L 9 R 2520/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 22 R 2962/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 2520/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Wird Erwerbseinkommen trotz ordnungsgemäßer Meldung von der Rentenversicherung bei einer Rentenneuberechnung versehentlich nicht berücksichtigt, so muss der Grund der Nichtanrechnung aus dem Bescheid klar erkennbar sein. Ansonsten liegt angesichts des regelmäßigen Bescheidumfanges grundsätzlich kein über einfache Fahrlässigkeit hinausgehendes Fehlverhalten des Rentenberechtigten vor.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. Juli 2021 aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2019 in Gestalt des Bescheides vom 5. April 2019 und des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2019 werden aufgehoben, soweit mit diesen die Witwenrentenbewilligung wegen eines anzurechnenden Einkommens aus geringfügiger Beschäftigung zurückgenommen und von der Klägerin 3.268,28 € zurückgefordert werden.

Die Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.



Tatbestand

Streitig ist die teilweise Aufhebung einer bewilligten Witwenrente und die von der Beklagten geltend gemachte Erstattungsforderung für zu Unrecht gezahlte Rentenleistungen im Zeitraum 01.08.2014 bis 30.04.2019.

Aus eigener Versicherung bezieht die 1940 geborene Klägerin seit 01.03.2000 eine Altersrente. Sie ist die Witwe des 1925 geborenen und 2009 verstorbenen
K1.

Am 02.11.2009 beantragte die Klägerin eine Witwenrente, worauf ihr die Beklagte mit Bescheid vom 20.01.2010 eine große Witwenrente ab 01.11.2009 (Zahlbetrag ab 01.02.2010: 817,81 € nach Abzug eines Beitragsanteils an der Kranken- und Pflegeversicherung von insgesamt 89,36 €) bewilligte. Auf die Hinterbliebenenrente ist die Altersrente aus eigener Versicherung ab 01.02.2010 in Höhe von 148,08 € rentenmindernd zur Anrechnung gekommen.

Zum 01.10.2013 nahm die Klägerin eine geringfügige Beschäftigung im Betrieb ihres Sohnes auf und erzielte hieraus ausweislich der vorliegenden Meldebescheinigungen des Arbeitgebers Einkommen in Höhe von 450 € monatlich.

Mit Bescheid vom 19.11.2013 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die große Witwenrente für die Zeit ab 01.01.2014 neu berechnet werde, weil sich das auf die Rente anzurechnende Einkommen geändert habe. Es würden 844,37 € gezahlt. Der Anlage 1 zu diesem Bescheid kann entnommen werden, dass die monatliche Rente 1.091,71 € beträgt, die um das anzurechnende Einkommen von 150,91 € (unter Verweis auf Anlage 8) zu mindern war auf 940,80 € (Zahlbetrag unter Berücksichtigung der Beitragsanteile an der Kranken- und Pflegeversicherung). Ausweislich der Anlage 8 zu diesem Bescheid berücksichtigte die Beklagte neben dem Erwerbsersatzeinkommen aus der Versichertenrente der Klägerin (1.120,17 €) Einkommen aus einer geringfügigen nicht versicherungspflichtigen Beschäftigung (450 €). Sie errechnete, dass dieses den Freibetrag um 377,27 € übersteigt und zu einer Anrechnung (40 %) ab 01.10.2013 in Höhe von 150,91 € führt.

Mit Bescheid vom 23.05.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die große Witwenrente ab 01.07.2014 neu berechnet werde und monatlich 696,93 € gezahlt würden. Der Anlage 1 zu diesem Bescheid kann entnommen werden, dass die monatliche Rente 1.109,95 € beträgt, die um das anzurechnende Einkommen von 333,43 € (unter Verweis auf Anlage 8) und die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu mindern sei auf 696,93 €. Ausweislich der Anlage 8 zu diesem Bescheid berücksichtigte die Beklagte neben dem Erwerbsersatzeinkommen aus der Versichertenrente der Klägerin (1.309,05 €) Einkommen aus einer geringfügigen nicht versicherungspflichtigen Beschäftigung (450 €). Sie errechnete, dass dieses den Freibetrag um 377,27 € übersteigt und zu einer Anrechnung (40 %) ab 01.10.2013 in Höhe von 150,91 € führt.

Mit Bescheid vom 08.07.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die große Witwenrente für die Zeit ab 01.08.2014 neu berechnet werde, weil sich das auf die Rente anzurechnende Einkommen geändert habe. Es würden ab 01.08.2014 858,48 € gezahlt. Der Anlage 1 zu diesem Bescheid kann entnommen werden, dass die monatliche Rente 1.109,95 € beträgt, die um das anzurechnende Einkommen von 153,43 € (unter Verweis auf Anlage 8) zu mindern sei auf 956,52 € (Zahlbetrag unter Berücksichtigung der Beitragsanteile an der Kranken- und Pflegeversicherung). Ausweislich der Anlage 8 berücksichtigte die Beklagte (nur noch) das Erwerbsersatzeinkommen aus der Versichertenrente der Klägerin (1.588,87 €), welches den Freibetrag um 383,57 € übersteige und zu einer Anrechnung (40 %) ab 01.08.2014 in Höhe von 153,43 € führte.

