L 11 KR 177/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 7 KR 2604/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 177/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Eine in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführte Protonentherapie, bei der die Patienten erst unmittelbar vor den Bestrahlungsterminen in das Krankenhaus kommen und nach kurzer Bestrahlungszeit die Behandlung für den betreffenden Tag beendet ist, so dass die Patienten den Rest des Tages frei gestalten können, ist weder eine vollstationäre noch eine teilstationäre Krankenhausbehandlung.
2. Bei der Protonen-Behandlung des Prostatakarzinoms handelt es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne des § 135 SGB V, die in der (ambulanten) vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden darf, wenn der G-BA eine positive Empfehlung nach Maßgabe des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V abgegeben hat. Eine solche Empfehlung des G-BA lag zum Zeitpunkt der Behandlung (2016) nicht vor.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 24.11.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Kostenerstattung für eine Prostatakrebsbehandlung mit Protonenbestrahlung im C1 M1 (R1).

Der 1947 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Bei bestehender chronisch lymphatischer Leukämie (ED 11/2011) wurde am 28.04.2015 bei einer Kernspintomographie der Verdacht eines Prostatakarzinoms geäußert. Der histologische Nachweis des - lokal begrenzten - Prostatakarzinoms erfolgte am 23.06.2015 (cT2b, cM0, GLEASON-Score 7a (3+4), PSA-Wert 9,65 ng/ml).

Nach telefonischer Kontaktaufnahme am 15.02.2016 beantragte der Kläger am 02.03.2016 schrift­lich die Genehmigung zur Durchführung einer Prostatakarzinombehandlung mit Protonenbestrahlung im R1 unter Vorlage eines Kostenvoranschlags vom 10.02.2016 über 22.300,00 €.  

Die Beklagte beauftragte sodann den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Begutachtung. B1 führte in seinem Gutachten vom 11.03.2016 aus, die medizinischen Voraussetzungen für die Leistung seien nicht erfüllt. Die Bewertung der Protonentherapie bei Prostatakarzinom sei vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) bis 2018 ausgesetzt worden. Daher handele es sich bei der Protonentherapie um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode. Eine lebensbedrohliche Erkrankung liege derzeit noch nicht vor. Vertragsärztliche Alternativen zur lokalen Therapie des Prostatakarzinoms seien bei kurativem Behandlungsansatz die Prostataektomie, die konventionelle perkutane Strahlentherapie am Linearbeschleuniger sowie die Brachytherapie. Zwar lägen bisher keine Langzeitstudien vor, jedoch sei nach bisheriger Datenlage davon auszugehen, dass eine adäquate medizinische Behandlung durch die Protonentherapie in der Behandlung des Prostatakarzinoms vorliege, der Benefit gegenüber der genannten Radiatio jedoch nicht belegt sei. Mit Bescheid vom 17.03.2016 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab, verwies diesen jedoch bzgl. seines Anliegens an das Universitätsklinikum H1.  

Hiergegen legte der Kläger am 14.04.2016 Widerspruch bei der Beklagten ein und trug zur Begründung vor, er habe sich wegen der möglichen Neben- und Auswirkungen auf seine Lebensqualität gegen die alternativen Behandlungen entschieden. Zudem legte er ein Schreiben des B2 vom 13.09.2016 vor.  

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine weitere Begutachtung durch den MDK. Im Gutachten vom 04.10.2016 führte B3 aus, die Voraussetzungen einer Kostenerstattung unter Beachtung der Sozialrechtsrechtsprechung und verfassungsgerichtlicher Vorgaben seien nicht erfüllt. Eine lebensbedrohliche, notstandsähnliche Situation liege nicht vor. Zudem stünden anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungen zur Verfügung. Auch liege bisher weder ein Wirksamkeitsnachweis noch eine Übersicht zum Nebenwirkungsspektrum anhand einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Fällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken für die beantragte Methode vor. Überlegenheit, medizinischer Nutzen und Wirtschaftlichkeit gegenüber dem beschriebenen Standard seien bisher nicht belegt. Es handele sich um eine experimentelle Therapie. Es sei nicht bekannt, ob und welche Nebenwirkungen durch Protonenbestrahlung eintreten könnten und ob die Teilchenbestrahlung einen Zusatznutzen gegenüber konventioneller Bestrahlung mit Elektronen/Photonen aufweise.

Der Kläger ließ die Protonenbestrahlung sodann im Zeitraum vom 15.11. bis 22.12.2016 durchführen und legte die „Rechnung Stationärer Aufenthalt“ des Chirurgischen Klinikums M1 Süd (Kooperation mit dem R1) vom 22.12.2016 über einen Betrag in Höhe von 22.300,00 € vor. Die Rechnung wurde hierbei unter Zugrundelegung der Fallpauschale FP200 (mehr als 80 % Dosis) erstellt. Zudem legte der Kläger die Rechnungen des Hotels W1 vom 29.11. und 23.12.2016 über 766,40 € bzw. 2.925,60 € für Übernachtungskosten im Zeitraum vom 23.11. bis 23.12.2016 vor.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 05.10.2018 zurück. Die gesetzlichen Krankenkassen dürften nur die Leistungen erbringen, die im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) aufgeführt seien. Unkonventionelle Methoden dürften nur erbracht werden, wenn der G-BA hierfür eine Empfehlung abgegeben habe oder die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vorlägen. Vorliegend handele es sich um eine unkonventionelle Methode, für die der G-BA noch keine Empfehlung abgegeben habe. Ein Anspruch nach § 2 Abs. 1a SGB V bestehe nicht, weil eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung stehe.

