L 7 AL 72/21

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG Hannover (NSB)
Aktenzeichen
S 9 AL 120/19
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 7 AL 72/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

                            Die Berufung wird zurückgewiesen.

                            Kosten sind nicht zu erstatten.

                            Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine von der Beklagten festgestellte Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe.

Der J. geborene Kläger meldete sich am 1. Oktober 2018 persönlich bei der Beklagten, beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld und teilte mit, dass er ab dem 1. Januar 2019 arbeitslos sein werde. Zuvor war er seit 16. April 2007 bei der K. mit Sitz in L. zunächst bis 28. Februar 2009 als Filialleiter und seit 1. März 2009 als Bezirksleiter (Leitender Angestellter) beschäftigt gewesen. Im Antrag auf Arbeitslosengeld kreuzte er an, dass er sich dem Arbeitsmarkt vollschichtig zur Verfügung stelle, gesundheitliche Einschränkungen bestünden nicht. Das mit der M. bestehende Arbeitsverhältnis hatte er durch schriftliche Kündigung vom 17. Mai 2018 zum 31. Dezember 2018 selbst gekündigt.

In einem Beratungsgespräch bei der Beklagten am 5. November 2018 teilte der Kläger mit, er stelle sich dem Arbeitsmarkt in Vollzeit als Bezirksleiter, Niederlassungsleiter und Personalleiter zur Verfügung. Er wolle sich beruflich neu orientieren. Über die eventuell eintretende Sperrzeit wisse er Bescheid. Er sei bereits bewerbungsaktiv und wolle eine leitende Position Richtung Personal finden (nicht aber als Bezirksleiter). Wenn es mit der Aufnahme eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nicht zeitnah klappen sollte, überlege er, sich selbständig zu machen und vielleicht einen Betrieb zu übernehmen. Als Grund für die Eigenkündigung teilte der Kläger in einem Fragebogen, den er der Beklagten am 21. Dezember 2018 übersandte mit, dass die Tätigkeit als Bezirksleiter mit sehr hohen psychischen und physischen Belastungen verbunden gewesen sei. Sein Gesundheitszustand würde bei einer dauerhaften Ausübung dieser Tätigkeit negativ beeinflusst werden. Der Grad der psychischen und physischen Anstrengung habe das Höchstmaß erreicht. Er habe diesen Schritt gehen müssen, um seine Gesundheit nicht in Mitleidenschaft zu ziehen. Über eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit habe er mit der M. nicht gesprochen. Eine „Verzögerung der Kündigung hätte nicht den Grund, sehr hohe Leistungsansprüche seitens der Anspruchsgruppen und ein hoher Anspruch an seine eigene Arbeit, aus dem Weg geräumt“. Eine arbeitgeberseitige Kündigung habe nicht gedroht.

Aus der Arbeitsbescheinigung der M. ergab sich eine wöchentliche regelmäßige Arbeitszeit von 37,5 Stunden sowie ein beitragspflichtiges Bruttoentgelt in Höhe von 6.500 € monatlich. Die maßgebliche Kündigungsfrist habe 7 Monate betragen. Eine Abfindung oder Urlaubsabgeltung zum Ende des Beschäftigungsverhältnisses sei nicht gezahlt worden. Tatsächlich erhielt der Kläger nach seinen eigenen Angaben eine Vergütung von monatlich 8.300 € brutto (als Leitender Angestellter über der Beitragsbemessungsgrenze).

