L 9 AL 43/22

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 31 AL 682/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 43/22
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 1/24 R
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts F. vom 28.01.2022 geändert.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 09.10.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2020 verurteilt, der Klägerin Kurzarbeitergeld sowie Beiträge zur Sozialversicherung für die Monate Juni 2020 bis Februar 2021 für die auf den Heimatbasen in Deutschland beschäftigten betroffenen Arbeitnehmer nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Die Klägerin begehrt Kurzarbeitergeld für ihre in Deutschland stationierten Mitarbeiter (Flug- und Kabinenpersonal) von Juni 2020 bis Februar 2021.

 

Die Klägerin ist eine Fluggesellschaft mit Unternehmenssitz auf S., die zur N.-Gruppe gehört. Diese eröffnete im Jahr 2002 ihren ersten Standort in Deutschland am Flughafen C.-M., weitere folgten an den Flughäfen V. (2007), H. (2012), F./J. (2014), U.-X. (2015), G. (2016), C.-International und Y. (2017) sowie U.-P. (2019). Zum 01.01.2020 übernahm die Klägerin die jeweiligen Heimatbasen im Wege des Betriebsübergangs. Die in Deutschland stationierten Mitarbeiter sind seither bei der Klägerin angestellt und der Flugbetrieb der N.-Gruppe wird von den deutschen Heimatbasen ausschließlich durch die Klägerin abgedeckt. Nach außen tritt weiterhin die Muttergesellschaft auf. Sie beauftragt die Klägerin im „Wet-Lease“-Verfahren mit der Durchführung der Flüge. Sowohl die Flugzeuge als auch das Personal werden von der Klägerin gestellt. Der Ticketverkauf erfolgt durch die Muttergesellschaft im eigenen Namen, auf den Tickets findet sich der Zusatz „operated by S. Air Ltd.“. Die Flugplanung für die gesamte Gruppe erfolgt am Sitz der Muttergesellschaft in W., die Geschäftsführung und Personalleitung der Klägerin haben ihren Sitz auf S..

 

Die Klägerin betrieb im streitigen Zeitraum Heimatbasen an den Flughäfen F./J., C. am Z., H., C.-M., Y., U.-X., U.-P. und V.. Die U. Heimatbasen befinden sich seit November 2020 am Flughafen U.-D.. An den Heimatbasen sind die Flugzeuge der Klägerin stationiert. Die als Flug- und Kabinenpersonal beschäftigten Mitarbeiter sind jeweils einer Heimatbasis an einem deutschen Flughafen zugewiesen. Die Klägerin behält sich in ihren Arbeitsverträgen vor, die Mitarbeiter an eine andere Heimatbasis zu versetzen. Die Lohnabrechnung für die in Deutschland stationierten Mitarbeiter erfolgt über einen externen Dienstleister in F.. Der Klägerin wurde von der Agentur für Arbeit F. eine einheitliche Betriebsnummer für alle deutschen Heimatbasen zugeteilt. Insgesamt beschäftigte die Klägerin im Juni 2020 in Deutschland 1.175 Mitarbeiter, davon befanden sich 898 in Kurzarbeit. Ein Betriebsrat existierte im streitigen Zeitraum an keiner Heimatbasis. An den einzelnen Heimatbasen sind jeweils ein „base captain“ für das Flugpersonal und ein „base supervisor“ für das Kabinenpersonal zuständig. Diese erfüllen neben ihrer Tätigkeit im Flugbetrieb administrative Aufgaben und haben Entscheidungskompetenzen, die dazu dienen, einen reibungslosen Betriebsablauf vor Ort sicherzustellen. Entscheidungen im Flugbetrieb und im Personalbereich werden von der Flugzentrale in W. und der Unternehmens- und Personalleitung auf S. getroffen. Die Klägerin verfügt an den Heimatbasen über Räumlichkeiten, in denen der „base captain“ und der „base supervisor“ ihre administrativen Tätigkeiten ausführen und sich die Mitarbeiter während ihrer Dienstzeiten aufhalten können. In den Räumlichkeiten werden Schulungen durchgeführt und stehen Computerarbeitsplätze für dienstliche Zwecke zur Verfügung.

 

Die Klägerin wandte sich mit Schreiben vom 11.03.2020 an die Beklagte und wies auf Einschränkungen des Flugbetriebs aufgrund der Corona-Pandemie und die beabsichtigte Einführung von Kurzarbeit hin. Ab dem 19.03.2020 wurde der Flugverkehr an den deutschen Stationierungsorten stark eingeschränkt und ab dem 24.03.2020 nahezu vollständig ausgesetzt. Am 31.03.2020 vereinbarte die Klägerin mit der Gewerkschaft Q. einen Tarifvertrag zur Einführung von Kurzarbeit bis zum 31.05.2020. Für Juni 2020 wurden entsprechende Verträge mit Q. und mit der O. geschlossen. Diese Vereinbarungen wurden später bis zum 31.12.2021 verlängert.