Am 09.11.2018 hat der Kläger gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 09.10.2018 zugestellten Widerspruchsbescheid Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben und zur Begründung u.a. ausgeführt, die benannten Behandlungsalternativen zur Protonentherapie wären aufgrund seiner gesundheitlichen Problematik letztlich alle kontraindiziert gewesen. Die Ausstellung einer Rechnung, welche ggfs. nicht der Gebührenordnung der Ärzte (GOÄ) entspreche, sei nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 08.09.2015 (B 1 KR 14/14 R) kein Ausschlussgrund für eine Kostenerstattung. Die Problematik mit der Rechnung habe er erst im Nachhinein erfahren. Man habe das nicht mehr ändern können, weil das R1 in Insolvenz gegangen sei. § 2 Abs. 1a SGB V sei auch im Kontext der Vorerkrankungen zu sehen. Der Kläger hat dem SG zudem den Behandlungsvertrag mit dem R1 vom 15.11.2016 (Bl. 224/225 SG-Akte) vorgelegt. 

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 a SGB V seien nicht erfüllt. Es habe keine notstandsähnliche Situation beim Kläger vorgelegen. Dies ergebe sich bereits aus dem Zeitablauf, da die hier strittige Protonentherapie im März 2016 beantragt, aber erst im November/Dezember 2016 durchgeführt worden sei. Eine stationäre oder teilstationäre Krankenhausbehandlung sei bereits nicht erforderlich gewesen, da die Protonentherapie grundsätzlich ambulant durchgeführt werde. Bei dem behandelnden Therapiezentrum handele sich nicht um ein Krankenhaus im Sinne von §§ 107, 108 SGB V. Darüber hinaus sei die Einrichtung auch nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Auch liege keine ordnungsgemäße Abrechnung vor. Dem Kläger seien alternative Versorgungsangebote auch für eine Protonentherapie seitens der Beklagten angeboten worden. Hinsichtlich der Erstattung der vorgelegten Hotelrechnungen würden diese von der Beklagten in Gänze nicht anerkannt. Aus Sicht der Beklagten fehle es bereits an einer Anspruchsgrundlage für eine Hotelunterkunft. Die Beklagte hat zudem die für das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg erstattete Stellungnahme des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 27.01.2020 vorgelegt.