Mit Schreiben vom 28. Februar 2019 erläuterte der Kläger gegenüber der Beklagten erneut die Gründe für seine Kündigung. Er sei für 5 bis 7 Verkaufsstellen mit etwa 70 bis 80 Beschäftigten zuständig gewesen. Seine Aufgaben seien umfangreich und mit sehr viel Verantwortung behaftet gewesen. Im Zuge der letzten Jahre habe er gemerkt, dass ihm die Aufgabenerfüllung in gleicher Qualität immer schwerer falle und seine Ausgeglichenheit unter Druck geraten sei. Er habe unter Schlaflosigkeit, Gereiztheit, Stimmungsschwankungen und Verdauungsproblemen gelitten und nicht abschalten können. Um seine Gesundheit zu schützen, habe er sich 2018 zu der Kündigung entschlossen. Einen Arzt habe er nicht konsultiert, denn die Situation und die Folgen seien für ihn eindeutig nachvollziehbar gewesen. Er habe nicht warten wollen, bis er tatsächlich zum Arzt habe gehen müssen. Gespräche zur Vermeidung der Belastung habe er mit der Arbeitgeberin nicht geführt, weil die Tatsache, dass er selbst psychisch mit so viel Verantwortung auf Dauer nicht umgehen könne, von der Arbeitgeberin nicht geändert werden könne. In einer Stellungnahme zu einem versäumten Termin am 21. Februar 2019 teilte der Kläger ebenfalls am 28. Februar 2019 mit, dass er ab 18. März 2019 als Teamleiter bei der N. in Vollzeit arbeiten werde. Die M. teilte der Beklagten mit, dass eine arbeitgeberseitige Kündigung des Klägers nicht gedroht habe.

Mit Bescheid vom 4. März 2019 stellte die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit vom 1. Januar 2019 bis zum 25. März 2019 fest. Der Kläger habe sein Arbeitsverhältnis ohne konkrete Aussicht auf eine Anschlussbeschäftigung selbst gelöst. Gesundheitliche Gründe für sein Verhalten habe er zwar angeführt, aber nicht ausreichend dargelegt oder nachgewiesen. Einen wichtigen Grund in dem Sinne, dass dem Kläger die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses objektiv nicht mehr zuzumuten gewesen sei, habe der Kläger nicht dargelegt. Die Sperrzeit mindere den Anspruch auf Arbeitslosengeld um 90 Tage. Mit Bewilligungsbescheid vom selben Tag gewährte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld ab dem 1. Januar 2019, wobei sie den Leistungsbetrag für die Zeit bis zum 25. März 2019 auf null festsetzte und ab 26. März 2019 einen Leistungsbetrag von 90,38 € täglich bewilligte. Die Beklagte hob die Bewilligung von Arbeitslosengeld mit Bescheid vom 26. März 2019 mit Wirkung vom 18. März 2019 wieder auf.

Mit Schreiben vom 22. März 2019 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 4. März 2019 ein, weil die Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses ihm nicht mehr zumutbar gewesen sei. Seine wöchentliche Arbeitszeit habe zwischen 50 bis 60 Stunden gelegen. Die Tätigkeit sei mit den erheblichen, bereits beschriebenen psychosomatischen Folgeerscheinungen belastet gewesen. Ein Gang zum Arzt wäre „sinnfrei“ gewesen, da er ja gewusst habe, weshalb es ihm stetig schlechter gegangen sei. Er sei auch nachts von seiner Arbeit getrieben gewesen und habe in den frühen Morgenstunden bereits das Gefühl gehabt, dass er seine Arbeit nicht schaffen werde. Er habe zum 31. Dezember 2018 gekündigt und sei davon ausgegangen, dass er mit dem Vorlauf von 7,5 Monaten eine andere Arbeit finden werde. In seinem neuen Arbeitsverhältnis bei der N. habe er geregelte Arbeitszeiten, nicht diesen immensen Druck und die Verpflichtung zur ständigen Verfügbarkeit. Nunmehr verdiene er allerdings auch (gegenüber dem vorherigen Gehalt von ca. 100.000 €) weniger als die Hälfte.

Den Widerspruch gegen den Sperrzeitbescheid wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. März 2019 zurück. Die Voraussetzungen für die Feststellung einer Sperrzeit wegen versicherungswidrigen Verhaltens hätten vorgelegen. Der Kläger habe sein Arbeitsverhältnis selbst gelöst, ohne Aussicht auf eine unmittelbar anschließende Dauerbeschäftigung zu haben. Damit habe er seine Arbeitslosigkeit grob fahrlässig herbeigeführt. Ein wichtiger Grund für seine Kündigung sei nicht dargelegt und nachgewiesen, weil nicht objektivierbar sei, welches Ausmaß die vorgetragenen gesundheitlichen Beschwerden des Klägers gehabt hätten. Es habe keinen Versuch gegeben, vor der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses die belastenden Umstände durch ein Gespräch mit der Arbeitgeberin zu beseitigen. Der Kläger hätte sein Arbeitsverhältnis fortsetzen können, bis er ein unmittelbar anschließendes neues Beschäftigungsverhältnis gefunden hätte. Ein Grund für eine Verkürzung der Sperrzeit liege nicht vor.

