L 3 R 407/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 10 R 474/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 407/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 14.04.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe der Regelaltersrente des Klägers unter Berücksichtigung von Versicherungszeiten in der ehemaligen DDR.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger absolvierte vom 01.09.1969 bis zum 31.08.1974 erfolgreich ein Studium der Zahnmedizin an der L.-Universität H. und der Technischen Universität W.. Nachfolgend war er bis zum 04.05.1975 als Zahnarzt tätig. Vom 05.05.1975 bis zum 31.10.1976 verrichtete er seinen Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee (NVA). Anschließend war er vom 01.11.1976 bis zum 29.07.1982, 01.10.1983 bis zum 26.11.1985, 01.01.1986 bis zum 27.04.1987 und vom 17.02.1988 bis zum 31.05.1988 als Zahnarzt und Stomatologe tätig. Ab dem 12.07.1988 arbeitete er als Bewachungskraft in einer Brauerei. Am 25.07.1988 wurde er im Zusammenhang mit seinen Bestrebungen zur Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland inhaftiert und mit Urteil der Strafkammer des Kreisgerichts der Stadt Halle vom 13.10.1988 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt [wegen Aufhängens eines beschrifteten Bettlakens „Für freie Ausreise, gegen Berufsverbot“]. Am 07.02.1989 erfolgte die Übersiedlung bzw. Ausbürgerung des Klägers in die Bundesrepublik Deutschland. Die Zeit der Inhaftierung vom 25.07.1988 bis 07.02.1989 wurde ausweislich einer Bescheinigung der Regierung von Mittelfranken vom 28.07.1999 als Gewahrsam im Sinne des Häftlingshilfegesetzes (HHG) anerkannt.

Nachdem er zuvor erfolglos die Gewährung von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit beantragt hatte, stellte er am 23.02.2016 einen Antrag auf die Gewährung von Regelaltersrente. Mit Bescheid vom 07.09.2016 gewährte die Beklagte dem Kläger ab dem 01.09.2016 diese Rente. Dabei wurden die Versicherungszeiten in der ehemaligen DDR ab dem 01.10.1974 als Zeiten im Beitrittsgebiet der Rentenversicherung der Angestellten zugeordnet, die Zeit des Wehrdienstes vom 01.06.1975 bis zum 30.10.1976 mit 0,75 Entgeltpunkten pro Jahr und die Zeit vom 25.07.1988 bis zum 06.08.1989 als politische Haft, Gewahrsam sowie Vertreibung, Flucht berücksichtigt. Vom 07.08.1989 bis zum 21.08.1989 wurde eine Pflichtbeitragszeit und vom 22.08.1989 bis zum 13.03.1990 Vertreibung, Flucht und anschließend bis zum 10.05.1990 eine Pflichtbeitragszeit zugrunde gelegt.

