Kein Anspruch auf Kostenerstattung gegen die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) für die Operation eines Grauen Stars an beiden Augen in einer Privatklinik in der Türkei.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 31. März 2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Kostenerstattung für eine in der Türkei selbstbeschaffte Katarakt-Ope-ration über einen Betrag in Höhe von 1.552, 50 Euro (10.172,10 TL).
Die 1965 geborene Klägerin litt seit 2015 an einem beginnenden Katarakt (grauer Star) der Augen.
Die Klägerin befand sich vom 4. April 2019 bis 25. April 2019 zum Urlaub in der Türkei. Im Verlauf des Urlaubs stürzte die Klägerin nach ihren Angaben.
Am 18. April 2019 wurde die Klägerin dort in dem Krankenhaus I. Poliklinik für Augenkrankheiten -2-, einer Privatklinik, als Privatpatientin aufgenommen. Am 19. April 2019 wurde dort eine bilaterale, multifokale intraokuläre Linse implantiert. Als Enddiagnose wurde im Anamneseformular „H25 Seniler Katerakt“ und als Beschwerden „Sehschwäche an den rechten und linken Augen“ angegeben. Die Rechnung über die Untersuchung und die Augenoperation über insgesamt 10.050,00 TL datiert vom 18. April 2019.
Am 2. Mai 2019 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für die Augenoperation in der Türkei. Dabei legte sie Rechnungen über einen Gesamtbetrag von 10.172,10 TL vor. Eine Zustimmung zur Operation hatte sie nicht eingeholt.
Mit Bescheid vom 9. Mai 2019 lehnte die Beklagte den Kostenerstattungsanspruch ab. Zur Begründung führte sie aus, dass zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei ein Abkommen über die soziale Sicherheit abgeschlossen worden sei (Deutsch-Türkisches Sozialversicherungsabkommen [DT-SVA]). Diese Abkommen gelte für eine Person, bei der der Versicherungsfall während des vorübergehenden Aufenthaltes im Gebiet des anderen Vertragsstaates eintrete, nur, wenn die Person wegen ihres Zustandes sofort Leistungen benötige und diese nicht bis zur beabsichtigten Rückkehr in den zuständigen Staat zurückgestellt werden könnten. Ein Anspruch auf Sachleistungen bestünde nicht, wenn eine Behandlung während des Aufenthaltes in dem anderen Abkommensstaat vorhersehbar sei. In diesen Fällen sei der Anspruch auf Sachleistungen von der Zustimmung des zuständigen Trägers abhängig. Eine Katarakt-Operation stelle keine Notfallbehandlung im Sinne des Abkommens dar. Bei einer Katarakt-Operation würde der „graue Star“ behandelt. Dies sei in der Regel ein schleichender Pro-zess. Dies bedeute, dass diese Erkrankung in der Regel nicht in wenigen Tagen zum Vorschein komme. Es werde davon ausgegangen, dass die Erkrankung bereits vor Abreise in die Türkei bestanden habe. Ein Katarakt stelle keine Erkrankung dar, die nicht bis zur Rückkehr nach Deutschland habe zurückgestellt werden können. Es liege kein Flugverbot vor, so dass eine frühere Rückreise nach Deutschland möglich gewesen sei. Daher wäre der Anspruch auf Kostenübernahme bezüglich der Operation von der Zustimmung der Beklagten abhängig gewesen. Diese habe die Klägerin jedoch zuvor nicht eingeholt.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, dass richtig sei, dass sie seit längerer Zeit Probleme mit ihren Augen gehabt habe. Sie sei deshalb auch immer wieder bei ihrem Hausarzt Dr J. in Behandlung gewesen. Herr Dr J. habe immer versichert, dass alles in Ordnung sei. Im April 2019 habe sie sich mit der Familie zum Urlaub in der Türkei aufgehalten. Dort sei es mit den Augen so schlimm geworden, dass sie das Tageslicht verloren habe und stark gestürzt sei. Sie sei vom Bruder zum Arzt gebracht worden und dieser habe beschlossen, sie in einer Notoperation zu behandeln. Dies sei alles so schnell gegangen, dass sie gar nicht habe realisieren können, wie schlimm ihr Zustand eigentlich gewesen sei. Sie sei in größter Sorge gewesen, das Augenlicht zu verlieren.