- Die hausärztliche Versichertenpauschale kann nur bei einem persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt abgerechnet werden, der auf die Feststellung des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens einer Erkrankung ausgerichtet ist und ggf. auf die Ergreifung von Behandlungsmaßnahmen abzielt, die die Krankheit heilen oder lindern.
- Die grob-fahrlässige Abgabe einer unrichtigen Abrechnungs-Sammelerklärung bzgl. eines Behandlungsfalles berechtigt die Kassenärztliche Vereinigung zu einer umfassenden sachlich-rechnerischen Richtigstellung auch hinsichtlich solcher GOP, in denen sie eine unrichtige Abrechnung aufgrund von Auffälligkeiten annimmt, wenn der Vertragsarzt mangels ausreichender Dokumentation eine vollständige Leistungserbringung nicht nachweisen kann.
- Die bloße Befragung eines Patienten zum Grund seiner Vorsprache am Empfangstresen durch den Vertragsarzt persönlich und die „medizinische Verwertung“ der getätigten Angaben stellt keine kurativ-ambulante Behandlung dar, die zur Abrechnung der hausärztlichen Versichertenpauschale berechtigt.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin
vom 29. Juli 2020 geändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist die Rechtmäßigkeit einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung des Honorars des Klägers für die Quartale I/2012 bis III/2013 und IV/2014 bis III/2015 in Höhe von insgesamt noch 332.115,13 Euro.
Der Kläger ist Facharzt für Allgemeinmedizin und nimmt seit dem 1. Juli 1978 an der vertragsärztlichen Versorgung teil (hausärztlicher Bereich).
Im streitigen Zeitraum beschäftigte er in seiner Einzelpraxis keine Mitarbeiter. Der Kläger organisierte daher seinen Praxisalltag wie folgt: Der Kläger führte ausschließlich offene Sprechstunden ohne Vorbestellung durch. Die Patienten stellten sich in eine Warteschlange, die teilweise bis in den Hausflur reichte. In seiner Praxis begrüßte der Kläger die Patienten selbst am Empfangstresen in der Reihenfolge ihres Erscheinens, nahm die Versichertenkarte entgegen und befragte sie bereits dort nach dem Grund ihres Besuches, ihrem Befinden und/oder nach der Medikamenteneinnahme. Die von den Patienten getätigten Angaben verwertete er nach seinen eigenen Angaben medizinisch. Er selbst stellte sodann Rezepte (auch im Wiederholungsfall) und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sowie Atteste über Schulunfähigkeit aus. Der Tätigkeitsschwerpunkt des Klägers lag an Tagen mit vielen Patienten in der Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und Schulunfähigkeitsattesten aufgrund von Diagnosen wie R51 (Kopfschmerz), J00 (Erkältungsschnupfen), K29.1 (akute Gastritis), M54.4 (Lumboischialgie), J03.9 (akute Tonsillitis) und R11 (Übelkeit und Erbrechen). In seiner Patientenkartei dokumentierte er die gestellte Diagnose, die abgerechnete Leistung (GOP), ggf. verordnete Medikamente, ausgestellte Bescheinigungen sowie die Dauer einer etwaigen Arbeitsunfähigkeit. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 106 bis 224 der Gerichtsakte [GA] verwiesen.
Für seine Leistungen als Hausarzt rechnete der Kläger gegenüber der Beklagten in den streitigen Quartalen überwiegend die Versichertenpauschale ab, wohingegen Leistungen wie Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen selten und die Verwaltungspauschale gar nicht abgerechnet wurden.
Darüber hinaus rechnete er in den Quartalen I/2012 bis III/2013 den Chronikerzuschlag für Patienten mit chronischen Erkrankungen bereits bei erstmaliger Vorsprache im jeweiligen Quartal ab. Auf die von der Beklagten eingereichten Abrechnungsscheine (Bl. 424 ff. GA) wird insoweit Bezug genommen.
Im Einzelnen rechnete der Kläger in den streitigen Quartalen die Versichertenpauschale und den Chronikerzuschlag zur Versichertenpauschale im Vergleich zum Fachgruppendurchschnitt wie folgt ab:
Quartal |
Anzahl VP Fachgruppe |
Anzahl VP Kläger |
GOP 03110 |
GOP 03111 |
GOP 03112 |
GOP 03212 |
Bl. VA |
I/2012 |
805 |
2427 |
13 |
2332 |
82 |
134 |
15, 17 |
II/2012 |
762 |
2160 |
6 |
2073 |
81 |
132 |
31, 33 |
III/2012 |
760 |
2562 |
5 |
2470 |
87 |
134 |
46, 48 |
IV/2012 |
803 |
2436 |
5 |
2366 |
65 |
113 |
62, 64 |
I/2013 |
877 |
2971 |
11 |
2891 |
69 |
133 |
76, 78 |
II/2013 |
824 |
2972 |
6 |
2889 |
77 |
142 |
91, 93 |
III/2013 |
822 |
3176 |
5 |
3100 |
71 |
121 |
105, 107 |
Bl. GA |
15 |
|
|
|
|
|
|
Quartal |
Anzahl VP Fachgruppe |
Anzahl VP Kläger |
GOP 03001 |
GOP 03002 |
GOP 03003 |
GOP 03004 |
GOP 03005 |
Bl. VA |
IV/2014 |
745 |
4208 |
1 |
692 |
3433 |
83 |
5 |
121 |
I/2015 |
786 |
4599 |
1 |
734 |
3777 |
88 |
6 |
134 |
II/2015 |
747 |
3961 |
- |
628 |
3254 |
79 |
8 |
152 |
III/2015 |
735 |
3773 |
- |
412 |
3280 |
81 |
8 |
167 |
Bl. GA |
15 |
|
|
|
|
|
|
|
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die in der Tabelle angegebenen Seiten der Verwaltungs- bzw. Gerichtsakte Bezug genommen.
Zu Beginn der jeweiligen Quartale rechnete der Kläger wiederholt Leistungen für über 100 Patienten täglich bei der Klägerin ab. Spitzentage waren im Jahr 2012 der 9. Januar (113 Patienten), der 2. April (129 Patienten), der 2. Juli (133 Patienten), der 1. Oktober (113 Patienten); im Jahr 2013 der 7. Januar (118 Patienten), der 8. Januar (131 Patienten), der 2. April (135 Patienten), der 8. April (130 Patienten), der 22. April (149 Patienten), der 1. Juli (123 Patienten); im 4. Quartal 2014 der 2. Oktober (206 Patienten), der 6. Oktober (230 Patienten), der 7. Oktober (181 Patienten), der 9. Oktober (148 Patienten), der 13. Oktober (167 Patienten), der 16. Oktober (154 Patienten). Im Quartal I/2015 rechnete der Kläger an 18 Tagen über 100 Patienten ab; Spitzentage waren der 5. Januar (218 Patienten), der 6. Januar (178 Patienten), der 8. Januar (198 Patienten), der 12. Januar (148 Patienten), der 13. Januar (142 Patienten), der 15. Januar (144 Patienten) und der 19. Januar mit 153 Patienten. Im Quartal II/2015 rechnete er an 17 Tagen über 100 Patienten und im Quartal III/2015 an 11 Tagen über 100 Patienten ab. Absolute Spitzentage waren der der 13. April (180 Patienten), der 27. April (184 Patienten), der 28. April (185 Patienten), der 2. Juli 2015 (182 Patienten) und der 6. Juli 2015 (190 Patienten). Wegen der Einzelheiten wird auf die Plausibilität-Tagesprofile in der Verwaltungsakte der Beklagten (Bl. 16, 32, 47, 63, 77, 92, 106, 120, 133, 152, 166 VA) verwiesen.
