L 11 AL 99/21

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG Oldenburg (NSB)
Aktenzeichen
S 4 AL 78/19
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 11 AL 99/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze


1. Bei der Ermittlung der Höhe des Arbeitslosengeldes nach §§ 149ff. SGB III gilt keine Beschränkung auf solche Entgeltabrechnungszeiträume, die innerhalb der Rahmenfrist des § 143 Abs. 2 SGB III liegen.
3. Auch der erweiterte Bemessungsrahmen nach § 150 Abs. 3 SGB III wird nicht durch die Regelung in § 143 Abs. 2 SGB III begrenzt.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 16. August 2021 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung von höherem Arbeitslosengeld (Alg) auf der Grundlage eines fiktiven Arbeitsentgelts nach § 152 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III).

Der im Jahr 1981 geborene Kläger ist Diplom-Sozialwissenschaftler. Er war bis zum 31. Juli 2017 bei der H. Lebenshilfe gGmbH versicherungspflichtig beschäftigt (vgl. Bl. 7ff. des Ausdrucks der elektronischen Verwaltungsakte der Beklagten – eVA; monatliches Bruttoarbeitsentgelt ab März 2017: 2.456,99 Euro). Ab dem 1. August 2017 bezog er Alg in Höhe von 32,57 Euro täglich auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts in Höhe von täglich 81,98 Euro (Bewilligungsbescheid vom 18. August 2017, Änderungsbescheid vom 1. April 2019, Bl. 12, 47 eVA). Ab dem 26. Februar 2018 hob die Beklagte die Bewilligung wegen Aufnahme einer Beschäftigung auf (Bl. 17 eVA). Der Kläger war ab diesem Tag drei Tage lang bis zum 28. Februar 2018 als Aushilfe in einer Buchhandlung tätig (vgl. Bl. 33 eVA; Arbeitsentgelt: 130,30 Euro). Vom 1. März 2018 bis zum 28. Februar 2019 leistete er einen Bundesfreiwilligendienst (BFD) bei der I. (J.) K. e. V. (Bl. 37 eVA).

Am 1. März 2019 meldete sich der Kläger erneut arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg (Bl. 28 eVA). Mit Bescheid vom 1. April 2019 (Bl. 43 eVA) bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg in Höhe von täglich 36,23 Euro, wobei sie von einem Bemessungsentgelt in Höhe von 90,91 Euro ausging. Das Bemessungsentgelt ergab sich im Wesentlichen aus dem vom Kläger im Zeitraum März bis Juli 2017 bei der H. -Lebenshilfe gGmbH erzielten Arbeitsentgelt.

Dagegen legte der Kläger am 16. April 2019 Widerspruch ein (Bl. 53 eVA). Im Rahmen der Bemessung der Höhe des Alg habe die Beklagte übersehen, dass er unmittelbar vor Beginn des BFD in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Sofern der BFD unmittelbar nach einem Versicherungspflichtverhältnis geleistet worden sei, blieben die Zeiten des BFD bei der Bemessung außer Betracht. Stattdessen bemesse sich das Alg nach dem beitragspflichtigen Arbeitsentgelt, das der Freiwillige im Bemessungsrahmen in anderen versicherungspflichtigen Beschäftigungen erzielt habe. Für den Fall, dass der Freiwillige kein anderes beitragspflichtiges Arbeitsentgelt im Bemessungsrahmen erzielt habe, werde der Berechnung das fiktive Arbeitsentgelt nach § 152 SGB III zugrunde gelegt. Aufgrund der Tatsache, dass der Kläger ein Hochschulstudium erfolgreich absolviert und den Hochschulgrad eines Diplom-Sozialwissenschaftlers erworben habe, sei dabei vorliegend von der Qualifikationsstufe 1 auszugehen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. April 2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und legte dabei im Einzelnen die Schritte zur Ermittlung des täglichen Leistungsbetrages dar (siehe Bl. 57 eVA).

