Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16.05.2019 wird zurückgewiesen.
Die weitergehende Widerklage wird abgewiesen.
Die im Berufungsverfahren erhobene Feststellungsklage wird abgewiesen.
Der Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 635.092,20 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung von Arzneimittelabgaben im Zeitraum vom 24.11.2014 bis 30.09.2015.
Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse mit Sitz in Bayern. Der Beklagte ist Apotheker und Inhaber der Apotheke in K1. Zwischen Mai 2013 und September 2015 gab der Beklagte an insgesamt 14 Tagen (davon entfielen auf den streitigen Zeitraum Arzneimittelabgaben an fünf Tagen) zu Gunsten des bei der Beklagten versicherten Schwiegersohnes des Beklagten G1 (im Folgenden: Versicherter) das Arzneimittel Kogenate der Firma G2 auf entsprechende ärztliche Verordnung hin ab. Dieses Arzneimittel dient zur Behandlung von Hämophilie, einer angeborenen Störung der Blutgerinnung (sog. Bluterkrankheit). Der Klägerin stellte der Beklagte für die fünf streitgegenständlichen Arzneimittelabgaben am 10.12.2014, 10.03.2015, 10.04.2015, 12.08.2015 und 12.10.2015 zwischen 63.411,20 € und 161.909,20 € in Rechnung. Die Anzahl der verordneten und an den Versicherten abgegebenen Packungen schwankte zwischen 30 und 60 Stück. Insgesamt erhielt der Versicherte im streitgegenständlichen Zeitraum 240 Packungen, wofür der Beklagte gegenüber der Klägerin 630.092,20 € abrechnete. Den Abrechnungen gegenüber der Klägerin legte der Beklagte – außer für die Arzneimittelabgabe aufgrund der (letzten) Verordnung vom 22.09.2015 – nicht seinen tatsächlichen Einkaufspreis des Arzneimittels, welcher zwischen 2.070,00 € netto und 1.700,00 € netto lag, sondern dessen sog. Listenpreis nach der Großen Deutschen Spezialitäten-Taxe (sog. Lauer-Taxe) zugrunde. Dieser belief sich auf 2.195,20 € netto pro Packung. Auf den an die Klägerin zur Abrechnung vorgelegten Verordnungsblättern wies der Beklagte die vom Versicherten geleistete Zuzahlung sowie den geltend gemachten Abrechnungsbetrag aus. Den vom Hersteller ihm gegenüber in Rechnung gestellten Abgabepreis gab er nicht an.
Die Klägerin beglich die Rechnungen zunächst vollständig.
Erst als die Klägerin vom behandelnden Arzt des Versicherten darauf aufmerksam gemacht wurde, dass der Arzneimittelabgabe von Kogenate ein geringerer Abgabepreis als der sog. Listeneinkaufspreis zugrunde lag, wandte sie sich an das Abrechnungszentrum E1, welches für die Klägerin die Abwicklung und Begleichung von Forderungen der Leistungserbringer sowie ggf. die Rechnungsprüfung übernimmt. Im Auftrag der Klägerin bat das Abrechnungszentrum den Beklagten mit Schreiben vom 21.08.2015 um Mitteilung der jeweiligen tatsächlichen Abgabepreise der Arzneimittel, welche der Versicherte aufgrund der ärztlichen Verordnungen vom 18.11.2014, 30.01.2015, 24.03.2015 und 10.07.2015 von ihm erhalten hatte (sog. Preisanfrage). Daraufhin übersandte der Beklagte dem Abrechnungszentrum vier Rechnungen der Firma G2 vom 20.11.2014, 17.02.2015, 30.03.2015 und 17.07.2015. Anhand des sich daraus ergebenden Bruttoeinkaufspreises berechnete die Klägerin den aus ihrer Sicht berechtigten Abrechnungsbetrag unter Zugrundelegung der Vorgaben nach dem Ergänzungsvertrag zum Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Baden-Württemberg (ALV). Dieser lag 67.020,88 € unter dem vom Beklagten gegenüber der Klägerin geltend gemachten Abrechnungsbetrag.
Mit Schreiben vom 16.11.2015 teilte das Abrechnungszentrum dem Beklagten auf Veranlassung der Klägerin daraufhin mit, aufgrund von Verstößen bei der Abrechnung kürze sie den Abrechnungsbetrag der vier Verordnungen vom 18.11.2014, 30.01.2015, 24.03.2015 und 10.07.2015 auf Null.
Der Abrechnung der am 30.09.2015 aufgrund der Verordnung vom 22.09.2015 abgegebenen 30 Packungen Kogenate gegenüber der Klägerin legte der Beklagte sodann seinen tatsächlichen Einkaufspreis in Höhe von 1.700,00 € netto sowie einen Zuschlag von 4,5 % zugrunde.
Mit Schreiben vom 25.11.2015 legte der Landesapothekerverband Baden-Württemberg (LAV) für den Beklagten bzgl. der ersten vier Verordnungen Einspruch gegen die Rechnungskürzung auf Null ein. Begründend führte er aus, die Abrechnungen des Beklagten hätten den Vorgaben des ALV entsprochen und seien nicht zu beanstanden.
Die Klägerin hielt daraufhin an der Rechnungskürzung fest, da die korrekte Abrechnung von Blutkonzentraten nach den Maßgaben der Anlage 2.1 des ALV i. V. m. der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) zu erfolgen habe und der rechtmäßige Erlös deutlich unter dem tatsächlich vom Beklagten erzielten liege (u.a. Schreiben vom 15.01.2016).
Der LAV trat dem entgegen. Die AMPreisV sei auf die Abgabe von Kongenate nicht anwendbar. Die Parteien des ALV hätten sich in der Preisregelung für Blutzubereitungen in der Anlage 2.1 zum ALV auf den Listenpreis als Preisberechnungsgrundlage geeinigt. Satz 2 der Preisregelung sei so auszulegen, dass der 4,5 %ige Zuschlag gemäß Satz 1 auf einen Zuschlag in Höhe von 3 % plus 6,86 € begrenzt werden solle.
Mit Schreiben vom 17.10.2016 beanstandete die Klägerin, vertreten durch das Abrechnungszentrum E1, auch die Abrechnung aufgrund der Verordnung vom 22.09.2015 und kürzte den Abrechnungsbetrag auf Null.
Hiergegen erhob der Beklagte vertreten durch den LAV am 03.11.2016 abermals Einspruch. Darin hielt er an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest, wonach unabhängig vom tatsächlichen Einkaufspreis des Apothekers die Abrechnung zu erfolgen habe. Dennoch habe der Beklagte der zuletzt erfolgten Abrechnung den tatsächlichen Einkaufspreis zugrunde gelegt. Die neuerliche Beanstandung aufgrund der zwischen den Beteiligten streitigen Berechnung des Zuschlags auf den Einkaufspreis sei wegen der daraus resultierenden und lediglich geringen Differenz willkürlich.
Aufgrund der dem Beklagten gegenüber erklärten Retaxation rechnete die Klägerin mit dem aus ihrer Sicht bestehenden Rückzahlungsanspruch gegenüber unstreitigen Forderungen des Beklagten aus sonstigen Arzneimittelabgaben zwischen Februar 2016 und Dezember 2016 in Höhe von insgesamt 1.470,21 € auf.
