L 13 AS 412/21

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Bremen (NSB)
Aktenzeichen
S 35 AS 704/19
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 13 AS 412/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die Rückausnahme nach § 7 Abs. 1 S. 4 Halbs. 2 SGB II setzt nicht voraus, dass die Feststellung des Verlustes der Freizügigkeit bestandskräftig geworden ist.

Die Berufungen werden zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 

Der Kläger begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), hilfsweise nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Zwischen den Beteiligten ist insbesondere strittig, ob dem Kläger ein Aufenthaltsrecht zur Seite steht, aus dem ein Anspruch auf die Gewährung von Grundsicherungsleistungen im strittigen Zeitraum 1. November 2018 bis 31. Oktober 2019 folgt.

 

Der am K. geborene, alleinstehende Kläger ist französischer Staatsbürger. Er hält sich seit dem 15. Dezember 2004 durchgehend in der Bundesrepublik Deutschland auf. Aus dem vorliegenden Rentenversicherungsverlauf gehen Beitragszeiten mit Pflichtbeiträgen, die nicht auf dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II beruhen, nur für den Zeitraum 5. Oktober 1980 bis 12. Dezember 1980 und den 7. April 1981 hervor. Hiernach ging der Kläger einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nach. Er bezog in der Vergangenheit seit 2005 mit kurzen Unterbrechungen Leistungen nach dem SGB II. Er bewohnte seit 2016 eine von dem Verein Wohnungshilfe e. V. angemietete Wohnung, für die im Streitzeitraum eine monatliche Grundmiete von 250 € nebst Betriebskostenvorauszahlung von 93 € anfiel. Über Einkommen oder Vermögen verfügte der Kläger nicht.

 

Im Jahr 2018 wandte sich der Kläger, bei dem für die Zeit seit August 2020 eine dementielle Entwicklung dokumentiert ist, persönlich schriftlich an den Beklagten mit der Bitte, ihm Bescheide für den Zeitraum 2016 bis 2017 zur Vorlage beim Migrationsamt zu übersenden. Er reichte zudem regelmäßig Nebenkostenabrechnungen beim Beklagten ein und begehrte die Übernahme der Kosten, wobei sich der Vermieter teilweise auch direkt an den Beklagten wandte. Im März 2018 wurde dem Beklagten bekannt, dass dem Kläger die Freizügigkeit aberkannt werden sollte.

 

Der Kläger beantragte im März 2018 die Weitergewährung von Leistungen nach dem SGB II. Zudem bat er um Fristverlängerung hinsichtlich der Vorlage von angeforderten Unterlagen. Nachdem seitens des Beklagten zunächst keine Leistungen gewährt wurden, wandte sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers im Mai 2018 an den Beklagten, verwies auf ein aus ihrer Sicht bestehendes Daueraufenthaltsrecht des Klägers und forderte die Weitergewährung der Leistungen. Im Rahmen eines im Anschluss hieran geführten Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes führte die Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, dieser sei mit Unterbrechungen seit 1996 und ununterbrochen seit 2004 in der Bundesrepublik Deutschland. Sie habe die Vermutung, es bestehe eine Cannabis-Problematik mit „überdurchschnittlicher Unsortiertheit“. Das Verfahren führte zu einer vorläufigen Leistungsgewährung nach dem SGB II seitens des Beklagten (nach § 41a SGB II) bis einschließlich September 2018. Im Juni 2018 wandte der Kläger sich erneut persönlich (per Fax) an den Beklagten, da er für die Rundfunkgebührenbefreiung weitere Unterlagen benötigte.

 

Nach Anhörung des Klägers stellte das Migrationsamt L. am 4. Juni 2018 fest, dass der Kläger keine Freizügigkeit genieße, und lehnte die Ausstellung einer Bescheinigung des Daueraufenthaltsrechtes ab. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis komme nicht in Betracht und der Kläger müsse ausreisen. Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein, das Migrationsamt bestätigte die aufschiebende Wirkung, die Freizügigkeitsberechtigung bestehe bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf vorerst fort. Im Oktober 2018 wandte der Kläger sich nochmals persönlich per Fax an den Beklagten und bat um Auszahlung der Leistungen. Nachdem der Beklagte ihn auf einen einzureichenden Weiterbewilligungsantrag (WBA) hingewiesen hatte, stellte der Kläger persönlich per Fax „einen Überprüfungsantrag nach SGB X gegen meinen aktuellen Bescheid“. Die Prozessbevollmächtigte verwies nachfolgend darauf, dass es sich insoweit auch um einen WBA handele. Mit Widerspruchsbescheid vom 2. November 2018 wies das Migrationsamt den Widerspruch des Klägers zurück. Der Kläger erhob hiergegen Klage beim Verwaltungsgericht (VG) L..

 

Mit hier strittigem Ablehnungsbescheid vom 27. November 2018, welcher Gegenstand des ursprünglich zum Aktenzeichen L 13 AS 414/21 geführten Berufungsverfahrens ist, lehnte der Beklagte den Antrag aus November 2018 ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, da er ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland allein zur Arbeitsuche habe. Die Entscheidung beruhe auf § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II. Das Migrationsamt L. habe dem Kläger die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern aberkannt, die Ausstellung einer Bescheinigung des Daueraufenthaltsrechtes abgelehnt und den Kläger zur Ausreise aus dem Bundesgebiet aufgefordert. Zur Begründung verwies der Beklagte auf den Bescheid des Migrationsamtes und den diesbezüglichen Widerspruchsbescheid. Der Kläger legte Widerspruch gegen den Bescheid ein. Die Verfügung des Migrationsamtes sei nicht bestandskräftig. Sie sei offensichtlich rechtswidrig, er verfüge über ein Daueraufenthaltsrecht. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2019 als unbegründet zurück. Der Kläger habe allenfalls ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche. Ein anderes Aufenthaltsrecht bestehe nicht. Zudem sei der Verlust der Freizügigkeit festgestellt worden. Die Anfechtung vor dem Verwaltungsgericht ändere nichts am Wegfall der Leistungsberechtigung nach dem SGB II.

