- Zur zweistufigen Ausgestaltung des Bewilligungsverfahrens für Kurzarbeitergeld (Kug).
- Ist lediglich der Anerkennungsbescheid auf der ersten Stufe des Kug-Bewilligungsverfahrens angefochten, kann eine Verurteilung zur Leistung nicht erfolgen. Möglich ist dann allein eine Verurteilung zur Feststellung eines erheblichen Arbeitsausfalls sowie der betrieblichen Voraussetzungen für Kug.
- Zum Vorliegen eines „erheblichen Arbeitsausfalls“ für die Mitarbeiter eines Restaurants (§ 95 Satz 1 Nr. 1 SGB III) ab dem 02.11.2020 (Beginn des zweiten Lockdowns während der Covid-19-Pandemie; sog. Wellenbrecher-Lockdown) bei Eröffnung des Restaurants am 25.10.2020.
- Bei rechtlich bindenden Vorbereitung zur Eröffnung eines Restaurants im August 2020 (u.a. Einstellung von Mitarbeitern für die Zeit ab dem 25.10.2025) und Eröffnung des Restaurants am 25.10.2020 musste der Betreiber nicht mit einer vollständigen behördlichen Untersagung des Betriebs von Restaurants ab dem 02.11.2020 rechnen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.08.2022 geändert.
Die Beklagte wird verurteilt, den Bescheid vom 05.01.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2021 zu ändern und das Vorliegen eines erheblichen Arbeitsausfalls sowie der betrieblichen Voraussetzungen für Kurzarbeitergeld für den Zeitraum von November 2020 bis März 2021 festzustellen.
Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Berufungsverfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob dem Kläger Kurzarbeitergeld (Kug) für die Monate November 2020 bis März 2021 für die vier Mitarbeiter seines Restaurants zusteht.
Der Kläger betreibt seit dem 25.10.2020 das Restaurant "E." an der O.-straße in V.. An diesem Ort existierte schon zuvor seit Jahren ein italienisches Restaurant, das der Kläger, nachdem es einige Monate geschlossen gewesen war, nach einer Renovierung unter neuem Namen weiterführen wollte.
Mit unter dem 15.08.2020 unterzeichneten Arbeitsverträgen stelle der Kläger seinen Sohn U. I. sowie Herrn Y. Z. jeweils als Servicekraft/Kellner ein, ferner Herrn P. R. als Pizzabäcker. Unter dem 18.08.2020 schloss er mit Herrn B. J. (Freund des Klägers; zum Namen des Restaurants „W. J.“ besteht kein Bezug, da dessen Namensgebung nach einer im deutschen Fernsehen bekannten Figur eines (…) in MF. gewählt wurde) einen Arbeitsvertrag über eine Beschäftigung als Koch. Sämtliche Arbeitsverträge wiesen als Wohnort der Mitarbeiter dieselbe Anschrift aus wie das Restaurant. Es war jeweils ein Bruttolohn von 1.400,00 € bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 32 Stunden und – ausgehend von einer Sechs-Tage-Woche – 20 Urlaubstagen pro Jahr vereinbart. Die Arbeitsverhältnisse sollten am 25.10.2020 beginnen. Der Arbeitsvertrag von Herrn J. weist V., die übrigen drei Verträge G. (L./K., S.) als Ort des Vertragsschlusses aus. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Arbeitsverträge Bezug genommen. Die Mitarbeiter Z., I. und R. sind für die Aufnahme der Tätigkeit aus K. zugezogen; Herr J. hielt sich bereits in Deutschland auf. Die Mitarbeiter und der Kläger wohnten später in einer zum Restaurantbetrieb gehörenden Wohnung.
Mit Pachtvertrag vom 30.09.2020 pachtete der Kläger das Restaurant sowie die zugehörige Betriebswohnung mit sechs Zimmern im gleichen Haus ab dem 01.10.2020 (bis zum 30.09.2025 sowie mit Verlängerungsoption um weitere fünf Jahre). Bereits zuvor führte ein Sanitärbetrieb vom 18.08. bis 26.09.2020 sowie in den Kalenderwochen 35 bis 43 (= 24.08. bis 24.10.2020) für die E. Arbeiten zu Rechnungssummen von 8.939,54 € und 3.544,06 € aus (Rechnungen vom 08. bzw. 09.11.2020). Für den 08. bzw. 10.09.2020 legte der Kläger Nachweise für restaurantbezogene Anschaffungen vor (Kassenzettel T. und M.). Ende September/Anfang Oktober 2020 ließ er eine Hebeanlage reparieren (Lieferschein 30.09.2020/Rechnung 01.10.2020 Fa. N.). Anfang Oktober 2020 fielen für eine Unbedenklichkeitsbescheinigung sowie ein Führungszeugnis und für das Gewerbezentralregister Kosten an (Quittungen Stadt V. 01.10.2020), Mitte Oktober 2020 für eine Gaststätten- sowie für Gewerbeangelegenheiten (Quittung Stadt V. vom 15.10.2020). Die Gewerbeanmeldung erfolgte am und zum 15.10.2020; am gleichen Tag wurde die vorläufige Betriebserlaubnis erteilt (endgültige Erlaubnis am 18.01.2021). Am 22.10.2020 fiel eine Rechnung für Neukunden eines Servicepartners für Branchen im Lebensmittelbereich an (Fa. Q.), am 24.10.2020 Rechnungen des H. sowie der D. GmbH. Eine Unterrichtung des Klägers nach dem Gaststättengesetz erfolgte am 28.10.2020 (Gebührenbescheid der IHK vom 06.10.2020).
Nachdem im (ersten) Jahr der Covid-19-Pandemie vom 22.03. bis 04.05.2020 Restaurants in einem (ersten) Lockdown geschlossen bleiben mussten (WirtschaftsWoche vom 21.02.2022: Wie verlief der erste Lockdown in Deutschland; abrufbar unter www.wiwo.de), der Sommer 2020 in Deutschland jedoch ohne steigende Infektionszahlen verlaufen war und Restaurants unter Auflagen wieder öffnen durften, stiegen die Infektionszahlen im Herbst 2020 rapide an. Daraufhin wurde ab dem 02.11.2020 – acht Tage nach Eröffnung des Restaurants – der sog. "Lockdown light" bestimmt; Restaurants durften seither nicht mehr öffnen (siehe Pressemitteilung Nr. 381 vom 28.10.2020 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung). Dieser auf einer Konferenz von Bundeskanzlerin und Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Bundesländer beschlossene (zweite) Lockdown ("Wellenbrecher") wurde in Nordrhein-Westfalen mit der Corona-Schutzverordnung vom 30.10.2020 umgesetzt; nach deren § 14 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 19 Abs. 1 war ab dem 02.11.2020 (zunächst bis zum 30.11.2020; spätere Verlängerungen für den gesamten streitigen Zeitraum) u.a. der Betrieb von Restaurants und Gaststätten verboten. Der Kläger musste das Restaurant daher vom 02.11.2020 bis zum Ende des Lockdowns im Mai 2021 (WirtschaftsWoche vom 06.01.2022: So ist der zweite Lockdown in Deutschland verlaufen; abrufbar unter www.wiwo.de) schließen. Das Restaurant existiert noch heute. Die Mitarbeiter I., J. und R. sind dort weiterhin tätig; der Mitarbeiter Z. ist gegen Ende des Lockdowns nach K. zurückgekehrt; für ihn ist ein anderer Mitarbeiter eingestellt worden.
Anlässlich des (zweiten) Lockdowns schloss der Kläger mit den vier Mitarbeitern seiner Trattoria am 01.11.2020 ab diesem Tag eine "Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit".