Die Klägerin hat am 26.01.2017 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihr stehe ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu. Der Beklagte habe den in Satz 2 der Preisregelung nach Anlage 2.1 zum ALV zwingend als Schranke vorgesehenen Höchstpreis entweder gar nicht ermittelt oder pflichtwidrig nicht zur Abrechnung gebracht. Die Abrechnung hätte er korrekterweise anhand des tatsächlichen Einkaufspreises nach Satz 2 der Preisregelung in Anlage 2.1 zum ALV zuzügl. eines Festzuschlags von drei Prozent gem. § 3 Abs. 2 Nr. 2 AMPreisV vornehmen müssen. Er habe damit gegen wesentliche Pflichten aus dem ALV verstoßen. Da er zudem gegen die Dokumentationspflichten gem. § 9 Abs. 3 Satz 2 ALV verstoßen habe, indem er den Direktbezugspreis auf der Verordnung nicht ausgewiesen habe, habe dem Beklagten für die streitgegenständlichen Arzneimittelabgaben kein Vergütungsanspruch zugestanden. Des Weiteren habe er gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot gem. §§ 12, 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V verstoßen, da er das Arzneimittel Kogenate erst ab Juli 2015 zu einem deutlich günstigeren Einkaufspreis bezogen habe. Es liege daher kein Rechtsgrund für die von der Klägerin geleisteten Zahlungen vor. Eine Retaxierung auf Null sei nicht zu beanstanden.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat an der Rechtmäßigkeit seiner Abrechnungen festgehalten. Der geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch bestehe nicht. Er habe keine überhöhten Vergütungen abgerechnet, sondern vielmehr zutreffend den auf der Grundlage des Listenpreises ermittelten Apothekenabgabepreis gegenüber der Klägerin abgerechnet. Hierzu sei er aufgrund zwingender Vorschriften des Arzneimittelpreisrechts auch verpflichtet. Im vorliegenden Fall sei die AMPreisV unmittelbar anzuwenden, denn Kogenate sei kein „Blutkonzentrat“ im Sinne der Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 3 Nr. 6 AMPreisV, sondern ein gentechnisch hergestellter, rekombinanter Gerinnungsfaktor. Er habe damit weder gegen Preisvorschriften des ALV noch gegen sonstige Vorschriften des ALV verstoßen. Außerdem liege keine form- und fristgerechte Beanstandung vor. Die Retaxation auf Null sei willkürlich und unverhältnismäßig.
Die Klägerin hat nach Klageerhebung zwischen Januar 2017 und Mai 2019 mit weiteren Ansprüchen des Beklagten in Höhe von 8.126,61 € teilweise aufgerechnet.
Der Beklagte hat daraufhin am 29.04.2019 Widerklage erhoben und aufgrund dieser weiteren und der bereits erfolgten Aufrechnung eine Rückforderung in Höhe von insgesamt 9.596,82 € zuzügl. Zinsen in Höhe von neun Prozent über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Widerklage geltend gemacht.
Mit Urteil vom 16.05.2019 hat das SG den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 620.495,38 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Widerklage des Beklagten hat das SG abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die zulässige Klage sei begründet; die zulässige Widerklage sei hingegen unbegründet. Die Klägerin habe gegen den Beklagten einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch auf Zahlung eines Betrages in Höhe von 620.495,38 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit. Die Zahlungen der Klägerin an den Beklagten seien ohne Rechtsgrund erfolgt, da die Abrechnung den gesetzlichen Regelungen widerspreche. Damit lägen die Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs des Beklagten gegenüber der Klägerin nicht vor und der Beklagte habe keinen Anspruch auf die Vergütung. Bei einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch handele es sich um einen im öffentlichen Recht seit langem anerkannten Anspruch, der sich aus allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts, insbesondere der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung herleite. Er setze voraus, dass im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden seien. Nach dem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch sei derjenige, der durch eine Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt habe, diesem zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung bestehe auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfalle oder der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eintrete. Der Beklagte habe aufgrund der Bezahlung der von ihm geltend gemachten Vergütung durch die Klägerin eine Vermögensmehrung und damit etwas erlangt. Denn unter dem erlangten „etwas" werde jedenfalls ein Vorteil verstanden, der das wirtschaftliche Vermögen des Begünstigten irgendwie vermehre. Die Klägerin habe auch ohne Rechtsgrund geleistet. Rechtsgrundlage des Zahlungsbegehrens sei § 129 SGB V i. V. m. dem nach § 129 Abs. 2 SGB V abgeschlossenen Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB V und dem nach § 129 Abs. 5 Satz 1 SGB V abgeschlossenen ALV. Der Beklagte sei als Mitglied des LAV an diesen Vertrag gebunden. Die Klägerin sei nicht vertragsschließende Krankenkasse. Gemäß § 2 Abs. 4 Satz 2 des Rahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB V sei jedoch der für den Sitz der Apotheke geltende Vertrag nach § 129 Abs. 5 SGB V anzuwenden. Nach § 129 SGB V gäben die Apotheken nach Maßgabe der ergänzenden Rahmenvereinbarungen und Landesverträgen vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung ab. § 129 SGB V begründe im Zusammenspiel mit den konkretisierenden vertraglichen Vereinbarungen eine öffentlich-rechtliche Leistungsberechtigung und -verpflichtung für die Apotheken zur Abgabe von vertragsärztlich verordneten Arzneimitteln an die Versicherten. Im Gegenzug erwerben die Apotheken einen vertraglich näher ausgestalteten gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die Krankenkassen. Die Abrechnung des Medikaments Kogenate erfolge nach der Anlage 2.1 zum ALV. Deren Anwendungsbereich sei eröffnet, da vorliegend nicht die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) anzuwenden sei. Deren (unmittelbare) Anwendung sei nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 AMPreisV für die Verordnung von Blutkonzentraten, die zur Anwendung bei der Bluterkrankheit bestimmt seien, ausgeschlossen. „Blutkonzentrat" gelte dabei als Synonym für alle Arzneimittel, die der Substitutionsbehandlung von Blutern dienten, unabhängig von ihrem Herstellungsprozess (unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 13.05.2015 - B 6 KA 18/14 R; Bibiane Schulte-Bosse und Claus Burgard, Zur Frage der Herstellerabschlagspflichtigkeit plasmatischer und rekombinanter Faktor-Präparate zur Behandlung der Bluterkrankheit nach § 130a SGB V PharmR 2015, 149, 153 beck-online). Bei Kogenate handele es sich laut dem Beipackzettel um einen gentechnologisch hergestellten Blutbestandteil in Form von Gerinnungsfaktoren und damit um ein Blutkonzentrat im Sinne der Vorschrift. Eine Anwendung der AMPreisV könne demnach nur sinngemäß, aber nicht unmittelbar erfolgen. Die Preisregelung der Anlage 2.1 zum ALV enthalte zwei eigenständige Berechnungsgrundlagen. Aus der Formulierung in Satz 2 gehe unmissverständlich hervor, dass die Berechnung nach Satz 1 nur erfolgen könne, wenn sich nach der Berechnung nach Satz 2 nicht ein niedriger Preis ergebe. Apotheken hätten folglich den Krankenkassen den jeweils niedrigeren Preis in Rechnung zu stellen. An diesen Grundsatz habe sich der Beklagte nicht gehalten, in dem er nicht den niedrigeren Preis gegenüber der Klägerin abgerechnet habe. Richtigerweise hätte er den Preis nach Satz 2 ermitteln müssen und nur falls dieser höher ausgefallen wäre als der nach Satz 1, auf Grundlage von Satz 1 abrechnen dürfen. Der Preis im Sinne des zweiten Satzes der Anlage 2.1 sei in den vorliegenden Fällen anhand sinngemäßer Anwendung von § 3 AMPreisV zu errechnen. Gem. Abs. 1 HS. 1 dieser Vorschrift seien bei der Abgabe von Fertigarzneimitteln, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt seien, durch die Apotheken zur Berechnung des Apothekenabgabepreises ein Festzuschlag von 3 % zuzüglich 8,35 € zuzüglich 16 Cent zur Förderung der Sicherstellung des Notdienstes sowie die Umsatzsteuer zu erheben. Auf welcher Basis der Festzuschlag vom Beklagten zu ermitteln gewesen sei, ergebe sich bei dem nach § 52b Abs. 2 Satz 3 Arzneimittelgesetz (AMG) vom pharmazeutischen Unternehmer direkt zu beziehenden Arzneimittel Kogenate aus § 3 Abs. 2 Nr. 2 AMPreisV. Danach sei der Festzuschlag in Höhe von 3 % auf den bei Belieferung der Apotheke geltenden Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers ohne die Umsatzsteuer zu erheben. Der Listenpreis diene demnach gerade nicht als Berechnungsgrundlage für den Festzuschlag, sondern letztendlich der tatsächliche Einkaufspreis der Apotheke. Hierfür spreche bereits der Wortlaut der Vorschrift und darüber hinaus auch die systematische Auslegung. Denn wäre auch nach Satz 2 der Anlage 2.1 auf den Listenpreis als Basis zurückzugreifen, würde sich der Anwendungsbereich von Satz 1 nahezu verschließen, da wohl davon auszugehen sei, dass in dem hochpreisigen Segment von Blutbestandteilen und Blutzubereitungen ein Zuschlag von 3 % zuzüglich 8,35 € zuzüglich 16 Cent immer niedriger sei als der Preis nach Satz 1 der Anlage 2.1, welcher im Ergebnis gar nicht mehr zur Anwendung kommen und gänzlich an Bedeutung verlieren würde. Entgegen dem Vorbringen des Beklagten falle die sinngemäße Anwendung der AMPreisV daher sehr wohl anders aus als im „unmittelbaren Anwendungsbereich". Denn eine von der Anlage 2.1 losgelöste Betrachtungsweise gehe aufgrund der dort enthaltenen Verweisung fehl. Folglich habe die Anwendung von § 3 Abs. 2 Nr. 2 AMPreisV gerade im Lichte der Anlage 2.1 zu erfolgen und Berechnungsgrundlage für den Zuschlag müsse der tatsächliche Einkaufspreis der Apotheke sein. Der Beklagte habe daher gegen geltende Abrechnungsvorschriften verstoßen und aufgrund der zu hohen Abrechnungen einen unzulässigen Vorteil zu Lasten der Klägerin erzielt. Dies gelte auch in Bezug auf die Abrechnung, welcher die Verordnung vom 22.09.2015 zugrunde gelegen habe. Insoweit habe der Beklagte auf den tatsächlichen Einkaufspreis fälschlicherweise den Zuschlag mit 4,5 % und nicht mit 3% zuzüglich 8,35 € zuzüglich 16 Cent veranschlagt, was im Ergebnis wiederum zu einer überhöhten Abrechnung geführt habe. Die Klägerin habe auch das in § 18 ALV vorgeschriebene Beanstandungsverfahren ordnungs- und insbesondere fristgemäß durchgeführt. Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 ALV hätten die Krankenkassen innerhalb einer Frist von 12 Monaten nach Ende des Kalendermonats, in dem die Rechnungsstellung erfolgt sei, die bei der Rechnungsprüfung festgestellten rechnerisch und sachlich unrichtig abgesetzten Beträge gegenüber den Apotheken geltend zu machen. Die Klägerin habe durch das Abrechnungszentrum E1 mit Schreiben vom 16.11.2015 die Rechnungen vom 10.12.2014, 10.03.2015, 10.04.2015, 12.08.2015 und mit Schreiben vom 17.10.2016 die Rechnung vom 12.10.2015 beanstandet. Ob dem ersten Beanstandungsschreiben dabei auch die Originalverordnungen beigefügt gewesen seien, könne dahinstehen, da sich nach Auffassung des SG die Frist des § 18 Abs. 1 Satz 1 ALV nur auf die Beanstandungsmitteilung als solche sowie die Pflichtangaben nach § 18 Abs. 1 Satz 2 und 3 ALV beziehe und nicht auf die daneben, in einem gesonderten Absatz der Vorschrift und gerade nicht im Zusammenhang mit der Fristsetzung erforderlichen weiteren Nachweise. Aufgrund des eklatanten Verstoßes gegen die Abrechnungsvorschriften und damit auch gegen die Vorgaben des ALV halte das SG eine vollständige Retaxierung und damit den vollständigen Verlust des Vergütungsanspruchs des Beklagten gegenüber der Klägerin für zwingend. Die Retaxation auf Null habe dabei aber keinen Sanktionscharakter, sondern stelle die normale wirtschaftliche Reaktion auf eine vorschriftswidrige Abrechnung dar. Sie setze - auch wenn sie nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Steuerungsfähigkeit der sozialrechtlichen Normen sicherstellen solle - kein Verschulden voraus. Die ersatzlose Rückforderung des Vergütungsanspruchs sei lediglich die zwingende Folge dessen, dass die abschließenden Regelungen des Krankenversicherungsrechts eine rechtmäßige Arzneimittelabgabe als Voraussetzung für die Entstehung eines Vergütungsanspruchs vorsähen. Sie diene alleine dem Ausgleich einer unrechtmäßig entstandenen Vermögenslage (unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 28.09.2010 - B 1 KR 3/10 R). Ein Verstoß gegen Grundrechte des Beklagten oder die Unverhältnismäßigkeit der Retaxation sei insoweit nicht zu erkennen, zumal es sich hierbei um eine gängige und höchstrichterliche Maßnahme handele, welche bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen außer im Apothekenrecht auch bei Vergütungen von Krankenhäusern (unter Hinweis auf die Rechtsfolge von Fehlbelegungen) gang und gäbe sei und gerade im Gemeinwohlinteresse der Versichertengemeinschaft stehe. Ob der Beklagte neben der falschen Abrechnung auch gegen seine Dokumentationspflichten oder möglicherweise aufgrund unterlassener Preisverhandlungen mit dem Arzneimittelhersteller gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen habe, könne vorliegend dahingestellt bleiben, da dem Klagebegehren unabhängig davon voll statt zu geben gewesen sei. Auch der Zinsanspruch sei in der geltend gemachten Höhe begründet. Im Ergebnis habe die Klägerin Anspruch auf vollständige Rückzahlung der Vergütung, weshalb auch die von ihr vorgenommenen Aufrechnungen rechtmäßig gewesen seien und der Beklagte insoweit keinen Erstattungsanspruch habe geltend machen können. Die Widerklage sei daher abzuweisen.
Gegen das ihm am 22.10.2019 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 07.11.2019 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben.
Zur Begründung trägt er vor, es werde eine Beiladung der Verbände angeregt, welche den ALV vereinbart hätten, denn die Anlage 2.1 zu § 10 ALV enthalte gesonderte Bestimmungen zur Preisberechnung in Bezug auf “Aus menschlichem Blut gewonnene Blutzubereitungen oder gentechnologisch hergestellte Blutbestandteile, sofern nicht die AMPreisV anzuwenden ist“. Zudem werde eine Beiladung aller Krankenkassen angeregt, auf die diese Preisvereinbarung in Anlage 2.1 Anwendung finden könne. Der LAV sei notwendig beizuladen. Im Übrigen sei die Leistungsklage unbegründet. Fehler bei der Abrechnung beseitigten nicht den Rechtsgrund für die Vergütung. Auch berechtigten sie nicht zur Retaxierung auf Null. Vielmehr sei die Klägerin allenfalls zur Geltendmachung der Differenz zwischen fehlerhaft und fehlerfrei berechnetem Preis berechtigt. Abgesehen davon habe er nicht gegen Abrechnungsvorschriften oder gegen die Preisregelung in Anlage 2.1 zu § 10 ALV verstoßen. Die in der Anlage 2.1 zu § 10 ALV vereinbarte Preisregelung sei nicht anwendbar. Auf Kogenate, das kein Blutkonzentrat sei, sei bei Unanwendbarkeit des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 AMPreisV die AMPreisV anzuwenden. Auch mangele es an einer ordnungsgemäßen Beanstandung durch die Klägerin. Die Widerklage sei demgegenüber begründet. Letztlich habe die Klägerin selbst gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen. Die Inanspruchnahme des Beklagten sei lediglich der Versuch, von eigenen Versäumnissen abzulenken. Die Klägerin habe selbst rechtswidrig gehandelt, denn sie habe sich am Verstoß der Krankenhausapotheke gegen das Abspracheverbot beteiligt. Zudem sei seine nunmehr erhobene Widerklage zulässig und begründet.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 23.11.2022 hat die Klägerin wegen seither erfolgten weiteren Aufrechnungen mit Ansprüchen des Beklagten den Rechtsstreit in dieser Höhe für erledigt erklärt und in dieser Höhe auf eine Vollstreckung aus dem Urteil des SG verzichtet.