 

Im Rahmen eines erneuten Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes führte die Prozessbevollmächtigte des Klägers in der Antragsschrift vom 17. November 2018 aus, der Kläger sei „händeringend auf Arbeitsuche“ und Vermittlungsvorschläge des Beklagten würden erbeten. 

 

Einen im März 2019 erneut gestellten WBA lehnte der Beklagte mit dem ebenfalls streitbefangenen Bescheid vom 28. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2019 ab (Aktenzeichen der Berufung: L 13 AS 412/21).

 

Mit Bescheid vom 18. Februar 2019 lehnte die Beigeladene den bei ihr gestellten Antrag auf existenzsichernde Leistungen vom 24. Januar 2019 ab. Da der Kläger nicht vollziehbar ausreisepflichtig sei, habe er weiterhin des Status eines EU-Bürgers und keinen Anspruch auf Asylbewerberleistungen. Ein Anspruch nach dem SGB XII scheitere daran, dass der Kläger nach seinem Vortrag erwerbsfähig sei. Er habe zudem keinen Anspruch aufgrund eines verfestigten Aufenthalts. Zwar halte er sich seit 2004 ununterbrochen in Deutschland auf. Weitere Voraussetzung sei jedoch die Zugehörigkeit zum Kreis der leistungsberechtigten Personen und es liege ein Ausschlussgrund vor, wenn das Migrationsamt den Verlust der Freizügigkeit festgestellt habe. Bestandskraft der Feststellung sei hierfür nicht erforderlich. Die Bekanntgabe sei ausreichend. Der Kläger verfüge auch nicht über ein materielles Aufenthaltsrecht. Er könne seinen Lebensunterhalt nicht sicherstellen, sondern habe von Leistungen nach dem SGB II gelebt. Auch Überbrückungsleistungen schieden aus, da der Kläger gerade nicht beabsichtige auszureisen. Auch die Härtefallleistungen nach § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII setzten einen - hier nicht existenten - Ausreisewillen voraus. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23. August 2019).

 

Mit Beschluss vom 5. April 2019 - S 33 SO 48/19 ER - verpflichtete das Sozialgericht (SG) L. den Beklagten (dortiger Beigeladener), dem Kläger vorläufig Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 21. März 2019 bis 31. August 2019 zu gewähren. Die Verlustfeststellung sei nicht bestandskräftig, so dass aus ihr keine tatsächlichen oder rechtlichen Folgen gezogen werden dürften. Die Rückausnahme des § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II liege daher nicht vor. Ein hiergegen geführtes Beschwerdeverfahren des Beklagten - L 8 SO 109/19 B ER - blieb erfolglos (Beschluss vom 28. Mai 2019). Ein weiteres Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes - S 35 AS 736/19 ER - führte zunächst zur Übernahme von Mietrückständen und Betriebskostennachforderungen (Beschluss des SG vom 3. Juli 2019), die erlassene einstweilige Anordnung wurde jedoch im Beschwerdeverfahren - L 15 AS 157/19 B ER - aufgehoben (Beschluss vom 21. August 2019).

 

Mit weiterem strittigen Bescheid vom 29. August 2019 (ursprüngliches Berufungsaktenzeichen: L 13 AS 416/21) lehnte der Beklagte einen weiteren Antrag aus August 2019 ab. Ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes - S 15 SO 202/19 ER - führte zur Verpflichtung des Beklagten als dort Beigeladenem für den Zeitraum September und Oktober 2019 (Beschluss vom 25. Oktober 2019). Ab November 2019 überschritt der Kläger die Altersgrenze des § 7a SGB II. Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 2019 wies der Beklagte den Widerspruch gegen die erneute Ablehnung zurück.

 

Der Kläger hat am 1. März 2019 Klage zum Az. S 35 AS 416/19 (L 13 AS 414/21) beim SG L. gegen den Bescheid vom 27. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2019 erhoben. Mit Klage vom 9. April 2019 hat er sich gegen den Bescheid vom 28. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2019 - S 35 AS 704/19 (L 13 AS 412/21) - und mit Klage vom 5. Dezember 2019 gegen den Bescheid vom 29. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2019 - S 35 AS 2337/19 (L13 AS 416/19) - gewandt.

 

Das SG hat in allen Verfahren die Stadtgemeinde L. beigeladen.

 

Im Laufe der sozialgerichtlichen Klageverfahren hat das VG L. die Klage gegen die Verlustfeststellung - 4 K 2994/18 - mit Urteil vom 14. September 2020 abgewiesen. Der Kläger habe kein Daueraufenthaltsrecht erworben, die Verlustfeststellung sei rechtmäßig ergangen und er habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass er mindestens fünf Jahre die Freizügigkeitsvoraussetzungen erfüllt habe. Da der Kläger zu keiner Zeit länger als ein Jahr beschäftigt gewesen sei, komme es auf die Frage, wann eine Arbeitsaufgabe unfreiwillig erfolgt sei, nicht an. Der Kläger habe während seines Aufenthalts auch nicht für die erforderliche Dauer über ausreichende Existenzmittel verfügt. Da der Kläger kein Daueraufenthaltsrecht erworben habe, sei auch die Verlustfeststellung rechtmäßig. Aufgrund der Verlustfeststellung finde das Aufenthaltsrecht auf den Kläger Anwendung. Der Kläger erfülle jedoch nicht die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Es bestehe kein Ausreisehindernis aus rechtlichen Gründen. Auch habe der Kläger sich in Deutschland nicht wirtschaftlich integriert und sei im Bundesgebiet, wenn auch im Bereich der Bagatellkriminalität, strafrechtlich in Erscheinung getreten. Über eine soziale Integration sei nichts bekannt. Aufgrund seiner Einreise im Erwachsenenalter könne er sich ohne größere Probleme wieder in Frankreich einleben. Die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) L. mit Beschluss vom 14. April 2021 - 2 LA 310/20 - zurückgewiesen.