Am 20.11.2020 zeigte der Kläger bei der Arbeitsagentur V. elektronisch den Arbeitsausfall wegen des Lockdown light an. Die regelmäßige betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit seiner Mitarbeiter werde von November 2020 bis voraussichtlich März "2020" (richtig: 2021) für den Gesamtbetrieb von 40 Stunden auf null Stunden herabgesetzt. Verwertbarer Resturlaub stehe nicht zur Verfügung. Das Unternehmen sei nicht tarifgebunden. Beigefügt war eine Kug-Abrechnungsliste für den Monat November 2020. Darin waren das auszuzahlende Kug je Arbeitnehmer mit 644,60 € (insgesamt 2.578,40 €) und die Sozialversicherungs-Beitragserstattung (SV-Beitragserstattung) je Arbeitnehmer mit 421,12 € (insgesamt 1.684,48 €) angegeben. Am 02.12.2020 ging bei der Beklagten ein Antrag auf Kug und pauschalierte Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge für die Bezieher von Kug (Leistungsantrag) für den Monat November 2020 ein (2.578,40 € Kug, 1.684,48 € pauschalierte SV-Erstattung; Summe: 4.262,88 €).
Mit Bescheid vom 05.01.2021 teilte die Beklagte dem Kläger mit, seiner Anzeige über Arbeitsausfall könne nicht entsprochen werden. Die betrieblichen Voraussetzungen sowie die Erheblichkeit des Arbeitsausfalls als anspruchsnotwendige Voraussetzungen für einen Bezug von Kug ließen sich nur dann anerkennen, wenn der Arbeitsausfall unvermeidbar gewesen sei. Der enge zeitliche Zusammenhang zwischen Arbeitsausfall und Betriebsgründung begründe im Restaurantbetrieb des Klägers einen vermeidbaren Arbeitsausfall. In Zeiten einer Pandemie und bereits bekannter behördlicher Betriebsschließungen müsse mit Arbeitsausfällen gerechnet werden.
Am 11.01.2021 gingen bei der Beklagten eine Kug-Abrechnungsliste und ein Leistungsantrag des Klägers vom 08.01.2021 für den Monat Dezember 2020 ein, die der Liste bzw. dem Antrag für November 2020 entsprachen.
Mit E-Mail vom 12.01.2021 legte ein Hotelbetriebswirt/A. (X. C.) aus einer Steuerberater und Rechtsanwalt GbR für den Kläger Widerspruch („Einspruch“) gegen den Bescheid vom 05.01.2021 ein. Die Restaurierung und Neueröffnung des Restaurants unter neuem Namen sei vom Kläger bereits seit Beginn des Jahres 2020 geplant worden. Durch die Pandemie hätten sich sowohl die Bauarbeiten als auch die Gewerbeanmeldung verzögert, so dass die Eröffnung erst im Oktober möglich gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt sei ein (zweiter) Lockdown noch nicht in Sicht gewesen. Unabhängig davon habe der Kläger bereits Verträge mit dem Verpächter und – schon im Sommer – mit den K. Mitarbeitern unterschrieben.
Am 11.02.2021 übersandte der Kläger der Beklagten eine Kug-Abrechnungsliste und einen Leistungsantrag für Januar 2021. Das auszuzahlende Kug wird für diesen Monat mit 648,45 € je Arbeitnehmer (insgesamt 2.593,80 €) beziffert, die SV-Beitragserstattung wie in den Vormonaten mit insgesamt 1.684,48 € (Summe: 4.278,28 €).
Nachdem die Beklagte gegenüber der Steuerberater und Rechtsanwalt GbR deren Befugnis zu außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen in Frage gezogen hatte, meldete sich mit E-Mail vom 26.02.2021 ein Rechtsanwalt und Steuerberater (DZ.) für den Kläger. Die Betriebsgründung sei schon im August 2020 erfolgt. Der Kläger habe sich bereits im August auf Personalsuche begeben und Arbeitsverträge abgeschlossen. Zwei Arbeitnehmer seien aufgrund der Arbeitsverträge aus K. nach Deutschland gezogen. Zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger nicht mit einem erneuten Lockdown und behördlichen Betriebsschließungen rechnen können. Ein zeitlicher Zusammenhang mit den Betriebsschließungen ab dem 02.11.2020 bestehe damit nicht. In den Monaten vor der Betriebsgründung sei durch staatliche Verlautbarungen ein weiterer Lockdown ausgeschlossen worden.
Die ursprünglich tätig gewordene Steuerberater und Rechtsanwalt GbR wies die Beklagte mit Bescheid vom 26.02.2021 (gerichtet an diese sowie an den Kläger) als Bevollmächtige wegen nicht nachgewiesener Befugnis zur Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen unter Hinweis auf § 13 Abs. 5 SGB X zurück. Gleichzeitig teilte sie mit, der erhobene Widerspruch bleibe wirksam (§ 13 Abs. 7 Satz 2 SGB X).
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.02.2021 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 05.01.2021 als unbegründet zurück. Die Gewährung von Kug setze (u.a.) einen erheblichen Arbeitsausfall mit Entgeltausfall voraus (§ 95 Satz 1 SGB III). Der Arbeitsausfall sei erheblich, wenn er (u.a.) auf wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbaren Ereignis beruhe (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 SGB III). Der Betrieb des Klägers sei im August 2020 gegründet worden, also inmitten der seit Frühjahr 2020 andauernden weltweiten Pandemie. Der Arbeitsausfall beruhe deshalb nicht auf wirtschaftlichen Ursachen i.S.v. § 96 Abs. 1 Nr. 1 SGB III; denn er sei dem normalen Betriebsrisiko des Arbeitgebers zuzuordnen. Dieser habe mit dem Arbeitsausfall rechnen und sich bei seinen betrieblichen Dispositionen darauf einstellen müssen. Dies gelte insbesondere bei Anlaufschwierigkeiten im Rahmen von Firmenneugründungen.
Die GN. GA. KG Steuerberatungsgesellschaft (Rechtsanwalt und Steuerberater GN.) übermittelte der Beklagten für die Monate November 2020 bis Januar 2021 erneut Abrechnungslisten und Leistungsanträge vom 25.02.2021. Darin waren nunmehr je Arbeitnehmer (bei gleichbleibendem Bruttoentgelt von monatlich 1.400,00 €) das auszuzahlende Kug mit 567,80 € und die SV-Beitragserstattung mit monatlich 374,80 € für November 2020, mit 510,20 € bzw. 336,06 € für Dezember 2020 respektive mit 542,85 € bzw. 355,43 € für Januar 2021 berechnet; der Gesamtbetrag wurde dementsprechend in den Leistungsanträgen mit 3.770,40 €, 3.385,04 € bzw. 3.593,12 € angegeben. Beigefügt waren monatliche Quittungen der vier Arbeitnehmer, nach denen ihnen am 30.11.2020 sowie am 30.12.2020 jeweils 644,60 € sowie am 31.01.2021 jeweils 648,45 € Kug für den jeweils abgelaufenen Monat ausgezahlt wurden.
Mit Leistungsantrag vom 01.03.2021 beantragte der Kläger Kug für Februar 2021 in einer Gesamthöhe von 4.166,92 €. Die Abrechnungsliste für diesen Monat wies für die vier Arbeitnehmer jeweils ein auszuzahlendes Kug von 666,92 € sowie eine SV-Beitragserstattung von 374,80 € aus. Auszahlungsquittungen der Arbeitnehmer wurden zu diesem Monat nicht vorgelegt.
Mit drei Bescheiden vom 04.03.2021 lehnte die Beklagte die Anträge des Klägers auf Erstattung von Kug jeweils für die Monate November 2020, Dezember 2020 und Januar 2021 ab. Hiergegen eingelegte Widersprüche des Klägers sind dem Verwaltungsvorgang der Beklagten nicht zu entnehmen. Mit Bescheid vom 11.03.2021 erfolgte eine entsprechende Ablehnung für den Monat Februar 2021. Zur Begründung ist jeweils ausgeführt, es liege keine rechtswirksam erstattete Anzeige über Arbeitsausfall vor, so dass eine Erstattung nicht erfolgen könne. Auf den Widerspruchsbescheid vom 26.02.2021 werde verwiesen. Auf den gegen den Bescheid vom 11.03.2021 durch den (jetzigen) Bevollmächtigten des Klägers eingelegten Widerspruch wies die Beklagte auf das beim Sozialgericht anhängige Klageverfahren hin und regte an, das Widerspruchsverfahren einstweilen ruhen zu lassen.
