Bei der in § 240 Abs 4a Satz 4 SGB V normierten Dreijahresfrist zum Nachweis der tatsächlichen Einnahmen handelt es sich um eine Ausschlussfrist.
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 13. Oktober 2023 aufgehoben und der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Aussetzung der Vollstreckung von rückständigen Beitragsforderungen im Rahmen des Eilrechtsschutzes.
Der 1971 geborene Antragsteller war vom 1. Januar 2019 bis zum 31. März 2020 bei der Antragsgegnerin freiwillig kranken- und gesetzlich pflegeversichert. In dieser Zeit erzielte er Einkommen aus selbstständiger Arbeit (freiberufliche Tätigkeit). Mit Bescheid vom 19. Januar 2019 setzte die Antragsgegnerin die monatlichen Beiträge ab 1. Januar 2019 zur Kranken- und Pflegeversicherung auf insgesamt 445,14 Euro vorläufig fest.
Mit Schreiben vom 22. September 2022 und 29. November 2022 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, die Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2019 und 2020 vorzulegen, da bislang nur eine vorläufige Beitragseinstufung vorgenommen worden sei. Der relevante Einkommenssteuerbescheid müsse spätestens innerhalb von 3 Jahren nach Ablauf des jeweiligen Jahres der vorläufigen Beitragsbemessung vorgelegt werden. Ansonsten sei die Antragsgegnerin nach dem Willen des Gesetzgebers verpflichtet, den Beitrag des Antragstellers in Höhe des gesetzlich festgelegten Höchstbeitrages des Jahres endgültig festzusetzen. Der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2019 sei bis zum 31. Dezember 2022 und der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2020 bis zum 31. Dezember 2023 einzureichen. Bei Einreichung der Unterlagen nach dem Ablauf der Frist könne die endgültige Festsetzung des Höchstbetrages nicht mehr vermieden bzw korrigiert werden.
Mit zwei gleichlautenden Bescheiden vom 26. April 2023 setzte die Antragsgegnerin die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Oktober 2019 und die Zeit vom 1. November bis 31. Dezember 2019 endgültig auf Grundlage der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze für das Jahr 2019 fest, da der Antragsteller bis zum 31. Dezember 2022 keine Unterlagen vorgelegt habe. Eine Korrektur der Beitragsfestsetzung für dieses Kalenderjahr sei auch bei einer jetzigen Einreichung der Unterlagen nicht mehr möglich. Das Beitragskonto weise eine Forderung in Höhe von 5.028,20 Euro aus.
Mit email vom 18. Juli 2023 erhob der Antragsteller „Einspruch“ und bat um Neuberechnung sowie Anpassung seiner Beiträge für das Jahr 2019. Der email fügte er den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2019 vom 27. November 2020 bei, der Einkünfte aus selbstständiger Arbeit in Höhe von 10.975 Euro auswies.
Die Antragsgegnerin bewertete den Einspruch als Widerspruch, den sie mit Widerspruchsbescheid vom 21. September 2023 zurückwies. Seit dem 1. Januar 2018 seien die Beiträge aus Arbeitseinkommen sowie Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung zunächst vorläufig festzulegen (§ 240 Abs 4a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch <SGB V>). Die vorläufig festgesetzten Beiträge würden auf Grundlage der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahmen für das jeweilige Kalenderjahr erst nach Vorlage des jeweiligen Einkommenssteuerbescheides endgültig festgesetzt. Weise das Mitglied seine tatsächlichen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkasse nicht innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres nach, gelte für die endgültige Beitragsfestsetzung als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag 1/30 der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§7 Abs 7 Beitragsverfahrensgrundsätze). Bei der Dreijahresfrist zur Einreichung der Einkommenssteuerbescheide handele es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist. Der nach Fristablauf eingereichte Einkommenssteuerbescheid 2019 entfalte daher keine Rechtswirkung in Bezug auf die endgültige Beitragsfestsetzung für den streitbefangenen Zeitraum.
Der Antragsteller hat am 5. Oktober 2023 beim Sozialgericht (SG) Hannover Klage erhoben und die Aussetzung der Vollziehung im Rahmen des Eilrechtsschutz beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Forderung sei zuletzt am 25. Juli 2023 angemahnt worden. Die Selbstständigkeit könnte bei einer Pfändung nicht weitergeführt werden; damit müsste Insolvenz angemeldet werden.