Mit Bescheid vom 29.09.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die große Witwenrente für die Zeit ab 01.07.2014 neu berechnet werde, weil der Betrag der Monatsrente neu zu ermitteln war und sich das auf die Rente anzurechnende Einkommen geändert habe. Aufgrund der sogenannten Mütterrente erhalte sie höhere Versichertenrente. Die höhere Versichertenrente habe Auswirkungen auf die Hinterbliebenenrente. Der Bescheid über die Rentenanpassung 2014 werde hinsichtlich der Rentenhöhe nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben. Für die Zeit vom 01.07.2014 bis zum 31.10.2014 ergebe sich eine Überzahlung von 71,44 €. Den Zahlbetrag ab 01.11.2014 gab die Beklagte mit 840,62 € an. Der Anlage 1 zu diesem Bescheid kann entnommen werden, dass sie für die Zeit ab 01.07.2014 von einer monatlichen Rente von 1.109,95 € ausgeht, die um das anzurechnende Einkommen von 353,34 € (unter Verweis auf Anlage 8) zu mindern war auf 756,61 € (Zahlbetrag 679,07 € unter Berücksichtigung der Beitragsanteile an der Kranken- und Pflegeversicherung). Ausweislich der Anlage 8 berücksichtigte die Beklagte für die Zeit ab 01.07.2014 neben dem Erwerbsersatzeinkommen aus der Versichertenrente der Klägerin (1.366,27 €) für Juli 2014 Einkommen aus einer geringfügigen nicht versicherungspflichtigen Beschäftigung (450 €), welches den Freibetrag (insgesamt) um 883,35 € übersteige und zu einer Anrechnung (40 %) ab 01.07.2014 in Höhe von 353,34 € führte. Es folgte sodann eine „Berechnung für die Zeit ab 01.08.2014“. Das zu berücksichtigende Einkommen sei wegen einer Änderung in den Bezügen neu festzustellen. Dabei hat die Beklagte (nur) das Erwerbsersatzeinkommen aus der Versichertenrente zugrunde gelegt und ein anzurechnendes Einkommen ab 01.08.2014 in Höhe von 173,34 € ermittelt.

Rentenanpassungen erfolgten sodann zum 01.07.2015, zum 01.07.2016, zum 01.07.2017 und zum 01.07.2018. Die Rentenanpassungsmitteilungen enthielten unter A) eine Darstellung und den Vergleich der Höhe der bisherigen Altersrente mit der ab 01.07. gezahlten Altersrente und unter B) eine Darstellung und den Vergleich der Höhe der bisherigen Witwenrente mit der ab 01.07. gezahlten Witwenrente. Unter B) wurde zudem jeweils die Anrechnung von Einkommen auf die Witwenrente dargestellt. Dabei wurde jeweils die Altersrente rentenmindernd berücksichtigt.

Zur Akte ist mit Eingangsstempel 27.03.2018 eine Meldebescheinigung zur Sozialversicherung der
K2 GmbH unter der Versicherungsnummer der Klägerin vom 20.12.2017 gelangt. Handschriftlich ist dort „Witwenrente“ vermerkt. Maschinenschriftlich ist als Grund der Abgabe eine „Abmeldung Beschäftigungsende“ und der Beschäftigungszeitraum mit „01.01.2017 bis 31.12.2017“ angegeben. Diese Zeile enthält den handschriftlichen Zusatz „seit dem 01.01.2018 bin ich nicht mehr beschäftigt“.

Mit Bescheid vom 27.04.2018 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die große Witwenrente ab dem 01.08.2014 neu berechnet werde. Die monatliche Rente betrage ab dem 01.06.2018 1.015,83 €, der monatliche Zahlbetrag nach Abzug der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung 904,61 €. Für die Zeit vom 01.08.2014 bis 31.05.2018 sei eine Überzahlung von 4.726,14 € entstanden, die von der Klägerin zu erstatten sei. Zur Begründung führte die Beklagte aus, die Rente werde neu berechnet, weil eine Rentenanpassung durchzuführen gewesen sei und sich das mit der Rente zusammentreffende Einkommen geändert habe. Bei der Neuberechnung berücksichtigte die Beklagte anzurechnendes Einkommen ab 01.07.2014 aus abhängiger Beschäftigung.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit am 08.05.2018 eingegangenem Schreiben Widerspruch ein und führte bei einer persönlichen Vorsprache am 30.05.2018 aus, sie habe 2014 nicht mitgeteilt, dass sie das Beschäftigungsverhältnis beendet habe. Dies habe die Beklagte anscheinend aufgrund einer SV-Meldung des Arbeitgebers angenommen, die im Nachgang aber storniert worden sei. Die Beschäftigung sei der Beklagten bekannt gewesen, was sich aus dem Bescheid vom 19.11.2013 ergebe. Sie habe die ganze Zeit durchgehend vom 01.10.2013 bis 31.12.2017 gearbeitet. Dass die Beklagte von einer früheren Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ausgegangen sei, ohne ihr dies mitzuteilen, könne sie nicht nachvollziehen. Sie sei mit der Rückzahlung nicht einverstanden.

In einem mit „Anhörung“ überschriebenen Schreiben teilte die Beklagte unter dem 28.09.2018 mit, dass der Sachverhalt unter Berücksichtigung der Angaben der Klägerin geprüft worden sei. Der Anspruch auf die Witwenrente sei kraft Gesetzes zu kürzen, weil die Klägerin eine geringfügige Beschäftigung über den 31.07.2014 hinaus ausgeübt habe. Es sei beabsichtigt, den Bescheid vom 08.07.2014 in Gestalt des Bescheides vom 29.09.2014 mit Wirkung ab 01.08.2014 sowie alle Mitteilungen zur Rentenanpassung zurückzunehmen und neben der Rückzahlung aus dem Bescheid vom 27.04.2018 noch die Überzahlung für die Zeit vom 01.08.2014 bis 30.06.2016 in Höhe von 1.812,17 € zurückzufordern. Die ab dem 01.10.2018 durch den Wegfall des Zusatzbeitrages entstehende Nachzahlung werde zugleich auf- bzw. verrechnet. Anhand der Erhöhung der Rente ab 01.08.2014 um 161,55 € und der Seite 2 des Bescheides vom 08.07.2014 hätte die Klägerin erkennen können und müssen, dass es mit dem angenommenen Wegfall der geringfügigen Beschäftigung zu tun habe. Der Beklagten sei zu dem damaligen Zeitpunkt eine Beendigung der Beschäftigung angezeigt worden.