Zur Aufklärung des Sachverhalts hat das SG die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. S1 hat in seiner am 20.05.2019 beim SG eingegangenen Stellungnahme (Bl. 49/54 SG-Akte) ausgeführt, leitliniengerecht wäre als Behandlungsmethode letztlich mit kurativem Therapieansatz und ohne Berücksichtigung der Komorbiditäten des Klägers eine radikale Prostatektomie mit adjuvanter Lymphadenektomie oder eine konventionelle Strahlentherapie gewesen. Nachdem patientenseitig unter Risikoabwägung die operative Sanierung des Befundes frühzeitig als obsolet eingestuft worden sei sowie massive Bedenken bei deutlichem Verwachsungsbauch und massiver Darmvorbelastung bestanden hätten, sei dem Kläger als strahlentherapeutische Alternative zur konventionellen Pendelfeldbestrahlung eine Protonenbestrahlung mit deutlich besserer Schonung des umliegenden Gewebes als mögliche Alternative mit kurativem Therapieansatz genannt worden. Unter Berücksichtigung der abdominal-chirurgischen Vorgeschichte sehe er die Indikation hierfür unabhängig von der Kostenübernahmesituation durch die individuelle Krankenkasse medizinisch begründet als durchweg gegeben an. S2, Klinik für Urologie F1, hat unter dem 17.05.2019 (Bl. 55/56 SG-Akte) dargelegt, bei dem Kläger habe ein organbegrenztes Prostatakarzinom vorgelegen. Aufgrund der vorliegenden Pathologie, des PSA-Wertes sowie des MR-Befundes vom 28.04.2015 hätten sie eine aktive Überwachung ausgeschlossen, der Kläger selbst habe eine operative Therapie abgelehnt, so dass ihm als dritte Option zu einer Strahlentherapie geraten worden sei. Die Protonentherapie habe sich zu keinem Zeitpunkt als überlegen gegenüber einer konventionellen Strahlentherapie erwiesen. Sie gelte heute nicht als medizinischer Standard in der Therapie des Prostatakarzinoms. N1, hat in seiner Stellungnahme vom 28.05.2019 (Bl. 57/61 SG-Akte) dargelegt, die S3-Leitlinie sehe weder für das lokal begrenzte noch für das lokal fortgeschrittene Prostatakarzinom einen regelhaften Einsatz der Protonentherapie außerhalb klinischer Studien vor. Es habe weder eine akut lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung bestanden. Es habe die Aussicht bestanden, den Krankheitsverlauf durch eine Protonenbestrahlung positiv zu beeinflussen. Der B2 hat unter dem 20.05.2019 (Bl. 62/65 SG-Akte) ausgeführt, die effektivste und mit Abstand nebenwirkungsärmste Bestrahlungsmethode unter Rücksichtnahme auf die Erkrankungen des Klägers sei die Protonenbestrahlungstherapie gewesen. Im seinem Schreiben vom 22.05.2019 (Bl. 66/76 SG-Akte) hat E1, dargelegt, die Leitlinien würden zur Behandlung des lokal begrenzten Hochrisiko-Prostatakarzinoms in erster Linie die Entfernung der Prostata und in zweiter Linie die perkutane Strahlentherapie mit adjuvanter Androgen-Deprivationstherapie empfehlen. Sie hätten dem Kläger die leitliniengemäßen Behandlungsoptionen empfohlen. Von einer Behandlung mittels Protonenbestrahlung sei ihm nichts bekannt. Diese Behandlung sei von ihm weder empfohlen noch veranlasst worden. Eine medizinische Notwendigkeit für eine Protonenbestrahlung habe nicht bestanden. R2, im R1, hat in seiner schriftlichen Zeugenaussage vom 06.06.2019 (Bl. 87/93 SG-Akte) dargelegt, bei dem Kläger habe ein zweifaches Tumorgeschehen bestanden. Das Tumorgeschehen der chronischen lymphatischen Leukämie sei ein systematisches Geschehen, während das Prostatakarzinom ein lokales Geschehen sei. Es bestehe in diesem Fall kein Zweifel, dass der Einsatz einer herkömmlichen Strahlentherapie mit einer niedrigen Endstrahlendosis gegenüber einer Protonentherapie als Neuentwicklung auf dem Sektor der Strahlentherapie mit einer Höchstdosierung und einer Heilungsrate von 98 % obsolet sei.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das SG ein urologisches Sachverständigengutachten nach Aktenlage bei S5 vom 06.09.2019 (Bl. 98/113 SG-Akte) eingeholt. Der Sachverständige hat in diesem ausgeführt, beim Kläger hätten folgende Gesundheitsstörungen vorgelegen: Prostatakarzinom, chronisch lymphatische Leukämie, Zustand nach (Z.n.) nekrotisierender Pankreatitis 1991, Z.n. Laparotomie bei Peritonitis nach Ruptur einer Pankreaspseudozyste im Juni 1991, Z.n. Re-Laparotomie bei erneuter Pseudozyste mit Choledochuskompression, dabei teilweise Duodenalresektion im August 1991, Z.n. Re-Laparotomie bei Dünndarmileus im November 1998, Diabetes mellitus, Spondylolyse und Spondylolisthesis L5/S1 bei Hyperlordose. Es habe sich um ein lokal begrenztes Prostatakarzinom einer höheren Risikogruppe gehandelt. Es habe daher keine Indikation für eine sog. Überwachungsstrategie vorgelegen. Als operative Behandlungsoption hätten die radikale Prostatektomie und die Strahlentherapie zur Verfügung gestanden. Da die radikale Prostatektomie vom Kläger, durchaus verständlicherweise aufgrund der multiplen und komplexen abdominellen Voroperationen, nicht gewünscht worden sei, sei als therapeutische leitliniengerechte Alternative die perkutane Strahlentherapie bzw. Brachytherapie geblieben. Die perkutane Strahlentherapie stelle eine primäre Therapieoption bei einem lokal begrenzten Prostatakarzinom aller Risikogruppen dar. Zusätzlich zur perkutanen Strahlentherapie solle bei hohem Risiko eine Hormontherapie empfohlen werden. Alternativ zur perkutanen Strahlentherapie könne auch bei lokal begrenztem Prostatakarzinom die HDR-Brachytherapie als primäre Therapieoption angewendet werden. Somit hätten im konkreten Fall des Klägers die radikale Prostatektomie, die perkutane Strahlentherapie und die HDR-Brachytherapie als therapeutische Optionen mit kurativem Ansatz zur Verfügung gestanden. Gemäß der Interdisziplinären Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms, Version 2.0 - erste Aktualisierung 2011, die für den hier vorliegenden Behandlungszeitraum als gültig anzusehen sei, sei ein Vorteil der Protonentherapie im Vergleich zur konventionellen Strahlentherapie bei Patienten mit lokal begrenztem Prostatakarzinom nicht belegt. Auch die aktuelle Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms, Version 5.0 - April 2018 sehe weiterhin keinen Hinweis auf einen patientenrelevanten Vorteil der Protonentherapie. Es sei bisher weder ein onkologischer noch ein Morbiditätsvorteil für die Protonentherapie belegt und es seien weiterhin kontrollierte und randomisierte Studien zur Evaluierung des Stellenwerts der Protonentherapie notwendig. Aufgrund der vorliegenden Studien habe durch die Behandlung mittels Protonenbestrahlung eine gute Aussicht auf Heilung oder einen spürbar positiven Effekt auf den Krankheitsverlauf bestanden.

Aufgrund des Wunsches des Klägers, die ambulante Untersuchung bei S5 nachzuholen, hat das SG eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme von S5 veranlasst. Dieser hat unter 02.12.2019 dargelegt (Bl. 117/118 SG-Akte), die im Gutachten aufgeführten Gesundheitsstörungen würden die bis zum Beginn der Protonentherapie im November 2016 bekannten Diagnosen anhand der ausführlichen Aktenlage beschreiben. Nach Abschluss der Protonentherapie lägen keine Untersuchungsbefunde mehr vor. Möglicherweise neu aufgetretene Erkrankungen bei dem Kläger seien im Gutachten somit nicht enthalten, würden die Beurteilung der Situation vor Beginn der Protonentherapie jedoch ohnehin nicht verändern.

Auf Veranlassung des SG hat S5 eine weitere ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 10.03.2020 zur umfangreichen Stellungnahme des Klägers, eingereicht am 29.01.2020, vorgelegt. Darin hat der Gutachter ausgeführt, es habe weiterhin die leitliniengerechte Therapieoption der perkutanen Strahlentherapie in IMRT-Technik bestanden. Generell sei sicherlich die Protonentherapie als eine effiziente Methode der Bestrahlung einzustufen. Die Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie sehe bestimmte gesicherte Indikationen für eine Protonentherapie. Bei allen anderen als diesen Indikationen bewerte die Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie in Übereinstimmung mit internationalen Fachgesellschaften die Datenlage derzeit nicht als ausreichend, um zu entscheiden, ob sich die physikalischen Vorteile der Protonentherapie, insbesondere die bessere Schonung von Normalgewebe, in solch große klinische Vorteile übersetzen ließen, dass Mehraufwand und Mehrkosten gegenüber einer modernen Hochpräzisionsprotonentherapie gerechtfertigt seien. Dies werde auch in der aktualisierten Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie von 2019 so gesehen. Alle weiteren Indikationen sollten nach wie vor in prospektiven Studien evaluiert werden, hierzu zähle auch die Protonentherapie des Prostatakarzinoms. Zusammenfassend könne festgestellt werden, dass sich die Protonentherapie als technologisch und klinisch ausgereiftes Therapieverfahren der Strahlentherapie darstelle und dass bestimmte Indikationen bereits als gesichert für eine Protonentherapie angesehen würden. Bei vielen weiteren Tumoren, u.a. auch dem Prostatakarzinom des Klägers, sei die Datenlage derzeit immer noch nicht ausreichend, um mögliche Vorteile einer Protonentherapie gegenüber der Photonentherapie darzustellen. Zur Frage eines Kostenvergleichs der Strahlentherapie gegenüber der Protonentherapie wie auch der möglichen Strahlenbelastungen wäre gegebenenfalls noch ein strahlentherapeutisches Gutachten zu empfehlen.