 

Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes starteten oder landeten im Jahr 2020 rund 57,8 Mio. Fluggäste auf den 24 größten Verkehrsflughäfen in Deutschland (Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes Nr. 048 vom 02.02.2021). Das waren 74,5 % weniger als im Vorjahr und der geringste Wert seit der deutschen Vereinigung. Von April 2020 bis Juni 2020 kam der Flugverkehr fast völlig zum Erliegen. Von Juli 2020 bis September 2020 erfolgte eine Konsolidierung der Passagierzahlen auf niedrigem Niveau (-79 %), bevor sie wieder schrittweise abnahmen. Für das Vierte Quartal 2020 war ein Rückgang um 87 % zu verzeichnen. In dieser Größenordnung bewegte sich der Rückgang auch im Ersten Quartal 2021, in dem es noch strenge Corona-Schutzmaßnahmen in Deutschland gab. An den Heimatbasen der Klägerin waren im streitigen Zeitraum jeweils mindestens 10% der Beschäftigten von einem Entgeltausfall von mindestens 10% betroffen.

 

Am 31.03.2020 zeigte die Klägerin einen erheblichen Arbeitsausfall bei der Agentur für Arbeit F. an. Anzeigen erfolgten darüber hinaus auch bei den Agenturen C. am Z., L., H., Y., U. Mitte, K. und I.. Die Agentur für Arbeit F. erteilte am 01.04.2020 einen Anerkennungsbescheid gem. § 99 Abs. 3 SGB III hinsichtlich des erheblichen Arbeitsausfalls und der betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld für März 2020 bis Mai 2020. Mit Bescheid vom 29.05.2020 hob die Beklagte den Anerkennungsbescheid wieder auf. Die Klägerin habe keinen Betrieb in Deutschland, da alle wesentlichen Entscheidungen auf S. getroffen würden. Mit Beschluss vom 06.07.2020 stellte das Sozialgericht Köln die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Klägerin gegen die Aufhebung des Anerkennungsbescheides fest, die Beschwerde der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 17.09.2020 – L 20 AL 109/20 B ER). Die Beklagte erteilte daraufhin am 29.09.2020 wieder einen Anerkennungsbescheid für März 2020 bis Mai 2020 und zahlte für diesen Zeitraum Kurzarbeitergeld.

 

Die Klägerin zeigte mit Schreiben vom 26.06.2020 bei der Agentur für Arbeit F. den erheblichen Arbeitsausfall im Juni 2020 an. Zeitgleich informierte die Klägerin die Agenturen für Arbeit, in deren örtlichen Zuständigkeitsbereichen sich die Heimatbasen befinden, über die bei der Agentur für Arbeit F. erfolgte Anzeige. Mit Schreiben vom 31.07.2020 zeigte die Klägerin den Arbeitsausfall von Juli 2020 bis Februar 2021 bei der Agentur für Arbeit F. an. Weitere Anzeigen erfolgten wieder bei den für die einzelnen Heimatbasen zuständigen Agenturen.

 

Am 28.08.2020 beantragte die Klägerin Kurzarbeitergeld sowie Sozialversicherungsbeiträge für Juni 2020 und Juli 2020.

 

Mit Bescheid vom 09.10.2020 lehnte die Beklagte die Erteilung eines Anerkennungsbescheides für den Zeitraum ab Juni 2020 ab. Die betrieblichen Voraussetzungen lägen nicht vor, denn die Klägerin verfüge nicht über einen Betrieb iSd § 97 SGB III im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Dafür sei eine eigene institutionelle Leitung im Inland erforderlich, die die Durchführung der arbeitstechnischen Zwecke steuere und dabei den Kern der Arbeitgeberfunktionen im sozialen und personellen Bereich wahrnehme. Maßgebendes Kriterium sei die Entscheidung in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten. Eine organisatorische Einheit sei daher kein Betrieb, wenn dort die Arbeitgeberfunktionen im Bereich der personellen und sozialen Mitbestimmung nicht zumindest im Kern – sei es auch nach Richtlinien einer Zentrale – ausgeübt würden. Die Klägerin verfüge im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht über einen Betrieb, da die wesentlichen Entscheidungen von dem Management auf S. getroffen würden. Dort sei der Chefpilot stationiert, der die Aufsicht über die Piloten und Flugbegleiter führe. Der „base captain“ setze lediglich die Entscheidungen der Personalabteilung bzw. des Chefpiloten um. Betriebsabteilungen iSv § 97 SGB III könnten nicht zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen an die Stelle des Betriebes treten.

 

Die Klägerin beantragte am 12.10.2020 Kurzarbeitergeld sowie Sozialversicherungsbeiträge für August 2020.

 

Den am 23.10.2020 erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.10.2020 zurück. Die betrieblichen Voraussetzungen für Kurzarbeitergeld seien nicht erfüllt, da die Klägerin keinen Betrieb und auch keine Betriebsabteilung in Deutschland habe.

 

Die Klägerin hat am 06.11.2020 Klage erhoben. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Anerkennungsbescheides gem. § 99 Abs. 3 SGB III seien erfüllt. Ein erheblicher Arbeitsausfall und die betrieblichen Voraussetzungen lägen vor. Die Heimatbasen in Deutschland seien als Betriebsabteilungen iSd § 97 Satz 2 SGB III anzusehen, was für die Bejahung eines Betriebssitzes im Inland ausreichend sei. Der Begriff der Betriebsabteilung sei weit auszulegen. Der Gesetzgeber habe keine hohen Anforderungen an die organisatorischen Strukturen stellen wollen. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die in Deutschland stationierten Mitarbeiter der Klägerin auch hier steuer- und sozialversicherungspflichtig seien.

