L 9 U 4092/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 566/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 4092/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die Geltendmachung weiterer Unfallfolgen im Berufungsverfahren ist nach § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGB VII jedenfalls dann möglich, wenn deren Geltendmachung in einem früheren Verfahrensstadium nicht möglich war.
2. Nur ein vollbeweislich belegter struktureller HWS-Unfallerstschaden kann Dauerfolgen begründen.
3. Die Schweregradeinteilung einer Halswirbelsäulendistorsion nach der Quebec-Klassifikation ist für den klinischen Gebrauch einer Therapieplanung ausreichend, erlaubt jedoch keine gutachtliche Beurteilung der Krankheitsdauer und Dauerfolgen einer HWS-Verletzung.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 25. Oktober 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Anerkennung von Folgen eines Arbeitsunfalles, die Gewährung von Heilbehandlungskosten, Verletztengeld und Verletztenrente.

Die 1980 geborene Klägerin ist Diplom-Mathematikerin und bei der
V1 beschäftigt. Am Unfalltag – dem 28.03.2014 – befand sich die Klägerin nach Ende ihrer Arbeitszeit auf der Bundesautobahn 6 in Höhe des K1 auf dem Weg nach Hause, als sie ihr Fahrzeug auf der linken Spur fahrend verkehrsbedingt abbremsen musste, der nachfolgende Pkw-Lenker dies nicht rechtzeitig erkannte und trotz eigener Bremsung auf das Kfz der Klägerin auffuhr. Durch den Aufprall wurde das Kfz der Klägerin gegen die Leitplanke geschleudert und kam entgegen der Fahrtrichtung auf dem Seitenstreifen zum Stehen (vgl. Verkehrsunfallanzeige Polizeipräsidium S1 vom 28.03.2014).
Dabei lösten die Airbags nicht aus. Nach dem Bericht des D-Arztes
Z1, T1 und H1-Klinik GmbH, vom 28.03.2014, wo sich die Klägerin nach der Unfallaufnahme zur ambulanten Behandlung befand, konnte die Klägerin das Fahrzeug selbstständig verlassen. Es bestanden weder Bewusstlosigkeit noch Amnesie, ein Notarzt war nicht vor Ort. Diagnostiziert wurde eine HWS-Distorsion und Unterkieferprellung. Kalotte und Gesichtsschädel waren klinisch stabil und nicht druckdolent, der Hautmantel intakt, keine Prellmarken. Festgestellt wurde ein leichter Druckschmerz am linksseitigen Unterkiefer, die Zähne wurden als fest und der Kieferschluss als kräftig beschrieben. Die HWS war mit Stiffneck immobilisiert. Es bestanden kein Druckschmerz, keine Schluckstörungen, auch über der BWS und LWS war kein Druckschmerz auslösbar. Thorax und Becken waren klinisch stabil, die oberen und unteren Extremitäten in allen Gelenken aktiv und passiv frei beweglich, die periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität allseits vollständig intakt. Die Röntgenuntersuchung der HWS, BWS und LWS sowie des Beckens, Thorax und Zahnpanorama ergab keinen Anhalt für frische knöcherne Verletzungen. Eine empfohlene stationäre Überwachung lehnte die Klägerin gegen ärztlichen Rat ab.

Im Nachschaubericht des
L1 vom 31.03.2014 über eine Behandlung an diesem Tag ist angegeben, dass noch Beschwerden im Nacken und Hinterkopf, Kopfschmerzen, Verspannungsbeschwerden vorderer Thorax, eine leichte Hämatomverfärbung linke obere Scapula und rechter vorderer Thorax bestanden. Die oberen Extremitäten waren gut beweglich ohne neurologische Ausfälle, es wurden leichte Beschwerden beim Kauen angegeben.

C1 teilte über eine Nachuntersuchung der Klägerin am 23.04.2014 im Verlauf rückläufige Beschwerden, mit nur ab und zu auftretendem Schwindel und Kopfschmerzen mit. Der Nacken sei reizlos ohne Druckschmerzen. Es bestehe noch eine Anspannung am Trapezius bds., noch eine Bewegungseinschränkung vor allem bei Reklination des Kopfes (Zwischenbericht vom 28.03.2014).

Unter dem 06.06.2014 teilte
C1 nach einer veranlassten MRT der HWS eine unveränderte Beschwerdesymptomatik und Befund mit. Das Arbeiten sei der Klägerin zuletzt bei zum Teil massiven Kopfschmerzen äußerst schwergefallen. Neben einer Verstauchung und Zerrung der Halswirbelsäule diagnostizierte er aufgrund der MRT der HWS vom 03.06.2014 (Bericht P1 vom 03.06.2014, Bl. 55 der Akten: frischer rechtsbetonter BSV HWK 5/6 mit diskreter Einengung der Nervenwurzel ohne Einengung des Rückenmarks – unauffälliges umgebendes Weichteilgewebe) eine traumatische Ruptur der zervikalen Bandscheibe NPP C5/6 rechts.

Die von
C1 veranlasste neurologische Untersuchung ergab keinen Anhalt für intrakranielle Traumafolgen oder anderweitige neurologische Störungen. P2 führte insoweit unter dem 11.06.2014 nach neurologischer Untersuchung, eines MRT-Befundes des Kopfes und einer Medianus-SEP aus, dass wahrscheinlich ein migräneartiger Kopfschmerz vorliege.

Im neurologischen Befundbericht von
B1 vom 07.07.2014, bei dem die Klägerin über vermehrte Kopfschmerzen nach Wiederaufnahme der Berufstätigkeit klagte und einen Nacken-, Schulterschmerz und Schmerzen von hinten haubenförmig bis zur Stirn ziehend, dumpf und bei Belastung zunehmend aber auch in Rückenlage angegeben hatte, wurde ausgeführt, die Beschwerden seien nach Verlauf und aktuellem Befund hinreichend durch eine HWS-Distorsion erklärt. Es fänden sich im Hinblick auf den Bandscheibenvorfall (BSV) keine radikulären Symptome und keine Läsion des Myelons, schließlich auch keine Hinweise auf intrakranielle Traumafolgen.

Der von der Beklagten gehörte Beratungsarzt
S2 vertrat die Auffassung, dass die Heilbehandlung zu Lasten der BG mit dem Tag des MRT abzuschließen sei und eine Arbeitsunfähigkeit ab dem 06.06.2014 nicht auf die Folgen des Arbeitsunfalles zurückzuführen sei (Stellungnahme vom 05.08.2014).

Unter dem 02.08.2014 teilte
C1 bei Angabe von Schmerzen im Bereich des M. trapezius rechts und hieraus resultierender Kopfschmerzen den Befund einer frei beweglichen HWS, ohne sensomotorisches Defizit, ohne Bewegungseinschränkung und ohne Druckschmerz paravertebral der HWS mit. Er stellte die Diagnose einer HWS-Distorsion mit traumatischer Ruptur der Bandscheibe C5/6.

H2 berichtete unter dem 29.08.2014 über eine ambulante Untersuchung der Klägerin am selben Tag, bei der diese über Kopfschmerzen klagte, gegen Abend zunehmend, und angab, bei Bedarf Ibuprofen mit gutem Erfolg einzunehmen. Die Klägerin sei aktuell schmerzfrei, je nach Belastung VAS 8-9 schmerzgeplagt. Autofahren sei schmerzprovozierend, Computerarbeit ebenfalls. Die HWS-Beweglichkeit sei nicht eingeschränkt, es bestehe kein Druckschmerz über der beidseitigen Supraclaviculargrube, kein Druckschmerz am medialen beidseitigen Scapularand, ein geringer Druckschmerz beidseits am Occiput und eine geringe Verspannung an der paravertebralen Muskulatur. Abgesehen von einem medialem BSV C5/6 mit deutlichen Zeichen eines frischen BSV sehe er in den vorliegenden Röntgen- und MRT-Bildern keine knöchernen oder ligamentären Verletzungen.

