L 6 AS 140/22

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 21 AS 987/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 140/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Zur Beurteilung, ob ein geltend gemachter Bedarf als zur Sicherung des Existenzminimums angesehen werden kann, ist auf den Standard der herrschenden Lebensgewohnheiten unter Berücksichtigung einfacher Verhältnisse abzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 26. Januar 2020 - B 4 AS 3/21 R -, Rn. 19, juris). Ein geltend gemachter Bedarf zur Ausübung des Umgangs mit einem leiblichen Kind, der Kosten für bis zu sieben Fahrten täglich beinhaltet, dient nicht mehr der Sicherung des Existenzminimums.

2. Ein Bedarf zur Ausübung des Umgangs ist überdies nicht unabweisbar, wenn er teilweise durch das beklagte Jobcenters anerkannt wird und im Übrigen durch den im Regelbedarf enthaltenen Anteil für Verkehrsdienstleistungen abgedeckt werden kann. 
 


I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 26. Januar 2022 – S 21 AS 987/18 – wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Der Kläger begehrt die Übernahme der Kosten für eine zeitlich unbeschränkt nutzbare Monatskarte im Nahverkehr der Stadt A-Stadt zur Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter. Streitgegenständlich ist hier der Zeitraum Februar 2017 bis November 2018.

Der im Jahr 1968 geborene Kläger steht bei der Beklagten im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Mit Bescheid vom 15. November 2016 wurden dem Kläger und den Mitgliedern von dessen Bedarfsgemeinschaft laufende Leistungen für den Zeitraum Dezember 2016 bis November 2017 bewilligt. Mit Änderungsbescheid vom 9. Januar 2017 wurde eine Regelsatzerhöhung ab 1. Januar 2017 berücksichtigt. 

Seit Februar 2017 wohnt der Kläger nach seinen Angaben getrennt von seiner Ehefrau, zusammen mit seiner im Jahr 2004 geborenen Tochter B. Eine weitere, im Jahr 2013 geborene Tochter, H., lebt bei seiner Ehefrau. Um die Kosten für die Ausübung des Umgangsrechts mit dieser geht es im vorliegenden Verfahren. Die Wohnung der Ehefrau und der Tochter H. befindet sich seit der Trennung in der B-Straße in A-Stadt. H. besuchte allerdings weiterhin die Kindertagesstätte (KiTa) in A-Stadt, in der Nähe der Wohnung des Klägers.

Aufgrund der beim Beklagten angezeigten Trennung der Eheleute wurden mit Änderungsbescheid vom 23. Februar 2017 die Leistungen für den Kläger und dessen bei ihm lebende Tochter B. ab März 2017 bis November 2017 neu berechnet. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 50 ff. der in elektronischer Form vorliegenden Leistungsakte der Beklagten, Teil I (im Folgenden eLA I) Bezug genommen. Gleiches gilt für die weiteren nachfolgend unter Angabe der Aktenfundstelle aufgeführten Unterlagen. Mit Änderungsbescheid vom 30. März 2017 wurde der Mehrbedarf für Alleinerziehende ab März 2017 berücksichtigt (Bl. 81 ff. eLA I). Mit Änderungsbescheid vom 13. November 2017 wurden aufgrund einer Nebenkostennachzahlung i.H.v. 38,43 Euro für den Monat Mai 2017 höhere Leistungen in eben dieser Höhe bewilligt (Bl. 218 ff. eLA I). Mit weiterem Bescheid vom 13. November 2017 wurden laufende Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab Dezember 2017 bis November 2018 bewilligt (Bl. 202 ff. eLA I). 

Mit Schreiben vom 27. Mai 2018 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Übernahme der monatlichen Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts seit Februar 2017 und die Überprüfung der für die Zeit seit Februar 2017 ergangenen Leistungsbescheide (Bl. 286 eLA I). Zur Begründung führte er aus, er hole seine Tochter täglich von der KiTa ab und bringe diese später zu ihrer Mutter, was die Mutter in einem späteren Schreiben gegenüber dem Beklagten bestätigte.