Hierauf teilte die Klägerin bei einer weiteren persönlichen Vorsprache mit, die Abmeldung des Arbeitgebers zum 31.07.2014 sei vom Arbeitgeber am 21.08.2014 storniert worden. Außerdem seien regelmäßig Jahresmeldungen erfolgt. Es stehe also außer Frage, dass das Fortbestehen des Beschäftigungsverhältnisses bekannt gewesen sei. Es habe daher auch keine Veranlassung bestanden, irgendetwas mitzuteilen. Für sie sei nicht erkennbar gewesen, dass die Berechnung falsch gewesen sei, weil der Beklagten alle Sachverhalte ordnungsgemäß gemeldet worden seien und mit der Bescheiderteilung zum 29.09.2014 nachweislich bekannt gewesen seien. Sie lebe derzeit im betreuten Wohnen und habe hierfür allein 1.500 € an Kosten zu zahlen, ohne Ausgaben für Verpflegung und Medikamente und Nebenkosten. Durch den Umzug seien alle Ersparnisse aufgebraucht. Es sei ihr daher auch finanziell nicht zumutbar, die Forderung zu bedienen.

Meldebescheinigungen zur Sozialversicherung liegen für die Zeit vom 01.10.2013 bis 31.12.2017 in den Akten der Beklagten vor.

Mit Bescheid vom 03.12.2018 hob die Beklagte den Bescheid vom 27.04.2018 auf, weil die Voraussetzungen des § 48 SGB X nicht gegeben seien.

Mit Schreiben vom 31.01.2019 hörte die Beklagte „aufgrund des Abhilfebescheides vom 03.12.2018“ erneut zur Absicht an, den Bescheid vom 08.07.2014 in Gestalt des Bescheides vom 29.09.2014 mit Wirkung ab 01.08.2014 nach § 45 SGB X sowie alle Mitteilungen zur Rentenanpassung zurückzunehmen und die Überzahlung für die Zeit vom 01.08.2014 bis 31.12.2017 in Höhe von 6.538,27 € zurückzufordern. Anhand der Erhöhung der Rente ab 01.08.2014 um 161,55 € und der Seite 2 des Bescheides vom 08.07.2014 hätte die Klägerin erkennen können bzw. müssen, dass es mit dem angenommenen Wegfall der geringfügigen Beschäftigung zu tun habe. Der Beklagten sei zu dem damaligen Zeitpunkt eine Beendigung der Beschäftigung angezeigt worden.

Hierauf hat die Bevollmächtigte der Klägerin Stellung genommen und moniert, dass auch in der erweiterten Anhörung nicht berücksichtigt worden sei, dass die Klägerin auf die Zahlung der Rente angewiesen sei.

Mit Bescheid vom 13.02.2019 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Rente ab dem 01.08.2014 neu berechnet werde. Die monatliche Rente betrage ab dem 01.03.2019 1.048,57 €, der monatliche Zahlbetrag nach Abzug der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung 934,29 €. Für die Zeit vom 01.08.2014 bis 28.02.2019 ergebe sich eine Überzahlung von 6.537,21 €, die von der Klägerin zu erstatten sei.
Zur Begründung führte die Beklagte aus, die Rente werde neu berechnet, weil eine Rentenanpassung durchzuführen gewesen sei und sich das mit der Rente zusammentreffende Einkommen geändert habe. Der Rentenbescheid vom 08.07.2014 in Gestalt des Bescheides vom 29.09.2014 werde hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab 01.08.2014 sowie alle Mitteilungen zur Rentenanpassung nach § 45 SGB X zurückgenommen. Die entstandene Überzahlung sei nach § 50 SGB X zu erstatten. Der Umstand, dass die Abmeldung storniert worden sei, führe zu keinem anderen Ergebnis, weil der Arbeitgeber die Entgeltmeldung zu der Versicherungsnummer der Klägerin absetze und nicht zur Hinterbliebenenrente. Die tatsächlichen Gegebenheiten seien nicht bekannt gewesen. Eine Verpflichtung zur Nachprüfung des Einkommens habe nicht bestanden. Gerade die Tatsache, dass keine Nachprüfung erfolgte, hätte die Klägerin tätig werden lassen müssen. Die Klägerin sei nach dem Gesetz verpflichtet, überzahlte Renten zurückzuerstatten, wenn die Überzahlung darauf beruhe, dass gesetzlich anrechenbares Einkommen erzielt worden sei. Hierbei sei dem Gedanken der Einkommens- beziehungsweise Unterhaltsersatzfunktion von Sozialleistungen Rechnung zu tragen. Einwände, dass Mitteilungspflichten nicht gelesen, die Rentenleistungen verbraucht wurden oder eine entsprechende Aufforderung zum Einkommensnachweis fehlte, könnten nicht gehört werden. Die Einwände der Klägerin und weitere, sich aus dem Akteninhalt ergebende Gründe, die der Rücknahme des Bescheides entgegenstehen könnten, seien bei der Prüfung der Voraussetzungen sowie bei Ausübung des Ermessens beachtet worden. Sie seien jedoch nicht geeignet, dass sich die Klägerin auf Vertrauen berufen könne, weil die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nummern 1-3 SGB X gegeben seien. Zum Beispiel hätte die Klägerin aufgrund der gegebenen Informationen zum Beispiel im Rentenbescheid die Fehlerhaftigkeit des Bescheides gekannt bzw. hätte diese erkennen können. Die der Beklagten bekannten Umstände seien auch nicht geeignet, im Wege des Ermessens von der Bescheiderteilung abzusehen. Unter Abwägung der Gründe, die „gegen“ und „für“ eine Bescheidrücknahme sprechen, komme man zu dem Ergebnis, dass die Gründe, die „für“ eine Bescheidrücknahme sprechen, so weit überwiegen, dass die Rücknahme gerechtfertigt erscheine.