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. September 2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Leistungsanspruch gemäß § 16 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) ruhe, solange sich der Versicherte im Ausland aufhalte, und zwar auch dann, wenn er dort während eines vorübergehenden Aufenthaltes erkranke, soweit in diesem Gesetzbuch nichts Abweichendes bestimmt sei. Unter Berücksichtigung von § 18 SGB V und dem DT-SVA dürften Sachleistungen nur zur Verfügung gestellt werden, die wegen des Gesundheitszustandes medizinisch und sofort notwendig seien, da Leib und Seele des Patienten in Gefahr seien und nicht bis zur beabsichtigten Rückkehr nach Deutschland zurückgestellt werden könnten. Ein Anspruch auf Sachleistungen bestehe nicht, wenn eine Behandlung während des Aufenthaltes im anderen Abkommensstaat vorhersehbar sei. In diesen Fällen sei der Anspruch auf Sachleistung von der Zustimmung des zuständigen Trägers abhängig. Vor Beginn der Reise habe das Beschwerdebild bestanden. Deshalb sei die Inanspruchnahme von Sachleistungen von der Zustimmung abhängig gewesen. Eine Zustimmung habe die Beklagte jedoch nicht erteilt.
Die private Auslandskrankenversicherung (Alte K.) der Klägerin lehnte eine Erstattung der Behandlungskosten mit Schreiben vom 16. Mai 2019 und 24. Juni 2019 ab. In ihren Allgemeinen Versicherungsbedingungen sei vereinbart, dass keine Leistungspflicht bestehe für Behandlungen im Ausland, welche der alleinige Grund oder einer der Gründe für den Antritt der Reise gewesen sei, und dass Krankheiten, von denen für die versicherte Person erkennbar bei Reiseantritt festgestanden habe, dass sie bei planmäßiger Durchführung der Reise behandelt werden müssten, von der Leistungspflicht ausgeschlossen seien.
Die Klägerin hat am 8. Oktober 2019 Klage bei dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und vorgetragen, dass sie bereits vor dem Türkeiurlaub an einem grauen Star gelitten habe. Allerdings sei ihre Sehfähigkeit plötzlich stark eingeschränkt gewesen. Deshalb sei sie gestürzt. Sie habe nach dem Aufstehen morgens die Kontrolle über ihren Körper verloren und sei gestürzt. Grund sei der Verlust des sphärischen Sehvermögens gewesen. Sie habe sich Prellungen im gesamten Körperbereich zugezogen und sich entschieden, ein Krankenhaus aufzusuchen. Dem dortigen Arzt seien Eintrübungen der Augenlinse aufgefallen und er habe sie an den Augenarzt der Klinik weiterverwiesen, der einen massiven grauen Star festgestellt habe. Der Arzt habe später festgestellt, dass die Sehfähigkeit nur noch 3 Prozent betragen habe. Wenn die Klägerin vor dem Türkeiurlaub gewusst hätte, dass die Katarakt-Operation angestanden hätte, hätte sie diese in Deutschland vornehmen lassen. Auf beiden Augen habe der Arzt Eintrübungen der Augenlinsen infolge eines grauen Stars festgestellt. Es sei Artikel 12 Abs 1 b DT-SVA zu beachten. Der graue Star entwickle sich bei verschiedenen Menschen unterschiedlich schnell. Es sei richtig, dass ein altersbedingter Katarakt von den meisten Menschen als eine allmähliche Verschlechterung des Sehvermögens aufgrund der fortschreitenden Linsentrübung erlebt werde. Gerade bei einem beidseits bestehenden Katarakt gewöhne sich der Betroffene an den langsamen Visusverlust und werde sich somit der tatsächlich gegebenen Einschränkung nicht bewusst bzw erst bewusst, wenn dieser zB zu einem Sturz geführt habe. Zudem könne ein „plötzlich bemerkter“ Sehverlust (pseudo-sudden loss of vision) mit einem akuten Sehverlust verwechselt werden, zumal die letzte Untersuchung am 18. September 2017 stattgefunden und der Vorfall sich am 18. April 2019 ereignet habe. Es sei nicht auszuschließen, dass die sturzbedingten Verletzungen zu einer weiteren akuten Visusminderung geführt hätten. Immerhin habe die Klägerin Prellungen am ganzen Körper gehabt.
