte vorliegend bis zur Hälfte der laufenden Geldleistung verrechnen. Denn der Kläger hat bis zuletzt – trotz Aufforderung und mehrmaliger Erinnerung durch die Beklagte und das SG – nicht nachgewiesen, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des SGB XII oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II wird. Sein Vortrag, er werde zukünftig voraussichtlich eine höhere Miete zahlen müssen, genügt nicht. Aus der aktenkundigen Mitteilung des Landratsamtes S1 im Schreiben vom 28.05.2019, in dem alle Einnahmen und der sozialrechtliche Bedarf des Klägers aufgelistet sind, ergeben sich überschüssige Einnahmen in Höhe von 221,36 €. Die Beklagte hat außerdem das ihr zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Schließlich steht der zeitliche Abstand zum Entstehen der Erstattungsforderung der Verrechnung nicht entgegen. Ansprüche aus einem unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakt verjähren – auf entsprechende Einrede hin – erst nach 30 Jahren (§ 52 Abs. 2 SGB X).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).



 

Rechtskraft
Aus
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