Am 1. April 2019 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Hannover (SG) erhoben. Diese hat er im Wesentlichen mit seinem Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren begründet. Als leitender Angestellter habe er ständig verfügbar sein müssen und erhebliche psychosomatische Beschwerden, auch gastroenterologischer Art, entwickelt. Unter seiner Gereiztheit und Unruhe habe auch seine Familie gelitten. Die Kündigung sei für ihn entlastend gewesen, auch wenn er noch kein konkretes Anschlussarbeitsverhältnis gehabt habe. Wegen der enormen Inanspruchnahme durch seine Tätigkeit habe er es jedoch bis Ende 2018 nicht geschafft, sich in größerem Umfang anderweitig zu bewerben. Er habe sich auch deshalb nicht versicherungswidrig verhalten, weil er die Zahlung des Arbeitslosengeldes, das ihm ab dem 26. März 2019 zugestanden hätte, gar nicht in Anspruch genommen habe. Gegenüber seiner ehemaligen Arbeitgeberin habe er seine psychischen Schwierigkeiten nicht angesprochen, auch um ein gutes Arbeitszeugnis zu erhalten, das er der Klagebegründung beifüge. Insbesondere weil er für Bewerbungsbemühungen von der Arbeit freigestellt worden sei, habe er sich dann umfassender beworben. Hierzu hat er einen Ordner mit Bewerbungen vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass der Kläger ab Oktober 2018 deutlich mehr Bewerbungen geschrieben hat als zuvor. Seine Eigenkündigung hat er in den Bewerbungstexten damit erklärt, er habe sich „aus der Komfortzone herausgerissen“.

Die Beklagte hat ihre Entscheidung verteidigt.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22. Juni 2021 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe eingetreten sei. Der Kläger habe mit seiner Eigenkündigung seine Beschäftigungslosigkeit ab dem 1. Januar 2019 allein verursacht. Er habe diese auch grob fahrlässig herbeigeführt, weil ihm schon bei einfachster Betrachtung im Zeitpunkt der Kündigung klar sein musste, dass er (ohne Anschlussarbeitsverhältnis) ab dem 1. Januar 2019 arbeitslos sein würde. Seine Erwartung, dass er unmittelbar anschließend ein neues Beschäftigungsverhältnis finden werde, habe sich nicht auf konkrete Anhaltspunkte gegründet. Auf einen wichtigen Grund, der sich mit dem Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses decken müsse, könne der Kläger sich nicht berufen. Es sei nicht belegt, dass die von dem Kläger geschilderten gesundheitlichen Belastungen sich so ausgewirkt hätten, dass ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses (bis zum Beginn eines Anschlussarbeitsverhältnisses) nicht zumutbar gewesen wäre. Der Kläger habe sich nicht in ärztliche Behandlung begeben. Die Nichterweislichkeit der von ihm behaupteten gesundheitlichen Belastungen gehe zu seinen Lasten. Aus demselben Grund scheide auch die Verkürzung der Sperrzeit wegen besonderer Härte aus.   