Die Beklagte unterzog die Quartale I/2012 bis III/2013 und IV/2014 bis III/2015 einer Plausibilitätsprüfung nach § 106a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (in der Fassung vom 16. Juli 2015 – im Folgenden a.F.). Nach Auswertung der Quartals- und Tagesprofile des Klägers teilte sie diesem mit Schreiben vom 25. Februar 2016 mit, dass im Hinblick die auf abgerechneten Leistungen unter Berücksichtigung der jeweiligen Prüfzeit laut Anhang 3 EBM das Auffälligkeitskriterium in Höhe von 46.800 Minuten je Quartal in den streitgegenständlichen Quartalen überschritten worden sei. Es seien folgende Quartalleistungszeiten ermittelt worden:
Quartal |
Abgerechnete Leistungszeit in Minuten |
I/2012 |
52.629 |
II/2012 |
46.929 |
III/2012 |
54.974 |
IV/2012 |
52.371 |
I/2013 |
63.693 |
II/2013 |
63.274 |
III/2013 |
67.006 |
IV/2014 |
52.854 |
I/2015 |
58.021 |
II/2015 |
50.128 |
III/2015 |
48.361 |
Mit Schreiben vom 16. März 2016 wies der Kläger auf seine Sprechstunde am Samstag hin, welche die Zeitüberschreitung erklären dürfte.
Der Plausibilitätsausschuss gelangte nach Auswertung der Quartals- und Tagesprofile, der GOP-Übersichten, zweier anonymisierter Patientendokumentationen, der Stellungnahme des Klägers und der Abrechnungssammelerklärungen zu der Einschätzung, dass die hohen Quartalsleistungszeiten in Verbindung mit unrealistisch hohen Patientenzahlen an einzelnen Behandlungstagen sowie Abrechnungsfehler hinsichtlich des Chronikerzuschlages darauf schließen ließen, dass nicht alle Leistungen tatsächlich vollständig bzw. ordnungsgemäß erbracht, aber dennoch gegenüber der Beklagten abgerechnet worden seien. Er empfahl eine Kürzung des Honorars auf den Fachgruppendurchschnitt der Allgemeinmediziner.
Auf dieser Grundlage hob die Beklagte mit Bescheid vom 28. April 2016, dem Kläger zugestellt am 30. April 2016, die ergangenen Honorarfestsetzungsbescheide für die Quartale I/2012 bis III/2013 und IV/2014 bis III/2015 teilweise auf, nahm eine sachlich-rechnerische Richtigstellung vor und kürzte das Honorar des Klägers insgesamt um 336.268,58 Euro brutto auf den Fachgruppendurchschnitt der Allgemeinmediziner und forderte in dieser Höhe abzüglich Verwaltungspauschale eine Erstattung des zu viel gezahltes Honorars.
Im Einzelnen kürzte die Beklagte das Honorar des Klägers wie folgt:
Quartal |
Ursprgl. Honorar (brutto) Kläger in Euro |
Honorar (brutto) FG-Durchschnitt in Euro |
Rückforderungssumme (brutto) in Euro |
I/2012 |
72. 236,84 |
42.614 |
29.622,84 |
II/2012 |
70.308,19 |
40.780 |
29.528,19 |
III/2012 |
76.963,02 |
40.161 |
36.802,02 |
IV/2012 |
67.527,34 |
41.780 |
25.747,34 |
I/2013 |
60.986,75 |
43.720 |
17.266,75 |
II/2013 |
61.681,25 |
42.995 |
18.686,25 |
III/2013 |
71.665,58 |
43.133 |
28.532,58 |
IV/2014 |
83.582,65 |
45.884 |
37.698,65 |
I/2015 |
87.423,53 |
47.262 |
40.161.52 |
II/2015 |
87.365,89 |
46.975 |
40.390,89 |
III/2015 |
78.806,55 |
46.975 |
31.831,55 |
|
|
|
Summe: 336.268,58 |
Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass im Rahmen der nach § 106a SGB V in Verbindung mit § 8 der Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung zum Inhalt und zur Durchführung der Prüfungen nach § 106a SGB V (Abrechnungprüfungs-Richtlinien) durchgeführten Plausibilitätsprüfung festgestellt worden sei, dass der für die ärztliche Leistungserbringung erforderliche Zeitaufwand je Quartal die Obergrenze für die Auffälligkeit der Honorarabrechnungen in den streitigen Quartalen überschritten habe. Auch bei einer Bereinigung um die Zeiten der Wochenendsprechstunde liege eine Quartalzeitüberschreitung in den Quartalen I/2012, III/2012 bis III/2013 und IV/2014 bis II/2015 vor. Diese Überschreitungen ließen auf eine nicht ordnungsgemäße Leistungserbringung schließen. Im Vergleich zu den übrigen Hausärzten in Berlin sei die Anzahl der abgerechneten Versichertenpauschalen erheblich ausgeweitet und zum Teil um das Vierfache überschritten worden. Zwar schreibe die Versichertenpauschale als obligaten Leistungsinhalt nur den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt vor, jedoch ergebe sich aus den Allgemeinen Bestimmungen, Teil I, Punkt 4.1. EBM, dass es sich um einen Arzt-Patienten-Kontakt im Rahmen eines kurativ-ambulanten Behandlungsfalls handeln müsse. Allein die Begrüßung des Patienten, die Frage nach dem Befinden oder die kurze Frage, ob sich an der Medikamenteneinnahme etwas geändert habe, berechtige nicht zur Abrechnung der Versichertenpauschale. Würde man dies anders sehen und das Abrechnungsverhalten des Klägers bestätigen, würde dies die Versichertenpauschale erheblich abwerten, was vom Bewertungsausschuss nicht gewollt sei. Angesichts des hohen Patientenaufkommens könne neben der Erfüllung der allgemeinen Dokumentationspflicht, dem zeitlichen Bedarf für die Organisation der Praxis, sonstigen Formalitäten und menschlichen Bedürfnissen wie Nahrungsaufnahme und Toilettengängen eine ordnungsgemäße und vollständige Behandlung aller Patienten nicht erfolgt sein. Lege man bespielhaft 171 Arzt-Patientenkontakte am 28. April 2015 im Rahmen der angegeben Sprechstundenzeiten zugrunde, habe ohne Unterbrechung pro Patient eine Behandlungszeit von 2,5 Minuten bestanden. Es widerspreche jeder Lebenserfahrung, dass für all diese 171 Patienten tatsächlich eine kurativ-ambulante Behandlung erfolgt sei, die die Versichertenpauschale ausgelöst habe. Gestützt würden diese Zweifel durch die Ermittlungen des LKA, in deren Rahmen des Fehlen von Dokumentationen der erfolgten Behandlung festgestellt worden sei. Dies verstoße gegen die Pflicht des Arztes zur Dokumentation in § 10 Berufsordnung (BO) und § 57 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä). Da in den Patientendokumentationen Eintragungen zur Anamnese, geklagten Beschwerden, festgestellten Befunden und eingeleiteten Therapien fehlten, sei nicht feststellbar, aus welchem Grund die Leistungen erbracht und abgerechnet worden seien. Die Verletzung der Dokumentationspflicht sei auch grob fahrlässig, da sie auf eine unzureichende Praxisorganisation zurückzuführen sei. Darüber hinaus habe die Prüfung der Abrechnung des Chronikerzuschlages ergeben, dass in einem erheblichen Teil der abgerechneten Leistungen die Voraussetzungen für die Abrechnung des Chronikerzuschlages nicht gegeben sei, da sich der Patient nicht mindestens ein Jahr lang vor der Abrechnung in jedem Quartal in ärztlicher Behandlung in der Praxis des Klägers befunden habe. Insgesamt sei der Zuschlag 692-mal zu Unrecht abgerechnet worden. Aufgrund der festgestellten Abrechnungsfehler sei auch für die Quartale II/2012 und III/2015 eine sachlich-rechnerische Berichtigung durchzuführen. Die hohen Quartalleistungszeiten in Verbindung mit unrealistisch hohen Patientenzahlen an einzelnen Behandlungstagen sowie die aufgedeckten Abrechnungsfehler hinsichtlich des Chronikerzuschlages ließen darauf schließen, dass nicht alle abgerechneten Leistungen tatsächlich vollständig und ordnungsgemäß erbracht worden seien. Damit liege ein Verstoß zur peinlich-genauen Abrechnung vor, so dass auch die Abrechnungs-Sammelerklärungen falsch seien und ihre Garantiefunktion verlören. Rechtsfolge sei die Rechtswidrigkeit der Honorarbescheide im Ganzen. Die Beklagte sei daher berechtigt, die entsprechenden Honorarbescheide aufzuheben und das Honorar im Wege der Schätzung neu festzusetzen. Da im Rahmen der Plausibilitätsprüfung nicht eindeutig feststellbar sei, welche der abgerechneten Leistungen mängelbehaftet seien, während gleichzeitig feststehe, dass die Gesamtheit der abgerechneten Leistungen so nicht erbracht worden sein könne, erfolge die Kürzung jeweils auf den Fachgruppendurchschnitt der Allgemeinmediziner.
