Von einer privaten Pflegeversicherung gezahltes Pflegetagegeld, welches lediglich an die Feststellung eines Pflegegrades durch die soziale Pflegeversicherung anknüpft, dient nicht demselben Zweck wie Eingliederungshilfeleistungen des Sozialhilfeträgers für eine Internatsunterbringung zur Absicherung des Schulbesuchs.
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 12. September 2022 sowie der Bescheid des Beklagten vom 19. Juni 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. September 2020 aufgehoben.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 30.420,00 € festgesetzt.
T a t b e s t a n d :
Streitig ist die Forderung von 30.420 € als Aufwendungsersatz für die vom Beklagten für den Leistungsberechtigten M (Lb.) im Zeitraum vom 01.09.2017 bis 31.12.2019 gewährte Eingliederungshilfe.
Der Kläger ist der Vater des 2010 geborenen Lb., der nach einem Bericht des Kinderzentrums St. M in R vom 01.08.2016 an beidseitiger Schallleitungsschwerhörigkeit kombiniert mit geringgradiger Innenohrschwerhörigkeit, Pendelnystagmus, Hyperopie mit Astigmatismus und einer kombinierten Entwicklungsverzögerung mit fast vollständigem Ausbleiben der Sprache und Stereotypien leidet. Beim Lb. ist ein Grad der Behinderung von 100 mit den Merkzeichen G, H und RF anerkannt; seit dem 01.03.2014 erhält er von der Pflegekasse Pflegegeld entsprechend der Pflegestufe II bzw. seit dem 01.01.2017 entsprechend dem Pflegegrad 4.
Zum Schuljahr 2017/2018 wurde der Lb. an der Schule des Blindeninstituts R eingeschult. Mit Bescheid vom 26.07.2017 bewilligte der Beklagte für die Zeit ab dem 01.09.2017 für die Dauer der Notwendigkeit, längstens jedoch bis zum Ende der Grundschulstufe, die Kosten der Unterbringung und Betreuung im 7-Tage-Internat des Blindeninstituts R. Als zumutbare Eigenbeteiligung wurde von den Eltern ein Kostenbeitrag für ersparte Aufwendungen für den Lebensunterhalt in Höhe von vorläufig monatlich 436 € für zehn Monate je ganzes Schuljahr sowie die Pflegeversicherungsleistungen beansprucht. Dabei handelte es sich nach Berücksichtigung des damals bekannten Einkommens um den höchstmöglichen Kostenbeitrag.
Am 21.03.2018 teilte der Kläger u.a. mit, dass er vergessen habe, dass für den Lb. eine private Pflegeversicherung abgeschlossen worden sei, die monatlich 1.400 € bezahle. Die Leistungen hätten Lohnersatzfunktion für seine Ehefrau. Nach den beigefügten Versicherungsbedingungen für den Tarif "PflegePREMIUM" besteht eine Leistungspflicht der Beigeladenen unabhängig von der Antragstellung ab dem Tag der ärztlichen Feststellung von Pflegegrad 2, 3, 4 oder 5, frühestens jedoch nach Ablauf der Wartezeit. Dabei wird die von der Pflegepflichtversicherung vorgenommene Zuordnung des Versicherten in einen der fünf Pflegegrade zugrunde gelegt. Mit Eintritt der Leistungspflicht wird das vereinbarte Pflegetagegeld - bei Pflegegrad 4 zu 90% - gezahlt. Mit dem Eintritt der Leistungspflicht besteht außerdem Befreiung von der Beitragszahlungspflicht. Demgemäß zahlte die Beigeladene im streitigen Zeitraum in Monaten mit 31 Tagen ein Pflegetagegeld in Höhe von 1.395 € und in Monaten mit 30 Tagen ein Pflegetagegeld in Höhe von 1.350 € aus. Auf Nachfrage bestätigte die Beigeladene, dass die Leistungen auch während der Internatsunterbringung gezahlt werden.
Der Beklagte leitete mit Schreiben vom 04.05.2018 den Anspruch des Lb. gegen die Beigeladene auf sich über. Die Beigeladene teilte nach Prüfung am 06.07.2018 jedoch mit, dass eine Überleitung ins Leere gehe, da der Anspruch aus der Pflegetagegeldversicherung nicht dem Lb. zustehe, sondern der Kläger Versicherungsnehmer sei. Daraufhin hörte der Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Beanspruchung des Pflegetagegeldes für die Kosten der Internatsunterbringung an (Schreiben vom 22.05.2019). Dazu ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigte mitteilen, dass die Versicherungsleistung nicht zwingend für die Pflege einzusetzen sei. Die Zahlungen stellten für ihn ein Schmerzensgeld dar.
