L 8 BA 47/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
8
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 23 BA 77/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 BA 47/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom
02.03.2021 wird zurückgewiesen.

 

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme
der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Der Streitwert wird auf 48.335,50 Euro festgesetzt.

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Betriebsprüfungsverfahrens nach § 28p Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) über eine Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung und Umlagen in Höhe 48.335,50 Euro in Bezug auf die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) als mitarbeitender Gesellschafter der Klägerin im Zeitraum vom 01.08.2014 bis 31.12.2017.

 

Die Klägerin ist eine Gesellschaft in der Rechtsform einer Unternehmergesellschaft (UG). Sie ist seit Juni 2014 in das Handelsregister des Amtsgerichts M. (N01) eingetragen. Gegenstand des Unternehmens ist laut Gesellschaftsvertrag vom 26.03.2014 die Lieferung und Installation von Heizungs-, Sanitär- und Solaranlagen sowie von Wärmepumpen. Das Stammkapital der Gesellschaft beträgt 100 Euro. An diesem sind ein Herr X. (im Folgenden: X.) mit 70 Euro und der Beigeladene zu 1) (im Folgenden: L.) mit 30 Euro beteiligt. Geschäftsführer der Klägerin ist X.. L. ist als Heizungsbauer bei der Klägerin tätig.

 

In der Zeit vom 13.04.2018 bis 05.11.2018 führte die Beklagte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung durch. Hierbei gelangte sie u.a. zu der Einschätzung, dass die Tätigkeit des L. der Versicherungspflicht in der Sozialversicherung unterliege. Mit Schreiben vom 09.10.2018 hörte die Beklagte die Klägerin zu einer Nachforderung von Beiträgen und Umlagen in Höhe von 63.180,08 Euro an. In dieser seien Säumniszuschläge in Höhe von 12.896,50 Euro enthalten.

 

Die Klägerin vertrat demgegenüber die Auffassung L. sei nicht versicherungspflichtig. Bei Gründung der Gesellschaft hätten X. und L. vereinbart, dass sämtliche Entscheidungen nur in beiderseitigem Einverständnis erfolgten könnten. Hierzu übersandte sie eine nicht notariell beurkundete Vereinbarung zwischen X. und L. mit angegebenem Datum vom 15.03.2014, die folgenden Wortlaut hat:

 

„Wir werden in Zukunft zusammen ein Unternehmen betreiben, das zum Gegenstand hat die Lieferung und Installation von Heizungs-, Sanitär- und Solaranlagen sowie Wärmepumpen.

Dieses Unternehmen soll in der Rechtsform einer UG betrieben werden. Aufgrund der unterschiedlichen finanziellen Kapazitäten werden wir ein Gesellschaftsverhältnis von 70 % (…) zu 30 % (…) wählen. Unabhängig von der finanziellen Beteiligung vereinbaren wir, dass sämtliche unternehmerischen Entscheidungen zusammen und einvernehmlich getroffen werden müssen, dazu gehören insbesondere:

  • Auftragsannahme
  • Personaleinstellung
  • Investitionen
  • Geschäftserweiterung über das Bisherige hinaus.“

 

Mit Bescheid vom 14.11.2018 setzte die Beklagte für den Zeitraum vom 01.08.2014 bis 31.12.2017 eine Nachforderung in Höhe der zuvor von ihr genannten 63.180,08 Euro fest. Von dieser Summe entfielen 48.335,50 Euro auf die hier streitigen Beiträge und Umlagen einschließlich Säumniszuschlägen betreffend die Tätigkeit des L.. Dessen sozialversicherungsrechtlicher Status sei unzutreffend beurteilt worden. Er sei bei der Klägerin gegen Arbeitsentgelt versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Es bestehe Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Für L. sei bisher kein Statusfeststellungsverfahren durchgeführt worden. Zur Beurteilung der Versicherungspflicht des L. seien neben dem Gesellschaftsvertrag keine weiteren Unterlagen vorgelegt worden. Mit einer Kapitalbeteiligung von weniger als 50 v. H. und vor dem Hintergrund, dass Beschlüsse in der Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit gefasst würden, habe L. keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft und könne sein Beschäftigungsverhältnis nicht wesentlich beeinflussen. L. sei als Heizungsbauer (Arbeitnehmer) im Unternehmen der Klägerin beschäftigt. Für seine Arbeitsleistung sei ihm ein Arbeitsentgelt gezahlt worden. Als Arbeitnehmer habe er sich in die Arbeitsorganisation der Klägerin einzugliedern und unterliege in der Ausführung seiner Tätigkeit in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsleistung dem Weisungsrecht der Geschäftsführung der Klägerin. Nach der gebotenen Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Umstände würden die für eine abhängige Beschäftigung sprechenden Gesichtspunkte überwiegen.