 

Die Klägerin hat Kurzarbeitergeld sowie Sozialversicherungsbeiträge am 23.12.2020 für September 2020 und Oktober 2020, am 19.02.2021 für November 2020, am 09.03.2021 für Dezember 2020, am 30.04.2021 für Januar 2021 und am 06.05.2021 für Februar 2021 beantragt.

 

Sie hat die von ihr von Juni 2020 bis Februar 2021 beanspruchten Leistungen auf ca. 11 Mio. € beziffert.

 

Die Klägerin hat beantragt,

„1. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.10.2020 und des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2020 zu verpflichten, ihr auf ihre Anzeige über Arbeitsausfall vom 29.06.2020 einen schriftlichen Bescheid zu erteilen (§ 99 Abs. 3 SGB III), in dem festgestellt wird, dass ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld für den beantragten Zeitraum (01.06.2020 bis 30.06.2020) erfüllt sind,

 

2. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.10.2020 und des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2020 zu verpflichten, ihr auf ihre Anzeige über Arbeitsausfall vom 31.07.2020 einen schriftlichen Bescheid zu erteilen (§ 99 Abs. 3 SGB III), in dem festgestellt wird, dass ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld für den beantragten Zeitraum (01.07.2020 bis 28.02.2021) erfüllt sind,

für den Fall, dass und soweit das Gericht die Anträge zu 1. und/oder 2. für unzulässig halten sollte, hilfsweise

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.10.2020 und des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2020 zu verurteilen, auf die Leistungsanträge vom 28.08.2020 und 09.10.2020 an sie

a) für Juni 2020 Kurzarbeitergeld iHv 1.226.691,69 € sowie die pauschalierte Erstattung der darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge iHv 907.280,71 € zu zahlen,

b) für Juli 2020 Kurzarbeitergeld iHv 647.896,20 € sowie die pauschalierte Erstattung der darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge iHv 511.998,31 € zu zahlen,

c) für August 2020 Kurzarbeitergeld iHv 354.233,08 € sowie die pauschalierte Erstattung der darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge iHv 314.191,61 € zu zahlen,

d) für September 2020 Kurzarbeitergeld iHv 323.908,86 € sowie die pauschalierte Erstattung der darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge iHv 286.094,06 € zu zahlen,

e) für Oktober 2020 Kurzarbeitergeld iHv 389.308,38 € sowie die pauschalierte Erstattung der darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge iHv 327.231,08 € zu zahlen,

f) für November 2020 Kurzarbeitergeld iHv 671.653,68 € sowie die pauschalierte Erstattung der darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge iHv 484.374,66 € zu zahlen,

g) für Dezember 2020 Kurzarbeitergeld iHv 838.274,12 € sowie die pauschalierte Erstattung der darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge iHv 567.871,70 € zu zahlen,

h) für Januar 2021 Kurzarbeitergeld iHv 957.719,37 € sowie die pauschalierte Erstattung der darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge iHv 626.966,05 € zu zahlen und

i) für Februar 2021 Kurzarbeitergeld iHv 957.719,37 € sowie die pauschalierte Erstattung der darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge iHv 626.966,05 € zu zahlen.“

 

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Sie hat an der Begründung des angefochtenen Bescheides festgehalten.

 

Mit Beschluss vom 08.03.2021 - L 9 AL 198/20 B ER hat der Senat die Beklagte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, der Klägerin vorläufig einen Anerkennungsbescheid für den streitigen Zeitraum zu erteilen.

 

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung des Sozialgerichts ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Das Sozialgericht hat mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 28.01.2022 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.10.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2020 verpflichtet, der Klägerin hinsichtlich ihrer in der Bundesrepublik Deutschland befindlichen Heimatbasen für den Zeitraum vom 01.06.2020 bis zum 28.02.2021 einen Anerkennungsbescheid nach § 99 Abs. 3 SGB III zu erteilen. Es hat im Wesentlichen auf den Beschluss des Senates vom 08.03.2021 Bezug genommen.

 

Die Beklagte hat gegen das ihr am 11.02.2022 zugestellte Urteil am 02.03.2022 Berufung eingelegt. Ein Betrieb iSv § 97 SGB III könne nur angenommen werden, wenn sich auch die Personalleitung im Inland befinde, da andernfalls keine Möglichkeit bestehe, die Voraussetzungen der Kurzarbeit zu überprüfen. Aus dem europäischen Recht lasse sich kein anderes Ergebnis ableiten.

 

Die Klägerin hat im Berufungsverfahren ihren Antrag geändert und begehrt nunmehr mit dem Hauptantrag Kurzarbeitergeld und Beiträge zur Sozialversicherung für den streitigen Zeitraum. Sie habe einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld für ihre Mitarbeiter, da es sich bei den Heimatbasen jedenfalls um inländische Betriebsabteilungen handele. Andernfalls könnten ihre Mitarbeiter weder in Deutschland noch in S. Kurzarbeitergeld beziehen, weil in S. keine Sozialversicherungsbeiträge gezahlt worden seien. Dies sei nicht mit Verfassungsrecht und dem europäischen Recht vereinbar. Soweit sie nicht direkt auf Kurzarbeitergeld klagen könne, sei jedenfalls die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.10.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2020 zu verurteilen, ihr Kurzarbeitergeld sowie Beiträge zur Sozialversicherung für die Monate Juni 2020 bis Februar 2021 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen, hilfsweise die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

 

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts vom 11.02.2022 zu ändern und die Klage abzuweisen.