Der Beklagte beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16.05.2019 aufzuheben, die Klage abzuweisen
2. die Klägerin zu verurteilen, 17.253,87 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Widerklage zu zahlen, und
3. festzustellen, dass die Klägerin rechtswidrig handelt, wenn sie ihren Versicherten G1 durch die Krankenhausapotheke der Universitätsklinik F1 mit dem von den Ärzten der Gerinnungsambulanz der Universitätsklinik F1 vertragsärztlich verordneten Arzneimittel Kogenate versorgen lässt,
4. hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
1. die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16.05.2019 zurückzuweisen und die weitergehende Widerklage abzuweisen und
2. die Feststellungsklage des Beklagten gemäß Ziffer 3 abzuweisen.
Die Klägerin hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die streitgegenständlichen Abrechnungen des Beklagten seien alle unter Verstoß gegen die maßgebliche Preisregelung in Anlage 2.1 zu § 10 ALV erfolgt. Das SG habe zu Recht festgestellt, dass diese Preisregelung mangels Anwendbarkeit der AMPreisV für die Ermittlung des Vergütungsanspruchs eines Apothekers bei Abgaben von Kogenate heranzuziehen sei und, dass Satz 2 der Regelung eine Berechnung auf Grundlage des tatsächlichen Einkaufspreises des Apothekers verlange. Gegen diese Vorgaben habe der Beklagte verstoßen, indem er den streitgegenständlichen Abrechnungen überwiegend den in der Lauer-Taxe gelisteten Herstellerabgabepreis des Arzneimittels zugrunde gelegt habe, obwohl er das Arzneimittel tatsächlich zu einem günstigeren Preis beim Hersteller bezogen hat. Der Abrechnung der fünften streitgegenständlichen Arzneimittelabgabe habe der Beklagte zwar zu Recht den tatsächlichen Bezugspreis zugrunde gelegt. Auf diesen habe er aber zu Unrecht einen Festzuschlag in Höhe von 4,5 % gemäß Satz 1 der Preisregelung in Anlage 2.1 zu § 10 ALV erhoben. Diese Verstöße, die zu einem erheblichen finanziellen Vorteil des Beklagten und einem entsprechenden Nachteil der Klägerin bzw. der Versichertengemeinschaft geführt hätten, ließen den Vergütungsanspruch des Beklagten für diese Arzneimittelabgaben insgesamt entfallen. Ihr stehe deshalb ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch in Höhe der an den Beklagten gezahlten Vergütung (abzüglich zwischenzeitlicher Aufrechnungen der Klägerin) zu. Das SG habe der Klage deshalb zu Recht in vollem Umfang stattgegeben und die Widerklage des Beklagten abgewiesen. Entgegen der Auffassung des Beklagten lägen die Voraussetzungen einer Beiladung - insbesondere des LAV - nicht vor. Schließlich wolle der Beklagte im Berufungsverfahren im Wege der Widerklage feststellen lassen, dass die gegenwärtige Versorgung des Versicherten durch die Krankenhausapotheke der Universitätsklinik F1 (angeblich) rechtswidrig sei. Dieser Antrag sei mangels Klagebefugnis und mangels eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses als sog. „Interessentenklage“ zu qualifizieren und folglich unzulässig. Auch fehle es an einem legitimen Feststellungsinteresse des Beklagten, weil die Versorgung mit Gerinnungsfaktoren seit 15.08.2020 aufgrund der Änderungen der §§ 47 AMG, 1 Abs. 3 AMPreisV grundlegend umgestaltet worden sei. Selbst wenn man die Zulässigkeit des Feststellungsantrags unterstelle, sei dieser als unbegründet abzuweisen. Denn die Versorgung des Versicherten erfolge – wie dies für Hämophiliepatienten deutschlandweit jedenfalls bislang absolut üblich sei – im Wege des Direktbezugs der Arzneimittel durch die behandelnden Ärzte beim pharmazeutischen Unternehmer. Die Abgabe an den Versicherten zur sog. Heimselbstbehandlung mit den Gerinnungsfaktoren sei folglich gem. § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AMG zulässig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe
I. Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene und gemäß § 143 SGG statthafte Berufung des Beklagten ist auch im Übrigen zulässig. Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung, da der maßgebliche Beschwerdewert nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG von 750,00 € überschritten ist. Der Beklagte wehrt sich gegen eine Retaxation der Klägerin für Arzneimittel des Versicherten in Höhe von 630.092,20 €.
II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat der Klage zu Recht stattgegeben (hierzu unter 1) und die Widerklage (hierzu unter 2) abgewiesen. Auch die im Berufungsverfahren erweitere Widerklage ist abzuweisen (hierzu unter 3). Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von insgesamt 630.092,20 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit. Soweit der Beklagte erstmals im Berufungsverfahren beantragt festzustellen, dass die Klägerin rechtswidrig handele, wenn sie ihren Versicherten G1 durch die Krankenhausapotheke der Universitätsklinik F1 mit dem von den Ärzten der Gerinnungsambulanz der Universitätsklinik F1 vertragsärztlich verordneten Arzneimittel Kogenate versorgen lässt, ist diese Feststellungsklage bereits unzulässig (hierzu unter 4).
1. a) Die Klage ist zulässig. Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass es sich vorliegend um eine allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG handelt, weil sich die Beteiligten in einem Gleichordnungsverhältnis gegenüberstehen, das gleichzeitig eine (einseitig) hoheitliche Regelung der handelnden Behörde durch Verwaltungsakt gegenüber dem Adressaten - und damit eine Klage nach § 54 Abs. 4 SGG - ausschließt (BSG, Urteil vom 25.11.2015 - B 3 KR 16/15 R -, in juris, Rn. 14; BSG, Urteil vom 03.08.2006 – B 3 KR 7/06 R -, in juris, Rn. 8). Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen, die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten (BSG, Urteil vom 13.11.2013 - B 3 KR 33/12 R -, in juris, Rn. 9). Die Klägerin hat den Zahlungsanspruch auch konkret beziffert. Dies gilt auch für den geltend gemachten Zinsanspruch. Insofern reicht die Bezugnahme auf den Basiszinssatz aus (vgl. Becker-Eberhard, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl. 2013, § 253 Rn. 132).
b) Die Klage ist auch begründet. Der Klägerin steht gegen den Beklagten der mit der Klage geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch zu. Die Zahlungen an den Beklagten erfolgten in der nach der im Berufungsverfahren von der Klägerin erklärten weiteren Teilerledigungserklärung noch streitigen Höhe ohne Rechtsgrund, da die Abrechnung den gesetzlichen Regelungen widerspricht. Daher liegen die Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs des Beklagten gegen die Klägerin für die Arzneimittelabgabe von Kogenate an den Versicherten, denen die Verordnungen vom 18.11.2014, 30.01.2015, 24.03.2015, 10.07.2015 und 22.09.2015 zugrunde lagen, nicht vor und der Beklagte hat keinen Anspruch auf Vergütung in Höhe von 630.092,20 €. Zwar hatte die Klägerin ursprünglich den gesamten von der Klägerin (zunächst) geltend gemachten Betrag in Höhe von 630.092,20 € gezahlt, jedoch nachträglich den Vergütungsanspruch mit zwischen den Beteiligten nicht streitigen Vergütungsansprüchen der Klägerin aus anderen Behandlungsfällen gegen den Beklagten aufgerechnet. In Höhe von 9.596,82 € war der Erstattungsanspruch der Klägerin bereits vor Erlass des erstinstanzlichen Urteils durch Aufrechnung erloschen. Nach dem erstinstanzlichen Urteil hat die Klägerin mit Forderungen in Höhe von weiteren 7.657,05 € (insgesamt in Höhe von 17.253,87 €) aufgerechnet und den Rechtsstreit bzgl. der weiteren Aufrechnung in Höhe von 7.657,05 € für erledigt erklärt und in dieser Höhe auf eine Vollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil verzichtet. Der Senat sieht insoweit von einer weiteren eingehenden Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil er die Berufung aus den ausführlichen und wohlbegründeten Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG). Der Vortrag des Beklagten im Berufungsverfahren führt zu keinem anderen Ergebnis.