 

Im Nachgang zum Bescheid vom 14.11.2018 ergänzte die Beklagte mit Bescheid vom 20.12.2018, dass sie auch nach Kenntnis der Vereinbarung vom 15.03.2014 an ihrer Auffassung festhalte. Änderungen des Gesellschaftsvertrags könnten nach § 53 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) nur durch Beschluss der Gesellschafter erfolgen, der notariell beurkundet werden müsse. Diese Anforderungen erfülle die Vereinbarung vom 15.03.2014 nicht.

 

Mit Schreiben vom 07.01.2019 legte die Klägerin gegen den Bescheid vom 20.12.2018 Widerspruch ein. Die Nachforderung sei rechtswidrig. L. unterliege keinen Weisungen. Alle Entscheidungen der Klägerin würden in gegenseitiger Abstimmung gefällt. Die Abmachung vom 15.03.2014 sei auch getroffen worden, da X. gesundheitlich angeschlagen und die Familien befreundet seien. Das Gesamtbild der Arbeitsabläufe in der Firma zeuge von gegenseitigen Absprachen der zu tätigen Handlungen und nicht von Anweisungen nur durch eine Person.

 

Mit Teilabhilfebescheid vom 15.05.2019 hob die Beklagte ihren Bescheid vom 14.11.2018 auf, soweit sie hinsichtlich der auf L. entfallenden Beiträge und Umlagen Säumniszuschläge erhoben hatte. Die Nachforderung reduzierte sich hierauf insgesamt auf 50.828,68 Euro, wovon 48.335,50 Euro auf L. entfielen.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.08.2019 wies die Beklagte den Widerspruch im Übrigen zurück. Unternehmergesellschaften (haftungsbeschränkt) stellten keine eigene Rechtsform dar. Sie seien eine Unterform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Aufgrund dessen richte sich die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Gesellschafter-Geschäftsführern, mitarbeitenden Gesellschaftern und Fremdgeschäftsführern von Firmen, die die Bezeichnung „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ oder „UG (haftungsbeschränkt)“ führten, uneingeschränkt nach den Grundsätzen, die für die GmbH gelten würden. Bei einer GmbH sei für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der mitarbeitenden Gesellschafter die sich nach dem Gesellschaftsrecht ergebende Rechtsmacht ausschlaggebend. Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis könne bei mitarbeitenden Gesellschaftern aufgrund deren Kapitalbeteiligung oder besonderen Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag von vornherein ausgeschlossen sein. Erfolgten Beschlüsse der Gesellschafter nach der Mehrheit der abgegebenen Stimmen (§ 47 Abs. 1 GmbHG) und richte sich dabei das Stimmrecht des einzelnen Gesellschafters nach der Höhe seiner Gesellschaftsanteile, sei für einen mitarbeitenden Gesellschafter ohne Geschäftsführerfunktion ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis grundsätzlich von vornherein ausgeschlossen, wenn er über mehr als 50 v.H. des Stammkapitals verfüge. Zwar seien die Dienstaufsicht und das Weisungsrecht über die Arbeitnehmer der GmbH Aufgabe der Geschäftsführung und nicht der Gesellschafterversammlung. Ein derartiger Gesellschafter habe aber aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen Position letztlich auch die Leitungsmacht gegenüber dem Geschäftsführer und unterliege damit nicht dessen Weisungsrecht. Seine Abhängigkeit als Arbeitnehmer könne er aufgrund seiner Rechtsmacht jederzeit beenden, indem er einen ändernden Mehrheitsbeschluss herbeiführe. Er habe damit maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft. Eine Kapitalbeteiligung von bis zu 50 v.H. des Stammkapitals bzw. eine Sperrminorität schlössen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis hingegen nicht von vornherein aus. Seien im Gesellschaftsvertrag keine Regelungen zur Beschlussfassung enthalten, gelte die gesetzliche Regelung, dass Beschlüsse der Gesellschafterversammlung nach der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst würden. Dabei gewähre jeder Euro eines Geschäftsanteils eine Stimme (§ 47 GmbHG). Das Stammkapital der Klägerin betrage 100 Euro. L. sei am Stammkapital der Klägerin mit 30 Euro beteiligt. Er sei bei der Klägerin seit dem 01.08.2014 als Heizungsbauer (Arbeitnehmer) beschäftigt. Beschlüsse der Gesellschaft würden nach der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst. Besondere Vereinbarungen, hinsichtlich der Beschäftigungsverhältnisse der im Unternehmen mitarbeitenden Gesellschafter seien im Gesellschaftsvertrag nicht getroffen worden. Aufgrund seiner Beteiligung am Stammkapital habe L. keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft und könne sein Beschäftigungsverhältnis daher auch nicht wesentlich beeinflussen. L. sei in die Arbeitsorganisation eingegliedert gewesen und ihm für seine Arbeitsleistung ein Arbeitsentgelt gezahlt worden. Er unterliege bei der Ausführung seiner Tätigkeiten in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsleistung dem Weisungsrecht der Geschäftsführung der Klägerin. Die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung würden überwiegen. Die vorgelegte schriftliche Vereinbarung zwischen den Gesellschaftern führe zu keiner anderen Beurteilung. Änderungen des Gesellschaftsvertrags könnten nach § 53 GmbHG nur durch Beschluss der Gesellschafter erfolgen. Ein solcher Beschluss müsse notariell beurkundet werden. Dies sei nicht geschehen.