 

Die Beklagte hat sich mit der Änderung des Antrages der Klägerin einverstanden erklärt.

 

Der Senat hat die Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes Nr. 048 vom 02.02.2021, die Anordnung des Gesundheitsministeriums vom 06.08.2020 zur Beschränkung im Luftverkehr (Bundesanzeiger vom 07.08.2020) und die Anordnung des Gesundheitsministeriums vom 05.11.2020 (Bundesanzeiger vom 06.11.2020) zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

 

Auf den im Berufungsverfahren geänderten Klageantrag war das Urteil des Sozialgerichts vom 11.02.2022 zu ändern und die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.

 

Die Klage ist zulässig.

 

Streitgegenstand des Verfahrens sind die Aufhebung des Bescheides vom 09.10.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2020 und ein Anspruch der Klägerin auf Kurzarbeitergeld sowie Sozialversicherungsbeiträge von Juni 2020 bis Februar 2021. Das Verwaltungsverfahren für die Gewährung von Kurzarbeitergeld ist zweistufig ausgestaltet. Nach § 99 Abs. 3 SGB III erteilt die Agentur für Arbeit dem den Arbeitsausfall Anzeigenden (Arbeitgeber oder Betriebsvertretung) unverzüglich einen schriftlichen Bescheid (Anerkennungsbescheid) darüber, ob auf Grund der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind. Der Anerkennungsbescheid enthält neben der gesetzlich ausdrücklich zugelassenen Elementenfeststellung formal die Zusicherung, dass bei Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen (§ 98 SGB III) und ordnungsgemäßer Antragstellung (§§ 323, 325 SGB III) Kurzarbeitergeld für die Dauer des Arbeitsausfalls bis zur Höchstdauer gezahlt wird. Dem Anerkennungsverfahren schließt sich das Leistungsverfahren an, in dem in der zweiten Stufe jeweils für Zeiträume, die durch den Leistungsantrag (§ 323 Abs. 2 SGB III) bestimmt werden, das den Arbeitnehmern zustehende Kurzarbeitergeld bewilligt wird (BSG Urteil vom 14.09.2010 - B 7 AL 21/09 R). Der Anerkennungsbescheid ist grundsätzlich im Wege der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 HS 2, Abs. 2 SGG) zu verfolgen. Ungeachtet dessen kann und muss die Klägerin im vorliegenden Verfahren direkt auf Zahlung von Kurzarbeitergeld (§ 54 Abs. 4 SGG) klagen. Sie hat bereits während des erstinstanzlichen Verfahrens für alle streitgegenständlichen Monate gem. § 323 Abs. 2 SGB III Leistungsanträge bei der Beklagten gestellt. Der negative Anerkennungsbescheid beinhaltet zugleich eine Ablehnung der begehrten Leistung, gegen die sich der Betroffene mit der Anfechtungs- und Leistungsklage, gerichtet auf die Zahlung von Kurzarbeitergeld, wehren muss (BSG Urteile vom 21.07.2009 – B 7 AL 3/08 R und vom 24.06.1999 – B 11 AL 1/99 R). Allein diese Klage ist zulässig, denn die Rechtsordnung gibt dem Rechtsuchenden grundsätzlich nur das Recht, den begehrten Rechtsschutz auf dem kürzesten Weg zu suchen (BSG Urteil vom 15.02.1990 – 7 RAr 22/89). Offenbleiben kann, ob ausnahmsweise etwas Anderes gilt, wenn der Erklärung und dem Verhalten des Arbeitgebers eindeutig zu entnehmen ist, dass er allein den negativen Anerkennungsbescheid anfechten will (dazu BSG Urteil vom 24.06.1999 – B 11 AL 1/99 R), denn die Klägerin macht mit ihrem geänderten Hauptantrag nunmehr mit der allein zutreffenden Klageart einen Zahlungsanspruch geltend.

 

Der Zahlungsanspruch ist Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden, obwohl die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren allein auf den damaligen Hauptantrag verurteilt worden ist, einen Anerkennungsbescheid zu erteilen, und nur die Beklagte Berufung eingelegt hat. Der wegen Zuerkennung des Hauptantrags nicht beschiedene erstinstanzliche Hilfsantrag der Klägerin ist durch die Rechtsmitteleinlegung der Beklagten Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens geworden (hierzu BSG Urteil vom 16.08.1990 – 4 RA 10/90; BGH Urteil vom 18.07.2013 – III ZR 208/12; Adams in jurisPK-SGG, § 56 Rn. 26; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 56 Rn. 7). Wenn es sich bei einem Wechsel von Haupt- und Hilfsantrag im Berufungsverfahren um eine Klageänderung handelt (so BAG Urteil vom 06.09.2018 – 6 AZR 204/17), so liegen die Voraussetzungen des § 99 Abs. 1 SGG jedenfalls vor, denn die Änderung ist sachdienlich und die Beklagte hat sich mit ihr einverstanden erklärt.

 

Das Urteil des Sozialgerichts, mit dem die Beklagte lediglich zur Erteilung eines Anerkennungsbescheides verurteilt worden ist, steht der Zulässigkeit der im Berufungsverfahren zuletzt erhobenen Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) auf Zahlung des Kurzarbeitergeldes nicht entgegen, da es nicht rechtskräftig (§ 77 SGG) geworden ist. Die Beklagte hat gegen dieses Urteil eine gem. §§ 143, 144 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung erhoben.