Seinen hiergegen am 13. Mai 2016 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger im Wesentlichen damit, dass die Beklagte die Besonderheiten seiner Hausarztpraxis nicht hinreichend berücksichtigt habe. Aufgrund des besonders hohen Patientenaufkommens habe er weit über die angegebenen Sprechstundenzeiten hinaus gearbeitet. An seinen drei „langen Tagen“ habe er vor 7 Uhr angefangen und bis nach 18 Uhr mit lediglich einer kleinen Pause durchgearbeitet. Unter Berücksichtigung seiner tatsächlichen Arbeitszeit von 12 bis 14 Stunden ergebe sich auch an Tagen mit hohem Patientenaufkommen eine durchschnittliche Behandlungszeit von 5 Minuten pro Patienten. Es habe bei allen Patienten eine vollständige Leistungserbringung vorgelegen. Die Abrechnung der von ihm erbrachten Leistungen sei auch richtig erfolgt, da die Abrechnung der Versichertenpauschale als obligaten Leistungsinhalt lediglich einen ersten kurativ-ambulanten persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt erfordere. Ein solcher habe stets stattgefunden. Der Kläger habe über die Begrüßung hinaus den Patienten nach seinem Befinden bzw. dem Anlass des Erscheinens befragt und die Antwort in weitere Überlegungen zum ärztlichen Vorgehen münden lassen. Damit habe eine ärztliche Behandlung begonnen. Zudem habe er die notwendigen Dokumentationen getätigt. Auch sei der Chronikerzuschlag von ihm zutreffend abgerechnet worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 309 bis 380 der Verwaltungsakte verwiesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 2018 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Rechtsgrundlage für die vorgenommene sachlich-rechnerische Richtigstellung sei § 106d Abs. 2 Satz 1 SGB V (in der Fassung des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes vom 16. Juli 2015, BGBl I, S. 1211). Die Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnungen des Vertragsarztes ziele auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts – mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots – erbracht und abgerechnet worden seien. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) würden hiervon nicht nur Fälle der unrichtigen Anwendung von Gebührenordnungen erfasst, sondern auch alle Fallgestaltungen, in denen der Vertragsarzt Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt oder abgerechnet habe. Im Rahmen der durchgeführten Plausibiltätsprüfung seien die Quartalsleistungszeiten des Klägers als auffällig beurteilt worden. Im Rahmen der anschließenden Überprüfung sei festgestellt worden, dass der Kläger überwiegend die Versichertenpauschale abgerechnet habe, andere Leistungen wie Gesundheitsuntersuchungen oder Impfleistungen seien nur in sehr geringem Maße eingereicht worden. Zwar sei dem Kläger zuzugestehen, dass bei seiner Verfahrensweise stets ein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt vorhanden gewesen sei. Voraussetzung für die Abrechnung der Versichertenpauschale sei jedoch nach den Allgemeinen Bestimmungen des EBM eine Interaktion im Sinne eines bilateralen Informationsaustausches, der im Laufe der Gesprächsführung durch den Arzt den diagnostischen und therapeutischen Zielen diene. Auch unter Berücksichtigung von Praxiszeiten von 12 bis 14 Stunden täglich mit kurzer Mittagspause sei es nicht glaubhaft, dass der Kläger Versichertenpauschalen bei bis zu 219 Patienten am Tag ordnungsgemäß abgerechnet habe. Es bestünden berechtigte Zweifel an der tatsächlichen Entstehung eines kurativ-ambulanten Behandlungsfalles. Aufgrund unzureichender Dokumentationen des Klägers zu Anamnese, geklagten Beschwerden, festgestellten Befunden und eingeleiteten Therapiemaßnahmen sei nicht feststellbar, aus welchem Grund der Kläger Leistungen erbracht und abgerechnet habe. So habe der Kläger auch im Widerspruchsverfahren keine Patientendokumentationen vorgelegt, die eine ordnungsgemäße Abrechnung der Versichertenpauschale habe belegen können. Die Durchsicht der Abrechnungen in den streitbefangenen Quartalen zeige, dass das Leistungsspektrum des Klägers eingeschränkt gewesen sei. Die Abrechnungen hätten sich im Wesentlichen auf die Versichertenpauschale beschränkt. Angesichts der abgerechneten Scheinzahl könne auch eine „normale“ hausärztliche Behandlung nicht stattgefunden haben. Vielmehr habe sich die Tätigkeit des Klägers auf „Krankschreibungen am Anmeldetresen“ ohne Untersuchung und ohne Dokumentation beschränkt. Darüber hinaus sei die Abrechnung des Chronikerzuschlages in einem erheblichen Teil der Abrechnungen zu beanstanden, da die Voraussetzungen für den Vergütungsanspruch nicht erfüllt seien. Die entsprechenden Patienten seien nicht vom Kläger in den vorangegangenen vier Quartalen ärztlich behandelt worden. In den Fällen, in denen der Kläger einen Hausarztwechsel bei der Abrechnung mit der Zusatzbezeichnung „H“ kenntlich gemacht habe, sei nicht plausibel, dass insgesamt 398 Patienten in den Quartalen IV/2014 bis III/2015 tatsächlichen ihren Hausarzt gewechselt hätten. Aufgrund des Umstandes, dass die Abrechnungs-Sammelerklärung als Ganze bereits dann unrichtig sei, wenn bereits ein erfasster Behandlungsfall eine unrichtige Angabe über erbrachte Leistungen erhalte, liege das Honorarrisiko auf Seiten des Arztes, der in seiner Abrechnung unrichtige Angaben mache. Die Garantiesammelerklärungen des Klägers seien erschüttert, so dass die Beklagte zur Aufhebung der Honorarfestsetzungsbescheide berechtigt und verpflichtet gewesen sei. Das ihr bei der Neufestsetzung zukommende Schätzermessen sei fehlerfrei ausgeübt worden. Es sei nicht zu beanstanden, das Honorar auf den Durchschnitt der Fachgruppe zu kürzen, da nicht im Einzelnen habe ermittelt werden können, welche Leistung fehlerhaft erbracht worden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 455 ff. der Verwaltungsakte verwiesen.
Hiergegen hat der Kläger am 2. Mai 2018 Klage erhoben.