Gegen das seiner Prozessbevollmächtigten am 19. Juli 2021 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22. Juli 2021 Berufung eingelegt. Diese begründet er damit, er habe sich nicht versicherungswidrig verhalten. Aufgrund der ihm bisher erteilten ausgezeichneten Arbeitszeugnisse seiner ehemaligen Arbeitgeberin habe er sich darauf verlassen dürfen, innerhalb der Kündigungsfrist von 7,5 Monaten eine neue Arbeit zu finden. Er habe seine Arbeitslosigkeit daher auch nicht grob fahrlässig verursacht. Ein wichtiger Grund für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses habe vorgelegen. Hierzu wiederholt er seinen Vortrag aus dem Widerspruchs- und Klageverfahren. Zum Beweis für seinen Vortrag, dass er unter den erstinstanzlich und zweitinstanzlich dargelegten, erheblichen Gesundheitsstörungen mit Auswirklungen auf die Familie gelitten habe, beziehe er sich auf das Zeugnis seiner Ehefrau sowie zum Beweis, dass ihm unter Zugrundelegung der Zeugenaussage seiner Ehefrau die Fortführung seines Beschäftigungsverhältnisses auch über den 31. Dezember 2018 unzumutbar gewesen sei, auf ein einzuholendes medizinisches Sachverständigengutachten. Der Beweis sei unabhängig davon auch dadurch schon retrospektiv erbracht, dass die Gesundheitsstörungen schlagartig mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei O. geendet hätten. Als Leitender Angestellter hätte er eine Entlastung nicht erfolgversprechend verlangen können. Die Dauer der Sperrzeit sei auch nicht verhältnismäßig, weil der Kläger schon nach 2,5 Monaten nach deren Eintritt bzw. nach dem Beginn der Arbeitslosigkeit eine neue Beschäftigung gefunden habe.

Im Jahr 2018 habe sich die familiäre Situation des Klägers geändert. Seine Ehefrau habe im August 2018 nach der von ihr zuvor vollumfänglich vorgenommenen Kinderbetreuung erstmals wieder eine Arbeit aufgenommen. Sie habe die Kinderbetreuung, die eigentlich der Kläger zu leisten gehabt hätte, nicht mehr auffangen können. Allerdings könne der Kläger nunmehr aufgrund der neuen Tätigkeit bei der N. seinen familiären Pflichten im vollen Umfang nachkommen. Der wichtige Grund für seine Kündigung liege daher in Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz (GG).

Ferner bezieht sich der Kläger auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. November 2022 – B 11 AL 33/21 R -. Das BSG habe entschieden, dass eine Sperrzeit aufzuheben sei, wenn die Rechtsfolgenbelehrung unvollständig sei. Dies sei hier der Fall. Die Beklagte hätte den Kläger spätestens bei dem Gespräch am 5. November 2018 im Hinblick auf die Vorlage ärztlicher Nachweise aufklären müssen, damit es ihm im zeitlichen Zusammenhang mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses noch möglich gewesen wäre, einen Arzt aufzusuchen und seine gesundheitlichen Einschränkungen dokumentieren zu lassen. Dieser Sachverhalt begründe auch einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch, im Zuge dessen der Kläger so zu stellen sei, als ob er die fehlenden ärztlichen Unterlagen vorgelegt habe.

Der Kläger beantragt schriftlich,

unter Abänderung des Urteils des SG Hannover vom 22. Juni 2021 die Beklagte zu verurteilen, ihre Sperrzeitbescheide vom 4. März 2019 und 27. März 2019 sowie den Bewilligungsbescheid vom 4. März 2019 aufzuheben und dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. Januar 2019 bis zum 17. März 2019 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt schriftlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die Entscheidung des SG als zutreffend. Der Kläger habe im Zeitpunkt der Kündigung keine Aussicht auf ein Anschlussarbeitsverhältnis gehabt und deshalb seine Arbeitslosigkeit mindestens grob fahrlässig herbeigeführt. Einen wichtigen Grund, das Arbeitsverhältnis genau zu dem von ihm gewählten Zeitpunkt aufzulösen, habe er nicht nachgewiesen. Wenigstens die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe wäre vor Ausspruch der Eigenkündigung zu erwarten gewesen. Der wichtige Grund müsse den konkret gewählten Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses decken. Anders als die vom BSG im Verfahren B 11 AL 33/21 R beurteilte Sperrzeit setze die hier streitige Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe gerade keine vorherige Rechtsfolgenbelehrung voraus. Die Voraussetzungen für eine Sperrzeitverkürzung hätten nicht vorgelegen. Weder im Zeitpunkt der Kündigung noch bei Beginn der Arbeitslosigkeit hätte deren Dauer festgestanden. Den Arbeitsvertrag bei der N. habe der Kläger nach einem erfolgreichen Auswahl Assessment Center am 6. Februar 2019 (erst) am 15. März 2019 unterzeichnet.