 

Die Klägerin ist klagebefugt. Die jeweiligen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind zwar Inhaber des Anspruchs, jedoch nicht aktivlegitimiert, den Anspruch gegenüber der Beklagten geltend zu machen. Dies erfolgt durch den Arbeitgeber, der insoweit Prozessstandschafter der Arbeitnehmer ist und deren Rechte im eigenen Namen geltend machen kann. Die Arbeitnehmer der Klägerin sind nicht notwendig beizuladen (BSG Urteil vom 25.05.2005 – B 11a/11 AL 15/04 R).

 

Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung von Kurzarbeitergeld sowie Beiträgen zur Sozialversicherung für Juni 2020 bis Februar 2021 für ihre auf den Heimatbasen in Deutschland beschäftigten betroffenen Arbeitnehmer nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften.

 

Der Anspruch auf Kurzarbeitergeld beruht auf § 95 Satz 1 SGB III. Danach haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf Kurzarbeitergeld, wenn 1. ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliegt, 2. die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind, 3. die persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind und 4. der Arbeitsausfall der Agentur für Arbeit angezeigt worden ist.

 

Im streitigen Zeitraum lag ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall iSv § 95 Satz 1 Nr. 1 SGB III vor. Nach § 96 Abs. 1 SGB III ist ein Arbeitsausfall erheblich, wenn er 1. auf wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbaren Ereignis beruht, 2. vorübergehend ist, 3. nicht vermeidbar ist und 4. im jeweiligen Kalendermonat (Anspruchszeitraum) mindestens ein Drittel der in dem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer von einem Entgeltausfall von jeweils mehr als 10 Prozent ihres monatlichen Bruttoentgelts betroffen ist; der Entgeltausfall kann auch jeweils 100 Prozent des monatlichen Bruttoentgelts betragen. Diese gesetzlichen Voraussetzungen sind durch die auf § 109 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 SGB III gestützte Verordnung über Erleichterungen der Kurzarbeit (Kurzarbeitergeldverordnung - KugV) vom 25.03.2020 (BGBl. 2020 I 595 ff) insoweit modifiziert worden, als gem. § 1 Nr. 1 KugV abweichend von § 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB III der Anteil der in dem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer, die im jeweiligen Kalendermonat (Anspruchszeitraum) von einem Entgeltausfall von jeweils mehr als zehn Prozent ihres monatlichen Bruttoentgelts betroffen sind, auf mindestens zehn Prozent festgesetzt wird.

 

An allen Heimatbasen waren im jeweiligen Kalendermonat mehr als zehn Prozent der Mitarbeiter von einem Entgeltausfall von jeweils mehr als zehn Prozent ihres monatlichen Bruttoentgelts betroffen. Auf die Frage, ob es sich bei den Heimatbasen um einen Gesamtbetreib oder um Betriebsabteilungen handelt (zur Relevanz dieser Frage für die Berechnung des Mindestentgeltausfalls vergl. Kühl in Brand, SGB III, 9. Aufl. 2021, § 97 Rn. 6), kommt es daher nicht an.

 

Der Entgeltausfall beruhte auf einem unabwendbaren Ereignis iSv § 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III. Dabei handelt es sich um von außen auf den Betrieb einwirkende, als solche vom Betrieb nicht abzuwendende Umstände (BSG Urteil vom 21.06.2018 – B 11 AL 4/17 R; Kühl in Brand, SGB III, 9. Aufl., § 96 Rn. 22). Nach § 96 Abs. 3 Satz 2 SGB III liegt ein unabwendbares Ereignis auch vor, wenn ein Arbeitsausfall durch behördliche oder behördlich anerkannte Maßnahmen verursacht ist, die vom Arbeitgeber nicht zu vertreten sind. Bei den Auswirkungen der Corona-Pandemie handelt es sich um ein unabwendbares Ereignis, weil der Flugverkehr im Jahr 2020 an den deutschen Flughäfen coronabedingt um drei Viertel zurückging und in einzelnen Monaten fast völlig zum Erliegen kam (Pressemitteilung Nr. 048 des Statistischen Bundesamtes vom 02.02.2021). Gleiches gilt für das Erste Quartal 2021, in dem es noch strenge Corona-Schutzmaßnahmen in Deutschland gab. Von diesem Rückgang war auch die Klägerin betroffen. Es handelt sich dabei jedenfalls mittelbar um die Folge von behördlichen Maßnahmen. Neben dem allgemeinen Aufruf der Bundes- und Landesregierungen, Kontakte zu vermeiden, galten für den internationalen Verkehr Beschränkungen, die zu einem drastischen Rückgang von Reisen ins Ausland führten. Insofern sind vor allem die Verordnungen des Bundesministeriums für Gesundheit zur Testpflicht von Einreisenden aus Risikogebieten vom 06.08.2020 (BAnz AT 07.08.2020 V1) und 05.11.2020 (BAnz AT 06.11.2020 V1) zu nennen. Der Arbeitsausfall war allein durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie bedingt und damit vorübergehend sowie für die Klägerin unvermeidbar.