Mit Beschluss vom 13. Oktober 2023 hat das SG die aufschiebende Wirkung der Klage vom 5. Oktober 2023 (S 48 KR 660/23) gegen die Beitragsbescheide vom 26. April 2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2023 angeordnet. Rechtsgrundlage sei § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die mit Widerspruch und Klage angefochtenen Beitragsbescheide erwiesen sich als rechtswidrig, soweit darin Beiträge auf Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze 2019 festgesetzt worden seien. Die Kammer schließe sich nach eigener Prüfung der überzeugenden Rechtsauffassung des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg im Beschluss vom 24. Mai 2023 (L 1 KR 145/23 B ER) an. Danach enthalte § 240 Abs 4a Satz 4 SGB V gerade keine zwingende Ausschlussfrist. Geregelt sei nur, dass nach einem entsprechenden Nachweisverlangen und Fristablauf die Beiträge für das betreffende Jahr endgültig nach der Beitragsbemessungsgrenze festzusetzen seien. Ein Ausschluss der Zugrundelegung der tatsächlichen Einnahmen trotz Nachweises im neuen Jahr noch vor Erlass des Beitragsbescheides oder spätestens im Widerspruchsverfahren hätte ausdrücklich geregelt werden müssen, da die Regelung eine ganz erhebliche Sanktionierung der Säumigkeit befehle. Die Norm nehme dabei nach dem Wortlaut keine Rücksicht darauf, ob eine Obliegenheitsverletzung vorliege, noch nicht einmal, ob der Nachweis überhaupt objektiv möglich sei (zur Normeinschränkung aus diesem Grund: Pade in: jurisPK-SGB V, 4. Aufl, § 240, Rn 72). Unmögliches dürfe nicht verlangt werden. Auch den Gesetzesmaterialien (BT-Drucksache 18/11205 S 73) lasse sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber bewusst eine faktische Nachfrist durch Einreichung noch nach Jahresende im noch laufenden Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren ausschließen wollte. Dort werde lediglich der Norminhalt wiederholt, wonach die endgültige Beitragsfestsetzung entsprechend erfolge, wenn die tatsächlichen Einnahmen nicht innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des jeweiligen Jahres nachgewiesen würden. Diese endgültige Festsetzung gelte nur für das betreffende Kalenderjahr (LSG Berlin-Brandenburg aaO; aA LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 4. April 2023 – L 5 KR 76/22 B ER).
Gegen den ihr am 16. Oktober 2023 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 23. Oktober 2023 Beschwerde beim LSG Niedersachsen-Bremen eingelegt. Der endgültige Beitragsbescheid für 2019 sei am 26. April 2023 ergangen. Dagegen habe der Antragsteller keinen Widerspruch eingelegt. Erst mit email vom 18. Juli 2023 habe er um Neuberechnung und Anpassung der Beiträge gebeten und erstmalig den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2019 vom 27. November 2020 beigefügt. Entgegenkommend habe die Antragsgegnerin das Schreiben des Klägers vom 18. Juli 2023 als Widerspruch gegen die endgültigen Beitragsbescheide gewertet und diesen mit Widerspruchsbescheid vom 21. September 2023 zurückgewiesen. Bei der Frist in § 240 Abs 4a Satz 4 SGB V handele es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist. Nach Fristablauf erlösche der Anspruch auf eine einkommensgerechte Beitragsfestsetzung. Ein fristgerechter Eingang des Einkommenssteuerbescheides habe nicht festgestellt werden können. Der Einkommenssteuerbescheid datiere vom 27. November 2020, sodass der Antragsteller zwei Jahre Zeit gehabt hätte, diesen einzureichen.