Dagegen legte der Kläger am 20.09.2016 Widerspruch ein und verwies u.a. auf einen von ihm vor dem Verwaltungsgericht Halle geführten Rechtsstreit hinsichtlich seiner Rehabilitation. Die Beklagte zog die zuvor von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bzw. Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund) geführten Verwaltungsakten bei und wies den Kläger am 16.11.2016 darauf hin, dass die Haftzeit vom 25.07.1988 bis zum 07.02.1988 bereits als Ersatzzeit im Versicherungskonto gespeichert worden sei. Bezüglich einer eventuellen beruflichen Rehabilitierung sei er bereits durch die Beklagte am 07.04.2010 bzw. auch durch die DRV Bund informiert worden. Am 18.11.2016 wies die Beklagte den Kläger erneut darauf hin, dass in seinem Versicherungsleben möglicherweise Verfolgungszeiten zu berücksichtigen seien, für die ein Nachteilsausgleich nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) beantragt werden könne. Für die Berücksichtigung solcher Zeiten in der Rentenversicherung sei die Vorlage einer Bescheinigung der Rehabilitierungsbehörde nach §§ 17, 20 BerRehaG erforderlich. Der Kläger beantragte daraufhin, die Zeiten vom 01. bis 24.07.1988 (Beschäftigung als Wachmann), 25.07.1988 bis 02.02.1989 (Haft), die anschließende Arbeitslosigkeit bis zum 12.05.1990 und die Wehrdienstzeit vom 05.05.1975 bis 31.10.1976 „als Zahnarzt“ anzuerkennen. Der Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht Halle dauere an.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2017 zurück. Die Wehrdienstzeit im Beitrittsgebiet vom 05.05.1975 bis 31.10.1976, die Zeit der politischen Haft sowie die anschließende Vertreibungs- und Arbeitslosenzeit (25.07.1988 bis 13.03.1990) seien korrekt im Versicherungskonto gespeichert worden. Die Zeit vom 01.07.1988 bis 24.07.1988 sei als abgelehnte Zeit im Versicherungskonto gespeichert. Die Anerkennung als politisch Verfolgter im Sinne des § 1 BerRehaG sei bisher offensichtlich nicht erfolgt. Mithin seien Verfolgungszeiten aktuell nicht anzurechnen.

Hiergegen hat der Kläger am 27.03.2017 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund erhobenen. Er hat vorgetragen, die Zeit der Inhaftierung vom 25.07.1988 bis zum 07.02.1989 sei mit Beiträgen in Höhe des Verdienstes eines Fachzahnarztes zu berücksichtigen. Dies müsse auch bezogen auf die Zeit davor ab dem 12.07.1988 gelten, denn er habe ein Berufsverbot erhalten und habe nachfolgend als Wachmann bzw. Pförtner gearbeitet. Ohne das Berufsverbot hätte er im gesamten Zeitraum als Fachzahnarzt gearbeitet. Darum gehe es auch in einem Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht Halle. Dieser Rechtsstreit sei seit September 2015 immer noch nicht entschieden. Auch die Armeezeit vom 05.05.1975 bis 31.10.1976 sei entsprechend den Beiträgen eines Zahnarztes zu bewerten. Er habe im Juni 1974 sein Staatsexamen gemacht und die Approbation erhalten. Er hat eine Bescheinigung nach § 17 i.V.m. § 22 BerRehaG des Landesverwaltungsamtes Halle vom 25.08.2015 vorgelegt, wonach er Opfer rechtsstaatswidriger Verfolgung bzw. der politischen Verfolgung dienender Maßnahmen im Beitrittsgebiet in der Zeit vom 25.07.1988 bis zum 07.02.1989 geworden sei. Ohne Verfolgung wäre in diesem Zeitraum die Tätigkeit als zivile Bewachungskraft ausgeübt worden. Weiterhin hat er eine Mitteilung des Petitionsausschusses des Landtages Nordrhein-Westfalen vom 27.12.2019 vorgelegt, wonach dieser auf seine Petition am 17.12.2019 beschlossen habe, die Zeit vom 25.07.1988 bis zum 07.02.1989 als Verfolgungszeit im Sinne des beruflichen Rehabilitierungsgesetzes als Pflichtbeitragszeit anzuerkennen und für deren Bewertung einen Durchschnittswert der Verdienste aus den Jahren 1985 bis 1987 heranzuziehen.

 

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 07.09.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2017 und unter Einbeziehung des Bescheides vom 06.03.2019 zu verurteilen, ihm ab 01.09.2016 höhere Altersrente zu gewähren unter Neueinstufung der Zeit vom 05.05.1975 bis 31.10.1976 als Zahnarzt in der Fachzahnarzt-Ausbildung sowie der Zeiten vom 30.07.1982 bis 30.09.1983, 28.04.1987 bis 16.02.1988, 12.07.1988 bis 24.07.1988, 25.07.1988 bis 07.02.1989 und 08.02.1989 bis 11.05.1990 als Fachzahnarzt jeweils unter Berücksichtigung als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 Nr. 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz.