 

Die Klägerin hat am 09.09.2019 Klage beim Sozialgericht (SG) Münster erhoben und ihr Vorbringen im Wesentlichen wiederholt. Aus der Vereinbarung vom 15.03.2014 folge, dass alle unternehmerischen Entscheidungen unabhängig von der finanziellen Beteiligung zusammen und einvernehmlich getroffen werden müssten. Wenngleich diese Vereinbarung nicht notariell beurkundet worden sei, übersehe die Beklagte, dass sich die Gesellschafter auf diesen Formmangel aufgrund der wechselseitig bestehenden Treuepflichten nicht berufen könnten und auch niemals berufen hätten. Weiterhin müsse berücksichtigt werden, dass es bei der Beurteilung, ob die Tätigkeit als Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit zu bewerten sei, entscheidend darauf ankomme, wie die Parteien das Vertragsverhältnis gelebt hätten. L. habe keinen Weisungen unterlegen. Alles sei einvernehmlich entschieden worden. Selbst wenn die Vereinbarung vom 15.03.2014 nicht als gesellschaftsvertragliche Vereinbarung anzusehen wäre, so stelle diese doch eine Vereinbarung zwischen dem Geschäftsführer und Gesellschafter der Klägerin dar. Vereinbarten sie, dass sämtliche unternehmerischen Entscheidungen nur zusammen getroffen werden könnten, betreffe dies auch sämtliche Regelungen im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses zwischen der Klägerin und L.. Betroffen seien z.B. auch die Frage der Höhe der Vergütung, die wöchentliche Arbeitszeit oder der Urlaubsanspruch. Entsprechend überwögen damit die Anhaltspunkte für die Annahme von Selbstständigkeit.

 

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 14.11.2018, ergänzt durch das Schreiben der Beklagten vom 20.12.2018, abgeändert durch den Bescheid vom 15.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 07.08.2019 aufzuheben.