Die materiell-rechtliche Ausschlussfrist bewirke, dass bei Verstreichen der Frist der Anspruch auf eine einkommensgerechte Beitragsbemessung erloschen sei. In diesem Sinne finde sich schon verschiedenste Rechtsprechung, zB LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 4. April 2023 – L 5 KR 76/22 B ER; SG Halle Beschluss vom 7. November 2022 – S 25 KR 241/22 R; Pade´ in jurisPK-SGB V, 4. Aufl, § 240 SGB V, Rn 72. Eine materiell-rechtliche Wirkung könne nicht verneint werden. Bei den gesetzlichen Fristen müsse es sich um Fristen handeln, die generell und abstrakt gelten, die nicht von einer Behörde bestimmt seien und über die auch nicht verfügt werden könne, sondern die sich aus einem formellen Gesetz, einer Rechtsverordnung oder Satzung ergäben. Mit der neuen Regelung des § 240 Abs 4a Satz 4 SGB V solle sichergestellt werden, dass die Krankenkasse trotz einer Säumnis des Mitglieds in die Lage versetzt werde, nach Ablauf der Dreijahresfrist und einer hierauf bezogenen vorherigen Aufforderung zeitnah einen endgültigen Beitragsbescheid zu erlassen. Der Krankenkasse werde mit der Regelung ein Sanktionsinstrument zur Verfügung gestellt; das habe der Gesetzgeber ausdrücklich in der Begründung der Neuregelung angemerkt.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 13. Oktober 2023 aufzuheben und den Eilantrag abzulehnen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er trägt vor, die Folgen der Beitragsnachforderung seien für ihn massiv. Er habe sich bei der Verbraucherzentrale beraten lassen. Danach führe § 240 Abs 4a Satz 4 SGB V nicht zu einer Beschränkung der Rechtsbehelfsmöglichkeiten. Die Vorschrift solle nur sicherstellen, dass eine endgültige Beitragsfeststellung auch ohne Vorlage von Nachweisen möglich sei. Die Vorschrift stelle keine Strafnorm dar, die eine von der Leistungsfähigkeit der Versicherten vollkommen unabhängige Beitragsfestsetzung ermöglichen solle. Solche Härten seien auch vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt. Im Übrigen verweist er auf den Gesetzesentwurf (BT-Drucksache 20/8901), der mutmaßlich in der letzten Novemberwoche verabschiedet werde. Dort werde eine versichertenfreundliche Neuregelung/Änderung des Abs 4a vorgesehen, die auf Antrag des Versicherten eine Korrekturmöglichkeit vorsehe (S 138/139). Aus der Begründung (S 177) ergebe sich, dass der Gesetzgeber mit nichten von einer unzweifelhaften materiell-rechtlichen Ausschlussfrist ausgegangen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
II.
Die gemäß §§ 172 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Der Senat vermag sich der Entscheidung des SG nicht anzuschließen. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 26. April 2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2023.
1. Statthafte Antragsart ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs 1 Nr 2 SGG, der gemäß § 86b Abs 2 Satz 1 SGG vorrangig zu stellen ist. Danach kann das Gericht in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die Klage des Antragstellers gegen den endgültigen Beitragsbescheid vom 26. April 2023 hat gemäß § 86a Abs 2 Nr 1 SGG keine aufschiebende Wirkung. Die Regelung soll die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Leistungsträger sichern. Die Entscheidungen können feststellender Art sein oder eine Zahlungspflicht festsetzen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Schmidt, SGG, 14. Auflage, 2023, § 86a Rn 13).
Der Antrag nach § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG hat in der Sache Erfolg, wenn eine Interessenabwägung zwischen den Belangen der Öffentlichkeit und den Belangen des Antragstellers ergibt, dass das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts überwiegt. Bei der Interessenabwägung sind grundsätzlich die Erfolgsaussichten der Klage zu berücksichtigen. Ist eine Klage nach summarischer Prüfung offensichtlich unzulässig oder unbegründet, kommt eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht in Betracht. Ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und der Betroffene durch ihn in seinen subjektiven Rechten verletzt, wird die aufschiebende Wirkung angeordnet, weil dann ein öffentliches Interesse oder Interesse eines Dritten an der Vollziehung nicht besteht. Sind die Erfolgsaussichten nicht abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung, wobei der Grad der Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen ist. Es gilt der Grundsatz: Je größer die Erfolgsaussichten sind, umso geringer sind die Anforderungen an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Umgekehrt sind die Anforderungen an die Erfolgsaussichten umso geringer, je schwerer die Verwaltungsmaßnahme wirkt (Keller, aaO, § 86b Rn 2a, 12f).
Da § 86a Abs 2 Nr 1 SGG das Vollzugsinteresse bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert und bei der Auslegung der Vorschrift der Gesetzeszweck, die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Leistungsträger, zu beachten ist (Keller, aaO, § 86a Rn 13), können allerdings nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen (vgl Beschlüsse des erkennenden Senates vom 23. August 2023 – L 16 KR 292/23 B ER und 17. Februar 2021 – L 16 KR 15/21 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10. Mai 2012- L 8 R 164/12 B ER).
2. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Bescheid vom 26. April 2023 über die endgültige Beitragsfestsetzung für das Jahr 2019 hält voraussichtlich einer rechtlichen Überprüfung im Klageverfahren stand. Die Festsetzung der endgültigen Beitragshöhe findet in § 240 Abs 4a Satz 4 SGB V eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage.
Für freiwillige Mitglieder wird die Beitragsbemessung gemäß § 240 Abs 1 SGB V einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt (Satz 1). Die Vorschrift ist gemäß § 57 Abs 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) auch für Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung anzuwenden, die die Beklagte gemäß § 46 Abs 2 Satz 4 SGB XI in einem gemeinsamen Bescheid festsetzen durfte. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt (Satz 2).
Die nach dem Arbeitseinkommen zu bemessenden Beiträge werden gemäß § 240 Abs 4a SGB V auf der Grundlage des zuletzt erlassenen Einkommensteuerbescheides vorläufig festgesetzt; dabei ist der Einkommensteuerbescheid für die Beitragsbemessung ab Beginn des auf die Ausfertigung folgenden Monats heranzuziehen (Satz 1). Die nach den Sätzen 1 und 2 vorläufig festgesetzten Beiträge werden auf Grundlage der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahmen für das jeweilige Kalenderjahr nach Vorlage des jeweiligen Einkommensteuerbescheides endgültig festgesetzt (Satz 3). Weist das Mitglied seine tatsächlichen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkasse nicht innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres nach, gilt für die endgültige Beitragsfestsetzung nach Satz 3 als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag der 30. Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (Satz 4).
Die Voraussetzungen des § 240 Abs 4a Satz 4 SGB V zur endgültigen Festsetzung von Höchstbeiträgen liegen nach summarischer Prüfung im Falle des Antragstellers vor.
a) Die Anforderungen an ein „Verlangen der Krankenkasse“ hat die Antragsgegnerin auch unter der Prämisse, dass diesem Erfordernis eine Warnfunktion zukommt (vgl Pade in jurisPK- SGB V, 4. Aufl 2020, § 240 SGB V, Rn 72), mit den Schreiben vom 22. September und 29. November 2022 erfüllt. Beide Schreiben verweisen auf eine Vorlagepflicht bis zum Jahresende, auf die Festsetzung der gesetzlich festgelegten Höchstbeiträge als Rechtsfolge einer Fristversäumung und den Ausschluss einer rückwirkenden Korrektur.
Mit Schreiben vom 22. September 2022 hat die Antragsgegnerin den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2019 angefordert, da die Beiträge für das betreffende Kalenderjahr erst auf Grundlage der Einkommenssteuerbescheide endgültig festsetzt werden könnten. Dieser sei innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt des Briefes einzureichen. Dabei wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Einkommenssteuerbescheid spätestens innerhalb von 3 Jahren nach Ablauf des jeweiligen Jahres der vorläufigen Beitragsbemessung vorgelegt werden müsse. Ansonsten sei die Antragsgegnerin nach dem Willen des Gesetzgebers verpflichtet, den Beitrag des Antragstellers in Höhe des gesetzlich festgelegten Höchstbetrages endgültig festzusetzen. Letzteres wurde im Fettdruck hervorgehoben. Die Einreichungsfrist war für das Kalenderjahr 2019 – ebenfalls im Fettdruck - mit dem 31. Dezember 2022 ausgewiesen. Bei einer Einreichung der Unterlagen nach Fristablauf könne die endgültige Festsetzung des Höchstbetrages nicht mehr vermieden werden. Da der Antragsteller untätig blieb, übersandte die Antragsgegnerin ein wortgleiches Schreiben abermals unter dem 29. November 2022. Damit hat sie die Warnfunktion des Erfordernisses „auf Verlangen der Krankenkasse“ erfüllt, denn der Antragsteller konnte erkennen, dass jetzt die Festsetzung des Höchstbeitrages droht (Pade, aaO).
