Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 23.08.2022 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Altersrente für schwerbehinderte Menschen ohne Berücksichtigung eines Versorgungsausgleichs für den Zeitraum vom 01.07.2019 bis zum 31.10.2020.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger war mit H. J., geboren am 00.00.0000, vom 01.12.1980 bis zum 31.05.2001 verheiratet. Die Ehe wurde mit Urteil des Amtsgerichts (AG) Gelsenkirchen-Buer (Az: 15 F 190/01) vom 11.10.2001, rechtskräftig am 08.12.2001, geschieden. Durch Versorgungsausgleich wurden von dem Rentenkonto des Klägers bei der Beklagten auf das Rentenkonto der geschiedenen Ehefrau Rentenanwartschaften in Höhe von 445,83 DM übertragen.
Auf seinen Antrag gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 21.08.2018 Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 01.09.2018.
Die geschiedene Ehefrau des Klägers, die nachfolgend erneut verheiratet war, verstarb am 00.00.2018. Die Beklagte gewährte deren Witwer E. J. ab dem 01.01.2019 große Witwerrente.
Der Kläger beantragte am 08.01.2019 bei der Beklagten die Rückübertragung von Rentenanwartschaften für die Ehezeit und Neuberechnung seiner Rente. Weiterhin beantragte er am 28.06.2019 beim AG Gelsenkirchen die Abänderung des Versorgungsausgleichs. Mit Beschluss vom 07.09.2020 (101 F 205/19, rechtskräftig seit dem 20.10.2020) änderte das AG den Ausspruch über den Versorgungsausgleich dahingehend ab, dass ein Versorgungsausgleich mit Wirkung ab dem 01.07.2019 nicht mehr stattfinde.
Mit Bescheid vom 05.01.2021 hob die Beklagte den bisherigen Bescheid hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 01.11.2020 auf und berechnete die Altersrente ab dem 01.11.2020 neu. Es ergab sich ein Zahlbetrag von netto 1.246,48 € ab dem 01.11.2020 und eine Nachzahlung für die Zeit vom 01.11.2020 bis zum 31.12.2020 in Höhe von 544,50 €. Die Beklagte führte aus, die Erhöhung der Leistungen aus dem Versorgungsausgleich könne nicht von dem Kalendermonat an erfolgen, der dem Monat der Antragstellung beim Familiengericht folge, weil diese Leistung bis zum 31.10.2020 an den Witwer der geschiedenen Ehefrau mit befreiender Wirkung ausgezahlt worden sei.
Dagegen legte der Kläger am 28.01.2021 Widerspruch ein und führte aus, spätestens ab September 2019 hätte die Witwerrente abgeändert werden können. Die Beklagte habe an den Witwer lediglich Zahlungen in Höhe von 55% des ausgeurteilten Betrages geleistet.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.03.2021 zurück. Die Erhöhung der Rente könne erst ab dem 01.11.2020 erfolgen. Der Rentenversicherungsträger der belasteten Person (Witwer der geschiedenen Ehefrau) könne nach § 30 des Versorgungsausgleichsgesetzes (VersAusglG) die Umsetzung des Versorgungsausgleichs auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, indem er die Rente der belasteten Person erst nach Ablauf einer Übergangszeit mindere. Während der Übergangszeit sei der Versorgungsträger von Leistungen an die begünstigte Person befreit. Die Übergangszeit beginne bei Abänderungsverfahren frühestens mit dem ersten Tag des Monats, der auf den Monat der Antragstellung für die Abänderung des Versorgungsausgleichs beim Familiengericht folge, und dauert längstens bis zum letzten Tag des Monats, der dem Monat folge, in dem der Rentenversicherungsträger von der Rechtskraft der Entscheidung Kenntnis erlangt habe. Für den Zeitraum vom 01.07.2019 bis zum 31.10.2020 sei die Witwerrentenzahlung noch in ungeminderter Höhe unter Berücksichtigung des Bonus aus dem Versorgungsausgleich erfolgt. Die Erhöhung der Rente aufgrund der Versorgungsausgleichsentscheidung könne deshalb erst ab dem 01.11.2020 erfolgen.
