Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 26. September 2022 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Krankengeld für den Zeitraum vom 11.02.2020 bis zum 15.05.2020.
Die 1957 geborene Klägerin war arbeitslos seit dem 01.07.2017, bezog Arbeitslosengeld I und war bei Beklagten zunächst entsprechend § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V gesetzlich krankenversichert; ab 11.02.2020 war die Klägerin familienversichertes Mitglied der Beklagten.
Im Zeitraum ab 28.02.2019 war der Klägerin durch verschiedene behandelnde Orthopäden wegen einer Verletzung sonstiger und nicht näher bezeichneter Muskeln und Sehnen im Bereich des Oberschenkels, Vorhandensein einer Hüftgelenksprothese sowie sonstigen nicht näher bezeichnete Muskelkrankheiten Arbeitsunfähigkeit bescheinigt worden. Nach Ende der Leistungsfortzahlung durch die Bundesagentur für Arbeit zahlte die Beklagte der Klägerin ab dem 20.03.2019 Krankengeld i.H.v. 74,10 Euro (brutto) täglich. Ab dem 15.05.2019 stellten die behandelnden Hausärzte der Klägerin - teilweise zusätzlich für die seitens des Orthopäden bescheinigten Arbeitsunfähigkeitszeiten - eine Arbeitsunfähigkeit wegen einer leichtgradig depressiven Episode, Nierensteinen, Schmerzen im Bereich des Oberbauches, essentieller Hypertonie sowie Burnout fest. Die Beklagte lehnte nach Einholung mehrerer medizinischer Fallberatungen und Gutachten durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Hessen (MDK Hessen) eine Weiterzahlung von Krankengeld mehrmals ab, hob ihre Entscheidung jedoch nach erneuter Einschaltung des MDK Hessen (u.a. vom 09.05.2019, 07.06.2019, 12.06.2019, 30.08.2019) mehrmals auf, nachdem ärztlicherseits eine unzureichend eingestellte Hypertonie bescheinigt wurde. In einem Gutachten nach Aktenlage vom 13.12.2019 stellte Dr. D. vom MDK Hessen fest:
„Angesichts der unzureichend eingestellten arteriellen Hypertonie mit daraus resultierenden Funktionseinschränkungen und Notwendigkeit einer weiteren Diagnostik zum Ausschluss einer primären Hypertonie (z.B. durch eine Nierenarterienstenose) ist die weitere AU medizinisch nachvollziehbar. Daher sollte dem Widerspruch der Versicherten gegen die Beendigung der Arbeitsunfähigkeit zum 31.10.2019 stattgegeben werden. … Von einem Abschluss der Diagnostik und Normalisierung der Blutdruckwerte bis Ende Dezember 2019 ist derzeit auszugehen. Daher ist die Arbeitsunfähigkeit bis Ende Dezember 2019 medizinisch plausibel. Falls über diesen Zeitpunkt weiterhin AU bestehen sollte, Wiedervorlage mit Blutdruck-Protokollen und Befundberichten (Nierenarterienduplex- und endokrinologische Untersuchung).“
Die behandelnde Hausärztin M. teilte der Beklagten auf deren Anforderung mit Formularbescheinigung vom 17.01.2020 mit, dass die Klägerin aufgrund der Diagnosen Z73G (Burn-Out-Syndrom) und I10.91G (essentielle Hypertonie, nicht näher bezeichnet) weiterhin arbeitsunfähig erkrankt sei und der Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht absehbar sei. Die Ärztin merkte an, dass ein Blutdruck von „RR 190/100 angeblich mit Blutdruck-Tbl.“ vorliege.
Unmittelbar im Anschluss an diese Feststellung der Hausärztin befand sich der (volljährige) Sohn der Klägerin wegen schwerer Depressionen und Zwangshandlungen vom 22.01.2020 bis 14.02.2020 in teilstationärer Behandlung (Entlassungsbericht der C. Tagesklinik C-Stadt vom 14.02.2020, Bl. 66 der Verwaltungsakte/ Scan, vorgelegt von der Klägerin).
Nach erneuter Beauftragung durch die Beklagte stellte Dr. D. vom MDK Hessen mit Gutachten nach Aktenlage vom 04.02.2020 fest, dass inzwischen unter laufender Medikation von einer ausreichenden Blutdruckeinstellung auszugehen sei; eine Nierenarterienstenose als Ursache der sekundären Hypertonie habe ausgeschlossen werden können. Die Klägerin sei daher auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für leichte Tätigkeiten ab sofort vollschichtig leistungsfähig.