Dagegen hat der Kläger am 25. April 2019 unter Wiederholung seines Vorbringens aus dem Widerspruchsverfahren Klage vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg erhoben. Ergänzend hat er ausgeführt, dass die Beklagte die Vorschrift des § 143 Abs. 2 SGB III verletzt habe. Demnach dürfe eine Rahmenfrist nicht in eine vorausgegangene Rahmenfrist hineinreichen, in der der Arbeitslose bereits einmal eine Anwartschaftszeit erfüllt habe. Dadurch werde ausgeschlossen, dass Versicherungszeiten, die in einer früheren Rahmenfrist zur Erfüllung einer früheren Anwartschaftszeit dienten, erneut zur Erfüllung eines Anspruchs auf Alg genutzt werden könnten. Bezogen auf den vorliegenden Sachverhalt bedeute dies, dass der Bemessungszeitraum aus der Zeit vor dem 1. August 2017 (Anm.: Beschäftigung vom 1. März bis 31. Juli 2017 bei der H. gGmbH) außer Betracht zu bleiben habe. Der Bemessungsrahmen für die Bemessung des neuen Alg dürfe in keinem Fall die Rahmenfrist des § 143 SGB III überschreiten. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf Urteil vom 2. September 2004 – B 7 AL 68/03 R), auf die sich der Gesetzgeber ausdrücklich stütze (BT-Drs. 15/1515 Seite 85). Dementsprechend sei der Alg-Anspruch im Wege der fiktiven Bemessung gemäß § 152 SGB III zu ermitteln (Qualifikationsgruppe 1).

Die Beklagte ist dem Vorbringen entgegengetreten. Entgegen der Auffassung des Klägers habe sie die Regelung in § 143 Abs. 2 SGB III durchaus beachtet, indem sie bei der Prüfung der Erfüllung der Anwartschaftszeit nur die Zeiten ab 1. August 2017 herangezogen habe. Danach habe der Kläger einen Anspruch auf Alg für die Dauer von sechs Monaten (180 Tage) erworben. Mit der verbliebenen Restanspruchsdauer von 155 Tagen sei ihm daher ab 1. März 2019 Alg für die Dauer von 335 Tagen zu bewilligen gewesen. Die Rahmenfrist sei allein für die Prüfung der Anwartschaftszeit maßgeblich, sie begrenze jedoch nicht den Bemessungsrahmen. Dieser umfasse nach § 150 Abs. 1 SGB III regelmäßig ein Jahr, der erweiterte Bemessungsrahmen nach § 150 Abs. 3 SGB III zwei Jahre. Weder der zitierten BSG-Entscheidung noch der Bundestagsdrucksache sei zu entnehmen, dass eine frühere Rahmenfrist den Bemessungsrahmen begrenze.

Mit Urteil vom 16. August 2021 hat das SG die Klage abgewiesen und sich dabei nach § 136 Abs. 3 SGG auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid der Beklagten bezogen. Ergänzend hat das SG darauf hingewiesen, dass eine Verletzung des § 143 Abs. 2 SGB III nicht vorliege. Die Rahmenfrist umfasse die Zeit vom 1. August 2017 bis zum 28. Februar 2019. Da der Kläger in diesem Zeitraum 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe (Anm.: BFD), sei die Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Alg gegeben. Eine weitergehende Bedeutung komme der Rahmenfrist nach § 143 SGB III nicht zu. Für die Höhe des Alg seien demgegenüber allein die Regelungen in §§ 149ff. SGB III maßgebend. Das Alg des Klägers betrage gemäß § 149 Nr. 2 SGB III 60 % des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergebe, das der Kläger im Bemessungszeitraum erzielt habe (Bemessungsentgelt). Der Bemessungszeitraum umfasse die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen (§ 150 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Der Bemessungsrahmen umfasse grundsätzlich ein Jahr (§ 150 Abs. 1 Satz 2 SGB III). Zutreffend verweise die Beklagte indes auf § 150 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 344 Abs. 2 SGB III (Anm.: danach bleiben u. a. Zeiten eines BFD unter bestimmten Voraussetzungen bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums außer Betracht). Demzufolge sei – mangels mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt im einjährigen Bemessungsrahmen – im vorliegenden Fall gemäß § 150 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III der Bemessungsrahmen auf zwei Jahre zu erweitern, so dass er die Zeit vom 1. März 2017 bis zum 28. Februar 2019 umfasse. Bemessungsentgelt sei gemäß § 151 Abs. 1 Satz 1 SGB III das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt habe. Der Bemessungszeitraum umfasse somit die Entgeltabrechnungszeiträume vom 1. März 2017 bis zum 31. Juli 2017 und vom 26. bis zum 28. Februar 2018. Dies seien 156 Tage. In dieser Zeit habe der Kläger ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 14.181,70 Euro erzielt. Damit ergebe sich ein Bemessungsentgelt in Höhe von 90,91 Euro. Der Kläger habe auch nicht innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs Alg nach einem höheren Bemessungsentgelt bezogen, so dass § 151 Abs. 4 SGB III nicht zur Anwendung gelange. Es verbleibe daher bei einem zu berücksichtigenden Bemessungsentgelt in Höhe von 90,91 Euro.