Hiergegen hat der Kläger am 06.04.2021 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhoben. Er hat vorgetragen, ihm stehe für die Zeit vom 01.07.2019 bis zum 30.10.2020 die Gewährung einer höheren Rente zu. Die nicht ausgezahlten Rentenbeträge beliefen sich auf insgesamt 4.247,28 €. Die Beklagte habe im Hinblick auf den Versorgungsausgleich lediglich i.H.v. 2.564,28 € an den Witwer der Verstorbenen zu viel und damit mit befreiender Wirkung geleistet. Die Differenz i.H.v. 1.683,00 € sei an ihn nachzuzahlen.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 05.01.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2021 dahingehend abzuändern, dass eine erhöhte Rente für den Zeitraum vom 01.07.2019 bis zum 31.10.2020 gewährt und in der Folge ein Betrag von 1.683,00 € an ihn ausgezahlt wird.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, § 30 VersAusglG diene dem Schutz des Versorgungsträgers vor doppelter Inanspruchnahme. Da sowohl aus der Rentenversicherung der ausgleichsberechtigten früheren Ehefrau als auch aus der Rentenversicherung des ausgleichspflichtigen Klägers bereits Leistungen zu erbringen gewesen seien, sei diese Schuldnerschutzregelung angewendet worden. Zumindest im Verhältnis zwischen den Versorgungsträgern und den Ehegatten werde die Wirksamkeit der familienrechtlichen Änderungsentscheidung für die Dauer des in § 30 Abs. 2 VersAusglG geregelten Übergangszeitraums hinausgeschoben. Die Neuregelung des § 30 VersAusglG ab dem 01.08.2021, wonach der Versorgungsträger nur „im Umfang der Überzahlung“ von der Leistungspflicht befreit wird, § 30 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG, sei nicht anwendbar, da die Abänderungsentscheidung des AG Gelsenkirchen vom 07.09.2020 seit dem 20.10.2020 und somit vor dem Inkrafttreten der Neuregelung zum 01.08.2021 rechtskräftig geworden sei. Die an den Kläger in der Übergangszeit vom 01.07.2019 bis zum 31.10.2020 nicht ausgezahlten Rentenbeträge beliefen sich auf insgesamt 4.247,28 €. An den Witwer der verstorbenen früheren Ehefrau sei zu viel Hinterbliebenenrente in Höhe von 2.564,28 € netto gezahlt worden.
Nachdem sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt haben, hat das SG mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 23.08.2022 den Bescheid vom 05.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2021 dahingehend abgeändert, dass dem Kläger eine höhere Rente für den Zeitraum vom 01.07.2019 bis zum 31.10.2020 zu gewähren und ein Betrag in Höhe von 1.683,00 € nachzuzahlen sei. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, gem. § 101 Abs. 3 Satz 3 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) werde die Rente der leistungsberechtigten Person von dem Ersten des Kalendermonats an, der auf den Monat folgt, in dem der Antrag auf Abänderung beim Familiengericht eingegangen ist, um Zuschläge oder Abschläge an Entgeltpunkten aufgrund einer Abänderungsentscheidung des Versorgungsausgleichs verändert. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift des § 30 VersAusglG in der bis zum 01.08.2021 geltenden Fassung (a.F.) erfolge ein Schutz des Versorgungsträgers vor Doppelleistungen nur für solche Leistungsteile, die er durch seine Zahlung an den bisherigen Versorgungsberechtigten bereits erbracht habe. Dieses Gesetzesverständnis werde durch die zwischenzeitlich erfolgte Änderung des § 30 Abs. 1 VersAusglG mit Wirkung zum 01.08.2021 (n.F.) bestätigt, wonach der Versorgungsträger nur im Umfang der Überzahlung von der Leistungspflicht in der Übergangszeit befreit werde. Der Gesetzesbegründung sei insoweit zu entnehmen, dass es sich lediglich um eine Klarstellung der Gesetzeslage in Hinblick auf bekannt gewordene Unsicherheiten aus der Praxis handele. Unter Berücksichtigung des nicht an den Kläger ausgezahlten Betrages im Zeitraum vom 01.07.2019 bis zum 31.10.2020 in Höhe von 4.247,28 € und des an den Witwer zu viel gezahlten Betrages in Höhe von 2.564,28 € bestehe der Anspruch des Klägers auf Zahlung ungeminderter Rente und Nachzahlung eines Betrages in Höhe von 1.683,00 €.
