L 4 KR 1019/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 2 KR 1919/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 1019/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 3. März 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen.

Die 1967 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie war vom 1. Dezember 2010 bis 30. April 2021 als Zustellerin für die S1 Zeitung bei der Beigeladenen zu 1 beschäftigt. Die Zeitung war bis 6:15 Uhr werktäglich zuzustellen, die Zustelltätigkeit begann nach 0:00 Uhr. Zu dem Grundlohn gewährte die Beigeladene zu 1 einen Bezirkszuschlag und ab dem 1. Januar 2019 laufend einen Nachtzuschlag von 30 v.H. Für den Zeitraum November 2017 bis November 2018 gewährte die Beigeladene zu 1 einen (im Hinblick auf den bislang gezahlten) erhöhten Nachtzuschlag rückwirkend. Die Beigeladene zu 1 berücksichtigte bei der Berechnung der Nachtzuschläge die Arbeitszeit vor 6:00 Uhr und ging davon aus, dass die Nachtzuschläge in Höhe von 25 v.H. des Grundlohns nicht steuer- und beitragspflichtig seien. Für den Anteil des Nachtzuschlags, der über 25 v.H. des Grundlohns hinausging, führte sie Sozialversicherungsbeiträge ab. Wegen der Abrechnungen im Einzelnen wird auf die Entgeltbescheinigungen (Bl. 19 ff. der SG-Akte) Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 22. September 2020 wandte sich die Klägerin unter Vorlage der Entgeltbescheinigung für August 2020 mit der Bitte um Überprüfung der Sozialversicherungsabgaben an die Beklagte. Die Beigeladene zu 1 führe von den Bezirks- und Nachtzuschlägen Sozialversicherungsbeiträge ab, obwohl diese sozialversicherungsbeitragsfrei seien und ihr Stundenlohn lediglich 9,35 € betrage.

Mit Schreiben vom 6. Oktober 2020 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge unter zwei Voraussetzungen beitragsfrei seien. Der Grundlohn dürfe 25,00 € pro Stunde und der Zuschlag 25 v.H. des Grundlohns nicht übersteigen. Soweit der Zuschlag 25 v.H. des Grundlohns übersteige, werde die Differenz zu dem tatsächlich gezahlten Zuschlag verbeitragt. Da die Klägerin einen höheren Nachtzuschlag als 25 v.H. des Grundlohns erhalte, werde richtigerweise ein Teil der Zuschläge verbeitragt. Das Schreiben enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung.

Am 12. Oktober 2020 wandte sich die Klägerin erneut an die Beklagte und führte aus, die gewährten Zuschläge seien erst ab einem Stundenlohn von 25,00 € beitragspflichtig. Sie würde einen Stundenlohn i.H. von 9,35 € und einen Zuschlag i.H. von 30 v.H., mithin nur 12,16 € pro Stunde erhalten. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2020 erläuterte die Beklagte der Klägerin nochmals die gesetzlichen Grundlagen der Beitragspflicht. Auch dieses Schreiben enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung.

Am 21. Oktober 2020 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG). Zur Klagebegründung legte sie Entgeltbescheinigungen für den Zeitraum Juli 2015 bis September 2020 vor und führte aus, obwohl § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt (SvEV) besage, dass auf lohnsteuerfreie Einnahmen Beiträge nicht erhoben würden, würden seit Jahren Sozialversicherungsbeiträge einbehalten. Sie bezahle überhaupt keine Lohnsteuer, auch nicht auf die lohnsteuerpflichtigen Einnahmen. Ausgehend von einem Stundenlohn von 9,35 € und dem Nachtzuschlag von 30 v.H. liege ihr Stundenlohn bei 12,14 €, also weit unter 25,00 € pro Stunde. Sie erbitte die zu Unrecht abgezogenen Beiträge zurück.