Mit Bescheid vom 06.02.2020 teilte die Beklagte der Klägerin gestützt auf die Beurteilung des MDK Hessen mit, dass Krankengeld noch bis zum 10.02.2020 gezahlt würde. Ab 11.02.2020 war die Klägerin familienversichertes Mitglied der Beklagten. Gegen die Einstellung der Krankengeldzahlung wandte sich die Klägerin mit Widerspruch vom 02.03.2020 und führte zur Begründung aus, dass sie weiterhin unter einer schwer einstellbaren Hypertonie, begleitet von Schwindel und Herzrasen leide. Zudem habe sie stechende Schmerzen an der rechten Flanke/Niere, begleitet von heftigen Rückenschmerzen. Aufgrund der anhaltenden Medikation sei sie nicht konzentrationsfähig und könne selbst leichte Tätigkeiten nicht ausüben. Zudem bringe eine ernste psychische Erkrankung ihres Sohnes weitere Belastungen mit sich - mit Erschöpfungszuständen und Anzeichen von Burn-Out. Die Klägerin legte sodann eine (Erst-) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Internisten Dr. H. vom 04.03.2020 bis 11.03.2020 mit der Diagnose R10.4G (sonstige nicht näher bezeichnete Bauchschmerzen) vor.
Die Beklagte befragte daraufhin die behandelnden Ärzte der Klägerin. Die (bisherige) Hausärztin Frau M. gab in ihrem „Bericht über das Fortbestehen von Arbeitsunfähigkeit“ vom 17.04.2020 an, dass eine Arbeitsfähigkeit voraussichtlich ab dem 09.03.2020 bestehe. Ihres Erachtens bestehe eine mangelnde Compliance; die Medikamenteneinnahme sei fraglich. Der Internist Dr. H. gab in seinem „Bericht über das Fortbestehen von Arbeitsunfähigkeit“ vom 07.05.2020 an, dass eine Arbeitsfähigkeit voraussichtlich ab dem 15.05.2020 bestehe.
Die Klägerin meldete sich ab dem 16.05.2020 bei der Bundesagentur für Arbeit als arbeitssuchend.
Im Auftrag der Beklagten erstellte Dr. K. vom MDK Hessen am 09.06.2020 ein weiteres Gutachten nach Aktenlage. Sie kam zu dem Ergebnis, dass lediglich im Oktober 2019 und Januar 2020 erhöhte Blutdruckwerte gemessen, fachärztliche Befunde oder Blutdruckwerte jedoch nicht vorgelegt worden seien. Eine weitere Arbeitsunfähigkeit könne daher nicht nachvollzogen werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.11.2020 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 17.11.2020 Klage zum Sozialgericht Darmstadt erhoben und zur Begründung ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Die Beklagte hat den angefochtenen Bescheid aus den Gründen des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2020 für zutreffend gehalten. In dem Zeitraum vom 02.05.2020 bis zum 04.05.2020 sei die Arbeitsunfähigkeit zudem nicht lückenlos nachgewiesen worden.
Das Sozialgericht hat im Rahmen seiner Ermittlungen von Amts wegen Befundberichte bei den Hausärzten Dr. H. und Frau M. eingeholt sowie deren Behandlungsdokumentationen beigezogen. Des Weiteren hat das Gericht Beweis erhoben durch die Einholung eines sozialmedizinischen Sachverständigengutachtens bei dem Allgemeinmediziner und Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin sowie Sozialmediziner Dr. R. Der Sachverständige hat sein Gutachten vom 28.02.2022 auf die medizinischen Befunde, die in der Verwaltungsakte der Beklagten vorgelegt wurden, und auf die im Gerichtsverfahren eingeholten Befundberichte der behandelnden Hausärzte der Klägerin sowie auf eine ambulante Untersuchung der Klägerin gestützt. Der Sachverständige ist zu der Beurteilung gelangt, dass anhand der zur Verfügung gestellten Unterlagen nicht erkannt werden könne, dass die Klägerin in der Zeit vom 10.02.2020 bis zum 15.05.2020 daran gehindert gewesen sei, eine leichte Tätigkeit mit bestimmten funktionalen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig zu verrichten. Hinsichtlich der Symptomatik mit deutlich überhöhten Blutdruckwerten sei aufgrund fehlender Untersuchungsbefunde und spärlicher ärztlicher Dokumentation nicht eindeutig nachvollziehbar, warum überhaupt eine Arbeitsunfähigkeit ausgestellt worden sei. Eine suboptimal eingestellte Bluthochdruckerkrankung könne - auch unter Berücksichtigung der dokumentierten, von der Klägerin selbst gemessenen Werten - keinesfalls eine Begründung für eine Arbeitsunfähigkeit sein. Einschränkend sei jedoch darauf hinzuweisen, dass sich aufgrund der sehr spärlichen ärztlichen Befunddokumentation eine Arbeitsunfähigkeit für alle Tätigkeiten, also auch für leichte "Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt“ anhand der zur Verfügung gestellten ärztlichen Unterlagen Befunde nicht begründen lasse. Andererseits seien die von der Klägerin angegebenen Beschwerden und Symptome unter Berücksichtigung der Corona-Pandemie, hier der ersten Welle, durchaus geeignet, eine Arbeitsunfähigkeit zu begründen. Belegbar sei aber weder, dass eine Arbeitsunfähigkeit eindeutig vorgelegen habe, noch, dass eine Arbeitsunfähigkeit eindeutig nicht vorgelegen habe. Eine suboptimal eingestellte Bluthochdruckerkrankung könne aber keinesfalls eine Begründung für eine Arbeitsunfähigkeit sein, auch unter Berücksichtigung der dokumentierten Blutdruckwerte nicht. Auch vor dem Hintergrund, dass die Klägerin in dem streitgegenständlichen Zeitraum arbeitslos gewesen sei, ließen sich Einschränkungen des quantitativen Leistungsvermögens für alle Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht begründen.