Mit Bescheid vom 05.11.2014 stellte die Beklagte einen Anspruch auf Heilbehandlung wegen des Versicherungsfalles vom 28.03.2014 bis 03.06.2014 fest und eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bis 27.04.2014. Die darüberhinausgehenden Beschwerden gingen nicht mehr zu Lasten der Unfallfolgen. Ein Anspruch auf Rente bestehe nicht. Im Begründungsteil führte die Beklagte aus, dass als Folgen des Arbeitsunfalles eine folgenlos ausgeheilte Distorsion der Halswirbelsäule, eine folgenlos ausgeheilte Unterkieferprellung und eine folgenlos ausgeheilte Prellung des Brustkorbes anerkannt werden. Ein BSV HWK 5/6 mit Einengung der C6-Wurzel und kleinem Einriss im Anulus fibrosus, anhaltende Kopfschmerzen und Schmerzen im Bereich des M. trapezius würden nicht als Folgen des Versicherungsfalles anerkannt, weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung.

Hiergegen legte die Klägerin am 12.11.2014 Widerspruch ein und machte geltend, sämtliche Gesundheitsbeschwerden, insbesondere der BSV, seien bei Beschwerdefreiheit vor dem Unfall auf diesen zurückzuführen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.02.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie vertrat unter Darlegung von Voraussetzungen für eine Anerkennung eines traumatisch bedingten BSV die Auffassung, dass eine entsprechend traumatische Verursachung nicht nachgewiesen sei.

Hiergegen hat die Klägerin am 23.02.2015 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) eingelegt und beantragt, den BSV HWK 5/6 mit Einengung der C6-Wurzel und kleinem Einriss im Anulus fibrosus, anhaltende Kopfschmerzen und Schmerzen im Bereich des M. trapezius als Folgen des Arbeitsunfalles anzuerkennen und die gesetzlichen Leistungen (Verletztengeld und Verletztenrente) hieraus zu erbringen. Sie begehre, die Anerkennung ihrer Beschwerden als unfallbedingt über den 03.06.2014 hinaus und unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit über den 27.04.2014 hinaus anzuerkennen. Wiederholt seien Belastungserprobungen gescheitert. Unabhängig von der Frage, ob der BSV Folge des Unfalles sei, sei doch unstreitig, dass die massiven Kopfschmerzen und Bewegungseinschränkungen im Bereich der HWS auf den Unfall zurückzuführen seien. Diese bestünden fort.
H2 habe darüber hinaus einen frischen BSV bestätigt. Sie sei auch weiterhin in physiotherapeutischer und osteopathischer Behandlung und kämpfe fortgesetzt mit den bekannten Beschwerden im Bereich der HWS. Sie hat eine (von ihr veranlasste) korrigierte Fassung des Entlassungsberichts der K2 Rehaklinik vom 15.04.2015 über einen stationären Aufenthalt dort vom 16.12.2014 bis 06.01.2015 vorgelegt (Diagnosen: traumatische Ruptur zervikale BS, Verstauchung und Zerrung HWS und BWS, Zervicocephalgien; Leistungsbeurteilung: als Diplom-Mathematikerin leidensgerechte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr, Befund: Schmerzen im Bereich Schulter-/Nackengürtel und des Hinterkopfes ohne Ausstrahlung, keine sensomotorische Defizite, Sitz- und Stehdauer, Gehstrecke: 45 Min, Treppensteigen, An- u Auskleiden ohne Einschränkungen).
Im Übrigen habe auch
H2 Cervikocephalgien, also von der HWS ausgehende Beschwerden beschrieben. Dass der BSV nicht traumatisch bedingt sei, habe allein der Beratungsarzt vorgetragen. Aus der Beschwerdefreiheit vor dem Unfall, den direkt nach dem Unfall einsetzenden Beschwerden, der Schwere des Traumas (Hochgeschwindigkeitstrauma mit einer Aufprallgeschwindigkeit von 100 km/h) und dem radiologischen Befund eines monosegmentalen BSV mit Riss des Anulus fibrosus und einer durchgängigen D-ärztlichen Betreuung aufgrund anhaltender Beschwerden sprächen für den Unfallzusammenhang. Die Klägerin hat weitere Befundberichte vorgelegt (u.a. den bislang nicht aktenkundigen Bericht des H2 vom 16.11.2015, radiologische Befundberichte von P1 vom 03.06.2014, von M1 vom 19.08.2015 [funktionelle Kernspintomographie der kraniozervikalen Überganges] und 15.10.2015 [funktionelle Kernspintomographie der HWS], von W1 vom 31.08.2015, ein MDK-Gutachten vom 05.03.2015, den Bericht des C1 vom 02.08.2014).

Die Beklagte hat an ihrer Auffassung festgehalten und darauf verwiesen, dass intracranielle Traumafolgen nicht festgestellt wurden und der paramediane Diskusprolaps HWK 5/6 nicht unfallbedingt sei. Knöcherne oder ligamentäre Verletzungen lägen nicht vor.

Nach Beiziehung von Röntgen- und MRT-Bildern und eines Vorerkrankungsverzeichnisses bei der Techniker Krankenkasse hat das SG
C2 mit der Erstellung eines orthopädischen Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 20.01.2016 hat C2 ausgeführt, die Klägerin habe bei dem Ereignis vom 28.03.2014 eine Distorsion der Halswirbelsäule, eine Unterkieferprellung und eine Prellung des Brustkorbes erlitten. Diese Verletzungen seien folgenlos ausgeheilt. Die bestehenden Beschwerden ließen sich nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf das Ereignis vom 28.03.2014 zurückführen. Die Klägerin gab ihm gegenüber an, dass nach wie vor die Kopfschmerzen das Hauptproblem seien. Sie habe auch Schmerzen im Nacken- und Schulterbereich. Diese seien jedoch deutlich geringer als die Kopfschmerzen.

Hiergegen hat die Klägerin Einwendungen erhoben und insbesondere gerügt, dass bei der Erstellung des Gutachtens die Akten, insbesondere das Bildmaterial, die Aufzeichnungen des Unfalldatumsschreibers, das Bildmaterial des Unfallfahrzeugs, das Bildmaterial der Prellmarken, die durch den Unfall verursacht worden seien, nicht berücksichtigt worden seien. Gleiches gelte für die Schwere der einwirkenden Kräfte auf die Unfallverletzte. Von Beginn an sei eine spezifische konservative Behandlung der Beschwerden erfolgt. Ferner wird die Würdigung der vorliegenden Befundberichte durch den Sachverständigen gerügt, der auch nicht nachgewiesen habe, dass andere geeignete Ursachen für die Beschwerden vorliegen. Schließlich hat sich die Klägerin ausführlich mit der medizinischen Würdigung des Sachverständigen und dessen kausaler Einordnung der Gesundheitsschäden auseinandergesetzt und weitere Fragen an den Sachverständigen formuliert.

