Das Erfordernis des Schutzes eigener subjektiver Rechte bzw. der Ausschluss von Popularklagen lassen es nicht zu, den Schutz der Rechte Dritter über eine "Drittschadensliquidation" oder einen "Drittdatenschutz" zu verfolgen.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Berlin vom 4. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt die Änderung eines Bewilligungsbescheides für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) dahingehend, dass ihre Schwester in dem Bescheid nicht als solche benannt, sondern neutral bezeichnet wird.
Mit Wirkung vom 1. April 2015 schlossen die Klägerin und ihre Schwester gemeinsam als Mieterinnen einen Mietvertrag über eine Wohnung am P dV N in B ab. Die Wohnung wurde fortan von der Klägerin, ihrem Sohn und ihrer Schwester bewohnt.
Mit Bescheid vom 11. Januar 2018 bewilligte der Beklagte der Klägerin und deren Sohn, die als zweiköpfige Bedarfsgemeinschaft angesehen wurden, Leistungen nach dem SGB II. Auf Bl. 2 oben des Bescheides heißt es: „Für die Angemessenheitsbestimmung der Kosten der Unterkunft sind bei Haushaltsgemeinschaften die tatsächlichen Aufwendungen kopfteilig zu ermitteln. Laut Mietvertrag wohnen Sie mit Ihrem Sohn und Ihrer Schwester in einer Wohnung, wonach Sie mit insgesamt drei Personen eine Haushaltsgemeinschaft bilden. Da Sie und Ihr Sohn eine Bedarfsgemeinschaft sind, werden die Kosten der Unterkunft für zwei Personen gewährt (794,12 Euro ./. 3 x 2 = 529,42 Euro mtl.).“
Am 24. Januar 2018 legte die Klägerin Widerspruch gegen diesen Bescheid ein mit der Forderung, ihn dahingehend zu korrigieren, dass das Wort „Schwester“ auf Bl. 2 oben durch einen neutralen Personenbegriff zu ersetzen sei. Die vom Beklagten gewählte Formulierung verletze Datenschutzrecht. Das Verwandtschaftsverhältnis sei irrelevant. Gegen die Höhe der zuerkannten Leistungen wandte sie sich nicht.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2018 zurück. In der Verwendung der Bezeichnung „Schwester“ für die nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Mitbewohnerin liege für die Klägerin keine Beschwer.
Mit der am 3. April 2018 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin das Begehren, den Beklagten zu einer Änderung des Bescheides vom 11. Januar 2018 dahingehend zu verurteilen, dass auf Seite 2 des Bescheides die Wörter „Ihrer Schwester“ gestrichen und durch einen neutralen Personenbegriff ersetzt werden. Diese Wörter hätten in dem Leistungsbescheid nichts verloren und lägen neben der Sache, denn das Verwandtschaftsverhältnis zur Mitbewohnerin sei unerheblich. Auch werde Datenschutzrecht verletzt. Die Klägerin sei ebenso betroffen wie ihre Schwester, denn durch die Formulierung „Schwester“ würden ja beide zu Schwestern erklärt. Es liege ähnlich, wie wenn in einer Bescheidbegründung strafrechtlich relevante Formulierungen genutzt würden.
Mit Schreiben („Neuantrag“) vom 23. April 2018 beantragte die Kläger bei der Beklagten, die Wörter „Ihrer Schwester“ aus dem Leistungsbescheid vom 11. Januar 2018 zu streichen und datenschutzrechtlich einwandfrei zu ersetzen. Mit Bescheid vom 25. April 2018 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass die beanstandeten Wörter datenschutzrechtlich nicht zu beanstanden seien. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 8. Januar 2019 zurück. Die Erforderlichkeit einer Nutzung des Begriffs „Schwester“ ergebe sich daraus, dass die Zusammensetzung der Bedarfe zu begründen sei. Der Begriff „Schwester“ stelle ein Sozialdatum dar, dessen Nutzung statthaft sei, weil nur so habe zum Ausdruck gebracht werden können, dass die weitere Person nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehöre und nicht unterhaltspflichtig sei.
Die Klägerin hat diesen Widerspruchsbescheid in das anhängige Klageverfahren einbezogen und ist dem Standpunkt des Beklagten entgegen getreten. Die Nennung des Verwandtschaftsverhältnisses sei in keiner Weise geboten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat die Klägerin nur noch den Bescheid vom 25. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2019 angegriffen.
Mit Urteil vom 4. Oktober 2022 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine Ersetzung der Wörter „Ihrer Schwester“. Die Klage sei jedenfalls unbegründet. Sie habe keinen Anspruch auf Löschung des Sozialdatums, dass sie mit ihrer Schwester zusammenwohne, und zwar weder nach § 84 Abs. 2 SGB X noch nach Art. 17 der DSGVO. Zur Klärung des Leistungsanspruchs der Klägerin und ihres Sohnes nach den §§ 7, 9 Abs. 5 und 22 SGB II habe der Beklagte in den Blick nehmen dürfen und müssen, dass es sich bei der Mitbewohnerin um eine Verwandte der Klägerin gehandelt habe. Es sei nämlich auch zu prüfen gewesen, ob überhaupt Hilfebedürftigkeit vorliege. Das Gesetz stelle in § 9 Abs. 5 SGB II ausdrücklich auf das Zusammenleben mit Verwandten oder Verschwägerten ab. Auch sonst seien Verstöße gegen Datenschutz nicht ersichtlich. Insbesondere habe der Beklagte das Verwandtschaftsverhältnis nicht weiter öffentlich gemacht. Die Klägerin auf der anderen Seite könne die beanstandete Passage schwärzen, wenn sie den Bescheid anderswo vorlegen müsse. Die Klägerin selbst habe im Übrigen den Mietvertrag eingereicht und könne gegenüber dem Beklagten ganz allgemein Sozialdatenschutz beanspruchen.