Gegen das am 23. August 2021 zugestellte Urteil (Empfangsbekenntnis: Bl. 39a der Gerichtsakte – GA) wendet sich der Kläger mit seiner am 21. September 2021 eingelegten Berufung. Er wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen. Das SG habe zu Unrecht keine fiktive Bemessung nach § 152 SGB III vorgenommen. Die Beschäftigungszeiten, die dem letzten Bezug von Alg vorausgegangen seien, seien nicht mehr bei der Entscheidung über den neuen Anspruch auf Alg zugrunde zu legen. Mit der Neufassung des (damaligen) § 130 SGB III durch das „Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ vom 23. Dezember 2003 habe der Gesetzgeber den in der Rechtsprechung entwickelten Begriff des Bemessungsrahmens übernommen. Das BSG habe bereits mit seiner Entscheidung vom 21. April 1988 – 7 RA R 73/86 – bestimmt, dass bei einer erneuten Entstehung eines Anspruchs auf Alg nur noch die nach der Entstehung des zuletzt entstandenen Anspruchs auf Alg zurückgelegten Versicherungszeiten maßgebend seien. Das BSG habe ausgeführt, dass zur Bestimmung des Bemessungszeitraums, in dem das maßgebliche Arbeitsentgelt erzielt worden sei, nicht (unmittelbar) auf außerhalb der Rahmenfrist liegende Lohnabrechnungszeiträume zurückgegriffen werden dürfe, die in eine frühere Rahmenfrist fielen (Urteil vom 1. April 1993 – 7 RAr 68/92). Hinzuweisen sei auch auf einen Aufsatz von Winkler (info also 4/2006, Seite 147ff.) Auch sie weise darauf hin, dass der Bemessungsrahmen in keinem Fall die Rahmenfrist des § 124 SGB III überschreiten dürfe. Das sei im Gesetz nicht ausdrücklich festgelegt, ergebe sich aber aus der Rechtsprechung des BSG, auf die sich der Gesetzgeber ausdrücklich gestützt habe.

 

Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

  1. das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 16. August 2021 aufzuheben,
  2. den Bescheid der Beklagten vom 1. April 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2019 zu ändern und
  3. die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger für die Zeit seiner Arbeitslosigkeit ab dem 01.03.2019 Arbeitslosengeld aufgrund fiktiver Bemessung       (§ 152 SGB III) gem. der Qualifikationsstufe 1/Steuerklasse 1/60% zu    gewähren.

 

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

                                    die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und nimmt darauf sowie auf ihre Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug. Die Voraussetzungen für eine fiktive Bemessung seien nicht gegeben.

Auf Nachfrage des Senats hat die Beklagte mitgeteilt, dass der Kläger vom 1. März 2019 bis zum 30. Juni 2019 für 120 Tage Alg bezogen hat und sodann vom 1. Juni 2020 bis zum 31. Oktober 2020 für 150 Tage aufgrund einer Wiederbewilligung des Anspruchs aus dem Jahr 2019. Am 1. Mai 2021 sei ein neuer Anspruch auf Alg entstanden (Alg-Bewilligung bis 31. August 2021).

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Die Akten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung und Entscheidung.

 

Entscheidungsgründe

Mit Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat über die Berufung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

I. Die Berufung ist zulässig. Nach Auskunft der Beklagten würde sich das tägliche Alg bei einer fiktiven Berechnung unter Zugrundelegung der Qualifikationsstufe I auf 46,77 Euro belaufen. Nachdem der Kläger allein schon aufgrund der Bewilligung zum 1. März 2019 für 120 Tage Alg bezogen hat, ergibt sich bereits insoweit aus der Differenz zur bewilligten Leistungshöhe von 36,23 Euro ein Überschreiten der in § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG festgelegten Wertgrenze von mehr als 750,00 Euro (10,54 Euro x 120 Tage = 1.264,80 Euro).