Die Beklagte hat vorgetragen, dass der graue Star bei der Klägerin bereits lange vor dem Reiseantritt bestanden habe. Es handele sich nicht um eine notfallmäßige Behandlung. Ohne vorherige Zustimmung der Beklagten seien deshalb die Kosten für die Katarakt-Operation nicht zu übernehmen.
Das SG hat einen Befundbericht des die Klägerin behandelnden Hausarztes Dr J. vom 1. August 2022 eingeholt. Danach war die Klägerin dort nicht wegen einer Augenerkrankung in Behandlung. Über Funktionseinschränkungen bezüglich der Augen vor dem 19. April 2019 könnten keine Auskünfte gegeben werden. Augenärztliche Befunde lägen dort nicht vor. Ferner hat das SG einen Befundbericht des Augenarztes Dr L. vom 5. August 2022 eingeholt. Dieser hatte am 5. August 2015 einen beginnenden Katerakt festgestellt, bei der letzten Untersuchung am 18. September 2017 wurde ebenfalls ein beginnender altersentsprechender Katerakt festgestellt. Ferner heißt es: „Wir stimmen der beklagten Partei zu, dass der Graue Star schleichend fortschreitet, eine plötzliche Verschlechterung innerhalb von wenigen Tagen (ohne äußere Einwirkung wie Contusionsverletzung) kann ausgeschlossen werden.“
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 31. März 2023 abgewiesen. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbescheides hätten vorgelegen. Der Sachverhalt sei geklärt. Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässige Klage sei unbegründet. Der Bescheid vom 9. Mai 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. September 2019 sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Kostenerstattung bezüglich der selbstbeschafften Augenoperation. Gemäß § 16 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V ruhe der Anspruch auf Leistungen, solange Versicherte sich im Ausland aufhielten, und zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthalts erkrankten, soweit in diesem Gesetzbuch nichts Abweichendes bestimmt sei. Ein Leistungsanspruch der Klägerin komme vorliegend ausschließlich nach Artikel 12 Abs 1 b DT-SVA in Betracht. Hiernach gelte Artikel 4 a für eine Person, bei der der Versicherungsfall während des vorübergehenden Aufenthalts im Gebiet des anderen Vertragsstaats eingetreten sei, wenn sie wegen ihres Zustandes sofort Leistungen benötige. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Bei der Klägerin habe kein medizinischer Zustand vorgelegen, der während des Türkei-Urlaubes aufgetreten sei und einer sofortigen Behandlung bedurft hätte. Nach Auskunft des behandelnden Hausarztes Dr J. habe eine Behandlung des grauen Stars durch ihn nicht stattgefunden. Eine Auskunft über eine mögliche Operationsindikation könne nur von einem Facharzt für Augenheilkunde gegeben werden. Der die Klägerin behandelnde Augenarzt Dr L. habe auf die Frage des Gerichts mitgeteilt, dass zum Zeitpunkt der letzten Untersuchung am 18. September 2017 eine Funktionseinschränkung zu diesem Zeitpunkt nicht vorgelegen habe und deshalb eine Operation des grauen Stars medizinisch nicht erforderlich gewesen sei. Der graue Star sei ein schleichend voranschreitender Prozess. Eine plötzliche Verschlechterung innerhalb von wenigen Tagen könne ausgeschlossen werden. Hiernach habe der die Klägerin selbst behandelnde Augenarzt mitgeteilt, dass eine plötzliche Verschlechterung des grauen Stars dergestalt, dass nunmehr dringend eine Operationsindikation begründet würde, ausgeschlossen werden könne. Es sei deshalb davon auszugehen, dass der graue Star bei der Klägerin zum Zeitpunkt des Antritts des Türkeiurlaubs nicht nur bereits seit Jahren vorgelegen habe, sondern dass der Zustand nach dem Zeitpunkt der Operation am 19. April 2019 nahezu unverändert gewesen sei im Vergleich zum Antritt der Reise. Eine plötzliche derartige Verschlechterung der grauen Star-Erkrankung könne medizinisch ausgeschlossen werden. Soweit die Klägerin abstrakt mitgeteilt habe, dass es das Phänomen des pseudo-sudden loss of vision gebe und dass dies mit einem akuten Sehverlust verwechselt werden könnte, stelle dies keine hinreichende Erschütterung dieser medizinischen Tatsache (mitgeteilt durch den die Klägerin behandelnden Augenarzt) dar. Auch die in diesem Schriftsatz geäußerte Vermutung, dass nicht auszuschließen sei, dass die sturzbedingten Verletzungen zu einer weiteren akuten Visusminderung geführt hätten, führe zu keinem anderen Ergebnis. Zu einer aufgrund dieser bloßen Vermutung ins Blaue hinein weiteren Sachverhaltsermittlung durch ggf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens habe sich die Kammer nicht gedrängt sehen müssen.