 

Die Förderung durch das Kurzarbeitergeld ist auf das Inland beschränkt (BSG Urteil vom 07.05.2019 – B 11 AL 11/18 R; LSG Bayern Urteil vom 09.08.2023 – L 10 AL 167/21; Kühl in Brand, SGB III, 9. Aufl. 2021, § 97 Rn. 9). Diese Voraussetzung ist erfüllt, denn der Arbeitsausfall ist im Inland bei inländischen Beschäftigten eingetreten, die der Sozialversicherungspflicht in Deutschland unterlagen.

 

Nach § 97 SGB III sind die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt, wenn in dem Betrieb mindestens eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer beschäftigt ist. Betrieb im Sinne der Vorschriften über das Kurzarbeitergeld ist auch eine Betriebsabteilung. Die Klägerin beschäftigt in Deutschland mindestens einen Arbeitnehmer.

 

Es handelt sich auch um einen inländischen Betrieb. Diese Voraussetzung ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz. Aus der zum Saisonkurzarbeitergeld ergangenen Rechtsprechung des BSG (BSG Urteil vom 07.05.2019 – B 11 AL 11/18 R) folgt lediglich, dass es sich für einen Anspruch auf Saisonkurzarbeitergeld um eine Beschäftigung im Inland handeln muss und der Arbeitsausfall nicht im Ausland eingetreten sein darf. Das BSG schließt in diesem Urteil einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld für Arbeitnehmer eines inländischen Betriebes, die auf Auslandsbaustellen eingesetzt sind, aus. Darüberhinausgehend wird in der Rechtsprechung gefordert, dass der Betrieb, für den Kurzarbeitergeld geltend gemacht wird, seinen Sitz im Inland haben muss (Bayerisches LSG Urteil vom 09.08.2023 – L 10 AL 167/21; Bayerisches LSG Beschluss vom 04.06.2020 – L 9 AL 61/20 B; Petzold in Hauck/Noftz, SGB III, § 97 Rn 15; Müller-Grune in JurisPK SGB III § 97 Rn. 16; zweifelnd Bieback, DB 2021, 732 ff).

 

Die Notwendigkeit eines inländischen Betriebes folgt aus dem Zweck des Kurzarbeitergeldes, Arbeitsplätze in Deutschland zu stabilisieren (Petzold in Hauck/Noftz, SGB III, § 97 Rn. 14). Welche Anforderungen an einen inländischen Betrieb zu stellen sind, ist allerdings allein vor diesem Hintergrund zu beantworten. Die Gewährung von Kurzarbeitergeld soll bei konjunkturell bedingten Arbeitsausfällen der Verhinderung von Arbeitslosigkeit und der Stabilisierung bestehender Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland dienen (BSG Urteil vom 14.03.2012 – B 14 AS 18/11 R; Kühl in Brand, SGB III, 9. Aufl. 2021, § 95 Rn. 6). Den Arbeitnehmern sollen die Arbeitsplätze und den Betrieben die eingearbeiteten Arbeitnehmer erhalten bleiben (Müller-Grune in jurisPK-SGB III, § 95 SGB III Rn. 40). Das Kurzarbeitergeld soll nur Arbeitsverhältnisse stabilisieren, die dem deutschen Arbeitsmarkt zuzurechnen sind (Bieback, DB 2021, 732).

 

Im Hinblick auf den Zweck des Kurzarbeitergeldes ist ein inländischer Betreib bereits zu bejahen, wenn die Betriebstätigkeit der Produktion von Waren oder Dienstleistungen in Deutschland dient, deshalb spezifischen Risiken für die Produktion in Deutschland ausgesetzt ist und auf Dauer angelegt ist. So werden in der Regel einzelne Mitarbeiter im Home-Office ohne Bezug zu dem Produktionsstandort Deutschland – anders als etwa Vertriebs- oder Servicemitarbeiter für Kunden in Deutschland – die Voraussetzungen eines Betriebs im Inland iSd § 97 SGB III nicht erfüllen, da deren ortsunabhängige Tätigkeit keine Produktionen von Waren oder Dienstleistungen in Deutschland darstellt und nicht zwingend inländischen Risiken iSd § 96 SGB III ausgesetzt ist. Nicht zu fordern sind hingegen von einem Hauptbetrieb abgrenzbare und mit eigenen Betriebsmitteln ausgestattete gefestigte Strukturen (so aber Petzold in Hauck/Noftz, SGB III, § 97 Rn. 15). Denn es ist anerkannt, dass auch reine Dienstleistungsunternehmen Betriebe bilden können (Petzold in Hauck/Noftz, SGB III, § 97 Rn. 5 mwN), die häufig nicht über wesentliche Betriebsmittel verfügen werden, sondern deren Produktion hauptsächlich aus dem Einsatz menschlicher Arbeitskraft besteht (zB Beratungs-, Vertriebs- oder Akquisetätigkeiten). Mit dem Zweck des Kurzarbeitergeldes wäre es nicht zu vereinbaren, Arbeitnehmer, die ausschließlich Dienstleistungen erbringen, vom Kurzarbeitergeld auszuschließen, wenn der Sitz, die Leitung und wesentliche technische Einrichtungen des Unternehmens sich im Ausland befinden. Mit der Verortung der Beschäftigung in Deutschland, der Geltung des deutschen Sozialversicherungsrechts für die Beschäftigten und der Erbringung und Abwicklung der Dienstleistung in Deutschland mit der Folge, dass diese hier den spezifischen Risiken des § 96 SGB III ausgesetzt ist, ist der Betrieb ausreichend von Betrieben im Ausland abgegrenzt (so auch Bieback, DB 2021, 732 f).