aa) Entgegen der Auffassung des Beklagten liegen weder die Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung des LAV vor (1.), noch ist eine einfache Beiladung des LAV oder der (sonstigen) Vertragspartner des ALV, geschweige denn aller Krankenkassen in Baden-Württemberg, für das vorliegende Verfahren erforderlich (2.).
(1.) Eine notwendige Beiladung des LAV kommt hier nicht in Betracht, denn die Voraussetzungen der notwendigen Beiladung nach § 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG sind nicht erfüllt. Davon geht der Beklagte wohl auch selbst aus, da er die (aus seiner Sicht notwendige) Beiladung des LAV aus einer grundrechtskonformen teleologischen Erweiterung des § 75 Abs. 2 SGG herleiten will. Für eine solche teleologische Erweiterung des § 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG besteht im vorliegenden Fall jedoch kein Grund. Denn die vorliegende Konstellation unterscheidet sich maßgeblich von dem Sachverhalt, der dem vom Beklagten zitierten Urteil des BSG vom 02.07.2013 (B 1 KR 18/12 R -, in juris) zugrunde lag. Das BSG hatte über die Frage zu entscheiden, ob diejenigen Unternehmen, die fehlerhafte Angaben in der Lauer-Taxe zu verantworten haben, zu einem Rechtsstreit notwendig beizuladen sind, in dem ein Rechenzentrum für einen Apotheker ein pharmazeutisches Unternehmen auf Erstattung des Erhöhungsanteils des Herstellerrabatts für ein Fertigarzneimittel in Anspruch nimmt. Das BSG hat diese Frage bejaht und eine teleologische Erstreckung der notwendigen Beiladung aufgrund des besonders hohen Risikos, dem pharmazeutische Unternehmen bei Veröffentlichung von Informationen über ihre Arzneimittel in der Lauer-Taxe ausgesetzt sind, für erforderlich gehalten. Der Beklagte will diese Rechtsprechung vorliegend mit dem Argument entsprechend anwenden, er sei an die im ALV gemäß § 129 Abs. 5 Satz 1 SGB V normenvertraglich getroffene Preisbestimmung gebunden. Da die Regelung unklar formuliert sei und der LAV den ALV abgeschlossen habe, sei der LAV dem Beklagten zum Ersatz des diesem wegen der Retaxation auf Null entstandenen Schadens verpflichtet.
Eine Haftung des LAV gegenüber dem Beklagten aufgrund des Abschlusses des ALV kommt hier jedoch offensichtlich nicht in Betracht. Denn es fehlt bereits an einer Pflichtverletzung des LAV gegenüber dem Beklagten, die eine Schadensersatzpflicht des LAV begründen könnte. Allein aus dem Umstand, dass nun Streit zwischen den Beteiligten über die Auslegung der Preisbestimmung im ALV (i. V. m. der AMPreisV) besteht, kann nicht abgeleitet werden, der LAV hätte die Interessen seiner Mitglieder nicht hinreichend wahrgenommen und vertreten. Hieraus kann keine Pflichtverletzung gegenüber dessen Mitgliedern hergeleitet werden, welche den LAV zum Ersatz des Schadens gegenüber dem Beklagten verpflichten würde. Denn den LAV trifft gegenüber seinen Mitgliedern entgegen der Auffassung des Beklagten keine Pflicht, ausschließlich „eindeutige“ vertragliche Regelungen zu treffen, die keinerlei Auslegung bedürften oder die keinen Auslegungsspielraum zuließen. Sonst würden an den LAV höhere Anforderungen gestellt als an den Gesetzgeber. Denn selbst der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz verlangt nicht, dass formelle oder materielle Gesetze ausschließlich Regelungen enthalten, die keiner Auslegung zugänglich sind bzw. einer solchen nicht bedürfen (vgl. Bundesverfassungsgericht <BVerfG>, Beschluss vom 07.07.1971 - 1 BvR 775/66 -, in juris). Erforderlich und ausreichend ist alleine die Auslegungsfähigkeit und die gerichtliche Überprüfbarkeit der Regelungen. Diese sind hier offensichtlich gegeben.
Erst recht kommt keine notwendige Beiladung des LAV wegen einer etwaigen Falschberatung gegenüber dem Beklagten in Betracht. Denn der Beklagte war hier unstreitig nicht an die Beratung durch den LAV gebunden. Es war ihm vielmehr selbst überlassen, auf welche Art und Weise er den Festzuschlag auf die Vergütung für Kogenate berechnen wollte. Insofern ist die Situation keineswegs vergleichbar mit dem vom BSG entschiedenen Fall der bindenden fehlerhaften Angaben in der Lauer-Taxe. Es fehlt deshalb an einem wesentlichen Merkmal, welches das BSG (a.a.o.) zur teleologischen Erweiterung von § 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG veranlasst hat.
(2.) Die vom Beklagten begehrte Beiladung des LAV kommt auch nicht gem. § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG in Betracht. Denn durch die gerichtliche Entscheidung werden keine berechtigten Interessen des LAV berührt. Solche berechtigten Interessen folgen nicht bereits daraus, dass der LAV die streitgegenständliche Preisbestimmung in der Anlage 2.1 zu § 10 des ALV mit den Krankenkassen verhandelt und abgeschlossen hat. Denn betroffen von der Auslegung und Anwendung dieser Preisbestimmung sind nur die einzelnen Mitglieder des LAV, d. h. die Apotheken, die Arzneimittel zulasten von Krankenkassen abgeben und abrechnen. Die Beiladung eines Verbands scheidet aber aus, wenn von einer gerichtlichen Entscheidung nur die Interessen seiner Mitglieder betroffen sind, selbst wenn der Verband diese vertritt oder vertreten hat (Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 75 Rn. 8a m. w. N.). Auch folgt ein berechtigtes Interesse i. S. d. § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht daraus, dass der LAV im hiesigen Verfahren seine Auslegung der Preisbestimmung in der Anlage 2.1. zu § 10 ALV darlegen möchte. Denn für die Auslegung dieser Preisbestimmung als normativer Regelung ist einzig eine objektive Auslegung maßgeblich, nicht hingegen, wie die Vertragsparteien die einzelnen Regelungen verstehen und auslegen.
Eine einfache Beiladung der anderen Vertragsparteien des ALV scheidet ebenfalls aus, da hier nicht über die Wirksamkeit einer normenvertraglichen Regelung gestritten wird, sondern lediglich über deren konkrete Auslegung (vgl. z.B. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.10.2017 - L 4 KR 3408/15 -, in juris).