Mit Bescheid vom 19.06.2020 verpflichtete der Beklagte den Kläger für den Zeitraum vom 01.09.2017 bis 31.12.2019 insgesamt 30.420 € des von der Beigeladenen gezahlten Pflegetagegeldes als Aufwendungsersatz für die an den Lb. gewährte Eingliederungshilfe im 7-Tage-Internat des Blindeninstituts in R zu leisten. Zwar handle es sich bei der dem Lb. gewährten Eingliederungshilfe um eine privilegierte Leistung, die vermögensunabhängig zu gewähren sei, und für die ein Einkommensersatz lediglich in Höhe der für den Lebensunterhalt ersparten Aufwendungen zu erfolgen habe. § 92 Abs. 3 des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII) stelle aber klar, dass Verpflichtungen Dritter durch die Vorschrift des § 92 Abs. 2 SGB XII nicht berührt würden. Voraussetzung sei, dass es sich bei den Zahlungsverpflichtungen Dritter um rechtliche Verpflichtungen handele und dass diese Leistung dem identischen Zweck wie die Leistungen des Sozialhilfeträgers diene. Beides sei der Fall. Die Auszahlung des Pflegetagegeldes durch die Beigeladene basiere auf einem Versicherungsvertrag. Es handele sich um eine an den Pflegegrad gekoppelte Leistungspflicht. Die Leistung werde also zum Ausgleich des behinderungsbedingten, erhöhten Pflegebedarfes erbracht. Die vom Beklagten geleistete Eingliederungshilfe umfasse auch den im Internat des Blindeninstituts R anfallenden Pflegebedarf. Nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens werde die Aufbringung der Mittel vom Kläger selbst gefordert. Im Rahmen der Ermessensausübung sei vor allem das Prinzip des sparsamen Umgangs mit öffentlichen Mitteln berücksichtigt worden, welches die vorgetragenen Interessen des Klägers überwogen habe. Der Aufwendungsersatz werde hierbei nur für die vollständig im Internat verbrachten Tage beansprucht, d. h. zu Hause verbrachte Tage sowie An- und Abreisetage blieben bei der Berechnung des Aufwendungsersatzes frei.
Seinen Widerspruch gegen den Leistungsbescheid begründete der Kläger im Wesentlichen damit, dass im konkreten Fall kein Dritter eine Leistung für denselben Zweck nach sonstigen Vorschriften erbringe. Zwischen dem Kläger und der Beigeladenen bestehe ein zeitlich vor und unabhängig von dem Eintritt der Hilfegewährung begründetes zweiseitiges vertragliches Verhältnis. Für den Abschluss dieses Vertrages habe weder eine gesetzliche Verpflichtung bestanden noch seien die Versicherungsbeiträge durch den Beklagten getragen worden. Zudem erhalte der Kläger das vereinbarte Pflegetagegeld nicht für von ihm zu erbringende Pflegeleistungen. Vertraglich vereinbart sei ausdrücklich nur die Abhängigkeit der Versicherungsleistung vom Eintritt eines Pflegegrades. Der Versicherer habe noch nie einen Nachweis über den behinderungsbedingten erhöhten Pflegebedarf gefordert. Es sei daher nur eine Vermutung, dass die Versicherungsleistung zum Ausgleich des behinderungsbedingten Pflegebedarfes gezahlt werde. Vielmehr habe das Pflegetagegeld einen Schmerzensgeldcharakter und könne beispielsweise für die Freizeitgestaltung oder zum Ausgleich der mit der Behinderung einhergehenden Erschwernisse verwendet werden. Im Übrigen werde der Einwand der Verwirkung erhoben.