Auf den Widerspruch der Klägerin erging unter dem 05.04.2019 ein weiterer Bescheid. Auch insoweit wird mitgeteilt, dass die große Witwenrente ab dem 01.08.2014 neu berechnet werde. Die Beklagte wies nunmehr den ab 01.05.2019 zu zahlenden Rentenbetrag aus und gab unter der Überschrift „Überzahlung“ an, dass sich für die Zeit vom 01.08.2014 bis 30.04.2019 eine Überzahlung von 3.268,28 € ergeben habe. Der überzahlte Betrag sei zu erstatten. Auf Seite 7 des Bescheides wird ausgeführt, dass dieser Bescheid aufgrund des Widerspruchs vom 18.02.2019 ergangen sei und dem Widerspruch damit teilweise abgeholfen worden sei. Der Bescheid werde Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.05.2019, der der Bevollmächtigten der Klägerin am 11.06.2019 zugestellt wurde, wies die Beklagte den Widerspruch, soweit ihm nicht durch Bescheid vom 05.04.2019 abgeholfen worden ist, zurück. Der Klägerin sei eine grobe Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen. Auf Vertrauen in den Bestand der Bescheide vom 08.07.2014 und 29.09.2014 sowie der Rentenanpassungsmitteilungen könne sie sich nicht berufen. Die anzustellenden Ermessenserwägungen führten zu keinem anderen Ergebnis. Das Verschulden der Beklagten sei angemessen berücksichtigt worden.

Hiergegen hat die Bevollmächtigte der Klägerin am 03.07.2019 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und unter Wiederholung und Vertiefung daran festgehalten, die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, die Bewilligung der Witwenrente teilweise aufzuheben und einen Betrag in Höhe von 3.268,28 € zurückzufordern. Sie hat ergänzend darauf hingewiesen, dass die Meldung einer (irrtümlichen) Unterbrechung der geringfügigen Beschäftigung mit der Meldung vom 21.08.2014 storniert worden sei. Ferner seien Jahresmeldungen erfolgt, aus denen sich ergebe, dass die Klägerin weiterhin geringfügig beschäftigt gewesen sei. Ein grob fahrlässiges Verhalten der Klägerin liege nicht vor.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat nochmals darauf hingewiesen, dass sie als Rentenversicherungsträger der Hinterbliebenenrente beklagt sei. Meldungen über eine Beschäftigungsaufnahme und Arbeitsentgelte im Rahmen jährlicher Meldungen zur Sozialversicherung seien daher nicht bei ihr eingegangen. Eine Verjährung sei nicht eingetreten. Der Klägerin hätte aufgrund einfachster Überlegungen bekannt sein müssen, dass mit der Aufnahme einer Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt sich das bisherige Einkommen, das bereits zur Kürzung der Witwenrente geführt habe, weiter erhöht und daher eine weitere Kürzung der Witwenrente erfolge. Den der Klägerin auferlegten Mitteilungspflichten sei diese gegenüber der Beklagten als Träger der Hinterbliebenenrente grob fahrlässig nicht nachgekommen. Daher könne sie sich auch nicht auf Vertrauen berufen. Der Umstand, dass der Arbeitgeber der Klägerin Entgeltmeldungen entsprechend sozialversicherungsrechtlicher Meldevorschriften gegenüber der Krankenkasse als Einzugsstelle abgegeben habe und Entgeltmeldungen dann an das eigene Versicherungskonto der Klägerin beim Rentenversicherungsträger weitergeleitet worden seien, habe die Klägerin nicht von ihrer Verpflichtung entbunden, den Hinzutritt von Arbeitsentgelt zum Versicherungskonto, aus dem Hinterbliebenenrente gezahlt werde, mitzuteilen.

Mit Urteil vom 28.07.2021 hat des SG die Klage abgewiesen. Die Aufhebung richte sich nach § 45 SGB X. Schon bei Erlass des Bescheides vom 08.07.2014 und der folgenden Bescheide hätte Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung angerechnet werden müssen. Der Klägerin habe vorliegend zumindest grob fahrlässig die Rechtswidrigkeit der Bescheide nicht gekannt und die (Weiter-)Beschäftigung grob fahrlässig nicht mitgeteilt. Insoweit enthalte sowohl der Bescheid vom 08.07.2014 als auch der Bescheid vom 29.09.2014 den Hinweis, dass die Witwenrente neu berechnet werden müsse wegen anzurechnendem Einkommen. Dem Bescheid könne in der Anlage 8 deutlich entnommen werden, dass das geringfügige Einkommen ab August 2018 nicht mehr berücksichtigt worden sei. Auch sei der Unterschied im Auszahlungsbetrag der Witwenrente zwischen der Berechnung im Bescheid vom 08.07.2014 mit 858,48 € und derjenigen im Bescheid vom 29.09.2014 mit 840,62 € ersichtlich gewesen. Insoweit hätte die Klägerin aufgrund einfachster Überlegungen auffallen müssen, dass die geringfügige Beschäftigung nicht mehr berücksichtigt worden sei. Dass derartige auch geringe Einnahmen Auswirkungen auf die Witwenrente hätten, sei der Klägerin bekannt gewesen. Bereits im Bescheid vom 08.07.2014 und vom 29.09.2014 sei sie darauf hingewiesen worden, dass sie jede Aufnahme einer Beschäftigung oder Tätigkeit melden müsse. Die entsprechende Formulierung sei eindeutig. Im Bewilligungsbescheid vom 20.10.2013 sei ihr zudem die Einkommensanrechnung mit der dadurch verbundenen Verminderung der Brutto-Witwenrente erläutert worden. Insofern hätte die Klägerin aufgrund einfachster Überlegungen bekannt sein müssen, dass bei Aufrechterhaltung der geringfügigen Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt das bisherige Einkommen in Form einer Altersrente, welches bereits zu einer Kürzung der Witwenrente führte, zu einer weiteren Kürzung führen musste. Die Meldungen des Arbeitgebers hätte die Klägerin nicht von ihren Mitteilungspflichten entbunden. Sie habe ihrer Mitteilungspflicht über die Höhe des von ihr erzielten Einkommens nicht durch die Jahresmeldung ihres Arbeitgebers (§ 10 DEÜV) Genüge getan. Es existiere zudem keine Verpflichtung zwischen dem Versicherungskonto der Klägerin und dem Versicherungskonto des Verstorbenen, aus dem die Witwenrente gezahlt werde, eine Datenverknüpfung herzustellen. Es sei zudem kein Ermessensfehlgebrauch zu erkennen.