 

Die Notwendigkeit einer Dauerhaftigkeit der Produktion in Deutschland folgt daraus, dass nur vorübergehende Einrichtungen, wie Baustellen und Montageplätze (dazu LSG Bayern Beschluss vom 04.06.2020 – L 9 AL 61/20 B ER, Rn. 190; Kühl in Brand, SGB III, 9. Aufl. 2021, § 97 Rn. 7; Müller-Grune in jurisPK-SGB III, § 97 SGB III Rn. 15) von vornherein nicht geeignet sind, entsprechend dem Schutzzweck des Kurzarbeitergeldes stabile inländische Beschäftigungen zu gewährleisten.

 

Die Heimatbasen der Klägerin im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland dienen der Produktion von Dienstleistungen (Flüge von und nach Deutschland) im Inland, die den hiesigen Risiken iSd § 96 SGB III ausgesetzt sind. Es handelt sich um dauerhafte Einrichtungen, die mit Baustellen und Montageplätzen nicht vergleichbar sind. Der Begriff der Heimatbasis beruht auf dem Anhang zur Verordnung (EG) Nr. 859/2008. Danach hat der Luftfahrtunternehmer für jedes Besatzungsmitglied die Heimatbasis anzugeben (OPS 1.1090 Nr. 3.1.). Dabei handelt es sich nach dieser in der Verordnung enthaltenen Definition (OPS 1.1095 Nr. 1.7.) um den vom Luftfahrtunternehmer gegenüber dem Besatzungsmitglied benannten Ort, wo das Besatzungsmitglied normalerweise eine Dienstzeit oder eine Abfolge von Dienstzeiten beginnt und beendet und wo der Luftfahrtunternehmer normalerweise nicht für die Unterbringung des betreffenden Besatzungsmitglieds verantwortlich ist. Die Heimatbasen sind damit nach europäischen Luftfahrtrecht zwingend vorgesehen. Sie dienen gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. a und Abs. 5 VO (EG) 883/2004 auch der Bestimmung des anwendbaren Sozialrechts. Die erforderliche Zuordnung der Mitarbeiter zu den Basen hat zur Folge, dass es sich dabei um dauerhafte Einrichtungen handelt. Die Heimatbasen der Klägerin bestanden zu Beginn des streitigen Zeitraums teilweise schon seit mehr als zehn Jahren.

 

In Abweichung zur Auffassung der Beklagten ist nicht erforderlich, dass sich neben der dauerhaften Produktion von Waren und Dienstleistungen auch Leitungsstrukturen in personeller Hinsicht im Inland befinden müssen. Dem steht nicht entgegen, dass das Kurzarbeitergeld auch Subventionscharakter hat (BSG Urteil vom 11.12.2014 – B 11 AL 3/14 R; Kühl in Brand, SGB III, 9. Aufl. 2021, § 95 Rn. 7). Ausländische Unternehmen profitieren von der Subvention nur, soweit sie für inländische Beschäftigungen mit einem spezifischen Bezug zum inländischen Arbeitsmarkt beansprucht wird. Es wäre vor dem Hintergrund des Zwecks des Kurzarbeitergeldes und verfassungsrechtlich problematisch, den Anspruch von Arbeitnehmern in Deutschland bei identischer Risikosituation davon abhängig zu machen, ob sie für ein Unternehmen mit Leitungsstrukturen auch im Inland oder solchen nur im Ausland tätig sind und damit letztendlich den Anspruch auf Kurzarbeitergeld von Organisationsentscheidungen des Arbeitgebers abhängig zu machen, die im Übrigen im Hinblick auf eine Anspruch auf Kurzarbeitergeld zielgerichtet gestaltet werden könnten.

 

Die Notwendigkeit einer Leitung im Inland ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagte die Prüfungen des erheblichen Arbeitsausfalls nach § 96 SGB III und der persönlichen Voraussetzungen nach § 98 SGB III nicht im Inland durchführen könne, wenn die Leitung ihren Sitz im Ausland habe (so aber für Fluggesellschaften E., ZESAR 2021, 383). Gem. § 28f Abs. 1 SGB IV hat der Arbeitgeber für jeden Beschäftigten, getrennt nach Kalenderjahren, Entgeltunterlagen im Geltungsbereich dieses Gesetzes in deutscher Sprache zu führen und bis zum Ablauf des auf die letzte Prüfung (§ 28p SGB IV) folgenden Kalenderjahres geordnet aufzubewahren. Wenn ein Arbeitgeber keinen Sitz im Inland hat, hat er gem. § 28f Abs. 1b SGB IV zur Erfüllung dieser Pflichten einen Bevollmächtigten mit Sitz im Inland zu bestellen. Die Klägerin kommt dem nach, indem sie einen externen Dienstleister in F. mit der Lohnabrechnung für die in Deutschland stationierten Mitarbeiter beauftragt hat und sich dort sämtliche Entgeltunterlagen befinden. Darüber hinaus ist der Beklagten von der Klägerin ein Ansprechpartner für jede Heimatbasis benannt worden, so dass sie auch dort die entsprechenden Prüfungen durchführen kann. Soweit im Einzelfall die persönliche Anwesenheit eines Personalverantwortlichen vor Ort erforderlich sein sollte, hat die Klägerin jederzeit die Möglichkeit hat, eigenes Personal an die von ihr betriebenen Heimatbasen zu befördern.