Gegen das ihr am 01.09.2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16.09.2022 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die Neuregelung des § 30 Abs. 1 VersAusglG sei erst zum 01.08.2021 in Kraft getreten und könne im anhängigen Rechtsstreit deshalb keine Anwendung finden. Entgegen der Auffassung des SG habe es sich bei der Neuregelung auch nicht um eine Klarstellung durch den Gesetzgeber gehandelt, welche auf die vorhergehende Fassung zurückwirke. In § 30 Abs. 1 VersAusglG in der bis zum 31.07.2021 geltenden Fassung sei eine Differenzierung nach der Höhe der Leistungen nicht vorgenommen worden. Vielmehr habe die Leistung an den bisherigen Berechtigten – unabhängig von deren konkreter Höhe – die Leistungspflicht an den neuen Berechtigten vollständig entfallen lassen. Das Bundessozialgericht (BSG) habe bereits für die bis zum 31.08.2009 geltende Vorgängerregelung des § 10a Abs. 7 Satz 2 des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich (VAHRG) entschieden, die der des § 30 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG a. F. entsprochen habe, dass diese die betroffenen Versorgungsträger vollumfänglich vor Rückabwicklungsansprüchen bewahre (BSG, Urteil vom 09.11.1999 – B 4 RA 16/99, Rn. 39).
In diesem Sinne habe auch das Verwaltungsgericht Regensburg im Urteil vom 07.08.2014 (RN 5 K 13.643) entschieden. Gegenteiliges ergebe sich auch nicht aus dem Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 30.06.2016 (9 S 834/15) bzw. dem nachgehenden Beschluss des BVerwG vom 26.06.2017 (10 B 25/16), da sich diese Entscheidungen auf Leistungen von berufsständischen Versorgungswerken an die Deutsche Rentenversicherung beziehe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 23.08.2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Der Auffassung der Beklagten, dass jede noch so geringe Leistung unabhängig von der Höhe zu einer vollständigen schuldnerbefreienden Wirkung führen solle, sei nicht zu folgen. Mittlerweile habe er von dem Witwer seiner geschiedenen Ehefrau den Gesamtbetrag von 2.564,28 € erhalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
Zu Recht hat das SG mit Urteil vom 23.08.2022 den Bescheid der Beklagten vom 05.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2021 dahingehend abgeändert, dass dem Kläger eine höhere Rente für den Zeitraum vom 01.07.2019 bis zum 31.10.2020 zu gewähren und ein Betrag in Höhe von 1.683,00 € nachzuzahlen ist.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten nach § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Zu Unrecht hat die Beklagte den Beschluss des AG Gelsenkirchen vom 07.09.2020 über die Abänderung des Versorgungsausgleichs bei der Berechnung der Altersrente des Klägers erst ab dem 01.11.2020 statt ab dem 01.07.2019 umgesetzt.