Weitere Vorgänge enthält der dem Gericht elektronisch übermittelte Verwaltungsvorgang nicht. Insbesondere ist für den Monat März 2021 kein Kug-Leistungsantrag des Klägers feststellbar.
Gegen den Bescheid vom 05.01.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2021 hat der Kläger am 09.03.2021 Klage beim Sozialgericht Düsseldorf erhoben, mit der er zunächst die Zahlung von Kug für die Monate November 2020 bis Januar 2021 geltend gemacht hat, später dann (Schriftsatz 19.04.2021) ohne Nennung eines Endzeitpunktes ab November 2020. Er hat seinen Vortrag aus dem Widerspruch wiederholt und ergänzend ausgeführt, die fachlichen Weisungen der Beklagten zum Kug wiesen darauf hin, dass Arbeitsausfälle, die dem normalen Betriebsrisiko des Arbeitgebers oder Anlaufschwierigkeiten bei Firmenneugründungen zuzuordnen seien, nicht Kug-fähig seien. In seinem Fall gehe es jedoch gerade nicht um ein normales Betriebsrisiko oder Anlaufschwierigkeiten, sondern um unvorhersehbare Auswirkungen einer weltweiten Pandemie. In deren Rahmen habe er bei Firmengründung im August 2020 nicht damit rechnen müssen, dass am 02.11.2020 ein (zweiter) Lockdown mit Betriebsschließungen angeordnet werde. Hätte er dies bereits gewusst, hätte er sicherlich andere Dispositionen getroffen; so aber sei auf den Zeitpunkt der Firmengründung abzustellen. Wollte man die Auffassung der Beklagten konsequent verfolgen, so wären Firmengründungen im Restaurantbereich ab Februar 2020 nicht mehr möglich gewesen; dies dürfte nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen. Ein Firmengründer müsse sich auf die Rechtslage und behördlichen Ausführungen zum Zeitpunkt der Gründung verlassen können; anderenfalls könne man jegliche Behinderung des Betriebes als Betriebsrisiko ansehen und Kug-Leistungen immer verweigern. Er (der Kläger) habe das Objekt erstmals im August 2020 besichtigen können. Durch verzögerte Materiallieferung usw. hätten sich die Arbeiten in die Länge gezogen. Sie hätten auch nicht so schnell ausgeführt werden können wie zunächst beabsichtigt; insoweit sei auf den ab 16.03.2020 geltenden Lockdown hinzuweisen, der am 04.05.2020 beendet worden sei. Weitere als die bereits vorliegenden Unterlagen könne er einstweilen nicht als Beweismittel vorlegen.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht beantragt,
den Bescheid vom 05.01.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Kug dem Grunde nach ab November 2020 zu bewilligen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid sowie auf den Inhalt ihres Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. Wenn der Kläger selbst vortrage, die Räumlichkeiten erstmals im August 2020 besichtigt zu haben, so sei dies inmitten der weltweiten Pandemie geschehen. Berücksichtige man, dass nach dem Ende des ersten Lockdowns ein Restaurantbetrieb nur unter strengen Auflagen möglich gewesen sei, sei die Eröffnung des Restaurants als ein bewusst eingegangenes Betriebsrisiko anzusehen, zumal schon im September 2020 – noch vor Aufnahme des Betriebes des Klägers – die Auflagen weiter verschärft worden seien. In Zeiten einer Pandemie und bereits bekannter behördlicher Betriebsschließungen sei mit Arbeitsausfällen zu rechnen; diese beruhten deshalb nicht auf wirtschaftlichen Ursachen.
Mit Urteil vom 10.08.2022 hat das Sozialgericht die Beklagte dem Antrag des Klägers entsprechend verurteilt. Der erhebliche Arbeitsausfall im Betrieb des Klägers sei i.S.d. § 96 Abs. 1 Nr. 3 SGB III nicht vermeidbar gewesen. Er habe auf einem unabwendbaren Ereignis beruht, weil wegen der Covid-19-Pandemie ab November 2020 der Betrieb gastronomischer Betriebe untersagt worden sei. Der Kläger habe dieses Ereignis weder beeinflussen noch vorhersehen können. Zum Zeitpunkt der Planung und Eröffnung seines Betriebes mit konkreten Planungen ab August 2020 habe er davon ausgehen können, dass es in absehbarer Zeit zu keinen weiteren erheblichen Einschränkungen bzw. zu einer Untersagung kommen werde. Nach Einschätzung des Bundestagsabgeordneten und über Parteigrenzen hinweg angesehenen Experten Prof. Dr. Karl Lauterbach sei selbst im September 2020 noch nicht von einem erneuten Lockdown auszugehen gewesen. Die im August und September 2020 bestehenden Einschränkungen (Abstandsgebot, Mund-Nasen-Schutz außerhalb des Sitzplatzes, Kontaktnachverfolgung) seien nicht ausreichend, um eine Vermeidbarkeit des Arbeitsausfalles anzunehmen. Ein Grundsatz, dass Neugründungen während einer Pandemie nicht unter den Schutz staatlicher Schutzsysteme – wie etwa des Kug – fielen, existiere nicht. Sinn und Zweck des Kug sei der Verbleib in Beschäftigung (BSG, Urteil vom 14.03.2021 – B 14 AS 18/11 R Rn. 17). Eine Regelung, dass insoweit nur bereits lange bestehende Beschäftigungsverhältnisse schutzbedürftig seien, sei weder dem Gesetzeswortlaut noch dem Willen des Gesetzgebers zu entnehmen. Handele es sich bei der Entscheidung um ein Grundurteil, müsse die Beklagte die Höhe der Leistungen ermitteln und diese dann auszahlen (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Gegen das ihr am 09.09.2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.10.2022 (Montag) Berufung eingelegt. Das Sozialgericht gehe zu Unrecht von einer Unvermeidbarkeit des Arbeitsausfalles im Betrieb des Klägers aus. Unvermeidbar sei ein Arbeitsausfall dann, wenn im Betrieb Vorkehrungen getroffen worden seien, um ihn zu verhindern. Es falle insoweit auf, dass das Restaurant des Klägers erst wenige Tage vor Verfügung des zweiten Lockdowns den Betrieb aufgenommen habe; deshalb handele es sich um einen Zeitpunkt, zu dem ein Betrieb gar nicht möglich gewesen sei. Bei einer Neugründung liege in der Regel kein unvermeidbarer Arbeitsausfall vor, weil sich in der Anlaufphase regelmäßig Schwierigkeiten einstellten, bis das Unternehmen am Markt eingeführt sei und wirtschaftlich arbeite. Dies sei regelmäßig dem allgemeinen Betriebsrisiko zuzurechnen, welches nicht über Kug abgesichert werden solle. Der Kläger berufe sich darauf, bereits seit Anfang 2020 die Gründung des Betriebes verfolgt und diesen schon im August gegründet zu haben. Hierfür habe er jedoch keine Belege erbracht. Der Pachtvertrag sei vielmehr vom 30.09.2020, die Gewerbeanmeldung und die Gaststättenerlaubnis seien vom 15.10.2020. Die Rechnungen über Installationsarbeiten vom 08. und 09.11.2020 bezögen sich auf Arbeiten in der Zeit vom 18.08. bis 26.09.2020; Rechnungen über Waren- und Gebrauchsgegenstandseinkäufe seien aus der zweiten Oktoberhälfte 2020. Keine Belege seien dafür ersichtlich, dass der Kläger bereits im August 2020 die Arbeitsverträge mit den Arbeitnehmern geschlossen habe, und dass diese Arbeitnehmer zum Teil wegen der Eröffnung des Restaurants aus K. nach Deutschland gezogen seien. In der Gesamtschau ergebe sich, dass die Betriebsgründung erst in die sich verschlechternde Pandemieentwicklung hinein betrieben und der Betrieb erst aufgenommen worden sei, als der erneute Lockdown in wenigen Tagen bevorgestanden habe. Der Kläger könne sich nicht darauf berufen, dass in der Zeit von August bis Oktober 2020 mögliche weitere erhebliche Einschränkungen der Gastronomie in näherer Zukunft nicht absehbar gewesen seien. Denn während des gesamten Sommers 2020 sei bei eher rückläufigem Infektionsgeschehen keine uneingeschränkte Rückkehr zu den Verhältnissen vor der Pandemie ermöglicht worden; insbesondere seien Platzreduzierungen weiter erforderlich gewesen. Deshalb habe es nahegelegen, dass bei wieder steigenden Infektionszahlen mit zusätzlichen Einschränkungen zu rechnen gewesen sei. Ausweislich der Lageberichte des Robert-Koch-Institutes (RKI) sei die Pandemieentwicklung von August bis Oktober 2020 fortlaufend ungünstig mit steigenden Infektionszahlen verlaufen. Auch Prof. Dr. Lauterbach, auf den sich das Sozialgericht beziehe, habe keine klare Aussage getroffen, dass es keinen zweiten Lockdown geben werde, sondern eine Reihe von Voraussetzungen aufgezählt, welche dazu beitragen könnten, einen zweiten Lockdown zu verhindern. Spätestens im Oktober 2020 habe sich ein gesteigertes Betriebsrisiko abgezeichnet. Deshalb sei der Arbeitsausfall im Betrieb des Klägers nicht als unvermeidbar anzusehen.