 

Zur Begründung seiner Klagen ist für den Kläger ausgeführt worden, dass dieser aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Verlustfeststellung nicht vollziehbar ausreisepflichtig sei. Gegen die Beigeladene sei eine Klage zum Az.: S 15 SO 214/19 anhängig. Solange er nicht vollziehbar ausreisepflichtig sei, müsse sein Lebensunterhalt sichergestellt sein. Da er französischer Staatsbürger sei, greife auch das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA). Mittlerweile bestünden auch gesundheitliche Abschiebehindernisse. Der Kläger sei offiziell nicht mehr in der Lage gewesen, seine Angelegenheiten selbst zu regeln, so dass eine gesetzliche Betreuung eingerichtet worden sei. Der Betreuer des Klägers hat eine an ihn adressierte undatierte fachärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M. zur Akte übersandt. Hierin hat diese über den Kläger berichtet, der ihr seit dem 26. August 2020 aus Begutachtungen im psychiatrischen Behandlungszentrum bekannt sei. Der letzte Termin habe am 27. April 2021 stattgefunden. Am 26. August 2020 sei der Kläger erstmals aufgesucht worden, er sei in seiner Wohnung aber nicht angetroffen worden und habe auf die Einladung nicht reagiert. Der persönliche Erstkontakt habe schließlich am 16. Oktober 2020 im Hausflur stattgefunden. Der Kläger habe niemandem Zutritt zu seiner Wohnung gewährt. Im Kontakt habe er sehr sprunghaft, aber ansonsten einigermaßen geordnet gewirkt. Aufgrund einer Überforderung mit der aktuellen Lebenssituation habe er der Beantragung einer Rechtsbetreuung zugestimmt. Der Kläger sei erneut am 21. April 2021 in seiner Wohnung aufgesucht worden. Er habe keinen Zutritt gewährt, es sei jedoch deutlich geworden, dass die Wohnung mit diversen Gegenständen vollgestellt worden sei, da er die Wohnungstür nur einen Spalt habe öffnen können. Die Gedankengänge des Klägers seien sehr sprunghaft gewesen, er habe deutliche Zeitgitterstörungen gehabt und kognitive Einschränkungen seien erkennbar gewesen. Am 27. April 2021 sei der Kläger dann mit seinem Betreuer in der Institutsambulanz erschienen, da es ihm psychisch nicht gut gegangen sei. Es sei eine psychologische Testung erfolgt, die kognitive Beeinträchtigungen verdeutlicht habe. Es sei von einer mittelschweren Demenz auszugehen. Aufgrund der Gedächtnisstörungen falle es dem Kläger schwer, Termine einzuhalten oder Briefe zu beantworten. Er scheine sich in seinem aktuellen Umfeld noch einigermaßen zurechtzufinden. Er sei auf umfangreche Hilfen und Unterstützungen angewiesen und bei einer Ausreise nach Frankreich sei davon auszugehen, dass er aktuell nicht in der Lage sei, dort zurecht zu kommen. Der Betreuer hat auch die ärztliche Stellungnahme der Dr. M. vom 14. Mai 2021 vorgelegt. Auf den Inhalt wird Bezug genommen.

 

Der Beklagte hat zur Klageerwiderung auf die angegriffenen Bescheide verwiesen. Der Kläger halte sich nur zur Arbeitsuche in Deutschland auf. Das Bestehen eines Daueraufenthaltsrechts habe er nicht nachgewiesen, denn der Verlust der Freizügigkeit sei festgestellt worden. Dem stehe nicht entgegen, dass aufgrund der erhobenen Klage die Ausreisepflicht noch nicht durchgesetzt werden könne. Die bloße Verlustfeststellung begründe unabhängig von der Durchsetzbarkeit bereits die Ausreisepflicht. Der Aufenthalt könne nicht mehr als verfestigt i.S. d. § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II angesehen werden.

 

Die Beigeladene hat insbesondere die Ausführungen aus dem Bescheid vom 18. Februar 2019 wiederholt. Sie hat dem Kläger ab Juni 2021 Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gewährt, zudem hat der Kläger ab Dezember 2020 eine (geringe) Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogen.

 