b) Der Antragsteller hat seine tatsächlichen Einnahmen für das Kalenderjahr 2019 – trotz Verlangens der Antragsgegnerin - nicht bis zum 31. Dezember 2022 durch Vorlage des Einkommenssteuerbescheides für 2019 nachgewiesen. Die Übermittlung des Einkommenssteuerbescheides für 2019 erfolgte erst am 18. Juli 2023 und damit nach Ablauf der Dreijahresfrist. Es ist nicht ersichtlich, dass es dem Antragsteller unmöglich oder unzumutbar war, den maßgeblichen Einkommenssteuerbescheid in Kopie fristgerecht vorzulegen. Der Einkommenssteuerbescheid für 2019 datiert vom 27. November 2020. Damit hatte der Antragsteller zwei Jahre Zeit, den Einkommenssteuerbescheid fristgerecht vorzulegen. Darauf hat die Antragsgegnerin zutreffend hingewiesen. Der Antragsteller behauptet auch nicht, aus von ihm nicht zu vertretenen Gründen an einer fristgerechten Vorlage gehindert gewesen zu sein.
Entgegen der Auffassung des SG im Anschluss an das LSG Berlin-Brandenburg handelt es sich bei der Dreijahresfrist in § 240 Abs 4a Satz 4 SGB V um eine Ausschlussfrist (vgl auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. September 2023 – L 5 KR 371/23 Rn 38 mwN).. Die Möglichkeit einer rückwirkenden Änderung bei nachträglicher Vorlage der geforderten Nachweise besteht nicht.
Die vom LSG Berlin-Brandenburg im Beschluss vom 24. Mai 2023 (L 1 KR 145/23 B ER) vertretene Rechtsauffassung zu einer faktischen Nachfrist im laufenden Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren kann nicht überzeugen. Die Annahme, dass ein Ausschluss der Zugrundelegung der tatsächlichen Einnahmen trotz Nachweises im neuen Jahr noch vor Erlass des Beitragsbescheides oder spätestens im Widerspruchsverfahren hätte ausdrücklich geregelt werden müssen, da die Regelung eine ganz erhebliche Sanktion der Säumigkeit befehle, findet in Wortlaut, Systematik oder Gesetzesbegründung des § 240 SGB V keine Stütze.
Das LSG Berlin-Brandenburg führt selbst aus, die Norm nehme nach dem Wortlaut keine Rücksicht darauf, ob eine Obliegenheitsverletzung vorliege, noch nicht einmal, ob der Nachweis überhaupt möglich sei. Damit kommt in einer am Wortlaut orientierten Auslegung keine Einschränkung in Bezug auf die Gewährung einer Nachfrist zum Ausdruck; im Gegenteil spricht der Wortlaut für eine abschließende Regelung.
Auch die Systematik des § 240 SGB V spricht gegen eine erweiternde Auslegung des Abs 4a Satz 4 im Sinne der Gewährung einer faktischen Nachfrist. Die Annahme, der Ausschluss (also die Negation) einer faktischen Nachfrist hätte einer ausdrücklichen (positiven) Regelung bedurft, ist irreführend und wird durch die Systematik in Abs 1 widerlegt. In Abs 1 hat der Gesetzgeber durch die Einfügung der Sätze 3 und 4 die Möglichkeit einer nachträglichen Herabsetzung ausdrücklich geschaffen. Eine vergleichbare Regelung findet sich in Abs 4a gerade nicht.
Mit dem Versichertenentlastungsgesetz (GKV-VEG) vom 11. Dezember 2018 sind dem § 240 Abs 1 die Sätze 3 bis 5 angefügt worden. Durch die Neuregelung in § 240 Abs 1 Satz 3 und 4 SGB V wird die harte Konsequenz der Höchstbeiträge abgemildert. Abs 1 sieht nunmehr die nachträgliche Herabsetzung in zwei Konstellationen vor: Entweder das Mitglied weist innerhalb von zwölf Monaten geringere Einnahmen nach oder die Krankenkasse erhält Kenntnis davon, dass die Einnahmen die Mindestbemessungsgrundlage nicht überschritten haben (Pade´aaO Rn 35)
Die Möglichkeit einer rückwirkenden Änderung bei nachträglicher Vorlage der geforderten Nachweise entsprechend § 240 Abs 1 Satz 3 und 4 SGB V besteht nicht, weil auf diese – wie auch Satz 5 – in § 240 Abs 4a Satz 4 SGB V nicht Bezug genommen wird (Mecke in jurisPK-SGB XI, 3. Aufl, § 57 SGB XI, Rn 51; SG München, Beschluss vom 10. Oktober 2023 – S 35 KR 809/23 –). Die Vorschrift des § 240 Abs 1 Satz 3 und 4 SGB V, die für bestimmte freiwillig Versicherte eine rückwirkende Korrektur der Beitragsfestsetzung nach dem Höchstbetrag ermöglicht, ist auf den Personenkreis der hauptberuflich Selbstständigen nicht anwendbar; für diese trifft § 240 Abs 4a Satz 4 SGB V eine eigene Regelung. Vor dem Hintergrund eines detaillierten geschlossenen Regelungssystems für selbstständig Tätige, welches auch und gerade durch den Fall der Nichterfüllung der Nachweispflichten in § 240 Abs 4a Satz 4 SGB V eine eigene Regelung enthält, kommt eine Anwendung von § 240 Abs 1 Satz 3 und 4 SGB V auf den Personenkreis der Bezieher von Arbeitseinkommen nicht in Betracht. Dementsprechend bezeichnet auch der Gesetzgeber § 240 Abs 4a SGB V als speziellere Regelung (Hessisches LSG, Urteil vom 28. Juli 2022 – L 8 KR 522/21 -, Rn 30).