Der Kläger hat in einem Erörterungstermin am 05.06.2023 erklärt, seine Klage beziehe sich auf die Zeit von November 2020 bis März 2021.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.08.2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält den Arbeitsausfall ab November 2020 aufgrund des Lockdowns weiterhin für ein unabwendbares Ereignis, welches für ihn auch nicht vorhersehbar gewesen sei. Zum Zeitpunkt der konkreteren Planungen für die Restauranteröffnung ab August 2020 habe er davon ausgehen können, dass es in absehbarer Zeit zu keinen weiteren erheblichen Einschränkungen kommen werde. Das Sozialgericht habe zutreffend ausgeführt, dass insoweit auf den Zeitpunkt der Planung und Eröffnung des Restaurants abzustellen sei. Es gehe auch keineswegs um ein typisches Betriebsrisiko bei Neugründung eines Unternehmens, sondern um unvorhersehbare Auswirkungen einer weltweiten Pandemie und konkret um einen nicht vorhersehbaren zweiten Lockdown. Es gebe unvorhersehbare Ereignisse, die bei einer Unternehmensgründung nicht einkalkuliert werden könnten. Würde man der Auffassung der Beklagten folgen, wäre schon ab Februar 2020 keinerlei Restaurantgründung mehr möglich gewesen, ohne aus dem Schutz des Kug herauszufallen; dies dürfte vom Gesetzgeber nicht gewollt sein.
Der Senat hat im Erörterungstermin vom 05.06.2023 den Kläger angehört. Dieser hat dabei u.a. ausgeführt, er glaube schon, die Arbeitsverträge jeweils in Anwesenheit der Arbeitnehmer unterschrieben zu haben, für Herrn J. in Deutschland, für die übrigen Mitarbeiter in K.. Die Verträge seien tatsächlich im August 2020 unterschrieben worden. Wenn die Arbeitsverträge aus August einen Beginn des Arbeitsverhältnisses am 25.10.2020 formulierten, so sei er sich jedenfalls sicher, im Sommer in K. gewesen zu sein; denn er habe sicherstellen müssen, zur Eröffnung des Restaurants Arbeitskräfte zu haben. Man habe nicht wissen können, dass die Eröffnung genau am 25.10.2020 sei, und habe das Datum so weit nach hinten gezogen, um jedenfalls sicher sein zu können. Sie hätten sich auch vorstellen können, schon etwas eher zu eröffnen, je nachdem, wann die Renovierungsarbeiten abgeschlossen sein würden. Dass der Pachtvertrag trotz schon im Sommer durchgeführter Renovierungsarbeiten erst Ende September 2020 geschlossen worden sei, sei möglich gewesen, weil er den Verpächter gekannt und ihm vertraut habe. Die Verpachtung sei schon vorher abgesprochen gewesen. Seine Mitarbeiter seien in K. als Saisonarbeiter tätig gewesen. Die Mitarbeiter aus K. seien schon einige Wochen vor Eröffnung nach Deutschland gekommen, um bei der Vorbereitung zu helfen. Während dieser Aufräum- bzw. Renovierungsphase habe es noch kein Geld gegeben. Er selbst sei auch im August nach Deutschland gekommen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 05.06.2023 Bezug genommen.
Die Beklagte hat im Erörterungstermin erklärt, sollte der Kläger im vorliegenden Verfahren obsiegen, würden die seinerzeit (wegen des von der Beklagten nicht akzeptierten Arbeitsausfalls) ablehnenden (Kug-Abrechnungs-)Bescheide entsprechend dem Ausgang des vorliegenden Verfahrens überprüft.
Der Senat hat in dem Erörterungstermin einen Artikel des Münchner Merkur „Lauterbach mit düsterer Warnung: ‚Wir hecheln der Corona-Pandemie erfolglos hinterher‘“ (erstellt am 02.08.2020, aktualisiert am 23.09.2020; abrufbar unter www.merkur.de) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Auf den Artikel wird Bezug genommen.
Im Anschluss an den Erörterungstermin hat der Senat eine Auskunft des RKI vom 17.07.2023 eingeholt. Sie beinhaltet eine Tabelle mit der Zahl der pro Tag bundesweit an das RKI gemeldeten Corona-Infektionsfälle ab dem 25.02.2020 und einen Abriss von Aufgaben und Tätigkeit des Instituts während der Pandemie. Wegen der Einzelheiten wird auf die Auskunft des RKI Bezug genommen.