Das SG hat sodann das Gutachten des T1, Z1, vom 06.07.2020 (Bl. 143/147 SG-Akte) veranlasst. Dieser hat ausgeführt, eine medizinische Notwendigkeit einer Protonenbestrahlung anstelle einer Photonenbestrahlung lasse sich im konkreten Fall anhand der Unterlagen nicht klar nachvollziehen. Eine zum damaligen Zeitpunkt leitliniengerechte Therapie mit Photonen hätte mutmaßlich durchgeführt werden können. Ob bei dem Kläger eine Situation vorliege, wie in der damaligen Leitlinie der Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) ausgeführt, nämlich, dass eine Photonentherapie nicht möglich sei, sondern nur die Protonentherapie die entsprechende Dosis erlaube, könne anhand der vorliegenden Unterlagen nicht eindeutig nachvollzogen werden. Es sei allerdings nicht ausgeschlossen, dass eine solche Situation vorgelegen habe. Das unbehandelte Prostatakarzinom im intermediären Risiko sei eine bei vielen Patienten progredient verlaufende Erkrankung mit Metastasierung und entsprechenden Komplikationen bis hin zum Tode. Hierbei werde allerdings über Zeiträume von mehreren Jahren gesprochen, wenn eine palliative Systemtherapie eingeleitet werde. Ergänzend hat Z1 unter dem 16.07.2020 dargelegt, welche weiteren Unterlagen er zur Präzisierung seines Gutachtens benötige. Das SG hat sodann zwei CDs von R2 beigezogen. Auf Anfrage des Gerichts hat Z1 in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 31.08.2021 (Bl. 158/169 SG-Akte) dargelegt, insbesondere in einem vorliegenden Dokument könne die Dosisverteilung am Dünndarm sehr gut abgeschätzt werden. Durch die Verwendung von Protonen könne hier eine sehr ausgeprägte Schonung, insbesondere im mittleren und Hochdosisbereich für den Dünndarm erzielt werden. Es sei davon auszugehen, dass dies mit einer Photonenbestrahlung nicht möglich gewesen wäre. Somit könne unter der Maßgabe, dass die Indikation zur Bestrahlung in dieser Region medizinisch indiziert gewesen sei, davon ausgegangen werden, dass aufgrund der Vorerkrankung des Klägers die Konstellation entsprechend DEGRO-Stellungnahme von 2015 „in kompliziert gelegene, kurativ behandelbare Tumoren bei dem die klinisch indizierte Strahlendosis mit vertretbarem Risiko nur mit Protonen, nicht aber mit Photonen affizierbar ist“ vorliege. Im konkreten Fall des Klägers erscheine die Durchführung der Strahlentherapie mit Protonen medizinisch notwendig.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 24.11.2021 abgewiesen. Ein Kostenerstattungsanspruch gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB V bestehe nicht. Bei der bei dem Kläger durchgeführten Protonenbestrahlung handele es sich nicht um die Standardtherapie auf der Grundlage der Interdisziplinären Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms. Vielmehr handele es sich um eine sogenannte neue Behandlungsmethode, die der Kläger auf privatärztlicher Grundlage habe durchführen lassen. Allerdings hätten bei dem Kläger multiple schwerwiegende Vorerkrankungen bestanden, die die Behandlung des Prostatakarzinoms wesentlich erschwert hätten. Deshalb habe Z1 in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme im konkreten Fall des Klägers die Durchführung der Strahlentherapie mit Protonen für medizinisch notwendig gehalten. Eine Kostenerstattung komme im Fall der hier angewandten neuen Behandlungsmethode jedoch nur unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a SGB V in Betracht. Hinsichtlich eines Vorliegens der engen Voraussetzungen für eine Kostenerstattung bei neuer Behandlungsmethode im Sinne des § 2 Abs. 1a SGB V bestünden jedoch Zweifel. Letztlich komme es auf diese Frage jedoch nicht an. Denn ein Anspruch des Klägers auf Kostenerstattung sei nicht gegeben, weil die Rechnung des R1 nicht den Vorgaben der GOÄ entspreche. In der Rechnung werde ein Pauschalbetrag ohne Abrechnung konkreter GOÄ-Ziffern geltend gemacht. In diesem Fall sei die Vergütung gemäß § 12 Abs. 1 GOÄ nicht fällig mit der Folge, dass eine Kostenerstattung nicht geltend gemacht werden könne. Dass der Kläger keine Rechnung des R1 mehr erhalten könne, ändere hieran nichts. Es bestehe auch kein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3a SGB V, da die Genehmigungsfiktion nicht eingetreten sei.

Gegen das ihm am 20.12.2021 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.01.2022 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung ausgeführt, das BSG habe entschieden, dass ein Kostenerstattungsanspruch nicht an einer fehlenden rechtlich wirksamen Kostenbelastung durch die Selbstbeschaffung scheitern müsse, wenn der Leistungserbringer kein Arzt oder eine Mehrheit von Ärzten gewesen sei. Das R1, Betreibergesellschaft H2 AG, M1 habe eine Rechnung als Wirtschaftsunternehmen gestellt. Somit seien die Zahlungen fällig geworden und die gezahlten Beträge könnten auch erstattet werden.