 

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 02.03.2021 abgewiesen. Diese sei zulässig, aber nicht begründet. L. sei bei der Klägerin versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Er sei in den Betrieb der Klägerin eingegliedert. Dies folge maßgeblich aus dem Umstand, dass L. als mitarbeitender Gesellschafter mit einem Gesellschaftsanteil von 30 % dem Weisungsrecht der Klägerin bezüglich Zeit, Dauer, Ort sowie Art und Weise der Tätigkeit unterlegen und ihm nicht die Rechtsmacht zugestanden habe, ihm nicht genehme Weisungen jederzeit verhindern zu können. Die Dienstaufsicht und das Weisungsrecht über die Angestellten einer GmbH sei Aufgabe der laufenden Geschäftsführung und nicht Aufgabe der Gesellschafterversammlung. Nach § 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG werde die Gesellschaft durch die Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Die außergerichtliche Vertretung einer GmbH umfasste die Abgabe von Willenserklärungen nach außen und die Entgegennahme empfangsbedürftiger Willenserklärungen Dritter. Besitze ein mitarbeitender Gesellschafter nicht die Rechtsmacht, seine Weisungsgebundenheit als Angestellter durch Weisungen der Gesellschafterversammlung an den Geschäftsführer aufzuheben oder abzuschwächen und sei die Vertretungsmacht des Geschäftsführers nicht eingeschränkt, so liege regelmäßig Weisungsgebundenheit vor. Ein maßgeblicher rechtlicher oder tatsächlicher Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft schließe aufgrund der Gesellschafterstellung ein Beschäftigungsverhältnis nur aus, wenn der Gesellschafter Einzelweisungen an sich im Bedarfsfall jederzeit verhindern könne. Eine derartige Rechtsmacht hätten Gesellschafter einer GmbH regelmäßig nur dann, wenn sie zugleich Geschäftsführer der Gesellschaft seien und mindestens 50 v. H. des Stammkapitals innehätten. Sowohl ein Minderheitsgesellschafter als auch ein hälftig am Kapital einer GmbH beteiligter mitarbeitender Gesellschafter ohne Geschäftsführerfunktion seien nicht in der Lage, Abweichungen von der grundsätzlichen Zuständigkeitsverteilung zwischen Gesellschafterversammlung und Geschäftsführer herbeizuführen. Für die UG, die sich lediglich durch die in § 5a GmbHG geregelten Besonderheiten von der GmbH unterscheide, würden keine abweichenden Maßstäbe gelten. L. sei innerhalb des streitgegenständlichen Zeitraums als versicherungspflichtig beschäftigter mitarbeitender Gesellschafter anzusehen. Auf unmittelbar gesellschaftsvertraglich verankerter Grundlage seien auch keine sonstigen Bestimmungen getroffen worden, die es L. ermöglicht hätten, bei der Ausübung seiner Tätigkeit jederzeit vom Geschäftsführer der Klägerin weisungsfrei agieren zu können. Die Satzung sehe weder vor, dass die Dienstaufsicht und die Ausübung der Weisungsbefugnis gegenüber Angestellten der Gesellschaft allgemein oder gegenüber mitarbeitenden Gesellschaftern im Besonderen der Gesellschafterversammlung obliege, noch regele diese, dass jedwede dem Geschäftsführer zugewiesene Maßnahme der Dienstaufsicht und Ausübung des Weisungsrechts gegenüber Angestellten bzw. mitarbeitenden Gesellschaftern von einem vorhergehenden Beschluss der Gesellschafterversammlung abhängig sei. Aus der privatschriftlich zwischen X. und L. unter dem 15.03.2014 geschlossenen Vereinbarung folge keine andere Beurteilung. Die für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit notwendige Rechtsmacht müsse gesellschaftsrechtlich eingeräumt sein. Außerhalb des Gesellschaftsvertrags bestehende Vereinbarungen über die Ausübung von Stimmrechten, wirtschaftliche Verflechtungen oder tatsächliche Einflüsse kraft familiärer Verbundenheit oder überlegenen Wissens seien nicht zu berücksichtigen. Jedwede außerhalb der Satzung selbst statuierte Abrede berge – jedenfalls abstrakt – die Gefahr, durch eine nachträgliche Änderung zuvor getroffener Abreden rechtsmissbräuchlich rückwirkend Versicherungsfreiheit zu generieren. Dieses Risiko werde dann entscheidend gemindert, wenn nur im Gesellschaftsvertrag selbst verankerte und im Falle der Satzungsänderung dem notariellen Beurkundungsrecht unterliegende Abänderungen Maßstab der zu beurteilende Rechtsmachtverhältnisse seien. Hierdurch werde entsprechend Rechtssicherheit für den Rechtsverkehr im Außenverhältnis der Gesellschaft geschaffen. Die Vereinbarung vom 15.03.2014 sei mangels notarieller Beurkundung nicht geeignet, die dem Mehrheitsgesellschafter und Geschäftsführer X. zukommende Rechtsmacht zu durchbrechen.