Nachdem das SG die Beklagte aufgefordert hatte, die Klageschrift als Widerspruch „gegen den angegriffenen Bescheid“ zu verstehen, wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2021 den Widerspruch gegen die Bescheide vom 6. und 12. Oktober 2020 zurück. Eine Rückerstattung von Beiträgen zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung sei nicht möglich. Der Arbeitgeber der Klägerin gewähre einen Stundenlohn von 9,35 € und zahle auf den Grundlohn einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 30 v.H. (= 2,81 € pro Stunde). Da die Arbeit nicht vor 0:00 Uhr begonnen werde, sei gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) ein Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 25 v.H. (= 2,34 € pro Stunde) steuerfrei. Der restliche Teil des Nachtarbeitszuschlags von 0,47 € pro Stunde sei steuerpflichtig und unterliege somit auch der Beitragspflicht in den genannten Zweigen der Sozialversicherung. Bei dem gewährten Bezirkszuschlag handle es sich insgesamt um keinen steuerfreien Zuschlag.

Die frühere Arbeitgeberin der Klägerin, die Beigeladene zu 1, bestätigte die Gewährung eines Nachtzuschlags in Höhe von 30 v.H. ab dem 1. Januar 2019 und rückwirkend ab dem 1. November 2017. Für den über 25 v.H. hinausgehenden Zuschlag von 5 v.H. führe sie Sozialversicherungsbeiträge ab.

Nach vorheriger Anhörung wies das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 3. März 2023 ab. Der Bescheid der Beklagten vom 6. Oktober 2020 in der Form des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2021 sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung von Beiträgen. Zur Begründung verwies es im Wesentlichen auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid. Dass die Klägerin keine Lohnsteuer zu bezahlen habe, dürfe dem Umstand geschuldet sein, dass diese durch ihren monatlichen Verdienst den Arbeitnehmerpauschbetrag nicht überschritten habe. Dies wirke sich jedoch auf die Beitragspflicht in der Sozialversicherung nicht aus, da hier nicht die Frage der tatsächlichen Zahlung von Steuern, sondern nur die Frage der grundsätzlichen Steuerpflichtigkeit relevant sei.

Hiergegen hat die Klägerin am 3. April 2023 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft und ergänzend vorgetragen, die Regelung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 SvEV werde ausgehebelt. Sie fordere die einbehaltenen Beiträge der Sozialversicherungen von 2014 bis 2020 zurück, da die Beigeladene zu 1 bei der Beitragsabführung die Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt übergangen habe. Ihr Arbeitslohn von 920,00 € falle in die Sparte der Midi-Verdiener; Lohnsteuer sei nicht abzuführen gewesen. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 SvEV seien alle Zulagen, Zuschüsse und Zuschläge sozialversicherungsfrei, wenn das Arbeitsentgelt unter 25,00 € pro Stunde liege. Ihr gesamtes Stundenentgelt habe lediglich 12,14 € betragen. Seit der Beschlussfassung des Bundesarbeitsgerichts behaupte der Arbeitgeber, dass die 5 v.H. des Nachtzuschlags von 30 v.H. nun sozialversicherungspflichtig werden würde. In der Beschlussfassung des Bundesarbeitsgerichts sei zwar die Zahlung des erhöhten Nachzuschlags bestätigt worden, jedoch mit keinem Wort die Sozialversicherungspflicht. In § 3b EStG werde die Steuerfreiheit der Zuschläge der Nachtarbeit mit 25 % festgelegt, jedoch stehe in dem Paragraphen nichts von der Sozialversicherungspflicht. Der Arbeitgeber habe über sechs Jahre hinweg eigenmächtig eine Sozialversicherungspflicht auf die Zulagen, Zuschüsse und Zuschläge erhoben, die sie nun wieder zurückfordere; immerhin seien das monatlich etwa 10,00 € gewesen. Die falsch einbehaltenen Beiträge fordere sie nun von der Beklagten zurück.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 3. März 2023 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 6. Oktober 2020 und 12. Oktober 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2021 zu verurteilen, ihr zu Unrecht einbehaltene Sozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum 2014 bis 2020 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe


1. Die nach §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß § 105 Abs. 2 Satz 1, § 143 SGG statthaft und zulässig. Sie bedurfte nicht der Zulassung gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG, da die Klägerin die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen für den Zeitraum 2014 bis 2020 und damit für mehr als ein Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Begehren der Klägerin auf Erstattung der aus den der Klägerin durch die Beigeladene zu 1 gewährten Nacht- und Bezirkszuschlägen abgeführten Beiträge zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung für den Zeitraum 2014 bis 2020. Dies hat die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden (hierzu unter 3.a) vom 6. Oktober 2020 und 12. Oktober 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2021 zumindest konkludent abgelehnt. Die Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden ausgehend von dem so zu verstehenden Begehren der Klägerin allein über die Sozialversicherungspflicht des Arbeitsentgelts aus den Nacht- und Bezirkszuschlägen und deren Erstattung entschieden. Die Klägerin selbst hat den Zeitraum, für den sie die Erstattung der Beiträge begehrt, mit Berufungserhebung wirksam begrenzt (§ 153 Abs. 1, § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG) und damit ihre Klage insoweit zurückgenommen (§ 102 Abs. 1 Satz 1 SGG; Guttenberger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, Stand Juni 2022, § 99 SGG Rn. 33 m.w.N.), was bis zur – hier noch nicht eingetretenen – Rechtskraft möglich ist. Im Umfang der Klagerücknahme ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt (§ 102 Abs. 1 Satz 2 SGG).

3. Die Berufung ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung von Beiträgen im streitigen Zeitraum.

a) Die Klage ist zulässig, insbesondere als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, die als auf ein Grundurteil (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG) gerichtet keiner Bezifferung bedarf (vgl. BSG, Urteil vom 10. Juli 2012 – B 13 R 26/10 R – juris, Rn. 11 und 13). Bei den Schreiben vom 6. Oktober 2020 und 12. Oktober 2020 handelt es sich, auch wenn sie äußerlich nicht als Bescheid ergingen (insbesondere enthielten sie keine Rechtsbehelfsbelehrung), um Verwaltungsakte im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X. Danach ist Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Eine Regelung in diesem Sinne liegt vor, wenn Rechte begründet, abgelehnt, aufgehoben, festgestellt oder geändert werden oder wenn dies jeweils abgelehnt wird. Dabei ist die Erklärung der Behörde unter entsprechender Anwendung der Grundsätze über die Auslegung von Willenserklärungen auszulegen (§§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Maßgebend ist daher der objektive Sinngehalt der Erklärung, wie der Empfänger sie bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls objektiv verstehen musste (Luthe, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., Stand: 27. November 2018, § 31 Rn. 39 m.w.N.; Senatsurteile vom 18. Mai 2020 – L 4 P 561/19 – juris, Rn. 39 und vom 14. Februar 2020 – L 4 KR 2701/17 – juris, Rn. 35). Danach lehnte die Beklagte mit den genannten Schreiben eine - von der Klägerin der Sache nach begehrte - Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen ab. Nach dem objektiven Empfängerhorizont wurde hierdurch bereits eine verbindliche Regelung getroffen.

Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere liegt ein abgeschlossenes Vorverfahren im Sinne der §§ 78, 83 ff. SGG vor, nachdem der Widerspruchsauschuss der Beklagten den Widerspruchsbescheid vom 30. März 2021 erlassen hat (zur zulässigen Nachholung während des Rechtsstreits s. nur Binder, in: Berchtold, SGG, 6. Aufl. 2021, § 78 Rn. 8 m.w.N.; Schmidt, a.a.O., § 87 Rn. 3).

In der Sache ist die Klage jedoch unbegründet.

b) Die Klägerin richtet ihr Begehren auf Erstattung der Beiträge zur Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung zu Recht gegen die beklagte Krankenkasse, die insoweit passivlegitimiert ist. Hinsichtlich der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ergibt sich die Passivlegitimation der Beklagten bereits aus der Mitgliedschaft der Klägerin sowie ihrer Stellung als Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung. Zur Erstattung nach § 26 Abs. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) ist grundsätzlich derjenige Versicherungsträger verpflichtet, für den die in Rede stehenden Beiträge entrichtet worden sind. Gemäß § 46 Abs. 2 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) erfolgt die Erstattung zu Unrecht gezahlter Pflegeversicherungsbeiträge durch die Krankenkasse, bei der die Pflegekasse errichtet ist.