Gegen den am 3. April 2023 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 2. Mai 2023 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen erhoben. Es habe sich um den Fall einer äußeren Einwirkung durch Kontusionsverletzung gehandelt. Der Klägerin sei schwarz vor Augen geworden und sie sei daraufhin gestürzt. Nach dem sie wieder zu sich gekommen sei, habe sie festgestellt, dass sie nichts mehr habe sehen können. In der Notambulanz sei ihr mitgeteilt worden, dass sie erblinden werde, wenn sie sich nicht umgehend dem Eingriff unterziehe. Vor der Reise sei keine OP indiziert gewesen, ausschlaggebend sei ausschließlich der Sturz gewesen. Es habe eine plötzlich auftretende Behandlungsbedürftigkeit bestanden. Das SG sei auf den angebotenen Zeugenbeweis durch M. nicht eingegangen. Nachdem sie das Krankenhaus aufgesucht habe, sei dem Arzt dann die Eintrübung der Augen aufgefallen und er habe auf den ebenfalls im Krankenhaus beschäftigten Augenarzt verwiesen. Der dem Berufungsgericht vorliegende (sehr kurze) Bericht sei daher nur von dem Augenarzt aufgrund der Verweisung an ihn verfasst worden. Die Abwicklung in türkischen Krankenhäusern sei eine andere als in Deutschland, was auch anhand des Berichts sehr deutlich werde, deshalb komme dem Bericht als solchem kein großer Inhaltsgehalt hinsichtlich der Umstände zu, die zu der Operation und Diagnose geführt hätten. Insoweit sei daher auf den Zeugenbeweis abzustellen. Auf dieser Basis sei auch ggfls ein Sachverständigengutachten einzuholen hinsichtlich der Ursächlichkeit zwischen dem von der Klägerin vorgetragen Sturz und der plötzlichen Seheinschränkung.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 31. März 2023 und den Bescheid der Beklagten vom 9. Mai 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. September 2019 aufzuheben und
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Kosten für die selbstbeschaffte Augenoperation in Höhe von 1.552,50 Euro (10.172,10 TL) zu erstatten,
hilfsweise den Betrag zu erstatten, der bei einer der gesetzlichen Krankversicherung entsprechender Behandlung zu erstatten gewesen wäre.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Entgegen der Auffassung der Klägerin lägen die Voraussetzungen des Artikel 12 Abs 1 b) DTSVA nicht vor. Die Klägerin verkenne, dass kein akuter Behandlungsbedarf eingetreten sei, der die sofortige Durchführung einer Kataraktoperation erforderlich gemacht habe. Der von der Klägerin angebotene Zeugenbeweis zur Darlegung des akuten Behandlungsbedarfs sei ungeeignet. Der Zeuge habe keine medizinischen Kenntnisse. Er könnte lediglich über den Ablauf und die Geschehnisse vor Ort berichten. Dieses sei jedoch bei der Beurteilung des akuten Behandlungsbedarfs nicht maßgeblich. Die Erforderlichkeit einer Kataraktoperation sei aus medizinischer Sicht zu beurteilen. Aus den von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Unterlagen aus der Türkei gehe ein akuter Behandlungsbedarf nicht hervor. Die Operation sei ausweislich des Anamneseformulars aufgrund eines senilen Katarakts erfolgt. Es sei auch unerheblich, ob die Klägerin angesichts der von ihr geschilderten Drohungen des Notarztes keine andere Entscheidung habe treffen können. Für den Anspruch komme es nur darauf an, ob die Leistung tatsächlich sofort benötigt worden sei. Maßgeblich sei somit nur die Erforderlichkeit der Leistung und nicht die Entscheidungsfreiheit der Klägerin. Solche Umstände könnten nicht zulasten der Krankenkassen gehen. Hinzu komme, dass sich aus dem Anamneseformular nur eine Sehschwäche der Augen ergebe. Eine Sehschwäche sei jedoch nicht