Das SG hat die Klagen mit Urteilen vom 17. September 2021 abgewiesen. Der Kläger habe - nachdem der Verlust des Freizügigkeitsrechts festgestellt worden sei - ein Aufenthaltsrecht allein zum Zweck der Arbeitsuche und sei daher vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Ein anderes Aufenthaltsrecht sei nicht ersichtlich. Auch aus dem Umstand, dass der Kläger seit über fünf Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe, folge kein anderes Ergebnis. Denn § 7 Abs. 1 S. 4 1. Teilsatz SGB II gelte nicht, wenn der Verlust der Freizügigkeit festgestellt worden sei, § 7 Abs. 1 S. 4 2. Teilsatz SGB II. Auch aus dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 EFA folge kein Anspruch gegen den Beklagten. Denn die Bundesrepublik habe einen Vorbehalt für die Gültigkeit des EFA für das System des SGB II erklärt. Ein Anspruch gegen die Beigeladene bestehe ebenfalls nicht. Gem. § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII erhielten Ausländer u.a. keine Leistungen, wenn sie kein Aufenthaltsrecht hätten oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe. Etwas Anderes folge auch nicht aus dem über fünfjährigen Aufenthalt des Klägers, da nach § 23 Abs. 3 S. 7 2. Teilsatz SGB XII ein Anspruch nicht bestehe, wenn der Verlust der Freizügigkeit festgestellt worden sei. Auch die Voraussetzungen für Überbrückungsleistungen nach dem SGB XII seien nicht erfüllt, es könne daher dahinstehen, ob der Kläger hilfebedürftig gewesen sei. Voraussetzung für die Gewährung von Überbrückungsleistungen sei, dass der Ausreisewille zumindest glaubhaft geäußert worden sei. Eine solche Ausreisebereitschaft habe beim Kläger nicht bestanden. Es seien auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger im Zeitraum November 2018 bis Oktober 2019 aufgrund seines gesundheitlichen Zustands nicht reisefähig gewesen sei. Ärztliche Unterlagen, die den strittigen Zeitraum beträfen, lägen nicht vor. Der Kläger habe auch keine Angaben zu seinem Gesundheitszustand gemacht. Auch aus dem Umstand, dass bei dem Kläger jedenfalls im April 2021 eine beginnende bis bereits mittelgradige dementielle Entwicklung festgestellt worden sei, könne eine Reiseunfähigkeit im strittigen Zeitraum nicht gefolgert werden. Auch aus den Unterlagen zur aktuellen gesundheitlichen Situation folge im Übrigen keine Reiseunfähigkeit. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M. habe (Anm. d. Senats: in der undatierten fachärztlichen Stellungnahme der Dr. M. an den Betreuer des Klägers) lediglich festgestellt, dass der Kläger, sollte er nach Frankreich ausreisen, aktuell nicht in der Lage sei, sich dort zurecht zu finden. Reiseunfähigkeit folge hieraus nicht. Auch aus der Härtefallregelung des § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII folge kein Anspruch des Klägers. Einerseits ergebe sich aus den aktuellen Feststellungen der Dr. M. eine Reiseunfähigkeit nicht und Angaben zum strittigen Zeitraum gebe es zudem nicht. Der Hinweis auf die Situation im Herkunftsland bedinge andererseits keinen Härtefall, zumal auch in Frankreich die Möglichkeit der Einrichtung einer gerichtlichen Betreuung bestehe. Auch gegenüber der Beigeladenen habe der Kläger keinen Anspruch aus Art. 1 EFA. Zwar habe die Bundesrepublik insoweit keinen Vorbehalt erklärt, die Voraussetzungen des Art. 1 lägen jedoch nicht vor, denn der Kläger habe nicht dargelegt, dass er ernsthaft Arbeit suche. Er habe sich jedenfalls im strittigen Zeitraum daher nicht erlaubt in der Bundesrepublik aufgehalten. Zudem regele Art. 1 EFA nur einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit deutschen Staatsbürgern und keinen eigenständigen Anspruch auf Sozialhilfe. Ein erwerbsfähiger deutscher Staatsbürger habe jedoch keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII, so dass auch der erwerbsfähige Kläger hieraus keinen Anspruch herleiten könne. Ein Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz scheitere an der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gegen die Verlustfeststellung, da der Kläger nicht vollziehbar ausreisepflichtig gewesen sei und daher nach § 1 Nr. 5 AsylblG nicht leistungsberechtigt.

Der Kläger hat am 14. Oktober 2021 Berufungen gegen die am 30. September 2021 zugestellten Urteile eingelegt.

Er hat im Laufe des Berufungsverfahren das gegen den Bescheid der Beigeladenen vom 18. Februar 2019 geführte Klageverfahren - S 15 SO 214/19 - im Hinblick auf das hiesige Verfahren für erledigt erklärt.

Der Senat hat die Verfahren L 13 AS 412/21, L 13 AS 414/21 und L 13 AS 416/21 mit Beschluss vom 20. September 2023 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Zur Berufungsbegründung führt der Kläger aus, ihm sei zwischenzeitlich eine Duldung erteilt worden. Er sei zu keinem Zeitpunkt vollziehbar ausreisepflichtig gewesen und habe Anspruch auf Leistungen der Beigeladenen. Bereits im Jahr 2018 sei auf seinen desorientierten Zustand hingewiesen worden. Eine Auflistung, wie er im strittigen Zeitraum seinen Lebensunterhalt sichergestellt habe, könne nicht vorgelegt werden. Er habe Pfandflaschen gesammelt und vermutlich „geschnorrt“. Buch habe er hierüber nicht geführt, Geld oder Lebensmittel habe ihm niemand zur Verfügung gestellt. Frau N. habe eine Zeitlang versucht, ihn bei seinen Angelegenheiten zu unterstützen, ebenso Herr O.. Diese könnten etwas zu seiner gesundheitlichen Situation sagen.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des SG L. vom 17. September 2021 sowie den Bescheid des Beklagten vom 27. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2019, den Bescheid des Beklagten vom 28. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2019 sowie den Bescheid des Beklagten vom 29. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2019 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 1. November 2018 bis 31. Oktober 2019 zu gewähren;

hilfsweise die Beigeladene zu verurteilen, dem Kläger Leistungen nach dem SGB XII oder dem Asylbewerberleistungsgesetz für den Zeitraum 1. November 2018 bis 31. Oktober 2019 zu gewähren.

Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,

            die Berufungen zurückzuweisen. 