II. Die Berufung ist aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Senat weist die Berufung aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück und sieht insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

Das SG hat völlig zutreffend ausgeführt, dass die Beklagte mit der streitigen Bewilligung die Vorgaben des § 143 Abs. 2 SGB III eingehalten hat. § 143 Abs. 2 SGB III verhindert – und zwar zu Lasten des Versicherten –, dass Versicherungszeiten mehrfach für die Begründung einer Anwartschaft auf Alg berücksichtigt werden (Baldschun in: beck-online.GROSS-KOMMENTAR (Gagel), Stand 1. März 2020, § 143 Rn. 24). Die Vorschrift ist bedeutsam im Rahmen der Beurteilung der Frage, ob überhaupt genügend Zeiten eines Versicherungspflichtverhältnisses für die Begründung einer (neuen) Anwartschaft vorhanden sind. Sie regelt damit eine der Voraussetzungen, die vorliegen müssen, um einen Anspruch auf Alg überhaupt erst entstehen zu lassen.

1. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Der Kläger erwarb unter Berücksichtigung von § 143 Abs. 2 SGB III vorliegend ab dem 1. März 2019 einen neuen Alg-Anspruch, denn er stand in der Rahmenfrist nach § 143 Abs. 1 mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis. Die Rahmenfrist beginnt nach § 143 Abs. 1 SGB III mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg. Das war vorliegend der 28. Februar 2019, denn am 1. März 2019 meldete der Kläger sich arbeitslos, war arbeitslos und erfüllte damit die sonstigen Voraussetzungen (§ 137 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 SGB III). Die Rahmenfrist belief sich nach § 143 Abs. 1 SGB III in der vorliegend anzuwendenden, bis zum 31. Dezember 2019 gültigen Fassung auf zwei Jahre. Sie erstreckte sich damit grundsätzlich vom 28. Februar 2019 bis zum 1. März 2017. Da der Kläger aber zuvor bereits am 1. August 2017 sämtliche Voraussetzungen für einen Alg-Anspruch mit einer eigenen Rahmenfrist erfüllt hatte, verkürzte sich die vorliegend maßgebliche Rahmenfrist und reichte nur bis zum 1. August 2017 (§ 143 Abs. 2 SGB III). In dieser Rahmenfrist – vom 28. Februar 2019 bis zum 1. August 2017 – stand der Kläger für die nach § 142 Abs. 1 Satz 1 SGB III erforderlichen 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis, nämlich u. a. während des Bundesfreiwilligendienstes vom 1. März 2018 bis zum 28. Februar 2019 (vgl. BSG, Urteil vom 23. Oktober 2018 – B 11 AL 21/17 R, Rn. 15; J. Schneider in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 3. Aufl., § 344 SGB III - Stand: 15.01.2023, Rn. 29).

2. Demgegenüber kommt es für die Ermittlung der Höhe des Alg – anders als für die Anwartschaft – nicht auf die Rahmenfrist nach § 143 SGB III an. Eine Begrenzung der bei der Höhe des Alg zu berücksichtigenden Zeiten auf solche, die innerhalb der verkürzten Rahmenfrist des § 143 Abs. 2 SGB III liegen, ist in §§ 150ff. SGB III nicht vorgesehen. Die Voraussetzungen für eine fiktive Bemessung nach § 152 SGB III – kein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen im erweiterten zweijährigen Bemessungsrahmen –, die der Kläger aus seiner abweichenden Rechtsauffassung herleitet, sind demzufolge nicht erfüllt.

Das Alg errechnet sich nach § 149 SGB III aus dem Bemessungsentgelt. Dabei handelt es sich um das Bruttoentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (§ 149 letzter Halbsatz SGB III). Der Bemessungszeitraum umfasst die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen (§ 150 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Grundsätzlich umfasst der Bemessungsrahmen nach § 150 Abs. 1 Satz 2 SGB III nur ein Jahr. Der einjährige Bemessungsrahmen endet nach § 150 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz SGB III mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs. Unter den Voraussetzungen des § 150 Abs. 3 SGB III wird er auf zwei Jahre verlängert. Bestimmte Zeiten bleiben bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums außer Betracht (§ 150 Abs. 2 SGB III), u. a. Zeiten eines BFD, wenn sich die beitragspflichtige Einnahme nach § 344 Abs. 2 SGB III bestimmt (§ 150 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB III).