Letztlich kommt eine Beiladung aller Krankenkassen, auf die die Anlage 2.1 zu § 10 ALV Anwendung finden könnte, nicht in Betracht. Denn einer solchen Beiladung stünde bereits die große Zahl an Beizuladenden entgegen. Insoweit hat der Beklagte selbst angemerkt, dass von einer Beiladung dann abgesehen werden kann, wenn sie wegen der Menge der Beizuladenden praktisch nicht durchführbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 04.10.1994 - 7 KlAr 1/93 -, in juris).
bb) Entgegen der Auffassung des Beklagten war für die Abrechnung des vom Beklagten an den Versicherten abgegebenen Arzneimittels Kogenate hier auch die Anlage 2.1 zu § 10 ALV maßgeblich. Die AMPreisV fand demgegenüber gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 AMPreisV (in der bis 14.08.2020 geltenden Fassung; im Folgenden: a.F.) keine Anwendung, denn bei Kogenate handelt es sich um ein „Blutkonzentrat […] zur Anwendung bei der Bluterkrankheit“. Die vom Beklagten in der Berufungsbegründung gegen diese Auslegung des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 AMPreisV a.F. im Urteil des SG vorgebrachten Argumente greifen nicht durch.
(1) Hiergegen spricht bereits die Auslegung des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 AMPreisV a.F. durch das BSG (im Urteil vom 13.05.2015 - B 6 KA 18/14 R -, in juris). Zwar geht der Beklagte auch davon aus, dass es sich bei Kogenate um ein Arzneimittel handelt, das der Substitutionsbehandlung von Blutern dient. Der Beklagte meint allerdings, § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 AMPreisV a.F. finde auf Kogenate dennoch keine Anwendung, weil Kogenate nicht aus menschlichem Blut hergestellt werde und deshalb kein „Blutkonzentrat“ im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 AMPreisV a.F. sei. Mit dem SG geht der Senat davon aus, dass der Entscheidung des BSG vom 13.05.2015 insoweit zu Recht entnommen werden kann, dass das BSG Arzneimittel zur Substitutionsbehandlung von Blutern „unabhängig von ihrem Herstellungsprozess“ als solche i. S. d. § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 AMPreisV a.F. qualifiziert.
(2) Die dargestellte Auslegung des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 AMPreisV a.F. durch das BSG - und ihm folgend auch des SG - widerspricht entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen. Insbesondere widerspricht diese Auslegung nicht Art. 20 Abs. 3 GG.
Denn es ist einerseits mit dem Wortlaut von § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 AMPreisV a.F. zu vereinbaren, die Regelung sowohl auf plasmatische (= aus menschlichem Blutplasma gewonnenen) als auch auf rekombinante (= gentechnologisch hergestellte) Faktorpräparate, die zur Anwendung bei der Bluterkrankheit bestimmt sind, anzuwenden. Andererseits lässt sich aus dem Entstehungszeitpunkt und der Änderungshistorie der Vorschrift alleine auch nur dieses Verständnis der Regelung ableiten. § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 AMPreisV a.F. nimmt wörtlich „Blutkonzentrate, die zur Anwendung bei der Bluterkrankheit […] bestimmt sind,“ vom Anwendungsbereich der AMPreisV aus. Der Begriff „Blutkonzentrate“ ist weder in der AMPreisV noch sonst gesetzlich definiert. Auch aus der Definition der Blutzubereitung in § 4 Abs. 2 AMG kann nicht darauf geschlossen werden, dass Blutkonzentrate i. S. d. § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 AMPreisV a.F. zwingend aus menschlichem Blut hergestellt sein müssen. Zudem lässt sich auch aus den unterschiedlichen Bezeichnungen der Arzneimittel zur Behandlung der Bluterkrankheit („Blutkonzentrate“) bzw. zur Anwendung bei der Dialyse („Arzneimittel“) in § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 AMPreisV a.F. nicht, wie der Beklagte meint, alleine der Schluss ziehen, dass nur solche Faktorpräparate vom Anwendungsbereich der AMPreisV ausgenommen sein sollen, die aus menschlichem Blut hergestellt werden.
Im Rahmen der historischen Auslegung ist zu berücksichtigen, dass der Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 AMPreisV a.F. seit Inkrafttreten der AMPreisV im Jahr 1981 (bis 14.08.2020) nicht geändert worden ist. Im Zeitpunkt des Inkrafttretens der AMPreisV war die Beschreibung „Blutkonzentrate, die zur Anwendung bei der Bluterkrankheit […] bestimmt sind“, aus tatsächlichen Gründen inhaltsgleich zur denkbaren Alternativformulierung „Arzneimittel, die zur Anwendung bei der Bluterkrankheit […] bestimmt sind“. Denn 1981 standen zur Behandlung der Bluterkrankheit zwar plasmatische, aber noch keine rekombinanten Faktorpräparate zur Verfügung. Letztere wurden erstmals in den 1990er Jahren auf dem Markt verfügbar (vgl. Bibiane Schulte-Bosse/Claus Burgardt, PharmR 2015, 149, 153). Aus der Formulierung „Blutkonzentrate“ kann damit nicht geschlossen werden, dass der Verordnungsgeber plasmatische Faktorpräparate von rekombinanten Faktorpräparaten abgrenzen wollte.
Geändert wurde § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 AMPreisV a.F. erst durch das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) vom 09.08.2019 mit Wirkung ab 15.08.2020 dahingehend, dass der Ausnahmetatbestand zugunsten von „Blutkonzentraten, die zur Anwendung bei der Bluterkrankheit […] bestimmt sind“, insgesamt gestrichen wurde. In der Gesetzesbegründung wurde insoweit ausgeführt, es handele sich um eine Folgeänderung zu Artikel 1 Nummer 14, nach der „plasmatische und gentechnologisch hergestellte Gerinnungsfaktorenzubereitungen“ aus dem Vertriebsweg nach § 47 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a des Arzneimittelgesetzes herausgenommen würden. „Diese Arzneimittel“ zur spezifischen Therapie von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie „unterliegen nunmehr“ dem einheitlichen Vertriebsweg über die Apotheken und damit „den Vorschriften der Arzneimittelpreisverordnung“ (vgl. BT-Drs. 19/8753, S. 69). Auch aus dieser Begründung zur Änderung des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 AMPreisV a.F. ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber bis zur Streichung der Alternative für Blutkonzentrate davon ausging, dass sowohl plasmatische als auch rekombinante Präparate nicht der AMPreisV unterliegen. Denn der Gesetzgeber ging insoweit eindeutig von einem deckungsgleichen Anwendungsbereich von § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) AMG a. F. einerseits und § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 Alt. 1 AMPreisV a.F. andererseits aus.
cc) Wie bereits das SG geht auch der Senat davon aus, dass die damit anzuwendende Anlage 2.1 zu § 10 ALV auslegungsbedürftig ist. Dies sieht auch der Beklagte so. Allerdings kann dessen Auslegung nicht gefolgt werden.
Die maßgebliche Preisregelung in der Anlage 2.1 zu § 10 ALV lautet wie folgt: „Hier beträgt der Zuschlag auf die Listeneinkaufspreise maximal 4,5 % zzgl. MwSt. Sofern sich unter sinngemäßer Anwendung der AMPreisV neu, netto zzgl. MwSt. ein niedrigerer Preis ergibt, kann maximal dieser Preis abgerechnet werden.“
Die Anlage 2.1 enthält damit zwei eigenständige, alternativ anzuwendende Regelungen für die Ermittlung des maßgeblichen Abrechnungspreises, wobei der Apotheker jeweils diejenige Berechnung zugrunde zu legen hat, die im konkreten Einzelfall zum niedrigeren Preis führt. Die nach Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck der Regelung erfolgte Auslegung der Preisregelung in Anlage 2.1 zu § 10 ALV führt zu dem vom SG angenommenen Ergebnis, dass ein Apotheker für die Abgabe eines Arzneimittels i. S. d. Anlage 2.1 zu § 10 ALV nur den tatsächlichen Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers zuzüglich der Aufschläge gem. § 3 Abs. 1 AMPreisV (in der jeweils gültigen Fassung) zugrunde legen darf, wenn diese Berechnung zu einem geringeren Preis führt als die Addition eines Festzuschlags in Höhe von 4,5 % auf den Listeneinkaufspreis.