Gegen das der Klägerin am 02.08.2021 zugestellte Urteil hat diese am selben Tag Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Sie hält daran fest, dass ihr ein grob fahrlässiges Verhalten nicht vorgeworfen werden könne. Mit dem subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff habe sich das SG nicht auseinandergesetzt. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Begünstigte, der richtige Angaben gemacht habe, sich nicht im Detail mit dem Bescheid auseinandersetzen müsse. Selbstverständlich habe die Klägerin den Bescheid gelesen und sei von dessen Richtigkeit ausgegangen, zumal sie alle Angaben gemacht habe und die Sozialversicherungsmeldungen vorgelegt worden seien.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. Juli 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2019 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheides vom 5.April 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juni 2019 aufzuheben, soweit für die Zeit vom 1. August 2014 bis zum 30. April 2019 eine Rücknahme und Erstattung von 3268,28 € verfügt worden ist.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält an ihrer Rechtsauffassung fest und führt aus, die Klägerin sei verpflichtet, den Bescheid „Seite für Seite“ zu lesen. Dann hätte ihr auffallen müssen, dass das Einkommen aus Nebentätigkeit nicht berücksichtigt worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung der Klägerin ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Die Beklagte hat die Rentenbewilligung zu Unrecht teilweise aufgehoben und Leistungen von der Klägerin zurückgefordert.

Gegenstand des Rechtsstreits ist im Rahmen der zulässigen Anfechtungsklage die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 13.02.2019 in Gestalt des Bescheides vom 05.04.2019 und des Widerspruchsbescheides vom 29.05.2019, mit denen die Beklagte die bewilligte Rente teilweise für die Zeit ab 01.08.2014 aufhob und die zu Unrecht gewährten Leistungen zurückforderte bzw. den Rückforderungsbetrag mit dem Bescheid vom 05.04.2019 von vormals 6.537,21 € auf 3.268,28 € reduzierte. Rechtsgrundlage für die Rücknahmeentscheidung und für das Erstattungsverlangen der Beklagten in den genannten Entscheidungen sind § 45 SGB X und § 50 Abs. 1 SGB X. § 48 SGB X, der eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen voraussetzt, greift hier nicht ein, weil die Klägerin die geringfügige Beschäftigung weiterhin und ununterbrochen ausgeübt hat und eine Veränderung in den bereits mitgeteilten und berücksichtigten Einkommensverhältnissen nicht eingetreten war (vgl. Bescheid vom 19.11.2013).

Der Bescheid vom 13.02.2019 ist formell rechtmäßig. Die Klägerin ist insbesondere mit dem Schreiben vom 31.01.2019 ordnungsgemäß unter Beachtung des § 24 Abs. 1 SGB X zu der beabsichtigten Rücknahme der Rentenbescheide vom 08.07.2014 in Gestalt des Bescheides vom 29.09.2014 und der nachfolgenden Rentenanpassungsmitteilungen angehört worden.

§ 45 Abs. 1 SGB X regelt, dass ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist und auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden darf.

Zutreffend sind die Beklagte und das SG von der (teilweisen) Rechtswidrigkeit der Witwenren-tenbescheide vom 08.07.2014 und 29.09.2014 hinsichtlich der Rentenhöhe zum Zeitpunkt des Erlasses ausgegangen (zur Maßgeblichkeit dieses Zeitpunktes vgl. BSG, Urteil vom 01.06.2006 - B 7a AL 76/05 R -, SozR 4-4300 § 122 Nr. 4, BSGE 96, 285-291, SozR 4-1300 § 45 Nr. 2). Denn bei der Festsetzung der Höhe der großen Witwenrente der Klägerin nach § 46 Abs. 2 SGB VI ist – wie zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig ist – im Rahmen der Einkommensanrechnung nach § 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 SGB VI i.V.m. §§ 18a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 18a Abs. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) das Erwerbseinkommen aus der geringfügigen Beschäftigung der Klägerin nicht berücksichtigt worden. Dieses Erwerbseinkommen überstieg – wie sich der Anlage „Ermittlung des anzurechnenden Einkommens“ zum Bescheid vom 13.02.2019 entnehmen lässt – zusammen mit der Altersrente der Klägerin die jeweiligen Freibeträge.
Dabei sind gemäß § 18a Abs. 1 Ziffern 1 und 2 SGB IV u.a. Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen als Einkommen bei Renten wegen Todes zu berücksichtigen. Erwerbseinkommen ist gem. § 18a Abs. 2 SGB IV u.a. Arbeitsentgelt (hier: Entgelt aus geringfügiger Beschäftigung), Erwerbsersatzeinkommen sind u.a. Renten der Rentenversicherung wegen Alters (§ 18a Abs. 3 Ziffer 2 SGB IV, hier also die Altersrente der Klägerin). Maßgebend ist das für denselben Zeitraum erzielte monatliche Einkommen (§ 18b Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Mehrere zu berücksichtigende Einkommen sind zusammenzurechnen (§ 18b Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Bei Erwerbseinkommen gilt als monatliches Einkommen im Sinne von Abs. 1 Satz 1 das im letzten Kalenderjahr aus diesen Einkommensarten erzielte Einkommen, geteilt durch die Zahl der Kalendermonate, in denen es erzielt wurde (§ 18 b Abs. 2 Satz 1 SGB IV), bei Erwerbsersatzeinkommen nach § 18a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 bis 10 SGB IV (hier: Altersrente) gilt als monatliches Einkommen das laufende Einkommen (§ 18b Abs. 4 SGB IV).
Die Nichtanrechnung des Erwerbseinkommens auf den Anspruch auf Witwenrente mit Wirkung ab 01.08.2014 war als für die Klägerin begünstigende Regelung damit rechtswidrig.

Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X) oder der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit liegt nach dem Gesetz vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Ziff. 3 SGB X).

Unter Berücksichtigung dieser gesetzlichen Vorgaben kann der Klägerin ein den Vertrauensschutz ausschließendes Verhalten nicht vorgeworfen werden.

Der Vorwurf, dass die Klägerin den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, wird von der Beklagten nicht erhoben. Die verarbeitete Änderung beruhte auf einer unrichtigen Mitteilung des Arbeitgebers über eine Beendigung der geringfügigen Beschäftigung zum 31.07.2014, nicht von der Klägerin selbst. Die Beklagte hat auch nicht geltend gemacht, dass diese auf Betreiben der Klägerin erfolgt sein könnte, zumal alsbald eine Stornierung der Beendigungsmitteilung erfolgt ist. Beides ist im Übrigen im Meldeverfahren zur Sozialversicherung und – wie sich Blatt 26 der Akten entnehmen lässt – zur Versicherungsnummer der Klägerin erfolgt. Insoweit sind die Einlassungen der Beklagten – etwa im Bescheid vom 13.02.2019 –, dass die Entgeltmeldungen zur Versicherungsnummer der Klägerin erfolgten und deshalb hier nicht bekannt gewesen seien, nicht plausibel, denn die Änderungsmitteilung zum 01.08.2014 war ihr doch tatsächlich bekannt geworden, ohne dass Meldungen der Klägerin oder ihres Arbeitgebers zum Witwenrentenkonto erfolgten. Insoweit bleibt unbeantwortet, inwieweit die Beklagte doch Abgleiche vornimmt.

Der Klägerin kann indes auch keine Verletzung von Mitteilungspflichten (Nr. 2 des § 45 Abs. 2 SGB X) vorgeworfen werden. Die Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung hatte sie angezeigt und diese ist in dem Rentenbescheid vom 19.11.2013 den gesetzlichen Vorgaben entsprechend ab 01.10.2013 berücksichtigt worden. In Unkenntnis der Abmeldung konnte sie auch nicht verpflichtet sein, eine „Weiterbeschäftigung“ mitzuteilen.

Auch die Voraussetzungen der Nr. 3 des § 45 Abs. 2 SGB X liegen hier nicht vor, denn eine Sorgfaltspflichtverletzung, die die Zurücknahme der Rentenbewilligung rechtfertigen könnte, vermag der Senat hier nicht festzustellen.

Eine Sorgfaltspflichtverletzung in besonders schwerem Maße liegt vor, wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und wenn daher nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss; dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen. Es gilt insoweit ein subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff (st. Rspr., vgl. BSG, Urteil vom 13.12.1972 - 7 RKg 9/69 -, juris). Bezugspunkt für das grobfahrlässige Nichtwissen ist schon nach dem Wortlaut des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes – also das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung durch die Behörde. Allerdings können „Fehler im Bereich der Tatsachenermittlung oder im Bereich der Rechtsanwendung“, auch wenn sie nicht Bezugspunkt des grobfahrlässigen Nichtwissens sind, Anhaltspunkt für den Begünstigten sein, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes selbst zu erkennen. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid oder anderen Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne weiteres erkennbar sind. Das bemisst sich zunächst nach den Sorgfaltsanforderungen, die dem Begünstigten eines – möglicherweise rechtswidrigen – Verwaltungsakts nach seiner Pflichtenstellung im Sozialrechtsverhältnis (Kennenmüssen) bei dessen Überprüfung gestellt sind. Insoweit besteht zunächst im Allgemeinen kein Anlass, einen Verwaltungsakt jedenfalls des Näheren auf Richtigkeit zu überprüfen, wenn im Verwaltungsverfahren zutreffende Angaben gemacht worden sind zutreffend. Andernfalls würde das Risiko der rechtmäßigen Umsetzung der korrekten Angaben des Begünstigten in einer von § 45 nicht vorgegebenen Weise von der Behörde auf diesen übergewälzt (vgl. BSG, Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 21/00 R -, SozR 3-1300 § 45 Nr 45, Rn. 25). Eine Rechtspflicht, den erlassenen Verwaltungsakt umfassend auf Richtigkeit zu überprüfen, besteht deshalb nicht. Andererseits sind die Beteiligten im Sozialrechtsverhältnis verpflichtet, „sich gegenseitig vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren“ (st. Rspr., vgl. etwa BSG, Urteil vom 08.02. 2001 - B 11 AL 21/00 R, a.a.O.). Dementsprechend ist der Verwaltungsaktadressat rechtlich gehalten, einen ihm günstigen Bewilligungsbescheid auch zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Danach ist die Unkenntnis grob fahrlässig im Sinne von Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, wenn der Adressat, hätte er den Bewilligungsbescheid gelesen und zur Kenntnis genommen, auf Grund einfachster und naheliegender Überlegungen sicher hätte erkennen können, dass der zuerkannte Anspruch nicht oder jedenfalls so nicht besteht. Davon ist bei Fehlern auszugehen, die sich erstens aus dem begünstigenden Verwaltungsakt selbst oder anderen Umständen ergeben und zweitens für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne Weiteres erkennbar sind (vgl. zu vorstehendem Schütze/Schütze, 9. Aufl. 2020, SGB X § 45 Rn. 67, 68, m.w.N.).

Insoweit stellt der Senat zunächst fest, dass die Beklagte das Ergebnis ihrer Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung in den Bescheiden nicht dargelegt hat.