Nach Beiziehung von jeweils zehn Patientenunterlagen für je einen Behandlungstag aus allen streitgegenständlichen Quartalen sowie der Tagesliste für den 6. Oktober 2014 (Bl. 106 bis 224 GA) hat das Sozialgericht (SG) Berlin mit Urteil vom 29. Juli 2020 den Bescheid der Beklagten vom 28. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 2018 in Bezug auf die Quartale I/2012 bis III/2013 vollständig aufgehoben und in Bezug auf die Quartale IV/2014 bis III/2015 aufgehoben, soweit das Honorar insgesamt um mehr als 4.153,44 Euro gekürzt wurde. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt: Rechtsgrundlage der erfolgten sachlich-rechnerischen Richtigstellung sei § 106a Abs. 2 SGB V a.F. Nach dieser Vorschrift sei die Beklagte auch zur arztbezogenen Prüfung der Abrechnung auf Plausibilität berechtigt gewesen. Zwar könne nach ständiger Rechtsprechung des BSG aus der Überschreitung von Tages- oder Quartalszeitprofilen im Wege des Indizienbeweises auf die Unrichtigkeit der Abrechnung geschlossen werden (Verweis auf B 6 KA 42/17 R), jedoch könne aus Auffälligkeiten in Gestalt von Quartalleistungszeiten von mehr als 780 Stunden nicht unmittelbar geschlossen werden, dass die Leistungen im Umfang des Überschreitens nicht ordnungsgemäß erbracht worden seien. Vielmehr habe die Beklagte bei Vorliegen von Auffälligkeiten weitere Überprüfungen durchzuführen, um festzustellen, ob sich die Auffälligkeiten zugunsten des Arztes erklären ließen. Dabei könne der Arzt jedoch nicht einwenden, Leistungen in kürzerer Zeit zu erbringen als dies im EBM angenommen werde. Nach Auffassung der Kammer spreche die hohe Quartalprofilzeit noch nicht für eine unsachgemäße Abrechnung, da der Kläger überwiegend nur Versichertenpauschalen abgerechnet habe. Dies lasse sich jedoch mit der besonderen Organisation der klägerischen Praxis begründen und erscheine daher als plausibel. Zudem sei zu berücksichtigen, dass für die Versichertenpauschale in Anlage 3 des EBM zwar eine Prüfzeit, aber keine Kalkulationszeit angegeben sei. Aus der Gestaltung der Versichertenpauschale folge, dass die in die Berechnung der Durchschnittszeit einkalkulierten Leistungen zwar erbracht werden können, aber nicht erbracht werden müssen. Als obligater Leistungsinhalt fordere die Versichertenpauschale nur einen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt, für den es keinen festen Zeitrahmen geben könne. Selbst wenn die Prüfzeiten die Zeiten berücksichtigten, die von erfahrenen und zügig arbeitenden Ärzten für eine ordnungsgemäße Leistungserbringung benötigt würden, umfasse dies nicht die Fälle, in denen tatsächlich nur das absolut Notwendige für die Abrechnung der Versichertenpauschale erbracht werde. Der Kläger habe auch keinem generellen Fehlverständnis bezogen auf die Leistungslegende der Versichertenpauschale unterlegen. Vielmehr habe der Kläger auch an den Spitzentagen mit weit mehr als 100 Patienten die Voraussetzungen für die Abrechnung der Versichertenpauschale jeweils erfüllt, denn es habe stets ein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt im Sinne einer Interaktion zwischen dem Kläger und seinem Patienten vorgelegen. Dass dieser mitunter sehr kurz gewesen sei, stehe der Erfüllung der Leistungslegende nicht entgegen. Nach Durchsicht der vorgelegten Patientendokumentationen sei ersichtlich, dass der Kläger überwiegend Krankschreibungen für kurze Zeiträume festgestellt habe. Von den Diagnosen habe der Kläger durch eine kurze Befragung der Patienten Kenntnis erlangt. Diese Befragung und die daran geknüpfte Einschätzung, ob eine Arbeitsunfähigkeit gegeben sei, könne innerhalb weniger Minuten erfolgen. Zwar entspreche die vom Kläger gewählte Organisation seiner Praxis nicht der gängigen Hausarztpraxis, die Abrechnung der Versichertenpauschale werde hierdurch jedoch nicht ausgeschlossen. Auch eine direkte Interaktion zwischen Arzt und Patient am Anmeldetresen falle unter den geforderten persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt. Auf eine Nichterfüllung der Dokumentationspflichten könne die sachlich-rechnerische Richtigstellung nicht gestützt werden, da diese nicht zum obligaten Leistungsinhalt der Versichertenpauschale gehöre. Zwar habe die Kammer durchaus Zweifel, ob der Kläger die für eine Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erforderliche ärztliche Untersuchung tatsächlich vorgenommen habe, aber dies ändere nichts an dem erfolgten Arzt-Patienten-Kontakt. Auch die beim Kläger vorliegenden Auffälligkeiten wie die rückwirkende Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für mehr als drei Tage sowie die überwiegend nur sehr kurze Annahme von Arbeitsunfähigkeit bei Bagatellerkrankungen berechtigten nicht zu einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung. Vielmehr werde dies von den Krankenkassen durch den Medizinischen Dienst nach § 275 Abs. 1a SGB V geprüft. Auch die aus der konkreten Praxisorganisation folgenden vertragsärztlichen Pflichtverletzungen berechtigten die Beklagte nicht zu einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung. Vielmehr sehe das Gesetz für die unterschiedlichen Pflichtverletzungen differenzierte Regelungen vor, wie die Wirtschaftlichkeitsprüfung und Disziplinarverfahren. Hierfür sei die Beklagte jedoch nicht zuständig.
Zutreffend habe die Beklagte jedoch eine sachlich-rechnerische Richtigstellung vorgenommen, soweit der Kläger in den Quartalen IV/2014 bis III/2015 den Chronikerzuschlag (GOP 30220 und 30221) mit dem Zusatzkennzeichen H abgerechnet habe. Aus den vorliegenden Patientenunterlagen ergebe sich insoweit, dass der mit dem Zusatzzeichen H gekennzeichnete Hausarztwechsel vom Kläger nicht dokumentiert worden sei. Dies sei jedoch nach der Leistungslegende der Gebührenordnungspositionen erforderlich. Demgegenüber könne der Leistungslegende der für die Quartale I/2012 bis III/2013 maßgeblichen GOP 03212 entgegen der Auffassung der Beklagten weder ein Erfordernis der Behandlung des chronisch kranken Patienten in den vorherigen vier Quartalen in der Praxis des abrechnenden Vertragsarztes noch eine Dokumentationspflicht hinsichtlich eines Hausarztwechsels entnommen werden, so dass sich insoweit kein Anhaltspunkt für eine fehlerhafte Abrechnung durch den Kläger ergebe.
Gegen das ihr am 17. August 2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15. September 2020 Berufung eingelegt.
Die Beklagte behauptet, dass sich die Arbeitsweise des Klägers in den meisten Fällen auf das Ausstellen einer Krankschreibung am Anmeldetresen beschränkt habe. Hierfür habe er die Versicherten lediglich nach dem Vorliegen einer selbst gewählten Erkrankung befragt. Eine Untersuchung habe überwiegend nicht stattgefunden. Dies ergebe sich aus der einschlägigen Berichterstattung in den Medien, welche mit den Feststellungen des Landeskriminalamtes übereinstimmten.