Dies zugrunde gelegt, endet der einjährige Bemessungsrahmen vorliegend mit dem 28. Februar 2019, an dem der BFD als maßgebliches Versicherungspflichtverhältnis endete. Der einjährige Bemessungsrahmen reicht damit zurück bis zum 1. März 2018. Darin enthalten ist vorliegend der vom Kläger geleistete BFD. Ihn hat die Beklagte in Anwendung von § 150 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB III als Bemessungszeitraum außer Betracht gelassen, weil der Kläger den BFD unmittelbar nach einem Versicherungspflichtverhältnis geleistet hat (§ 344 Abs. 2 SGB III), nämlich nach der dreitägigen Aushilfstätigkeit des Klägers in der Buchhandlung L. vom 26. bis 28. Februar 2018. Dies hat zur Folge, dass die Entgeltabrechnungszeiträume des BFD nicht als Bemessungszeitraum zählen. Damit lässt sich im einjährigen Bemessungsrahmen kein Bemessungszeitraum feststellen, denn der Bemessungsrahmen wird komplett vom BFD ausgefüllt. Dies führt zur Verlängerung des Bemessungsrahmens auf zwei Jahre nach § 150 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III. Der zweijährige Bemessungsrahmen reicht damit zurück bis zum 1. März 2017.

Anders als der Kläger meint, können sodann sämtliche im zweijährigen Bemessungsrahmen vom 1. März 2017 bis 28. Februar 2019 gelegenen und abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums berücksichtigt werden. Die Beschränkung auf solche Entgeltabrechnungszeiträume, die innerhalb der Rahmenfrist des § 143 Abs. 2 SGB III liegen, findet in den maßgeblichen rechtlichen Grundlagen keine Stütze. Sie wird für die geltende Rechtslage auch nicht erkennbar in Rechtsprechung und Literatur vertreten.

Soweit der Kläger sich für seine Argumentation u. a. auf die lange zurückliegenden Ausführungen von Pawlak (a. a.O.) und Winkler (a. a. O.) und auf Entscheidungen des BSG beruft, ist dies nicht überzeugend. Die rechtliche Einschätzung, dass der Bemessungsrahmen in keinem Fall die Rahmenfrist überschreiten dürfe, vermag der Senat dem Urteil vom 2. September 2004 (B 7 AL 68/03 R) im Übrigen nicht zu entnehmen. Auf die Rahmenfrist geht das BSG in dem genannten Urteil nicht ein. Es befasst sich vielmehr mit Bemessungszeitraum und Bemessungsrahmen.

Ebenso wenig lassen sich für die gegenwärtig geltende Rechtslage aus den weiteren vom Kläger angeführten Entscheidungen des BSG vom 21. April 1988 (7 RAr 73/86) und 1. April 1993 (RAr 68/92) maßgebende Folgerungen herleiten. Zwar führt das BSG dort - in Bezug auf § 112 AFG - tatsächlich aus, dass auf außerhalb der Rahmenfrist liegende Lohnabrechnungszeiträume nicht zurückgegriffen werden dürfe, die in eine frühere Rahmenfrist gefallen sind (Urteil vom 21. April 1988, a. a. O., Rn. 27). Nach Auffassung des Senats kann diese Beurteilung, aber nicht auf die inzwischen geltende Rechtslage übertragen werden. § 150 SGB III basiert in der vorliegend anzuwendenden Fassung, wie - erstmals - § 130 SGB III in der Fassung vom 1. Januar 2005 auf einer gegenüber den Vorgängerregelungen abweichenden Konzeption (vgl. hierzu im einzelnen Behrend in: Eicher/Schlegel, SGB III n. F., 124. Ergänzung Januar 2014, § 150 Rn. 28). Der Bemessungsrahmen knüpft an das letzte Versicherungspflichtverhältnis an, wohingegen der Bemessungszeitraum – anders als zuvor – nur Zeiten einer versicherungspflichtigen Beschäftigung umfasst. Mit der Erweiterung des Bemessungsrahmens in § 150 Abs. 3 SGB III sollte die zuvor nach alter Rechtslage praktizierte sukzessive Erweiterung um einzelne Abrechnungszeiträume abgelöst werden (BT-Drs. 15/1515, zu § 130 Absatz 3). Wenn der Gesetzgeber somit im Rahmen einer differenzierten und auch im Übrigen komplexen Ausgestaltung der Regelungen zur Anspruchshöhe für bestimmte Fallgestaltungen die Verlängerung des Bemessungsrahmens vorsieht, auf die - wiederum unter bestimmten Voraussetzungen nach § 152 SGB III - die Zugrundelegung eines fiktiven Arbeitsentgelts als Bemessungsentgelt folgen kann, ist kein Raum für eine im Gesetz an keiner Stelle verankerte und dies konterkarierende Berücksichtigung der Rahmenfrist zur Begrenzung der beim Bemessungszeitraum zu berücksichtigenden Zeiten.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

IV. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).

Rechtskraft
Aus
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