Durch vier Bescheide vom 6. August 2018 (Bl. 319 ff. eLA I) für den Gesamtzeitraum Februar 2017 bis November 2018 berücksichtigte der Beklagte einen monatlichen Mehrbedarf ab Februar 2017 i.H.v. 54,80 Euro und ab Januar 2018 i.H.v. 56 Euro. Dies entspricht den Kosten, die für eine sog. 9-Uhr-Monatskarte des Rhein-Main-Verkehrsverbundes in der Preisstufe 2 anfielen. Hierbei nahm sie allerdings jeweils den Monat Juli (2017 und 2018) von der Leistungserhöhung aus, da sie von einer ferienbedingten Schließung der KiTa in diesem Monat ausging. Die Beklagte wies darauf hin, dass die Kostenübernahme für eine reguläre und zeitlich uneingeschränkt geltende Monatskarte nicht in Betracht komme, da sie zur Wahrnehmung des Umgangsrechts nicht erforderlich sei. Mit weiterem Bescheid vom 6. August 2018 hob die Beklagte zudem über § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) den Bewilligungsbescheid vom 13. November 2017 auf und verwies auf die Neuberechnung (Bl. 361 eLA I).

Der hiergegen eingelegte Widerspruch (Bl. 364 eLA I) wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2018 zurückgewiesen (Bl. 375 ff. eLA I). Da der Kläger seine Tochter erst nachmittags abhole, sei eine Monatskarte für die Zeit vor 9 Uhr nicht nötig. Im Übrigen könne der Kläger den Aufschlag für eine zeitlich unbegrenzte Monatskarte durch den im Regelbedarf enthaltenen Anteil für Verkehr (8,33 % des Regelbedarfs, ca. 34,65 Euro) bestreiten.

Auch im weiteren Verlauf, nach Erlass weiterer Leistungsbescheide, waren die Kosten für eine zeitlich unbeschränkt geltende Monatskarte streitig. Der Kläger begründete sein Begehren damit, dass die KiTa nie einen vollen Monat im Sommer geschlossen habe. Überdies trug er – bestätigt durch die Mutter und widersprochen durch die KiTa-Leitung – vor, dass er seine Tochter auch morgens vor 8.30 Uhr in die KiTa bringe und daher das 9-Uhr-Ticket nicht ausreichend sei. 

Der Kläger hat am 26. Oktober 2018 Klage beim Sozialgericht Darmstadt erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen die bereits vorgetragenen Gründe wiederholt und ergänzend zur Nichtberücksichtigung des Monats Juli vorgetragen, die Ausübung des Umgangsrechts sei nicht auf die Öffnungszeiten der KiTa beschränkt. Zudem entstünden ihm weitere Fahrtkosten für medizinisch notwendige Behandlungen in C-Stadt.

Der Kläger hat beantragt, die Änderungsbescheide vom 6. August 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2018 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs zur Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter H. in Höhe der Kosten für eine unbeschränkte Monatskarte des RMV in der Preisstufe II zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung hat sie ergänzend vorgetragen, der Vortrag des Klägers sei durch die KiTa-Leitung nicht bestätigt worden. Den Ferienmonat habe die KiTa mitgeteilt. Da der KiTa-Besuch nicht verpflichtend sei, sei der geltend gemachte Bedarf nicht unabweisbar.

Mit Urteil vom 26. Januar 2022 hat das Sozialgericht Darmstadt die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein unabweisbarer Mehrbedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II sei nicht ersichtlich. Selbst wenn man davon ausgehe, dass der Kläger die Fahrten entsprechend seinem Vortrag durchführe, könne er die monatlichen Mehrkosten durch den im Regelbedarf vorgesehenen Anteil für Verkehrsdienstleistungen ausgleichen. Im Übrigen könne er die 9-Uhr-Monatskarte auch für jegliche andere private Fahrten nutzen. Gründe dafür, dass die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Fahrtkosten für medizinische Behandlungen in C-Stadt zwingend dort und nicht wohnortnah in A-Stadt durchzuführen seien, seien nicht ersichtlich.

