1. Ein Ersatzanspruch nach § 34 SGB II setzt voraus, dass der Leistungsberechtigte die Hilfebedürftigkeit als mögliche Folge seines Verhaltens mindestens grob fahrlässig verkannt hat und das Verhalten einem vorsätzlichen Herbeiführen von Hilfebedürftigkeit wertungsmäßig gleichsteht (Anschluss an: BSG, Urteil vom 3. September 2020 B 14 AS 43/19 R).
2. Versäumt ein Bezieher von Krankengeld, seine Arbeitsunfähigkeit lückenlos nachzuweisen und endet dadurch der Bezug von Krankengeld, so liegt kein Verhalten vor, dass einem vorsätzlichen Herbeiführen von Hilfebedürftigkeit gleichsteht.
Der Bescheid der Beklagten vom 30.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.01.2022 wird aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 4/5.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich mit dem vorliegenden Verfahren gegen einen Kostenersatzanspruch wegen sozialwidrigen Verhaltens nach § 34 SGB II.
Die Kläger sind verheiratet und haben einen gemeinsamen Sohn. Der Kläger war im Jahr 2018 bei der G-GmbH beschäftigt. Seit dem 06.07.2018 war er wegen eines Bandscheibenvorfalls arbeitsunfähig erkrankt. Nach der Kündigung durch seinen Arbeitgeber zum 24.07.2018 erhielt der Kläger seit dem 25.07.2018 Krankengeld. Seine Krankenkasse wies ihn dabei mit Schreiben vom 27.07.2018 auf Folgendes hin:
„Bitte achten Sie bei Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit auf einen lückenlosen Nachweis. Stellen Sie sich bitte spätestens an dem Werktag, der auf den letzten Tag der aktuellen Arbeitsunfähigkeit folgt, bei Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin vor.“
Der Kläger wies seine Arbeitsunfähigkeit zuletzt bis zum 11.11.2018 nach. Die nächste AU-Bescheinigung datiert vom 19.11.2019. Da der lückenlose Nachweis der Arbeitsunfähigkeit fehlte, versagte die Krankenkasse des Klägers mit Bescheid vom 20.11.2018 die weitere Zahlung von Krankengeld für die Zeit nach dem 11.11.2018.
Die Kläger beantragten daraufhin am 22.11.2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Der Beklagte gewährte den Klägern mit Bescheid vom 09.01.2019 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.12.2018 bis zum 31.05.2018. Die Kläger erhielten dabei von Dezember 2018 bis März 2019 neben den Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II, die sich auf insgesamt 3.419,00 EUR beliefen, auch Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 961,36 EUR. Auf Antrag des Klägers vom 01.02.2019 gewährte die Bundesagentur für Arbeit dem Kläger Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit und erstattete dem Beklagten die für Januar und Februar gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 1.720,00 EUR. Daneben erhielt der Beklagte aus einer Steuerrückzahlung aus den Jahren 2017 und 2018 Ersatz für die gewährten Leistungen in Höhe von 1.699,00 EUR, was zu einem vollständigen Ausgleich der Leistungen für den Lebensunterhalt führte.
Mit Schreiben vom 07.02.2020 gab der Beklagte den Klägern Gelegenheit zu einem möglichen Ersatzanspruch in Höhe von 718,26 EUR Stellung zu nehmen. Die Kläger nahmen mit Schreiben vom 20.02.2020 Stellung: Aufgrund einer akuten Erkrankung der Klägerin und ihres Sohnes, sei er nicht in der Lage gewesen, rechtzeitig den Arzt für eine neuerliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufzusuchen. Eine Erstattungsforderung seitens des Beklagten bedeute außerdem eine Härte, da ihre finanzielle Situation sich dadurch erheblich verschlimmern würde.