Den Widerspruch wies die Regierung der Oberpfalz mit Widerspruchsbescheid vom 16.09.2020 als unbegründet zurück. Insbesondere sei der Anspruch des Beklagten nicht verwirkt. Das bayerische Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch sehe eine dreijährige Erlöschensfrist für Ansprüche des Freistaats Bayern vor. Die Frist beginne erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Berechtigte von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt habe. Auch werde das Pflegetagegeld sehr wohl für die von den Eltern zu erbringenden Pflegeleistungen gezahlt, auch wenn der Versicherer keinen tatsächlichen Pflegenachweis fordere. Der Kläger erhalte das Pflegetagegeld nur aufgrund der Pflegebedürftigkeit seines Sohnes.
Dagegen hat der Kläger am 12.10.2020 zum Sozialgericht Regensburg (SG) Klage erhoben. Weder zahle die Beigeladene das Pflegetagegeld aufgrund einer rechtlichen Verpflichtung noch bestehe Zweckidentität mit den Leistungen des Beklagten. Die Versicherungsleistung werde zweckunabhängig geleistet und sei ausschließlich von der Feststellung eines Pflegegrades abhängig. Es handle sich gerade nicht um eine Pflegekostenversicherung. Eine Zweckidentität lasse sich insbesondere nicht aus den Versicherungsbedingungen herleiten.
Auf Nachfrage des SG hat der Beklagte die Kalkulation für die mit dem Leistungserbringer vereinbarte Maßnahmepauschale von täglich insgesamt 342,57 € vorgelegt. Danach entfällt ein Betrag in Höhe von täglich 69,46 € auf die pflegerischen Maßnahmen. Mit Beschluss vom 18.03.2021 ist außerdem die Bayerische Beamtenkrankenkasse beigeladen worden.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 12.09.2022 abgewiesen. Nach § 92 Abs. 3 SGB XII werde die Verpflichtung anderer als der nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen, nach sonstigen Vorschriften Leistungen für denselben Zweck wie die in Absatz 2 genannten Leistungen zu erbringen, durch die in § 92 Abs. 1 und 2 SGB XII genannten Privilegierungen nicht berührt. Leiste der Dritte an einen Elternteil tatsächlich, könne der Kostenbeitrag auch direkt von diesem verlangt werden. Damit bleibe letztendlich der Nachranggrundsatz der Sozialhilfe erhalten und es werde vermieden, dass von der Privilegierung aus § 92 Abs. 1 und 2 SGB XII ein anderer als ein nach bürgerlichem Recht Unterhaltsverpflichteter profitiere. Die Leistungsverpflichtung der Beigeladenen sei eine rechtliche Verpflichtung. Unerheblich sei, auf welcher Rechtsgrundlage die rechtliche Verpflichtung beruhe. Es könne sich beispielsweise um Leistungen auf vertraglicher Grundlage, um Schadenersatzverpflichtungen aus unerlaubter Handlung oder, wie im konkreten Fall, um Verpflichtungen privater Versicherungsträger handeln. Schließlich dienten die Leistungen der Beigeladenen demselben Zweck, wie die vom Beklagten in der Einrichtung des Blindeninstituts R erbrachten Pflegeleistungen. Im konkreten Fall sei die Versicherungsleistung an das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Pflegegrad gekoppelt und als Pflegetagegeldversicherung bezeichnet. Eine solche private Zusatzversicherung solle eine etwaige Versorgungslücke zwischen der durch die gesetzlich vorgeschriebene Pflegeversicherung erreichten Basisabsicherung und dem tatsächlichen Pflegeaufwand schließen. Die von der öffentlichen Hand im konkreten Fall in nicht geringem Ausmaß erbrachten Leistungen beträfen auch ein Risiko, für welches der Kläger eine Versicherung abgeschlossen habe. Durch die Heranziehung dieser Versicherungsleistungen werde auch die Lebensgrundlage oder die weiteren Lebensverhältnisse der Eltern nicht im Grundsatz in Frage gestellt. Letztendlich werde der Lb. eben nicht zuhause gepflegt, sondern unter Kostenübernahme des Beklagten in dem Internat.