Sie ist der Ansicht, dass die Abrechnung der Versichertenpauschale nach den Allgemeinen Bestimmungen des EBM neben dem persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt ein kuratives Tätigwerden des Arztes erfordere. Kurativ bedeute heilend und meine, dass die Behandlung mit der Absicht der Heilung einer Erkrankung durchgeführt werde. Eine solche liege nicht vor, wenn der Arzt allein nach dem Grund für das begehrte Ausstellen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung frage und die vom Versicherten gewählte Diagnose aufschreibe. Unter Berücksichtigung der Medienberichte, den eigenen Angaben des Klägers und der extrem hohen Anzahl an abgerechneten Versichertenpauschalen könne nicht von einem kurativen Tätigwerden des Klägers, welches die Abrechnung der Versichertenpauschale rechtfertige, ausgegangen werden. Im Hinblick auf die Abrechnung des Chronikerzuschlages in den Quartalen I/2012 bis III/2013 sei es Aufgabe des Vertragsarztes, die ordnungsgemäße Leistungserbringung nachzuwiesen. Der Kläger habe keinerlei Nachweise erbracht, dass in den von der Beklagten beanstandeten Fällen ein anderer Arzt die erforderliche Anzahl der Arzt-Patienten-Kontakte in den Vorquartalen erbracht habe. Überdies erfordere die GOP 03212 in den Quartalen I/2012 bis III/2013 als obligaten Leistungsinhalt einen zweimaligen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt. Ausweislich der Abrechnungsscheine des Klägers habe er den Chronikerzuschlag aber bereits bei dem ersten Arzt-Patienten-Kontakt im Quartal zur Abrechnung gebracht. Damit liege auch insoweit eine grob fahrlässige Falschabrechnung vor, die die Beklagte zur Kürzung des Honorars auf den Fachgruppendurchschnitt berechtigt habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juli 2020 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Er behauptet, stets vollständige Leistungen erbracht zu haben. Er habe an seinen langen Arbeitstagen von 7 Uhr bis nach 18 Uhr mit einer Mittagspause von 30 Minuten in der Praxis gearbeitet. Notwendige Büroarbeiten habe er an den weniger frequentierten Tagen erledigt. Er habe kleinere Untersuchungen seiner Patienten wie zum Beispiel von Hals und Nase direkt am Tresen und erforderliche größere Untersuchungen im nahe gelegenen Behandlungszimmer durchgeführt. Zudem habe er die aufgrund der von ihm gestellten Diagnose fachlich und medizinisch gebotenen Maßnahmen ergriffen, insbesondere Arzneimittel verordnet, Überweisungen oder Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt. Der Kläger ist der Ansicht, dass darin der für die Abrechnung der Versichertenpauschale erforderliche kurative Arzt-Patienten-Kontakt liege. Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend, soweit damit der Honorarrückforderungsbescheid der Beklagten aufgehoben worden sei. Die Beklagte verkenne, dass das Bestehen von Zweifeln eine Aufhebung der Honorarbescheide nicht rechtfertige. Es obliege der Beklagten nachzuweisen, dass die Abrechnung des Klägers sachlich-rechnerisch fehlerhaft gewesen sei. Auf die medialen Berichterstattungen könne nicht abgestellt werden, da diese aus dem Jahr 2016 stammten, welches vorliegend nicht streitbefangen sei. Sowohl die Versichertenpauschale als auch der Chronikerzuschlag seien vom Kläger zutreffend abgerechnet worden. Aufgrund dessen bestehe weiterhin die Garantiefunktion der abgegebenen Abrechnungssammelerklärungen. Solange diese nicht beseitigt sei, habe die Beklagte davon auszugehen, dass alle eingereichten Leistungen korrekt abgerechnet worden seien.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) der Beklagten gegen das Urteil des SG Berlin vom 29. Juli 2020 ist zulässig und begründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG Berlin vom 29. Juli 2020 allein insoweit, als das SG mit diesem den Bescheid der Beklagten vom 28. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 2018 in Bezug auf die Quartale I/2012 bis III/2013 vollständig und in Bezug auf die Quartale IV/2014 bis III/2015 teilweise aufgehoben hat. Soweit das SG die Anfechtungsklage des Klägers für die Quartale IV/2014 bis III/2015 abgewiesen und damit den Bescheid der Beklagten vom 28. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 2018 teilweise für die Quartale IV/2014 bis III/2015 in Höhe von insgesamt 4.153,44 Euro bestätigt hat, ist das Urteil gemäß § 141 SGG rechtskräftig geworden, da der Kläger gegen die Teilklageabweisung weder Berufung (§ 151 SGG) noch Anschlussberufung (§ 202 SGG i.V.m. § 524 Zivilprozessordnung [ZPO]) eingelegt hat.
Zur Überzeugung des Senates hat das SG Berlin zu Unrecht die form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Anfechtungsklage des Klägers gemäß § 54 Abs. 1 SGG gegen den Bescheid der Beklagten vom 28. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 2018 als überwiegend begründet erachtet.
Die Klage bleibt insgesamt ohne Erfolg. Der im Berufungsverfahren noch streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage des Bescheides ist – wie die Beklagte zutreffend angenommen hat – § 106d Abs. 2 SGB V in der ab dem 1. Januar 2017 geltenden Fassung des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes (GKV-WSG) vom 16. Juli 2015 (BGBl I 2015, 1211), der weitgehend wortgleich § 106a SGB V a.F. ersetzt. Denn nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17.09.2017, 6 Rka 86/95, zitiert nach juris, dort Rn. 18) ist bei einer Anfechtungsklage die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zu beurteilen. Da der Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 2018 gemäß § 95 SGG die ursprüngliche Verwaltungsentscheidung vom 28. April 2016 gestaltet, ist auf den 13. Februar 2018 als maßgeblichen Zeitpunkt für die Frage des anwendbaren Rechts abzustellen.
Der angegriffene Bescheid ist formell rechtmäßig.
Die Beklagte war grundsätzlich für die vorgenommene sachlich-rechnerische Richtigstellung zuständig. Nach § 75 Abs. 1 SGB V haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung sicher zu stellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Nach § 75 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz SGB V haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden Pflichten zu überwachen. Zu den Pflichten der Vertragsärzte gehört u. a. auch eine ordnungsgemäße Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen. Die Kassenärztliche Vereinigung stellt die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten (§ 106d Abs. 2 Satz 1 SGB V).
Die Beklagte hat den Kläger zudem durch das Schreiben vom 15. Februar 2016 und Übersendung des Ausgangsbescheides vom 25. April 2016 ausreichend angehört im Sinne von § 24 SGB X.
Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.
Nach § 106d Abs. 2 SGB V stellt die Kassenärztliche Vereinigung die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen fest. Die Prüfung zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen und satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots - erbracht und abgerechnet worden sind (BSG, Urteil vom 29.11.2017, B 6 KA 33/16 R, zitiert nach juris, dort Rn. 19; Urteil vom 13.5.2020, B 6 KA 6/19 R, zitiert nach juris, dort Rn. 20). Die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung besteht auch für einen bereits erlassenen Honorarbescheid (BSG, Urteil vom 28.8.2013, B 6 KA 50/12 R, zitiert nach juris, dort Rn. 17). In einem solchen Fall bedeutet sie im Umfang der vorgenommenen Korrekturen eine teilweise Rücknahme des Honorarbescheides. § 106d Abs. 2 Satz 1 SGB V stellt dann eine Sonderregelung dar, die gemäß § 37 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) in ihrem Anwendungsbereich die Regelung des § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) verdrängt. Eine hiernach rechtmäßige Rücknahme des Honorarbescheides mit Wirkung für die Vergangenheit löst nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung des Empfängers der Leistung aus (BSG, Urteil vom 28.8.2013, B 6 KA 50/12 R, zitiert nach juris, dort Rn. 17).
Nach § 106d Abs. 2 SGB V gehört zur Prüfung der sachlichen und rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität. Gegenstand der arztbezogenen Plausibilitätsprüfung ist nach § 106d Abs. 2 Satz 2 SGB V insbesondere der Umfang der je Tag abgerechneten Leistungen im Hinblick auf den damit verbundenen Zeitaufwand des Arztes. Bei der Prüfung nach Satz 2 ist ein Zeitrahmen für das pro Tag höchstens abrechenbare Leistungsvolumen zugrunde zu legen; zusätzlich können Zeitrahmen für die in längeren Zeitperioden höchstens abrechenbaren Leistungsvolumina zugrunde gelegt werden (§ 106d Abs. 2 Satz 3 SGB V). Soweit Angaben zum Zeitaufwand nach § 87 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V bestimmt sind, sind diese bei den Prüfungen nach Satz 2 zugrunde zu legen (§ 106d Abs. 2 Satz 4 SGB V).
Nach der Rechtsprechung des BSG unterscheidet sich die Plausibilitätsprüfung von anderen Formen der Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit in erster Linie dadurch, dass bestimmte Auffälligkeiten Abrechnungsfehler aufdecken und damit Anlass für eine weitergehende Prüfung sein können. Darüber hinaus können diese Auffälligkeiten – jedenfalls bei Auffälligkeiten der Tages- und Quartalzeitprofile – im Wege eines Indizienbeweises geeignet sein, die Unrichtigkeit der Abrechnungen insgesamt zu belegen, soweit sie sich nicht zugunsten des Arztes erklären lassen (BSG, Urteil vom 21.03.2018, B 6 KA 47/16 R, zitiert nach juris, dort Rn. 25; Urteil vom 24. Oktober 2018, B 6 KA 42/17 R, zitiert nach juris, dort Rn. 20 m.w.N.).
Die näheren Einzelheiten des Plausibilitätsprüfungsverfahrens ergeben sich aus den auf der Grundlage von § 106d Absatz 6 SGB V (zuvor §106a Abs. 6 SGB V a.F.) vereinbarten "Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Spitzenverbände der Krankenkassen zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfung der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen" (AbrPrRL) in der für den jeweiligen Prüfzeitraum geltenden Fassung.