Der Senat hat einen Befundbericht der Dr. M. vom 4. Juli 2022 eingeholt. Auf Nachfrage des Senats hat Herr O., P. Erwerbslosenverband, mit Schreiben vom 22. Juli 2022 ausgeführt, dass der Kläger vor Ausbruch der Corona-Pandemie regelmäßig, häufig und über Jahre die dortige Beratung in Anspruch genommen habe. Aufgrund der zeitlichen Entfernung und des spezifischen Charakters der Beratungssituationen lasse sich das leider nicht mehr näher konkretisieren. Es habe der Lösung einer Vielzahl von kleinen alltäglichen und großen, sozialrechtlichen Problemen eine bereits strukturelle Schwierigkeit des Klägers entgegengestanden, diese zu sortieren, zu hierarchisieren und anzugehen. Dies sei häufig bereits am Einhalten einfachster Absprachen gescheitert. Er sei z.B. zu Beratungsgesprächen erschienen, habe aber den Grund nicht mehr gewusst. Scheinbare soziale Verhaltensweisen, wie sie auch bei Personen zu beobachten seien, die regelmäßig Cannabisprodukte konsumierten, seien hinzugekommen. Ohne externe Unterstützung sei er nicht in der Lage gewesen, existentielle soziale Interaktionen auszuführen, ohne eigenen Schaden zu nehmen. Frau N. hat mit Schreiben vom 14. August 2022 ausgeführt, sie habe den Kläger an den Wochenenden gemeinsam mit ihrem verstorbenen Ehemann auf Flohmärkten angetroffen. Sie kenne den Kläger seit ca. 2018 und der Kontakt sei Ende 2020 abgebrochen. Außerhalb der Wochenenden habe sie nur einmal innerhalb der Woche Kontakt gehabt. Sie hätten den Kläger zum Beklagten begleitet, damit sie ihm bei der Kommunikation auf Deutsch und dem Übersetzen von Formularen hätten behilflich sein können. Sie habe ihm Briefe, die der Kläger zum Flohmarkt mitgebracht habe und deren Inhalt er auf Deutsch nicht verstanden habe, übersetzt. Sie habe auch Kontakt zur Prozessbevollmächtigten gehabt, die sie gebeten habe, Mahnungen etc. an sie weiterzuleiten. Sie hätten sich damals große Sorgen gemacht, dass der Kläger seine Wohnung von der Wohnungshilfe verliere. Er habe einen labilen psychischen Eindruck gemacht. Für sie als Laie seien keine körperlichen Einschränkungen erkennbar gewesen. Er habe aber erwähnt, dass er des Öfteren stationär in Behandlung gewesen sei. Aufgrund welcher Art gesundheitlicher Beeinträchtigungen dies gewesen sei, wisse sie nicht mehr.

Der Senat hat zudem Unterlagen des Klinikums L. Ost (im Jahr 2022 erfolgte Behandlungen) sowie die Akte des Betreuungsgerichts beigezogen.

Wegen weiterer.Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Prozessakten sowie die beigezogenen Gerichtsakten zu den Az.: L 8 SO 109/19  B ER, L 15 AS 157/19 B ER, S 42 AS 2502/18 ER sowie S 15 SO 214/19 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässigen, insbesondere fristgerecht eingelegten Berufungen sind unbegründet.

Die Urteile des SG L. vom 17. September 2021 sowie der Bescheid des Beklagten vom 27. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2019, der Bescheid des Beklagten vom 28. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2019 und der Bescheid des Beklagten vom 29. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2019 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 1. November 2018 bis 31. Oktober 2019.

Das Rechtsschutzbedürfnis für die Klagen ist nicht für die Zeiträume entfallen, für die der Beklagte aufgrund der vom SG erlassenen einstweiligen Anordnungen, die vom Beklagten jeweils formlos ohne Bescheiderteilung umgesetzt worden sind, Leistungen erbracht hat. Denn die Wirkung dieser einstweiligen Anordnungen würde mit der Bestandskraft der die Leistungsgewährung ablehnenden Bescheide entfallen mit der Folge, dass der Kläger zur Rückzahlung der erbrachten Leistungen verpflichtet wäre (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 6. Juni 2023 – B 4 AS 4/22 R – juris Rn. 17 m. w. N.). Richtige Klageart ist auch in dieser Konstellation die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (BSG a. a. O. Rn. 18).

Das SG hat die danach zulässigen Klagen zu Recht abgewiesen. Zwar erfüllte der Kläger im streitigen Zeitraum die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen, da er das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht hatte, hilfebedürftig war sowie seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hatte (vgl. § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II). Von seiner Erwerbsfähigkeit gemäß § 8 Abs. 1 und 2 SGB II ist bereits aus rechtlichen Gründen auszugehen (vgl. BSG, Urteil vom 9. März 2022 – B 7/14 AS 79/20 R - juris Rn. 14 m. w. N.). Allerdings unterfällt er als Ausländer dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II in der jeweils geltenden Fassung (vom 22. Dezember 2016 bzw. 8. Juli 2019). Ausgenommen von unterhaltssichernden Leistungen nach dem SGB II sind hiernach u.a. Ausländerinnen und Ausländer, die kein Aufenthaltsrecht haben oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt.

Der Kläger als französischer Staatsangehöriger gehört zu diesem Personenkreis. Er hatte im strittigen Zeitraum allenfalls ein Aufenthaltsrecht, das sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Ein anderes Aufenthaltsrecht liegt nicht vor. Entgegen den Ausführungen des VG L. in seinem Urteil vom 14. September 2020 – 4 K 2994/18 – ging der Kläger zu keinem Zeitpunkt einer Erwerbstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland nach. Das gilt für sowohl für den strittigen Zeitraum als auch die restliche Zeit, in der er sich in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat. Dies ergibt sich aus dem vorliegenden Rentenversicherungsverlauf sowie der bei der Prozessbevollmächtigten erfolgten Nachfrage. Die vom VG in seinem Urteil als mögliche Beschäftigungszeiten angesprochenen Zeiträume im Jahr 2010 sind im Rentenversicherungsverlauf eindeutig als Beitragszeiten aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld II gekennzeichnet. Im Ergebnis hat das VG allerdings dessen ungeachtet rechtskräftig festgestellt, dass der Kläger ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU nicht erworben hat. Auch sonstige Aufenthaltsrechte sind nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht behauptet worden.