Soweit der Beklagte § 9 Abs. 1, Abs. 3 ALV seiner Rechtsauffassung zugrunde legen möchte, geht er fehl. Denn § 9 ALV enthält „Allgemeine Bestimmungen zur Preisberechnung“ und ordnet § 9 Abs. 3 Satz 1 ALV nur insoweit die „entsprechend[e]“ Anwendung der AMPreisV an, „soweit für die Mittel nicht besondere Preise in den Anlagen zu § 10 vereinbart sind“. Für aus menschlichem Blut gewonnene Blutzubereitungen und gentechnologisch hergestellte Blutbestandteile, wie Kogenate, enthält die Anlage 2.1 zu § 10 ALV allerdings eine spezielle Preisregelung, die dem Verweis in § 9 Abs. 3 Satz 1 ALV eindeutig vorgeht.
Auch unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 22.02.1984 (I ZR 13/82 -, in juris, Rn. 13 ff) ergibt sich nicht das gewünschte Auslegungsergebnis des Beklagten, wonach die Abrechnung von Arzneimitteln i. S. d. Anlage 2.1 zu § 10 ALV auf Grundlage des in der Lauer-Taxe veröffentlichten Herstellerabgabepreises zu erfolgen hat. Denn die Anwendung der zitierten BGH-Entscheidung führt hier dazu, dass der Beklagte den streitgegenständlichen Abrechnungen seinen tatsächlichen Einkaufspreis des Arzneimittels Kogenate zugrunde legen musste.
dd) Auch überzeugen die Argumente, die der Beklagte gegen die Retaxierung auf Null vorgebracht hat, nicht. Diese ist zulässig und auch verhältnismäßig.
Zum einen geht der Beklagte fehl in der Annahme, er habe nur gegen „Abrechnungsbestimmungen“ verstoßen, während eine Retaxation auf Null ausschließlich beim Verstoß gegen „Abgabebestimmungen“ zulässig sei. Die Rechtsprechung des BSG, die auch der Beklagte zur Begründung seiner Rechtsansicht nennt, differenziert nämlich tatsächlich nicht zwischen „Abgabefehlern“ und „Abrechnungsfehlern“. Denn insoweit hat das BSG (Urteil vom 03.08.2006 - B 3 KR 7/05 R -, in juris, Rn. 16) zur Zulässigkeit von Retaxierungen insbesondere ausgeführt, das Recht zur Rechnungs- und Taxberichtigung und die damit verbundene Möglichkeit zur Aufrechnung gegen spätere Zahlungsansprüche aus Arzneilieferungen sei umfassend und betreffe nicht nur die Korrektur von sog. Abrechnungsfehlern. Zwar lässt sich aus der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 28.09.2010 - B 1 KR 3/10 R -, in juris Rn. 32) entnehmen, dass eine Retaxation auf Null beim Verstoß gegen bloße Ordnungs- bzw. Formvorschriften ausscheidet. Allerdings handelt es sich um einen solchen Fehler bei den dargestellten Verstößen des Beklagten gegen die Preisregelungen der Anlage 2.1 zu § 10 ALV hier nicht. Denn der Beklagte hat die einschlägige Preisregelung falsch angewendet und deshalb einen überhöhten Preis gegenüber der Klägerin geltend gemacht. Dieser Verstoß betrifft nicht nur eine Vorschrift, die den Ablauf des Abrechnungsverfahrens regelt, sondern wirkt sich unmittelbar auf den Vergütungsanspruch des Beklagten und dessen Höhe aus. Ausgehend von der Rechtsprechung des BSG ist deshalb hier die vollständige Rückforderung der gezahlten Vergütung zulässig.
Auch das BVerfG hat bereits ausdrücklich bestätigt, dass eine Retaxation auf Null trotz der Auswirkungen auf die Berufsausübungsfreiheit des betroffenen Apothekers bei Verstößen gegen gesetzliche oder normenvertragliche Vorgaben verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein kann. Es wies insoweit insbesondere darauf hin, dass eine Beschränkung des Rückforderungsanspruchs der Krankenkasse auf die Differenz zwischen der abgerechneten Vergütung und den sog. „Sowiesokosten“ der Krankenkasse im Fall der ordnungsgemäßen Abgabe und Abrechnung zwar ein milderes Mittel als der vollständige Vergütungsausschluss darstelle, aber nicht in gleicher Weise geeignet sei. Es liege im Gegenteil auf der Hand, dass der Ausschluss jeglicher Vergütung wegen der weitergehenden Nachteile für die Apotheken stärkere Wirkungen für die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots zeige (Beschluss vom 07.05.2014 - 1 BvR 3571/13, 1 BvR 3572/13 -, in juris Rn. 38; so auch BSG, Urteil vom 02.07.2013 – B 1 KR 5/13 R -, in juris Rn. 21 ff.). Folgte man der Auffassung des Beklagten, und beschränkte die Retaxierung auf den jeweiligen Differenzbetrag zwischen zu Unrecht abgerechnetem und hypothetisch rechtmäßig abzurechnender Vergütung, bestünde für die Apotheker keinerlei Anreiz für ein ordnungsgemäßes Abgabe- und Abrechnungsverhalten, weil sie in jedem Fall wenigstens den Betrag behalten dürften, der sich bei ordnungsgemäßer Abgabe und Abrechnung ergeben hätte. Damit würde umgekehrt gerade ein Anreiz geschaffen, bei der Abrechnung großzügig zu sein und zu versuchen, einen höheren Preis als zulässig abzurechnen, in der Hoffnung, dass dies unbemerkt bzw. unbeanstandet bleiben könnte.
ee) Entgegen der Auffassung des Beklagten hat die Klägerin auch das Beanstandungsverfahren nach § 18 ALV ordnungsgemäß durchgeführt.
Soweit er im Berufungsverfahren erstmals vorträgt, die Klägerin habe die Frist des § 18 Abs. 1 Satz 1 ALV auch deshalb nicht eingehalten, weil es an einer nach § 18 Abs. 1 ALV erforderlichen Beanstandung gefehlt habe, kann dem nicht zugestimmt werden. Lediglich § 18 Abs. 2 Satz 1 ALV verlangt eine solche Begründung der Beanstandung. Wie das SG im erstinstanzlichen Urteil zu Recht festgestellt hat, ist es zur Wahrung der in § 18 Abs. 1 Satz 1 ALV geregelten Frist von 12 Monaten erforderlich, aber auch ausreichend, dass die zu retaxierenden Beträge „gegenüber den Apotheken geltend“ gemacht werden. Die sonstigen Obliegenheiten der Krankenkassen im Zusammenhang mit Rechnungsprüfungen und Retaxationen, die nicht gemeinsam mit der Frist in § 18 Abs. 1 ALV geregelt sind, sind für die Wahrung der Frist demgegenüber ohne Belang. Ihrer in § 18 Abs. 2 Satz 1 ALV vorgesehenen Obliegenheit, dem Beklagten eine Begründung der Beanstandung zukommen lassen, ist die Klägerin im Übrigen nachgekommen. Denn jedenfalls mit Schreiben vom 15.01.2016 hat die Klägerin die Gründe für die Retaxation ausführlich dargestellt.
2. Das SG hat auch zu Recht die Widerklage des Beklagten abgewiesen. Denn die Klägerin hat Anspruch auf die vollständige Rückzahlung der Vergütung, weshalb auch die von ihr vorgenommenen Aufrechnungen rechtmäßig waren (zur Höhe siehe oben 1. b).
3. Die (erweiterte) Widerklage des Beklagten ist abzuweisen. Insoweit gilt das zu 2. Ausgeführte.
4. Der Antrag des Beklagten auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Handelns der Klägerin bei Versorgung des Versicherten durch die Krankenhausapotheke des Universitätsklinikums F1 mit dem Arzneimittel Kogenate ist bereits unzulässig.