Die Beklagte hat einen Ausdruck ihrer verbis- Vermerke vorgelegt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.   

    

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet über die Berufung im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG.

Die statthafte und auch ansonsten zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 22. Juni 2021 ist nicht begründet. Das SG hat die Klage gegen den Bescheid vom 4. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2019 zu Recht abgewiesen, weil der Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.

  1. Streitgegenstand ist, wie das SG zutreffend festgestellt hat, der Sperrzeitbescheid vom 4. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2019 und der Bewilligungsbescheid vom 4. März 2019, mit dem die Beklagte die Zahlung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis zum 25. März 2019 abgelehnt hat. Der Bewilligungsbescheid bildet insoweit eine Einheit mit dem Sperrzeitbescheid (BSG, Urteil vom 8. Juli 2009 – B 11 AL 17/08 R - juris).
  2. Rechtsgrundlage für die Festsetzung einer Sperrzeit ist § 159 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Hat sich der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund versicherungswidrig verhalten, ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld. Versicherungswidriges Verhalten liegt u.a. dann vor, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe), § 159 Abs. 1 S.1, S. 2 Nr. 1 SGB III. Die Person, die sich versicherungswidrig verhalten hat, hat die für die die Beurteilung eines wichtigen Grundes maßgebenden Tatsachen darzulegen und nachzuweisen, wenn diese Tatsachen in ihrer Sphäre oder in ihrem Verantwortungsbereich liegen (§ 159 Abs. 1 S. 3 SGB III).
  1. Der Kläger hat vorliegend das Beschäftigungsverhältnis mit seiner schriftlichen Eigenkündigung vom 17. Mai 2018 unter Wahrung der 7-monatigen Kündigungsfrist zum 31. Dezember 2018 gelöst. Die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses war ursächlich für seine am 1. Januar 2019 eingetretene Arbeitslosigkeit. Da der Kläger im Zeitpunkt des Ausspruches seiner Kündigung keine Aussicht auf ein unmittelbar folgendes Anschlussarbeitsverhältnis hatte, hat er seine Arbeitslosigkeit ab dem 1. Januar 2019 auch grob fahrlässig verursacht. Der Kläger hat selbst vorgetragen, sich darauf verlassen zu haben, innerhalb der Zeit von 7,5 Monaten bis zum Auslaufen des Arbeitsverhältnisses seit Ausspruch der Kündigung eine Anschlussbeschäftigung zu finden. Andererseits sei er durch seine Arbeit zeitlich so in Anspruch genommen worden, dass er sich um Bewerbungen nicht habe kümmern können. Sein Vortrag verdeutlicht, dass er seine Arbeitslosigkeit zum 1. Januar 2019 in Kauf genommen hat, als er die Kündigung ausgesprochen hat. Wenn der Grund für die Kündigung nach eigenen Angaben seine enorme zeitliche Belastung mit Folgewirkungen familiärer und psychischer Art war, war ihm auch im Mai 2018 bewusst, dass er die aufzuwendende Zeit für eine intensive Arbeitsstellensuche nicht unbedingt neben seiner andauernden beruflichen Tätigkeit gewährleisten konnte. Der Kläger hat daher offensichtlich in Kauf genommen, eventuell nicht unmittelbar anschließend ab dem 1. Januar 2019 wieder in einem Arbeitsverhältnis zu stehen.
  2. Ein wichtiger Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses zum 31. Dezember 2018 stand dem Kläger nicht zur Seite. Der wichtige Grund ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Sperrzeitregelung, die Versichertengemeinschaft typisierend gegen Risikofälle zu schützen, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat oder deren Behebung er unbegründet unterlässt, zu bestimmen (vgl. nur BSGE 84, 225, 230 mwN = SozR 3-4100 § 119 Nr. 17 S 81; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 15 S 64 mwN); die Sperrzeit greift dabei Obliegenheitsverletzungen des Versicherten auf (vgl. nur BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 14 S 58 f). Ein wichtiger Grund liegt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG - vereinfacht formuliert - vor, wenn dem Arbeitslosen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen mit denen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten als die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses zu dem konkreten Zeitpunkt nicht zugemutet werden konnte (BSG, Urteil vom 14. September 2010 – B 7 AL 33/09 R – juris Rn. 12).