Nach § 7 Abs. 2 der AbrPrRL erstreckt sich die Plausibilitätsprüfung auf die Feststellung von Abrechnungsauffälligkeiten durch Überprüfung des Umfangs der abgerechneten Leistungen im Hinblick auf den damit verbundenen Zeitaufwand. Nach § 8 AbrPrRL ist hierfür gleichrangig ein Tageszeitprofil und eine Quartalzeitprofil zu ermitteln. Eine weitere Überprüfung nach § 12 erfolgt gemäß § 8 Abs. 3 der Richtlinie, wenn die ermittelte arbeitstägliche Zeit bei Tageszeitprofilen an mindestens 3 Tagen im Quartal mehr als 12 Stunden oder im Quartalszeitprofil mehr als 780 Stunden beträgt. Damit stehen Tages- und Quartalszeitprofil alternativ und nicht kumulativ als Indizien für eine implausible Abrechnung nebeneinander (BSG, Urteil vom 24.10.2018, B 6 KA 44/17 R. zitiert nach juris, dort Rn. 15).
Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben ist die Feststellung des Beklagten, dass die Quartalzeitprofile des Klägers unter Berücksichtigung des in Teil 3 des EBM als Prüfzeit für die Versichertenpauschalen festgelegten Wertes den Wert von 780 Stunden (entspricht 46.800 Minuten) in den Quartalen I/2012, III/2012 bis III/2013 und IV/2014 bis II/2015 überschreiten, nicht zu beanstanden. Dabei kann zunächst dahin gestellt bleiben, ob die für die Versichertenpauschale in Anlage 3 des EBM angesetzte durchschnittliche Prüfzeit angesichts der Vielgestaltigkeit des Leistungsspektrums der GOP zutreffend ist, denn letztlich dient das Quartalszeitprofil zunächst nur als Aufgreifkriterium für eine entsprechend vertieftere Prüfung nach § 12 AbrPrRl durch die Beklagte. Nach § 12 Abs. 2 AbrPrRl haben die weiteren Überprüfungen zum Ziel, mithilfe ergänzender Tatsachenfeststellungen und Bewertungen unter Berücksichtigung der Merkmale nach Abs. 3 festzustellen, ob die Abrechnungen rechtlich ordnungsgemäß erfolgt sind.
Dabei sind diese weiteren Prüfungen nach der Rechtsprechung des BSG nicht auf solche Abrechnungsziffern beschränkt, die zu einer Überschreitung der Arbeitszeiten im Tages- oder Quartalszeitprofil beigetragen haben; die Prüfung kann sich – wie hier für die Quartale II/2012 und III/2015 – auch auf Quartale erstrecken, in denen keine Überschreitung aufgetreten ist (BSG, Urteil vom 24.10.2018, B 6 KA 44/17 R, zitiert nach juris, dort Rn. 16 ff.). Denn für eine anlassbezogene Prüfung genügt nach § 20 AbrPrRl bereits, dass ausreichende und konkrete Hinweise auf Abrechnungsauffälligkeiten bestehen. Konkrete Hinweise in diesem Sinne können sich auch aus dem Ergebnis einer Prüfung eines anderen Quartals ergeben (BSG, Urteil vom 15.5.2019, B 6 KR 63/17 R, zitiert nach juris, dort Rn. 23).
Im Zuge dieser vertieften Prüfung hat die Beklagte sodann in rechtlich nicht zu beanstandender Weise Fehler bei der Abrechnung des Chronikerzuschlages in allen streitgegenständlichen Quartalen festgestellt, die zur Unrichtigkeit der Abrechnungs-Sammelerklärung führen und die Beklagte mangels ausreichender Dokumentation des Klägers zu den vom ihm erbrachten Leistungen auch zu einer weitergehenden sachlich-rechnerischen Richtigstellung in Bezug auf die übrige Leistungsabrechnung berechtigten.
Zwischen den Beteiligten steht aufgrund der Rechtskraft des teilklageabweisenden Urteils des SG Berlin vom 29. Juli 2020 bindend fest, dass der Kläger in den Quartalen IV/2014 bis III/2015 den Chronikerzuschlag nach dem maßgeblichen EBM Nummern 03220 und 03221 – jeweils mit dem Zusatz H – mangels Dokumentation des Hausarztwechsels nicht ordnungsgemäß abgerechnet hatte.
Aber auch für die Quartale I/2012 bis III/2013 erfolgte die Abrechnung des Chronikerzuschlages nach der GOP 03212 EBM 2012 zur Überzeugung des Senats nicht ordnungsgemäß, denn der Kläger rechnete den Zuschlag bereits bei der erstmaligen Vorsprache des Patienten im Quartal gegenüber der Beklagten ab.
Die in den Quartalen I/2012 bis III/2013 maßgebliche GOP 03212 hatte folgenden Wortlaut:
Demnach konnte der Zuschlag zur Versichertenpauschale bei einem chronisch Erkrankten erst beim Vorliegen von zwei Arzt-Patienten-Kontakten im Quartal abgerechnet werden. Nach den von der Beklagten vorgelegten Abrechnungsscheinen rechnete der Kläger jedoch bereits unmittelbar zu Beginn des jeweiligen Quartals den Chronikerzuschlag ab, obwohl zu diesem Zeitpunkt ein zweimaliger Arzt-Patienten-Kontakt bereits aus zeitlicher Hinsicht nicht stattgefunden haben kann. Auf die zunächst aufgeworfene Frage zum Nachweis der Behandlung des Patienten in vier aufeinanderfolgenden Quartalen kommt es daher nicht an.
Aus den fehlerhaften Abrechnungen des Chronikerzuschlages in allen streitgegenständlichen Quartalen folgt, dass die vom Kläger abgegebenen Abrechnungs-Sammelerklärungen insgesamt unrichtig sind. Sie haben die ihnen zukommende Funktion der Garantie des Vertragsarztes, dass seine für die Abrechnung gegenüber der Beklagten getätigten Angaben zutreffen, verloren (hierzu grundlegend BSG, Urteil vom 17.9.1997, 6 Rka 86/95, zitiert nach juris, dort Rn. 19 ff.), denn zur Überzeugung des Senates erfolgte die fehlerhafte Abrechnung des Chronikerzuschlages und damit einhergehend die Abgabe der unrichtigen Abrechnungs-Sammelerklärungen sowohl in den Quartalen I/2012 bis III/2013 als auch in den Quartalen IV/2014 bis III/2015 durch den Kläger zumindest grob fahrlässig. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wird (vgl. Legaldefinition in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Dies liegt hier vor: In Bezug auf die Quartale I/2012 bis III/2013 hat sich der Kläger vor Abrechnung der Leistung und Abgabe der Garantiesammelerklärung zur sachlichen Richtigkeit seiner Abrechnungserklärung nicht über die jeweiligen Voraussetzungen zur Abrechnung des Chronikerzuschlages im EBM informiert. Dies folgt bereits aus dem Umstand der Abrechnung bei erstmaliger Vorsprache zu Beginn des Quartals und damit zu einem Zeitpunkt, in dem bereits aus zeitlicher Sicht die Voraussetzung des zweimaligen Arzt-Patienten-Kontaktes gar nicht vorgelegen haben kann. Ein bloß leicht fahrlässiges Versehen kann in Bezug auf die insoweit eindeutige GOP ausgeschlossen werden. Für die Quartale IV/2014 bis III/2015 steht aufgrund des insoweit rechtskräftigen Urteils des SG fest, dass die Abrechnung des Chronikerzuschlages in Bezug auf Neupatienten mangels Dokumentation des Arztwechsels fehlerhaft war. Die grobe Fahrlässigkeit ergibt sich insoweit aus der mangelhaften Dokumentation selbst (vgl. zu der mangelhaften Dokumentation als Beleg für grobe Fahrlässigkeit BSG, Urteil vom 17.9.1997, 6 Rka 86/95, zitiert nach juris, dort Rn. 26).