Hiergegen hat der Kläger Berufung beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Für die angenommene Zahlungsverpflichtung gebe es keine Rechtsgrundlage. Die Beigeladene profitiere nicht von der Privilegierung, da sie die vertraglichen Versicherungsleistungen in jedem Fall erbringen müsse. Die Versicherungsleistungen seien zudem zweckneutral. Zwischen dem Kläger und der Beigeladenen sei vertraglich keinerlei Zweckbindung oder Vertragszweck vereinbart. Bei Vorliegen der vertraglich vereinbarten Voraussetzungen (Feststellung eines bestimmten Pflegegrads) bestehe eine Leistungspflicht der Beigeladenen. Im Unterschied zum Pflegegeld sei gerade nicht Voraussetzung, dass eine konkrete Pflegeperson Pflegeleistungen erbringe. Außerdem erstrecke sich die Pflicht zur Mittelaufbringung der nach § 19 Abs. 3 SGB XII einsatzpflichtigen Personen alleine auf die Kosten der Hilfe zum Lebensunterhalt. Das SG irre bei der Annahme, dass der Kläger die private "Zusatzversicherung" abgeschlossen habe, um eine etwaige Versorgungslücke zwischen der durch die gesetzliche Pflegeversicherung erreichte Basisabsicherung und dem tatsächlichen Pflegeaufwand zu schließen. Der Kläger habe keine Versorgungslücke schließen, sondern bei Eintritt des Versicherungsfalls in seiner Lebensplanung flexibler sein wollen, um eben frei entscheiden zu können, gegebenenfalls aufgrund der Pflegebedürftigkeit des Kindes die eigene Arbeitszeit zu reduzieren, das Zuhause behindertengerecht umzubauen oder Reisen zum Ausgleich zu unternehmen.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger ergänzt, dass das Pflegegeld für verschiedene Aufwendungen verwendet werde wie z. B. Umbaumaßnahmen im Haus, Möblierung oder für die Finanzierung von Auszeiten, vor allem für seine Frau.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 12.09.2022 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 19.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.09.2020 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die von der Beigeladenen erbrachte Leistung der Pflegetagegeldleistung solle die pflegerische Versorgung des Lb. erleichtern. Eben diese pflegerische Versorgung sei auch essentieller Bestandteil der von ihm erbrachten Hilfe. Eine vertragliche oder tatsächliche Zweckidentität sei ausreichend, § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB XII verlange keinen ausdrücklich genannten Zweck.
Der Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass es sich aus versicherungsrechtlicher Sicht vorliegend um eine klassische Tagegeldversicherung handle und nicht um eine Pflegekostenversicherung. Es bestehe keine Zweckbindung, vielmehr sei der Versicherungsnehmer hinsichtlich der Verwendung des Pflegetagegeldes völlig frei. Anlass für die Versicherungsleistung sei jedoch das Vorliegen eine entsprechenden Pflegegrades, wonach sich auch die Höhe der Leistung bemesse. Die Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG). Sie ist begründet, weil der Bescheid des Beklagten vom 19.06.2020 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.
Streitgegenstand ist der Leistungsbescheid vom 19.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.09.2020, mit dem der Beklagte vom Kläger als Vater des Lb. einen Kostenbeitrag in Höhe von 30.420 € fordert. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Die Klage ist auch begründet. Rechtsgrundlage für den vom Beklagten geltend gemachten Aufwendungsersatz ist § 92 Abs. 3 Satz 2 SGB XII (in der bis 31.12.2019 geltenden Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011, BGBl. I 453). Danach kann von den in § 19 Abs. 3 SGB XII genannten Personen die Aufbringung der Mittel verlangt werden, wenn ein anderer als ein nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtiger nach sonstigen Vorschriften Leistungen für denselben Zweck erbringt, dem die in § 90 Abs. 2 SGB XII genannten Leistungen dienen. Die Verpflichtung des Dritten wird durch Absatz 2 nicht berührt. Soweit Leistungen Dritter gewährt werden, durchbricht § 92 Abs. 3 Satz 2 SGB XII also die dem Personenkreis des § 19 Abs. 3 SGB XII zukommenden Begünstigungen des § 92 Abs. 2 SGB XII. Der Leistungsträger kann die Aufwendung der Mittel verlangen, soweit andere Personen oder Stellen Leistungen gewähren (Giere in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 92 Rn. 36).