Gem. § 101 Abs. 3 Satz 3 SGB VI ist die Rente der leistungsberechtigten Person von dem Ersten des Kalendermonats an, der auf den Monat folgt, in dem der Antrag auf Abänderung beim Familiengericht eingegangen ist, um Zuschläge oder Abschläge an Entgeltpunkten aufgrund einer Abänderungsentscheidung des Versorgungsausgleichs zu verändern. Der Kläger hat den Antrag beim AG – Familiengericht – Gelsenkirchen am 28.06.2019 gestellt. Der nächste Monatserste ist danach der 01.07.2019, ab dem die Altersrente des Klägers entsprechend der Entscheidung des AG ohne Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs neu zu berechnen und zu zahlen ist.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich auch aus § 30 Abs. 1 Satz 1, 2 VersAusglG a.F. nichts Anderes. Gem. § 30 Abs. 1 Satz 1, 2 VersAusglG a.F. war der Versorgungsträger für eine Übergangszeit gegenüber der nunmehr auch berechtigten Person von der Leistungspflicht befreit, wenn das Familiengericht rechtskräftig über den Ausgleich entschieden hat und der Versorgungsträger innerhalb einer bisher bestehenden Leistungspflicht an die bisher berechtigte Person geleistet hat, wobei dies auch für Leistungen des Versorgungsträgers an die Witwe oder den Witwer entsprechend gilt. Die Übergangszeit dauerte bis zum letzten Tag des Monats, der dem Monat folgt, in dem der Versorgungsträger von der Rechtskraft der Entscheidung Kenntnis erlangt hat (§ 30 Abs. 2 VersAusglG a.F.). Gem. § 30 Abs. 3 VersAusglG a.F. blieben Bereicherungsansprüche zwischen der nunmehr auch berechtigten Person und der bisher berechtigten Person sowie der Witwe oder dem Witwer unberührt.
Demgegenüber ist § 30 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG mit Wirkung zum 01.08.2021 (n.F.) dahingehend geändert worden, dass der Versorgungsträger für die Übergangszeit gegenüber der nunmehr auch berechtigten Person nur noch im Umfang der Überzahlung von der Leistungspflicht befreit wird.
Die Beklagte hatte dem Witwer der geschiedenen Ehefrau des Klägers bis zum 31.10.2020 Witwerrente gezahlt. Zu diesem Zeitpunkt ist noch § 30 VersAusglG a.F. anzuwenden, da keine rückwirkende Anwendung von § 30 VersAusglG n.F. durch den Gesetzgeber bestimmt worden ist.
Die Frage, ob ein Versorgungsträger nach § 30 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG a.F. nur im Umfang der an die bisher berechtigte Person oder deren Hinterbliebenen gezahlten Leistung von der Leistung an die nunmehr berechtigte Person befreit worden ist (so BVerwG, Beschluss vom 26.06.2017 – 10 B 25/16 –, Rn 7ff; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30.06.2016 – 9 S 834/15 -, Rn. 32; VG Lüneburg, Urteil vom 28.06.2017 - 5 A 181/15 -, Rn. 26; BeckOGK/Fricke, 1.2.2023, VersAusglG § 30 Rn. 9.3; Norpoth/Sasse in: Erman BGB, 16. Auflage 2020, zu § 30 VersAusglG a.F. Rn. 3) oder unabhängig von der Höhe der Leistung eine vollständige Befreiung eingetreten ist (so VG Regensburg, Urteil vom 07.08.2014 - RN 5 K 13/643 -, Rn. 31; SG Lüneburg, Urteil vom 28.09.2022; S 13 R 318/21) ist in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet worden.
Die Auslegung von § 30 Abs. 1 VersAusglG a.F. nach Wortlaut, Historie, Systematik, Sinn und Zweck sowie die verfassungsgemäße Auslegung führt zu dem Ergebnis, dass ein Versorgungsträger nach § 30 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG a.F. nur im Umfang der an die bisher berechtigte Person oder deren Hinterbliebenen gezahlten Leistung von der Leistung an die nunmehr berechtigte Person befreit wird.
Die Auslegung nach dem Wortlaut ergibt kein eindeutiges Ergebnis. Insoweit wird teilweise vertreten (BVerwG, Beschluss vom 26.06.2017 – 10 B 25/16 –, Rn. 7), dass eine Befreiung von der Leistungspflicht nur ausgelöst werde, soweit der Versorgungsträger an eine bisher berechtigte Person leiste. Mit dem Wortlaut vereinbar ist allerdings aufgrund der Formulierung „und leistet“ auch die Auffassung der Beklagten, dass jedwede Leistung zur Befreiung ausreiche. Dagegen spricht aber, dass in § 30 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG a.F. nicht ausdrücklich ausgeführt wird, dass jede – auch noch so kleine Leistung – ausreichen soll, damit eine Befreiung von der Leistungspflicht eintritt. Weiter spricht dagegen, dass nach § 30 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG a.F. die Befreiung von der Leistungspflicht gegenüber der „auch berechtigten Person“ erfolgte. Bezüglich des Teils der Rente, der aus dem Versorgungsausgleich resultierte, war vorliegend der Kläger nach der Entscheidung des AG aber nicht mehr „auch berechtigte Person“ (neben dem Witwer), sondern allein berechtigte Person und dies auch rückwirkend bereits ab dem 01.07.2019.