Ob die Regelung in § 240 Abs 4a Satz 4 eine einschränkende Auslegung auf das Zumutbare bzw das objektiv Mögliche gebietet, etwa wenn der maßgebliche Einkommenssteuerbescheid nicht rechtzeitig ergangen ist, lässt der Senat offen.
Auch die Argumentation, es lasse sich den Gesetzesmaterialien (BT-Drucksache 18/11205, S 73) nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber bewusst eine faktische Nachfrist habe ausschließen wollen, leuchtet nicht ein. Insoweit wird aus dem Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte auf einen fiktiven Willen des Gesetzgebers geschlossen. Zudem wird in der Begründung zu Absatz 4a (BT-Drucksache 18/11205, S 72) im Zusammenhang mit der Festsetzung des Höchstbeitrages ausgeführt, diese stelle sicher, dass den Krankenkassen unverändert ein Sanktionsinstrument zur Verfügung stehe, sofern das Mitglied seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkomme. Dies spricht für eine gewollte Sanktionierung. Gestützt wird diese Auslegung durch die Formulierung in der BT-Drucksache 19/4454, S 27 „werden die nach dem Arbeitseinkommen zu bemessenen Beiträge nach Abs 4a vorläufig festgesetzt, sind die dortigen Regelungen als speziellere Normen vorrangig anzuwenden“.
Für die Regelung in § 240 Abs 4a Satz 4 SGB V in der geltenden Fassung als materiell-rechtliche Ausschlussfrist sprechen zudem die mit dem jüngsten Gesetzesentwurf zu § 240 Abs 4a SGB V geplanten Änderungen (BT-Drucksache 20/8901, S 139 u 177). Danach soll eine Festsetzung nach Satz 4 unterbleiben, wenn nachgewiesen wird, dass der maßgebliche Einkommenssteuerbescheid noch nicht bekanntgegeben wurde. Darüber hinaus ist ein Antrag auf Neufestsetzung der Beiträge vorgesehen, nachdem diese nach Satz 4 festgesetzt wurden. In der Begründung heißt es dazu, dass mit der Neuregelung das Verfahren künftig transparenter ausgestaltet werden soll, indem die Mitglieder auf die bislang endgültige Festsetzung eine Reaktionsmöglichkeit erhalten. Die geplante Neuregelung, die im anhängigen noch Verfahren nicht gilt, mit Einführung einer Reaktionsmöglichkeit deutet darauf hin, dass diese bisher gerade nicht vorgesehen ist.
c) Schließlich vermag sich der Senat nicht der teilweise in der Rechtsprechung (SG München aaO unter Hinweis auf SG Stralsund, Urteil vom 21. April 2023 – S 3 KR 79/22) vertretenen Ansicht anzuschließen, dass die Festsetzung der Höchstbeiträge deshalb noch nicht als endgültig im Sinne des Gesetzes zu betrachten sei, weil der streitgegenständliche Beitragsbescheid aufgrund der rechtzeitigen Widerspruchseinlegung noch nicht bestandskräftig im Sinne des § 77 SGG geworden sei. Diese Auffassung berücksichtigt nicht hinreichend, dass gemäß § 86a Abs 2 Nr 1 die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage für Beitragsbescheide wegen des vorrangigen Vollzugsinteresses entfällt. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.