Wie das SG in den angefochtenen Urteilen zutreffend ausgeführt hat, steht dem Leistungsausschluss auch nicht die Rückausnahme des § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II a. F. entgegen. Nach dieser Regelung besteht für Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen ein Anspruch auf SGB II-Leistungen, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt wurde. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Der Gesetzgeber geht insoweit davon aus, dass (erst) nach fünf Jahren von einer ausreichenden Verfestigung des Aufenthaltes gesprochen werden kann (BT-Drucks. 18/10211, S. 14). Zwar hat der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt unstrittig seit mehr als fünf Jahren in der Bundesrepublik Deutschland. Bei ihm wurde jedoch der Verlust des Freizügigkeitsrecht festgestellt, so dass er der Rückausnahme nach § 7 Abs. 1 Satz 4 2. Halbsatz SGB II unterliegt. Wie das SG im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt hat, führen hiergegen erhobener Widerspruch und Klage nicht zu einer anderen Bewertung, da es der Bestandskraft der Verlustfeststellung nicht bedarf. Es ist ausreichend, dass der Verlust der Freizügigkeit wirksam festgestellt worden ist, auf die Bestandskraft der Entscheidungen kommt es dagegen nicht an (vgl. Hess. LSG, Beschluss vom 9. Februar 2023 - L 7 AS 447/22 B ER - juris Rn. 23, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. Mai 2017 - L 15 AS 62/17 B ER - juris Rn. 11). Unabhängig von der Frage der Durchsetzbarkeit, die davon abhängt, ob Rechtsmittel eingelegt worden sind oder nicht (§ 7 Abs. 1 S. 4 FreizügG/EU), begründet bereits die bloße Verlustfeststellung eine Ausreisepflicht (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 2. Juni 2022 - L 15 SO 15/22 B ER -, vom 26. Mai 2017 - L 15 AS 62/17 B ER - juris Rn. 12 und vom 25. November 2016 - L 11 AS 567/16 B - juris Rn. 17 m. w. N.; Geyer, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 7 FreizügG/EU Rn. 3). Diese ist lediglich noch nicht vollstreckbar. Diese Auslegung entspricht insbesondere auch dem Willen des Gesetzgebers, denn nach der durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 erfolgten Änderung des § 7 FreizügG/EU entsteht die Ausreispflicht gerade nicht mehr erst dann, wenn die Ausländerbehörde unanfechtbar festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht, sondern grundsätzlich bereits mit der bloßen Feststellung des Verlustes (BT-Drucks. 16/5065, S. 211), so dass auch schon die Feststellung des Verlustes der Freizügigkeitsberechtigung einer Verfestigung des Aufenthaltsrechtes entgegensteht beziehungsweise der Aufenthalt nicht mehr als verfestigt im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II angesehen werden kann (so bereits LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25. November 2016 - L 11 AS 567/16 B - juris Rn. 17) unter Berufung auf die BT-Drucks. 18/10211, S. 14: „Sollte die Ausländerbehörde allerdings feststellen, dass ein Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU nicht [mehr] besteht, ist der Aufenthalt nicht mehr verfestigt.“). Durch eine solche ausländerbehördliche Verlustfeststellung unterfallen die Betroffenen der Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, denn ein eingetretener Suspensiveffekt beseitigt nicht die Wirksamkeit der Ordnungsverfügung und damit das Bestehen der Ausreisepflicht des Betroffenen (vgl. Hess. LSG a. a. O. m. w. N.; Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, FreizügG/EU, 12. Aufl. 2018, § 7 Rn. 18). Dem Suspensiveffekt kommt lediglich Vollzugs- und keine Wirksamkeitshemmung zu. Die rechtsgestaltende Wirkung der Verlustfeststellung auf die nationale Rechtsposition, die durch die Freizügigkeitsvermutung hervorgerufen wird, beendet den rechtmäßigen Aufenthalt. Während des Zeitraums bis zur Entscheidung durch das Gericht ist der Aufenthalt ausschließlich geduldet und entspricht damit der Rechtsstellung eines ausgewiesenen Ausländers nach § 84 Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz. Bei einer solchen Verlustfeststellung ist dann eine Berufung auf ein Aufenthaltsrecht im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II ausgeschlossen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14. November 2018 - L 19 AS 1434/18 B ER - juris Rn. 13 f.). Der Senat vermag sich der u.a. vom 8. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen vertretenen Gegenmeinung nicht anzuschließen, da sie mit der Gesetzesbegründung nicht in Einklang zu bringen ist, welche nur die Feststellung, nicht jedoch die Bestandskraft voraussetzt (vgl. Bundestagsdrucksache 18/10211 S. 14). Eine hierdurch entstehende Härte, die nicht durch die insoweit im SGB XII greifenden Regelungen abgefangen werden könnte, ist nicht ersichtlich. Es ist insbesondere zu beachten, dass anders als dem Personenkreis, für den das AsylbLG in erster Linie einen Anspruch auf laufende existenzsichernde Leistungen vermittelt, es Personen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union in der Regel ohne weiteres möglich ist, kurzfristig in ihren Heimatstaat zurückzureisen, um dort anderweitige Hilfemöglichkeiten zu aktivieren, so dass ihnen Leistungen für die Sicherung des Lebensunterhalts auch für einen kürzeren Zeitraum gewährt werden können (vgl. Hess. LSG, Beschluss vom 27. März 2019 - L 7 AS 27/19 B - juris Rn 10; BSG, Urteil vom 29. März 2022 - B 4 AS 21/20 R - Rn. 35 ff. m. w. N. sowie Bundestagsdrucksache 18/10211 S. 14). Deswegen sind auch die verfassungsrechtlichen Bedenken, die die Gegenmeinung dafür anführt, dass die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 4 2. Halbsatz SGB II in verfassungskonformer Auslegung erst als erfüllt angesehen werden dürfen, wenn ein Bescheid über die Verlustfeststellung bestandskräftig geworden ist, nicht begründet. Auch der Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 26. Februar 2020 - 1 BvL 1/20 – zur Verlustfeststellung führt nicht zu einer anderen Bewertung,da das BVerfG darin Ausführungen zur Auslegung des § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II lediglich im Zusammenhang mit den Darlegungsanforderungen an eine Richtervorlage gemacht hat.

Wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat, folgt ein Anspruch des Klägers als französischer Staatsangehöriger für den Bezug von Leistungen nach dem SGB II auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgebot des Art.1 des EFA vom 11. Dezember 1953, dem u. a. Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland beigetreten sind, denn nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 59/13 R –) steht diesem der von der Bundesregierung am 19. Dezember 2011 erklärte Vorbehalt nach Art. 16 Abs. b EFA entgegen, der formell und materiell wirksam ist.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II und die Nichtgewährung laufender Leistungen zum Lebensunterhalt der Antragsteller hat der Senat nicht, denn der Gesetzgeber darf Unionsbürger regelmäßig darauf verweisen, die erforderlichen Existenzsicherungsleistungen durch die Inanspruchnahme von Sozialleistungen im Heimatstaat als Ausprägung der eigenverantwortlichen Selbsthilfe zu realisieren (vgl. BSG, Urteile vom 29. März 2022 - B 4 AS 2/21 R - juris Rn. 38 und vom 6. Juni 2023 – B 4 AS 4/22 R – juris Rn. 27). Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Leistungsansprüche sind für diese Personengruppe nach der seit dem 29. Dezember 2016 geltenden Rechtslage nicht gänzlich ausgeschlossen, sondern lediglich auf solche Hilfen beschränkt, die erforderlich sind, um die Betroffenen in die Lage zu versetzen, existenzsichernde Leistungen ihres Heimatlandes in Anspruch zu nehmen. So räumt § 23 SGB XII nunmehr einen Anspruch auf eingeschränkte Hilfen bis zur Ausreise - Überbrückungsleistungen - ein (Abs. 3 Satz 3, 5) und verpflichtet die Behörde darüber hinaus zur Übernahme der Kosten der Rückreise (Abs. 3a). Durch eine Härtefallregelung (Abs. 3 Satz 6) wird zudem jetzt sichergestellt, dass im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte Leistungen erbracht werden, die nach Art, Umfang und/oder Dauer noch über die „normalen“ Überbrückungsleistungen hinausgehen. Der Gesetzgeber bewegt sich mit dieser Regelung innerhalb des Spielraums, welcher ihm bei der Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG eingeräumt ist (Hess. LSG, Beschluss vom 27. März 2019 - L 7 AS 27/19 B - juris Rn. 12 m. w. N.). Anders als dem Personenkreis, für den das AsylbLG in erster Linie einen Anspruch auf laufende existenzsichernde Leistungen vermittelt, ist es Personen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union in der Regel ohne weiteres möglich, kurzfristig in ihren Heimatstaat zurückzureisen, um dort anderweitige Hilfemöglichkeiten zu aktivieren. Daher kann die Gewährleistungsverpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG für Anspruchsberechtigte nach dem AsylbLG, die gerade nicht in jedem Fall zeitnah in ihre Heimat zurückkehren können, um dort ihren Lebensunterhalt zu sichern, auch umfangreichere und länger andauernde Leistungen zur Existenzsicherung erfordern. Bei Unionsbürgern kann sich die Gewährleistungsverpflichtung demgegenüber darin erschöpfen, sie bei den Bemühungen der Selbsthilfe durch eingeschränkte Leistungen (z.B. Überbrückungsleistungen, Übernahme der Kosten der Rückreise) zu unterstützen (BSG, Urteil vom 29. März 2022 – B 4 AS 2/21 R – juris Rn. 42). Eine Inanspruchnahme von Leistungen im Heimatland verbunden mit einem längeren dortigen Aufenthalt war dem Kläger auch zumutbar.

Der Kläger hat - wie das SG zutreffend ausgeführt hat - auch keinen Anspruch gegen die Beigeladene nach dem SGB XII oder AsylblG. Soweit die Bescheide der Beigeladenen (durch Klagerücknahme) bestandskräftig geworden sind, kann bereits aus diesem Grund eine Verurteilung der Beigeladenen nicht erfolgen. Dem Kläger steht jedoch auch im Übrigen kein Leistungsanspruch gegen die Beigeladene zur Seite.