Aufgrund der grob fahrlässigen Abgabe einer unrichtigen Abrechnungs-Sammelerklärung war die Beklagte auch im Hinblick auf die Vielzahl der abgerechneten Versicherungspauschalen zu einer umfassenden sachlich-rechnerischen Richtigstellung berechtigt, denn mangels Garantiefunktion der Abrechnungs-Sammelerklärung fehlt es an einer Voraussetzung für die Festsetzung des Honoraranspruches des Arztes; der Honorarbescheid ist insgesamt rechtswidrig. Dabei ist die Abrechnungs-Sammelerklärung als Ganzes bereits dann unrichtig, wenn nur ein von ihr erfasster Nachweis eine unrichtige Angabe über erbrachte Leistungen enthält. Daraus folgt zugleich, dass die Beklagte auch im Übrigen nicht gehalten ist, in allen Fällen, in denen sie eine unrichtige Abrechnung vermutet, den Nachweis der Unrichtigkeit zu führen. Vielmehr muss der Vertragsarzt jeweils nachweisen, dass er die Leistungen ordnungsgemäß erbracht und insofern zutreffend abgerechnet hat (BSG, a.a.O., Rn. 21). Das Honorarrisiko und damit auch die Feststellungslast der zutreffenden Abrechnung und ordnungsgemäßen Leistungserbringung liegen infolgedessen beim Vertragsarzt.
Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass der Kläger in allen von ihm abgerechneten Fällen die für die Abrechnung der Versichertenpauschale notwendige Leistung vollständig erbracht hat.
Nach Punkt 2.1 des jeweils maßgeblichen EBM ist die Vollständigkeit der Leistungserbringung gegeben, wenn die obligaten Leistungsinhalte der GOP erbracht worden sind und die in den Präambeln, Leistungslegenden und Anmerkungen aufgeführten Dokumentationspflichten – auch die der Patienten- bzw. Prozedurenklassifikation – erfüllt, sowie die erbrachten Leistungen dokumentiert sind. Nach Punkt 2.1.2 kann eine Gebührenordnungsposition, deren Leistungsinhalt nicht vollständig erbracht wurde, nicht berechnet werden.
Zwar ist dem Kläger und dem SG insoweit zuzustimmen, dass die jeweils maßgebliche GOP „Versichertenpauschale im hausärztlichen Versorgungsbereich“ im EBM als obligaten Leistungsinhalt nur einen einmaligen „persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt“ benennt und ein persönlicher Kontakt zwischen dem Kläger und den in seiner Praxis persönlich vorsprechenden Personen bereits aufgrund des Umstandes vorlag, dass der Kläger selbst am Anmeldetresen saß, die Person in Empfang nahm und sich nach dem Grund ihrer Vorsprache erkundigte. Jedoch greift diese rein formale Betrachtung des Inhalts der Abrechnungsvorschrift zur Überzeugung des Senates zu kurz und ermöglicht eine missbräuchliche Abrechnung dieser GOP. Denn – wie die Beklagte zutreffend dargelegt hat – sind nach Punkt 4.1 des jeweils gültigen EBM die Versicherten-, Grund- oder Konsiliarpauschalen von den in der Präambel der entsprechenden arztgruppenspezifischen oder arztgruppenübergreifenden Kapitel genannten Leistungserbringer „beim ersten kurativ-ambulanten persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt im Behandlungsfall“ zu berechnen. Diese allgemeine Bestimmung wirkt auch auf die Versichertenpauschale für den hausärztlichen Versorgungsbereich ein und überformt den im Rahmen des obligaten Leistungsinhaltes geforderten persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt dahingehend, dass es sich neben dem persönlichen Kontakt auch um einen „kurativ-ambulanten“ Kontakt „im Behandlungsfall“ gehandelt haben muss. Den Behandlungsfall definiert Punkt 3.1 EBM unter Verweis auf § 21 Abs. 1 BMV-Ä bzw. § 25 Abs. 1 EKV als die Behandlung desselben Versicherten durch dieselbe Arztpraxis in einem Kalendervierteljahr zu Lasten derselben Krankenkasse. Dadurch wird „die Behandlung“ des Versicherten in Bezug genommen. Unter einer kurativen Behandlung versteht man die Feststellung bzw. Erkennung einer Erkrankung, deren Heilung oder Linderung (vgl. § 27 SGB V). Daraus folgt zur Überzeugung des Senates, dass die hausärztliche Versichertenpauschale nur bei einem persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt abgerechnet werden kann, der auf die Feststellung des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens einer Erkrankung ausgerichtet ist und ggf. auf die Ergreifung von Behandlungsmaßnahmen abzielt, die die Krankheit heilen oder lindern.
Hiervon ausgehend ist der Senat nicht davon überzeugt, dass allen vom Kläger abgerechneten Versicherungspauschalen ein ambulant-kurativer persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt zugrunde lag. Insbesondere konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass der Kläger in allen Fällen eine kurativ-ambulante Behandlung vorgenommen hat, die auf die Feststellung des Vorliegens/bzw. Nichtvorliegens einer Erkrankung gerichtet war. Dies erscheint bereits in Anbetracht der Anzahl der an einzelnen Behandlungstagen abgerechneten Patienten als zweifelhaft. Die von dem Kläger angegebene Befragung des Patienten bereits am Empfangstresen für den Grund seiner Vorsprache und die „medizinische Verwertung“ der getätigten Angaben stellt zur Überzeugung des Senates keine kurativ-ambulante Behandlung im Sinne der Feststellung des Vorliegens einer Erkrankung dar. Vielmehr hat der Kläger auch nach seinem eigenen Vorbringen insoweit allein die Angaben des Patienten zu seinen Beschwerden in medizinische Fachtermini und Diagnosen übersetzt, ohne sich in jedem Fall von dem Vorliegen der Symptome tatsächlich überzeugt zu haben. Auch die Vorsprache wegen Beschwerden wie Hals- oder Bauchschmerzen erfordert jedoch eine Untersuchung des Patienten (auch zum Ausschluss schwerwiegender Erkrankungen). Zwar verkennt der Senat nicht, dass in einer gut strukturierten Praxis einfache Erkältungskrankheiten innerhalb kürzester Zeit befundet und erkannt werden können und sich bei diesen in der Regel die zu ergreifenden Maßnahmen in der Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und gegebenenfalls in Hinweisen zum Umgang mit der Erkrankung erschöpfen. Jedoch lag eine solche gut strukturierte Praxis im Falle des Klägers nicht vor. Zur Überzeugung des Senates spricht gerade die konkrete Form der Praxisorganisation ohne medizinisches Fach- und sonstiges Personal gegen die Behauptung des Klägers, dass in allen abgerechneten Fällen eine kurativ-ambulante Behandlung vorgenommen wurde. Denn der Kläger musste die Patienten nicht nur befragen und untersuchen, sondern zugleich auch dokumentieren, die Rezepte und Atteste ausstellen, den Drucker bedienen, teilweise auch noch die Praxisgebühr vereinnahmen und den entsprechenden Beleg aushändigen. Auch etwaige Desinfektionsmaßnahmen zwischen der Behandlung verschiedener Patienten oblagen angesichts der Praxisstruktur allein dem Kläger. Dem Kläger stand mithin unter Berücksichtigung der Vielzahl der neben den ärztlichen Leistungen zu erbringenden sonstigen Aufgaben einer hausärztlichen Praxis angesichts der Anzahl der abgerechneten Leistungen in allen streitgegenständlichen Quartalen so gut wie keine Zeit für eine ärztliche Untersuchung zur Verfügung. Angesichts der Vielzahl der Tage, an denen über 100 Versicherungspauschalen bei der Beklagten abgerechnet wurden, kann der Kläger auch nicht mit einer behaupteten Tätigkeit im Umfang von 12 bis 14 Stunden an seinen langen Tagen durchdringen, denn auch der leistungsfähigste Arzt kann ein solches Pensum – zumal ohne jegliche Unterstützung durch Personal – nicht auf Dauer bewältigen (vgl. Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 23 Rn. 6: „Selbst wenn Ärzte gerne als gesellschaftliche Leistungsträger wahrgenommen werden, ist auch ihre Leistungsfähigkeit begrenzt.“).
