Referenzzeitraum für die Berechnung des Krankengelds nach §§ 44, 47 SGB V bei freiwillig versicherten hauptberuflich Selbstständigen ist das letzte vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgeschlossene Kalenderjahr (BSG 06.11.2008, B 1 KR 28/07 R, juris). Eine Änderung dieses Referenzeitraums ergibt sich nicht aufgrund der zum 01.01.2018 geschaffenen Neuregelung in § 240 Abs. 4a SGB V, welche nunmehr eine zweistufige Beitragsfestsetzung vorsieht, wonach in der zweiten Stufe nach Vorlage des jeweiligen Einkommensteuerbescheids eine rückwirkende endgültige Festsetzung auf Grundlage der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahmen für das jeweilige Kalenderjahr erfolgt.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 09.01.2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe eines Anspruchs auf Krankengeld in den Zeiträumen vom 29.10.2020 bis 03.11.2020, vom 13.11.2020 bis 23.11.2020, vom 25.11.2020 bis 07.09.2021 und vom 29.09.2021 bis 01.10.2021 streitig.
Der 1980 geborene Kläger ist als hauptberuflich selbstständig Erwerbstätiger bei der Beklagten freiwillig krankenversichert. Aufgrund einer Wahlerklärung des Klägers umfasst die Versicherung auch einen Anspruch auf Krankengeld - für den 15. bis 42. Tag der Arbeitsunfähigkeit in Höhe des Wahltarifs T 61, ab dem 43. Tag in gesetzlicher Höhe.
Aufgrund eines Antrags des Klägers auf Beitragsentlastung setzte die Beklagte mit Bescheid vom 12.03.2020 die vom Kläger zu zahlenden Beiträge zur Krankenversicherung ab dem 01.04.2020 vorläufig in Höhe von 164,56 € monatlich fest. Dabei berücksichtigte sie beitragspflichtige Einnahmen in Höhe von 1.061,67 € entsprechend der Mindestbemessungsgrundlage. Nach Vorlage des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2019 vom 17.09.2020 (Einkünfte aus Gewerbebetrieb 19.786 €) hob die Beklagte mit Bescheid vom 15.10.2020 die vom Kläger zu zahlenden Beiträge zur Krankenversicherung ab dem 01.10.2020 vorläufig auf 255,57 € monatlich unter Zugrundlegung monatlicher beitragspflichtiger Einnahmen in Höhe von 1.648,83 € an.
Am 15.10.2020 erkrankte der Kläger arbeitsunfähig. Mit Bescheiden vom 28.01.2021 setzte die Beklagte das dem Kläger täglich zustehende Krankengeld ab dem 29.10.2020 bis längstens zum 25.11.2020 auf 24,00 € brutto bzw. 21,27 € netto, ab dem 26.11.2020 auf 38,47 € brutto bzw. 34,19 € netto fest. Zudem stellte sie mit Bescheiden vom selben Tag das Ruhen des Anspruchs des Klägers auf Krankengeld in den Zeiträumen vom 04.11. bis 12.11.2020 (mangels rechtzeitiger Meldung der Arbeitsunfähigkeit) und am 24.11.2020 (mangels rechtzeitiger ärztlicher Feststellung der Arbeitsunfähigkeit) fest. Vom 08.09. bis 28.09.2021 absolvierte der Kläger eine ambulante Rehabilitation und bezog für diese Zeit vom Rentenversicherungsträger Übergangsgeld. Anschließend zahlte ihm die Beklagte erneut im Zeitraum vom 29.09. bis 01.10.2021 Krankengeld.
Mit Bescheid vom 01.12.2021 setzte die Beklagte die Beiträge des Klägers zur Krankenversicherung für das Jahr 2020 endgültig in Höhe von 749,38 € monatlich fest unter Berücksichtigung monatlicher beitragspflichtige Einnahmen in Höhe von 4.654,50 € auf Basis des Einkommensteuerbescheids für 2020 vom 12.11.2021 (Einkünfte aus Gewerbebetrieb 44.062 €).
Mit einem undatierten Schreiben forderte der Kläger von der Beklagten daraufhin eine neue Berechnung seines Krankengeldes und machte geltend, das Krankengeld müsse ebenso wie die Beiträge auf Grundlage des Steuerbescheids für 2020 festgesetzt werden.