Hierzu hat
C2 unter dem 02.05.2016 ergänzend Stellung genommen. Er hat ausgeführt, dass nach dem Unfall bei den mehrfach durchgeführten Untersuchungen, auch durch Fachärzte für Neurologie, keine neurologischen Ausfälle nachweisbar gewesen seien, und schon keine, die dem Segment C6 zuzuordnen seien. Kopfschmerzen seien nicht die klassischen Symptome eines akuten BSV, sie würden vielmehr bei einer zervikalen Ursache im Rahmen chronisch degenerativer Veränderungen, zu denen auch der BSV zähle, beobachtet. Bei einer unfallbedingten Verursachung eines BSV sei eine akute Wurzelreizsymptomatik abzufordern, die nachzuweisen sei. Der erforderliche Vollbeweis eines behaupteten Gesundheitserstschadens könne im vorliegenden Fall nicht geführt werden. Der behauptete Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den BSV C5/6 sei nicht mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit nachweisbar. Nach Rücksprache mit in seinen im Haus tätigen Radiologen seien unfallbedingte Verletzungen von knöchernen oder ligamentären Strukturen in dem zur Debatte stehenden Zeitraum noch nachweisbar. Bei Bedarf möge zur Beantwortung dieser Fragen ein radiologisches Zusatzgutachten eingeholt werden. Er halte dies in dem vorliegenden Fall allerdings nicht für erforderlich. Die von der Klägerin vorgebrachten Beschwerden mögen vorhanden sein, sie ließen sich jedoch nicht der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf den streitgegenständlichen Unfall zurückführen. Aufgrund der fehlenden radikulären Symptomatik sei nicht davon auszugehen, dass der später diagnostizierte BSV durch das Unfallereignis symptomatisch in Form einer radikulären Reizsymptomatik geworden sei. Ein unfallbedingter Anspruch auf Heilbehandlung sehe er in Übereinstimmung mit dem Bescheid der beklagten Berufsgenossenschaft in der Zeit vom 28.03.2014 bis 03.06.2014 für gegeben an. Ein messbarer Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), resultierend aus dem Unfall, liege nicht vor.

Auch zu dieser ergänzenden Stellungnahme hat die Klägerin umfangreich vorgetragen, wegen der gemachten Ausführungen wird auf Bl. 183-218 der SG Akten verwiesen.

Mit Urteil vom 25.10.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Unter Darlegung der entsprechenden Rechtsgrundlagen und Beweisgrundsätze hat das SG ausgeführt, dass die von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis vom 28.03.2014 zurückgeführt werden könnten. Hinsichtlich des Bandscheibenschadens fehle es insbesondere an einem Gesundheitserstschaden, welcher nach den genannten Grundsätzen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein müsse. Das Gericht habe sich nicht davon überzeugen können, dass bei der Klägerin der etwa 2,5 Monate nach dem Unfallereignis diagnostizierte BSV im Bereich C5/6 mit Einriss des Anulus fibrosus sowie die Kopfschmerzen, die Schmerzen im M. Trizeps (gemeint: trapezius) auf den Unfall zurückzuführen seien. Das Gericht stütze sich dabei auf die in der Akte vorliegenden Befunde sowie das eingeholte Gutachten des
C2 und dessen ergänzende Stellungnahme. Sofern die Klägerin ausführlich anderslautende medizinische Literaturhinweise anführe, ergebe sich für die Kammer nicht der Rückschluss, dass das Gutachten unschlüssig sei. Auch könne der Einwand nicht überzeugen, C2 würde die fachliche Befähigung fehlen, die vorgelegten MRT-Bilder auszuwerten, weil dieser Unfallchirurg und Orthopäde sei und kein Radiologe. Allein die theoretische, von der Klägerin eingeführte Möglichkeit einer Fehlinterpretation der gefertigten MRT-Bilder reiche hierfür nicht aus. Dass sich C2 in seiner ergänzenden Stellungnahme nochmals bei einem Kollegen aus der Radiologie rückversichert habe, führe gerade zu keinem anderen Ergebnis. Das Gericht erwarte vielmehr, dass eine kritische Betrachtung des erstellten Gutachtens erfolge, wenn hiergegen Einwände von einer Partei erhoben würden. Wenn also insofern noch eine ergänzende Prüfung der aufgeführten Schlussfolgerung durch Rücksprache mit einem Kollegen aus einer anderen Fachabteilung erfolge, werte das Gericht dies vielmehr als positives Zeichen für eine kritische Auseinandersetzung mit den erhobenen Einwendungen. Eine traumatische Verursachung des BSV im Bereich C5/6 mit kleinem Einriss des Anulus fibrosus setze eine schwere Krafteinwirkung voraus, die zu ligamentären Veränderungen oder knöcherne Begleitverletzungen führe. Eine isolierte Verletzung einer Lendenwirbelsäule-Bandscheibe (gemeint: Brustwirbelsäulen-Bandscheibe), als auch eine Verletzung ohne gleichzeitige Beschädigung der Haltestrukturen der Lendenwirbelsäule (gemeint: Brustwirbelsäule), sei vorliegend, wie sich insbesondere aus dem Gutachten und der unfallgutachterlichen Literatur ergebe, kaum denkbar (wird ausgeführt). Hinsichtlich der Kopfschmerzen seien alle neurologischen Befunde der Verwaltungsakte unauffällig. Aus diesem Grunde sei das Gericht auch nicht gehalten gewesen, auf neurologischem Fachgebiet ein weiteres Gutachten einzuholen. Die bei der Klägerin vorliegenden Kopfschmerzen seien anhand der vorliegenden Befunde nicht eindeutig einzuordnen. Nach dem Gutachten von C2 zeigten die am Unfalltag angefertigten Röntgenbilder bereits eine Verschmälerung im Bandscheibenfach C5/6 mit leichter segmentaler Kyphose und insbesondere hinten gelegenen kleinen knöchernen Randwülsten an den zugehörigen Grund- und Deckplatten. Kopfschmerzen hätten, wie C2 darstelle, oftmals eine zervikale Ursache, insbesondere bei chronisch degenerativen Veränderungen. Da bereits ein Gesundheitserstschaden nicht ausreichend habe nachgewiesen werden können, bestehe in der Folge auch kein Anspruch auf weitergehende Heilbehandlung sowie Zahlung von Verletztengeld oder Verletztenrente.

Hiergegen hat die Klägerin am 16.11.2018 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Sie hat Berichte von
G1 über eine Behandlung der Klägerin ab 03.12.2015 mit der Diagnose chronischer posttraumatischer Kopfschmerz vorgelegt. Auf Antrag und Kostenrisiko der Klägerin hat der Senat das Gutachten des L2 vom 25.04.2022 nebst Zusatzgutachten K3 vom 29.09.2022 eingeholt.

Der
L2 hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass die Klägerin bei dem Unfall am 28.03.2014 eine HWS-Beschleunigungsverletzung erlitten habe. Auf neurologischem Fachgebiet seien die Diagnosen anhaltender posttraumatischer Kopfschmerz, zurückzuführen auf ein HWS-Beschleunigungstrauma, ein myofasziales Schmerzsyndrom der HWS, ein BSV HWK 5/6 mit Tangierung der Wurzel C6 rechts zu stellen. Der anhaltende posttraumatische Kopfschmerz und das myofasziale Schmerzsyndrom seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch den Unfall vom 28.03.2014 verursacht worden. Der BSV HWK 5/6 mit Einengung der C6-Wurzel und kleinem Einriss im Anulus fibrosus sei nicht als Unfallfolge anzuerkennen und stehe auch nicht im Zusammenhang mit den Kopfschmerzen. In der durchgeführten Elektromyografie habe sich kein Hinweis auf das Vorliegen einer akuten oder chronischen Schädigung der C6-versorgten Muskulatur ergeben. Die Klägerin leide an einem anhaltenden posttraumatischen Kopfschmerz, welcher gekennzeichnet sei durch einen täglich auftretenden Kopfschmerz, einhergehend mit deutlichen Einschränkung der Konzentration und Aufmerksamkeit. Dies gehe mit einer schweren Beeinträchtigung der Lebensqualität einher. Die durch die unfallbedingten Funktionseinschränkungen verursachte MdE bewerte er mit 30 v. H. Die Kopfschmerzen erfüllten die Kriterien eines anhaltenden posttraumatischen Kopfschmerzes bei HWS-Beschleunigungstrauma Quebec Task Force (QTF) Grad II. Der erforderliche Primärschaden bestehe im vorliegenden Falle in der nicht ausreichend ausgebremsten Akzeleration des Kopfes mit Flexion der HWS. Dies habe nachgewiesenermaßen stattgefunden. Die einwirkenden Kräfte seien dokumentiert, allerdings hinsichtlich des Krankheitsbildes auch verzichtbar, da ein HWS-Beschleunigungstrauma nach Einwirkung starker wie auch geringer Kräfte auftreten könne. Mit dem Gutachten wurden weitere von der Klägerin zur Gutachtenerstattung vorgelegte Unterlagen beigelegt.
K3 stellte in seinem Gutachten ein hirnorganisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma mit konzentrativer Belastbarkeitsminderung und vorzeitiger Ermüdbarkeit, einen chronischen posttraumatischen Kopfschmerz und eine leichte depressive Episode, chronifiziert, fest.