Nach § 92 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ist den in § 19 Abs. 3 SGB XII genannten Personen u.a. bei der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung einschließlich der Vorbereitung hierzu (Nr. 2) die Aufbringung der Mittel nur für die Kosten des Lebensunterhalts zuzumuten. Eine solche, nach § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII privilegierte Leistung hat der Beklagte an den Lb. erbracht. Er hat dem Lb. für die Zeit vom 01.09.2017 bis zum 31.12.2019 Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für die Unterbringung und Betreuung im 7-Tage-Internat des Blindeninstituts R gewährt. Der Anspruch des Lb. folgte aus § 19 Abs. 3 SGB XII i.V.m. § 53 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII (in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003, BGBl I, 3022) i.V.m. § 12 der Eingliederungshilfe-Verordnung (Eingliederungshilfe-VO; in der Fassung des Gesetzes vom 27.12.2003). Der Lb. erfüllt die personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, wonach Leistungen der Eingliederungshilfe - als gebundene Leistung - an Personen erbracht werden, die durch eine Behinderung i.S. von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Vorliegend ist der Lb. aufgrund seiner geistigen und körperlichen Behinderung wesentlich in der Fähigkeit eingeschränkt, an der Gesellschaft teilzuhaben. Der Beklagte erbrachte die Eingliederungshilfe als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht. Ein Einkommenseinsatz der in § 19 Abs. 3 SGB XII genannten Personen hat im konkreten Fall lediglich in Höhe der für den häuslichen Lebensunterhalt ersparten Aufwendungen zu erfolgen (§ 92 Abs. 2 Satz 3 SGB XII).
Soweit jedoch ein anderer als ein nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtiger nach sonstigen Vorschriften Leistungen für denselben Zweck zu erbringen hat, dem die in § 92 Abs. 2 SGB XII genannten Leistungen dienen, wird seine Verpflichtung durch Absatz 2 nicht berührt. Soweit er solche Leistungen erbringt, kann abweichend von § 92 Abs. 2 SGB XII von den in § 19 Abs. 3 SGB XII genannten Personen die Aufbringung der Mittel verlangt werden (§ 92 Abs. 3 SGB XII). Diese Regelung erfolgte vor dem Hintergrund, dass die nicht zu dem Personenkreis des § 19 Abs. 3 SGB XII gehörenden Leistungsverpflichteten nicht von der nur begrenzten Heranziehung zu den Kosten der Eingliederungsmaßnahme profitieren sollen. Die vorrangigen Ansprüche gegenüber anderen natürlichen oder juristischen Personen sollen durch § 92 Abs. 2 SGB XII nicht berührt werden (Behrend in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl, § 92 Rn. 78). Absatz 3 bestimmt also Ausnahmen von den Beschränkungen der Kostenbeteiligung auf die Kosten des Lebensunterhalts bzw. der für den häuslichen Lebensunterhalt ersparten Aufwendungen. Weiterhin stellt die Regelung in § 92 Abs. 3 Satz 2 SGB XII im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB XII klar, dass die in § 19 Abs. 3 SGB XII genannten Personen über die Vorgaben der ersten beiden Absätze hinaus herangezogen werden können, wenn der Dritte ihnen gegenüber seine Leistungen erbringt oder erbracht hat (Kirchhoff in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand 2023, § 92 Rn. 69).
Nach § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB XII muss sich die Verpflichtung des Dritten aus "sonstigen" Vorschriften ergeben. Die Leistungen des Dritten müssen demselben Zweck dienen wie die in § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII genannten Maßnahmen und der Sozialhilfeträger muss außerdem ermessensfehlerfrei deren Einsatz zur Aufbringung der durch die Eingliederungsmaßnahme entstandenen Kosten verlangt haben.
Zwar kann der für den Lb. geschlossene Versicherungsvertrag mit der Beigeladenen eine sonstige Vorschrift i.S. des § 92 Abs. 3 SGB XII sein. Dem § 2 Abs. 1 SGB XII entsprechend kommen als Leistungen anderer Verpflichteter sowohl öffentlich- als auch zivilrechtlich gewährte Leistungen von öffentlich- oder privatrechtlichen Organisationen oder Personen in Betracht. Hätte sich der Gesetzgeber etwa auf Leistungen beschränken wollen, die auf öffentlich-rechtliche Vorschriften zurückgehen, hätte er dies - wie in § 83 Abs. 1 SGB XII - entsprechend formuliert. Zudem nimmt die Vorschrift ja gerade die nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen von der Regelung aus. Damit wird deutlich, dass auch zivilrechtliche Pflichten, wie hier die Leistungen der privaten Pflegezusatzversicherung, in Betracht kommen (Kirchhoff in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand Oktober 2021, § 92 Rn. 71). Die Beigeladene ist dem Lb. auch nicht nach bürgerlichem Recht zum Unterhalt verpflichtet.