Mit Bescheid vom 30.03.2020, den Klägern am 01.04.2020 zugestellt, forderte der Beklagte die Klägerinnen zum Kostenersatz für nach dem SGB II erbrachte Geldleistungen in Höhe von 961,36 EUR auf. Der Kläger habe die Hilfebedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft grob fahrlässig und sozialwidrig herbeigeführt und so ursächlich den Leistungsbezug nach dem SGB II verursacht, indem er nicht rechtzeitig eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingeholt und so den Anspruch auf die weitere Zahlung von Krankengeld verloren habe. Die Erkrankung der Klägerin und des Sohnes der Kläger stelle keinen wichtigen Grund dar, denn der Kläger habe bereits im Vorfeld einen Arzt aufsuchen oder aber seinen Sohn zum Arztbesuch mitnehmen können. Es liege auch keine besondere Härte vor, aufgrund derer von der Geltendmachung des Ersatzanspruches abzusehen sei. Allein die finanzielle Belastung reiche dafür nicht aus.
Mit Schreiben vom 28.04.2020, eingegangen bei dem Beklagten am 30.04.2020, legten die Kläger Widerspruch ein. Das Verhalten sei nicht grob fahrlässig gewesen. Aufgrund der Erkrankung seiner Frau, der Klägerin, seines Sohnes und seines eigenen Bandscheibenvorfalls habe er, der Kläger, den Arzt nicht rechtzeitig aufsuchen können. Die Wegstrecke von drei Kilometern zum Arzt sei zu lang gewesen, um sie in seinem Gesundheitszustand zu Fuß zurücklegen zu können und außer einem Schulbus gebe es keine öffentlichen Verkehrsmittel an seinem Wohnort. Er sei sich außerdem nicht bewusst gewesen, dass es ein Problem darstelle, bei einer Krankheit, die aufgrund der bereits anstehenden Rehabilitationsmaßnahme offensichtlich noch andauere, den „Krankenschein“ erst später abzuholen. Dass dies zu einer solchen Konsequenz führe, sei ihm als Dachdecker, der mit den Abläufen rund um Krankschreibungen und Rehabilitationsmaßnahme bei langwierigen Krankheiten nicht vertraut sei, nicht bewusst gewesen.
Mit Schreiben vom 26.08.2020 gab der Beklagte den Klägern erneut Gelegenheit zur Stellungnahme bezüglich des Ersatzanspruches, nun in Höhe des im Bescheid vom 30.03.2020 festgesetzten Betrags von 961,36 EUR. Auf Nachfrage des Beklagten teilten die Kläger mit Schreiben vom 23.12.2020 mit, dass der Kläger keinen Führerschein besitze und daher auch nicht mit dem vorhandenen Pkw habe zum Arzt fahren können. Eine Unterstützung durch Freunde oder Familie habe zu diesem Zeitpunkt auch nicht erfolgen können, da diese selbst berufstätig seien und keine Zeit gehabt hätten.
Der Beklagte wies den Widerspruch der Kläger mit Widerspruchsbescheid vom 28.01.2021, den Klägern zugestellt am 21.02.2021, zurück. Der Kläger sei mit Bescheid seiner Krankenkasse vom 27.07.2018 darauf hingewiesen worden, dass die Arbeitsunfähigkeit lückenlos nachzuweisen sei und er sich spätestens an dem Werktag, der auf den letzten Tag der aktuellen Arbeitsunfähigkeit folge, beim Arzt vorstellen müsse. Der Kläger habe also wissen müssen, dass eine Lücke im Nachweis der Arbeitsunfähigkeit einen Verlust des Krankengeldes nach sich ziehe. Er habe außerdem die Möglichkeit, ohne persönliche Vorsprache durch einfache, beispielsweise telefonische, Kontaktaufnahme die Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen, nicht genutzt. Darüber hinaus habe es sogar eine zumutbare Busverbindung gegeben. Der Kläger habe keine Anstrengungen unternommen, eine rechtzeitige Bescheinigung zu erhalten und so finanzielle Verluste bewusst in Kauf genommen.