 

Gegen das ihr am 10.03.2020 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 06.04.2020 Berufung eingelegt. Sie hält das angefochtene Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten für rechtswidrig. L. habe insbesondere keinem Weisungsrecht unterlegen. Es handele sich bei der Vereinbarung vom 15.03.2014 um einen Beschluss der Gesellschafter. Dieser bedürfe nicht der notariellen Form. X. habe vereinbart, sich an den Beschluss zu halten, wodurch seine Rechtsmacht eingeschränkt gewesen sei. In seiner Funktion als Geschäftsführer habe X. dem L. als „Arbeitnehmer“ nur dann Weisungen erteilen dürfen, wenn beide zuvor im Rahmen ihrer Funktion als Gesellschafter Einvernehmen über diese Weisung hergestellt hätten. Sei der L. mit einer Weisung nicht einverstanden, hätte X. diese nicht erteilen dürfen. Es seien in der Vergangenheit auch stets nur einvernehmliche Beschlüsse ergangen. L. verfüge dementsprechend über eine ausreichende Rechtsmacht. Diese Rechtsmacht sei mit dem Gesellschafterbeschluss auch gesellschaftsrechtlich eingeräumt worden. Im Übrigen hätte ein Versuch des X., entgegen der Vereinbarung vom 15.03.2014 unternehmerische Entscheidungen in Form von Weisungen durchzusetzen, in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht einen massiven Verstoß gegen die bestehenden Treuepflichten der beiden Gesellschafter bedeutet. Die Rechtsmacht, die ihm die Vereinbarung verleihe, hätte L. zumindest gerichtlich durchsetzen können.

 

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 02.03.2021 zu ändern und den Bescheid vom 14.11.2018 in der Gestalt des Bescheides vom 20.12.2018 und des Bescheides vom 15.05.2019 sowie des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2019 aufzuheben, soweit Beiträge für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1), Herrn L., in Höhe von 48.335,50 Euro gefordert werden.

 

Die Beklagte, die das erstinstanzliche Urteil für zutreffend hält, beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Münster ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 14.11.2018 in Gestalt der Bescheide vom 20.12.2018 und 15.05.2019 sowie des Widerspruchsbescheids vom 07.08.2019 beschwert die Klägerin nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da er nicht rechtswidrig ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Diese hat die Klägerin mit ihrem – im Wesentlichen wiederholenden – Vorbringen im Berufungsverfahren nicht zu erschüttern vermocht. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Vereinbarung vom 15.03.2014 in den (späteren) notariellen Gesellschaftsvertrag vom 26.03.2014 gerade keinen Eingang gefunden hat. Vor der Eintragung in das Handelsregister besteht die Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Übrigen nicht (§ 11 Abs. 1 GmbHG). Nichts Anderes gilt bei einer UG (vgl. Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 11 Rn. 1). Damit konnten deren spätere Gesellschafter auch nicht bereits am 15.03.2014 einen Gesellschafterbeschluss fassen. Es handelt sich entsprechend – wie vom SG dargelegt – um eine bloße schuldrechtliche Vereinbarung zwischen X. und L. ohne Einfluss auf die Rechtsmachtverhältnisse innerhalb der Klägerin.

 

Unrichtigkeiten hinsichtlich der Höhe der Beitragsnachforderung hat die Klägerin auch im Berufungsverfahren weder benannt noch sind solche erkennbar. Da L. nicht Geschäftsführer der Klägerin ist, begegnet insbesondere auch die Erhebung der Umlagen U1 und U2 keinen Bedenken (vgl. BSG Urt. v. 29.06.2021 – B 12 L. 8/19 L. – juris Rn. 19).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind weder erstattungsfähig noch sind diese mit Kosten zu belasten, da sie von einer Antragstellung abgesehen haben (vgl. § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).

 

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 47 Abs. 1 S. 1, 52 Abs. 3, 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Gerichtskostengesetz.

Rechtskraft
Aus
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