Die Beklagte sieht sich im Anschluss daran in ihrer Auffassung bestätigt. Die Unterlagen des RKI wiesen seit Sommer 2020 steigende Infektionszahlen aus; ab Ende Juli 2020 zeigten sich tägliche Zunahmen von stabil über 500, und spätestens ab dem 22.09.2020 seien diese Zunahmewerte vierstellig gewesen bei laufend schnellerem Anstieg. Im Internet zugängliche Unterlagen des BMG (www.bundesgesundheitsministerium.de/
coronavirus/chronik-coronavirus) ließen nachvollziehen, dass bereits Anfang August 2020 immer wieder auf steigende Infektionszahlen hingewiesen worden sei. Unter dem 17.08.2020 heiße es dort, dass der Bundesgesundheitsminister sich dafür ausgesprochen habe, Feierlichkeiten auf den engen Familien- und Freundeskreis zu beschränken. Dem Minister sei danach wichtig gewesen, im Rahmen weiterer Lockerungen Prioritäten zu setzen und abzuwägen, welche Risiken vermieden werden könnten. Auf Veranstaltungen und Feierlichkeiten zu verzichten falle ihm danach zwar schwer; man müsse jedoch abwägen, in welchen Bereichen Lockerungen möglich und nötig seien. Gerade in geselligen Situationen sei – so der Minister – eine Begrenzung des Personenkreises wichtig. Der Regelbetrieb in Schulen und Kindertagesstätten habe Priorität, ebenso Wirtschaft und Handel. In den kommenden Tagen habe der Minister mit den Ländern beraten wollen, in welcher Form Veranstaltungen und Feiern derzeit möglich seien. Am 21.09.2020 sei diskutiert worden, ob Fußballstadien für Publikum geöffnet würden und Karnevalsfeiern im Winter in Betracht kommen könnten. Der Minister habe sich (in einem zitierten Zeitungsinterview) u.a. dahingehend geäußert, dass im Falle regional steigender Infektionszahlen keine Fans ins Stadion sollten; er könne sich Karneval mitten in der Pandemie schlecht vorstellen. Am 29.09.2020 sei als Ergebnis einer Videokonferenz zwischen Bundeskanzlerin und Länderregierungschefinnen und -chefs eine Hotspot-Strategie beschlossen worden, wonach private Feierlichkeiten mit maximal 50 Personen in öffentlichen Räumen bei Inzidenzen ab 35 pro 100.000 Einwohner sowie mit nur maximal 25 Personen bei Inzidenzen ab 50 hätten stattfinden können. Umfangreichere Hinweise seien der Pressemitteilung 346 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung über diese Videoschalte zu entnehmen; auf diese (von der Beklagten beigefügte) Mitteilung wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen. Am 28.10.2020 sei dann auf einer weiteren Videokonferenz die Schließung der Gaststätten beschlossen worden (ebenfalls beigefügte Pressemitteilung Nr. 381, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird). Das sich aus diesen Dokumenten ergebende Bild passe zu den deutlich ansteigenden Infektionszahlen, welche das RKI vorgelegt habe. Die Maßnahmen der Politik hätten von Anfang an eine Richtung erkennen lassen, die darauf hinausgelaufen sei, größere Zusammenkünfte möglichst einzuschränken, und zwar zunächst als Empfehlung, dann als Zwangsmaßnahme. Einzuräumen sei zwar, dass die Schließung gastronomischer Betriebe nicht offen diskutiert worden sei; es müsse indes beachtet werden, dass solche Betriebe über den gesamten Sommer 2020 bereits Einschränkungen unterlegen hätten (geringere Gästezahl zur Abstandssicherung, Maßnahmen zur Kontaktverfolgung). Die sich im Juli/August 2020 allmählich abzeichnende Entwicklung sei von der Erwartung einer verschlimmerten Pandemiesituation im Herbst gekennzeichnet gewesen; deshalb hätten weitere Einschränkungen der Gastronomie im Herbst nahegelegen. Nichts anderes ergebe sich aus der Übersicht des RKI zu Präventionsmaßnahmen. Denn diese führe als Maßnahme eine „Beschränkung von Einzelhandels- und Dienstleistungsgeschäften, Gaststätten usw.“ für die Situation einer zunehmenden epidemischen Aktivität auf. Dass Letztere im Oktober 2020 erreicht gewesen sei, dürfte nach dem Pandemieverlauf außer Frage stehen. Deshalb sei für den Kläger erkennbar gewesen, dass die Eröffnung eines Gastronomiebetriebes im Herbst 2020 ein erhebliches Risiko darstelle. Soweit er sich im Übrigen auf die Verfolgung einer Betriebsgründung seit Anfang 2020 berufe, sei er dafür jeden Beleg schuldig geblieben.
Der Kläger sieht sich hingegen durch die Auskunft des RKI darin bestätigt, dass für ihn der Lockdown ab dem 02.11.2020 nicht vorhersehbar gewesen sei. Das RKI habe Beschränkungen bei Gaststätten nur als Option, nicht aber als Empfehlung aufgeführt. Videoschalten der Bundeskanzlerin und der Regierungschefinnen und -chefs der Länder vom 29.09. und 28.10.2020 habe er weder zur Kenntnis nehmen können noch müssen. Jedenfalls zur Zeit der Eröffnung seines Restaurants sei ein zweiter Lockdown nicht absehbar gewesen. Eine Pandemie sei kein normales Betriebsrisiko, wie es Anlaufschwierigkeiten bei einer Neugründung seien.
Die Beteiligten haben sich abschließend mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen. Er ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist im Wesentlichen unbegründet.
I. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 05.01.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2021, mit dem die Beklagte der Anzeige des Klägers über Arbeitsausfall vom 20.11.2020 mangels Vermeidbarkeit dieses Ausfalles „nicht entsprochen“ hat, weil in Zeiten einer Pandemie mit Betriebsschließungen gerechnet werden müsse.
Nicht Verfahrensgegenstand sind die drei Bescheide vom 04.03.2021 sowie der Bescheid vom 11.03.2021, mit denen die Beklagte die Erstattung von Kug jeweils für die Monate November und Dezember 2020 sowie Januar und Februar 2021 abgelehnt hat. Diese (sämtlich zeitlich nach dem hier angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 26.02.2021 ergangenen) Bescheide haben den Bescheid vom 05.01.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2021 nicht i.S.v. § 96 SGG abgeändert oder ersetzt. Denn das Kug-Bewilligungsverfahren ist zweistufig ausgestaltet (siehe dazu Kühl in Brand, SGB III, 9. Auflage 2021, § 99 Rn. 15 m.w.L./K., S.), und der Kläger ficht allein die Bescheidung auf der ersten Stufe an.
1. Bei der Bewilligung von Kug erfolgt zunächst – als erste Stufe – ein sog. Anerkennungsverfahren, welches mit der Anzeige über Arbeitsausfall eingeleitet wird und mit einem Bescheid gemäß § 99 Abs. 3 SGB III abschließt. Nach dieser Vorschrift hat die Agentur für Arbeit dem Anzeigenden unverzüglich einen schriftlichen Bescheid darüber zu erteilen, ob auf Grund der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind. Ein solcher Anerkennungsbescheid beschränkt sich (entsprechend den nur glaubhaft zu machenden Umständen – § 99 Abs. 1 Satz 3 SGB III –) auf das Vorliegen eines erheblichen Arbeitsausfalls und der betrieblichen Voraussetzungen (§§ 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, § 97 SGB III). Bestätigt er diese und wird er bestandskräftig (§ 77 SGG), hat er die Wirkung einer Zusicherung gegenüber Arbeitgeber und Arbeitnehmer, dass im Falle der Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen (§ 98 SGB III) und ordnungsgemäßer Antragstellung (§§ 323, 325 SGB III) Kug für die Dauer des Arbeitsausfalls bzw. die Höchstdauer (§ 106 SGB III) gezahlt wird. Dies gilt selbst dann, wenn zweifelhaft ist, ob überhaupt ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt.
Einem (erfolgreichen) Anerkennungsverfahren folgt – auf einer zweiten Stufe – ein Leistungsverfahren jeweils für einmonatige (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB III) Zeiträume. Dieses wird für jeden Leistungsmonat durch einen schriftlichen oder elektronischen, nach Maßgabe des § 325 Abs. 3 SGB III innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Kalendermonaten anzubringenden Leistungsantrag des Arbeitgebers (§ 323 Abs. 2 SGB III) eingeleitet.
2. Der Kläger wendet sich mit seiner Klage allein gegen den (negativen) Anerkennungsbescheid vom 05.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2021, mit dem die Beklagte der Anzeige über Arbeitsausfall des Klägers vom 20.11.2020 „nicht entsprochen“ und damit lediglich i.S.v. § 99 Abs. 3 SGB III dem Grunde nach (s.o.) eine Entscheidung über den Kug-Anspruch getroffen hat. Sind mit der Klage keine Leistungsbescheide der zweiten Stufe des Kug-Bewilligungsverfahrens angefochten, so kann der Senat allein die (ablehnende) Anerkennungsentscheidung der Beklagten auf der ersten Stufe des Verfahrens beurteilen.