Mit Bescheid vom 10.12.2021 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab und führte zur Begründung aus, das Krankengeld betrage bei Selbstständigen 70 % des regelmäßigen Arbeitseinkommens. Für die Berechnung sei das Einkommen heranzuziehen, aus dem vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit die Krankenkassenbeiträge berechnet worden sei. Die Höhe des Krankengeldes sei für den aktuellen Krankengeldfall endgültig festzustellen. Zukünftige oder rückwirkende Krankengeldanpassungen aufgrund eines während der Krankengeldzahlung eingereichten neuen Steuerbescheides seien nicht vorzunehmen.
Hiergegen legte der Kläger am 23.12.2021 Widerspruch ein und machte geltend, die Beklagte habe seinen Überprüfungsantrag zu Unrecht abgelehnt. Die Regelung des § 47 Abs. 4 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), wonach es für die Höhe des Krankengeldes auf das Arbeitseinkommen ankomme, das vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung maßgebend gewesen sei, begründe lediglich eine gesetzliche Vermutung. Diese Vermutung könne widerlegt werden. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte das Krankengeld auf Basis des Einkommensteuerbescheids für 2019 berechnet. Vom Steuerjahr 2019 bis zum Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 15.10.2020 und erst recht bis zum Erlass der Bescheide vom 28.01.2021 sei indes viel Zeit verstrichen. Angesichts dessen hätte die Beklagte nicht mehr auf den - wenig aussagekräftigen - Steuerbescheid für 2019 abstellen dürfen, sondern sein tatsächliches Arbeitseinkommen ermitteln müssen. Wie der Einkommensteuerbescheid für 2020 zeige, sei sein Arbeitseinkommen im Jahr 2020 deutlich höher gewesen als im Jahr 2019. Würde einerseits das Krankengeld auf Basis des Steuerbescheids für 2019 berechnet, andererseits die Höhe der Beiträge auf Basis des Steuerbescheids für 2020, verstieße dies gegen das Gebot der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Vor diesem Hintergrund seien die Bescheide der Beklagten vom 28.01.2021 rechtswidrig und deshalb gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu korrigieren. Richtigerweise müsse ihm die Beklagte Krankengeld für die Zeit vom 29.10. bis 03.11.2020, 13.11. bis 23.11.2020, 25.11.2020 bis 07.09.2021 und vom 29.09. bis 01.10.2021 auf Grundlage eines Regelentgelts zahlen, das sich aus dem Einkommensteuerbescheid für 2020 ergebe.
Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12.10.2022 zurück. Weder bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 15.10.2020 noch bei Festsetzung des Krankengeldes am 28.01.2021 sei klar erkennbar gewesen, dass das Arbeitseinkommen, das der Beitragsberechnung zugrunde gelegen habe, nicht den tatsächlichen Verhältnissen vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit entsprochen habe. Die gesetzliche Vermutung sei nur dann widerlegt, wenn die Abweichung der vermuteten von der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten aufgrund konkreter Anhaltspunkte evident sei - insbesondere aufgrund eines neuen Steuerbescheids. Daran fehle es hier. Denn der Einkommensteuerbescheid für 2020, auf den sich der Kläger berufe, sei erst am 12.11.2021 ergangen, also sogar erst nach Ende des Anspruchs auf Krankengeld.