Der Feststellungsantrag des Beklagten ist unzulässig, weil der Beklagte insoweit nicht klagebefugt und der Feststellungsantrag nicht auf ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG gerichtet ist. Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis setzt voraus, dass die Anwendung einer Norm auf einen konkreten, bereits übersehbaren Sachverhalt streitig ist. Zur theoretischen Klärung abstrakter Rechtsfragen dürfen Gerichte hingegen nicht angerufen werden (BSG, Urteil vom 20. 07.2017 - B 12 KR 13/15 R -, in juris). Hier konstruiert der Beklagte, nachdem das Arzneimittel Kogenate inzwischen nicht mehr auf dem Markt ist (https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/pharmazie/bayer-kogenate-wird-durchkovaltry-abgeloest/) einen fiktiven Sachverhalt und begehrt gerichtliche Klärung. Nicht klar ist insoweit, ob der Beklagte eine gerichtliche Überprüfung nach derzeitiger oder früherer Rechtslage begehrt. Allerdings wäre die Feststellungsklage in beiden Fällen nicht statthaft, da keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die vom Beklagten zur Prüfung gestellte Situation eingetreten ist oder ihr Eintritt konkret bevorsteht. Der Versicherte wurde nicht über die Krankenhausapotheke, sondern die Ärzte versorgt.
Aber auch wenn ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis vorliegen würde, wäre die Klage unzulässig. Zwar setzt die Zulässigkeit einer Feststellungsklage nicht zwingend voraus, dass das festzustellende Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten besteht. Vielmehr kann unter besonderen Voraussetzungen auch ein Rechtsverhältnis zwischen dem Beklagten und einem nicht prozessbeteiligten Dritten (sog. Drittrechtsverhältnis) feststellungsfähig sein. Für die Zulässigkeit von Feststellungsklagen, die auf sog. Drittrechtsverhältnisse gerichtet sind, gelten allerdings erhöhte Anforderungen (vgl. Senatsurteil vom 14.11.2018 - L 5 KA 3686/16 -, in juris, Rn. 34). Durch das Bestehen oder Nichtbestehen des Drittrechtsverhältnisses muss der Rechtsbereich des Klägers direkt oder indirekt beeinflusst werden, wobei rechtlich geschützte Interessen berührt sein müssen; bloße Reflexwirkungen, etwa in Gestalt wirtschaftlicher Auswirkungen, genügen nicht (BSG, Urteil vom 25.03.2003, - B 1 KR 29/02 R -, in juris, Rn. 13; Urteil vom 02.08.2001, - B 7 AL 18/00 R -, in juris Rn. 11). Eine rechtliche Betroffenheit in diesem Sinne ist regelmäßig zu verneinen, wenn derjenige, der die Feststellung betreibt, nicht berechtigt wäre, die Regelung des zwischen Dritten bestehenden Rechtsverhältnisses selbst zu beantragen oder anzufechten (BSG, Urteil vom 25.03.2003, a.a.O.). Hier ist der Beklagte zwar durch die angegriffene Leistungserbringung in Erwerbsaussichten, nicht aber in subjektiv-öffentlichen Rechten betroffen. Der Beklagte begehrt mit seiner Klage die Feststellung eines Rechtsverhältnisses zwischen zwei nicht Prozessbeteiligten, nämlich zwischen dem Versicherten und dem Universitätsklinikum F1. Darüber hinaus ist kein subjektiv-öffentliches Recht des Beklagten ersichtlich, das durch das festzustellende Rechtsverhältnis unmittelbar oder wenigstens mittelbar betroffen wäre. Bloße Erwerbsaussichten oder -hoffnungen reichen insoweit nicht aus.
Zudem mangelt es auch an einem Feststellungsinteresse. Denn die Versorgung von Hämophilie-Patienten mit Gerinnungsfaktoren erfolgt seit 15.08.2020 auf geänderter gesetzlicher Grundlage. Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AMG und § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 AMPreisV existiert seither für Gerinnungsfaktorenzubereitungen wie Kogenate nur noch der Bezugsweg über eine Apotheke und nicht mehr die Möglichkeit des Direktbezugs des Arztes beim pharmazeutischen Unternehmer. Der Beklagte kann deshalb kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der aktuellen Versorgung des Versicherten über die Gerinnungsambulanz der Universitätsklinik F1 geltend machen.
Soweit der Beklagte sein Interesse an baldiger Feststellung mit Wiederholungsgefahr sowie Rehabilitationsinteresse und Interesse an Herbeiführung von Präjudizialität begründet, liegen Interessen in diesem Sinne nicht vor. Eine Wiederholungsgefahr scheidet aus. Um Feststellungen zur Rechtswidrigkeit eines abgeschlossenen Sachverhalts, der sich wiederholen könnte, geht es dem Beklagten nicht. Eine Wiederholungsgefahr wäre zudem auch dann auszuschließen, wenn eine Versorgung über die Krankenhausapotheke erfolgt wäre. Die Klägerin forderte den Leiter der Gerinnungsambulanz wie dargelegt zu einer Direktabgabe von Kogenate an ihren Versicherten auf. Nachdem diese Möglichkeit nunmehr nicht mehr besteht, gibt es keine Anhaltspunkte für eine mögliche Wiederholung einer solchen Aufforderung. Ein Rehabilitationsinteresse des Beklagten liegt ebenfalls nicht vor. Dieses würde voraussetzen, dass von einem abgeschlossenen Sachverhalt – hier von der Versorgung des Versicherten durch die Gerinnungsambulanz des Universitätsklinikums F1 – eine noch andauernde Stigmatisierung des Beklagten ausginge, die geeignet wäre, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Das ist offenkundig nicht der Fall. Dass der Beklagte sich durch schriftsätzliche Äußerungen der Klägerin im Rechtsstreit in seiner Würde verletzt fühlt, begründet kein Feststellungsinteresse. Ein Präjudizinteresse ist bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Beklagte Feststellungen nicht zu einem konkreten vergangenen, sondern zu einem fiktiven zukünftigen Rechtsverhältnis begehrt. Letztlich begründet der Beklagte seine Feststellungsklage allein mit der Behauptung, die Klägerin habe sich in der Vergangenheit möglicherweise rechtswidrig verhalten und könne nach einer Änderung der Sach- und Rechtslage zukünftig möglicherweise andersgeartete Rechtsverstöße begehen. Dies allein begründet kein rechtliches Interesse an einer baldigen Feststellung durch den Senat.
Im Übrigen scheitert die Klageerweiterung, bei der es sich um eine Klageänderung im Sinne von § 99 Abs. 1 SGG handelt, weil sie mit einer Änderung des Klagegrundes einhergeht und daher kein Fall einer Privilegierung nach § 99 Abs. 3 SGG vorliegt. Denn der Beklagte stützt seine Forderung auf einen anderen Lebenssachverhalt. Eine solche Klageänderung ist zwar gemäß § 153 Abs. 1 SGG grundsätzlich auch im Berufungsverfahren möglich (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 99 Rn. 12). Hier fehlt es indes am Vorliegen der dafür in § 99 Abs. 1 SGG aufgestellten Voraussetzungen. Denn der Senat hält sie nicht für sachdienlich und die Klägerin hat nicht eingewilligt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
5. Die endgültige Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 3 Satz 1, § 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Dabei war der Verzinsungsantrag nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen, da es sich insofern um eine Nebenforderung im Sinne von § 43 Abs. 1 GKG handelt. Bezüglich der Feststellungsklage war ein zusätzlicher Streitwert anzusetzen. Nachdem Anhaltspunkte für eine anderweitige Festsetzung fehlten, handelt es sich insoweit um den Regelstreitwert nach § 52 Abs. 2 GKG (BSG, Urteil vom 15.01.2009 - B 3 KS 5/08 B -, in juris).
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 KR 262/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 3774/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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