Auf die zutreffenden Ausführungen des SG wird gem. § 153 Abs. 2 SGG zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Auch im Rahmen des SGB XII führt die Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts nach dem Wortlaut des § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII bereits zur Unanwendbarkeit der Ausnahmeregelung vom Leistungsausschluss für Ausländer, die sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten (LSG Niedersachsen-Bremen a.a.O. m. w. N.). Auch hinsichtlich § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII kommt insoweit eine Gesetzesauslegung bzw. verfassungskonforme Auslegung, nach der eine Verlustfeststellung die Rückausnahme nicht sperrt, solange die Verlustfeststellung nicht bestandskräftig ist, nicht in Betracht. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Sätze 3, 5 und 6 SGB XII. Diese sind auf eine kurze überbrückbare Absicherung des Aufenthalts bis zur Ausreise gerichtet, dienen der Vorbereitung dieser Ausreise aus dem Bundesgebiet und besitzen damit Ausnahmecharakter. Eine auch nur im Ansatz bestehende Ausreisebereitschaft, die für die Gewährung von Überbrückungsleistungen erforderlich ist, war bei dem Kläger zu keinem Zeitpunkt ersichtlich. Auch die Voraussetzungen der Härtefallregelung des § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII liegen nach den im Berufungsverfahren vorliegenden Erkenntnissen nicht vor. 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII regelt, dass Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt werden, soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Allgemeine, typische Härten für den betroffenen Personenkreis genügen hierbei nicht (vgl. Siefert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, Stand 5. Dezember 2022, § 23 Rn. 106 f). Es muss sich vielmehr aus der individuellen Situation der betreffenden Person ein besonderer Bedarf ergeben, der durch zusätzliche Leistungen zu decken ist (vgl. Groth, in: BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, 69. Edition, Stand: 1. Juni 2023, § 23 SGB XII Rn. 18). Dabei ist eine restriktive Auslegung geboten, da es sich nicht um eine Regelung handelt, mit der ein dauerhafter Leistungsbezug ermöglicht wird (BT-Drs. 18/2011, 14). Eine krankheitsbedingte Reiseunfähigkeit ist aber generell geeignet, einen solchen Härtefall zu begründen (vgl. LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 4. Mai 2018 - L 6 AS 59/18 B ER). Nicht ausreichend ist jedoch der Hinweis auf die allgemeine soziale Situation im Herkunftsland (vgl. Groth a. a. O. Rn. 18b). Nach diesen Maßstäben kam hier als besondere Härte lediglich die gesundheitliche Situation des Klägers in Betracht. Der Senat vermochte sich jedoch aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen und auch den Ausführungen des Klägers, seiner Prozessbevollmächtigten sowie der Frau Q. und des Herrn R. nicht vom Vorliegen einer besonderen Härte im strittigen Zeitraum überzeugen. Zwar besteht mittlerweile beim Kläger wohl eine mittelgradige Demenz. Deren Vorliegen ist jedoch für den strittigen Zeitraum nicht nachgewiesen. Vielmehr legen die vorliegenden Unterlagen nahe, dass im strittigen Zeitraum ein Krankheitsgrad, der eine Rückkehr nach Frankreich unmöglich gemacht hätte, nicht vorlag. So hat der Kläger im Jahr 2018 noch mehrfach persönlich Kontakt zum Beklagten aufgenommen und sich dort um die Klärung seiner Angelegenheiten z.B. beim Migrationsamt und hinsichtlich der Rundfunkgebühren bemüht. Erst in den späteren Jahren, insbesondere nach Einleiten des Betreuungsverfahrens, wurden diese Aufgaben von anderen übernommen. So schilderte auch Frau L. dass sie dem Kläger behördliche Schreiben übersetzt habe. Eine Desorientierung des Klägers - wie sie zu einem späteren Zeitpunkt ärztlich bestätigt wurde - ist für den strittigen Zeitraum nicht ersichtlich. So hatte die Prozessbevollmächtigte zwar auf eine Verwirrtheit des Klägers hingewiesen, die sie einem Cannabiskonsum zuschrieb. Es war jedoch auch mitgeteilt worden, dass der Kläger den Beklagten bitte, ihm Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten, da er erneut einer Erwerbstätigkeit nachgehen wolle. Da der Verlauf der Erkrankung - wie dies Dr. M. auch ausführte - fortschreitend ist, kann aus dem Umstand, dass der Kläger sich aktuell in Frankreich nicht mehr orientieren könnte, ein Rückschluss auf den strittigen Zeitraum nicht getroffen werden. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass weder ersichtlich noch vorgetragen ist, dass dem Kläger eine Rückkehr nach Frankreich nicht möglich gewesen wäre, gegebenenfalls auch unter Zuhilfenahme dortiger Unterstützungsleistungen. Andere besondere Umstände, wie etwa besondere familiäre Verpflichtungen oder sonstige soziale Umstände, wurden weder vorgetragen noch sind sie aus den vorliegenden Unterlagen ersichtlich. Eine besondere familiäre und sonst gesellschaftliche z.B. berufliche Integration des Klägers ist vielmehr trotz seines langjährigen Aufenthalts nicht ersichtlich. Auch das im strittigen Zeitraum noch laufende verwaltungsgerichtliche Verfahren hinsichtlich der Verlustfeststellung sowie das hiesige sozialrechtliche Verfahren können einen solchen Härtefall nicht begründen. Es ist nicht ersichtlich, dass der durch eine Prozessbevollmächtigte vertretene Kläger nicht sowohl das verwaltungsgerichtliche als auch das sozialgerichtliche Verfahren aus Frankreich, einem unmittelbaren Nachbarland Deutschlands, hätte führen können und in der Zwischenzeit dortige Leistungen hätte in Anspruch nehmen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. April 2023 - 1 BvR 1430/22 - nicht veröffentlicht). Eine hierdurch entstehende besondere Härte ist weder ersichtlich noch vorgetragen. Ein Leistungsanspruch des Klägers kann auch hinsichtlich des SGB XII nicht aus dem EFA folgen. Denn dieses regelt lediglich den Anspruch auf Gleichbehandlung mit deutschen Staatsangehörigen und normiert keinen eigenständigen Anspruch auf Sozialhilfe. Erwerbsfähige deutsche Staatsangehörige werden jedoch auf das Leistungssystem des SGB II verwiesen und haben - wie der Kläger - keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII. Darüber hinaus ist der Kläger - wie das SG zutreffend ausgeführt hat - mangels Aufenthaltsrechts von einem Anspruch aus Art. 1 EFA ausgeschlossen. Der Senat schließt sich den Ausführungen des SG ausdrücklich an.

Der Kläger hat auch keinen Leistungsanspruch nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG sind Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die vollziehbar ausreisepflichtig sind, nach dem Asylbewerberleistungsgesetz leistungsberechtigt, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist. Eine solche vollziehbare Ausreisepflicht lag im streitgegenständlichen Zeitraum aufgrund der gegen die Verlustfeststellung erhobenen Klage nicht vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Frage, ob die Rückausnahme des § 7 Abs. 1 S. 4 letzter Teilsatz SGB II die Bestandskraft der Feststellung des Verlusts der Freizügigkeit nach § 2 FreizügigkG voraussetzt, höchstrichterlich noch nicht geklärt ist. 

Rechtskraft
Aus
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