Gegen den Bescheid vom 30.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.01.2021 haben die Kläger am 26.02.2021 Klage erhoben. Ihnen sei keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Zwar sei die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung tatsächlich nicht rechtzeitig eingeholt worden, die Krankenkasse und die Rentenversicherung hätten ihn dann jedoch darauf verwiesen, Sozialleistungen nach dem SGB II zu beantragen. Im berechtigten Vertrauen darauf, habe er die Leistungen beantragt. Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit liege schon deswegen nicht vor, weil er sich durch dieses Verhalten finanziell erheblich schlechter gestellt habe.
Die Kläger beantragen nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
- den Bescheid des Beklagten vom 30.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2021 aufzuheben,
- festzustellen, dass ein Anspruch des Beklagten auf Ersatz gem. § 34 Abs. 1 SGB II gegen sie nicht besteht.
Der Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Klage abzuweisen.
Sie hält ihre Bescheide für rechtmäßig und nimmt auf die Ausführungen im Ausgangsbescheid und im Widerspruchsbescheid Bezug.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Ergänzend wird auf die bezogene Verwaltungsakte des Beklagten, sowie die Gerichtsakte verwiesen. Die Akten sind Gegenstand der Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Kammer konnte über den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da beide Beteiligten dieser Vorgehensweise zugestimmt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Klageantrag zu 2) ist unzulässig. Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet.
1.
Der Klageantrag zu 2) ist zulässig.
Mit dem Klageantrag zu 2) begehren die Kläger die Feststellung, dass ein Ersatzanspruch des Beklagten aus § 34 Abs. 1 SGB II nicht besteht. Diese Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG ist gegenüber der gleichzeitig erhobenen zulässigen Anfechtungsklage subsidiär. Nach dem Subsidiaritätsgrundsatz kann ein Kläger eine gerichtliche Feststellung nicht verlangen, soweit er die Möglichkeit hat, seine Rechte auch mit einer Gestaltungs- oder Leistungsklage zu verfolgen. Ein Feststellungsinteresse ist regelmäßig dann zu verneinen, wenn bereits im Rahmen der genannten anderen Klagearten über die Sach- und Rechtsfragen zu entscheiden ist, die der begehrten Feststellung zugrunde liegen (ständige Rechtsprechung: BSG, Urteil vom 22.05.1985 – 12 RK 30/84, Rn. 12; BSG, Urteil vom 09.09.1993 – 7/9b RAr 28/92, Rn. 14; BSG, Urteil vom 09.02.1995 – 7 RAr 78/93, Rn. 34; BSG, Urteil vom 08.05.2007 – B 2 U 3/06 R, Rn. 21).
Die Möglichkeit, gegen den Bescheid, durch den der Ersatzanspruch des Beklagten geltend gemacht wird, mittels einer Gestaltungsklage vorzugehen, besteht hier und wurde von den Klägern auch genutzt. Ein über die erhobene Anfechtungsklage hinausgehender Rechtsschutz wird durch die vorliegende Feststellungsklage nicht erreicht. Über die Frage, ob ein Ersatzanspruch des Beklagten aus § 34 Abs. 1 SGB II besteht, wird bereits im Rahmen der Anfechtungsklage entschieden.
2.
Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet.
Die angegriffenen Bescheide erweisen sich als rechtswidrig und beschweren die Kläger damit. Die Voraussetzungen für einen Ersatzanspruch nach § 34 Abs. 1 SGB II liegen nicht vor.
Ersatzpflichtig ist gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB II, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig und ohne wichtigen Grund die Voraussetzungen für die Gewährung entsprechender Leistungen an sich oder Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, herbeigeführt hat. Der Ersatzanspruch umfasst dabei nach § 34 Abs. 1 Satz 5 SGB II auch die geleisteten Beiträge zur Sozialversicherung.
a)
Ein Anspruch des Beklagten gegen die Klägerin besteht bereits deshalb nicht, weil die Klägerin die Voraussetzungen der Leistungsgewährung unstreitig nicht selbst herbeigeführt hat.
Das Verhalten, welches die Hilfebedürftigkeit und damit die Voraussetzungen der Leistungsgewährung hervorgerufen hat, ist nicht durch die Klägerin erfolgt, sondern allein dem Kläger. Eine Zurechnung des Verhaltens zu anderen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft sieht § 34 SGB II nicht vor.
b)
Auch gegenüber dem Kläger besteht ein Ersatzanspruch nicht, denn dieser hat die Voraussetzungen der Leistungsgewährung nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt.