 

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Sie hat die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig erachtet.

Unter Berücksichtigung der im Klageverfahren vorgelegten Bescheinigung des Landesverwaltungsamtes Halle vom 25.08.2015 hat die Beklagte die Altersrente des Klägers mit Bescheid vom 06.03.2019 ab dem 01.09.2016 neu festgestellt, wodurch sich eine Nachzahlung von 669,10 € ergeben hat. Dabei ist die Zeit vom 25.07.1988 bis zum 07.02.1989 als Pflichtbeitragszeit in der allgemeinen Rentenversicherung unter Zugrundelegung der Qualifikationsgruppe 5, Bereich 10 Lebensmittelindustrie, Tabellenwerte um 1/5 erhöht anerkannt worden. Gegen diesen Bescheid hat der Kläger im Erörterungstermin am 22.05.2019 Widerspruch eingelegt.

Die Beklagte hat weiter vorgetragen, die Entscheidung des Petitionsausschusses sei bereits im Rahmen der Erteilung des Bescheides vom 06.03.2019 berücksichtigt worden. Sofern der Kläger entsprechend der Anerkennung nach dem BerRehaG in der Qualifikationsgruppe 5 Bereich 10 Lebensmittelindustrie Tabellenwerte um 1/5 erhöht im Bescheid vom 06.03.2019 beschieden worden wäre, würden die Entgeltpunkte für das Jahr 1988 nur 0,0499 und für das Jahr 1989 0,0504 pro Monat betragen. Der Kläger sei deutlich günstiger eingestuft worden, wie sich aus Seite 2 der Anlage ergebe. Es sei eine Vergleichsberechnung durchgeführt worden. Letztlich sei die Zeit berücksichtigt worden mit einem Entgeltpunktwert von 0,1476.

Der Kläger hat demgegenüber geltend gemacht, die Entscheidung des Petitionsausschusses sei von Seiten der Beklagten nicht umgesetzt worden. Die Neuberechnung sei als Nachtpförtner und nicht als Fachzahnarzt mit Zusatzversicherung „Intelligenzrente“ erfolgt. Im Übrigen sei das Petitionsverfahren noch nicht abgeschlossen, sondern habe ein neues Aktenzeichen.

Weiterhin hat der Kläger den Erlass einer einstweiligen Verfügung bezüglich des Streitgegenstandes beantragt; dieser Antrag ist durch das SG abgetrennt (S 10 R 504/20 ER) und mit Beschluss vom 03.09.2020 abgelehnt worden.

Mit Urteil vom 14.04.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Klage sei teilweise unzulässig und jedenfalls unbegründet. Hinsichtlich der Zeit des Wehrdienstes sei die Klage zulässig aber unbegründet. Für Wehrdienstzeiten im Beitrittsgebiet vor dem 01.01.1992 seien – wie von der Beklagten berücksichtigt – 0,75 Entgeltpunkte je volles Kalenderjahr zugrunde zu legen. Soweit der Kläger die Nichtberücksichtigung einer unverschuldeten Arbeitslosigkeit in den Jahren 1982/1983 bzw. 1987/1988 geltend mache, sei eine entsprechende Anfechtung des Widerspruchsbescheides nicht erfolgt. Bezüglich der Zeit vom 12.07.1988 bis zum 24.07.1988 handele es sich ausweislich des Bescheides vom 04.10.2006 um eine abgelehnte Beitragszeit. Die Beklagte habe hinsichtlich der Zeit vom 25.07.1988 bis zum 07.02.1989 entsprechend des Inhalts des Beschlusses des Petitionsausschusses vom 17.02.2019 eine Vergleichsberechnung durchgeführt unter Zugrundelegung des monatlichen Durchschnitts aus den Entgeltpunkten für vollwertige Pflichtbeiträge in den letzten drei Kalenderjahren vor Beginn der Verfolgung, d.h. in den Kalenderjahren 1985 bis 1987.