Die Beklagte hat hiergegen Einwendungen erhoben und die Auffassung vertreten, dass beide Gutachten nicht die in der gesetzlichen Unfallversicherung maßgeblichen Beweisanforderungen und Kausalitätskriterien beachten würden. Sie verweist auf die AWMF-Leitlinie „Beschleunigungstrauma der HWS – Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie“ wonach die Qualifizierung von Beschwerden nach einem HWS-Beschleunigungstrauma ohne klinisch relevante Verletzungsfolgen nur im Rahmen eines bio-psychosozialen Konzepts erklärt werden könnten. Eine kritische Würdigung individueller unfallunabhängiger Faktoren wie der wesentlichen Veränderung der Lebensumstände durch die Geburt des Sohnes, den unfallunabhängigen Schäden an der HWS, den beruflichen Belastungsfaktoren, den persönlichkeitsbedingten Faktoren und einer progredienten Entwicklung und Ausweitung der Beschwerden sei in beiden Gutachten nicht erfolgt.
Die Bezugnahme auf die Quebec-Klassifikation (QTF) aus 1995 für die Wertung der Kopfschmerzen und eines myofaszialen Schmerzsyndroms als unfallbedingt greife zu kurz. Bei der QTF seien die darin enthaltenen möglichen subjektiven Symptome als Ausdruck der Verletzung angenommen worden, die aufgrund der gewachsenen Erkenntnisse inzwischen lediglich als stressinduzierte Symptome angesehen würden, die am ehesten einer vermehrt reaktionsbereiten Persönlichkeitsstruktur, nicht aber einer Organpathologie zuzuordnen sei (unter Verweis auf Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl., Seite 487 ff.). Bis auf den Schweregrad IV beruhe die Schweregradeinteilung ausschließlich auf unspezifischen klinischen Befunden oder gar nur subjektiv erlebten Beschwerden im Halsbereich, was zu Unschärfen der jeweiligen Definition führe. Dies sei für den klinischen Gebrauch einer Therapieplanung ausreichend, erlaube jedoch für die gutachterliche Beurteilung keine zielführende Orientierung. Nur eine vollbeweislich gesicherte strukturelle HWS-Verletzung könne Dauerfolgen hinterlassen. Soweit
K3 in seinem neuropsychologischen Gutachten weitere Diagnosen anführe, seien diese ebenso wie die Schlussfolgerungen nicht schlüssig und nachvollziehbar. Bei den bisherigen Untersuchungen habe es keine psychopathologischen Auffälligkeiten gegeben. Die Diagnose beruhe auf einem einzigen Selbstbeurteilungsfragebogen und dem Beschwerdevortrag. Sie entbehre daher einer fundierten Grundlage. Eine unmittelbare strukturelle Verletzung des Gehirns sei bei HWS-Beschleunigungstraumata ohne zusätzliches Schädel-Hirn-Trauma nicht nachgewiesen (mit Verweis auf die AWMF-Leitlinie „Beschleunigungstrauma der HWS – Leitlinien für Diagnostik und Therapie“, Stand 08/2020). Es fehle insoweit an entsprechenden Initialbefunden als auch an Brückenbefunden sowie radiologischen Nachweisen einer Hirnschädigung. Auch die Diagnose chronisch posttraumatischer Kopfschmerz sei nicht schlüssig. Gutachterlich dürfe die Diagnose eines mehr als 6 bis 12 Monate anhaltenden posttraumatischen Kopfschmerzes ausschließlich dann gestellt werden, wenn eine traumatische Hirnschädigung und/oder ein anderes geeignetes morphologisches Korrelat nachgewiesen sei und die Kausalitätskriterien des jeweiligen Rechtsgebietes erfüllt seien. Am Nachweis einer traumatischen Schädigung fehle es.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 25. Oktober 2018 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 5. November 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2015 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, als Folgen des Versicherungsfalles vom 28. März 2014 anhaltende posttraumatische Kopfschmerzen und ein myofasziales Schmerzsyndrom anzuerkennen und die gesetzlichen Leistungen in Form von Heilbehandlungskosten über den 3. Juni 2014 hinaus zu übernehmen, sowie Verletztengeld und im Anschluss daran Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von mindestens 30 v.H. zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

In seiner vom Senat veranlassten ergänzenden Stellungnahme hat der Gutachter
L2 darauf hingewiesen, dass C2 keine gezielte Kopfschmerzanamnese gestellt habe, was nicht weiter verwunderlich sei, weil dieser keine Expertise im Bereich Kopfschmerzen aufweise. Eine gezielte Kopfschmerzanamnese könne den Berichten des G1 entnommen werden. Es sei im Verfahren nicht zu einer stetigen Progredienz der Beschwerden gekommen, weshalb „wesentliche Veränderungen der Lebensumstände durch die Geburt des Sohnes“ ohne Einfluss auf den Krankheitsverlauf gewesen seien. Auch wenn die Beklagte den Kausalitätszusammenhang nicht erkennen wolle, sei er als Gutachter in Zusammenschau der Befunde weiterhin davon überzeugt, dass die im Gutachten genannten Diagnosen unfallbedingt seien und verweise erneut auf dieses Gutachten. Die objektiven Befunde im Gutachten K3 hätten Eingang in sein Gutachten gefunden. Er teile die darin enthaltenen Diagnosen hirnorganisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma und Depression aber nicht. Daher hätten diese bei seiner Gesamtbeurteilung keine Berücksichtigung gefunden. Die Höhe der MdE erfolge unter Berücksichtigung der Bewertungstabellen aus „Neurowissenschaftliche Begutachtung“ von W2.

Die Beteiligten haben hierzu nochmals Stellung genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten der ersten und zweiten Instanz verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie bleibt jedoch ohne Erfolg. Die Beklagte und das SG haben es zu Recht abgelehnt, weitere Folgen des von der Beklagten anerkannten Wegeunfalles vom 28.03.2014 festzustellen (hierzu unter 1.). Der Klägerin stehen auch keine Heilbehandlungskosten über den 03.06.2014 hinaus und auch kein Anspruch auf Verletztengeld und Verletztenrente zu (hierzu unter 2.).