Hiergegen hat der Kläger am 10.11.2022 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen seinen Vortrag aus dem Vorverfahren wiederholt.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat zur Begründung auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 09.01.2023 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rücknahme oder Aufhebung der Bewilligungsbescheide vom 28.01.2021 nach § 44 SGB X. Denn diese Bescheide seien weder zum Zeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrig gewesen noch seien sie nachträglich rechtswidrig geworden. Ausgehend vom Sachverhalt bei Erlass der Bewilligungsbescheide vom 28.01.2021 sei die Höhe des festgesetzten Krankengeldes nicht zu beanstanden: Das Krankengeld betrage 70 % des erzielten regelmäßigen Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliege (§ 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Für Versicherte, die nicht Arbeitnehmer seien, gelte als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend gewesen sei (§ 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V). Allerdings ergebe sich aus dieser Regelung nur eine gesetzliche Vermutung zur Höhe des Regelentgelts, die im Einzelfall widerlegt werden könne. Um der Entgeltersatzfunktion des Krankengeldes gerecht zu werden, könne ausnahmsweise von der Vermutung abgewichen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der nach § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V anzunehmende Betrag erkennbar nicht der realen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspreche, weil sein tatsächliches Arbeitseinkommen wesentlich abweiche. Maßgeblich sei insoweit das Arbeitseinkommen im letzten Kalenderjahr vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit. Um indes die gesetzliche Vermutung zu widerlegen, müsse die Diskrepanz zwischen der Beitragsbemessungsgrundlage und dem tatsächlichen Arbeitseinkommen evident sein. Dies komme vor allem in Betracht, wenn die Beiträge zur Krankenversicherung nach der Mindestbemessungsgrundlage festgesetzt würden. In anderen Fällen dürfte eine Abweichung nur dann evident sein, wenn es für das maßgebliche Kalenderjahr bereits einen Einkommensteuerbescheid gebe; sonstige Unterlagen ließen diesen Schluss hingegen nicht zu: Arbeitseinkommen sei der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit (§ 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Anders als der Finanzverwaltung stehe der Krankenkasse kein Instrumentarium zur Verfügung, um den Gewinn eines Versicherten nach Maßgabe des Einkommensteuerrechts selbstständig festzustellen - selbst dann nicht, wenn ihr der Umsatz oder die Bruttoeinnahmen des Versicherten bekannt seien; denn hierbei handele es sich nicht um dessen Gewinn. Auch etwaige Gewinn- und Verlustrechnungen, die ein Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater aufgestellt habe, ließen keine abschließende Aussage zum Gewinn zu. So bleibe der Krankenkasse nur ein Rückgriff auf den Einkommensteuerbescheid. Im Ergebnis zu Recht sei die Beklagte bei der Berechnung des Krankengeldes davon ausgegangen, dass das monatliche Regelentgelt des Klägers 1.648,83 € betrage. Der Kläger - kein Arbeitnehmer - sei ab dem 15.10.2020 arbeitsunfähig gewesen. Seinerzeit habe für ihn der Beitragsbescheid vom 12.03.2020 gegolten, mit dem die Beklagte die vom Kläger zu zahlenden Krankenversicherungsbeiträge ab dem 01.04.2020 vorläufig festgesetzt hatte. Der Beitragsbescheid vom 15.10.2020 sei dem Kläger hingegen nicht „vor“ Beginn der Arbeitsunfähigkeit bekannt gegeben worden (wie dies § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V voraussetze), sondern erst danach. Bei der Beitragsbemessung im Bescheid vom 12.03.2020 habe die Beklagte beitragspflichtige Einnahmen in Höhe von 1.061,67 € pro Monat berücksichtigt. Hierbei handele es sich um die Mindestbemessungsgrundlage nach § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V. Allerdings hätten bereits bei Erlass der Bewilligungsbescheide vom 28.01.2021 konkrete Anhaltspunkte dafür bestanden, dass dieses - fingierte - Arbeitseinkommen offensichtlich nicht die wirtschaftliche Situation des Klägers im maßgeblichen Zeitraum wiedergegeben habe: Das letzte Kalenderjahr vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit sei hier das Jahr 2019 gewesen. Bei Erlass der Bescheide vom 28.01.2021 habe es für das Jahr 2019 bereits einen Steuerbescheid gegeben, nämlich vom 17.09.2020. Dieser Steuerbescheid habe gewerbliche Einkünfte des Klägers in Höhe von insgesamt 19.786,00 € ausgewiesen (= 1.648,83 € pro Monat). Vor diesem Hintergrund sei Ausgangspunkt für die Bemessung des Krankengeldes ein Regelentgelt in Höhe von 1.648,83 €. Bei einem Regelentgelt von 1.648,83 € habe das Krankengeld für die Zeit vom 29.10. bis 03.11.2020, 13.11. bis 23.11.2020 und 25.11.2020 täglich 24,00 € brutto sowie vom 26.11.2020 bis 07.09.2021 und 29.09. bis 01.10.2021 täglich 38,47 € brutto betragen. Vom 15. bis 42. Tag der Arbeitsunfähigkeit habe der Kläger einen Anspruch auf Krankengeld in Höhe des Wahltarifs T 61 gehabt. Bei einem Regelentgelt, das sich in einem Korridor von 1.500,01 € bis 2.000 € bewege (so wie hier), betrage der Anspruch 24,00 € pro Tag. Ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit habe sich die Höhe des Krankengeldes nach der Regelung des § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V gerichtet. Hieraus folge ein täglicher Betrag in Höhe von 38,47 € (70 % von 1.648,83 € geteilt durch 30 Tage). Die Bewilligungsbescheide vom 28.01.2021 seien nicht nachträglich rechtswidrig geworden. Werde ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung erst durch eine Änderung der Verhältnisse nach seinem Erlass rechtswidrig, richte sich dessen Aufhebung nicht nach § 44 SGB X, sondern nach § 48 SGB X: Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintrete, solle der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Behältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolge. Der Kläger gehe offenbar davon aus, der am 12.11.2021 - also nachträglich - ergangene Einkommensteuerbescheid für 2020 führe zu einer wesentlichen Änderung zu seinen Gunsten. Diese Annahme sei falsch: Wie erwähnt, komme es auf das Arbeitseinkommen im letzten Kalenderjahr vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit an. Das sei hier das Kalenderjahr 2019 gewesen. Hingegen sei das Arbeitseinkommen im Jahr 2020 für die Höhe des Krankengeldes unerheblich, also nicht „wesentlich“ im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X.
Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 11.01.2023 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 09.02.2023 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und ausgeführt, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sowie der Einschätzung des Gesetzgebers sei die Berechnung der Höhe des Krankengeldes anhand der zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit maßgeblich gewesenen Beitragsbemessungsgrundlage, § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V, als widerlegbare Vermutung zu verstehen. Somit sei die Höhe des Krankengeldes nicht zwingend anhand des letzten Steuerbescheides zu berechnen, sondern könne auch höher ausfallen. Ergäben sich Hinweise darauf, dass der zum Zeitpunkt des Beginnes der Arbeitsunfähigkeit vorliegende Steuerbescheid nicht dem tatsächlichen Einkommen des Versicherten entspreche, welches durch das Krankengeld ersetzt werden solle, so sei das tatsächliche Arbeitseinkommen des Versicherten zu ermitteln und die Höhe des Krankengeldes anhand dieses Einkommens festzulegen. Die Beklagte habe die Höhe des Krankengeldes des Klägers anhand des Steuerbescheides von 2019 berechnet. Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers sei aber erst im vierten Quartal des Jahres 2020 eingetreten, die Entscheidung über die Höhe des Krankengeldes sei sogar erst am 28.01.2021 erfolgt. Folglich hätten aufgrund der fortgeschrittenen Zeit genügend Anhaltpunkte bestanden, um das vor der Arbeitsunfähigkeit bestehende aktuell bestehende Einkommen zutreffender zu ermitteln. Die Änderung des § 240 SGB V bewirke gerade nicht, dass die Höhe des Krankengeldes zwingend anhand des letzten Steuerbescheides endgültig festzusetzen sei. Die Änderung führe vielmehr dazu, dass es nun noch wichtiger sei, sorgfältig zu prüfen, inwieweit der zur Ermittlung der Höhe des Krankengeldes zugrunde gelegte Steuerbescheid tatsächlich die Einkommenssituation des Versicherten widerspiegele. Bemesse man die Höhe des Krankengeldes, entgegen der Natur des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V als Regelvermutung, unabhängig von den tatsächlichen Einkommensverhältnissen des Versicherten ausschließlich anhand des letzten vorliegenden Steuerbescheides, drohe ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und es drohe eine Verzerrung der wirtschaftlichen Situation des Versicherten.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Karlsruhe vom 09.01.2023 und unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 10.12.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2022 sowie unter Abänderung der Krankengeldbescheide vom 28.01.2021 zu verurteilen, ihm Krankengeld für die Zeiträume vom 29.10.2020 bis 03.11.2020, vom 13.11.2020 bis 23.11.2020, vom 25.11.2020 bis 07.09.2021 und vom 29.09.2021 bis 01.10.2021 in gesetzlicher Höhe unter Zugrundelegung eines maßgeblichen Regelentgeltes auf der Grundlage des Steuerbescheides für 2020 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat zur Begründung auf ihr Vorbringen in der ersten Instanz und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids verwiesen.