II. Die Arbeitnehmer des Klägers waren zum Verfahren nicht notwendig nach § 75 Abs 2 SGG beizuladen. Gem. § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB III kann die Anzeige des Arbeitsausfalls nur vom Arbeitgeber oder (sofern vorhanden) von der Betriebsvertretung erstattet werden. Daher sind Arbeitgeber und (ggf.) Betriebsrat Beteiligte des Verwaltungsverfahrens; der Arbeitgeber macht im eigenen Namen in Prozessstandschaft Rechte der Arbeitnehmer geltend; eine notwendige Beiladung der Arbeitnehmer scheidet aus (Kühl, a.a.O., § 95 Rn. 21 m.w.L./K., S.). Anlass für eine einfache Beiladung nach § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG bestand im Falle des Klägers ebenfalls nicht.
III. Die Berufung der Beklagten ist insoweit begründet, als das Sozialgericht die Beklagte zu Unrecht zur Zahlung von Kug dem Grunde nach (zukunftsoffen) ab November 2020 verpflichtet hat. Abgesehen davon, dass der Kläger die Klage – ersichtlich und im Übrigen entsprechend seiner ausdrücklichen zweitinstanzlichen Erklärung – auf die Zeit des angezeigten Arbeitsausfalls von November 2020 bis März 2021 beschränkt hat, kann er eine Verurteilung der Beklagten zu Kug-Zahlungen dem Grunde nach nicht herbeiführen. Ist in einem gerichtlichen Verfahren – wie hier – allein die Verwaltungsentscheidung auf der ersten Stufe angefochten, ist vielmehr eine Verurteilung zu konkreten Leistungen im Rahmen des Leistungsverfahrens (zweite Stufe) nicht möglich. Denn erst auf dieser zweiten Stufe entscheidet sich, ob beim jeweiligen Arbeitnehmer in dem jeweiligen Kalendermonat die persönlichen Voraussetzungen für einen Kug-Anspruch erfüllt sind und ob der Leistungsantrag des Arbeitgebers den gesetzlichen Anforderungen genügt, also ob und ggf. in welchem Umfang Kug zu leisten ist. Im Rahmen der ersten Stufe ist hingegen lediglich festzustellen, ob ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen für Kug i.S.v. § 99 Abs. 3 SGB III vorliegen.
IV. Nach Maßgabe des vom Senat dementsprechend geänderten Urteilstenors ist die Berufung der Beklagten unbegründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht (sinngemäß) verurteilt, das Vorliegen eines erheblichen Arbeitsausfalls sowie das Vorliegen der betrieblichen Voraussetzungen für Kug festzustellen. Der angefochtene Bescheid vom 05.01.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2021 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger deshalb nach § 54 Abs. 2 SGG in seinen Rechten. Die Beklagte hat auf die Anzeige des Klägers über Arbeitsausfall vom 20.11.2020 zu Unrecht das Vorliegen der betrieblichen Voraussetzungen für Kug und einen erheblichen Arbeitsausfall verneint. Die Beklagte hätte eine (positive) Anerkennungsentscheidung i.S.v. § 99 Abs. 3 SGB III treffen müssen.
Nach § 95 Satz 1 SGB III haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf Kurzarbeitergeld, wenn 1. ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliegt, 2. die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind, 3. die persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind und 4. der Arbeitsausfall der Agentur für Arbeit angezeigt worden ist.
1. Dass der Kläger die Bescheide vom 04.03.2021 im Leistungsverfahren (zweite Stufe der Kug-Bewilligung) hat bestandskräftig werden lassen (im noch laufenden Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 11.03.2021 warten die Beteiligten den Ausgang des vorliegenden Verfahrens ab), steht einer materiell-rechtlichen gerichtlichen Überprüfung der angefochtenen Bescheide des Anerkennungsverfahrens (erste Stufe) nicht entgegen. Letztere haben sich nicht etwa durch die (z.T.) bestandskräftig gewordenen Leistungsbescheide – bei denen die Ablehnung der Kug-Zahlung auf der negativen Anerkennungsentscheidung fußt – i.S.v. § 39 Abs. 2 SGB X erledigt. Dementsprechend hat die Beklagte im Erörterungstermin vom 05.06.2023 ausdrücklich erklärt, diese ablehnenden Leistungsbescheide zu überprüfen, sollte der Kläger im vorliegenden Anerkennungsverfahren obsiegen. Hierzu ist sie nach § 44 Abs. 1 SGB X ohnehin verpflichtet.
2. Die betrieblichen Voraussetzungen (§ 95 Satz 1 Nr. 2 SGB III) sind gemäß § 97 Satz 1 SGB III erfüllt, wenn in dem Betrieb mindestens eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer beschäftigt ist. Im Restaurantbetrieb des Klägers waren die vier Arbeitnehmer I., J., Z. und Bossa beschäftigt.
3. Die Entscheidung über die persönlichen Voraussetzungen (§ 95 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 98 Abs. 1 SGG) gehört nicht zum Anerkennungsverfahren, sondern zur Leistungsentscheidung erst auf der zweiten Stufe der Kug-Bewilligung. Daher kann der Senat die Erfüllung jener Voraussetzungen bei den Arbeitnehmern des Klägers offenlassen.
4. Der Kläger hat als Arbeitgeber den Arbeitsausfall auch gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB III der für den Bezirk, in dem sein Betrieb liegt, zuständigen Agentur für Arbeit V. in elektronischer Form angezeigt (§ 95 Satz 1 Nr. 4 SGB III). Die nach § 99 Abs. 1 Satz 3 SGB III vorgesehene Stellungnahme der Betriebsvertretung (Betriebsrat) konnte der Kläger mangels Bestehens eines Betriebsrates nicht beifügen; ohnehin handelt es sich insofern um eine bloße Ordnungsvorschrift im Interesse des Arbeitgebers, so dass das Fehlen einer solchen Stellungnahme nicht zur Unwirksamkeit der Anzeige führt (Kühl, a.a.O., § 99 Rn. 10 m.w.L./K., S.). Die „Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit“ vom 01.11.2020 zwischen dem Kläger und seinen Mitarbeitern wurde der Beklagten im Übrigen zusammen mit den Anträgen für die drei Monate November und Dezember 2020 sowie Januar 2021 am 26.02.2021 übersandt.
5. Entgegen der Ansicht der Beklagten lag zudem ein erheblicher Arbeitsausfall (§ 95 Satz 1 Nr. 1 SGB III) vor.
Ein Arbeitsausfall ist gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 SGB III erheblich, wenn 1. er auf wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbaren Ereignis beruht, 2. er vorübergehend ist, 3. er nicht vermeidbar ist und 4. im jeweiligen Kalendermonat (Anspruchszeitraum) mindestens ein Drittel der in dem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von einem Entgeltausfall von jeweils mehr als 10 Prozent ihres monatlichen Bruttoentgelts betroffen ist; der Entgeltausfall kann auch jeweils 100 Prozent des monatlichen Bruttoentgelts betragen.
a) Der Arbeitsausfall aufgrund der Restaurantschließungen ab dem 02.11.2020 im Rahmen des sog. Lockdown light war vorübergehend (§ 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III) und betraf sämtliche Arbeitnehmer des Klägers mit einem Entgeltausfall von 100 Prozent (§ 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB III).
b) Der Arbeitsausfall beruhte auf staatlichen Auflagen infolge der Covid-19-Pandemie und damit auf einem für den Kläger unabwendbaren Ereignis (§ 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III). Gemäß § 96 Abs. 3 Satz 2 SGB III liegt ein unabwendbares Ereignis auch vor, wenn ein Arbeitsausfall durch behördliche oder behördlich anerkannte Maßnahmen verursacht ist, die vom Arbeitgeber nicht zu vertreten sind. Der Kläger musste am 02.11.2020 seinen Restaurantbetrieb aufgrund der Corona-Schutzverordnung Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2020 (GV. NRW 2020, 1060a) schließen. Nach deren § 14 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 19 Abs. 1 war der Betrieb von Restaurants zunächst bis zum 30.11.2020 untersagt; nachfolgende Änderungen der Verordnung verlängerten dieses Verbot (u.a.) für den gesamten im vorliegenden Verfahren streitigen Zeitraum (vgl. die nachfolgenden Fassungen der Verordnung unter www.soziokulturnrw.civiservice.de/ archiv-coronaschvo).