Es fehlt jedoch die Zweckidentität zwischen den Versicherungsleistungen der Beigeladenen und der vom Beklagten erbrachten Eingliederungshilfe an den behinderten Lb.. Unter einer im Sinne des § 92 Abs. 3 SGB XII zweckgleichen Leistung ist nur eine solche zu verstehen, die dem Zweck der Eingliederungshilfe - hier in Form der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung einschließlich der Vorbereitung dazu - entspricht. Die Zweckgleichheit der Leistung der Beigeladenen ist deshalb bezogen auf die konkrete Maßnahme der Eingliederungshilfe zu ermitteln. Die an den Begriff der Leistungen für denselben Zweck zu stellenden Anforderungen ergeben sich aus dem Regelungsgehalt des § 92 Abs. 2 SGB XII und dem Sinn und Zweck des § 92 Abs. 3 SGB XII. Die zuwendende Person oder Organisation muss diese besondere Zweckbestimmung nicht ausdrücklich nennen. Sie muss auch nicht in einer gesetzlichen Vorschrift ausdrücklich genannt sein. Denn anders als in § 83 Abs. 1 SGB XII ("zu einem ausdrücklich genannten Zweck") reicht es nach § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB XII aus, dass sie "für denselben Zweck" erbracht werden. Ausreichend ist eine vertragliche oder tatsächliche Zweckidentität. Daher genügt es, wenn sich der Zweck aus den Umständen des Einzelfalles entnehmen lässt. Bei vertraglich erbrachten Leistungen ergibt sich deren Zweck aus dem ausdrücklichen oder stillschweigenden Inhalt des Vertrages oder einseitigen Rechtsgeschäfts (vgl. Kirchhoff in Hauck/Noftz, SGB XII, § 92 Rn. 73; Behrend in jurisPK-SGB XII, Stand 30.07.2018, § 92 Rn. 81). Ist eine ausdrückliche Zweckbindung nicht verlautbart worden, ist zu ermitteln, ob sich bei einer objektiven Betrachtungsweise der von dritter Seite gewährten Leistung ein besonderer Zweck entnehmen lässt.
Eine solche Zweckidentität lässt sich vorliegend nicht ermitteln. Das von der Beigeladenen gezahlte Pflegetagegeld wird nicht für denselben Zweck wie die vom Beklagten geleistete Eingliederungshilfe gewährt. Aus der Verwendung des Begriffes "Zweck" als Anspruchsvoraussetzung ist zu schließen, dass der Anspruch nicht schon dann gegeben ist, wenn die Gewährung der einen Leistung Aufwendungen erspart, die sonst aus der anderen Leistung erbracht werden müssten oder wenn mit den beiden zu vergleichenden Leistungen der gleiche Bedarf - wenn auch nur teilweise - abgedeckt wird (zur weitgehend identischen Vorgängervorschrift des § 43 Abs. 3 BSGH: BVerwG vom 11.03.1993 - 3 C 18/90 - juris Rn. 31). Wie der Bevollmächtigte der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung nochmals bestätigt hat, wird das Pflegetagegeld unabhängig von tatsächlichen Pflegeleistungen und -kosten allein aufgrund des Eintritts eines Pflegegrades gezahlt. Es dient der Kompensation von aufgrund der Pflegebedürftigkeit entstehenden Mehraufwendungen in allen Lebensbereichen. Im Unterschied zum Pflegegeld der sozialen Pflegeversicherung ist der Berechtigte nicht darauf beschränkt, die Mittel für die Sicherstellung der tatsächlich erforderlichen Pflegemaßnahmen und pflegerischen Betreuungsmaßnahmen einzusetzen. Sind also die tatsächlichen, pflegerischen Aufwendungen niedriger oder werden sie anderweitig gedeckt, steht das Geld für anderweitige Ausgaben, z.B. im Rahmen der allgemeinen Lebens- und Freizeitgestaltung, zur freien Verfügung.