Der Kläger beantragt (teilweise sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 24.11.2021 sowie den Bescheid vom 17.03.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm 25.992,00 € zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung hat sie auf die Ausführungen in der erstinstanzlichen Entscheidung verwiesen. Zudem hat sie den Aktenvermerk über das Telefongespräch mit dem Kläger am 15.02.2016 vorgelegt (Bl. 62 der Senatsakte).

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung erteilt (Bl. 65 und 68 der Senatsakte).

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg.

1. Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung,
über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung, da die vom Kläger begehrte Kostenerstattung für die Protonen-Behandlung den nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG maßgeblichen Beschwerdewert von 750,00 € übersteigt.

2. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 17.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.10.2018, mit welchen diese zunächst die Versorgung des Klägers bzw. sodann die Kostenerstattung der im Zeitraum vom 15.11.2016 bis 22.12.2016 durchgeführten Protonenbestrahlung des Prostatakarzinoms ablehnte.

3. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die zulässige Klage, die eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG; vgl. hierzu nur BSG 28.05.2019, B 1 KR 32/18 R, juris Rn. 7; 13.12.2016, B 1 KR 10/16 R, juris Rn. 9), im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 17.03.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.10.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der ihm entstandenen Kosten für die Protonenbestrahlung des Prostatakarzinoms, da diese vom Leistungskatalog der GKV nicht umfasst ist (unter a). Ein Anspruch ergibt sich darüber hinaus auch nicht aus § 2 Abs. 1a SGB V (unter b).

a) Als Anspruchsgrundlage kommt vorliegend allein § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V in Betracht. Danach sind von der Krankenkasse Kosten einer selbstbeschafften Leistung zu erstatten, wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch Kosten entstanden sind, soweit die Leistung notwendig war.

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger eine Protonentherapie im R1 zu gewähren. Deshalb kann er auch nicht beanspruchen, dass ihm die Kosten, die durch die selbstbeschaffte Leistung entstanden sind, von der Beklagten erstattet werden. Da der Anspruch auf Kostenerstattung nicht weiterreicht als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch, setzt der Kostenerstattungsanspruch nach der Rechtsprechung des BSG voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG 28.02.2008, B 1 KR 16/07 R, juris Rn. 13, BSG 07.05.2013, B 1 KR 44/12 R, juris Rn. 11).

Zwar hat der Kläger wegen seines Prostatakarzinoms gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf die insoweit notwendige Krankenbehandlung, die neben der ambulanten ärztlichen Versorgung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V auch die Krankenhausbehandlung umfasst. Vorliegend sind für die Protonentherapie jedoch weder die Voraussetzungen eines Krankenhausbehandlungsanspruchs noch eines ambulanten Versorgungsanspruchs erfüllt.

(1) Auch wenn nach § 39 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 137c Abs. 3 SGB V Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der G-BA bisher keine Entscheidung getroffen hat, im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt und von den Versicherten beansprucht werden können, wenn sie das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist, scheitert ein etwaiger Anspruch des Klägers mangels Vorliegen einer stationären, teilstationären oder ambulanten Krankenhausbehandlung.

Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst die Krankenhausbehandlung die vollstationäre, teilstationäre, vor- und nachstationäre (§ 115a SGB V) sowie die ambulante (§ 115b SGB V) Krankenhausbehandlung. Allein aufgrund der Zulassung des betreffenden Krankenhauses kann indessen nur die stationäre Behandlung (voll- und teilstationär, vor- und nachstationär) zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erbracht werden. Ambulante Krankenhausbehandlung kommt nach geltender Rechtlage neben dem ausdrücklich genannten Fall des ambulanten Operierens (§ 115b SGB V) in den weiteren gesetzlich aufgeführten Fällen in Betracht, nämlich in medizinischen Versorgungszentren (§ 95 Abs. 1 SGB V), durch ermächtigte Krankenhausärzte (§ 116 SGB V), bei vertragsärztlicher Unterversorgung (§ 116a SGB V), bei der spezialfachärztlichen Versorgung (§ 116b SGB V), durch Hochschulambulanzen (§ 117 SGB V) sowie im Rahmen der integrierten Versorgung (§ 140a ff. SGB V).

Die Protonentherapie des Klägers ist zunächst nicht vollstationär erfolgt. Denn eine solche setzt die physische und organisatorische Eingliederung des Patienten in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses voraus und ist in der Regel dann gegeben, wenn sich die Versorgung des Patienten nach dem Behandlungsplan zeitlich mindestens über einen Tag und eine Nacht erstreckt (BSG 28.02.2007, B 3 KR 17/06 R, juris; 04.03.2004, B 3 KR 4/03 R, BSGE 92, 223). Eine vollstationäre Versorgung lag vorliegend nicht vor. Dies ergibt sich bereits aus den vom Kläger vorgelegten Rechnungen des H3 M1 W2 für den Behandlungszeitraum vom 15.11. bis 22.12.2016.