Hiergegen hat der Kläger – nach Zustellung der Entscheidung beim ihm am 1. Februar 2022 – am 28. Februar 2022 Berufung beim Sozialgericht Darmstadt eingelegt, welche am 7. März 2022 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangen ist. 

Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte auf entsprechenden gerichtlichen Hinweis einen Änderungsbescheid vom 17. November 2023 erlassen. Darin wird für den Kläger der Regelsatz für Alleinstehende sowie ein Mehrbedarf wegen Alleinerziehung bereits für den Monat Februar 2017 berücksichtigt. 

Zur Begründung hat er vorgetragen, die Ausgaben für die Fahrkarte zur Durchführung seines Umgangsrechts seien nicht im Regelbedarf integriert. Die Pauschale werde wegen ständiger Arztbesuche völlig aufgebraucht. Bei der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht seien zudem heimliche Absprachen zwischen dem Kammervorsitzenden und der Vertreterin der Beklagten erfolgt. Es sei daher Befangenheit gegeben. Der Kläger begehrt weiterhin die volle Kostenübernahme.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 26. Januar 2022 vollständig sowie die Bescheide vom 6. August 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2018, geändert durch den Bescheid vom 17. November 2023, insoweit aufzuheben, als damit die Übernahme weiterer Kosten für die Wahrnehmung des Umgangsrechts abgelehnt wurde, die Beklagte zu verpflichten, ihre Bescheide vom 23. Februar 2017, 30. März 2017 und 13. November 2017 teilweise zurückzunehmen, und die Beklagte zu verurteilen, ihm höhere Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für die Zeit vom 1. Februar 2017 bis 30. November 2018, insbesondere unter Berücksichtigung weiterer Kosten des Umgangs mit seiner Tochter H. für eine zeitlich unbeschränkt geltende Monatskarte des RMV in Preisstufe 2, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung hat sie auf die Ausführungen des Urteils verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der beigezogenen elektronischen Verwaltungsakten der Beklagten und der beigezogenen Gerichtsakte zum Az. S 21 AS 897/19 ER Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 26. Januar 2022 ist unbegründet. Weder das Urteil noch der Bescheid vom 6. August 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 17. November 2023 verletzen den Kläger in seinen Rechten. Die Bescheide sind nicht teilweise aufzuheben. Der Kläger hatte im streitgegenständlichen Zeitraum von Februar 2017 bis November 2018 keinen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II, insbesondere unter Berücksichtigung weiterer Kosten des Umgangs mit seiner Tochter, als die Beklagte bereits bewilligt hat. Daher ist die Beklagte nicht zur teilweisen Zurücknahme der Bescheide vom 23. Februar 2017, 30. März 2017 und 13. November 2017 zu verpflichten.

I. Gegenstand des Verfahrens sind das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt sowie die im Antrag genannten Bescheide der Beklagten hinsichtlich der Übernahme weiterer Kosten für zeitlich unbeschränkt geltende Monatskarten zur Ausübung des Umgangsrechts. In Streit stehen damit die Leistungen an den Kläger zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum Februar 2017 bis November 2018 unter Berücksichtigung eines hiervon untrennbaren Mehrbedarfs für Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts. Nicht Gegenstand des Verfahrens sind nach der übereinstimmenden Erklärung der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung hingegen die Leistungen auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung (vgl. zur Abtrennbarkeit BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 - B 4 AS 6/13 R -, Rn. 11, juris).

