L 3 AS 458/22

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 29 AS 859/20
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 458/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die Zuweisung einer erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person durch das Jobcenter ist Voraussetzung für die Zuschussgewährung nach § 16i Abs. 1 SGB II an den Arbeitgeber.

2. Der Zuweisungsbescheid nach § 16i Abs. 3 SGB II ist ein Verwaltungsakt.

3. Die Zuweisung führt zu keinem Rechtsverhältnis zwischen dem Leistungsberechtigten und dem Arbeitgeber. Es handelt sich um eine besondere Form der Arbeitsvermittlung, um ein konkretes Vermittlungsangebot des SGB II-Leistungsträgers.

I.     Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 12. August 2022 wird zurückgewiesen.

II.    Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III.   Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

Die Klägerin begehrt die Bewilligung eines Eingliederungszuschusses für ein beabsichtigtes Beschäftigungsverhältnis mit Wolf, dem Beigeladenen.

 

Die Klägerin, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts Dresden unter dem Aktenzeichen HRA …. seit dem 11. Mai 2018, firmiert unter A..... KG. Persönlich haftender Gesellschafter ist die Z.... Stiftung LTD, Birmingham/Vereinigtes Königreich Großbritannien Nordirland (Y....). Kommanditist ist Z.... mit einer Einlage von 1,00 EUR. Einzelprokura ist erteilt für Z.... und X....

 

 C...., der mit Beschluss vom 17. November 2022 beigeladen worden ist, ist ihr 1982 geborener Sohn, der in einer Wohnung in W…. lebt. Er übte von Februar 2009 bis Mai 2010 eine selbständige Tätigkeit aus, deren Schwerpunkt im Bereich der Veranstaltungstechnik lag. Von Juni 2010 bis März 2011 studierte er Veranstaltungsmanagement mit dem Studienfach Eventmanagement. Seit April 2011 ist er arbeitslos und steht im Bezug von Arbeitslosengeld II.

 

Am 12. Februar 2019 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Gewährung eines Lohnkostenzuschusses für eine zum 1. August 2019 beabsichtigte unbefristete Einstellung des Beigeladenen.

 

Am 4. April 2019 schlossen der Beigeladene und der Beklagte eine Eingliederungsvereinbarung ab, die Gültigkeit beansprucht, solange alle Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld II vorliegen. Als Ziel vereinbarten sie die Aufnahme einer Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt und die Prüfung der Teilnahme "Teilhabe am Arbeitsmarkt § 16i SGB II".

 

Am 7. Juni 2019 reichte die Klägerin das Formblatt Antrag auf Gewährung eines Lohnkostenzuschusses zur Teilhabe am Arbeitsmarkt nach § 16i des Sozialgesetzbuches Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) bei dem Beklagten ein und beantragte einen Lohnkostenzuschuss für den Beigeladenen, welcher unbefristet ab dem 1. August 2019 beschäftigt werden solle. Der Arbeitsvertrag sei noch nicht geschlossen. Er solle als Geschäftsführer und Erlebnispädagoge in den Branchen Dienstleistung, Handel, Erziehung und Erholung im Umfang von 40 Stunden monatlich beschäftigt sowie mit 6.500,00 EUR nach Tariflohn und orientiert an den Lohngruppen X und IV vergütet werden. Aus dem nicht unterschriebenen Entwurf des Arbeitsvertrages ergibt sich:

 

"§ 2 Grundsätzliches

[…]

Der Arbeitnehmer wird als Geschäftsführer und Erlebnispädagoge eingestellt und vor allem mit folgenden Arbeiten beschäftigt:

 

In der Geschäftsführung:

Obwohl sich das Unternehmen in der Startphase befindet, sind ad hoc alle Geschäfts- und Verantwortungsbereiche sowie rechtlichen und ökonomischen Pflichten und Tätigkeiten, welche allgemein einem Geschäftsführer einer GmbH obliegen, zu erfüllen. Die Unternehmensstrategie hat er eigenverantwortlich in operative Maßnahmen zu übersetzen und für die Umsetzung zu sorgen. Ihm obliegt die operative Planung, Administration, Leitung, Führung, Lenkung und die Innen- und Außenkontaktpflege in einem allmählich wachsenden Unternehmen. Anfangs ist dabei nach außen das Delegieren, Kooperieren und Outsourcen anzubahnen und zu betreuen. Später verlegt sich das mehr nach innen und bedarf dann der Durchführung der obersten Mitarbeiterführung. Zum Zweck der Verwendung der Gewinne zu gemeinnützigen Zwecken (und nicht zu privaten) ist auf eine Steigerung der Ergebnisse hinzuarbeiten.