Auch eine teilstationäre Behandlung des Klägers fand nicht statt. Die als „stationärer Aufenthalt“ deklarierte Rechnung vom 22.12.2016 stammt zwar vom Chirurgischen Klinikum M1 S4, einem - im Gegensatz zum R1 - nach § 108 Nr. 2 SGB V zugelassenen Krankenhaus. Der Kläger wurde von dieser Klinik aber nicht (teil-)stationär aufgenommen. Eine teilstationäre Behandlung unterscheidet sich von der vollstationären und ambulanten Krankenhausbehandlung im Wesentlichen durch eine regelmäßige, aber nicht durchgehende Anwesenheit des Patienten im Krankenhaus. Dessen medizinisch-organisatorische Infrastruktur wird gebraucht, ohne dass eine ununterbrochene Anwesenheit des Patienten nötig ist. Üblicherweise wird die teilstationäre Behandlung durch eine zeitliche Beschränkung auf den Tag (Tagesklinik) oder die Nacht (Nachtklinik) gekennzeichnet. Ihre Hauptanwendungsbereiche sind die psychiatrische Behandlung, die Versorgung von Dialysepatienten sowie die Behandlung krankhafter Schlafstörungen (BSG 28.02.2007 und 04.03.2004 a.a.O.). Diesen Erfordernissen entspricht die vom R1 durchgeführte Protonentherapie nicht. So kommen die Patienten erst unmittelbar vor den Bestrahlungsterminen in das Zentrum, wo ihnen ein Behandlungsraum zugewiesen wird. Nach kurzer Bestrahlungszeit ist die Behandlung für den betreffenden Tag beendet und die Patienten können den Rest des Tages frei gestalten (LSG Sachsen-Anhalt 16.10.2014, L 6 KR 108/12, juris Rn. 30; Bayerisches LSG 07.11.2019, L 20 KR 373/18, juris Rn. 86). Der Kläger hat daher im Rahmen seiner Protonenbehandlung im R1 die medizinisch-organisatorische Infrastruktur der Chirurgischen Klinik nicht in Anspruch genommen und ist im R1 in klassischer Form ambulant behandelt worden.

Die Voraussetzungen einer ambulanten Krankenhausbehandlung sind vorliegend jedoch ebenso nicht erfüllt. Nach dem - hier allein in Betracht kommenden - § 116b Abs. 2 Satz 1 SGB V in der vom 01.01. bis 31.12.2016 geltenden Fassung war ein an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Leistungserbringer oder ein nach § 108 SGB V zugelassenes Krankenhaus zur ambulanten Behandlung der nach Abs. 1 genannten hochspezialisierten Leistungen, seltenen Erkrankungen und Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen berechtigt. Dies war jedenfalls bezogen auf das R1 - unstreitig - nicht der Fall.

(2) Die Beklagte war gegenüber dem Kläger auch nicht zur Gewährung einer Protonentherapie als ambulante vertragsärztliche Leistung verpflichtet.

Für den ambulanten Bereich ist insoweit das in § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V festgelegte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zu beachten. Danach dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zulasten der Krankenkasse nur erbracht werden und gehören auch nur dann zu den den Versicherten von der Krankenkasse geschuldeten Leistungen, wenn der G-BA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinischer Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgegeben hat (st. Rspr., z.B. BSG, 03.07.2012, B 1 KR 6/11 R, juris Rn. 16; BSG 07.05.2013, B 1 KR 44/12 R, juris Rn.13). Die entsprechende Richtlinie ist seit 01.04.2006 die Richtlinie des G-BA zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung (Methoden-Richtlinie), zuvor die Richtlinien zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BUB-Richtlinien). An die Entscheidungen des G-BA sind Krankenkassen und Gerichte gebunden (BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/05 R, juris Rn. 22). Ohne befürwortende Entscheidung des G-BA kommt eine Leistungspflicht der Krankenkassen nicht in Betracht. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte usw.) neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zulasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (BSG 03.07.2012, B 1 KR 6/11 R, juris Rn. 16; BSG 07.05.2013, B 1 KR 44/12 R, juris Rn. 13). Eine Untersuchungs- und Behandlungsmethode in diesem Sinne ist die auf einem theoretisch-wissenschaftlichen Konzept beruhende systematische Vorgehensweise der Untersuchung und Behandlung einer Krankheit (BSG 08.07.2015, B 3 KR 6/14 R, juris Rn. 20). Neu in diesem Sinne ist eine ärztliche Untersuchungs- und Behandlungsmethode dann, wenn sie zum Zeitpunkt der Behandlung nicht als abrechnungsfähige Leistung im EBM aufgeführt wird und somit nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung ist (vgl. BSG 07.05.2013, B 1 KR 44/12 R, juris Rn. 15, m.w.N.).

Das SG hat in seinem Urteil bereits zutreffend dargelegt, dass es sich bei der Protonen-Behandlung des Prostatakarzinoms um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne des § 135 SGB V handelt, die in der (ambulanten) vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden darf, wenn der G-BA eine positive Empfehlung nach Maßgabe des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V abgegeben hat, und dass eine solche Empfehlung des G-BA zum Zeitpunkt der Behandlung nicht vorlag (und auch bis heute nicht vorliegt). Der G‑BA hat mit Beschluss vom 19.06.2008 das Bewertungsverfahren zur Protonentherapie beim Prostatakarzinom bis zum 31.12.2018 im Hinblick auf geplante Studien lediglich ausgesetzt. Mit Beschluss vom 20.09.2018 wurde die Aussetzung bis zum 31.12.2021 im Hinblick auf laufende Studien verlängert. Am 23.06.2021 hat der G-BA das ausgesetzte Bewertungsverfahren nach § 137c SGB V eingestellt.

Ein Ausnahmefall, in dem es keiner Empfehlung des G-BA bedarf, liegt nicht vor. Um einen sogenannten Seltenheitsfall, in dem sich eine Krankheit und ihre Behandlung einer systematischen Erforschung entzieht (z.B. BSG 08.07.2015, B 3 KR 6/14 R, juris Rn. 18), handelt es sich vorliegend nicht. Dies entnimmt der Senat der aktuellen Interdisziplinären Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms (Version 6.2. aus Oktober 2021), wonach das Prostatakarzinom beim Mann der häufigste bösartige Tumor ist (Kapitel 3.1. Epidemiologie). Im Jahr 2016 erkrankten allein in Deutschland 58.780 Männer neu an diesem Tumor. Ein Seltenheitsfall liegt daher nicht vor.

b) Der Kläger kann sich auch nicht auf § 2 Abs. 1a SGB V berufen.