Der Kläger hat die nach der Trennung von seiner Ehefrau erlassenen und die geänderte Bedarfsgemeinschaft berücksichtigenden Änderungsbescheide und den späteren Leistungsbescheid für den neuen Bewilligungsabschnitt (Bescheide vom 23. Februar 2017, 30. März 2017 und 13. November 2017) zunächst bestandskräftig werden lassen und später einen Überprüfungsantrag gestellt. In diesem hat er die Kostenübernahme für die Ausübung des Umgangsrechts ab Februar 2017 sowie die Überprüfung der ergangenen Bescheide beantragt. Das Gericht legt das Begehren des Klägers dahingehend aus, dass die Überprüfung der ab Februar 2017 ergangenen Bescheide begehrt und der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 15. November 2016 sowie der Änderungsbescheid vom 9. Januar 2017 vom Überprüfungsantrag nicht erfasst waren. Mit der Überprüfung der seit Februar 2017 ergangene Bescheide könnte der Kläger sein Begehren auch vollumfänglich verwirklichen. 

Dem Kläger geht es demnach um die Kostenübernahme ab Februar 2017 (Zeitpunkt der Trennung) und die Abänderung der im Anschluss an die Trennung und nach Beginn der Durchführung des Umgangs ergangenen Bescheide vom 23. Februar 2017, 30. März 2017 und 13. November 2017. Hier handelt es sich um ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X, da er vorträgt, diese Bescheide seien von Anfang an rechtswidrig gewesen (vgl. zur Abgrenzung zwischen § 45 und § 48 SGB X genauer z.B. BSG, Urteil vom 28. November 2018 - B 14 AS 48/17 R -, Rn. 9, juris; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 10. Juli 2019 - L 6 AS 565/17 -, Rn. 31 f., juris). Somit ist statthaft eine Kombination aus Anfechtungsklage, gerichtet auf die teilweise Aufhebung der Bescheide vom 6. August 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2018, abgeändert durch Bescheid vom 17. November 2023 (soweit damit die weitere Kostenübernahme abgelehnt wurde), Verpflichtungsklage, gerichtet auf die Verpflichtung der Beklagten, ihre Bescheide vom 23. Februar 2017, 30. März 2017 und 13. November 2017 auf Basis des § 44 SGB X teilweise zurückzunehmen, und Leistungsklage, gerichtet auf die Verurteilung der Beklagten zur höheren Leistungsgewährung, insbesondere die Übernahme weiterer Kosten im Zusammenhang mit der Ausübung des Umgangsrechts.

II. Die Berufung ist zulässig, insbesondere von Gesetzes wegen statthaft (vgl. § 143, § 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt (vgl. § 151 Satz 1 SGG).

III. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der Senat verweist insofern auf Grundlage des § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts und macht sich diese nach Überprüfung zu eigen. 

Ergänzend wird ausgeführt:

Anspruchsgrundlage für die begehrte teilweise Zurücknahme der Bescheide vom 23. Februar 2017, 30. März 2017 und 13. November 2017 ist § 44 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Hiernach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind (Abs. 1 Satz 1). Die hier in Betracht kommenden Tatbestandsvarianten der unrichtigen Rechtsanwendung und der daraus folgenden Nichterbringung von Sozialleistungen sind nicht erfüllt. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf einen höheren Mehrbedarf zur Ausübung des Umgangs im Sinne der Übernahme der weiteren Kosten für eine zeitlich unbeschränkte Monatskarte im Nahverkehr der Stadt A-Stadt, selbst wenn man seinen Vortrag zum Umfang der Ausübung des Umgangs (und die damit verbundenen Fahrten) als wahr unterstellt. Da dieser – zwischen den Beteiligten streitige – Vortrag des Klägers als wahr unterstellt werden kann, bedarf es nicht der Vernehmung der vom Kläger benannten Zeugen. 

Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Mehrbedarf ist § 19 Abs. 1 Sätze 1 und 3 i.V.m. § 21 Abs. 6 SGB II. Hierbei handelt es sich um eine Ausnahmevorschrift für atypische Bedarfslagen. Sie dient dazu, Bedarfe zu erfassen, die nicht bei der pauschalisierenden Regelbedarfsbemessung der Art oder der Höhe nach erfasst werden können (vgl. BSG, Urteil vom 26. Januar 2022 - B 4 AS 3/21 R -, Rn. 14, juris, m.w.N.). Nach dieser Vorschrift wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist (Satz 1). Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (Satz 2). 

Der vom Kläger geltend gemachte (weitere) Mehrbedarf ist nicht unabweisbar im Sinne dieser Vorschrift. Die hier geltend gemachte Differenz zwischen den bereits bewilligten Leistungen für den Fahrtkostenmehrbedarf und der darüber hinausgehenden Forderung des Klägers beträgt für das Jahr 2017 (ab Februar 2017) monatlich 13,80 Euro (Kosten i.H.v. 68,60 Euro abzüglich bewilligter 54,80 Euro) und für das Jahr 2018 (bis November 2018) monatlich 14,00 Euro (Kosten i.H.v. 70,00 Euro abzüglich bewilligter 56,00 Euro). Zudem geht es um die gesamten Kosten für Juli 2017 i.H.v. 68,60 Euro und Juli 2018 i.H.v. 70,00 Euro.

Im Rahmen der Frage der Unabweisbarkeit ist sowohl der Aspekt des Bedarfs als auch die Frage der anderweitigen Bedarfsdeckung zu berücksichtigen. Ein geltend gemachter Mehrbedarf ist dem Grunde nach unabweisbar, soweit er der Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums dient. Dieses umfasst auch die Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen (vgl. hierzu genauer BSG, Urteil vom 26. Januar 2022 - B 4 AS 3/21 R -, Rn. 16, juris, m.w.N.). Da es sich um das leibliche Kind des Klägers handelt, mit welchem dieser sein Umgangsrecht nach der Trennung von der Kindesmutter ausüben möchte, ist das von der Rechtsprechung geforderte besondere und gelebte Näheverhältnis unproblematisch gegeben (vgl. hierzu genauer z.B. BSG, Urteil vom 26. Januar 2022 - B 4 AS 3/21 R -, Rn. 17, juris, m.w.N.).

Hinsichtlich der Frage, in welchem Umfang ein Bedarf als zur Sicherung des Existenzminimums dienend angesehen werden kann, hat das Bundessozialgericht in der zuvor zitierten Entscheidung ausgeführt, es sei auf den Standard der herrschenden Lebensgewohnheiten unter Berücksichtigung einfacher Verhältnisse abzustellen. Dem schließt sich der Senat an. Es ist daher relevant, wie oft jemand, der eigene, knapp bemessene finanzielle Mittel zur Verfügung hat und dafür aufwenden müsste, Besuche im Rahmen des Umgangsrechts durchführen würde (vgl. BSG, Urteil vom 26. Januar 2022 - B 4 AS 3/21 R -, Rn. 19, juris, m.w.N.). Bereits hieran scheitert der geltend gemachte Anspruch. Denn es ist nicht davon auszugehen, dass eine Person, die die Kosten im Zusammenhang mit dem Umgangsrecht aus eigenen knappen Mitteln aufbringen müsste, täglich bis zu sieben Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Ausübung des Umgangs antreten und finanzieren würde bzw. könnte (am Morgen: vom Wohnort des Klägers zum Wohnort des Kindes, von dort zur KiTa, von der KiTa zurück zum Wohnort des Klägers; am Nachmittag: vom Wohnort des Klägers zur KiTa, von dort zurück zum Wohnort des Klägers, später von dort zum Wohnort des Kindes, von dort zurück zum Wohnort des Klägers), ohne dass plausible Gründe dafür dargetan wären, warum der Kläger seine Tochter regelmäßig auch morgens zur KiTa bringen müsste. Die Unabweisbarkeit des geltend gemachten Bedarfs hinsichtlich einer vor 9 Uhr gültigen Fahrkarte ist damit nicht erkennbar. Daher dient bereits der vom Kläger geltend gemachte Bedarf zur Finanzierung der zeitlich uneingeschränkt geltenden Monatskarte nicht mehr der Sicherung des Existenzminimums. Vielmehr ist das Existenzminimum durch die erfolgte Kostenübernahme des Beklagten für eine ab 9 Uhr täglich geltende Monatskarte ausreichend gedeckt. Es kommt daher gar nicht mehr darauf an, ob es sich namentlich bei den vor 9 Uhr anfallenden Aufwendungen überhaupt um einen Bedarf des Klägers handelt oder um einen Bedarf seiner Tochter, für den dementsprechend auch nur sie Leistungen verlangen könnte: Dafür spricht, dass es bei den morgendlichen Wegen in allererster Linie um die geltend gemachte Notwendigkeit geht, sie zu begleiten, und sie den Weg zur KiTa auf Grund ihres Alters noch nicht zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen konnte, während dies für den Kläger selbst durchaus zumutbar gewesen sein dürfte.