Als Einzugsstelle ist die Beklagte darüber hinaus gemäß § 211 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) bzw. § 351 Abs. 2 Nr. 2 SGB Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) i.V.m. den Gemeinsamen Grundsätzen für die Auf- bzw. Verrechnung und Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung aus einer Beschäftigung (zuletzt vom 20. November 2019) auch für die Entscheidung über die Erstattung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung zuständig.

c) Rechtsgrundlage für die Erstattung der Beiträge ist § 26 Abs. 2 SGB IV.

Gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 SGB IV sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, dass der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs aufgrund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat. Der Erstattungsanspruch bezieht sich auf alle Zweige der Sozialversicherung und ist nicht auf bestimmte Beiträge beschränkt (BSG, Urteil vom 24. März 1983 – 8 RK 36/81 – juris, Rn. 10). Er steht gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 SGB IV dem zu, der die Beiträge getragen hat, d.h. Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils hinsichtlich ihres Anteils.

Die durch die Beigeladene zu 1 aus den Lohnanteilen Bezirkszuschlag und (ab 1. Januar 2017) Nachtzuschlag abgeführten Sozialversicherungsbeiträge sind weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden.

aa) Der Senat stellt zunächst fest, dass die Klägerin bei der Beigeladenen zu 1 im Zeitraum vom 1. Dezember 2010 bis 30. April 2021 als Zustellerin gegen Arbeitsentgelt, das regelmäßig im Monat mehr als 450,00 € betragen hat, beschäftigt war. Dies entnimmt der Senat den Angaben der Beigeladenen zu 1 gegenüber dem SG, den vorliegenden Entgeltabrechnungen, den Aussagen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1.

Die ausgeübte Tätigkeit unterlag grundsätzlich der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung. Versicherungspflichtig sind in der Rentenversicherung nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, in der Arbeitslosenversicherung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III,
in der Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch SGB V und in der Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Personen. Die Beschäftigung war nicht versicherungsfrei gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB V, § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI i.V.m. § 7 Abs. 1 SGB V, § 27 Abs. 3 SGB III, § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, da sie nicht geringfügig ausgeübt wurde. Eine geringfügige Beschäftigung liegt gemäß § 8 Abs. 1 SGB IV (in der seit dem 1. Januar 2013 gültigen Fassung) vor, wenn das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat 450,00 € nicht übersteigt und die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 450,00 € im Monat übersteigt. Die durch die Klägerin ausgeübte Tätigkeit war weder hinsichtlich des erzielten Entgelts, das regelmäßig über 450,00 € betrug, noch hinsichtlich der Arbeitszeit geringfügig.

bb) Die aus den Nachtarbeitszuschlägen (dazu (1)) und den Bezirkszuschlag (dazu (2)) entrichteten Beiträge sind nicht zu beanstanden.


Gemäß § 28d Satz 1 SGB IV werden die Beiträge in der Kranken- oder Rentenversicherung für einen kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten sowie der Beitrag aus Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach dem Recht der Arbeitsförderung als Gesamtsozialversicherungsbeitrag gezahlt. Dies gilt auch für den Beitrag zur Pflegeversicherung für einen in der Krankenversicherung kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten (§ 28d Satz 2 SGB IV). Bei versicherungspflichtig Beschäftigten werden der Beitragsbemessung nach § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V, § 162 Nr. 1 SGB VI und § 342 SGB III das Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zugrunde gelegt. Bei Mitgliedern der Pflegekasse, die in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind, gilt § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI.