 

In der Erlebnispädagogik:

Christliche Religionspädagogik im Sinne der Mystagogik (Erziehung zur Einsicht in das Verborgene) ist auf spezielle Weise unerlässlicher Part der Tätigkeit und begleitet alle anderen Angebote. Das sind Outdoor-Events, insbesondere Natursport, wie Wandern, Radfahren, Canyoning, Klettern, Kanufahren, Segeln, Orientierungslauf und Indoor-Events wie Klettern und diverse Sportspiele. [...]"

 

"§ 4 Arbeitsvergütung

 

Der Arbeitnehmer erhält eine monatliche Bruttovergütung, gemäß dem Durchschnitt aus den tariflich orientierten Lohngruppen X und IV von 6500,- Euro (entspricht einem Stundenlohn von rund 37,50 Euro) [.:.]"

 

Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 22. Juli 2019 ab. Die Entscheidung erfolge unter Ausübung von Ermessen. Grundsätzlich könne zwar bei dem Kunden Förderbedarf festgestellt werden. Der Zuschuss orientiere sich im Rahmen der beantragten Förderung jedoch an dem Mindestlohn nach dem Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz – MiLoG). Seit dem 1. Januar 2019 betrage der derzeitige Mindestlohn 9,19 EUR je Stunde. Bei der angegebenen Arbeitsvergütung werde ein Stundenlohn von 37,50 EUR und damit der Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz deutlich überschritten. Die Voraussetzungen seien daher nicht erfüllt und eine Förderung nicht möglich.

 

Auch dem Beigeladenen wurde der Bescheid vom 22. Juli 2019 zur Kenntnis übersandt.

 

Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 26. Juli 2019 die Überprüfung des Ablehnungsbescheides. § 16i SGB II lasse es zu, auch Entgeltleistungen des Arbeitgebers jenseits des Mindestlohns zu fördern, wenn dieser Arbeitgeberpflichten aufgrund eines Tarifvertrages entspreche. Dies sei der Fall, da sie, die Klägerin, nach Gehaltsgruppen bezahle, die sich an Tarifverträgen orientierten. Letzteres sei zuletzt auch den gesetzlichen Vorgaben des Vereinigten Königreichs geschuldet, das von Non-Profit-Unternehmen verlange, Angestellte weder über Gebühr noch unter Wert zu bezahlen.

 

Der Beklagte, der das Schreiben der Klägerin als Widerspruch wertete, wies diesen mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2019 zurück. Der Bescheid [bei der Datumsangabe "14. Juli 2019" dürfte es sich um ein Schreibversehen handeln] sei rechtmäßig. Im vorliegenden Fall solle der Arbeitslose als Geschäftsführer einer GmbH angestellt werden. Der berufliche Werdegang des Arbeitslosen lasse jedoch nicht darauf schließen, dass er über die notwendigen fachlichen und branchenspezifischen Kenntnisse verfüge, um die geplante Tätigkeit ausüben zu können. So habe er bislang nicht einmal ansatzweise eine derartige Tätigkeit ausgeübt und verfüge auch nicht über eine entsprechende Aus- beziehungsweise Vorbildung. Daher sei die angestrebte Anstellung nicht geeignet, den Arbeitslosen dauerhaft in den ersten Erwerbsmarkt zu integrieren. Da somit die Fördervoraussetzungen nicht erfüllt seien, sei auch die begehrte Förderung nicht möglich.

 

Die Klägerin widersprach mit E-Mail vom 14. August 2019 der Behandlung des Schreibens vom 26. Juli 2019 als Widerspruch. Sie verlange vielmehr eine Überprüfung, weil sie sich einen späteren Widerspruch vorbehalten wolle.