Im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der Unabweisbarkeit ist zudem relevant, ob der geltend gemachte Mehrbedarf seiner Höhe nach erheblich vom durchschnittlichen Bedarf abweicht. Das Bundessozialgericht hat zur Frage der Erheblichkeit in einer seiner jüngsten Entscheidungen ausgeführt (BSG, Urteil vom 26. Januar 2022 - B 4 AS 3/21 R -, Rn. 23 f., juris): 

„Bei dem Tatbestandmerkmal "erheblich" handelt es sich nach der Rechtsprechung des BSG um einen gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff. Eine allgemeine Bagatellgrenze gibt es zwar nicht (dazu BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R - BSGE 116, 86 = SozR 4-4200 § 21 Nr. 18, RdNr. 30 ff). Erheblich ist ein Bedarf aber nur dann, wenn er von einem durchschnittlichen Bedarf in nicht nur unbedeutendem wirtschaftlichen Umfang abweicht (vgl. insoweit zu einer "speziellen Bagatellgrenze" BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R - BSGE 116, 86 = SozR 4-4200 § 21 Nr. 18, RdNr. 28; vgl. auch BSG vom 11.2.2015 - B 4 AS 27/14 R - BSGE 118, 82 = SozR 4-4200 § 21 Nr. 21, RdNr. 22 m.w.N.). Der Gesetzgeber darf grundsätzlich darauf verweisen, dass punktuelle Unterdeckungen intern ausgeglichen werden, wenn ein im Regelbedarf nicht berücksichtigter Bedarf nur vorübergehend anfällt oder ein Bedarf deutlich kostenträchtiger ist als der statistische Durchschnittswert, der zu seiner Deckung berücksichtigt worden ist (BVerfG vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - BVerfGE 137, 34 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 20, RdNr. 117; BSG vom 12.9.2018 - B 4 AS 33/17 R - SozR 4-4200 § 20 Nr. 24 RdNr. 36). Ob danach ein Bedarf erheblich ist, hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab.
Einschlägig ist angesichts der geltend gemachten Fahrtkosten der im Regelbedarf enthaltene Betrag für Verkehr nach Abteilung 7 (BSG vom 28.11.2018 - B 14 AS 48/17 R - BSGE 127, 78 = SozR 4-4200 § 21 Nr. 30, RdNr. 14), der im Jahr 2015 25,12 Euro betrug (zur methodischen Ermittlung dieses Betrages ausführlich BSG vom 12.7.2012 - B 14 AS 153/11 R - BSGE 111, 211 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 17, RdNr. 72 f; zur Fortschreibung Schwabe, ZfF 2015, 1, 2). Insofern wäre zwar zu erwarten, dass die Klägerin den für Verkehr im Regelbedarf enthaltenen Anteil vollständig aufwendet (vgl. BSG vom 26.1.2022 - B 4 AS 81/20 R), sofern sie im wiedereröffneten Berufungsverfahren nicht erhebliche sonstige Verkehrsaufwendungen geltend machen kann. Der monatlich geltend gemachte Bedarf von 79,78 Euro übersteigt diesen Betrag jedoch um 54,66 Euro. Dies entspricht einem Anteil von knapp 14 Prozent am maßgeblichen Regelbedarf von 399 Euro und ist damit erheblich i.S. des § 21 Abs. 6 SGB II. Dies gilt selbst dann, wenn man berücksichtigen würde, dass die Klägerin darüber hinaus auch sonstige im Regelbedarf für die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen enthaltene Beträge (vgl. dazu BSG vom 28.11.2018 - B 14 AS 47/17 R - SozR 4-4200 § 21 Nr. 32 RdNr. 15; BSG vom 28.11.2018 - B 14 AS 48/17 R - BSGE 127, 78 = SozR 4-4200 § 21 Nr. 30, RdNr. 14) teilweise für die Fahrtkosten verwenden könnte.“ 