gleichzusetzen mit einer Erblindung. Anhaltspunkte für eine drohende Erblindung im Falle des Unterlassens einer Operation seien nicht ersichtlich. Entgegen der Auffassung der Klägerin komme es auch nicht auf das von ihr dargestellte Sturzereignis an. Eine unmittelbare Operation der Augen noch in der Türkei sei nicht indiziert gewesen. Auch wenn es eine plötzliche Verschlechterung gegeben hätte, führte dies nicht dazu, dass die Operation noch in der Türkei habe stattfinden müssen. Auch unter Berücksichtigung eines Sturzereignisses ergebe sich nichts Abweichendes. Bezeichnend sei, dass das vorgelegte Anamneseformular das Sturzereignis nicht einmal erwähne. Es bleibe dabei, dass eine Katarakt Operation keine Notfallbehandlung sei. Grauer Star führe zu einem schleichenden Sehverlust, weshalb eine Verschlechterung innerhalb von wenigen Tagen ausgeschlossen werden könne. Katarakt Operationen seien planbar, da sie mit einem schleichenden Prozess einhergingen. Es sei der Klägerin daher zumutbar gewesen, die Operation bis zu ihrer Rückkehr nach Deutschland abzuwarten. Die bloße medizinische Notwendigkeit mache die Sache nicht zum Notfall.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte Bezug genommen. Diese haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden.
Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom19. April 2023 und 5. Dezember 2023 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte über den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten schriftsätzlich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Die gemäß § 143 f SGG form- und fristgerecht erhobene Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG Hannover ist zulässig, aber nicht begründet.
Das SG hat die richtigen Rechtsgrundlagen herangezogen und ist zu dem zutreffenden Ergebnis gekommen, dass ein Anspruch gegen die Beklagte auf die Erstattung von 1552,50 Euro für die selbstbeschaffte Augenoperation und das Einsetzen von bilateralen, multifokalen, intraookulären Linsen in einer Privatklinik in der Türkei nicht besteht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen im Gerichtsbescheid des SG Bezug genommen.
Aus dem Berufungsbegründung ergibt sich keine andere Beurteilung.
Gemäß § 16 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V ruht der Anspruch auf Leistungen, solange Versicherte sich im Ausland aufhalten, und zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthalts erkranken, soweit in diesem Gesetzbuch nichts Abweichendes bestimmt sei. Darüber hinaus kann sich der Anspruch aus zwischenstaatlichem Recht ergeben (§ 6 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – SGB IV-).
Ein Leistungsanspruch der Klägerin kommt vorliegend ausschließlich nach Artikel 12 Abs 1 b) iVm Artikel 4 DT-SVA in Betracht. Art 12 Abs 1 b) DT-SVA setzt voraus, dass eine Person wegen ihres Zustandes sofort Leistungen benötigt. Ein Notfall liegt dann vor, wenn ein unmittelbar auftretender Behandlungsbedarf aus medizinischen Gründen sofort befriedigt werden muss, also Gefahr für Leib oder Leben besteht (Schifferdecker, Kasseler Kommentar, 122. EL, Stand September 2023, § 13 Rn 117). Eine Leistung ist unaufschiebbar, wenn die beantragte Leistung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Erbringung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubs mehr besteht, um vor der Beschaffung die Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten. Es darf aus medizinischen oder anderen Gründen nicht möglich oder zumutbar sein, vor der Beschaffung der Leistung die Krankenkasse einzuschalten (Schifferdecker, aaO, § 13 Rn 85 f mwN).