Die von der Klägerin erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auf Feststellung von Unfallfolgen ist gemäß § 54 Abs. 1 SGG statthaft. Denn der Verletzte kann seinen Anspruch auf Feststellung, dass eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls ist, nicht nur mit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG§ 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG geltend machen. Er kann vielmehr wählen, ob er stattdessen sein Begehren mit einer Kombination aus einer Anfechtungsklage gegen den das Nichtbestehen des von ihm erhobenen Anspruchs feststellenden Verwaltungsakts und einer Verpflichtungsklage verfolgen will (BSG, Urteil vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R -, BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr. 1 RdNr. 12 ff.). Beide Rechtsschutzformen sind grundsätzlich gleich rechtsschutzintensiv (BSG, Urteil vom 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R -, NZS 2012, 909). Die Beklagte hat hier auch durch Verwaltungsakt über bestehende und nicht auf den Unfall zurückzuführende Gesundheitsstörungen entschieden, auch wenn dies erst im Begründungsteil des Bescheides vom 05.11.2014 erfolgte. Insoweit besteht aufgrund der äußeren Form (Absetzung und Fettdruck) und des Inhalts der gewählten Formulierung („wird anerkannt“, „wird nicht anerkannt“) kein Zweifel, dass die Beklagte die genannten Unfallfolgen hier nicht nur lediglich zur Begründung der Ablehnung der geltend gemachten Leistungsansprüche herangezogen hat, was, aufgrund der Stellung im Begründungsteil des Verwaltungsakt sprechen könnte, sondern eine eigenständige Regelung mit Außenwirkung im Sinne des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) treffen wollte und getroffen hat. So verhält sich auch der Widerspruchsbescheid, der ausdrücklich diese feststellenden Regelungen als maßgebenden Inhalt des Bescheides bestimmte.

Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren zusätzlich zu den vor dem SG gestellten Anträgen die Anerkennung eines myofaszialen Schmerzsyndroms und eines hirnorganischen Psychosyndroms nach Schädelhirntrauma neben bereits beantragten anhaltenden posttraumatischen Kopfschmerzen verfolgt, handelt es sich um eine nach § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG auch noch im Berufungsverfahren zulässige Erweiterung des Klageantrags in der Hauptsache nach § 54 Abs. SGG (Verpflichtung zur Feststellung von Unfallfolgen), die im Übrigen auch als Klageänderung nach § 99 Abs. 1 SGG als sachdienlich anzusehen wäre. Denn es entspricht dem Gebot der Prozessökonomie, über alle bekannten Folgen desselben Unfalls in einem Verfahren zu entscheiden (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.04.2019 - L 6 U 175/18 -, juris, Rn. 29). Eine Geltendmachung dieser Unfallfolge war der Klägerin vorher nicht möglich, weil diese Formulierung der Unfallfolgen erstmalig durch das aktuelle Zusatzgutachten des
K3 vom 29.09.2022 in das Verfahren eingeführt worden sind. Insofern kann der Klägerin nicht entgegengehalten werden, dass es „insoweit“ an dem Vorverfahren nach § 78 SGG fehlt, weil eine Entscheidung der Beklagten zu den Unfallfolgen auf dem orthopädisch-chirurgischen und auf dem neurologischen Fachgebiet vorliegt, welche jedoch die von der Klägerin nunmehr zusätzlich auf diesen Fachgebieten bezeichneten Unfallfolgen nicht umfasst. Es liegt damit weder der Fall vor, dass Unfallfolgen eines bestimmten Fachgebietes bisher nicht Gegenstand der angegriffenen Behördenentscheidung sind, noch der Fall, dass die Unfallfolgen erst nach der Behördenentscheidung aufgetreten sind (vgl. hierzu LSG Saarland, Urteil vom 23.06.2021 - L 7 U 25/20 -, Rn. 59 ff., juris). Darüber hinaus hat sich die Beklagte bereits auf den geänderten Sachvortrag und Antrag inhaltlich eingelassen (§ 99 Abs. 1, 1. Alt. i.V.m. Abs. 2 SGG).

1. Die Feststellung einer Gesundheitsstörung als Unfallfolge setzt voraus, dass sie Folge eines Versicherungsfalles, d.h. eines Arbeitsunfalls oder – hier nicht einschlägig – einer Berufskrankheit ist (§§ 7, 8 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - SGB VII) ist. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist für einen Arbeitsunfall nach § 8 Abs. 1 SGB VII in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen auf Grund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG, Urteil vom 29.11.2011 - B 2 U 23/10 R -, juris m.w.N.). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung“, „Unfallereignis“ sowie „Gesundheitsschaden“" erfüllen sollen, im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst recht nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 20.12.2016 - B 2 U 16/15 R -, juris). Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ist dann anzunehmen, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkt des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen ist oder nur möglich ist (BSG, Urteil vom 18.01.2011 - B 2 U 5/10 R -, juris).
 
Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung. Diese setzt zunächst die Verursachung der weiteren Schädigung durch den Gesundheitserstschaden im naturwissenschaftlich-naturphilosophischen Sinne voraus. Ob die Ursache-Wirkung-Beziehung besteht, beurteilt sich nach der Bedingungstheorie. Nach ihr ist eine Bedingung dann notwendige Ursache einer Wirkung, wenn sie aus dem konkret vorliegenden Geschehensablauf nach dem jeweiligen Stand der einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse (Erfahrungssätze) nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Auf dieser ersten Stufe sind alle derartigen notwendigen Bedingungen grundsätzlich rechtlich gleichwertig (äquivalent). Alle festgestellten anderen Bedingungen, die in diesem Sinn nicht notwendig sind, dürfen hingegen bei der nachfolgenden Zurechnungsprüfung nicht berücksichtigt werden (BSG, Urteil vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R -, juris).
 
Ist der Gesundheitserstschaden in diesem Sinne eine notwendige Bedingung des weiteren Gesundheitsschadens, wird dieser ihm aber nur dann zugerechnet, wenn er ihn wesentlich (ausreichend: mit-)verursacht hat. Wesentlich ist der Gesundheitserstschaden für den weiteren Gesundheitsschaden nach der in der Rechtsprechung gebräuchlichen Formel, wenn er eine besondere Beziehung zum Eintritt dieses Schadens hatte (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, juris). Bei mehreren Ursachen ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende (Mit-)Ursache auch wesentlich war, ist unerheblich. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 a.a.O., m.w.N.).
 
Gesundheitserstschaden im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist grundsätzlich jeder regelwidrige körperliche, geistige oder seelische Zustand, der unmittelbar durch die (von außen kommende, zeitlich begrenze) Einwirkung rechtlich wesentlich verursacht wurde, die selbst rechtlich wesentlich durch die Verrichtung der versicherten Tätigkeit verursacht wurde. Von diesem zum Tatbestand des Versicherungsfalls gehörenden Primärschaden sind diejenigen Gesundheitsschäden zu unterscheiden, die rechtlich wesentlich erst durch den Erstschaden verursacht (unmittelbare Unfallfolge) oder der versicherten Tätigkeit aufgrund der Spezialvorschrift des § 11 SGB VII als Versicherungsfall (mittelbare Unfallfolge) zuzurechnen sind (BSG, Urteil vom 15.05.2012 - B 2 U 16/11 R -, juris).

Ausgehend hiervon stellt der Senat fest, dass sich die Klägerin bei dem von der Beklagten zu Recht anerkannten Wegeunfall (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII) eine Distorsion der Halswirbelsäule, eine Unterkieferprellung und Prellung des Brustkorbes zugezogen hat. Einen rechtlich wesentlich hierauf zurückzuführenden überdauernden Gesundheitsschaden haben diese Erstschäden jedoch nicht nachweisbar hinterlassen. Dies entnimmt der Senat den vorliegenden Befunden sowie dem Gutachten von
C2.