 

Der Beigeladene beantragte mit Schreiben vom 16. August 2019 am 21. August 2019 beim Beklagten, den Ablehnungsbescheid vom 22. Juli 2019 (Versagung der Förderung gegenüber der Klägerin) zu überprüfen.

 

Die Klägerin teilte mit Schreiben vom 28. November 2019 und 10. März 2020 mit, dass das Jobangebot bis Juni 2020 im Rahmen des Antrages auf fünfjährige Teilhabe-Förderung aufrechterhalten werde.

 

Der Beigeladene begehrte am 28. Januar 2020 (Schreiben vom 27. Januar 2020) vor dem Sozialgericht Berlin (Az.: S 121 AS 724/20) zunächst mit Untätigkeitsklage die Bescheidung seines Überprüfungsantrages.

 

Den Überprüfungsantrag der Klägerin wies der Beklagte mit Bescheid vom 13. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2020 zurück.

 

Am 25. März 2020 (Schreiben vom 19. März 2020) erklärte der Beigeladene vor dem Sozialgericht Berlin im Verfahren Az.: S 121 AS 724/20, dass er nun gegen die Nichteinhaltung der Eingliederungsvereinbarung klage. Zuletzt beantragte er am 28. September 2021 (Schreiben vom 26. September 2021) – wie auch im parallel geführten Klageverfahren Az.: S 121 AS 2862/20 – noch, den Beklagten zu verurteilen, ihn der ihm offerierten Stelle zuzuweisen und die Eingliederungsvereinbarung einzuhalten.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2020 wies der Beklagte den Widerspruch des hier Beigeladenen gegen den Bescheid vom 22. Juli 2019 zurück.

 

Das Sozialgericht Berlin wies die Klage des Beigeladenen (Az.: S 121 AS 724/20) mit Gerichtsbescheid vom 19. Oktober 2021 ab. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg wies die hiergegen erhobene Berufung mit Urteil vom 19. Mai 2021 (Az.: L 10 AS 1364/21) zurück. Das ursprünglich der Berufung zugrundeliegende Klageverfahren sei nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens. Der Überprüfungsantrag sei mit Bescheid vom 13. Februar 2020 beschieden worden. Die mit der Berufung weiterverfolgten Begehren seien nicht wirksam in das vorliegende, der Berufung zugrundeliegende Klageverfahren einbezogen worden. Das Sozialgericht habe die Klageerweiterung zutreffend nicht für sachdienlich erachtet, weil der Bescheid vom 22. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 2020 bereits Gegenstand des Verfahrens Az.: S 121 AS 8126/20 und der Überprüfungsbescheid vom 13. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2020 Gegenstand des Verfahrens Az.: S 121 AS 2862/20 sei. Hinsichtlich der Eingliederungsvereinbarung sei die Klageerweiterung beziehungsweise Klageumstellung nicht sachdienlich, da die Zulässigkeitsvoraussetzungen der weiteren Klage nicht gegeben seien, da bislang kein ordnungsgemäßes Vorverfahren durchgeführt worden sei und die entsprechende Klage gegen diesen Bescheid zum jetzigen Zeitpunkt unzulässig sei. Die Klage, mit der der Kläger seinen Anspruch auf Zuweisung verfolge, sei bereits wegen anderweitiger Rechtshängigkeit (vgl. § 94 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) gemäß § 202 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 17 Abs. 1 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) unzulässig. Der Anspruch auf Zuweisung sei Gegenstand des Verfahrens Az.: S 121 AS 2862/20. Zudem fehle dem Kläger die Klagebefugnis, weil die Eingliederungsvereinbarung eine konkrete und damit einklagbare Förderzusage nicht enthalte.

 

Der Beigeladene erhob ferner gegen den Bescheid vom 13. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2020 vor dem Sozialgericht Berlin Klage (Az.: S 121 AS 2862/20), mit der er die Einhaltung der in der Eingliederungsvereinbarung geschlossenen Vereinbarung durchsetzen wollte. Er erweiterte die Klage und beantragte die "formal korrekte" Zuweisung zu der offerierten Stelle. Das Sozialgericht Berlin hat mit Gerichtsbescheid vom 17. Februar 2022 die Klage abgewiesen. Die Berufung ist beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Az.: L 34 AS 295/22) anhängig.