Gegen das ihm am 06.05.2021 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11.05.2021 Berufung eingelegt. Er trägt vor, die Rente sei absichtlich falsch berechnet worden. Die Entscheidung des Landesverwaltungsamtes Halle vom 25.08.2015 sei falsch, es sei eine Lüge, dass die Ausführungen des NRW-Petitionsausschusses berücksichtigt worden seien. Das SG habe sich nicht damit auseinandergesetzt, dass er in der Zeit des Wehrdienstes bereits als Zahnarzt habe arbeiten müssen. Es läge auch kein Grund für die Ungleichbehandlung von Wehrdienstzeiten in der Bundesrepublik und der DDR vor. Die Beklagte habe ausgehend von der Haftzeit und der gesetzlichen Regelung die Jahre 1985 bis 1987 als Anknüpfungspunkt für die Beitragsberechnung der Zeit vom 25.07.1988 bis zum 07.02.1989 herangezogen. Allerdings sei er bereits vor der Haftzeit verfolgt worden. Er sei unverschuldet arbeitslos gewesen vom 01.08.1982 bis zum 31.09.1983 nach politisch motivierter Entlassung bzw. vom 01.05.1987 bis zum 16.02.1988 nach erzwungener Eigenkündigung. Er übersendet das Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Halle vom 28.07.2017 – 1 A 221/15 HAL -, mit dem seine Klage gegen das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt hinsichtlich weitergehender Rehabilitierung als in dem Bescheid vom 25.08.2015 geschehen, abgewiesen und die Revision nicht zugelassen worden ist. Sein Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) sei durch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit Beschluss vom 24.09.2018 – 3 B 34/17 – abgelehnt worden.

 

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 14.04.2021 abzuändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 07.09.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2017 und des Bescheides vom 06.03.2019 zu verurteilen, ihm ab dem 01.09.2016 höhere Altersrente zu gewähren unter Einstufung der Zeiten vom 05.05.1975 bis 31.10.1976, 30.07.1982 bis 30.09.1983, 28.04.1987 bis 16.02.1988, 12.07.1988 bis 24.07.1988, 25.07.1988 bis 07.02.1989 und 08.02.1989 bis 11.05.1990 in die Qualifikationsgruppe 1 der Anlage 13 zum SGB VI und unter Berücksichtigung als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem nach Anlage 1 Nr. 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz.

 

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte, die Vorprozessakten des SG Dortmund S 10 R 707/16 und S 10 R 540/20 ER und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht mit Urteil vom 14.04.2021 abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 07.09.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2017 und des gem. § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens gewordenen Bescheides vom 06.03.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung von höherer Regelaltersrente.

Entgegen der Auffassung des SG ist die Klage nicht (teilweise) unzulässig. Aus dem Umstand, dass der Kläger nicht zu allen seinem erst- und zweitinstanzlichen Antrag nach streitigen Versicherungszeiten bereits im Widerspruchsverfahren vorgetragen hat, ist nicht zu schließen, dass die angefochtenen Bescheide im Übrigen bestandskräftig geworden wären. Der Kläger hat vorliegend den Bescheid vom 07.09.2016 hinsichtlich des Verfügungssatzes zur Rentenhöhe angegriffen (zu den Verfügungssätzen eines Rentenbescheides vgl. BSG, Urteil vom 06.07.2022 – B 5 R 21/21 R –, Rn. 13), wobei maßgeblich für die Rentenhöhe unter anderem die zurückgelegten Versicherungszeiten sind. Der teilweise erstinstanzlich erstmalig gemachte Vortrag zu weiteren Versicherungszeiten dient lediglich der Begründung der Klage hinsichtlich des bereits angegriffenen Verfügungssatzes zur Rentenhöhe. Eine teilweise Klagerücknahme im Schriftsatz vom 30.05.2020 ist im Übrigen nicht zu erkennen.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer höheren Regelaltersrente, da Fehler in der Berechnung dieser Rente nicht ersichtlich sind. Insbesondere hat er keinen Anspruch auf rentensteigernde Bewertung der von ihm geltend gemachten Versicherungszeiten, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.