Dass Folgen der Unterkieferprellung und der Prellung des Brustkorbes noch zu berücksichtigen wären, hat auch die Klägerin nicht geltend gemacht. Folgen dieser Gesundheitsstörungen sind auch nicht ersichtlich. So wurden von
L1 unter dem 27.04.2014 über den Befund am 31.03.2014 (Bl. 211 der Akten der Beklagten) berichtet, dass eine Blutergussverfärbung oberer Brustkorb rechts und Oberrand des Schulterblattes links festzustellen waren und die Klägerin noch leichte Schmerzen beim Kauen angegeben habe. Bezogen auf den dort mitgeteilten Befund vom 07.04.2014 wurden nur noch geringe Beschwerden im Bereich der rechten Schulter und im Brustkorb angegeben, die sich in den nachfolgenden Berichten, etwa dem Bericht von C1 vom 23.04.2014 oder vom 06.06.2014 nicht mehr finden.

Unter einer HWS-Distorsion versteht man eine Verrenkung und Verletzung der Bänder und Gelenke durch Überdehnung der Halswirbelsäule (HWS), oft synonym mit Schleudertrauma. Ursache sind Schleuderbewegungen des Kopfes bei plötzlicher Beschleunigung (danach Gegenbewegung durch plötzliche Muskelanspannung). Betroffene entwickeln nach einer Latenz von Stunden Schmerzen, die innerhalb von Tagen bis Wochen abklingen (vgl. Pschyrembel, Stichwort HWS-Distorsion, zuletzt abgerufen unter https://www.pschyrembel.de/HWS-Distorsion/K0KG0/doc/ am 08.11.2023). Eine solche Distorsion haben die D-Ärzte
Z1 und K4 im T1 bei der Erstvorstellung in M2 und L1 am 31.03.2014 diagnostiziert.

Für den Fortbestand von distorsionsbedingten Schmerzen findet sich ohne Darlegung und Nachweis konkret verletzter Strukturen aber keine Begründung. Gesundheitlich nachteilige Dauerfolgen nach einer bewegungsdynamischen Verletzung im Halsbereich sind nur dann zu erwarten, wenn es sich primär um eine strukturelle Läsion gehandelt hat. Zerrungen der Halsmuskulatur – unter Umständen auch am Bandapparat der HWS selbst – fallen zwangsläufig den physiologisch ablaufenden Heilungsvorgängen anheim und können daher keine objektivierbaren/messbaren Dauerfolgen hinterlassen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, Seite 497). Diagnosen, die durch den Unfall konkret verletzte Strukturen beschreiben und damit überdauernde Beschwerden erklären könnten (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 19.07.2022 - L 9 U 2377/19 -, Rn. 52, juris), finden sich jedoch in den Befundberichten der zahlreichen Behandler nicht. Eine – zudem unfallbedingte – Nervenschädigung, die überdauernde Schmerzen im Nacken- und Hinterkopfbereich erklären könnte oder eine neurologisch nachweisbare Schädigung des M. trapezius, wurde weder von den Behandlern noch von den gehörten Sachverständigen aufgezeigt. Fehlt es indes am Nachweis eines Gesundheitserstschadens, lassen sich auch unter Beachtung der ausgeführten Beweisgrundsätze mit einer hierfür erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit die von der Klägerin geltend gemachten Kopfschmerzen und auch die Schmerzen im Nacken- und Schulterbereich nicht auf einen solchen zurückführen. Hierauf hat
C2 abgestellt und dessen Einlassungen sind auch nicht zu beanstanden. Er hat in seiner ergänzenden Stellungnahme darauf hingewiesen, dass neurologische Gesundheitsstörungen weder initial bei der Erstbehandlung beim Durchgangsarzt am 28.03.2014 festgestellt wurden noch nachfolgend im Rahmen der neurologischen Untersuchung durch P2 vom 11.06.2014 („kein Anhalt für intrakranielle Traumafolgen oder anderweitige neurologische Störungen“). B1 hat unter dem 07.07.2014 darüber hinaus nach einer Untersuchung neurologisch unauffällige Befunde mitgeteilt („Hirnnervenfunktion intakt, kein Meningismus. MER: Armeigenreflexe seitengleich, BHR +/+, Beineigenreflexe seitengleich erhältlich, Babinski-Gruppe negativ, Motorik ohne höhergradige Paresen oder Atrophien, Sensibilität intakt, EPS regelrecht, Koordination metrisch und sicher, Vegetativum unbeeinträchtigt, HWS paravertebral verspannt, kein Foramenkompressionsschmerz“). Auch das durchgeführte EEG und die Prüfung von Nervenleitgeschwindigkeiten blieben im Rahmen der von ihm durchgeführten Untersuchungen ohne pathologischen Befund.
H2 hat bereits in seinem Befundbericht vom 29.08.2014 darauf hingewiesen, dass er den vorliegenden Röntgen- und MRT-Bildern keine knöchernen und auch keine ligamentären Verletzungen entnehmen könne. In seinem Bericht vom 17.11.2015 hat er den neurologischen Befund als „nach wie vor regelrecht“ gewertet. Ob die in diesem Bericht angesprochene zwischenzeitlich eingetretene Zunahme der Irritation des Myelon im Bereich des BSV C5/6 für die Beschwerdesymptomatik verantwortlich ist (die operative Intervention wurde angedacht; in diese Richtung wohl auch der Bericht des M1 vom 15.10.2015, kann insoweit hier dahinstehen. Maßgeblich zu berücksichtigen ist, dass auch die funktionelle Kernspintomographie des kraniozervikalen Überganges vom 19.08.2015 beim M1 eine regelrechte Zentrierung des Dens axis sowie regelrechte Artikulation im atlantodentalen Gelenk in der Neutralstellung als auch bei den Rotationsuntersuchungen und bei den Seitneigungen bzw. keine Zeichen einer funktionellen Instabilität ergeben hat. Ferner wurde dort ausdrücklich eine regelrechte Konfiguration des Ligamentum transversum atlantis festgehalten und pathologische Signalveränderungen, Kontinuitätsunterbrechung oder narbige Veränderungen der Kiefer- und Kopfgelenkbänder beidseits (Ligamentum apicis dentis, Membrana tectoria, Membrana atlantooccipitalis anterior und atlantooccipitalis posterior sowie Ligamenta alaria) ausgeschlossen. Insoweit ergibt sich auch aus den radiologischen Befunden in den Wochen und Monaten nach dem Unfallereignis kein Anhalt für durch den Unfall verletzte Strukturen, also für knöcherne Verletzungen oder Verletzungen der ligamentären Strukturen (Muskeln, Bänder, Kapselbandapparat), die für die von der Klägerin geltend gemachten Beschwerden verantwortlich gemacht werden könnten.

Unabhängig davon, dass eine Anerkennung nicht mehr ausdrücklich beantragt wird, ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass der erstmals durch die MRT der HWS vom 03.06.2014 nachgewiesene BSV HWK 5/6 mit Einengung der C6-Wurzel und kleinem Einriss im Anulus fibrosus kein (weiterer) Gesundheitserstschaden im bereits oben dargestellten Sinn ist. Eine nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit belegte Verursachung durch das Unfallgeschehen steht mit Blick auf den fehlenden Nachweis einer dem Segment C5/6 zuzuordnenden und unmittelbar mit dem Unfallereignis auftretenden radikulären Symptomatik und den fehlenden, aber zu erwartenden pathologischen Veränderungen in der Kernspintomographie vom 03.06.2014 in den umgebenden knöchernen und weichteiligen Strukturen auch zur Überzeugung des Senats fest. Soweit
C1 von einer traumatischen Ruptur der BS C5/6 ausgegangen ist, ist das SG dem mit überzeugender Begründung und unter Berücksichtigung der vorliegenden Befunde, der gutachterlichen Wertung von C2 und der Rechtsprechung zu Recht nicht gefolgt. Der Senat macht sich diese Ausführungen (Seite 10 ff. des Urteils) nach eigener Prüfung zu eigen und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Die Klägerin hat nach der gutachterlichen Einschätzung des nach § 109 SGG gehörten Gutachters L2 (dass dieser BSV keine Unfallfolge sei) und Umstellung ihres Antrages im Berufungsverfahren hieran auch nicht mehr festgehalten.