 

Der Beigeladene begehrte schließlich vor dem Sozialgericht Berlin (Az.: S 121 AS 8126/20) Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsmarkt und beantragte, den Bescheid vom 22. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 2020 aufzuheben oder inhaltlich zu revidieren. Das Sozialgericht Berlin wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 8. September 2021 ab. Die Berufung wies das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Az.: L 3 AS 1185/21) mit Urteil vom 15. Februar 2023 zurück. Der Anspruch nach § 16i Abs. 1 SGB II stehe nicht dem Kläger, sondern dem Arbeitgeber zu. Hinsichtlich des Anspruch auf Zuweisung nach § 16i Abs. 3 SGB II fehle es an der Durchführung des Vorverfahrens.

 

Die Klägerin hat bereits am 16. September 2019 vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben (Az.: S 200 AS 8671/19) und sinngemäß die Aufhebung des Bescheides vom 22. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2019 beantragt, Es liege ein völlig irrtümlicher Bescheid zu einem Widerspruch, der nicht oder noch nicht eingelegt worden sei, vor.

 

Das Sozialgericht Berlin hat sich mit Beschluss vom 11. Februar 2020 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Dresden (Az.: S 29 AS 859/20) verwiesen.

 

Im weiteren Verlauf des Klageverfahrens, unter anderem im Schreiben vom 5. Mai 2022, hat die Klägerin sich mit der Begründung der Ablehnung ihres Fördererantrages auseinandergesetzt und erklärt, dass sie entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid eingelegt und danach Klage erhoben habe. Außerdem hat sie in drei an den Beklagten adressierten Schreiben erklärt, dass das Jobangebot bis zum 1. Mai 2021, bis zum 20. Februar 2022 und zuletzt "vorerst bis August 2022 (und falls nötig, darüber hinaus)" aufrechterhalten werde.

 

Das Sozialgericht Dresden hat die Klage dahingehend verstanden, dass der Beklagte unter Aufhebung der Ablehnungsentscheidung verpflichtet werden solle, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsmarkt in Höhe von monatlich 6.500,00 EUR zu bewilligen. Diese Klage hat es mit Gerichtsbescheid vom 12. August 2022 abgewiesen. Ob die Klägerin für die Beschäftigung des Arbeitnehmers angesichts der in dessen Person zu erfüllenden Kriterien förderfähig wäre, ob eine Beschäftigung des Arbeitnehmers angesichts des aus dem Arbeitsvertrag hervorgehenden Aufgabenfeldes geeignet sei, die beschriebenen gesetzgeberischen Ziele zu erfüllen, und ob oder in welcher Höhe eine Beschäftigung des Arbeitnehmers bei der Klägerin förderfähig wäre, könne im Ergebnis dahinstehen. Jedenfalls fehle es an einer Zuweisung des Arbeitnehmers an die Klägerin durch den Beklagten. Diese sei Tatbestandsvoraussetzung einer Förderung. Die Zuweisung richte sich nicht an den Arbeitgeber, sondern an den Leistungsempfänger. Die Zuweisung begehre die Klägerin, die hierfür im Übrigen auch nicht aktivlegitimiert sei, nicht. Daher könne ebenfalls außer Betracht bleiben, dass ein wirksames Arbeitsverhältnis, was eine weitere Voraussetzung einer Förderung nach § 16i SGB II wäre, bislang nicht zur Entstehung gelangt sei.

 

Die Klägerin hat sich gegen den Gerichtsbescheid am 6. September 2022 mit Berufung (zunächst Az.: L 7 AS 458/22, nunmehr L 3 AS 458/22) gewandt. Sie verweise auf das erstinstanzlich Erklärte. Eine Zuweisung des potentiellen Arbeitnehmers werde nicht verlangt. Vielmehr gehe es um die Zusage der Förderung an das Unternehmen, die sie begehre und verlange. Nur insofern gehe es auch indirekt um die Zuweisung als Zuweisung direkt an den potentiellen Arbeitnehmer. Erst müsse die Stelle da sein und die Förderung der Stelle bewilligt werden, dann könne die Zuweisung erfolgen.