 

1. Wehrdienstzeit vom 05.05.1975 bis zum 31.10.1976

Für die Wehrdienstzeit des Klägers in der NVA der ehemaligen DDR sind gem. § 256a Abs. 4 SGB VI - wie von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden zutreffend vorgenommen - für jedes volle Kalenderjahr 0,75 Entgeltpunkte (EP) zu Grunde zu legen, wobei die Art der während des Wehrdienstes verrichteten Tätigkeit unerheblich ist.

Bei der Bewertung von Wehrdienstzeiten im Beitrittsgebiet mit 0,75 EP gem. § 256a Abs. 4 SGB VI im Gegensatz zu solchen in der Bundesrepublik mit 1,0 EP gem. § 256 Abs. 3 SGB VI liegt auch kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 des Grundgesetzes (GG) vor. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für Belastungen und Begünstigungen. Dabei verwehrt Art. 3 Abs 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung (vgl. BVerfG, Urteil vom 17.12.2014 – 1 BvL 21/12 –, Rn. 121 m.w.N.). Es liegen hinsichtlich der rentenrechtlichen Bewertung von Wehrdienst im Beitrittsgebiet und in der Bundesrepublik bereits keine wesentlich gleichen Sachverhalte vor. Denn die Bewertungsregelung in § 256 Abs 3 Satz 1 SGB VI für in der Bundesrepublik zurückgelegte Wehrdienstzeiten setzt nicht lediglich die Ableistung von Wehr- oder Zivildienst im Umfang von mehr als drei Tagen voraus, sondern verlangt als weiteres Tatbestandsmerkmal, dass für diese Zeiten "Pflichtbeiträge gezahlt worden sind". Das trifft für die in der NVA der ehemaligen DDR abgeleisteten Wehrdienstzeiten im Gegensatz zu den vom Bund in der Zeit vom 01.05.1961 bis zum 31.12.1981 auf der Grundlage des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelts entrichteten Pauschalbeiträge jedoch nicht zu (vgl. BSG, Beschluss vom 22.12.2022 – B 5 R 119/22 B –, Rn. 9).

 

2. Arbeitslosigkeitszeiten vom 30.07.1982 bis zum 30.09.1983 und vom 28.04.1987 bis zum 16.02.1988

Hinsichtlich dieser Zeiten hat der Kläger keinen Anspruch auf Zugrundelegung einer Pflichtbeitragszeit. Der Kläger ist in diesen Zeiträumen ausweislich seines Ausweises für Arbeit und Sozialversicherung der ehemaligen DDR nicht beschäftigt gewesen.

Eine Berücksichtigung von Entgeltpunkten für Verfolgungszeiten als Pflichtbeitragszeiten nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BerRehaG i.V.m. der Anlage 13 zum SGB VI kommt nicht in Betracht, da hinsichtlich dieser Zeiten keine berufliche Rehabilitierung des Klägers erfolgt ist. Zuständig für Entscheidungen nach dem BerRehaG ist nach § 17 Abs. 3 Satz 1 BerRehaG die Rehabilitierungsbehörde des Landes, von dessen Gebiet nach dem Stand vom 03.10.1990 die Verfolgungsmaßnahme ausgegangen ist, das ist vorliegend das Landesverwaltungsamt Halle. Die Rehabilitierungsbehörde ist gem. § 22 Abs. 1 BerRehaG u.a. zuständig für die Feststellung der Verfolgung, des Begins und Endes der Verfolgungszeit und der Angabe der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit, die ohne die Verfolgung ausgeübt worden wäre. Nach der vorliegenden Bescheinigung des Landesverwaltungsamtes Halle vom 25.08.2015 ist die Verfolgungszeit (§ 2 BerRehaG) bestimmt worden auf den Zeitraum vom 25.07.1988 bis zum 07.02.1989 und umfasst nicht die geltend gemachten Arbeitslosigkeitszeiten vom 30.07.1982 bis zum 30.09.1983 und vom 28.04.1987 bis zum 16.02.1988. Diese Entscheidung ist auch durch das klageabweisende Urteil des VG Halle vom 28.07.2018 - 1 A 221/15 HAL – sowie den Beschluss des BVerwG vom 24.09.2018 – 3 B 34/17 – bestätigt worden.