aa) Der Senat kann offenlassen, ob die von dem Kläger dargestellte familiäre Situation, dass seine Ehefrau ab August 2018 mit Aufnahme einer Beschäftigung die Betreuung der Kinder nicht mehr sicherstellen konnte, grundsätzlich einen wichtigen Grund für eine Eigenkündigung hätte darstellen können. Denn der Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (erst) zum Jahresende 2018 passt nicht zu der vorgetragenen, bereits im August 2018 eingetretenen familiären Veränderung mit Notwendigkeit der Sicherstellung der Betreuung der Kinder bereits ab August 2018. Die Umstände, die den wichtigen Grund ausfüllen, müssen sich aber mit dem Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses decken, worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat. Der wichtige Grund muss sich nicht nur auf die Beendigung überhaupt oder auf die Art der Beendigung beziehen; vielmehr muss sich der wichtige Grund auch auf die Wahl des Zeitpunktes für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erstrecken (BSG, Urteil vom 12. November 1981 - 7 RAr 21/81 = SozR 4100 § 119 Nr. 17; Urteil vom 5. Juni 1997 - 7 RAr 22/96 -, SozR 3-1500 § 144 Nr. 12; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. Juli 2019 - L 18 AL 8/19 - juris, Valgolio in: Hauck/Noftz SGB III, § 159 Ruhen bei Sperrzeit, Rn. 184).

bb) Die von dem Kläger geltend gemachten gesundheitlichen Belastungen durch seine Tätigkeit als Leitender Angestellter bei O. sind nicht geeignet, eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses feststellen zu können. Grundsätzlich können gesundheitliche Beeinträchtigungen eine Lösung des Beschäftigungsverhältnisses rechtfertigen. Das ist immer der Fall, wenn diese so schwerwiegend sind, dass die bisherige Beschäftigung nicht mehr ausgeübt werden kann und aus gesundheitlichen Gründen eine andere Tätigkeit bei demselben Arbeitgeber nicht zumutbar ist (Bayerisches LSG, Urteil vom 13. März 2014 - L 9 AL 253/10 - juris; Sächsisches LSG, Urteil vom 30. Juni  2016 - L 3 AL 130/14 - juris; SG Karlsruhe, Urteil vom 30. Juli 2018 - S 11 AL 4346/17 - juris, Valgolio a.a.O., Rn. 190 a). 

Die vorgetragenen gesundheitsschädigenden Auswirkungen der Tätigkeit des Klägers bei O. sind nicht objektivierbar, worauf bereits das SG zutreffend hingewiesen hat. Die von dem Kläger beantragte Beweiserhebung würde daran nichts ändern. Der Senat kann unterstellen, dass die Ehefrau des Klägers seine Angaben zu seiner gesundheitlichen Verfassung und der familiären Belastung glaubhaft bestätigt hätte. Diese Angaben würden allerdings nicht ausreichen für den erforderlichen Vollbeweis einer Erkrankung, die im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses dessen Fortführung für den Kläger unzumutbar gemacht hätte, so dass seinen gesundheitlichen Interessen der Vorrang vor dem Interesse der Versichertengemeinschaft einzuräumen gewesen wäre. Zur Beweisführung geeignet sind insoweit im Zeitpunkt der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses vorliegende, aktuelle ärztliche Befunde, die die geltend gemachte Erkrankung, deren Ausprägungen und deren Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit sowie die Notwendigkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu dem konkreten, gewählten Zeitpunkt überzeugend darlegen und bestätigen. Solche Befunde liegen nicht vor und konnten auch nicht eingeholt werden, weil der Kläger trotz der von ihm beschriebenen erheblichen psychosomatischen Auswirkungen in der angegebenen Belastungssituation keine ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hat. Auch ein ärztliches Sachverständigengutachten könnte den erforderlichen Beweis nicht erbringen, weil sich ein solches Gutachten allein auf die anamnestischen Angaben des Klägers und seiner Ehefrau stützen könnte. Die von dem Kläger geschilderten gesundheitlichen Auswirkungen haben nach seiner eigenen Darstellung mit der Aufgabe des Arbeitsplatzes schlagartig aufgehört.