Die Auslegung von § 30 Abs. 1 VersAusglG a.F. nach der Historie spricht dafür, dass die Beklagte nur im Umfang des an den Witwer Geleisteten von der Leistung gegenüber dem Kläger freigeworden ist. Aus der Gesetzesbegründung zu § 30 VersAusglG a.F. (BT-Drs. 16/10144, S. 70) ergibt sich, dass der Versorgungsträger nach einer rechtskräftigen Entscheidung von der Leistungspflicht befreit sein soll, um so Doppelleistungen zu vermeiden. Es besteht jedoch auch dann keine Gefahr von Doppelleistungen, wenn der Versorgungsträger nur insoweit befreit wird, als er auch tatsächlich geleistet hat. Zudem ergibt sich aus der Gesetzesbegründung zu § 30 VersAusglG a.F. kein Anhalt für einen Willen des Gesetzgebers, dass jede noch so kleine Leistung zu einer vollständigen Befreiung des Versorgungsträgers von der Leistungspflicht führen sollte. Dieses Ergebnis wird auch durch die Gesetzesbegründung zu § 30 Abs. 1 VersAusglG n.F. bestätigt. Hinsichtlich der Neufassung von § 30 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG hat der Gesetzgeber ausdrücklich ausgeführt (BT-Drs. 19/26838, S. 2), dass klargestellt werden solle, dass die Leistungsbefreiung nur im Umfang einer tatsächlichen betragsmäßigen Überzahlung an die bisher berechtigte Person greife, da auch nur insoweit eine Doppelleistung gegenüber den Ehegatten drohe. Die Bezeichnung als „Klarstellung“ impliziert insoweit, dass dieses Ergebnis bereits der Wille des historischen Gesetzgebers gewesen ist.
Weiterhin spricht auch die systematische Auslegung dafür, dass die Beklagte nur im Umfang des bereits Geleisteten von der erneuten Leistung freigeworden ist. Sowohl nach alter wie neuer Fassung von § 30 Abs. 3 VersAusglG bleiben bereicherungsrechtliche Ansprüche an den bisherigen Berechtigten unberührt, die der Witwer auch vorliegend im Rahmen des Erlangten nunmehr vollständig befriedigt hat. Dies entspricht allerdings nicht dem Rentenverlust auf Seiten des Klägers wegen der weiteren Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs durch die Beklagte bis zur Rechtskraft des Beschlusses des AG. Nachdem durch § 30 VersAusglG geregelt wird, wie der rechtmäßige Zustand herzustellen ist – durch Zahlungen des Versorgungsträger und des bisherigen Berechtigten – erscheint es fernliegend, dass in diesem System des Ausgleichs – ohne besondere gesetzliche Regelung - eine Lücke zu Lasten des bisher Ausgleichspflichtigen verbleiben soll, ohne dass insoweit erkennbar schützenswerte Interessen des Versorgungsträgers bestehen.