 

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 12. August 2022 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 22. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2019 zu verpflichten, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsmarkt in Höhe von monatlich 6.500,00 EUR zu bewilligen.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und im erstinstanzlichen Urteil werde verwiesen.

 

Das Gericht hat die Klägerin erfolglos aufgefordert, den Tarifvertrag vorzulegen, der zu der behaupteten erhöhten Entgeltzahlung verpflichtet, und die Tarifbindung beider Seiten nachzuweisen.

 

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte beider Instanzen und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

I. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Klägerin und des Beigeladenen verhandeln und entscheiden, weil sie hierauf in der Ladung hingewiesen worden sind (vgl. § 153 Abs. 1 i. V. m. § 110 Abs. 1 Satz 2 SGG). Sie sind ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden. Die Klägerin hat sich zudem mit einer Entscheidung nach Lage der Akten ausdrücklich einverstanden erklärt.

 

II. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 22. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2019 ist rechtmäßig.

 

1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes vom 12. August 2022 und dem Begehren, den Beklagten zur Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsmarkt zu verpflichten, die Anfechtung des Ablehnungsbescheides vom 22. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2019. Nicht Gegenstand dieses Gerichtsverfahrens ist hingegen der Bescheid vom 13. Februar 2020, mit dem der Beklagte den Überprüfungsantrag der Klägerin abgewiesen hatte, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2020.

 

Zwar hatte die Klägerin in Bezug auf den Ablehnungsbescheid vom 22. Juli 2019 ausdrücklich einen Antrag auf Überprüfung gestellt und keinen Widerspruch eingelegt (vgl. zum Verhältnis von Überprüfungsverfahren und Widerspruchsverfahren in Bezug auf einen noch anfechtbaren Verwaltungsakt: Baumeister, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X [2. Aufl., 2017; Stand: 12. April 2023], § 44 SGB X Rdnr. 143 ff.). Darauf, dass sie einen Überprüfungsantrag gestellt habe, hat die Klägerin auch noch im Klageverfahren bestanden. Dies hätte eventuell als reine Anfechtungsklage verstanden werden können mit dem Ziel, einen gegenüber der Klägerin erlassenen Bescheid aufzuheben, dessen Erlass die Klägerin nach ihrer Auffassung nicht beantragt hat. Allerdings hat sie spätestens im Schreiben vom 5. Mai 2022 zu erkennen gegeben, dass sie sich nunmehr im Klageverfahren auf die Behandlung ihres Überprüfungsantrages (auch) als Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid einlässt und in der Sache die Bewilligung der begehrten Leistung durch den Beklagten anstrebt.

 

Der Bescheid vom 13. Februar 2020 zum Überprüfungsantrag der Klägerin in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. März 2020 ist auch nicht im Wege einer Klageänderung in das seit 16. September 2019 anhängige Klageverfahren eingeführt worden. Denn eine solche Klageänderung hat die Klägerin nicht geltend gemacht, sodass das Sozialgericht nicht gehalten war zu prüfen, ob gemessen an § 99 SGG eine zulässige Klageänderung vorgelegen hätte.

 

2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsmarkt für den Beigeladenen, weil es bereits an der erforderlichen Zuweisung des Arbeitnehmers fehlt.

 

a) Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch ist § 16i SGB II in vom 1. Januar 2019 bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Fassung (vgl. Artikel 1 Nr. 4 des Gesetzes vom 17. Dezember 2018 [BGBl. I S. 2583

 

Nach § 16i Abs. 1 SGB II können Arbeitgeber zur Förderung von Teilhabe am Arbeitsmarkt für die Beschäftigung von zugewiesenen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten Zuschüsse zum Arbeitsentgelt erhalten, wenn sie mit einer erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis begründen. Nach § 16i Abs. 2 Satz 1 SGB II beträg: dieser Zuschuss