Weder der Bescheid vom 08.07.2014 noch der Bescheid vom 29.09.2014, die beide die Rentenbewilligung mit Wirkung ab 01.08.2014 bzw. ab 01.07.2014 regeln, begründen die vorgenommene Neuberechnung nicht ausdrücklich damit, dass Einkommen aus der geringfügigen Beschäftigung wegen deren Aufgabe nicht mehr erzielt wird. Im Bescheid vom 08.07.2014 wird auf Seite 2 „Die Rente wird neu berechnet, weil …“ allein angegeben, dass „sich das mit der Rente zusammentreffende Einkommen geändert“ habe. In der Anlage 1 wird unter Verweis auf eine Anlage 8 für die Zeit ab 01.08.2014 ein anzurechnendes Einkommen von 153,43 € ausgewiesen und dort – ebenfalls bei der Berechnung für die Zeit ab 01.08.2014 ausgeführt, dass das zu berücksichtigende Einkommen „wegen einer Änderung in den Bezügen“ neu festzustellen gewesen sei. Es folgt dann eine Darstellung des bisher berücksichtigten Einkommens (1.588,87 €) und die Berechnung des zu berücksichtigenden Einkommens aus der Versichertenrente und des anzurechnenden Einkommens, das mit 153,43 € festgestellt bzw. errechnet wurde. Der Bescheid vom 29.09.2014 enthält über die o.g. Begründung („weil sich das mit der Rente zusammentreffende Einkommen geändert hat“) hinaus noch die weitere Begründung, dass der Betrag der Monatsrente neu zu ermitteln und die Rentenanpassung 2014 gemäß § 48 SGB X aufzuheben war, weil der Klägerin ein höherer Anspruch auf Versichertenrente aufgrund der sogenannten Mütterrente zustehe. Die Erhöhung sei teilweise ab 01.07.2014 auf die Hinterbliebenenrente anzurechnen und führe zu einer geringeren Hinterbliebenenrente. Keiner der beiden Bescheide gibt wieder, dass die Rente unter Berücksichtigung einer nach Kenntnis der Beklagten nicht mehr ausgeübten Beschäftigung neu zu berechnen und dass die geringfügige Beschäftigung deshalb nicht mehr anzurechnen war. Damit war der Klägerin der maßgebliche Umstand der Rentenneuberechnung, die Nichtanrechnung von Erwerbseinkommen aus der geringfügigen Beschäftigung, weil diese nicht mehr ausgeübt werde, nicht mitgeteilt worden und damit nicht bekannt. Damit ist der Klägerin auch nicht erläutert worden, weshalb es zu einer Neuberechnung ohne Anrechnung des Einkommens aus geringfügiger Beschäftigung gekommen ist. Die Ausführungen in diesen Bescheiden, „weil sich das mit der Rente zusammentreffende Einkommen geändert hat“, gibt der Klägerin keinen Anlass, die in der Anlage 1 und Anlage 8 vorgenommene und dargestellte Berechnung in Bezug auf das Fehlen eines Einkommens aus geringfügiger Beschäftigung zu hinterfragen, denn ihr wird die Änderung, die nicht in einer tatsächlichen Fehlbewertung der Beklagten, sondern auch in einer rechtlichen Neubewertung liegen könnte, nicht erläutert. Dabei ist festzuhalten, dass der Beklagte die Neuberechnung nicht aufgrund einer (unzutreffenden) Mitteilung der Klägerin vorgenommen hat, sondern über das übliche Meldeverfahren, in dem die Beendigung fälschlicherweise zum 31.07.2014 angegeben war, was wenig später aber storniert wurde. Die Klägerin musste daher nicht damit rechnen, dass die Beklagte dieses Einkommen aus tatsächlich wie rechtlich unzutreffenden Gründen nicht mehr in die Berechnung einstellt. Weshalb die Meldebescheinigung zur Sozialversicherung, die offensichtlich zum Versicherungskonto der Klägerin erfolgte (und nicht zum Witwenrentenkonto), überhaupt von der Beklagten verarbeitet werden konnte, bleibt insoweit offen. Denn die Beklagte macht geltend, ein Datenabgleich finde nicht statt, weshalb von der geringfügigen Beschäftigung über den 31.072014 hinaus (zu der die erforderlichen Meldungen ebenfalls regelmäßig erfolgten) keine Kenntnis bestanden habe. Die Beendigung ist ihr dann aber doch bekannt geworden. Allein dieser Umstand hätte erfordert, der Klägerin im Bescheid zu erläutern, aufgrund welcher geänderter Tatsachen eine Neuberechnung zu erfolgen hatte. Denn dann wäre auch zu erwarten gewesen, dass die Klägerin den Bescheid hierauf durchsieht, um festzustellen, dass das Einkommen aus Erwerbstätigkeit in der Anlage 8 tatsächlich nicht mehr entgegen der früheren Praxis berücksichtigt ist und Grund hierfür die unzutreffende Annahme eines beendeten Beschäftigungsverhältnisses ist. Unterlässt die Beklagte dies, kann sie sich nicht auf eine gesteigerte Prüfpflicht berufen.

Die Klägerin war aufgrund der unzureichenden Begründung nicht vorwerfbar gehalten, den Bescheid „Seite für Seite“ zu lesen, wie die Beklagte meint. Sie hat zutreffende Angaben gemacht und ihr wurden Umstände nicht mitgeteilt, die sie in die Lage hätten versetzen können, den Bescheid hierauf zu prüfen. Vielmehr mutet die Beklagte aufgrund der nur rudimentären Begründung dem Leser zu, sich die Begründung der Entscheidung ausgehend von dem Postulat „Ihre Rente wird neu berechnet, weil sich das auf die Rente anzurechnende Einkommen geändert hat“ (siehe Bescheid vom 08.07.2014) quasi selbst zu erarbeiten, indem er Seite für Seite, Anlage um Anlage danach forscht, wo sich Abweichungen zu der letzten Bewilligung finden. Dabei soll er sich auch Gedanken dazu machen, ob ein geänderter Umstand nun auf einem Versehen der Beklagten oder aufgrund einer geänderten oder gar unzutreffenden Anwendung der rechtlichen Grundlagen erfolgte. Das Unterlassen kann angesichts des regelmäßigen Bescheidumfanges jedenfalls in der vorliegenden Konstellation kein über einfache Fahrlässigkeit hinausgehendes Fehlverhalten begründen. Unter Berücksichtigung der vorgemachten Ausführungen hätte die Klägerin nicht sicher erkennen können, dass der zuerkannte Anspruch nicht in der bewilligten Höhe bestand. Es besteht auch kein Anhalt dafür, dass die Klägerin aufgrund eigener Kenntnisse der Zusammenhänge davon ausgegangen ist oder ausgehen musste, der Anspruch habe ihr in dieser Höhe nicht zugestanden.