Ausgehend von diesen Maßstäben, denen sich der Senat anschließt, ist auch im vorliegenden Fall der im Regelbedarf enthaltenen Betrag für Verkehr nach Abteilung 7 heranzuziehen. Dieser betrug 34,04 Euro im Jahr 2017 (vgl. §§ 5, 7 Abs. 2 des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (RBEG) in der Fassung vom 22. Dezember 2016) und ca. 34,60 Euro im Jahr 2018 (prozentuale Erhöhung von 1,63 % nach § 1 der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2018 – RBSFV 2018). Hier ist – nach der zuvor zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – zunächst zu erwarten, dass der für Verkehr im Regelbedarf enthaltene Anteil vom Leistungsempfänger vollständig aufgewendet wird, sofern nicht erhebliche sonstige Verkehrsaufwendungen geltend gemacht werden. Für die Frage der Erheblichkeit ist daher relevant, welchen Betrag der Leistungsempfänger nach Aufbrauchen dieses im Regelbedarf enthaltenen Betrages für Verkehr zur Bedarfsdeckung noch aufwenden müsste (vgl. BSG, Urteil vom 26. Januar 2022 - B 4 AS 3/21 R -, Rn. 23 f., juris). 

Der vorgesehene Betrag für Verkehr würde nicht zur Finanzierung einer zeitlich unbeschränkt geltenden Monatskarte mit Kosten i.H.v. 68,80 im Jahr 2017 bzw. 70,00 Euro im Jahr 2018 ausreichen und der verbleibende, ungedeckte Betrag dürfte wohl erheblich im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sein. Zu berücksichtigen ist vorliegend jedoch, dass die Beklagte bereits die Kosten für eine ab 9 Uhr täglich geltende Monatskarte übernommen hat (im Jahr 2017 i.H.v. 54,80 Euro und im Jahr 2018 i.H.v. 56,00 Euro). Dem Kläger verbleibt also nur eine Differenz i.H.v. 13,80 Euro bzw. 14,00 Euro, die er ohne weiteres aus dem im Regelbedarf enthaltenen Anteil für Verkehr decken kann. Es verbleibt sogar noch ein Restbetrag von 20,24 Euro bzw. 20,60 Euro monatlich. Aus diesen Restbeträgen ist es dem Kläger ohne weiteres möglich, die Kosten für die Fahrten jeweils im Monat Juli anzusparen und zu finanzieren, soweit diese angesichts der geltend gemachten nur teilweisen Schließung und des auch in der Schließungszeit fortgeführten Umgangs notwendig waren. Ein solcher Restbetrag fällt zehn Mal jährlich an, im Monat Juli ist zudem der im Regebedarf enthaltene Anteil für Verkehr zu berücksichtigen.