1.  in den ersten beiden Jahren des Arbeitsverhältnisses 100 Prozent,

2.  im dritten Jahr des Arbeitsverhältnisses 90 Prozent,

3.  im vierten Jahr des Arbeitsverhältnisses 80 Prozent,

4.  im fünften Jahr des Arbeitsverhältnisses 70 Prozent

der Höhe des Mindestlohns nach dem Mindestlohngesetz zuzüglich des auf dieser Basis berechneten pauschalierten Anteils des Arbeitgebers am Gesamtsozialversicherungsbeitrag abzüglich des Beitrags zur Arbeitsförderung. Ist der Arbeitgeber durch oder aufgrund eines Tarifvertrages oder nach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen zur Zahlung eines höheren Arbeitsentgelts verpflichtet, bemisst sich der Zuschuss auf Grundlage des zu zahlenden Arbeitsentgelts (vgl. § 16i Abs. 2 Satz 2 SGB II). Wann eine erwerbsfähige leistungsberechtigte Person einem Arbeitgeber zugewiesen werden kann, ist in § 16i Abs. 3 SGB II geregelt. In § 16i Abs. 10 SGB II ist geregelt, wann abweichend von § 16i Abs. 3 Nr. 2 und 3 SGB II eine erwerbsfähige leistungsberechtigte Person einem Arbeitgeber zugewiesen werden kann.

 

In § 16i Abs. 1 SGB II ist eine Ermessensleistung geregelt (vgl. Harks, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II [5. Aufl., 2020], § 16i Rdnr. 45; Stölting, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II [5. Aufl., 2021], § 16i Rdnr. 18; Voelzke, in: Hauck/Noftz, SGB II [7. Erg.-Lfg., 2023], § 16i Rdnr. 42). Bei einer Prüfung einer Ermessensentscheidung ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, hier der des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2019, maßgebend. Denn das Gericht darf seine eigenen Erwägungen und neuere Erkenntnisse nicht an die Stelle derjenigen der Verwaltung setzen, und eine Verpflichtung der Behörde zur Neubescheidung scheidet auf Grund des auf die Aufhebung des Verwaltungsakts gerichteten Streitgegenstandes aus (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juni 2016 – B 14 AS 4/15 R – SozR 4-4200 § 60 Nr. 4 = juris, jeweils Rdnr. 13).

 

b) Danach hat die Klägerin keinen Anspruch auf Förderung nach § 16i Abs. 1 SGB II.

 

(1) Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift besteht ein Anspruch auf Zuschüsse zum Arbeitsentgelt allein für die Beschäftigung "von zugewiesenen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten". Ein Zuschuss kann nur für die Beschäftigung von Arbeitnehmern erfolgen, die das Jobcenter zugewiesen hat. Die Zuweisung des Arbeitnehmers durch das Jobcenter ist Voraussetzung für die Zuschussgewährung an den Arbeitgeber (vgl. Hahn, in: Knickrehm/Roßbach/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht [8. Aufl., 2023], § 16i Rdnr. 18; Harich, in: Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, BeckOK Sozialrecht [69. Ed., Stand: 1. Juni 2023], § 16i Rdnr. 5; Stölting, a. a. O., § 16i Rdnr. 6; Voelzke, a. a. O., § 16i Rdnr. 29; Klerks, info also 2019, 99 [102]). Vorliegend fehlt es bereits an dieser erforderlichen Zuweisung des Beigeladenen.

 