 

3. Pflichtbeitragszeit vom 12.07.1988 bis zum 24.07.1988

Eine Berücksichtigung dieses Zeitraums, in dem der Kläger als Bewachungskraft in einer Brauerei tätig gewesen ist, als Pflichtbeitragszeit kommt nicht in Betracht. Diese Zeit stellt bereits keine glaubhaft gemachte Beitragszeit nach § 256b Abs. 1 Satz 1 SGB VI dar. Voraussetzung hierfür wäre, dass glaubhaft gemacht wäre, dass der Kläger in dieser Zeit beschäftigt gewesen ist, und hierfür auch Beiträge abgeführt worden sind. Glaubhaft gemacht in diesem Sinne ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (§ 23 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz [SGB X]), also zumindest mehr dafür als dagegen spricht (Beweismaßstab der überwiegenden Wahrscheinlichkeit). Hiervon ausgehend ergibt sich aus dem vorliegenden Eintrag im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung zwar das Vorliegen einer Beschäftigung des Klägers ab dem 12.07.1988 in der VEB Brauerei O., nicht aber die Abführung von entsprechenden Beiträgen. Denn in der Spalte „beitragspflichtiger Gesamtverdienst“ sind diesbezüglich keine Einträge vorgenommen worden. Angesichts der Kürze des Zeitraums vom 12.07.1988 bis zum 24.07.1988, der anschließenden Verhaftung des Klägers und des fehlenden Eintrags der Abführung von Beiträgen spricht nicht mehr dafür als dagegen, dass tatsächlich für den Kläger Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden sind.

Da durch das hinsichtlich der beruflichen Rehabilitierung zuständige Landesverwaltungsamt Halle die Zeit vom 25.07.1988 bis zum 07.02.1989 entsprechend der Bescheinigung vom 25.08.2015 nicht als Verfolgungszeit anerkannt worden ist und diese Entscheidung nachfolgend durch das VG Halle und das BVerwG bestätigt worden ist, kommt auch eine Berücksichtigung nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 21 BerRehaG nicht in Betracht.

 