Unabhängig davon erschließt sich nicht, warum der Kläger trotz der vorgetragenen, nach seiner Darstellung erheblichen psychosomatischen Gesundheitsstörungen noch eine 7,5 Monate andauernde belastende Tätigkeit in Kauf genommen hat. Mit seinen Angaben ist auch nicht vereinbar, dass er sich im Oktober 2018 bei der Beklagten als uneingeschränkt gesundheitlich belastbar arbeitsuchend gemeldet und zur Verfügung gestellt hat. Zweifel am Ausmaß seiner Belastungen weckt auch die von dem Kläger in seinen von ihm selbst vorgelegten Bewerbungsschreiben aus dem Zeitraum nach seiner Eigenkündigung gewählte Formulierung, er habe sich mit seiner Eigenkündigung „aus der Komfortzone herausgerissen, um beruflich neue Wege zu beschreiten“, die mit seiner Darstellung zu seinen erheblichen beruflichen Belastungen und dadurch hervorgerufenen Gesundheitsstörungen nicht in Einklang zu bringen ist. Auch wenn er gesundheitliche Belastungen in seinen Bewerbungsschreiben sicherlich nicht als Motiv für die Eigenkündigung hätte angeben müssen, erstaunt insoweit doch die gegenteilige Assoziationen weckende Wortwahl einer „Komfortzone“.

Die Berufung des Klägers auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch kann das Fehlen aussagekräftiger medizinischer Unterlagen nicht ausgleichen. Ein Ansatzpunkt für die Beklagte, den Kläger im Zusammenhang mit seiner Arbeitslosmeldung am 1. Oktober 2018 und mit dem Beratungsgespräch am 5. November 2018 dahingehend zu beraten, dass er eine ggf. vorliegende Erkrankung durch einen noch einzuholenden ärztlichen Befund darzulegen und nachzuweisen hätte, war schon nicht ersichtlich. Ausweislich der vorliegenden Beratungsvermerke hat der Kläger sich am 1. Oktober 2018 zum 1. Januar 2019 arbeitslos gemeldet und sich ohne Einschränkungen der Arbeitsvermittlung durch die Beklagte zur Verfügung gestellt. Er hat weiter angegeben, für Bewerbungsaktivitäten vom Arbeitgeber freigestellt zu werden und somit jeden Termin wahrnehmen zu können. Am 5. November 2018 hat der Kläger als Grund für seine Eigenkündigung eine gewünschte berufliche Neuorientierung genannt. Über die Sperrzeit wisse er Bescheid. Er wolle eine leitende Position Richtung Personal finden, wenn auch nicht als Bezirksleiter. Weiter wurde er über die Voraussetzungen für die Zahlung eines Gründungszuschusses aufgeklärt. Gesundheitliche Einschränkungen waren ausweislich der vorliegenden Vermerke nicht Thema dieser Gespräche. Die in dem am 21. Dezember 2018 übersandten Fragebogen erstmals erwähnten gesundheitlichen Belastungen gaben keinen Hinweis auf bereits eingetretene Gesundheitsschäden. Unabhängig davon zielt der sozialrechtliche Herstellungsanspruch nur auf die Herstellung des durch eine Amtshandlung des Sozialleistungsträgers herstellbaren sozialrechtlichen Zustandes, der eingetreten wäre, wenn die Sozialverwaltung die ihr obliegenden Pflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 14. Juni 2016 – L 9 U 842/16 –, Rn. 34, juris), nicht aber auf die Fiktion eines dem Kläger obliegenden Beweises.