Demgegenüber sind die vom Beklagten gewährten Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII darauf gerichtet, dem behinderten Menschen die für ihn erreichbare Schulbildung zu ermöglichen. Als Maßnahme der Eingliederungshilfe zielen sie darauf ab, eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und dem behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen (vgl. § 53 Abs. 3 SGB XII). Zwar entfällt von der mit dem Sozialhilfeträger dafür vereinbarten Maßnahmepauschale von täglich 342,57 € nach der internen Kalkulation ein Betrag in Höhe von täglich 69,46 € auf pflegerische Maßnahmen, die notwendig mit der Teilhabeleistung verbunden sind, um dem Lb. den Schulbesuch überhaupt erst zu ermöglichen. Das Pflegetagegeld kann jedoch auch nicht als zumindest teilweise zweckgleich mit diesen inkludierten Pflegeleistungen qualifiziert werden. Eine solche partielle Zweckidentität würde voraussetzen, dass das Pflegetagegeld mehrere Teilleistungen mit unterschiedlicher Zweckbestimmung enthielte und in Einzelbestandteile aufgegliedert werden könnte, von denen einer den Zweck der Sicherstellung von stationärer Pflege hätte. Für eine solche quantitative Aufteilung des Pflegetagegeldes in verschiedene Bedarfspositionen fehlt es jedoch an Anhaltspunkten (vgl. zu § 43 BSHG: BVerwG vom 29.09.1994 - 5 C 56/92 - juris Rn. 12).
Da es bereits an der erforderlichen Zweckidentität fehlt, kommt es nicht mehr darauf an, dass der Leistungsbescheid auch an einem Ermessensfehler leidet. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt neben dem Verfolgen eines unsachlichen Motivs oder eines sachfremden Zwecks (Ermessensmissbrauch) auch dann als Abwägungsdefizit vor, wenn die Behörde nicht alle Ermessensgesichtspunkte, die nach der Lage des Falls zu berücksichtigen sind, in die Entscheidungsfindung einbezogen hat. Ein solcher Fall ist hier gegeben: Der Beklagte stützt seine Ermessensentscheidung auf das Prinzip des sparsamen Umgangs mit öffentlichen Mitteln und bezieht in die Entscheidung ein, dass Aufwendungsersatz nur für die vollständig im Internat verbrachten Tage verlangt wird. Die Wiederherstellung des Nachrangs der Sozialhilfe durfte der Beklagte als einen maßgeblichen Gesichtspunkt in die Entscheidung über den Aufwendungsersatz einstellen. § 92 Abs. 3 SGB XII dient der Umsetzung des aus § 2 SGB XII folgenden Programmsatzes; damit ist der Nachranggrundsatz zulässiger Abwägungsgesichtspunkt. In welchem Umfang Ersatz aus dem Pflegetagesgeld gefordert wird, gehört dagegen nicht in die Ermessenserwägung, sondern ist bereits auf der Tatbestandsebene zu berücksichtigen, inwieweit es sich überhaupt um zweckgleiche Leistungen handelt (vgl. BVerwG vom 26.07.1994 - 5 C 11/92 - juris Rn. 16). Dagegen wäre vorliegend neben der Wiederherstellung des Nachrangs das Gebot familiengerechter Leistungen (§ 16 SGB XII) in die Abwägung einzubeziehen gewesen (vgl. dazu BSG vom 23.02.2023 - B 8 SO 9/21 R - juris). Bereits auf die Anhörung vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids hat der Kläger mitgeteilt, dass das Pflegetagegeld für ihn Schmerzensgeldfunktion habe. Später ist dies dahin konkretisiert worden, dass das Geld ggf. zum familiengerechten Umbau des Hauses oder für Urlaubsfahrten zur Erholung eingesetzt werden könnte. Im Hinblick darauf, dass das Pflegetagegeld nicht an den Lb. ausgezahlt wird, sondern an den Kläger, wäre der mögliche Einsatz für Verbesserungen im familiären Umfeld bei der Abwägung zu berücksichtigen gewesen.
Daher war der Berufung des Klägers stattzugeben und der Bescheid des Beklagten vom 19.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.09.2020 aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da der Kläger nicht zum kostenprivilegierten Personenkreis i.S. des § 183 SGG gehört. Dazu gehören nur die dort erfassten Versicherten, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger; nicht Sozialhilfeleistungen beziehende Angehörige gehören nicht zu diesem Personenkreis (Behrend in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., § 92 Rn. 83).
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Als Streitwert ist die vom Beklagten geforderte Erstattung i.H.v. 30.420 € festzusetzen (§ 52 Abs. 1 und 3 GKG).