Die Berichterstatterin hat in dem Verfahren am 11.07.2023 einen Erörterungstermin durchgeführt, in welchem sich die Beteiligten mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt haben.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet, ist zulässig. Sie ist gemäß § 143 SGG statthaft und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt. Die Berufung bedurfte gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG auch nicht der Zulassung, denn der Kläger begehrt höheres Krankengeld für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Überprüfungsbescheid der Beklagten vom 10.12.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme der Bescheide vom 28.01.2021, da ihm ein Anspruch auf höheres Krankengeld in den Zeiträumen vom 29.10.2020 bis 03.11.2020, vom 13.11.2020 bis 23.11.2020, vom 25.11.2020 bis 07.09.2021 und vom 29.09.2021 bis 01.10.2021 nicht zusteht.
Das SG hat in dem angefochtenen Gerichtsbescheid die rechtlichen Voraussetzungen eines Überprüfungsantrages nach § 44 SGB X sowie der Krankengeldberechnung gemäß § 47 SGB V dargelegt sowie zutreffend und fundiert ausgeführt, aus welchen rechtlichen Gründen eine rückwirkende Erhöhung des Krankengelds nicht in Betracht kommt. Der Senat sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).
Der Senat weist lediglich ergänzend auf Folgendes hin:
Gemäß § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V gilt als Regelentgelt für Versicherte, die nicht Arbeitnehmer sind, der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend war. Was unter Arbeitseinkommen im Sinne des § 47 SGB V zu verstehen ist, legt § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV fest. Danach ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit. Gemäß § 25 Abs. 1 EStG ist maßgeblicher Veranlagungszeitraum das Kalenderjahr. Referenzzeitraum sowohl für die Beitragsbemessung nach § 240 SGB V als auch für die Berechnung des Krankengelds nach §§ 44, 47 SGB V ist damit das letzte vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgeschlossene Kalenderjahr. Da der Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit aber erst nach Ablauf des Veranlagungs- bzw. Referenzzeitraums feststeht, kann er sowohl bei der Beitragsbemessung wie bei der Berechnung des Krankengelds i.d.R. nur zeitversetzt berücksichtigt werden (BSG 06.11.2008, B 1 KR 28/07 R, juris). Das Arbeitseinkommen im Referenzjahr ist in der Regel dem Einkommensteuerbescheid zu entnehmen, der der Beitragsfestsetzung zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit zu Grunde lag, es sei denn der Steuerbescheid betrifft einen Zeitraum, der so weit zurückliegt, dass er die aktuellen Einkommensverhältnisse nicht widerspiegelt (vgl. BSG 24.07.2009, B 1 KR 85/08 B, juris). Bei freiwillig versicherten hauptberuflich Selbstständigen ist das Krankengeld nach § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V nur im Sinne einer widerlegbaren Vermutung nach dem Regelentgelt zu berechnen, das dem Betrag entspricht, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Beiträge entrichtet worden sind. Die Vermutung kann widerlegt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dieses Einkommen erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspricht (BSG 06.11.2008, B 1 KR 28/07, juris). Die Vermutung des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V ist auch zugunsten des Versicherten widerlegbar, also der Nachweis höherer Einnahmen ist grundsätzlich möglich (LSG Nordrhein-Westfalen 28.09.2006, L 16 KR 195/05, juris; SG Koblenz 18.09.2019, S 11 KR 607/18, juris).
Das letzte vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgeschlossene Kalenderjahr war vorliegend das Jahr 2019. Da der Einkommensteuerbescheid 2019 zum Zeitpunkt der Krankengeldbewilligung bereits vorlag, konnte dieser von der Beklagten für die Ermittlung des Arbeitseinkommens des Klägers im Jahr 2019 herangezogen werden. Nach den obigen Ausführungen kommt es allein auf dieses Kalenderjahr als maßgeblichen Referenzzeitraum an, so dass schon aus diesem Grund die Ausführungen des Klägers an der Sache vorbeigehen. Für das hier maßgebliche Arbeitseinkommen im Jahr 2019 kann es auf die Festsetzungen im Einkommensteuerbescheid 2020 nie ankommen. Höheres Arbeitseinkommen im Jahr 2019 hat der Kläger damit nicht nachgewiesen, die Vermutung in § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V mithin nicht widerlegt.