§ 16i SGB II sieht ein zweistufiges Verfahren vor. Adressat des Zuweisungsbescheides nach § 16i Abs. 3 SGB II, welcher ein Verwaltungsakt ist (vgl. Harks in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II [5. Aufl., 2020, Stand: 3. Januar 2023], § 16i Rdnr. 62; Schön, in: Münder/Geiger, SGB II [7. Aufl., 2021], § 16i Rdnr. 7; Stölting, a. a. O., § 16i Rdnr. 33); Voelzke, a. a. O., § 16i Rdnr. 30; so zur Zuweisung nach § 16d Abs. 1 Satz 1 SGB II [Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung]: Sächs. LSG, Urteil vom 4. April 2019 – L 3 AS 351/18 –, juris Rdnr. 51) ist der geförderte Arbeitnehmer (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. März 2020 – L 7 AS 162/20 B ER – juris Rdnr. 13; Harks, a. a. O.; Schön, a. a. O.; Stölting, a. a. O., § 16i Rdnr. 34; Voelzke, a. a. O.). Der Leistungsträger trifft mit ihm eine Regelung hinsichtlich aller die Förderbedürftigkeit des Arbeitnehmers betreffenden Umstände. Zudem trifft er durch die Zuweisung die Auswahlentscheidung, dass gerade dieser Arbeitnehmer zur Verrichtung der geförderten Arbeiten herangezogen werden soll, und regelt die Dauer seiner Zuweisung. Die Zuweisung führt zu keinem Rechtsverhältnis zwischen dem Leistungsberechtigten und dem Arbeitgeber. Es handelt sich um eine besondere Form der Arbeitsvermittlung, um ein konkretes Vermittlungsangebot des SGB II Leistungsträgers (BT-Drs. 17/6277,117). Die Zuweisung begründet kein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leistungsberechtigten und dem Arbeitgeber. Der Zuweisungsbescheid ist lediglich eine Voraussetzung für die Förderung des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Leistungsberechtigten und dem Arbeitgeber und führt zu keinem Kontrahierungszwang (vgl. Harks, a. a. O.,§ 16i Rdnr. 60; Voelzke, a. a. O., § 16i Rdnr. 31; Stölting, a. a. O., § 16i Rdnr. 32, 35). Adressat des Zuweisungsbescheides ist daher allein die leistungsberechtigte Person. Folglich ist auch allein der Arbeitnehmer berechtigt, Klage auf Zuweisung zu erheben.

 

Mit dem streitbefangenen Bescheid vom 22. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2019 ist allein der Antrag der Klägerin auf die Förderung nach § 16i Abs. 1 SGB II abgelehnt worden. Die Zuweisung eines Arbeitnehmers – hier konkret des Beigeladenen – erfolgte bis zum Zugang des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2019 bei der Klägerin nicht.

 

Soweit die Zuweisungsentscheidung noch erstritten werden sollte, kann die Klägerin die Förderung nach § 16i Abs. 1 SGB II als Arbeitgeberleistung erneut beantragen.

 

(2) Unabhängig davon besteht der Anspruch auf die geltend gemachte Förderung nach § 16i Abs. 1 SGB II auch auf Grund der Höhe der beabsichtigten Entgeltzahlungen an den Beigeladenen nicht.

 

§ 16i Abs. 2 Satz 1 SGB II regelt die Höhe des zu zahlenden Zuschusses. Danach ist allein der Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz zuzüglich des auf dieser Basis berechneten pauschalierten Anteils des Arbeitgebers am Gesamtsozialversicherungsbeitrag abzüglich des Beitrags zur Arbeitsförderung zu zahlen. Allein dann, wenn der Arbeitgeber durch oder auf Grund eines Tarifvertrages oder nach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen zur Zahlung eines höheren Arbeitsentgelts als des gesetzlichen Mindestlohnes verpflichtet ist, bemisst sich der Zuschuss nach § 16i Abs. 2 Satz 1 SGB II auf der Grundlage des zu zahlenden Arbeitsentgelts (vgl. § 16i Abs. 2 Satz 2 SGB II).

 

Die Klägerin begehrt allein 100 % der beabsichtigten Entgeltzahlung von 6.500,00 EUR brutto monatlich nach § 4 des Arbeitsvertrages. Diese Vergütung stelle die Bruttovergütung gemäß dem Durchschnitt aus den tariflich orientierten Lohngruppen X und IV dar und entspreche einem Stundenlohn von rund 37,50 EUR. Die Klägerin hat jedoch auch auf gerichtliche Aufforderung nicht nachgewiesen, dass sie durch oder auf Grund eines Tarifvertrages (oder nach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen) zur Zahlung eines den Mindestlohn übersteigenden Arbeitsentgeltes verpflichtet ist. Weder besteht eine Tarifbindung beiderseitiger Verbandszugehörigkeit (vgl. § 3 Abs. 1 des Tarifvertragsgesetzes [TVG]) noch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrages (vgl. § 5 TVG).

 

III. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 Abs. 1 SGG.

 

IV. Gründe für die Zulassung der Revision (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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