Die Kopfschmerzen können auch nicht als Folge einer hirnorganischen Schädigung gewertet werden, da ein solcher Gesundheitserstschaden, eine hirnorganische Schädigung, durch radiologische und neurologische Untersuchungen ausgeschlossen worden ist. Damit ist auch der vom Klinischen
K3 gestellten Diagnose eines hirnorganischen Psychosyndroms nicht weiter nachzugehen, da diese und deren Kausalität mit dem Unfallereignis von K3 nicht ansatzweise dargelegt wurde und diese auch vom Hauptgutachter, der ausweislich der wiedergegebenen Fragestellung das Zusatzgutachten lediglich zu Art und Ausmaß bestehender kognitiver Einschränkungen anfragte, nicht geteilt und auch nicht übernommen worden ist. Ein Gesundheitserstschaden bezogen auf eine mit dem Unfallereignis eingetretene hirnorganische Schädigung findet sich weder in den zeitnah zum Unfall vorliegenden Befunden noch wurde eine solche Diagnose später gestellt. Nach dem eindeutigen Befund des P2 vom 11.06.2014 fand sich in dem am 11.06.2014 durchgeführten MRT des Kopfes kein Anhalt für intrakranielle Traumafolgen. Ist aber ein Schädel-Hirn-Trauma nicht im Vollbeweis als Gesundheitserstschaden nachgewiesen, scheidet die Feststellung eines organischen Psychosyndroms nach Schädel-Hirntrauma als Unfallfolge aus (Bayerisches LSG, Urteil vom 20.06.2012 - L 2 U 340/10 -, juris). Uneingeschränkt dasselbe gilt für die von K3 gestellte Diagnose einer leichten Depression, auf die mangels Anknüpfungstatsachen bezogen auf das Unfallereignis und fehlender Diagnosen und Behandlungsbedürftigkeit in der Folge des Unfalles nicht näher eingegangen zu werden braucht, zumal der Hauptgutachter L2 sich auch dieser Diagnose nicht angeschlossen hat.

Soweit der auf Antrag und Kostenrisiko der Klägerin gehörte
L2 einen anhaltenden posttraumatischen Kopfschmerz, der auf ein HWS-Beschleunigungstrauma zurückzuführen sei, und eine myofasziales Schmerzsyndrom der HWS als Folgen des Unfalles vom 28.03.2014 sieht, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen.
Das Gutachten zeigt weder für den so bezeichneten anhaltenden posttraumatischen Kopfschmerz noch für ein myofasziales Schmerzssyndrom der HWS einen auslösenden Gesundheitserstschaden auf. Der im Gutachten objektiv erhobene und wiedergegebene Befund weicht nicht von den bereits oben beschriebenen neurologischen Befunden ab (Hirnnerven: konjugierte Bulbi, isokore prompt lichtreagible Pupillen, unauffällige Blickfolgebewegungen ohne pathologische Sakkaden, kein Nystagmus, seitengleiche Lidspalten, keine faziale Parese, Geruch und Geschmack auf Befragen unauffällig, Fingerreiben wird vor beiden Ohren wahrgenommen, die insoweit wird gerade herausgestreckt, die Nutzungen Bewegungen sind frei, die sich Sensibilität intakt, Kieferöffnung und Kieferschluss kräftig; Motorik: Unauffällige Arm- und Beinvorhalteversuche, keine umschriebene Muskelatrophie, unauffälliger Tonus der Muskulatur, in der Einzelkraftprüfung keine Paresen; Koordination: Sichere Ausführung von Knie-Hacke-Versuch und Finger-Nase-Versuch, Eudiadochokinese, Gang- und Standproben: Gang- und Standbild sicher; Muskeleigenreflexe: An den oberen und unteren Extremitäten seitengleich mittellebhaft erhältliche Muskeleigenreflexe, kein Nachweis von Pyramidenbahnzeichen; Bauchhautreflexe: Alle drei Etagen erhältlich; Sensibilität: Keine Störung der Ästhesie, Algesie oder Pallästhesie). Auch ein Nadel-EMG aus dem rechten M. biceps brachii und M. brachioradialis vom 21.04.2022 ergab einen Normalbefund, regelrechte Amplituden, kein Nachweis von Spontanaktivität, ein regelrechtes Interferenzmuster. Nach der Beurteilung des Neurologen ergab sich hieraus kein Hinweis auf eine akute oder chronische neurogene Schädigung der C6-versorgten Muskulatur.

Der Gutachter leitet seine Diagnose eines „anhaltenden Kopfschmerzes, zurückzuführen auf ein HWS Beschleunigungstrauma“ aus der Definition der Internationalen Kopfschmerzklassifikation ab. Diese Kriterien seien hier erfüllt:
A. Jeder Kopfschmerz, der die Kriterien C und D erfüllt
B. Zustand nach Beschleunigungstrauma bei Eintritt von Nacken- und/oder Kopfschmerzen
C. Der Kopfschmerz ist innerhalb von 7 Tagen nach dem Beschleunigungstrauma aufgetreten
D. Der Kopfschmerz hält >3 Monate nach seinem Beginn an
E. Nicht besser erklärt durch eine andere ICHD-3 Diagnose
Der Begriff HWS-Beschleunigungstrauma beziehe sich auf eine plötzliche und nicht ausgebremste Azeleration/Dezeleration des Kopfes mit Flexion/Extension der HWS. Es könne nach Einwirkung starker wie auch geringer Kräfte auftreten.
Die bei der Klägerin vorliegenden Kopfschmerzen erfüllten die Kriterien eines anhaltenden posttraumatischen Kopfschmerzes bei HWS-Beschleunigungstrauma Quebec Task Force (QTF) Grad 2.

Mit den hiergegen von der Beklagten vorgebrachten Einwänden unter Verweis auf die aktuelle Rentenliteratur hat sich der Gutachter nur unzureichend auseinandergesetzt. Den Einwand einer reinen befundorientierten Einstufung ohne Nachweis einer Organpathologie hat Herr
L2 allein dahingehend kommentiert, dass er als Gutachter in Zusammenschau aller Befunde davon weiterhin überzeugt sei, dass die in seinem Gutachten genannten Diagnosen unfallbedingt sind, weshalb er erneut inhaltlich auf dieses Gutachten verweise.

Die auch auf Nachfrage fehlende Auseinandersetzung mit einem organpathologischen Korrelat und damit auch mit der Frage, welcher Gesundheitserstschaden für die Beschwerden der Klägerin mit einer hierfür zu fordernden Wahrscheinlichkeit verantwortlich ist, vermag auch den Senat nicht von dem im Gutachten so ausgeführten Unfallzusammenhang zu überzeugen. Den hierfür erforderlichen Primärschaden bezeichnet
L2 in Beantwortung der Frage nach Abweichungen gegenüber Vorgutachten dahingehend, dass dieser in einer nicht ausreichend ausgebremsten Akzeleration des Kopfes mit Flexion der HWS besteht. Damit beschreibt der Gutachter aber keinen Gesundheitsschaden, sondern einen Vorgang, aus dessen Verlauf er einen Gesundheitsschaden ableiten will, der hier aber weder neurologisch noch radiologisch nachgewiesen ist, wie insbesondere auch die Kernspintomographie des kraniozervikalen Überganges vom 19.08.2015 (M1) belegt. Die Kopfschmerzen sieht L2 auch nicht in Folge des myofaszialen Schmerzsyndroms, sondern als neben dem posttraumatischen Kopfschmerz bestehend und verursacht. Das Vorgehen, allein aus Dauer und Schwere subjektiv beschriebener Symptome auf das Vorliegen eines (durch den Unfall verursachten) Gesundheitsschadens zu schließen, erbringt nicht den Beweis eines strukturellen Gesundheitsschadens. Entsprechend wird auch bei Schönberger/Mehrtens/Valentin (a.a.O., Seite 488) darauf hingewiesen, dass eine Schweregradeinteilung – wie die Quebec-Klassifikation (1995) mit Ausnahme des Schweregrades IV –, die allein auf unspezifische oder subjektiv erlebte Beschwerden im Halsbereich abstellt, für eine Therapieplanung ausreichend ist, für eine gutachterliche Beurteilung aber nicht zielführend. Eine befundorientierte Schweregradeinteilung (bei Schönberger et al. wiedergegeben) berücksichtigt für die Einteilung neben diesen Befunden auch den Nachweis von kernspintomographisch gesicherten Strukturschäden. Auch hiermit setzt sich L2 trotz Hinweises auf die Ausführungen bei Schönberger et al. nicht auseinander.

Unabhängig von diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht das Vorgehen im Gutachten nach § 109 SGG nicht den Beweisgrundsätzen in der gesetzlichen Unfallversicherung, die – wie oben ausgeführt – neben dem Vollbeweis einer schädigenden Einwirkung auch den Vollbeweis eines Gesundheitsschadens erfordert, der – ist seine durch die Einwirkung wahrscheinliche Verursachung belegt – dahingehend zu untersuchen ist, ob auch geltend gemachte Folgen mit Wahrscheinlichkeit auf ihn zurückzuführen sind. Mangels Nachweises eines solchen Gesundheitserstschadens können vorliegend auch keine Einschränkungen, Schmerzen und Beschwerden als Unfallfolgen anerkannt werden.

Die seit Dezember 2015 und bis 2021 (für diesen Zeitraum liegen Befundberichte vor) durchgeführte Schmerztherapie bei
G1, K5 im T2, führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Sie ist ebenfalls nicht beweisend für einen durch den Unfall verursachten Gesundheitserstschaden. Dies ergibt sich schon daraus, dass dort die von L2 genannte Diagnose Chronischer posttraumatischer Kopfschmerz (G44.3) im Rahmen der dort erfolgten Erstbehandlung (03.12.2015) und unter Bezugnahme auf die Diagnosekriterien nach der ICHD-3 erstmals gestellt wurde. Eine eigenständige neurologische Untersuchung mit abweichender Diagnosestellung enthalten die vorliegenden Berichte vom 04.12.2015, 08.04.2016, 13.05.2016, 28.06.2016, 05.10.2016, 16.11.2017 nicht. Erstmals wurde dann im Bericht vom 09.02.2018 ein myofasziales Schmerzsyndrom der HWS diagnostiziert, nachdem sich die Klägerin dort vom 24.01.2018 bis 09.02.2018 – während ihrer Schwangerschaft – in stationärer Behandlung befunden hat. Im klinisch neurologischen Befund wurden Hirnnerven, Motorik, Koordination, Sensibilität, Gang und Stand als unauffällig beschrieben. Es wurde eine eingeschränkte Rotation der HWS nach beiden Seiten auf 45°, Reklination 10°, eine Steilstellung und Schonhaltung der HWS beschrieben. Es wird eine hochgradig angespannte und schmerzhafte Muskulatur angegeben, ohne auf eine Ursache hierfür einzugehen. Eine Erläuterung oder Herleitung der gestellten Diagnose findet sich nicht.
Einen ursächlichen Zusammenhang vermag der Senat auch mit dieser, erstmals fast vier Jahre nach dem Unfall gestellten Diagnose nicht festzustellen. Es ist schon nicht auszuschließen, dass damit nur die Schmerzen bezeichnet werden, die die Klägerin auch zuvor bereits im Wesentlichen als Kopfschmerzen geltend gemacht hat und die von
B1 im Juli 2014 als Nacken-, Schulterschmerz und Schmerzen von hinten haubenförmig bis zur Stirn ziehend, beschrieben wurden. Festzuhalten ist, dass unmittelbar nach dem Unfall im D-Arztbericht vom 28.03.2014 vermerkt ist, dass Druckschmerzen über der HWS, der BWS und der LWS nicht auslösbar gewesen sind und am 31.03.2014 Beschwerden im Nacken und Hinterkopf sowie Verspannungsbeschwerden im Bereich des vorderen Thorax angegeben wurden. Unter dem 23.04.2014 wurde sogar festgehalten, dass der Nacken reizlos und ohne Druckschmerzen war und noch eine „Anspannung“ des Trapezius bds. bestand.
Nach den bei Schönberger et.al. (a.a.O., Seite 485) wiedergegebenen Studien haben Untersuchungen ergeben, dass wache Unfallbeteiligte ausnahmslos nach Eintritt einer HWS-Verletzung sofort über nachhaltige lokale Beschwerden im Halsbereich geklagt haben, sodass ein Nichtauftreten solcher Sofortbeschwerden nach dem Stand der wissenschaftlichen Diskussion zumindest eine strukturelle Verletzung sicher ausschließt. Eine eine andere Beurteilung rechtfertigende Sichtweise ist weder den Befundberichten des
G1 noch dem Gutachten L2 zu entnehmen. In keinem findet sich ein Hinweis auf einen strukturellen Gesundheitsschaden im Bereich des M. trapecius. Allein die zeitliche Diskrepanz spricht gegen einen ursächlichen Zusammenhang.

Damit sind die hier beantragten oder in Betracht kommenden Gesundheitsstörungen weder selbst ein Gesundheitserstschaden noch Folgen eines Gesundheitserstschadens. Es besteht daher kein Anspruch auf eine Verpflichtung der Beklagten, die geltend gemachten Unfallfolgen anzuerkennen.

2. Für das Begehren auf Gewährung von Verletztengeld und Verletztenrente hat die Klägerin die Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG zulässig mit der unechten Leistungsklage auf Gewährung von Verletztengeld bzw. Verletztenrente kombiniert.


Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Verletztengeld ist § 45 Abs. 1 SGB VII. Danach wird Verletztengeld erbracht, wenn der Versicherte infolge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig ist (unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit) und unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf u.a. Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen oder Krankengeld hatte. Anspruch auf eine Rente haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).

Die Beklagte ist ausgehend von den oben gemachten Ausführungen zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin ab 06.06.2014 nicht mehr wegen der Folgen des Arbeitsunfalles arbeitsunfähig war. Für diese Zeit ist ein auf den Unfall zurückzuführender und die Arbeitsunfähigkeit rechtlich wesentlich begründender Gesundheitserstschaden nicht mehr nachgewiesen. Das hat auch C2 in seinem Gutachten bzw. der vorliegenden ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme bestätigt. Die Gewährung einer Verletztenrente scheidet aus denselben Gründen (fehlender Nachweis einer durch den Arbeitsunfall verursachten Erwerbsminderung) aus.


Nichts Anderes lässt sich für die geltend gemachte Heilbehandlung über den 03.06.2014 hinaus und deren Kosten begründen. Gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII hat der Unfallversicherungsträger mit allen geeigneten Mitteln möglichst frühzeitig den durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mildern. Die Zuständigkeit eines Unfallversicherungsträgers ist somit immer (nur) dann gegeben, wenn die Notwendigkeit der Heilbehandlung rechtlich wesentlich auf einen Versicherungsfall, mithin einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit (vgl. § 7 SGB VII) zurückzuführen ist. Dies ist mangels eines hierfür noch vorliegenden Gesundheitserstschadens nicht der Fall, was C2, dem der Senat auch insoweit folgt, in seinem Gutachten ebenfalls bestätigt hat.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Revision
ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist.



 

Rechtskraft
Aus
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