Neben der ursächlichen Herbeiführung der Voraussetzungen der Leistungsgewährung, die mit dem Unterlassen der rechtzeitigen Einholung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegt, muss als ungeschriebenes Merkmal des Tatbestands zusätzlich ein sozialwidriges Verhalten des Klägers vorliegen und gerade in Bezug auf die Sozialwidrigkeit muss der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt haben (BSG, Urteil vom 03.09.2020, n. 17). Sozialwidrig ist ein Verhalten, das (1) in seiner Handlungstendenz auf die Einschränkung bzw. den Wegfall der Erwerbsfähigkeit oder der Erwerbsmöglichkeit oder (2) die Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit bzw. der Leistungserbringung gerichtet war bzw. hiermit in ‚innerem Zusammenhang‘ stand oder (3) ein spezifischer Bezug zu anderen nach den Wertungen des SGB II zu missbilligenden Verhaltensweisen bestand (BSG 16.04.2013 – B 14 AS 55/12 R, Rn. 20; s. hierzu auch: BSG, Urteil vom 03.09.2020 – B 14 AS 43/19 R, Rn. 16 zu § 34 in der seit 01.04.2011 geltenden Fassung).
Der Kläger hat zwar durch die verspätete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seinen Anspruch auf Krankengeld verloren und so unmittelbar die Hilfebedürftigkeit herbeigeführt, sodass auch ein innerer Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Klägers und der eingetretenen Hilfebedürftigkeit besteht. Diesbezüglich handelte der Kläger aber weder vorsätzlich (dazu unter aa) noch grob fahrlässig in der nach der Rechtsprechung des BSG notwendigen gesteigerten Form (dazu unter bb).
aa)
Ein vorsätzliches Verhalten liegt nicht vor.
Vorsatz ist das Wissen und Wollen eines bestimmten Erfolges, wobei es genügt, dass der Handelnde den Eintritt eines bestimmten Erfolges zumindest für möglich hält und billigend in Kauf nimmt (Grote-Seifert in: jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 34, Rn. 52). Dem Kläger kann nach Ansicht der Kammer nicht vorgeworfen werden, dass er durch das Unterlassen der rechtzeitigen Einholung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erreichen wollte, dass er kein Krankengeld mehr erhält, welches zu dem Zeitpunkt ein wichtiger Bestandteil der Sicherung des Lebensunterhaltes der Kläger war. Durch dieses Verhalten hat er sich finanziell schlechter gestellt (dazu sogleich). Die Kammer sieht den Vortrag des Klägers, dass ihm zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht bewusst war, dass die verspätete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu einem vollständigen Wegfall des Krankengeldes führen würde, als glaubhaft an.
Dies zugrunde gelegt nahm der Kläger den Wegfall des Anspruchs und den Eintritt der Hilfebedürftigkeit auch nicht billigend in Kauf. Zwar wurde der Kläger über die Rechtsfolge von der Krankenkasse belehrt. Für ein fehlendes aktuelles Wissen spricht aber deutlich, dass es für den Kläger nicht nur finanziell deutlich vorteilhafter gewesen wäre weiterhin Krankengeld und keine Leistungen nach dem SGB II zu beziehen. Gerade der für die Sozialwidrigkeit ausschlaggebende innere Zusammenhang zwischen dem Verhalten und dem unmittelbaren Eintritt der Hilfebedürftigkeit, war nicht von der Vorstellung des Klägers umfasst.
bb)
Das Verhalten war auch nicht grob fahrlässig i.S.d. § 34 SGB II.
Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt besonders schwer verletzt, § 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB X. Das ist regelmäßig anzunehmen, wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und das nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste. Darüber hinaus muss im Rahmen des § 34 SGB II bei einem grob fahrlässigen Herbeiführen auf der Wertungsebene hinzukommen, dass das zur Inanspruchnahme von Grundsicherungsleistungen führende Verhalten in vergleichbarer Weise zu missbilligen ist, wie ein Verhalten, das ausdrücklich auf die Inanspruchnahme von Grundsicherungsleistungen angelegt ist und ihm damit wertungsmäßig gleichsteht (BSG, Urteil vom 03.09.2020, B 14 AS 43/19 R, Rn. 17 f.).
Dies ist hier im Hinblick auf die Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit nach Ansicht der Kammer nicht der Fall. Der Kläger konnte zwar aufgrund des Hinweises seiner Krankenkasse im Bescheid vom 27.07.2018 wissen, dass er seine Arbeitsunfähigkeit lückenlos nachzuweisen und eine entsprechende Bescheinigung spätestens am nächsten Werktag nach Ablauf der letzten Bescheinigung einzuholen habe, sodass er durch die Einholung der nächsten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erst am 19.11.2018 die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht ließ. Ob, es grob fahrlässig war, kann die Kammer offenlassen (dazu unter 1), da das verhalten zumindest nicht wertungsmäßig einem vorsätzlichen Herbeiführen der Hilfebedürftigkeit gleichsteht (dazu unter 2).
(1) An der groben Fahrlässigkeit bestehen deutlich Zweifel, da die sog. Lückenproblematik im Krankengeld eine rechtliche Komplexität hat, die zu erkennen nicht besonders naheliegenden Überlegungen entspricht. Dass der Kläger die Rechtslage nicht übersah ist zum einen insoweit nachvollziehbar, als es sich bei der Erkrankung des Klägers ihrer Natur nach um eine länger andauernde Erkrankung handelte, für die bereits eine im Dezember 2018 anstehende Rehabilitationsmaßnahme bewilligt worden war. Insoweit liegt allerdings die im Tatbestand zitierte Belehrung vor.
Diese Belehrung stellt sich aber hinsichtlich des vollständigen Wegfalls des Anspruchs nach Ansicht der Kammer als unvollständig dar. Denn es wird zwar darauf hingewiesen, dass bei Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit auf einen lückenlosen Nachweis zu achten sei und der Versicherte sich spätestens an dem Werktag, der auf den letzten Tag der aktuellen Arbeitsunfähigkeit folgt, erneut bei seinem Arzt vorstellen solle. Die Konsequenz, dass selbst bei einer Erkrankung, die offenkundig dauerhaft ist, bei einer verspäteten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch ab dem Zeitpunkt der neuen Bescheinigung dann aufgrund der Lücke überhaupt kein Krankengeld mehr gezahlt werden würde (Wegfall des nachgehenden Versicherungsschutzes), geht aus dem Schreiben nicht mit der notwendigen Deutlichkeit hervor.
Es kann dem Kläger also wohl hinsichtlich der vorliegenden Lückenproblematik nicht vorgeworfen werden, dass er schon die einfachsten, ganz naheliegenden Überlegungen nicht angestellt hat. Dass das verspätete Einholen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung unmittelbar in die Hilfebedürftigkeit führen würde, musste sich dem Kläger wohl nicht aufdrängen.
(2) Dass der Kläger es versäumt hat, rechtzeitig eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einzuholen und dadurch seinen Anspruch auf Krankengeld verloren hat, ist jedenfalls nicht in vergleichbarer Weise zu missbilligen, wie ein Verhalten, das ausdrücklich auf die Inanspruchnahme von Grundsicherungsleistungen angelegt ist. Denn der Kläger befand sich zu der Zeit, zu der er eigentlich die nächste Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hätte einholen müssen, durch die Krankheit seiner Frau und seines Sohnes und seiner eigenen Erkrankung in einer familiären Belastungssituation, in der es nachvollziehbar ist, dass auch die Einhaltung eigentlich wichtiger Fristen subjektiv an Bedeutung verliert.
Unter Berücksichtigung der Ausführungen zur groben Fahrlässigkeit ergibt sich zusammengenommen damit kein Verhandelten, dass einen vorsätzlich herbeigeführten Verhalten gleichsteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.