Sonstige erhebliche Verkehrsaufwendungen hat der Kläger nicht nachvollziehbar geltend gemacht. Er hat zwar vorgetragen, er habe weitere Aufwendungen für Arztbesuche in C-Stadt. Fahrtkosten zu medizinischen Behandlungen können grundsätzlich einen Mehrbedarf begründen (vgl. BSG, Urteil vom 26. Januar 2022 - B 4 AS 81/20 R -, Rn. 21, juris). Hierzu hat das Sozialgericht aber bereits überzeugend ausgeführt, das keine zwingenden Gründe für eine Inanspruchnahme von Ärzten außerhalb des Wohnorts ersichtlich oder geltend gemacht seien. Auch im Berufungsverfahren wurden solche Gründe nicht vorgetragen. Ausführungen zur Häufigkeit der Behandlungen fehlen ebenso. Auf die hier gegebenenfalls nicht genutzten Einsparmöglichkeiten im Sinne des § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II hat das Sozialgericht zutreffend hingewiesen. Das Aufsuchen von Ärzten und Behandlern am Wohnort des Klägers wäre ohne weitere Kosten für die Zeit ab 9 Uhr mit der 9-Uhr-Monatsfahrkarte möglich. Überdies ist insgesamt zu berücksichtigen, dass dem Kläger am Wohnort keine wesentlichen weiteren Beförderungskosten (z.B. für Einkäufe) anfallen, da dieser auch für alle weiteren Fahrten die 9-Uhr-Monatskarte nutzen kann. Legt man dies zugrunde, so ist es dem Kläger umso mehr zuzumuten, einen Anteil aus dem im Regelbedarf enthaltenen Bereich für verkehrsbedingte Aufwendungen anzusparen, um dann für die von der Beklagten unberücksichtigt gelassenen Monate Juli 2017 und Juli 2018 Fahrkarten aus diesen Mitteln zu finanzieren. 

Nicht mehr streitendscheidend kommt es darauf an, ob der Kläger für die Wahrnehmung des Umgangsrechts ebenfalls sonstige im Regelbedarf für die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen enthaltene Beträge für den noch nicht gedeckten und geltend gemachten Bedarf verwenden muss. Denn die Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen hat der Gesetzgeber in den der Teilhabe zugehörigen regelbedarfsrelevanten Verbrauchsgruppen in den Abteilungen 7 (Verkehr), 8 (Nachrichtenübermittlung), 9 (Freizeit) und 11 (Beherbergung) berücksichtigt (so jedenfalls für punktuelle Unterdeckungen bejahend BSG, Urteil vom 28. November 2018 - B 14 AS 47/17 R -, Rn. 15, juris). 

IV. Soweit der Kläger gerügt hat, der zuständige Kammervorsitzende des Sozialgerichts sei „befangen und unneutral“, ist dem nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens nicht weiter nachzugehen. Der geltend gemachte Anspruch auf höhere Leistungen lässt sich hierauf ersichtlich nicht stützen, so dass dies der Berufung nicht zu Erfolg verhelfen kann. Im Übrigen fällt die Entscheidung hierüber in die Zuständigkeit des Sozialgerichts (§ 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 45 Abs. 2 S. 1 Zivilprozessordnung – ZPO).

V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei bestand im Rahmen der im Ermessen des Senats stehenden Entscheidung kein Anlass, den Beklagten unter Veranlassungsgesichtspunkten zur Übernahme auch nur eines Teiles der Kosten des Klägers zu verpflichten. Zwar hat der Beklagte erst im Berufungsverfahren auch für den Monat Februar den Regelsatz für Alleinstehende sowie den Mehrbedarf für Alleinerziehende anerkannt, was jedoch zwischen den Beteiligten gar nicht in Streit stand und vom Kläger nicht beanstandet worden ist. Die Reaktion des Beklagten erfolgte auch unverzüglich auf den gerichtlichen Hinweis.

VI. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der in § 160 Abs. 2 SGG abschließend aufgezählten Zulassungsgründe vorliegt.
 

Rechtskraft
Aus
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