4. Pflichtbeitragszeit vom 25.07.1988 bis zum 07.02.1989

Eine Einstufung dieser Zeit, in der der Kläger in der ehemaligen DDR inhaftiert gewesen ist, in die Qualifikationsgruppe 1 der Anlage 13 zum SGB VI kann nicht erfolgen. Nachdem die Beklagte zuvor im Bescheid vom 07.09.1986 diese Zeit zunächst lediglich als Ersatzzeit berücksichtigt, hat sie nach Vorlage (durch den Kläger im Februar 2019) der Bescheinigung des Landesverwaltungsamtes Halle vom 25.08.2015 nach dem BerRehaG, wonach der Kläger Opfer rechtsstaatswidriger Verfolgung bzw. der politischen Verfolgung dienender Maßnahmen im Beitrittsgebiet in der Zeit vom 25.07.1988 bis zum 07.02.1989 geworden sei und ohne Verfolgung in diesem Zeitraum die Tätigkeit als zivile Bewachungskraft ausgeübt worden wäre zeitnah und rechtlich zutreffend mit Bescheid vom 06.03.2019 die Zeit vom 25.07.1988 bis zum 07.02.1989 als Pflichtbeitragszeit bewertet. Bei der Bewertung dieser Zeit hat sie zunächst entsprechend der durch das hierfür zuständige Landesverwaltungsamt Halle angegebenen Beschäftigung als zivile Bewachungskraft, die ohne die Verfolgung ausgeübt worden wäre (§ 22 Abs. 1 Nr. 6 BerRehaG), rechtlich zutreffend die Qualifikationsgruppe 5 (angelernte und ungelernte Tätigkeiten) der Anlage 13 zum SGB VI, Bereich 10, Lebensmittelindustrie, Tabellenwerte um 1/5erhöht (§ 13 Abs. 2 Nr. 1 BerRehaG), zugrunde gelegt. Anschließend hat sie entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 13 Abs. 1a Satz 1 BerRehaG und auch entsprechend der Entscheidung des Petitionsausschusses des Landtages NRW vom 17.12.2019 eine Vergleichsberechnung mit dem Durchschnittswert von Entgeltpunkten aus der Zeit vor der Haft von 1985 bis 1987 gebildet und den höheren Wert zugrunde gelegt. Eine noch höhere Bewertung dieser Pflichtbeitragszeit ausgehend von einer Beschäftigung als Zahnarzt (Qualifikationsgruppe 1  - Hochschulabsolventen - der Anlage 13 zum SGB VI), die ohne die Verfolgung ausgeübt worden wäre, kommt nicht in Betracht, da die Entscheidung des Landesverwaltungsamtes Halle vom 25.08.2015 nachfolgend auch durch das VG Halle im Urteil vom 28.07.2017 und durch das BVerwG im Beschluss vom 24.09.2018 bestätigt worden ist.

 

5. Pflichtbeitragszeiten vom 08.02.1989 bis zum 11.05.1990

Für eine Bewertung dieser Zeit nach Haftentlassung mit anschließender Übersiedlung in die Bundesrepublik als Pflichtbeitragszeit „als Fachzahnarzt“ gibt es keine rechtliche Grundlage. Die Zeit vom 08.02.1989 bis zum 13.03.1990 ist in den angefochtenen Bescheiden als Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 6 SGB VI rechtlich zutreffend berücksichtigt worden. Ebenso rechtmäßig ist die anschließende Zugrundelegung der vom 14.03.1990 bis zum 10.05.1990 im Bundesgebiet nach Bundesrecht zurückgelegten Pflichtbeitragszeit nach § 55 SGB VI. Anhaltspunkte, dass weitere, bisher nicht berücksichtigte Pflichtbeitragszeiten im Zeitraum vom 08.02.1989 bis zum 11.05.1990 vorliegen könnten, bestehen nach dem Vorbringen des Klägers nicht.

 

6. Berücksichtigung der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 Nr. 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG).

Eine zusätzliche Berücksichtigung der streitigen Versicherungszeiten wegen einer Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG kommt nicht in Betracht. Das AAÜG gilt nach seinem § 1 Abs. 1 für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen (Versorgungssysteme) im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Dies ist hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Zeiten sämtlich nicht der Fall, da kein Nachweis darüber vorliegt, dass er einem dort genannten Zusatzversorgungssystem angehört hätte.

Eine Berücksichtigung der streitigen Zeiten wegen Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach § 13 Abs. 2, 3 BerRehaG kann ebenfalls nicht erfolgen, da durch das zuständige Landesverwaltungsamt Halle nicht anerkannt ist (§ 22 Abs. 1 Nr. 6 c) BerRehaG), dass der Kläger tatsächlich einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem angehört hätte oder ohne die Verfolgung eine Zugehörigkeit gegeben gewesen wäre. Auch insoweit ist die Entscheidung des Landesverwaltungsamtes Halle vom 25.08.2015 durch das VG Halle im Urteil vom 28.07.2017 und durch das BVerwG im Beschluss vom 24.09.2018 bestätigt worden.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, § 160 Abs. 2 SGG.

 

Rechtskraft
Aus
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