c) Der Arbeitsausfall war schließlich – worüber die Beteiligten einzig streiten – auch nicht vermeidbar (§ 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III).
aa) Als vermeidbar gilt gemäß § 96 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III insbesondere ein Arbeitsausfall, der durch die Gewährung von bezahltem Erholungsurlaub ganz oder teilweise verhindert werden kann, soweit vorrangige Urlaubswünsche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Urlaubsgewährung nicht entgegenstehen. Da das Restaurant erst am 26.10.2020 eröffnet worden war, war im betroffenen Zeitraum zwischen November 2020 und März 2021 die sechsmonatige Wartezeit des § 4 BUrlG noch nicht erfüllt, und die Arbeitnehmer des Klägers konnten noch keinen bezahlten Erholungsurlaub beanspruchen.
bb) Der Arbeitsausfall war auch nicht etwa deshalb vermeidbar, weil der Kläger in der Zeit einer weltweiten Pandemie von vornherein von einer Betriebsgründung (oder jedenfalls von einer Anstellung von Mitarbeitern für die Eröffnung des Restaurantbetriebes im Oktober 2020) hätte absehen müssen.
(1) Dabei geht der Senat davon aus, dass der Kläger – der im Verlauf des Jahres 2020 schon länger eine Restauranteröffnung geplant haben mag – konkrete und ihn rechtlich bindende Handlungen zur Eröffnung des Restaurants ab August 2020 vorgenommen hat. Er hat am 15.08.2020 in G./K. die Arbeitsverträge mit den damals noch in K. ansässigen Mitarbeitern I., Z. und R. sowie am 18.08.2020 in V. mit dem Mitarbeiter J. schriftlich abgeschlossen. Zu diesen – sich aus den jeweiligen Arbeitsverträgen ergebenden – Abschlussdaten hat der Senat den Kläger im Erörterungstermin vom 05.06.2023 intensiv befragt; der Kläger hat dabei nachvollziehbar und glaubhaft dargelegt, dass er für drei dieser Verträge in K. gewesen sei, und dass er sämtliche Verträge im August 2020 unterschrieben habe. Dies erscheint insbesondere deshalb plausibel, da der Kläger – wie er in dem Termin ebenfalls überzeugend ausgeführt hat – sicherstellen musste, bei Eröffnung des Restaurants auch über die nötigen Mitarbeiter zu verfügen. Diese zeitlichen Angaben des Klägers, an deren Richtigkeit der Senat nicht zweifelt, korrespondieren im Übrigen mit dem Umstand, dass der Kläger bereits ab der Kalenderwoche 35 (beginnend am 24.08.2020) nicht unerhebliche Handwerksarbeiten durch ein Sanitär- und Heizungsunternehmen hat ausführen lassen, welche zu höheren Rechnungsbeträgen führten (8.939,54 € und 3.544,06 €). Auch in der Folge kam es bereits vor Abschluss des schriftlichen Pachtvertrages (vom 30.09.2020) zu Anschaffungen im Zusammenhang mit der geplanten Restauranteröffnung (Kassenzettel T. und M. vom 08. bzw. 10.09.2020).
Dass der Pachtvertrag erst am 30.09.2020 unterzeichnet wurde, ist insoweit unschädlich. Denn nach dem glaubhaften Vorbringen des Klägers im Erörterungstermin kannte er den Verpächter und hat diesem vertraut, dass der (schriftlich tatsächlich erst Ende September 2020 gefertigte) Pachtvertrag endgültig abgeschlossen werde. Auf diese Weise konnte er die genannten konkreten Vorbereitungshandlungen bereits im August ausführen, ohne befürchten zu müssen, dass sich diese nicht unerheblichen Investitionen in die Ausstattung des Restaurants am Ende als vergeblich herausstellen würden.
(2) Ist deshalb für die Beurteilung der etwaigen Vermeidbarkeit des Arbeitsausfalls wegen einer ersichtlichen Unverständigkeit der Eröffnung eines Restaurants zu Pandemie-Zeiten auf die Zeit (spätestens) Mitte August 2020 (Abschluss der Arbeitsverträge) abzustellen, so musste der Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht mit einer vollständigen behördlichen Untersagung des Restaurantbetriebes ab November 2020 rechnen. Gleiches gilt im Übrigen selbst dann, wollte man stattdessen auf den tatsächlichen Eröffnungstag 25.10.2020 abstellen.
(a) Zwar hatten im Frühjahr 2020, als die Covid-19-Pandemie Deutschland erreicht hatte, Restaurants in einem (ersten) Lockdown bereits einmal – vom 22.03. bis 10.05.2020 – schließen müssen. In der Folgezeit kam es (u.a.) in Nordrhein-Westfalen zwar zu Einschränkungen des Restaurantbetriebs (Besucherregistrierung mit Kontaktdatenangabe, Reglementierung der Besucherzahl und Mindestabstände zwischen Gästetischen, Aushänge mit Hygienehinweisen). Gleichwohl konnten Restaurants unter Beachtung derartiger Einschränkungen bis zur neuerlichen Untersagung des Betriebs ab dem 02.11.2020 wieder öffnen.
(b) Nach einem deutlichen Rückgang des Covid-19-Infektionsgeschehens ab dem Frühjahr 2020 – laut der vom RKI mit Schreiben vom 17.07.2023 übersandten Tabelle (vgl. www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Daten/Fallzahlen_Gesamtuebersicht) kam es ab dem 10.05.2020 nur mehr zu bundesweit täglich dreistelligen neu registrierten Infektionsfällen – stiegen zwar ab etwa Anfang August 2020 die registrierten Neuinfektionszahlen merklich an; es wurden (erstmals am 06.08.2020) wieder vermehrt vierstellige Neuregistrierungen und ab dem 22.09.2020 sogar ausnahmslos vierstellige Neuinfektionszahlen bei steigender Tendenz erfasst (fünfstellige Neuregistrierungen durchgehend ab dem 22.10.2020 mit Ausnahme des 26.10.2020). Gleichwohl war mit einem anstehenden neuerlichen Öffnungsverbot für Restaurants Mitte August 2020 nicht in einer Weise zu rechnen, dass eine – grundsätzlich dem Grundrechtsschutz der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) unterfallende – Neueröffnung eines Restaurantbetriebes von vornherein wirtschaftlich leichtsinnig erschienen und das spätere Öffnungsverbot ab dem 02.11.2020 deshalb nur als ein vermeidbarer Arbeitsausfall anzusehen gewesen wäre.
In der für den Kläger wahrnehmbaren öffentlichen Diskussion fand seinerzeit die Meinung des Bundestagsabgeordneten (und späteren Gesundheitsministers) Prof. Dr. Karl Lauterbach viel Beachtung. Als Humanmediziner und Gesundheitsökonom sowie (wegen seines Bundestagsmandats beurlaubter) Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE) der Universität zu Köln war Lauterbach wegen der ihm in dieser Phase der Pandemie in der Öffentlichkeit zugeschriebenen besonderen fachlichen Expertise in jener Zeit medial dauerpräsent. Lauterbach aber äußerte etwa noch in dem vom Senat in das Verfahren eingeführten Artikel aus dem Münchner Merkur vom August 2020 („Lauterbach mit düsterer Warnung: ‚Wir hecheln der Corona-Pandemie erfolglos hinterher‘“, erstellt am 02.08.2020 und aktualisiert am 23.09.2020): „Wir können uns keinen neuen harten Lockdown leisten. Das wäre furchtbar“. Ausweislich dieses Artikels war für ihn ein Lockdown im Falle der Verschlimmerung der Lage keine Option; vielmehr sei ein Strategiewechsel hin zur Nachverfolgung von sog. Superspreader-Events nach japanischem Vorbild empfehlenswert.