Die erheblichen Zweifel an einer ordnungsgemäßen Leistungserbringung in allen abgerechneten Leistungsfällen werden verstärkt durch die vom Kläger vorgelegten Patientendokumentationen, anhand derer erkennbar ist, dass er in den überwiegenden Fällen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für weniger als drei Tage, oftmals auch nur für einen Tag aufgrund von Bagatellerkrankungen ausgestellt hat.
Schließlich konnte der Kläger auch mangels ausreichender Dokumentation den Senat nicht davon überzeugen, dass der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt im Rahmen einer kurativ-ambulanten Behandlung stattgefunden hat. In den vom Kläger eingereichten 120 Patientendokumentationen (Bl. 106 bis 224 GA) findet sich keine einzige Dokumentation eines erhobenen Befundes, einer Anamnese und einer eingeleiteten Therapie. Der Kläger dokumentierte nur Diagnose, GOP, Atteste, Dauer der Arbeitsunfähigkeit und ggf. verordnete Medikamente, so z.B.
– stellvertretend für viele – am 4. Juli 2012 zur Patientin K. C.-M., geb. 19. Oktober 1991 (GA Bl. 156):
D r51 (bedeutet: nicht klassifizierbarer Kopfschmerz)
L 03111
K Beleg Praxisgebühr – 12 – 003245
K AU: 04.07.12 – 04.07.12/E
Zwar ist dem Kläger und dem SG dahingehend Recht zu geben, dass die Dokumentation selbst kein obligater Leistungsinhalt der Versichertenpauschale ist. Jedoch definiert der EBM in Punkt 2.1. die Vollständigkeit der Leistungserbringung bereits selbst mit der Erbringung der obligaten Leistungsinhalte, der im EBM aufgeführten Dokumentationspflichten sowie der Dokumentation der erbrachten Leistungsinhalte, so dass die Dokumentation der vollständigen Leistungserbringung Bestandteil der Abrechnungsfähigkeit einer GOP ist. Dies kann letztlich jedoch dahin gestellt bleiben, denn jedenfalls dann, wenn wie hier erhebliche Zweifel an der Erbringung des obligaten Leistungsinhaltes einer GOP bestehen und die Abrechnungssammelerklärungen ihre Garantiefunktion verloren haben (s.o.), kommt der Dokumentation der ärztlichen Leistung eine entscheidende Bedeutung zu. Dann liegt es grundsätzlich in der Sphäre des Vertragsarztes, die vollständige Leistungserbringung und damit die Richtigkeit seiner Honorarabrechnung nachzuweisen (vgl. BSG, Beschluss vom 6.9.2000, B 6 KA 17/00 B, zitiert nach juris, dort Rn. 8). Ein solcher Nachweis kann vor allem durch eine ausreichende Dokumentation der ärztlichen Leistungen erbracht werden (LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 24.09.2019, L 4 KA 26/18, zitiert nach juris, dort Rn. 56). Die Dokumentation dient dem Patienten, den Mitbehandlern (Ärzten, Krankenhäusern), dem Nachbehandler, aber auch dem behandelnden Vertragsarzt als Gedächtnisstütze sowie zur Nachweisführung im Rahmen der Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen und im Zusammenhang mit haftungsrechtlichen Fragen (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.11.2014, L 3 KA 70/12, zitiert nach juris, dort Rn. 20). Dabei ergibt sich das Erfordernis der Dokumentation ärztlicher Leistungen aus § 57 Abs. 1 BMV-Ä, § 10 der Berufsordnung der Ärztekammer Berlin und §§ 630 f. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Nach § 57 Abs. 1 BMV-Ä hat der Vertragsarzt die Befunde, die Behandlungsmaßnahmen sowie die veranlassten Leistungen einschließlich des Tages der Behandlung in geeigneter Form zu dokumentieren. Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 der Berufsordnung der Ärztekammer Berlin haben Ärzte über die in Ausübung ihres Berufes gemachten Feststellungen und getroffenen Maßnahmen die erforderlichen Aufzeichnungen zu erstellen. Nach Satz 2 sind diese nicht nur Gedächtnisstützen für die Ärztin oder den Arzt, sondern dienen auch dem Interesse der Patientin oder des Patienten an einer ordnungsgemäßen Dokumentation. Nach § 630f Abs. 2 Satz 1 BGB ist der Behandelnde schließlich verpflichtet, in der Patientenakte sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen.
Erfolgt keine oder keine ausreichende Dokumentation, gelten Leistungen insoweit als nicht erbracht (vgl. SG München, Urteil vom 4.5. 2023, S 38 KA 180/20 zitiert nach juris, dort Rn. 23 m.w.N.; BayLSG, Urteil vom 7.7.2004, L 3 KA 510/02, zitiert nach juris, dort Rn. 25). Aus dem bloßen Ansatz einer GOP folgt nicht, dass die Leistung erbracht wurde und dass der Leistungsinhalt erfüllt ist, zumal wenn der Vertragsarzt – wie hier – von einem falschen Verständnis des Leistungsinhaltes einer GOP ausgeht. Denn ausgehend von seinem Verständnis des obligaten Leistungsinhaltes der Versichertenpauschale hat der Kläger alle notwendigen Angaben dokumentiert, nämlich den Tag der Vorsprache des Patienten, die mitgeteilte bzw. ermittelte Diagnose und die veranlasste Maßnahme. Da er jedoch weitere Dokumentationen wie die erhobene Anamnese und die festgestellten Befunde nicht getätigt hat, ist ein Nachweis der Erbringung dieser Leistungen und damit auch ein Nachweis des Vorliegens eines kurativ-ambulanten Behandlungsfalles nicht erbracht. In einer Gesamtschau hat der Kläger damit weniger als Behandler und mehr als Serviceleister zur Erstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen agiert.
Angesichts dessen war die Beklagte berechtigt, eine sachlich-rechnerische Richtigstellung vorzunehmen. Sie ist entgegen der Ansicht des SG nicht darauf beschränkt, einen etwaigen Pflichtenverstoß gegen die Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie disziplinarisch zu ahnden und/oder auf die Entziehung der Zulassung hinzuwirken (vgl. BSG, Urteil vom 22.3.2006, B 6 KA 76/04 R, zitiert nach juris, dort Rn. 12).
Die Höhe der von der Beklagten im Wege der sachlich-rechnerischeren Richtigstellung vorgenommenen Honorarkürzung ist zur Überzeugung des Senates ebenfalls nicht zu beanstanden; vielmehr erscheint die von der Beklagten konkret vorgenommene Honorarkürzung angesichts des oben beschriebenen Praxisbetriebs sogar noch sehr wohlwollend.
Angesichts der grob fahrlässig falsch abgegebenen Abrechnungs-Sammelerklärung im Hinblick auf die Abrechnung des Chronikerzuschlages in allen streitgegenständlichen Quartalen und der Vielzahl der abgerechneten Versicherungspauschalen war die Beklagte zu einer umfassenden Berichtigung und Schätzung des dem Kläger überhaupt noch zu stehenden Honorars berechtigt (BSG, Urteil vom 17.9.1997, 6 Rka 86/95, zitiert nach juris, dort Rn. 27 f.; Urteil vom 13.5.2020, B 6 KA 6/19 R, zitiert nach juris, dort Rn. 29; vgl. auch Urteil des Senats vom 9.6.2021, L 7 KA 13/19, zitiert nach juris, dort Rn. 45). Denn angesichts der bestehenden Dokumentationsdefizite wäre es für die Beklagte auch nicht ermittelbar, in welchen Fällen ein ambulant-kurativer persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt tatsächlich stattgefunden hat. Angesichts dessen hat die Beklagte in schlüssiger Weise das Honorar des Klägers auf das Durchschnittshonorar der Fachgruppe festgesetzt (vgl. zu dieser Möglichkeit BSG, Urteil vom 17.9.1997, 6 Rka 86/95, zitiert nach juris, dort Rn. 23). Sie hat zudem die Grundlagen für die vorgenommene Schätzung und die aus ihnen gezogenen Schlussfolgerungen nachvollziehbar auf Seite 7 des angegriffenen Bescheides dargestellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG bestehen nicht. Hierfür ist weder etwas vorgetragen noch – insbesondere unter dem Aspekt grundsätzlicher Bedeutung, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG – sonst ersichtlich.