Die Anbindung des Regelentgelts bei Selbstständigen über den Begriff des Arbeitseinkommens an das Einkommensteuerrecht nach § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V i.V.m. § 15 Abs. 1 SGB IV, die zu einer zeitversetzten Berücksichtigung der tatsächlichen Einnahmen führt, widerspricht nicht dem allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG und beruht auf dem Sachgrund der unterschiedlichen Einkunftsarten, dass sich das Regelentgelt der freiwillig versicherten Selbstständigen nach anderen Grundsätzen bestimmt als dasjenige der Arbeitnehmer (ständige Rechtsprechung vgl. z.B. BSG 06.11.2008, B 1 KR 28/07 R, juris).
Somit gelangt man vorliegend gar nicht zu der klägerseits aufgeworfenen Rechtsfrage, ob aufgrund der zum 01.01.2018 geschaffenen Neuregelung in § 240 Abs. 4a SGB V, welche nunmehr eine zweistufige Beitragsfestsetzung (zunächst vorläufige Festsetzung der nach dem Arbeitseinkommen zu bemessenden Beiträge auf der Grundlage des zuletzt erlassenen Einkommensteuerbescheides und nach Vorlage des jeweiligen Einkommensteuerbescheids rückwirkende endgültige Festsetzung auf Grundlage der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahmen für das jeweilige Kalenderjahr) vorsieht, auch eine rückwirkende Neufestsetzung des Krankengeldes in Betracht kommt (verneinend SG Frankfurt 03.07.2023, S 14 KR 160/21, juris; SG Frankfurt 21.07.2023, S 34 KR 1684/22, juris; bejahend wohl SG Aachen 13.10.2020, S 14 KR 115/20, juris). Diese Frage stellt sich nur in solchen Konstellationen, in denen der maßgebliche Einkommensteuerbescheid für das Referenzjahr zum Zeitpunkt der Krankengeldbewilligung noch nicht vorgelegen hat und daher auf einen älteren Einkommensteuerbescheid abgestellt werden musste.
Ungeachtet dessen widerspräche eine solche nochmalige Korrektur, die sich dem Wortlaut des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V nicht entnehmen lässt, dem Willen des Gesetzgebers. Dieser hat - trotz Einführung des genannten zweistufigen Verfahrens zur Beitragsfestsetzung im Jahr 2018 - keine Änderung der Regelungen in § 47 SGB V vorgenommen, sondern vielmehr ausdrücklich erklärt, dass sich in Hinblick auf das im Zusammenhang mit einer nach § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V abgegebenen Wahlerklärung bei Arbeitsunfähigkeit zu berechnende Krankengeld durch die Neuregelungen keine Änderungen ergäben. Das Regelentgelt, das zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Krankengeldberechnung maßgeblich gewesen sei, sei unabhängig von Beitragsnachberechnungen nach dem neuen § 240 Abs. 4a Satz 3 SGB V endgültig festzustellen. Dabei werde berücksichtigt, dass der Versicherte typischerweise zur Sicherung seines Lebensunterhalts auf das Krankengeld angewiesen sei und die Bewilligung zeitnah zum Ausfall des zu ersetzenden Einkommens erfolgen müsse. Dem werde Rechnung getragen, wenn als Regelentgelt im Sinne einer widerlegbaren Vermutung auf die zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit maßgeblich gewesene Beitragsbemessungsgrundlage und damit auf diejenigen Verhältnisse im aktuellen Versicherungsverhältnis abgestellt werde, die anhand einfach festzustellender Tatsachen rasch und verwaltungspraktikabel ermittelt werden könnten. Dies trage der Funktion des Krankengeldes Rechnung, den Entgeltersatz bei vorübergehendem Verlust der Arbeitsfähigkeit sicherzustellen (BT-Drs. 18/11205, S. 72). Der Gesetzgeber hat mithin davon abgesehen, auch bei der Krankengeldberechnung ein zweistufiges Verfahren einzuführen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
4. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.