Zudem spricht die Auslegung nach Sinn und Zweck der Vorschrift deutlich für die Auffassung, dass die Beklagte nur im Umfang des Geleisteten von der Leistungspflicht gegenüber dem Berechtigten freigeworden ist. Wie das BSG im Urteil vom 09.11.1999 – B 4 RA 16/99 -, Rn. 39 zu der Vorgängervorschrift des § 10a Abs. 7 Satz 2 VAHRG entschieden hat, ist diese Schuldnerschutzvorschrift im Interesse der beteiligten Träger erlassen worden um diese im Ausnahmefall des beiderseitigen Leistungsbezuges umfassend und endgültig vor dem Risiko einer Doppelzahlung sowie vor der Notwendigkeit der Rückabwicklung zu bewahren. Hieraus ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten jedoch nicht, dass irgendeine Leistung - egal in welcher Höhe - an die bisherige Person oder deren Hinterbliebene bereits den Leistungsanspruch der vormals ausgleichspflichtigen Person entfallen lassen würde. Denn die Formulierung „umfassend und endgültig“ bezieht sich auf das Risiko der Doppelleistung und die Notwendigkeit der Rückabwicklung. Wenn die Beklagte jedoch nur noch in dem Umfang leistungspflichtig bleibt, in dem sie noch nicht an den geschiedenen Ehegatten oder dessen Hinterbliebenen geleistet hat, besteht weder ein Risiko der Doppelleistung noch der Rückabwicklung. Erkennbar kann es nicht Sinn und Zweck einer Schuldnerschutzvorschrift sein, einen Versorgungsträger dadurch ungerechtfertigt zu bereichern, dass dieser Rentenleistungen, die er kraft Gesetzes zu erbringen hat, nunmehr einsparen darf, soweit er nur irgendeinen Betrag an einen Hinterbliebenen gezahlt hat. Zudem kann es nicht Sinn und Zweck einer Schuldnerschutzvorschrift sein, bei Teilleistungen die Wirksamkeit der Entscheidung über die in §§ 224, 226 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit genannten Stichtage hinaus zu verzögern (vgl. BeckOGK/Fricke, 1.2.2023, VersAusglG § 30 Rn. 9.3).
Schließlich spricht auch die verfassungskonforme Auslegung unter Berücksichtigung des Sozialstaatsgebotes aus Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetztes dafür, dass die Sozialleistungsträger den Versicherten zustehende Leistungen auch zu erbringen haben. Fernliegend ist dagegen die Auffassung, dass Sozialversicherungsträger, soweit sie eines Schuldnerschutzes nicht bedürfen, berechtigt sein sollen, sich an nicht ausgezahlten Versicherungsleistungen zu bereichern.
Demgemäß kann die Beklagte sich nur insoweit auf die befreiende Leistung an den Witwer berufen, als sie auch tatsächlich an diesen auf dem vorherigen Versorgungsausgleich beruhende Rentenleistungen erbracht hat. Dies entspricht dem an den Witwer zu viel gezahlten Betrag in Höhe von 2.564,28 €. Da nach den Berechnungen der Beklagten, an deren Richtigkeit keine Zweifel bestehen, dem Kläger ohne Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs für den Zeitraum vom 01.07.2019 bis zum 31.10.2020 ein Betrag in Höhe von 4.247,28 € zugestanden hat, verbleibt ein Anspruch des Klägers auf Zahlung ungeminderter Rente und Nachzahlung eines Betrages in Höhe von 1.683,00 € gegen die Beklagte, wie das SG bereits zutreffend festgestellt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, § 160 Abs. 2 SGG. Eine grundsätzliche Bedeutung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG liegt nicht vor, da die streitentscheidende Vorschrift des § 30 Abs. 1 VersAusglG a.F. bereits nicht mehr in Kraft und nicht ersichtlich ist, dass die streitige Rechtsfrage noch für eine nicht unerhebliche Anzahl laufender Verfahren von Bedeutung ist (vgl. BSG, Beschluss vom 28.11.1975 – 12 BJ 150/75 –, Rn. 3). Soweit der Sitzungsvertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, es handele sich um einen Musterprozess, hat er keine Angaben dazu machen können, wie viele streitige Fälle bei der Beklagten noch vorlägen. Eine Abweichung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG von der Entscheidung des BSG vom 09.11.1999 – B 4 RA 16/99 zu § 10a VAHRG besteht nicht, da diese Entscheidung zu einer außer Kraft getretenen und bereits vom Wortlaut anderen Vorgängervorschrift zu § 30 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG ergangen ist. Zudem lässt sich hieraus auch kein Rechtssatz entnehmen, dass bei jeder Leistung – unabhängig von deren Höhe - an den bisherigen Leistungsempfänger der Versorgungsträger vollumfänglich von der Leistung frei werden soll.