  1. Eine konkrete Rechtsfolgenbelehrung ist für den Eintritt einer Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe nicht Voraussetzung. Sie macht auch keinen Sinn, weil die Entscheidung des Arbeitnehmers, die Arbeit aufzugeben und sich eine neue Arbeit zu suchen, im Rahmen der Privatautonomie ohne Einbindung einer Beratung durch die Beklagte stattfindet und hier auch stattgefunden hat.
  2. Die Sperrzeit beträgt gemäß § 159 Abs. 3 SGB III zwölf Wochen. Sie beginnt mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet (§ 159 Abs. 2 S. 1 SGB III). Die Beklagte hat den Beginn der Sperrzeit mit dem 1. Januar 2019 zutreffend festgesetzt. Ein Grund, die Sperrzeit gemäß § 159 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 b) SGB III auf sechs Wochen zu verkürzen, lag nicht vor. Ein solcher Grund setzt voraus, dass die Sperrzeit von zwölf Wochen für den Kläger nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte darstellen würde. Seine inhaltliche Ausfüllung richtet sich nach dem Normzweck. Dieser geht dahin, im Einzelfall die Folgen der Sperrzeit abzumildern, wenn die für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen und Belange der Versichertengemeinschaft - Schutz vor unberechtigten Leistungsansprüchen - die volle Länge der Regelsperrzeit von zwölf Wochen unverhältnismäßig erscheinen lassen. Aus dem Gesetzeswortlaut ist zu entnehmen, dass - anders als beim wichtigen Grund - nicht alle denkbaren Umstände für eine Halbierung der Sperrzeit wegen besonderer Härte herangezogen werden können (Karmanski in: Brand, SGB III, 8. Aufl. 2018, § 159 Rz 161). Lediglich die für den Eintritt der Sperrzeit maßgeblichen Tatsachen können eine Reduzierung der Sperrzeit auf sechs Wochen rechtfertigen (Valgolio a.a.O., Rn. 462). Auch insoweit gilt indes, dass der Kläger die von ihm zur Begründung der Eigenkündigung angeführten, maßgeblichen Beweggründe nicht durch ärztliche Befunde unterstützt dargelegt und nachgewiesen hat.

Die Tatsache, dass der Kläger ab dem 18. März 2019 eine neue Arbeit antrat und seine Arbeitslosigkeit mithin nur ca. 11 Wochen andauerte, führt ebenfalls nicht zur Annahme einer besonderen Härte. Denn der Kläger hatte im Zeitpunkt des Ausspruchs der Eigenkündigung keine konkrete Aussicht auf diese neue Beschäftigung. Die Sperrzeit ist in voller Länge hinzunehmen, auch wenn zwischenzeitlich eine neue Arbeit aufgenommen wird, was beim Lösungszeitpunkt nicht vorhersehbar war, oder das Arbeitsverhältnis ohnehin früher geendet hätte (BSG Urteil vom 14. September 2010 - B 7 AL 33/09 R –juris, Valgolio a.a.O., Rn. 454).

  1. Eine Sperrzeitverkürzung gemäß § 159 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 a) SGB III kommt ebenso nicht in Betracht. Danach verkürzt sich die Dauer der Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe (§ 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III) auf sechs Wochen, wenn das Arbeitsverhältnis innerhalb von zwölf Wochen nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, ohne eine Sperrzeit geendet hätte. Diese halbierte Sperrzeitdauer ist vor der Aufnahme in das SGB III bereits durch die Rechtsprechung entwickelt worden, um eine spezifische Härte bei geringfügig verursachter Arbeitslosigkeit im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes abzumildern (BSG, Urteil vom 15. November 1995 - 7 RAr 32/95 = SozR 3-4100 § 119a Nr. 3). Eine allgemeine Regel, dass eine Sperrzeitverkürzung bei einer durch Eigenkündigung verursachten Dauer der Arbeitslosigkeit von weniger als 12 Wochen stets verhältnismäßig sei, kann dem jedoch nicht entnommen werden. Vielmehr ist der Verkürzungstatbestand des § 159 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 a) SGB III anhand seines klaren Wortlauts auf den konkret geregelten Fall beschränkt (vgl. Valgolio a.a.O, Rn. 459).
  1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
  2. Ein Grund, die Revision zuzulassen, liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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