Arbeitsentgelt sind nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Inwieweit einmalige Einnahmen oder laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse oder ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt werden, und steuerfreie Einnahmen ganz oder teilweise nicht als Arbeitsentgelt gelten, bestimmt sich nach der auf § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IV beruhenden SvEV. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SvEV bestimmt, dass einmalige Einnahmen, laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse sowie ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt werden, soweit sie lohnsteuerfrei sind, dem Arbeitsentgelt nicht zuzurechnen sind; dies gilt nicht für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge, soweit das Entgelt, auf dem sie berechnet werden, mehr als 25,00 € für jede Stunde beträgt.

(1) Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben sind die der Klägerin gewährten Nachzuschläge mit dem Anteil, der über 25 v.H. des Grundlohns hinausgeht, beitragspflichtiges Arbeitsentgelt.

Der Senat stellt zunächst fest, dass die Klägerin ab dem 1. Januar 2019 laufend und für den Zeitraum November 2017 bis November 2018 rückwirkend auf ihren Grundlohn, der nicht mehr als 25,00 € betragen hat, einen Nachtzuschlag in Höhe von 30 v.H. für die zwischen 0:00 Uhr und 6:00 Uhr erbrachte Arbeitszeit erhalten hat und die Arbeitszeit nicht vor 0:00 Uhr begonnen hat. Dies entnimmt der Senat den Angaben und den vorgelegten Schreiben der Beigeladenen zu 1 gegenüber dem SG und den vorliegenden Entgeltabrechnungen und wird von der Klägerin auch nicht bestritten.

Ausgehend hiervon unterfällt der Anteil der Nachtzuschläge, der 25 v.H. des Grundlohns übersteigt, als Arbeitsentgelt der Beitragspflicht. 

Steuerfrei sind gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 1 EStG Zuschläge, die für tatsächlich geleistete Sonn-, Feiertags- oder Nachtarbeit neben dem Grundlohn gezahlt werden, soweit sie für Nachtarbeit 25 v.H. nicht übersteigen. Grundlohn ist gemäß § 3b Abs. 2 EStG der laufende Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum zusteht; er ist in einen Stundenlohn umzurechnen und mit höchstens 50,00 € anzusetzen. Nachtarbeit ist die Arbeit in der Zeit von 20:00 Uhr bis 6:00 Uhr. Wird somit ein höherer Prozentsatz als in § 3b Abs. 1 und Abs. 3 EStG vorgesehen, gezahlt, ist der steuer- bzw. beitragsfreie Zuschlag auf den gesetzlich vorgeschriebenen Prozentsatz zu begrenzen. In Höhe von 5 v.H. ist der der Klägerin gewährte Nachtzuschlag damit nicht lohnsteuerfrei und daher gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 SvEV dem Arbeitsentgelt zuzurechnen. Die Beigeladene zu 1 hat in den Gehaltsabrechnungen hinsichtlich der Nachtzuschläge ausdrücklich zwischen dem grundsätzlich lohnsteuerfreien Anteil von 25. v.H. und dem lohnsteuerpflichtigen Anteil von 5 v.H. unterschieden, so dass auch die Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 SvEV (in der ab dem 22. April 2015 geltenden Fassung) nicht einschlägig ist. Soweit die Klägerin vorträgt, ihr Grundlohn pro Stunde habe weniger als 25,00 € betragen, wurde dies durch die Beigeladene zu 1 bei der Beitragsabführung berücksichtigt. Hätte der Grundlohn mehr als 25,00 € für jede Stunde betragen, wäre der Nachtarbeitszuschlag gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SvEV unabhängig von der steuerrechtlichen Beurteilung dem Arbeitsentgelt zuzurechnen gewesen.

(2) Bei dem gewährten Bezirkszuschlag handelt es nicht um einen lohnsteuerfreien Zuschlag, so dass er dem Arbeitsentgelt zuzurechnen und beitragspflichtig ist.

cc) Anhaltspunkte dafür, dass die Beiträge unzutreffend berechnet wurden, wurden durch die Klägerin nicht vorgebracht und sind für den Senat auch nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, Abs.
4 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.



 

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