Abgesehen davon, dass der Einsatz der og genannten Linsen nach den Ausführungen der Beklagten nicht vom Leistungsumfang der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) umfasst ist und die Klägerin sich als Privatpatientin in einer Privatklinik hat behandeln lassen, ergeben sich aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Leistung „sofort“ zu erbringen war. Es ist weder ersichtlich, dass es sich um eine Notfallbehandlung der Augen oder um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt haben könnte, zumal auch gleich beide Augen behandelt worden sind. Der typische Verlauf einer Alterserkrankung kann nicht als Notfall gesehen werden. Aus dem Anamneseformular des Krankenhauses I. –Abteilung für Augenkrankheiten -2 geht ein akuter Behandlungsbedarf gerade nicht hervor, sondern die Implantation der bilateralen, multifokalen, intraookulären Linsen erfolgte ausweislich des Anamneseformulars aufgrund eines „senilen Katerakts“ (ICD Code H25). Als Beschwerden wurde Sehschwäche an den rechten und linken Augen angegeben. Von einer Contusionsverletzung oder einem Notfalleingriff ist eindeutig nicht die Rede.
Sonstige medizinische Anhaltspunkte für eine Notfalleinlieferung am 18. April 2019 oder etwa Prellungen im Gesichtsbereich ergeben sich auch nicht aus den medizinischen Unterlagen. Dass und durch wen eine Notfallbehandlung stattgefunden haben könnte, ist zu keiner Zeit durch Vorlage ärztlicher Unterlagen belegt worden.
Gegen einen unaufschiebbaren Eingriff spricht auch der zeitliche Ablauf, wonach die Aufnahme (und Rechnungsstellung) am 18. April 2019 erfolgte, der Eingriff aber erst am 19. April stattfand.
Selbst wenn die Klägerin am 18. April 2019 mit Prellungen in das Krankenhaus eingeliefert worden wäre, ist nicht ersichtlich, weshalb sie sich vor der für den nächsten Tag geplanten Augenoperation nicht mit der Beklagten ins Benehmen gesetzt und eine Zustimmung eingeholt hat.
Schließlich sind auch Behandlungen in einer Privatklinik regelmäßig vom Leistungsumfang nicht erfasst (LSG Hessen, Urteil vom 7. November 2017 – L 8 KR 395/16).
Weitere Ermittlungen waren nicht durchzuführen. Von einer Beweisaufnahme kann dann abgesehen werde, wenn es auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, wenn sie als wahr unterstellt wird, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet ist, wenn die behauptete Tatsache oder ihr Fehlen bereits erwiesen ist oder wenn die Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist. Einer aufs Geratewohl oder ins Blaue hinein aufgestellten Tatsachenbehauptung braucht das Gericht jedoch nicht nachzugehen (BSG; Urteil vom 19. Oktober 2011 –B 13 R 33/11R Rn 24 ff).
Die Befragung des genannten Zeugen kam nicht in Betracht.
Selbst wenn als wahr unterstellt wird, dass die Klägerin am 18. April 2019 gestürzt und deshalb ins Krankenhaus, eine Privatklinik, eingeliefert worden ist, folgt daraus angesichts des eindeutigen Anamnesebefundes für die hier streitige Operation (seniler Katerakt, Sehschwäche auf beiden Augen) nichts. Die Beklagte hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der von der Klägerin angebotene Zeugenbeweis durch einen Nichtmediziner zur Darlegung eines akuten Behandlungsbedarfs der Augen, gegen den ohnehin der zeitliche Ablauf spricht, völlig ungeeignet ist.
Konkrete medizinische Anhaltspunkte für das Vorliegen der Augenoperation als Notfallbehandlung ergeben sich aus den vorliegenden Unterlagen aber gerade nicht. Zu Ermittlungen ins Blaue hinein ohne konkrete Anknüpfungspunkte ist der Senat nicht verpflichtet
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Es hat kein gesetzlicher Grund vorgelegen, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG).