L 9 AS 2972/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 AS 3050/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 2972/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Ein Überprüfungsbescheid nach § 44 Abs. 1 SGB X wird nicht nach § 96 SGG Gegenstand des den Ausgangsbescheid betreffenden Verfahrens.
2. Laktose- bzw. Fruktoseintoleranz begründen grundsätzlich keinen Mehrbedarf i.S. § 21 Abs. 5 SGB II.
3. Kosten für Gesundheitspflege für medizinisch notwendige, aber nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse abgedeckte Präparate begründen grundsätzlichen keinen unabweisbaren Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II. Der Anspruch auf Existenzsicherung wird auch insoweit in erster Linie durch die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung abgedeckt.

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21. August 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 01.11.2017 bis zum 30.04.2018 streitig.

Der bereits vor dem hier streitigen Bewilligungszeitraum langjährig bei dem Beklagten im Leistungsbezug stehende Kläger begehrte bereits in der Vergangenheit Mehrbedarfe wegen kostenaufwändiger Ernährung sowie wegen eines besonderen Bedarfs für Pflege- und Hygienemittel. In diesem Zusammenhang sind in Bezug auf den Kläger diverse ärztliche Unterlagen aktenkundig. So beschrieben die F1, S1 und M1 in ihrer Bescheinigung vom 29.09.2005 eine ausgeprägte Laktoseintoleranz. H1 vom Landratsamt – Gesundheit und Versorgung –C1 berichtete in der Empfehlung vom 04.03.2010 von einem fachärztlich bestätigten Waschzwang. K1, Ärztlicher Direktor der F2 Klinik D1, führte in der in dem zwischen den Beteiligten vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) geführten Verfahren S 4 AS 5063/11 erstellten sachverständigen Zeugenauskunft vom 12.09.2012 die Diagnosen Zwangsgedanken und -handlungen gemischt, rezidivierende depressive Störung, generalisierte Angststörung und narzisstische Persönlichkeitsstruktur auf. S2 führte in ihrem Befundbericht vom 23.04.2014 aus, der humangenetische Befund spreche für das Vorliegen einer genetischen Prädisposition zur Laktoseintoleranz. K2 und B1 erläuterten in ihrer Bescheinigung vom 26.05.2014, mittels einer Blutanalyse sei ein primärer Laktasemangel festgestellt worden, wodurch es zu einer Laktoseintoleranz komme. M2 diagnostizierte in seinen Befundberichten vom 05.06.2014 und 12.11.2015 Zwangsgedanken und -handlungen gemischt sowie eine posttraumatische Belastungsstörung. Schließlich führte S3 in ihrem für das SG Karlsruhe in dem zwischen den Beteiligten geführten Verfahren S 4 AS 652/14 erstellten Gutachten vom 30.12.2014 aus, der Kläger leide nach der Aktenlage an einem durch eine Blutanalyse festgestellten primären Laktasemangel. Aufgrund der Aktenlage sei davon auszugehen, dass ein chronischer Laktasemangel vorliege, der lebenslang mit einer Unverträglichkeit von milchzuckerhaltigen Lebensmitteln einhergehe. In den Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften werde allerdings der H2-Atemgastest zur Diagnose der Laktoseintoleranz empfohlen. Verständlich sei, dass der Kläger die möglicherweise unangenehmen Wirkungen dieses Tests ablehne. Zusammenfassend sei es aus gesundheitlichen Gründen sinnvoll, die zusätzlichen Kosten für eine laktosefreie Ernährung zu gewähren. Eine Kost mit normalen Milchprodukten könne bei Laktoseintoleranz langfristig zu gastrointestinalen Beschwerden führen. Das komplette Auslassen von Milch und Joghurt erhöhe außerdem das Osteoporoserisiko, da Milchprodukte wichtige Kalziumlieferanten seien. Der Preisvergleich zwischen normalen Milchprodukten und laktosefreien Ersatzprodukten sei auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstatistik vorgenommen worden, wobei auch die Teuerungsrate berücksichtigt worden sei. Wenn eine Kost nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung verzehrt werde, lägen die zusätzlichen Kosten bei rund 3,30 € monatlich, wenn die üblichen Milchprodukte aus dem unteren Preissegment durch laktosefreie Milchprodukte aus dem Discounter ersetzt würden und zusätzlich ein Viertel der täglichen Calciumaufnahme durch Tabletten erfolge.

Zudem ist das von dem Beklagten bei W1 eingeholte Gutachten vom 16.02.2017 aktenkundig. Der Kläger gab während der gutachterlichen Untersuchung an, sein Tagesablauf sei von Zwangshandlungen des ausgiebigen Waschens und Reinigens, vor allem nach dem Toilettengang, dem Essen und bei Stress, bestimmt. Anschließend müsse er sich um die Pflege der Haut kümmern, was ebenfalls Zeit beanspruche. Er benötige verschiedenste Seifen, Duschbäder, Waschmittel, desinfizierende Substanzen und rückfettende Pflegemittel und -kuren, auch für die Hände, teils aus der Apotheke, wobei er versuche, zu variieren und sparsam hauszuhalten. Zusätzlich bestehe ein primärer Laktasemangel. Er müsse sich streng laktosefrei ernähren. Dies sei schwierig einzuhalten, da er keine sojabasierten Produkte vertrage und aufgrund der Medikation mit Moclobemid keine tyraminhaltigen Nahrungsmittel zu sich nehmen dürfe. Er müsse teils teurere Produkte einkaufen und habe deshalb häufig Probleme, mit seinem Budget auszukommen. W1 führte die Diagnosen Zwangsgedanken und -handlungen gemischt sowie gegenwärtige leichte rezidivierende depressive Störung auf und gelangte zu der Einschätzung, es bestehe ein halbschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten.

Mit Weiterbewilligungsantrag vom 31.08.2017 beantragte der Kläger die Weiterbewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II einschließlich Mehrbedarfen für kostenaufwändige Ernährung und für Hautpflege- und Hygienebedarfe. Zudem beantragte er mit Schreiben vom 30.10.2017 die Übernahme einer Nebenkostennachforderung in Höhe von 63,23 Euro.

Mit Bescheid vom 03.11.2017 bewilligte ihm der Beklagte vorläufig Leistungen für die Zeit vom 01.11.2017 bis zum 30.04.2018 in Höhe von insgesamt 912,30 Euro (Regelbedarf in Höhe von 409,00 Euro; Kosten für Unterkunft und Heizung <KdU> in Höhe von 500,00 Euro <Grundmiete in Höhe von 360,00 Euro, Heizkosten in Höhe von 70,00 Euro und Nebenkosten in Höhe von 70,00 Euro>; Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von 3,30 Euro).

Hiergegen erhob der Kläger am 17.11.2017 Widerspruch.