§ 2 Abs. 1a SGB V, eingefügt durch Art. 1 Nr. 1 GKV-VStG vom 22.12.2011 (BGBl. I, S. 2983) mit Wirkung vom 01.01.2012, setzt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/98, juris Rn. 47 ff.) und die diese Rechtsprechung konkretisierenden Entscheidungen des BSG zur Leistungspflicht der GKV für neue Behandlungsmethoden, die Untersuchungsmethoden einschließen würden, in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung um. Erforderlich ist das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Krankheit, das Fehlen einer anwendbaren Standardtherapie und das Bestehen von mehr als bloß ganz entfernt liegenden Aussichten auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die streitige Therapie (z.B. BSG 17.12.2019, B 1 KR 18/19 R, juris Rn. 14; BSG 07.05.2013, B 1 KR 26/12 R, juris Rn. 15). Nach dem Beschluss des BVerfG vom 26.02.2013 (1 BvR 2045/12, juris Rn. 15) bedarf es einer besonderen Rechtfertigung vor Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip, wenn den der Versicherungspflicht unterworfenen Versicherten Leistungen für die Behandlung einer Krankheit und insbesondere einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung durch gesetzliche Bestimmungen oder durch deren fachgerichtlichen Auslegung oder Anwendung vorenthalten werden. Die Frage, ob eine alternative Behandlungsmethode von der GKV zu finanzieren ist, darf nicht losgelöst davon betrachtet werden, was die anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung zu leisten vermag und was die alternative Behandlung zu leisten vorgibt. Zur Beantwortung der Frage, ob eine Behandlung mit Mitteln der Schulmedizin in Betracht kommt und inwieweit Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen, ist zunächst das konkrete Behandlungsziel zu klären. Bietet die Schulmedizin nur palliative Behandlungsmöglichkeiten an, weil sie jede Möglichkeit einer kurativen Behandlung als aussichtslos betrachtet, kommt ein Anspruch auf eine alternative Behandlungsmethode allerdings nur dann in Betracht, wenn eine auf Indizien gestützte Aussicht auf einen über die palliative Standardtherapie hinausreichenden Erfolg besteht. Versicherte dürfen nicht auf eine nur die Linderung von Krankheitsbeschwerden zielende Standardtherapie verwiesen werden, wenn durch eine Alternativbehandlung eine nicht ganz entfernte Aussicht auf Heilung besteht. Rein experimentelle Behandlungsmethoden, die nicht durch hinreichende Indizien gestützt werden können, reichen allerdings nicht aus.

Vorliegend lag zum Zeitpunkt der Durchführung der hier streitigen Protonenbestrahlung eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung im Sinne des § 2 Abs. 1a SGB V nicht vor. Zur Erfüllung dieser Voraussetzung ist es nicht ausreichend, dass die Erkrankung unbehandelt zum Tode führt, weil dies auf nahezu jede schwere Erkrankung ohne therapeutische Einwirkung zutrifft. Gerechtfertigt ist eine Erweiterung des Leistungskatalogs der GKV vielmehr nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird (BSG 15.12.2015, B 1 KR 30/15 R, juris Rn. 59; 17.12.2013, B 1 KR 70/12 R, juris Rn. 29; 28.02.2008, B 1 KR 16/07 R, juris Rn. 34; 14.12.2006, B 1 KR 12/06 R, juris Rn. 20; vgl. BVerfG, 10.11.2015, 1 BvR 2056/12, juris Rn. 18). Nicht bei jeder Krebserkrankung liegt eine notstandsähnliche Situation vor, die eine Erweiterung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt. Eine lebensbedrohliche Erkrankung wurde bejaht bei Krebserkrankungen in fortgeschrittenen Stadien, insbesondere mit Fernmetastasen (BSG 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R, juris Rn. 30 [Dickdarmkarzinom im Stadium III]; LSG Niedersachsen-Bremen 18.12.2014, L 1 KR 21/13, juris Rn. 55 [Krebs bei unbekanntem Primärtumor mit fortschreitender Metastasierung]; Bayerisches LSG 24.02.2015, L 5 KR 343/13, juris Rn. 37 [rezidivierendes Glioblastom]; LSG Saarland 21.10.2015, L 2 KR 189/14, juris Rn. 37 [fortgeschrittenes Prostatakarzinom mit Fernmetastasen (Stadium IV)]; LSG Baden-Württemberg 24.01.2017, L 11 KR 2236/15, juris Rn. 41 [Ovarialkarzinom mit Fernmetastasen]; Sächsisches LSG 27.03.2018, L 9 KR 275/13, juris Rn. 36 [fortgeschrittenes Gallengangskarzinom]) sowie bei Krebserkrankungen mit kurzer Lebenserwartung (BSG 08.10.2019, B 1 KR 3/19 R, juris Rn. 25 f. [myelomonozytäre Leukämie mit Lebenserwartung von 9 bis 15 Monaten bei Standardbehandlung]). Eine lebensbedrohliche Erkrankung wurde dagegen verneint bei Krebserkrankungen im Anfangsstadium (BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/05 R, juris Rn. 36 [Prostatakarzinom im Anfangsstadium ohne Hinweis auf Metastasen]) oder bei Restrisiken nach einer Krebsbehandlung (LSG Baden-Württemberg 21.02.2017, L 11 KR 2090/16, juris Rn. 24 [Restrisiko nach Resektion des Dickdarms wegen Kolonkarzinoms]). Vorliegend ergab die Biopsie beim Kläger am 15.10.2015 ein lokal begrenztes, obstruktives Prostatakarzinom (cT2c) mit einem Gleason Score von 7a und einem PSA-Wert über 10,9 ng/ml ohne Hinweis auf regionale Lymphknotenmetastasen (cN0) oder Fernmetastasen (cM0), wie u.a. dem Befundbericht des E1 vom 02.11.2015 zu entnehmen ist. Es bestand damit ein intermediäres Rezidivrisiko (vgl. 4.2. der S3-Leitlinie) bzw. nach UICC (Union internationale contre le cancer) das Stadium II. Um eine akut lebensbedrohliche Erkrankung handelt es sich hierbei (noch) nicht, worauf der Sachverständige S5 in seinem Gutachten vom 06.09.2019 verweist. Auch Z1 verneint implizit das Vorliegen einer akut lebensbedrohlichen Erkrankung, in dem er ausführt, das unbehandelte Prostatakarzinom im intermediären Risiko sei eine bei vielen Patienten progredient verlaufende Erkrankung mit Metastasierung und entsprechenden Komplikationen bis hin zum Tode, hierbei werde allerdings über Zeiträume von mehreren Jahren gesprochen, wenn eine palliative Systemtherapie eingeleitet werde.