Dass die Klägerin im Übrigen keine Kenntnis von der Abmeldung hatte, entnimmt der Senat der Meldebescheinigung zur Sozialversicherung, die offensichtlich handschriftlich von der Klägerin unter Hinzufügung der Versicherungsnummer „Witwenrente“ und dem Zusatz „seit dem 01.01.2018 bin ich nicht mehr beschäftigt“ am 27.03.2018 zu den Akten gelangt ist (vgl. Bl. 12 der Akten).

Eine andere Sichtweise lässt sich auch nicht aus den Zahlbeträgen ableiten. Der Senat stellt insoweit auf die der Klägerin gewährten Zahlbeträge ab, die ja die Anrechnung von Einkommen bereits berücksichtigen. Waren der Klägerin noch mit Bescheid vom 19.11.2013 insgesamt 844,37 gezahlt worden, erhöhte sich der Zahlbetrag der Rente mit dem Bescheid vom 08.07.2014 auf 858,48 €. Der Senat vermag angesichts eines nur 14 € höheren Zahlbetrages keine gesteigerte Nachprüfungspflicht erkennen. Jedenfalls lässt sich hieraus für einen rechtlichen Laien noch nicht einmal ein hinreichender Verdacht begründen, es könnte Einkommen in Höhe von 450 € nicht mehr berücksichtigt worden sein. Ein Sorgfaltspflichtverstoß im Sinne einer groben Missachtung dessen, was jedem einleuchten muss, lässt sich ebenfalls nicht begründen. Anderes lässt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Bescheides vom 14.05.2014 begründen, der zwar einen geringeren Zahlbetrag aufwies (696,93 €) und die Rentenbewilligung ab 01.07.2014 änderte, aber keine Wirkung entfaltete, nachdem mit den nachfolgenden Bescheiden die Bewilligung ab 01.07.2014 in der oben beschriebenen Art und Weise geändert wurde. Auch insoweit ergeben sich für ein Erkennenmüssen der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 08.07.2014 und vom 29.09.2014 – wie ausgeführt – keine Weiterungen dahingehend, dass aus der mit Bescheid vom 08.07.2014 gewährten höheren Leistung, die nur unwesentlich höher lag, als mit Bescheid vom 19.11.2013 bewilligt, auf eine unzutreffende Behandlung der Sache durch den Beklagten geschlossen werden musste. Denn auch hier ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte auch im Verhältnis zu diesem Bescheid zur Begründung allein auf eine „Änderung“ des auf die Rente anzurechnenden Einkommens abgestellt hat, ohne explizit zu begründen, dass und warum sie Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung nicht mehr angerechnet hat. Auf die obigen Ausführungen kann daher verwiesen werden.

Soweit die Beklagte auch auf die Rentenanpassungsmitteilungen abstellt, ergibt sich insoweit nichts Anderes. Denn auch in diesen wird der Grund einer fehlenden Berücksichtigung von Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung nicht genannt.

Die von der Beklagten im Berufungsverfahren angeführten Urteile betreffen nicht die vorliegende Fallgestaltung. Dort handelte es zunächst um die Nichtberücksichtigung von Erwerbseinkommen neben Erwerbsersatzeinkommen bei der erstmaligen Feststellung der Witwenrente (Hessisches LSG, Urteil vom 18.05.2021 - 2 R 39/18 -). Der Fall hier unterscheidet sich von diesem maßgeblich dadurch, dass die Beklagte das hier angegebene Erwerbseinkommen zunächst auch regelkonform bei der Höhe der gewährten Witwenrente berücksichtigte, dann aber ohne Kenntnis der Versicherten Änderungen bei der Anrechnung vornahm, ohne diese hierüber ausreichend zu informieren. Aus diesem Grund bewertet der Senat die grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit auch anders als in dem vom Beklagten angeführten Urteil des Bayerischen LSG vom 31.03.2016 - L 19 R 542/15 -), dem ebenfalls keine vergleichbare Sachverhaltskonstellation zugrunde lag. Die Entscheidungen sind für die Frage des Vorliegens eines grob fahrlässigen Verhaltens nicht übertragbar.

Die Klägerin durfte damit auf die ausgesprochene Bewilligung vertrauen. Dieses Vertrauen ist auch schutzwürdig. Denn nach dem bereits mit der Anhörung vorgetragenen Umständen hat die Klägerin die Leistungen verbraucht, was angesichts der Aufwendungen für ein betreutes Wohnen, in dem sich die Klägerin bereits zu diesem Zeitpunkt befand, und der dadurch entstehenden Kosten von damals 1.500 € monatlich zuzüglich Nebenkosten, Verpflegung und Ausgaben für Medikamente keinen begründeten Zweifeln unterliegt. Gleiches gilt, soweit sie geltend gemacht hat, ihre Ersparnisse seien durch den Umzug in das betreute Wohnen aufgebraucht worden.

Die wegen der Nichtanrechnung des Einkommens aus geringfügiger Beschäftigung erfolgte Aufhebung der Rentenbewilligung ist daher rechtswidrig und war insoweit aufzuheben. Die Beklagte ist daher auch nicht berechtigt, eine hierauf beruhende Überzahlung von der Klägerin zurückzufordern.

Nachdem der Bescheid vom 13.02.2019 auch Regelungen in Bezug auf den – hier nicht streitigen – Anspruch der Klägerin ab 01.03.2019 enthält, war der Bescheid nur bezogen auf die Zurücknahme und Erstattung aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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