Gegen das ihr am 2. November 2022 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 1. Dezember 2022 Berufung eingelegt. Die Zeit sei keineswegs über den Bescheid hinweggegangen. Der Anspruch auf Löschung bestehe auf Grundlage der DSGVO evident.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. Oktober 2022 sowie den Bescheid des Beklagten vom 25. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Worte „ihre Schwester“ in dem Leistungsbescheid vom 11. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2018 durch einen neutralen Begriff zu ersetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Auf den rechtlichen Hinweis des Berichterstatters, dass fraglich sei, ob die Klägerin durch die beanstandete Formulierung in eigenen Rechten verletzt sei, hat die Klägerin erklärt: Richtig sei, dass die Schwester in eigenen Rechten betroffen sei. Diese habe jedoch keinen Bescheid erhalten und sei nicht aktivlegitimiert. Genau betrachtet habe man es hier mit einem Fall der Drittschadensliquidation im Datenschutzrecht zu tun bzw. mit einem Fall des Drittdatenschutzes. Die Klägerin sei auch in eigenen Rechten betroffen, denn die Schwesterneigenschaft betreffe denknotwendig zwei Personen, denn eine Schwester könne nie ohne die andere Schwester gedacht werden.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen.
II.
Der Senat durfte über die Berufung nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nach Ausübung seines dahingehenden Ermessens nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Zur Überzeugung des Senats ist die Klage schon unzulässig, weil die Klägerin zu keinem Zeitpunkt die Verletzung eigener Rechte geltend gemacht hat. Nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein („formelle Beschwer“). Nur die durch das Gericht von Amts wegen zu prüfende Möglichkeit der Verletzung eigener Rechte begründet eine Klagebefugnis. Dies dient dem Ausschluss von Popularklagen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Leitherer/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, Rdnr. 9 zu § 54). Vorliegend behauptet die Klägerin zwar die Verletzung eigener Rechte, doch dies erscheint bloß konstruiert und völlig fernliegend. Sie beanstandet einen sie ausschließlich begünstigenden Bewilligungsbescheid für Leistungen nach dem SGB II, der in dem Satz, der die Wörter „ihrer Schwester“ enthält, eine wahre Aussage trifft, die in Zusammenhang steht mit der Berechnung der Leistungshöhe. Der Senat vermag nicht zu erkennen, inwiefern hier eigene Rechte, insbesondere Datenschutzrechte, der Klägerin berührt sein sollten. Sie macht vielmehr ausschließlich Rechte ihrer Schwester geltend, wozu sie indessen nicht befugt ist, was überdies zu dem paradoxen Ergebnis führt, dass der Umstand der Verwandtschaft durch das Widerspruchs- und das Klageverfahren nur umso größere Publizität erhält. Gleichzeitig operiert die Klägerin zur Begründung ihrer Berufung mit Begrifflichkeiten, die, vorsichtig gesagt, schlechthin nicht belastbar sind. So ist der angeführte „Drittdatenschutz“ dem System des Datenschutzrechts nicht geläufig; „betroffene Person“ und „Dritter“ sind streng zu unterscheiden, vgl. etwa Art. 4 Nr. 10 DSGVO; eine popularklageähnliche Geltendmachung der Datenschutzrechte Dritter ist für natürliche Personen wie die Klägerin nicht vorgesehen und würde ohnehin nicht in das auf die Wahrung eigener subjektiver Rechte angelegte System des öffentlich-rechtlichen Rechtsschutzes passen. Die Analogie zur Drittschadensliquidation schließlich ist abwegig und überträgt ein Rechtsinstitut des Privatrechts ins öffentliche Recht, wo es nicht hingehört und sogar Grundprinzipien des auf den Schutz nur subjektiver Rechte angelegten Systems zuwiderläuft.
Sollte man gleichwohl eine dem Bescheid vom 11. Januar 2018 ursprünglich innewohnende formelle Beschwer der Klägerin annehmen, so ist eine solche jedenfalls heute nicht mehr erkennbar, weshalb Erledigung eingetreten ist. Für das Leistungsbegehren der Klägerin, gerichtet auf Verurteilung des Beklagten zur Löschung und Ersetzung einer bestimmten Formulierung, ist die Sach- und Rechtslage im Moment der Entscheidung des Senats maßgeblich. Die Klägerin aber stand überhaupt nur bis zum 30. April 2018 im Leistungsbezug beim Beklagten. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, in welchem Zusammenhang der die beanstandete Formulierung beinhaltende Bewilligungsbescheid vom 11. Januar 2018 gegenwärtig überhaupt noch von Belang bzw. irgendwo vorzuzeigen sein sollte. Mit zunehmendem Zeitablauf ist damit nach fast sechs Jahren die Beschwer weggefallen. Eine Fortsetzungsfeststellung kann die anwaltlich vertretene Klägerin schon deshalb nicht begehren, weil sie für ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nichts vorgebracht hat und ein solches für den Senat auch nicht im Ansatz erkennbar ist.
Unabhängig davon ist die Klage auch unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, denn sie hat keinen Anspruch auf Löschung bzw. Ersetzung der Wörter „Ihrer Schwester“ in dem Leistungsbescheid vom 11. Januar 2018. Insoweit nimmt der Senat nach eigener Sachprüfung zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die Gründe des mit der Berufung angegriffenen erstinstanzlichen Urteils, § 153 Abs. 2 SGG. Diesen ist auch in Ansehung der Berufungsbegründung nichts hinzuzufügen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).