Derartige Äußerungen Lauterbachs – als eines massenmedial hervorstechenden und als solcher wahrgenommenen Experten für epidemiologische Fragen – decken sich mit der vom Senat eingeholten Auskunft des RKI vom 17.07.2023. Danach war das RKI zwar nicht direkt an der Entscheidung über den Lockdown am 02.11.2020 beteiligt. Auch war es weder für die rechtliche Ausgestaltung noch die Umsetzung von Maßnahmen sowie die entsprechenden Informationen hierüber zuständig. Es hat indes – so die Auskunft – während der gesamten Pandemie, also auch im Vorfeld der Entscheidung über Restaurantschließungen ab dem 02.11.2020, öffentlich zur epidemiologischen Lage berichtet, Daten ausgewertet und bereitgestellt, Einschätzungen und Risikobewertungen abgegeben sowie Empfehlungen zu Infektionsmaßnahmen formuliert, welche dem Bundesgesundheitsministerium und anderen politischen Entscheidungsträgern zur Verfügung standen; auch bilateral hat das Institut das Ministerium und andere Stellen zur epidemiologischen Lage beraten. Unter Verweis auf seine dies belegende veröffentlichte Stellungnahme „Die Pandemie in Deutschland in den nächsten Monaten – Ziele, Schwerpunktthemen und Instrumente für den Infektionsschutz“ noch vom 23.10.2020 führt das RKI in seiner Auskunft jedoch aus, es habe eine Beschränkung von Gaststätten lediglich als Option, nicht aber als Empfehlung in seine Maßnahmenübersicht aufgenommen.
Wenn jedoch selbst das RKI (als eine als Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit bestehende zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention, zu deren Kernaufgaben auch die Bekämpfung von Infektionskrankheiten gehört, und die wissenschaftliche Erkenntnisse als Grundlage für gesundheitspolitische Entscheidungen erarbeitet; vgl. dazu www.rki.de/ DE/Content/Institut/institut_node.html) noch unter dem 23.10.2020 Beschränkungen im Gaststättenbetrieb – geschweige denn ein vollständiges Öffnungsverbot wie dasjenige vom 02.11.2020 – nicht einmal als Empfehlung aussprach, musste der Kläger nicht mit einem solchen Öffnungsverbot rechnen. Das gilt umso mehr, als das RKI benannte Einschränkungen auch unterhalb der Schwelle eines vollständigen Öffnungsverbotes (z.B. Abstandsgebote, Kontaktnachverfolgungen, Maskenpflichten für Bedienstete und für Gäste auf dem Weg zu und von ihren Tischen) lediglich als „Option, ggf. situationsangepasste Implementierung“ für denkbar hielt. Gilt dies selbst noch für den Tag der Eröffnung des Restaurants am 25.10.2020, an dem die Stellungnahme des RKI vom 23.10.2020 noch aktuell erschien, so war dies erst Recht Mitte August 2020 der Fall, als der Kläger mit der Einstellung von Mitarbeitern und der Vergabe umfangreicherer Renovierungsarbeiten konkrete, organisatorisch zu dieser Zeit notwendig erscheinende und ihn rechtlich bindende Schritte zur Öffnung des Restaurants in die Wege leitete. Dass politische Entscheidungen wie diejenige der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Bundesländer in ihrer Videokonferenz vom 28.10.2020 mit der Vereinbarung eines sog. „Wellenbrecher“-Lockdowns folgen würden, musste der Kläger selbst am 25.10.2020 nicht vorausahnen, erst recht nicht Mitte August 2020.
(3) Wollte man stattdessen mit der Beklagten einen vermeidbaren Arbeitsausfall annehmen, weil Maßnahmen der Politik von Anfang an eine Richtung hätten erkennen lassen, die auf eine Einschränkung größerer Zusammenkünfte letztlich auch als Zwangsmaßnahme hinausgelaufen sei und deshalb die Eröffnung eines Restaurants ein erhebliches Risiko dargestellt habe, so wäre dies zum einen schon im Lichte der Berufsfreiheit i.S.v. Art. 12 Abs. 1 GG eine Überfrachtung der einem Betriebsgründer im Rahmen des § 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XII abzuverlangenden Planungsumsicht. Es würde zum anderen dem Zweck des Kug nicht gerecht. Kug soll Arbeitnehmern Arbeitsplätze und den Betrieben die den Betrieb stützenden Arbeitnehmer erhalten (vgl. Kühl, a.a.O., § 95 Rn. 2 m.w.L./K., S.). Gerade zur Bewältigung der sozialen Folgen der Covid-19-Pandemie diente das Kug (auch durch befristete krisenbedingte Verbesserungen der Regelungen) als ein entscheidendes Instrument (vgl. Kühl, a.a.O., Rn. 2a m.w.L./K., S.). Dem Kläger allenfalls vage ersichtliche Risiken für eine Betriebseröffnung im Spätherbst 2020 schon für die Zeit ab Mitte August (in der für den Organisationsablauf notwendige, bindende unternehmerische Entscheidungen zu treffen waren) vorzuhalten und ihm insoweit letztlich abzuverlangen, auf die Betriebsgründung zu verzichten, verkennt zudem, dass die Menschheit und auch die administrativen und politischen Entscheidungsträger im Jahre 2020 keinerlei Vorerfahrungen mit dem Verlauf einer weltweiten Pandemie besaßen (Fehlen einer entsprechenden living memory). Selbst eine Videokonferenz der Bundeskanzlerin mit den Länderregierungschefinnen und -chefs gelangte – wie die Beklagte selbst vorträgt – noch am 29.09.2020 zu einer Hotspot-Strategie, bei der bei Inzidenzen ab 35 pro 100.000 Einwohner je Woche private Feierlichkeiten in öffentlichen oder angemieteten Räumen von maximal 50 Personen und bei Inzidenzen ab 50/100.000 von 25 Personen möglich bleiben sollten (Pressemitteilung 346 des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung). Wenn danach aber selbst in sog. Hotspots solche Gruppentreffen von 25 bzw. 50 Personen – noch Ende September 2020 – möglich bleiben sollten, konnte zu diesem Zeitpunkt damit gerechnet werden, dass Restaurants (in denen z.B. private Feierlichkeiten stattfinden können) nicht geschlossen werden würden.
V. Musste die Beklagte deshalb auf der ersten Stufe des Kug-Bewilligungsverfahrens einen (positiven) Anerkennungsbescheid i.S.v. § 99 Abs. 3 SGB III erteilen, so wird sie bei Rechtskraft des vorliegenden Urteils auf einer zweiten Stufe das Leistungsverfahren durchzuführen haben. Entsprechend ihrer Erklärung im Erörterungstermin vom 05.06.2023 wird sie dabei die drei bestandskräftigen ablehnenden Leistungsbescheide vom 04.03.2021 (November und Dezember 2020 sowie Januar 2021) nach § 44 SGB X überprüfen und das Widerspruchsverfahren gegen den ablehnenden Leistungsbescheid vom 11.03.2021 (Februar 2021) abschließen müssen. Zugleich wird sie (u.a. mit Blick auf § 325 Abs. 3 SGB III) zu prüfen haben, ob trotz bisher nicht ersichtlichen Leistungsantrags auf der zweiten Stufe des Kug-Bewilligungsverfahrens für den Monat März 2020 – auf den sich die Anzeige über Arbeitsausfall des Klägers vom 20.11.2020 ebenfalls erstreckte – Leistungen zu erbringen sind. Erst wenn diese Entscheidungen im Leistungsverfahren getroffen sind und ggf. ein Widerspruchsverfahren durchlaufen ist, kann der Kläger gerichtlich die konkrete Zahlung von Kug-Leistungen verfolgen.
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
VII. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.