 

Für Unternehmen mit – wie hier – Sitz in der europäischen Union käme schließlich eine Gleichstellung von Leitungsfunktionen im Ausland mit solchen im Inland aufgrund der Regelung des Art. 5 lit. b VO (EG) 883/2004 in Betracht. Der sachliche Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 ist für das Kurzarbeitergeld eröffnet, denn bei diesem handelt es sich um eine Leistung bei Arbeitslosigkeit iSd Art 3 Abs. 1 lit. h VO (EG) 883/2004 (BSG Urteil vom 07.05.2019 – B 11 AL 11/18 R; Brall in jurisPK SGB I Art 3 VO 883/2004 Rn. 56). Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse Rechtswirkungen, so berücksichtigt dieser Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen entsprechenden Sachverhalte oder Ereignisse nach dieser Vorschrift, als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Niederlassung eines ausländischen Unternehmens im Inland einen Betrieb iSv 97 SGB III darstellt, wäre der Sitz des Managements im Ausland dem Sitz im Inland daher gleichzustellen (Schuler in Fuchs/Janda, EuSozR, 8. Aufl. 2022, VO [EG] Nr. 883/2004 Art. 5 Rn. 6).

 

Die Klägerin hat den Arbeitsausfall gem. § 95 Satz 1 Nr. 4 SGB III bei den zuständigen Agenturen für Arbeit angezeigt. Der Arbeitsausfall ist gem. § 99 Abs. 1 SGB III bei der Agentur für Arbeit, in deren Bezirk der Betrieb seinen Sitz hat, schriftlich oder elektronisch anzuzeigen. Offenbleiben kann, ob es sich bei den Heimatbasen der Klägerin um einzelne Betriebe oder um einen Gesamtbetrieb handelt. Für den Gesamtbetrieb wäre die Agentur für Arbeit in F. zuständig, da dort die Lohnabrechnung für alle Mitarbeiter in Deutschland erfolgt. Für die einzelnen Heimatbasen wären die jeweils örtlich zuständigen Agenturen zuständig. Indem die Klägerin den Arbeitsausfall jeweils nicht nur bei der Agentur für Arbeit in F. angezeigt, sondern zeitgleich auch die Agenturen für Arbeit angeschrieben hat, in deren örtlichen Zuständigkeitsbereichen sich ihre Heimatbasen befinden, ist die Voraussetzung der Anzeige des Arbeitsausfalls erfüllt. Das Fehlen der Stellungnahme des Betriebsrats führt nicht zur Unwirksamkeit der Anzeige, da es sich um eine bloße Ordnungsvorschrift handelt (BSG Urteil vom 30.05.1978 – 7/12 RAr 100/76; Kühl in Brand, SGB III, 9. Aufl. 2021, § 99 Rn. 10) und die Klägerin diese Voraussetzung ohnehin nicht erfüllen konnte, da sie im streitigen Zeitraum an keiner Heimatbasis einen Betriebsrat hatte.

 

Die persönlichen Voraussetzungen nach § 98 SGB IIII sind bei einem Grundurteil nicht im Einzelnen zu prüfen, sondern es kommt darauf an, dass – wie hier - überhaupt Arbeitnehmer einen Anspruch haben. Das ist hier der Fall, denn die Arbeitnehmer sind weit überwiegend von der Klägerin während des streitigen Zeitraums weiterbeschäftigt worden. Die einzelnen Arbeitnehmer müssen nicht genannt werden, da die Agentur für Arbeit das Kurzarbeitergeld als Gesamtsumme an den Arbeitgeber auszahlt und dieser gem. § 320 Abs. 1 Satz 2 SGB III verpflichtet ist, es für die Arbeitnehmer auszurechnen und zu zahlen (BSG Urteil vom 21.06.2018 – B 11 AL 4/17 R).

 

Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen beruht auf § 2 KugV in der jeweils gF vom 25.03.2020 (BGBl I 595) und 21.10.2020 (BGBl I 2259). Nach der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung der Norm wurden dem Arbeitgeber für Arbeitsausfälle bis zum 31.12.2020 die von ihm während des Bezugs von Kurzarbeitergeld nach § 95 oder nach § 101 SGB III allein zu tragenden Beiträge zur Sozialversicherung auf Antrag von der Bundesagentur für Arbeit in pauschalierter Form erstattet. Dies galt auch ab dem 01.01.2021 mit der Maßgabe, dass die Beiträge vom 01.01.2021 bis zum 30.06.2021 in voller Höhe in pauschalierter Form erstattet wurden, wenn der Betrieb bis zum 30.06.2021 Kurzarbeit eingeführt hat. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, so dass die Klägerin im streitigen Zeitraum die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge in voller Höhe verlangen kann.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. § 197a SGG findet keine Anwendung. Der Arbeitgeber ist in Streitigkeiten über Kurzarbeitergeld nur Prozessstandschafter für seine Arbeitnehmer (BSG Urteil vom 21.07.2009 - B 7 AL 3/08 R).

 

Die Revision war aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zuzulassen.

 

Rechtskraft
Aus
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