Mangels Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder hiermit vergleichbaren Erkrankung kommt es auf die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a SGB V nicht mehr an.

Ungeachtet dessen wird auf Folgendes hingewiesen:

Nach der Interdisziplinären Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms (Version 3.1, 2. Aktualisierung 10/2014) stand zum Zeitpunkt der Durchführung der streitgegenständlichen Behandlung als kurative Behandlungsoptionen des lokal begrenzten Prostatakarzinoms aller Risikogruppen neben der radikalen Prostataektomie u.a. die perkutane Strahlentherapie zur Verfügung. Die Einleitung dieser alternativen Therapie wurden vom Tumorboard der Universitätsklinik F1 vom 01.01.2015, Urologischen Gemeinschaftspraxis des Klinikums
F2 (Stellungnahme des E1 vom 22.05.2019, Bl. 66 ff. SG-Akte), des Westdeutschen Prostatazentrums K1 (Stellungnahme des N1 vom 28.05.2019, Bl. 57 ff. SG-Akte) und der Klinik für Urologie des Universitätsklinikums F1 (Stellungnahme des S2 vom 17.05.2019, Bl. 55 SG-Akte) empfohlen und entsprach auch nach den Ausführungen des Sachverständigen S5 einer leitliniengerechten alternativen Behandlungsoption.

Die vom Kläger angenommenen, höheren Risiken/Nebenwirkungen der konventionellen Strahlentherapie gegenüber der von ihm präferierten Protonentherapie sind nicht belegt. So weist S5 zu Recht darauf, dass diesbezüglich Langzeitergebnisse aus prospektiven und randomisierten Studien fehlen (Bl. 106 f. und Bl. 134 f. SG-Akte), somit weder ein onkologischer noch ein Morbiditätsvorteil nachgewiesen ist (Bl. 108 SG-Akte). Insbesondere ist unter 5.26 der genannten S3-Leitlinie festgehalten, dass ein Vorteil der Protonentherapie im Vergleich zur konventionellen Strahlentherapie (perkutane und/oder interstitielle Strahlentherapie) bei Patienten mit lokal begrenztem Prostatakarzinom nicht belegt ist (so auch unter 5.25 in der Version 4.0 der Leitlinie aus Dezember 2016). Seit 2018 enthält die S3-Leitlinie das evidenzbasierte Statement, dass kein Hinweis auf einen Patienten-relevanten Vorteil der Protonentherapie im Vergleich zur hochkonformalen Photonentherapie (IMRT) bei Patienten mit lokal begrenztem Prostatakarzinom besteht.

Allein der Verweis auf eine ggfs. schonendere Wirkung der - nach Aussage des Z1 noch nicht einmal leitliniengerecht durchgeführten (vgl. Seite 3 seines Gutachtens) - Protonentherapie lässt - auch vor dem Hintergrund der Komorbidität des Klägers - das Vorhandensein einer wirksamen Standardtherapie nicht entfallen. Darüber hinaus wurden dem Kläger im Rahmen alternativer Versorgungsangebote sogar eine Protonentherapie im Universitätsklinikum H1 angeboten, vgl. Bescheid vom 17.03.2016.

Dass die anderen Behandlungsmethoden aus Sicht des Klägers eventuell nicht optimal sein könnten, bleibt ohne Belang (Senatsurteil 18.02.2014, L 11 KR 1499/13, juris Rn. 34). Denn die gesetzlichen Krankenkassen sind von Verfassungs wegen nicht gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit überhaupt verfügbar ist. Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zunächst auf ihren diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie auf ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu prüfen, um die Anwendung dieser Methoden zu Lasten der Krankenkasse auf eine fachlich-medizinisch zuverlässige Grundlage zu stellen (BSG 11.05.2017, B 3 KR 17/16 R, juris; Sächsisches LSG 13.03.2018, L 9 KR 253/13, juris Rn. 45; Bayerisches LSG 07.11.2019, L 20 KR 373/18, juris Rn. 141).

c) Scheitert eine Kostenerstattung damit schon aus den vorgenannten Gründen, kann dahinstehen, ob ein solcher Anspruch darüber hinaus auch wegen der nicht den Anforderungen der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) genügenden Rechnung vom 22.12.2016 ausscheidet bzw. diese noch nachträglich spezifiziert werden könnte (vgl. § 12 GOÄ sowie BSG 08.09.2015, B 1 KR 14/14 R, juris; BSG 11.07.2017, B 1 KR 1/17 R; 02.09.2014, B 1 KR 11/13 R; Bundesgerichtshof 23.03.2006, III ZR 223/05, Bayerisches LSG 07.11.2019, L 20 KR 373/18, juris).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.


 

Rechtskraft
Aus
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