Mit Änderungsbescheid vom 25.11.2017 bewilligte der Beklagte dem Kläger wegen der Regelbedarfserhöhung zum 01.01.2018 für die Zeit vom 01.01.2018 bis zum 30.04.2018 monatlich weitere Regelleistungen in Höhe von 7,00 Euro, insgesamt nunmehr monatlich 919,30 Euro. Die Bewilligung erfolgte weiterhin vorläufig. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 12.12.2017 erhöhte der Beklagte „in Umsetzung des Beschlusses des SG Karlsruhe vom 23.11.2017 (S 10 AS 3712/17)“ die Bedarfe für Heiz- und Nebenkosten um jeweils 25,00 Euro und bewilligte für die Zeit vom 01.11.2017 bis 31.12.2017 monatlich vorläufige Grundsicherungsleistungen in Höhe von insgesamt 962,30 Euro und für die Zeit vom 01.01.2018 bis 30.04.2018 von 969,30 Euro.

Mit Schreiben vom 28.12.2017 erhob der Kläger gegen die Änderungsbescheide vom 25.11.2017 und vom 12.12.2017 Widerspruch und verwies zur Begründung auf seine Widerspruchsbegründung vom 17.11.2017 und vom 30.11.2017.

Mit Bescheid vom 23.08.2018 setzte der Beklagte die Leistungen für die Zeit vom 01.11.2017 bis zum 30.04.2018 endgültig für November 2017 unter Berücksichtigung einer Nebenkostennachforderung in Höhe von 63,23 Euro auf 1025,53 Euro, für Dezember 2017 auf 962,30 Euro, für Januar bis April 2018 auf monatlich 969,30 Euro fest.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.08.2018 wies der Beklagte den Widerspruch vom 17.11.2017 zurück. Da die Laktoseintoleranz keine spezielle Diät erfordere, habe der Kläger keinen Anspruch auf einen über den bereits gewährten Mehrbedarf von 3,30 Euro hinausgehenden Mehrbedarf. Zudem habe er einen krankheitsbedingten besonderen Bedarf für Hygiene und Pflegeprodukte nicht nachgewiesen. Ebenso wenig habe er Anspruch auf höhere KdU, nachdem der Beklagte mit Bescheid vom 23.08.2018 für November 2017 die Nachzahlung aus der Nebenkostenabrechnung vom 26.10.2017 im Umfang von 63,23 Euro als Bedarf berücksichtigt habe.

Deswegen hat der Kläger am 26.09.2018 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und sinngemäß vorgetragen, er benötige wegen der Laktose- und Fruktoseintoleranz und einer fachärztlich bescheinigten Notwendigkeit einer sorbit- und ballaststofffreien Ernährung einen ernährungsbedingten Mehrbedarf. Für den Zeitraum von Januar 2014 bis Juni 2017 müsse er aufgrund der Einnahme des Medikaments Moclobemid tyramin- und histaminhaltige Lebensmittel meiden. Auch habe er wegen einer Zwangserkrankung einen besonderen Bedarf für Reinigungs- und Körperpflegemittel. Die Höhe des begehrten Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung hat er mit monatlich 70,00 Euro, teilweise mit „mehr als 144,86 Euro“ und für die Hautpflegeprodukte mit monatlich „70 bis 80 Euro“ beziffert. Weiter hat er vorgetragen, der Beklagte müsse seine tatsächlichen Unterkunfts- und Heizkosten übernehmen, weil dieser nicht über ein sog. schlüssiges Konzept verfüge. Auch hätte der Beklagte die Nebenkostennachforderung vom 26.10.2017, deren Übernahme er am 30.10.2017 beantragt habe, dem Bedarfsmonat Oktober 2017 zurechnen müssen. Das Gericht möge auch die Rechtmäßigkeit des Vorläufigkeitsvermerks prüfen. Weiter hat er sinngemäß ausgeführt, er halte die Höhe der Regelbedarfe für verfassungswidrig. Zur weiteren Begründung hat der Kläger seiner Klage das undatierte Attest des R1 beigefügt, wonach er eine fruktosefreie Diät ohne Sorbit und Ballaststoffe benötige sowie die Bundesrats-Drucksache 712/16 vom 16.12.2016. Darüber hinaus hat er Belege der E1 Apotheke, M3, über Einkäufe in der Zeit vom 01.01.2016 bis 31.12.2016, vom 01.01.2017 bis zum 31.12.2017 und vom 01.01.2018 bis 31.12.2018 vorgelegt sowie diverse Kassenbelege der B2-Apotheke, B3. Zudem hat er den Laborbericht der S2, V1, vom 23.04.2014 vorgelegt.  

Das SG hat die in dem Rechtsstreit S 10 AS 3008/18 eingeholte sachverständige Zeugenaussage des H2 und die in dem Rechtsstreit S 10 AS 3094/18 eingeholte sachverständige Zeugenaussage des R1 beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. R1 hat unter dem 18.02.2019 angegeben, der Kläger leide unter einer Fruktoseintoleranz. Er müsse fruktosereiche Lebensmittel meiden, weshalb zum Ausgleich des Vitaminbedarfs eine kostenaufwändigere Ernährung erforderlich sei, wobei er über die Höhe der Kosten keine Angaben machen könne. Ein erhöhter Bedarf an Körperpflegeprodukten liege nach seiner Einschätzung nicht vor. H2 hat in der am 13.03.2019 beim SG eingegangenen sachverständigen Zeugenauskunft angegeben, er habe beim Kläger eine Pilzinfektion der Haut diagnostiziert. Hautpflegeprodukte habe er nicht verordnet. Zudem hat das SG die weiteren in dem Rechtsstreit S 10 AS 3094/18 eingeholten Befundunterlagen (Befundberichte des S1 vom 13.02.2019 und vom 14.10.2005) beigezogen und zum Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits gemacht.

Der Beklagte ist der Klage unter Vorlage einer sozialmedizinischen Stellungnahme des Sozialmediziners P1 vom 16.05.2019 entgegengetreten. Zwar könne ausweislich des Befundberichts des S1 vom 14.10.2005 von einer gesicherten Laktoseintoleranz ausgegangen werden, die nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe vom 10.12.2014 keine spezielle Diät erfordere. Vielmehr werde Vollkost mit einer auf das Beschwerdebild angepassten Ernährung empfohlen, nämlich das Vermeiden von Nahrungsmitteln, die nicht vertragen werden. Die Deckung des Kalziumbedarfs sei insbesondere durch den Verzehr von Milchprodukten möglich, die von Natur aus geringe Mengen an Laktose enthielten, wie reifer Käse. Eine kostenaufwändigere Ernährung sei damit in der Regel nicht erforderlich. Bei den vom Kläger eingereichten Apothekenrechnungen handele es sich im Wesentlichen um Nahrungsergänzungsmittel, Glukosepräparate, Desinfektionsprodukte, einige wenige homöopathische Arzneimittel und variierende Körperpflegeprodukte. Keines dieser Produkte sei nach ärztlichem Rezept bestellt worden und keines dieser Produkte entspreche den Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung.

Hinsichtlich der angegebenen Fruktoseintoleranz hat der Beklagte unter Berufung auf eine Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes ausgeführt, ausweislich des vorgelegten Laborberichts sei für die Fruktosetestung wohl nach Aufnahme einer definierten Menge Fruktose die Konzentration der Fruktose nach vorgegebenen Zeitintervallen im Blut gemessen worden. Der Gültigkeit dieser Testform müsse widersprochen werden, da beweisend einzig der H2-Atemgastest sei. Im Übrigen gehe der Deutsche Verein ebensowenig wie im Fall der Laktoseintoleranz im Fall der Fruktosemalabsorption von einem Mehrbedarf aus. Gerade die Fruktoseintoleranz erfordere nicht den vollständigen Verzicht auf Obst und Gemüse, da diese Lebensmittel sehr unterschiedlich hohe Fruktoseanteile enthielten und die Verträglichkeit individuell herausgefunden werden müsse.

Das SG hat die Beteiligten zu einer beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Daraufhin hat der Kläger unter anderem den Befundbericht des R1 vom 05.09.2018 über eine am selben Tag durchgeführte Fruktosetestung mittels H2-Messung vorgelegt.

Nach Klageerhebung hat der Kläger am 27.12.2018 beantragt, den „Bescheid vom 03.11.2017“ zu überprüfen, was der Beklagte mit Bescheid vom 03.01.2019 abgelehnt hat. Über den hiergegen erhobenen Widerspruch vom 05.02.2019 hat der Beklagte - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden.

Mit Schriftsatz vom 25.05.2020 hat der Kläger zudem den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 24.04.2020 vorgelegt, mit welchem der Beklagte den Widerspruch des Klägers vom 05.02.2020 gegen den Bescheid vom 07.01.2020 zurückgewiesen hatte. Mit dem Bescheid vom 07.01.2020 hatte der Beklagte auf den Überprüfungsantrag des Klägers vom 31.12.2019 den Bescheid vom 05.10.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2019 abgeändert und dem Kläger für einen den Monat November 2016 betreffenden Anspruch 0,01 Euro höhere Zinsen bewilligt. Die in dem Bescheid ebenfalls enthaltene Zinsbewilligung für den den Monat November 2017 betreffenden Anspruch auf Übernahme der Nebenkostennachforderung in Höhe von 63,23 Euro hatte er nicht abgeändert.

Mit Gerichtsbescheid vom 21.08.2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, soweit der Kläger die Feststellung begehre, der Beklagte sei nicht dazu bereit, ein schlüssiges Konzept über die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung vorzulegen. Soweit der Kläger höhere Leistungen für die Zeit vom 01.11.2017 bis zum 30.04.2018 begehre, sei die Klage unbegründet. Der Kläger habe weder einen Anspruch auf einen ernährungsbedingten Mehrbedarf wegen Laktoseintoleranz, noch wegen Fruktoseintoleranz, zumal letztere nicht nachgewiesen sei, da dies nur durch Atemtest, nicht aber durch Blutanalyse erfolgen könne. Selbst wenn neben der Laktoseintoleranz auch eine Fruktoseintoleranz bestünde, begründeten weder jede Erkrankung für sich noch beide Erkrankungen in Kombination einen ernährungsbedingten Mehrbedarf, da beide Intoleranzen mit einer diätischen Vollkost behandelt werden könnten. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass sorbit- und ballaststoffreiche Lebensmittel gemieden werden müssten. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf einen Mehrbedarf unter dem Gesichtspunkt eines besonderen Bedarfs für die Anschaffung von Pflege- und Hygieneprodukten. Der geltend gemachte Bedarf für Pflege- und Hygieneprodukte stelle keinen besonderen Bedarf dar, sondern sei bereits vom Regelbedarf erfasst. Zudem habe die Beweisaufnahme nicht ergeben, dass die selbst angeschafften Pflegeprodukte aus dermatologischer Sicht überhaupt notwendig seien. Im Übrigen liege auch kein unabweisbarer Bedarf vor, weil der Kläger im Fall einer waschzwangbedingten Hauterkrankung einen Anspruch gegen seine Krankenkasse habe. Nachdem der Beklagte ihm im streitgegenständlichen Zeitraum Unterkunftskosten in tatsächlicher Höhe bewilligt habe, komme ein Anspruch auf höhere Leistungen für KdU nicht in Betracht. Da der Sachverhalt ausermittelt gewesen sei, seien weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht erforderlich gewesen. 

Gegen den ihm am 26.08.2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 18.09.2020 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und verfolgt sein Begehren, die Gewährung höherer Grundsicherungsleistungen unter dem Gesichtspunkt der begehrten Mehrbedarfe weiter. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, das SG habe die Frage, ob die bei dem Kläger bestehende Laktoseintoleranz ein besonderes, medizinisch begründetes Ernährungsbedürfnis mit sich bringe, auf Grundlage seiner getroffenen Feststellungen nicht beurteilen können. Die vom SG herangezogenen Empfehlungen des Deutschen Vereins erfüllten nicht die Qualität eines Sachverständigengutachtens. Zwar sei deren Heranziehung als Orientierungshilfe nicht zu beanstanden. Darüber hinaus hätte des SG aber weitere Ermittlungen zu den Umständen des Einzelfalls anstellen müssen. Gleiches gelte hinsichtlich der bei ihm bestehenden Fruktoseintoleranz. Auch verstärkten sich seine unterschiedlichen Unverträglichkeiten im Zusammenspiel. Zudem habe er im Hinblick auf seinen Waschzwang einen unabweisbaren Bedarf an qualitativ hochwertiger Hautpflege, ohne dass ihm ein Rückgriff auf die Krankenversicherung möglich sei, da die hochwertigen Hygiene- und Pflegeprodukte die Entstehung einer ernsthaften Hauterkrankung wegen des Waschzwangs gerade verhüten sollten.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21. August 2020 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 23. August 2018 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 24. August 2018 zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 1. November 2017 bis 30. April 2018 höhere Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der begehrten Mehrbedarfe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat die Gerichtsakten der zwischen den Beteiligten inzwischen beendeten Berufungsverfahren L 3 AS 3338/18 und L 3 AS 3171/18 sowie die Gerichtsakte des Verfahrens S 10 AS 3346/15 beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Der Rechtsstreit L 3 AS 3171/18 hat den Anspruch auf höhere Grundsicherungsleistungen wegen der auch hier streitigen Mehrbedarfe für den Bewilligungszeitraum 01.11.2016 bis 31.10.2017 betroffen und der Rechtsstreit L 3 AS 3338/18 den Bewilligungszeitraum 01.08.2015 bis zum 31.01.2016. Zudem hat der Senat die Akten des zwischen den Beteiligten geführten Rechtsstreits S 10 AS 3346/15 beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Gerichtsakten der Verfahren L 3 AS 3338/18 und L 3 AS 3171/18 Bezug genommen.





Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, nach § 151 SGG form- und fristgerechte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist neben dem Gerichtsbescheid des SG vom 21.08.2020 der Bescheid des Beklagten vom 23.08.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2018, mit welchem er die mit Bescheid vom 03.11.2017 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 25.11.2017 und vom 12.12.2017 vorläufig für die Zeit vom 01.11.2017 bis zum 30.04.2018 bewilligten Leistungen endgültig festgesetzt hat. Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass sich die vorläufigen Bewilligungsentscheidungen (Bescheid vom 03.11.2017 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 25.11.2017 und vom 12.12.2017) mit der endgültigen Leistungsfestsetzung durch Bescheid vom 23.08.2018 nach § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) erledigt haben und damit nicht Gegenstand des Verfahrens sind (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 96 Rn. 5). Entgegen der Ausführungen des SG ist auch der Bescheid vom 03.01.2019 nicht Gegenstand des Rechtsstreits geworden. Mit diesem Bescheid hatte der Beklagte den Antrag des Klägers vom 27.12.2018 „den Bescheid vom 03.11.2017“ zu überprüfen, den der Beklagte nach Erlass des Bescheides vom 23.08.2018 zu Recht auf letzteren Bescheid und nicht auf den durch die endgültige Festsetzung erledigten Bescheid vom 03.11.2017 (in der Fassung der Änderungsbescheide vom 25.11.2017 und vom 12.12.2017) bezogen hatte, abgelehnt. Diese ablehnende Entscheidung nach § 44 Abs. 1 SGB X hat den Bescheid vom 23.08.2018 weder geändert noch ersetzt (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 96 Rn. 4b; BSG, Urteile vom 30.09.2009 - B 9 SB 19/09 B -, juris Rn. 9 und vom 24.02.2016 - B 8 SO 13/14 R -, juris Rn. 12; Bienert NZS 2011, 732, 735). Ebensowenig ist der vom Kläger im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte Widerspruchsbescheid vom 24.04.2020 Gegenstand des Verfahrens geworden. Denn Gegenstand dieses Widerspruchsbescheides ist der Bescheid vom 07.01.2020, mit dem der Beklagte im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens den Bescheid vom 05.10.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2019 abgeändert und dem Kläger für einen den Monat November 2016 betreffenden Anspruch um einen Cent höhere Zinsen bewilligt hatte, während die den Anspruch auf Übernahme der Nebenkostennachforderung für November 2017 betreffenden Zinsen unverändert geblieben sind. Gegenstand dieses Widerspruchsbescheides ist damit nicht der hier streitgegenständliche Leistungsanspruch für die Zeit vom 01.11.207 bis 30.04.2018, sondern ein hiervon zu unterscheidender Zinsanspruch.

Der Bescheid vom 03.11.2017 und der Widerspruchsbescheid vom 24.04.2020 sind auch nicht im Wege der Klageänderung nach § 99 Abs. 1 SGG Verfahrensgegenstand geworden. Nachdem das SG bereits – zwar inhaltlich unzutreffend – über die beiden Bescheide entschieden hat, würde die Einbeziehung dieser Bescheide keine Änderung i.S.v. § 99 Abs. 1 SGG bedeuten (vgl. zum Begriff der Klageänderung: B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 99 Rn. 2a).

Inhaltlich hat der Kläger sein Begehren auf die Höhe der Regelleistungen einschließlich der Mehrbedarfe beschränkt, nachdem er ausweislich seines Berufungsantrags lediglich die Gewährung der „über den Regelbedarf hinausgehenden beantragten Mehrbedarfe“ begehrt, nicht aber höhere KdU. Damit stehen die als eigenständiger Streitgegenstand abtrennbaren Leistungen für Unterkunft und Heizung (vgl. BSG Urteile vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R -, juris Rn. 18; vom 13.07.2022 - B 7/14 AS 75/20 R -, juris Rn. 12; vom 15.02.2023 - B 4 AS 2/22 R -, juris Rn. 14) nicht im Streit.

Der Kläger hat den zunächst schriftsätzlich wörtlich auf „Aufhebung des Bewilligungsbescheides“ gerichteten Antrag in der mündlichen Verhandlung sachdienlich dahingehend konkretisiert, dass es ihm nicht um die Aufhebung der gesamten Bewilligungsentscheidung, sondern um deren Abänderung geht. Die so verstandene Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 23.08.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger hat in dem hier streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II.

Der Kläger gehört in dem hier streitigen Zeitraum zu den nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II anspruchsberechtigten Personen und hat nach § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Dieses umfasst nach § 19 Abs. 1 Satz 3 neben den hier nicht streitigen Bedarfen für Unterkunft und Heizung, den Regelbedarf und die Mehrbedarfe. Der Beklagte hat dem Kläger mit dem Bescheid vom 23.08.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2023 für den streitigen Zeitraum den gesetzlichen Regelbedarf für die auf den alleinlebenden Kläger zutreffende Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von 409,00 Euro für die Monate November und Dezember 2017 und in Höhe von 416,00 Euro für die Monate Januar bis April 2018 bewilligt. Wie bereits das SG zutreffend ausgeführt hat, liegen keine Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit dieser Regelsatzhöhe vor, was auch von dem nunmehr im Berufungsverfahren rechtskundig vertretenen Kläger nicht mehr geltend gemacht wird.

Einen Anspruch auf Mehrbedarfe, die den bereits bewilligten Bedarf in Höhe von monatlich 3,30 € übersteigen, hat der Kläger nicht. Weder aufgrund von Laktoseintoleranz noch aufgrund von Fruktoseintoleranz besteht ein Anspruch auf einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung.

Rechtsgrundlage für einen solchen Mehrbedarf ist § 21 Abs. 5 SGB II in der Fassung vom 13.05.2011. Hiernach wird bei
Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.

Voraussetzung für den Rechtsanspruch auf einen Mehrbedarf ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine besondere Ernährung erforderlich macht, deren Kosten höher ("aufwändiger") sind als dies für Personen ohne eine solche Einschränkung der Fall ist (vgl. BSG, Urteile vom 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R -, juris Rn. 21; vom 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R - juris Rn. 16; vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R -, juris Rn. 15, jeweils m.w.N.). Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder einer drohenden Erkrankung oder Behinderung und der Notwendigkeit einer besonderen Ernährung vorliegen und diese besondere „Krankenkost“ muss gegenüber der in der Bevölkerung üblichen, im Regelbedarf zum Ausdruck kommenden Ernährung kostenaufwändiger sein (BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 48/12 R -, juris Rn. 12).

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger in dem hier streitigen Zeitraum unter einer Laktoseintoleranz im Sinne der ICD-10-GM E 73 leidet. Dies entnimmt der Senat insbesondere dem Befundbericht F3, S1 und M1 vom 14.10.2005, die nach Blutanalyse die Diagnose Laktoseintoleranz gestellt haben. Auf dieser Grundlage hält auch der Arzt P1 ausweislich seiner für den Beklagten angefertigten sozialmedizinischen Stellungnahme vom 16.05.2019 die Diagnose der Laktoseintoleranz für gesichert.

Gleichwohl die Diagnose der Laktoseintoleranz beim Kläger mit der Notwendigkeit einhergeht, laktosehaltige Lebensmittel, die nicht vertragen werden, zu meiden, begründet dies keinen über den vom Beklagten bereits anerkannten Bedarf hinausgehenden Mehrbedarf. Denn durch die hierdurch bedingte besondere Ernährung entstehen keine über die im Regelbedarf enthaltenen hinausgehenden Kosten.

Hierzu hat der 3. Senat des LSG Baden-Württemberg in seinem in dem Rechtsstreit L 3 AS 3171/18 am 08.07.2020 ergangenen Urteil entschieden:

„Ausgehend von der Konkretisierung des Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung in Relation zum Regelbedarf ist kostenaufwändiger im Sinne des § 21 Abs. 5 SGB II eine Ernährung, die von dem im Regelbedarf umfassten typisierten Bedarf abweicht und von diesem nicht gedeckt ist. Ernährung mit Vollkost unterfällt nicht § 21 Abs. 5 SGB II, da es sich nicht um eine Krankenkost handelt, auf die die Vorschrift abzielt, sondern um eine Ernährungsweise, die auf das Leitbild des gesunden Menschen Bezug nimmt. Da die Vollkosternährung von dem Regelbedarf gedeckt ist, besteht eine kostenaufwändige Ernährung grundsätzlich nur bei einer besonderen, von der Vollkost abweichenden Ernährungsform (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.01.2017 - L 9 AS 2069/15, juris Rn. 36, unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 20.02.2014 - B 14 AS 65/12 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 17, juris Rn. 19; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 48/12 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 15, juris Rn. 12-17; BSG, Urteil vom 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 12, juris Rn. 25; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 28.05.2015 - L 5 AS 570/13, juris).

Eine mit höheren Kosten verbundene Ernährung, die von der Vollkost abweicht, ist im Falle des Klägers nicht erforderlich. Hierzu ist zunächst auf die – dem ernährungswissenschaftlichen Gutachten von S3 vom 30.12.2014 nicht zu Grunde gelegten – Mehrbedarfsempfehlungen 2014 zu verweisen. Zur Laktoseintoleranz ist in den Mehrbedarfsempfehlungen 2014 unter Abschnitt III. 3.2.1 Folgendes ausgeführt: „Die Laktoseintoleranz wird meist durch eine abnehmende Expression von Laktase im Darm mit zunehmendem Lebensalter verursacht. Die Verträglichkeit von Laktose unterliegt hierbei keinen eindeutigen systematischen Regeln, sondern ist individuell unterschiedlich. In der Regel werden jedoch 12 g bis 15 g, teilweise bis zu 24 g Laktose pro Tag toleriert, sodass eine Substitution mit speziellen Nahrungsmitteln nicht erforderlich ist. Therapeutisch gibt es bei Laktoseintoleranz keine spezielle Diät. Es wird Vollkost mit einer auf das Beschwerdebild angepassten Ernährung empfohlen. Die ernährungsmedizinische Behandlung besteht im Meiden von Nahrungsmitteln, die nicht vertragen werden (z.B. Kuhmilch). Die Deckung des Kalziumbedarfs ist insbesondere durch Verzehr von Milchprodukten möglich, die von Natur aus sehr geringe Mengen an Laktose enthalten (z.B. reifer Käse). Eine kostenaufwändige Ernährung ist damit in der Regel nicht erforderlich. Ausnahmen gelten für Besonderheiten im Einzelfall, beispielsweise bei einem angeborenen Laktasemangel, der einer medizinischen Behandlung bedarf. Für Kinder bis zum 6. Lebensjahr (Regelbedarfsstufe 6) sind die Empfehlungen in diesem Text nicht anwendbar. Wachstumsbedingt kann bei dieser Personengruppe die Substitution von Kuhmilch durch laktosefreie Milch erforderlich sein, wenn der Kalziumbedarf auf andere Weise nicht gedeckt werden kann. Hier besteht im Einzelfall Prüfungsbedarf.“ Zur Laktoseintoleranz wird ferner in den Mehrbedarfsempfehlungen 2014 unter Abschnitt III. 4 Folgendes dargelegt: „Bei Erkrankungen, die nach dem allgemein anerkannten Stand der Humanmedizin keiner spezifischen Diät, sondern einer sog. „Vollkost“ bedürfen, ist ein Mehrbedarf in der Regel zu verneinen (Ausnahmen: siehe 3.3).“

Diese im Jahr 2014 aktualisierten Mehrbedarfsempfehlungen 2014 entsprechen zur Überzeugung des Senats dem aktuellen wissenschaftlichen Stand der medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnis. Sie befassen sich insbesondere ausführlich mit der Frage einer kostenaufwändigen Ernährung bei Laktoseintoleranz. Die Einschätzung der Mehrbedarfsempfehlungen 2014 entspricht auch dem wissenschaftlichen Kenntnisstand der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit. Danach können die meisten von einer Milchzuckerunverträglichkeit Betroffenen geringere und auch höhere Dosen beschwerdefrei tolerieren, wenn diese über den Tag verteilt verzehrt werden. Ein vollständiger Verzicht auf laktosehaltige Lebensmittel ist nicht erforderlich (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.01.2017 - L 9 AS 2069/15, juris Rn. 38; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 28.05.2015 - L 5 AS 570/13, juris, Rn. 56, unter Hinweis auf die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit <EFSA> in The EFSA Journal 2010, 8 <9>, 1777).

Die in einer interdisziplinär zusammengesetzten Arbeitsgruppe, der Sozialrechtler, Ärzte, Verwaltungsfachkräfte und Ernährungswissenschaftler angehörten, erstellten und somit im Rahmen wissenschaftlicher Erhebungen zustande gekommenen Mehrbedarfsempfehlungen sind für den Senat überzeugend und nachvollziehbar. Zwar kommt den Mehrbedarfsempfehlungen nach ihrer Konzeption und Entstehungsgeschichte nicht die Rolle antizipierter Sachverständigengutachten zu und weisen sie erst recht keine Rechtsnormqualität auf. Die Mehrbedarfsempfehlungen dienen aber, insbesondere aufgrund der Aufnahme der Laktoseintoleranz, jedenfalls als Orientierungshilfe. Weitere Ermittlungen sind im Einzelfall nur dann erforderlich, sofern Besonderheiten, insbesondere von den Mehrbedarfsempfehlungen abweichende Bedarfe substantiiert geltend gemacht werden. Dieser Einordnung entsprechen auch die Gesetzesbegründung und die Rechtsprechung des BVerfG. Der Gesetzgeber hat sich im Zusammenhang mit der Feststellung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung auf die Mehrbedarfsempfehlungen bezogen und in der Gesetzesbegründung ausdrücklich ausgeführt, dass „zur Angemessenheit des Mehrbedarfs … die hierzu vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge entwickelten und an typisierbaren Fallgestaltungen ausgerichteten Empfehlungen herangezogen werden“ können (Bundestags-Drucksache 15/1516, S. 57). Ein Abweichen von den Mehrbedarfsempfehlungen ist jedenfalls begründungsbedürftig und setzt entsprechende Fachkompetenz voraus (BVerfG, Beschluss vom 20.06.2006 - 1 BvR 2673/05, info also 2006, 279-281, juris Rn. 19). Da die Mehrbedarfsempfehlungen keine Rechtsnormqualität aufweisen, gibt es auch keine Hinderungsgründe, die darin enthaltenen medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisse auch mit den Ergebnissen der Amtsermittlung zu vergleichen beziehungsweise in diese einfließen zu lassen, wenn diese Zeiträume betreffen, die vor der Veröffentlichung der neuen Empfehlungen lagen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.01.2017 - L 9 AS 2069/15, juris Rn. 38, unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 20.02.2014 - B 14 AS 65/12 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 17, juris Rn. 19; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 48/12 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 15, juris Rn. 16; BSG, Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 14, juris Rn. 19-23; BSG, Urteil vom 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 12, juris Rn. 23; BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14 /7b AS 64/06 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 2, juris Rn. 26; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.11.2018 - L 25 AS 3043/14, juris Rn. 43; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 28.05.2015 - L 5 AS 570/13, juris; vergleiche auch Behrend in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 21 Rn. 66).

Orientiert an den Mehrbedarfsempfehlungen 2014 hat der Kläger im hier streitigen Zeitraum keinen über den vom Beklagten anerkannten Bedarf hinausgehenden Anspruch auf einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung.

Anhaltspunkte für eine Abweichung von den Mehrbedarfsempfehlungen 2014 sind im Falle des Klägers nicht ersichtlich. Zwar muss – ungeachtet der Mehrbedarfsempfehlungen 2014 – unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles geprüft werden, ob die gesundheitlichen Einschränkungen einen tatsächlichen Mehrbedarf auslösen, da im Anwendungsbereich des § 21 Abs. 5 SGB II kaum Fälle denkbar sind, bei denen sich für eine bestimmte Erkrankung, die – wie die Laktoseintoleranz – Einfluss auf die Ernährung hat, ein anderer Kostenaufwand abschließend als generelle Tatsache mit Gültigkeit für jeden Einzelfall verneinen lässt (BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 48/12 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 15, juris). Aber unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers, der aktenkundigen Befundberichte und Gutachten sowie der sachverständigen Zeugenauskünfte sind auch bei Betrachtung des konkreten Einzelfalls die Voraussetzungen für die Annahme eines höheren, über den vom Beklagten bereits anerkannten Bedarf hinausgehenden Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung im Sinne von § 21 Abs. 5 SGB II nicht festzustellen.

Da der Kalziumbedarf auch durch laktosefreie Produkte gedeckt werden kann, ist für den streitigen Zeitraum keine durch die Erkrankungen des Klägers bedingte Notwendigkeit einer „besonderen Ernährung“ im Sinne einer notwendigen Substitution der zu meidenden Laktose enthaltenden Nahrungsmittel, insbesondere durch den Verzehr laktosefreier Milch oder laktosefreier Milchprodukte, feststellbar und auch kein dadurch bedingter finanzieller Mehraufwand beim Bedarf für Ernährung gegenüber dem in der Bevölkerung üblichen, der bei Festlegung des Regelbedarfs berücksichtigt wurde.

Eine medizinische Notwendigkeit der vollständigen Substitution aller Nahrungsmittel durch eine laktosefreie Variante ist nicht gegeben. Ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn dies aus gesundheitlichen Gründen objektiv erforderlich ist. Subjektive Ernährungsgewohnheiten sind insoweit nicht zu berücksichtigen. Diesen kann gegebenenfalls durch eine Umschichtung der in der Regelleistung enthaltenen Beträge Rechnung getragen werden.

Selbst wenn man die Substitution von Kuhmilch durch laktosefreie Milch als notwendig ansehen wollte und sich insoweit Mehrkosten ergäben, würde dies nach Auffassung des Senats keinen Anspruch auf einen Mehrbedarfszuschlag begründen. Zwar gibt es im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende keine allgemein anerkannte Bagatellgrenze, da ansonsten dem Betroffenen Leistungen vorenthalten würden, obwohl er einen Anspruch hat (zu § 21 Abs. 6 SGB II: BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 30/13 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 18, juris). Jedoch halten sich die ermittelten Mehrkosten zur Überzeugung des Senats in einem Rahmen, der ohne Weiteres durch den Regelsatz gedeckt werden kann. Die Mehrkosten, die die regelmäßige Kalziumzufuhr durch laktosefreie Produkte verursacht, lassen sich beim Einkauf auch durch Einsparungen bei anderen Lebensmitteln ausgleichen (zu den vom Gesetzgeber als grundsätzlich zumutbar erachteten Einsparmöglichkeiten durch „Umschichtung“: Bundestags-Drucksache 17/1465, S. 6, 8). Eine entsprechende preisbewusste Einkaufsweise erachtet der Senat insoweit als durchaus zumutbar. Der im Regelsatz berücksichtigte Ansatz für Nahrungsmittel und Getränke, der einen pauschalen Anteil für eine ausreichende und ausgewogene Ernährung enthält, lässt Spielraum für individuelle Bedürfnisse, wie sie bei Erkrankungen wie der beim Kläger vorliegenden bestehen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass sich der Preis für laktosefreie Milch im normalen Preisspektrum für Milch allgemein befindet. Insgesamt hat sich auf dem Gebiet der laktosefreien Nahrungsmittel bereits ein derart umfangreiches Angebot entwickelt, das es dem Kläger ermöglicht, mit den aus der Regelleistung für Ernährung zur Verfügung stehenden Mitteln eine ausgewogene Ernährung auch unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Einschränkungen sicherzustellen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.01.2017 - L 9 AS 2069/15, juris Rn. 44; ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 10.01.2019 - L 15 AS 262/16, juris Rn. 30; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.11.2018 - L 25 AS 3043/14, juris Rn. 42-43; Behrend in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 21 Rn. 70).

Ein Krankheitsbild, das von dem durch die Mehrbedarfsempfehlungen 2014 hinsichtlich der Laktoseintoleranz angenommenen wesentlich abweicht und einen, über den vom Beklagten bereits gewährten Betrag in Höhe von 3,30 € monatlich hinausgehenden, ernährungsbedingten Mehrbedarf bedingt, liegt beim Kläger nicht vor. Denn nach Abschnitt III, 3.2.1 der Mehrbedarfsempfehlungen 2014 ist die Deckung des Kalziumbedarfs insbesondere durch Verzehr von Milchprodukten möglich, die von Natur aus sehr geringe Mengen an Laktose enthalten (z.B. reifer Käse). Auch wird Naturjoghurt trotz des Laktosegehalts häufig problemlos vertragen. Es ist nicht erforderlich, dass der Kläger seine Kalziumzufuhr ausschließlich mit Milch oder Milchprodukten vornimmt. Es ist ihm durchaus zumutbar und möglich, auch auf andere Lebensmittel zurückzugreifen. Bei einer entsprechenden Mischung ergeben sich keine Mehrkosten oder deutlich niedrigere Kosten. Ausreichend ist daher eine Vollkost, die von dem der Regelleistung zugrundeliegenden Bedarf für Ernährung umfasst ist.

Eine andere Sicht ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag des Klägers, zusätzlich an einer Fruktoseintoleranz zu leiden. Zwar leidet der Kläger entgegen der vom Arzt P1 in seinen sozialmedizinischen Stellungnahmen vom 20.04.2018 und 20.09.2019 geäußerten Einschätzung nach den Angaben des R1 in seinem das Ergebnis einer H2-Messung wiedergebenden Befundbericht vom 05.09.2018 und seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 18.02.2019 tatsächlich an einer Fruktoseintoleranz. Dies führt indes nicht zu einem ernährungsbedingten Mehraufwand. Denn dieses Krankheitsbild betrifft aufgrund der erst im September 2018 erfolgten Diagnosestellung nicht den streitgegenständlichen Zeitraum. Im Übrigen bedingt dieses Krankheitsbild nach den zutreffenden Ausführungen des Arztes P1 ohnehin keinen ernährungsbedingten Mehraufwand, da es durch Einhaltung einer entsprechenden Diät kompensiert werden kann, zumal gerade die Fruktoseintoleranz nicht den vollständigen Verzicht auf Obst und Gemüse beinhaltet, da diese Lebensmittel sehr unterschiedlich hohe Fruktoseanteile enthalten. Dies deckt sich mit den Mehrbedarfsempfehlungen 2014, nach deren Abschnitt 3.2.2 bei der Fruktosemalabsorption ein Mehrbedarf in der Regel nicht besteht, da die Ernährung bei ihr nicht kostenaufwändiger ist als eine Ernährung mit einer Vollkost ohne Eliminationsdiät. Denn danach kann bei der Fruktosemalabsorption der Vitaminbedarf durch den Verzehr fruktosearmer Früchte und Gemüse gedeckt werden und ist eine extrem fruktosearme oder gar fruktosefreie Dauerkost nicht erforderlich, da die Malabsorption oft nur vorübergehender Natur ist. Von der Malabsorption abzugrenzen ist nach den Mehrbedarfsempfehlungen 2014 die hereditäre (angeborene) Fruktoseintoleranz, bei der es sich um eine sehr seltene und schwere Erkrankung handelt, für die im Einzelfall ein Mehrbedarf in Betracht kommt. Eine solche Erkrankung ist aber beim Kläger nicht festgestellt.

Weitere Ermittlungen von Amts wegen, wie sie der Kläger in Form der Einholung von Gutachten auf ernährungswissenschaftlichem Gebiet verlangt, sind vor dem Hintergrund, dass die Mehrbedarfsempfehlungen 2014 den aktuellen wissenschaftlichen Stand der medizinischen Erkenntnisse wiedergebenden, nicht erforderlich.“


Diesen überzeugenden, stimmigen und wohl begründeten Ausführungen des 3. Senats schließt sich der erkennende Senat nach eigener Prüfung und Urteilsbildung an und legt sie der eigenen Entscheidung zugrunde. Ergänzend wird lediglich angemerkt, dass sich auch aus den im Jahr 2020 aktualisierten Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung des Mehrbedarfs bei kostenaufwändiger Ernährung gemäß § 30 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII), die die Empfehlungen aus dem Jahr 2014 ersetzen, keine anderen Erkenntnisse ergeben. So heißt es dort unter III. weiterhin: „Nach dem aktuellen Stand der Ernährungsmedizin ist bei folgenden Erkrankungen und Nahrungsmittelunverträglichkeiten diätetisch eine Vollkost bzw. individuell angepasste Vollkost angezeigt, die regelhaft nicht zu einem Mehrbedarf führt: …. – Laktoseintoleranz, - Fruktosemalabsoption …“ Da der Kläger in dem hier gegenständlichen Zeitraum nach seinem eigenen Vortrag das Medikament Moclobemid nicht eingenommen hat, kommt es auf die von ihm vorgetragene, mit der Medikamenteneinnahme im Zusammenhang stehende Tyramin- und Histaminunverträglichkeit nicht an.

Der Kläger hat ferner gegen den Beklagten in dem streitgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf einen bei der Bemessung der Leistungen nach dem SGB II zu berücksichtigenden besonderen Bedarf für Hygiene- und Pflegeprodukte, insbesondere nicht für die in den von ihm vorgelegten Belegen der E1 Apotheke vom 01.03.2019, des K4 B4 vom 03.05.2017 und 02.08.2017, der B2 Apotheke B3 vom 10.06.2017 und 30.11.2017 sowie der Apotheke im K3 B3 vom 01.08.2017 und 01.06.2018 aufgelisteten Produkte.

Rechtsgrundlage für einen solchen Mehrbedarf ist § 21 Abs. 6 SGB II in der Fassung vom 13.05.2011. Nach Satz 1 der Vorschrift wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Nach Satz 2 ist der Mehrbedarf unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

Ein unabweisbarer Bedarf liegt nur dann vor, wenn dieser Bedarf so erheblich ist, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistungen – einschließlich der Leistungen Dritter und unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Hilfebedürftigen – das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet (Adolph in: Adolph, SGB II, SGB XII, AsylbLG, 62. UPD November 2019, § 21 SGB II Rn. 68; Behrend/König in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 21 Rn. 91 ff.; Bundestags-Drucksache 17/1464 S. 10).

Dabei ist zu beachten, dass das sozialrechtlich zu gewährende menschenwürdige Existenzminimum aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG auch die Sicherstellung einer ausreichenden medizinischen Versorgung umfasst. Der Anspruch auf Existenzsicherung insoweit wird im Fall des Klägers – wie für den ganz überwiegenden Teil der Hilfebedürftigen – in erster Linie durch seine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 2a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) abgedeckt, deren Beiträge nach § 252 Abs. 1 Satz 2 SGB V der Träger der Grundsicherung zahlt und nach § 46 Abs. 1 SGB II der Bund trägt. Der Kläger hat als Versicherter Anspruch auf Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Vom Anspruch auf Krankenbehandlung ist nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V die Versorgung mit Arzneimitteln erfasst. Apothekenpflichtige nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind zwar grundsätzlich von der Versorgung nach §§ 31, 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V ausgeschlossen. Dies gilt allerdings auch hinsichtlich der nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel nicht schlechthin und ausnahmslos, denn § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V ermächtigt den Gemeinsamen Bundesausschuss, in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V festzulegen, welche nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung des Vertragsarztes ausnahmsweise verordnet werden können. Hiervon hat der Gemeinsame Bundesausschuss durch § 12 Arzneimittel-Richtlinien Gebrauch gemacht. Die Verordnung dieser Arzneimittel ist danach ausnahmsweise zulässig, wenn die Arzneimittel bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten. Dabei gilt eine Krankheit als schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 146/10 R -, juris Rn. 23). Damit ist ohne weitere Ermittlungen seitens der Träger der Grundsicherung davon auszugehen, dass grundrechtsrelevante Beeinträchtigungen durch eine nicht ausreichende Krankenbehandlung, die durch ergänzende Leistungen der Grundsicherung abzuwenden wären, ausscheiden. Im Grundsatz ist eine Behandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung dann gesichert, wenn die Erkrankung lebensbedrohlich ist oder aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt. Gesetzliche oder auf Gesetz beruhende Leistungsausschlüsse und Leistungsbegrenzungen nach dem SGB V und damit insbesondere die Frage, ob sich § 34 Abs. 1 SGB V im Einzelnen als verfassungsgemäß darstellt, können nur innerhalb dieses Leistungssystems daraufhin überprüft werden, ob sie im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG gerechtfertigt sind. Die Frage, ob die Kosten für Arzneimittel als Teil einer Krankenbehandlung übernommen werden, muss der Hilfebedürftige gegenüber seiner Krankenkasse klären. Hinsichtlich der therapeutischen Notwendigkeit einer bestimmten Krankenbehandlung und den Anforderungen an ihren Nachweis gelten für Leistungsempfänger nach dem SGB II keine anderen Voraussetzungen als für die übrigen Versicherten nach dem SGB V, die Versicherungsschutz insbesondere aufgrund abhängiger Beschäftigung erlangen (BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 146/10 R -, juris Rn. 24).

Die übrigen Kosten für Gesundheitspflege, die unter anderem für medizinisch notwendige, aber nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse abgedeckte Präparate unter dem Gesichtspunkt der Eigenverantwortung der in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten auch von Hilfebedürftigen nach dem SGB II selbst zu zahlen sind, sind in der Regelleistung abgebildet und lösen damit grundsätzlich keinen Bedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II aus. Für die Abteilung 06 (Gesundheitspflege) wird ein Gesamtbetrag in Höhe von 15,00 € angesetzt (ab 01.01.2017, vgl. § 5 Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) in der Fassung vom 22.12.2016).

Selbst wenn der Kläger vorliegend deutlich höhere Aufwendungen als den vom Regelbedarf für Gesundheitspflege umfassten Betrag getätigt haben sollte, ließe sich für ihn kein laufender unabweisbarer Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II feststellen.

Hierzu hat der 3. Senat in dem Urteil vom 08.07.2020 in dem Rechtsstreit L 3 AS 3171/18 Folgendes ausgeführt:

„Zwar ist anerkannt, dass der Erwerb von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, Hautpflegeprodukten bei Neurodermitis oder Hygieneartikeln bei ausgebrochener HIV-Infektion besondere Bedarfe im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II auslösen können (Adolph in: Adolph, SGB II, SGB XII, AsylbLG, 62. UPD November 2019, § 21 SGB II Rn. 66; Behrend in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, § 21 Rn. 130; Krauß in: Hauck/Noftz, SGB, 05/11, § 21 SGB II Rn. 91; Bundestags-Drucksache 17/1465, S. 9; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.02.2011 - L 13 AS 90/08, juris Rn. 79-82). Aber um nicht das Tor zu einer beliebigen, mit Steuermitteln finanzierten „Wunschmedizin“ zu öffnen, kommt die Übernahme von Kosten für solche gesundheitsbedingte Mehrbedarfe im Rahmen des § 21 Abs. 6 SGB II von vornherein nur dann in Betracht, wenn vor Beginn und während der betreffenden Behandlungsmaßnahme beziehungsweise Anschaffung diverser Pflegeprodukte ein hinreichender Anlass zu der betreffenden Intervention bestanden hat, also eine Indikation vorgelegen hat, die anhand medizinischer Unterlagen nachvollziehbar festgestellt werden kann (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 10.01.2019 - L 15 AS 262/16, juris Rn. 33; Bayerisches LSG; Beschluss vom 09.03.2017 - L 7 AS 167/17 B ER, juris Rn. 37; LSG Hamburg, Urteil vom 19.03.2015 - L 4 AS 390/10, juris Rn. 27).

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Eine ärztliche Äußerung darüber, dass die Anwendung der vom Kläger gewählten Pflegemittel zur Behandlung einer Hautkrankheit als medizinisch notwendig erachtet wird, findet sich nach Durchsicht der gesamten umfangreich zu den Gerichts- und Verwaltungsakten gelangten Unterlagen nicht. Zwar hat der Kläger nach den Ausführungen der W1 in ihrem Gutachten vom 16.02.2017 dieser gegenüber ausgeführt, sein Tagesablauf sei von Zwangshandlungen des ausgiebigen Waschens und Reinigens bestimmt, weswegen er sich anschließend um die Pflege der Haut kümmern müsse, wofür er verschiedenste Seifen, Duschbäder, Waschmittel, desinfizierende Substanzen und rückfettende Pflegemittel und -kuren, auch für die Hände, teils aus der Apotheke, benötige. Allerdings hat der D2 G1 in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 17.10.2017 über eine im Bereich der Hände intakte Haut ohne klinisch relevante Ekzeme oder Abnutzungsdermatosen berichtet. Er hat daher zutreffend keine dermatologische Diagnose gestellt. Er hat auch für den Senat gut nachvollziehbar dargelegt, dass sich morphologisch nicht sicher beurteilen lässt, inwiefern die intakten Hautverhältnisse der Hände bei anamnestisch geschildertem Waschzwang Ergebnis einer intensiven Hautpflege sind. Folgerichtig ist der Arzt P1 in seiner Stellungnahme vom 20.04.2018 zu der Einschätzung gelangt, dass es an jeglichem Nachweis einer behandlungsbedürftigen Hauterkrankung fehlt. Er hat ferner überzeugend dargelegt, dass die Fülle der vom Kläger eingereichten Belege verschiedenartiger Hautpflegeprodukte dafür spricht, dass dieser je nach Gefühl und persönlicher Vorliebe Hautpflegeprodukte aussucht und eine dermatologische Rezeptur zur Behandlung einer spezifischen Hauterkrankung weder erfolgt noch erforderlich ist. Der Arzt P1 hat im Übrigen in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 16.05.2019 darauf hingewiesen, dass es sich bei den vom Kläger angeschafften Substanzen um Nahrungsergänzungsmittel, Glucosepräparate, Desinfektionsprodukte, homöopathische Arzneimittel sowie variierende Körperpflegeprodukte handelt, die weder ärztlich verordnet worden sind, noch der vertragsärztlichen Versorgung unterfallen. Soweit M2 in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 19.10.2017 pauschal ausführt, es bestehe aufgrund des Waschzwangs ein erhöhter Bedarf an Hygiene- und Pflegeprodukten, den er allerdings nicht beziffern könne, ist diese unsubstantiierte Aussage für das Gericht auch im Hinblick auf die ausführliche sachverständige Zeugenauskunft des G1 nicht nachvollziehbar. Es wäre zu erwarten gewesen, dass zumindest einer der behandelnden Ärzte eine konkrete Aussage dazu trifft, welche Anwendung von welchen Pflegemitteln bei dem Kläger medizinisch indiziert ist. Es lässt sich mithin nicht feststellen, dass die vom Kläger selbst angeschafften Hygiene- und Pflegeprodukte für die Behandlung der Haut aus dermatologischer Sicht notwendig sind.

Weitere Ermittlungen von Amts wegen, wie sie der Kläger in Form der Einholung von Gutachten auf psychiatrischem und dermatologischem Fachgebiet verlangt, sind vor dem Hintergrund, dass eine ärztliche Behandlung einer die Erforderlichkeit der vom Kläger angeschafften Produkte bedingenden Erkrankung schon gar nicht erfolgt, nicht geboten.“


Diesen überzeugenden, stimmigen und wohl begründeten Ausführungen des 3. Senats schließt sich der erkennende Senat nach eigener Prüfung und Urteilsbildung an und legt sie der eigenen Entscheidung zugrunde.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist.



 

Rechtskraft
Aus
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