Das Sozialgericht Darmstadt hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26.09.2022 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Voraussetzungen für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Krankengeld über den 10.02.2020 hinaus bis zum 15.05.2020 lägen nicht vor. Das Gericht sei nicht davon überzeugt, dass die Klägerin in dem streitgegenständlichen Zeitraum weiterhin arbeitsunfähig gewesen sei. Versicherte hätten gemäß § 44 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) Anspruch auf Krankengeld, wenn Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Für das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 44 Abs. 1 SGB V trage die Klägerin als eine ihren Anspruch begründende Tatsache die objektive Beweislast (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 27.06.2005 – L 1 KR 46/02 – juris, Rn. 60). Es gelte der Grundsatz, dass jeder Beteiligte die Beweislast für diejenigen Tatsachen - in Bezug auf das Vorhandensein positiver wie für das Fehlen negativer Tatbestandsmerkmale - trage, welche die von ihm geltend gemachte Rechtsfolge begründe (vgl. schon; BSGE 71, 256, 260 m.w.N.; ferner z.B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 103 Rn. 19a, m.w.N.). Bezogen auf den hier streitigen, aus § 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB V hergeleiteten Krankengeldanspruch bedeute dies, dass ein Versicherter regelmäßig kein Krankengeld beanspruchen könne, wenn sich mit den zu Gebote stehenden Ermittlungsmöglichkeiten nicht nachweisen lasse, dass er aus Krankheitsgründen nicht in der Lage gewesen sei, (seine) Arbeit zu verrichten (siehe zum Vorstehenden BSG, Urteil vom 08.11.2005 – B 1 KR 18/04 – juris, Rn. 19, m.w.N.). Dieser Grundsatz greife gerade typischerweise in den Fällen, in denen die Beurteilungen der Arbeits(un)fähigkeit durch den behandelnden Arzt auf der einen Seite und durch den MDK auf der anderen Seite voneinander abwichen. Dementsprechend seien nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Krankenkassen und Gerichte an den Inhalt einer ärztlichen Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit nicht gebunden. Einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung komme vielmehr lediglich die Bedeutung einer ärztlich-gutachtlichen Stellungnahme zu, welche die Grundlage für den über den Krankengeldanspruch zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bilde (vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2005 – B 1 KR 18/04 – juris, Rn. 20 m.w.N.). Im sozialgerichtlichen Verfahren sei eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in diesem Sinne ein Beweismittel wie jedes andere, sodass der durch sie bescheinigte Inhalt durch andere Beweismittel widerlegt werden könne; ob eine solche Bescheinigung dort als ausreichender und keiner weiteren Überprüfung bedürfender Nachweis angesehen werden könne, richte sich nach den Umständen des Einzelfalls und unterliege pflichtgemäßem richterlichen Ermessen (BSG, a.a.O.). Das Bestehen von Arbeitsunfähigkeit sei zur Überzeugung der Kammer vorliegend jedoch nicht erwiesen und ergebe sich insbesondere auch nicht aus den seitens des Gerichts eingeholten medizinischen Unterlagen und dem von Amts wegen eingeholten Sachverständigengutachten. Es gelte insoweit der Beweismaßstab des Vollbeweises. Das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit über den 10.02.2020 hinaus sei nicht mit der für den Vollbeweis erforderlichen an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 128, Rn. 3b) nachgewiesen. Durch die nachvollziehbaren Gutachten des MDK und das durch Gericht eingeholte Sachverständigengutachten des Dr. R. sei der Vollbeweis der Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum 10.02.2020 bis zum 15.05.2020 zur Überzeugung der Kammer nicht erbracht. Dr. R. habe in seinem Gutachten vom 28.02.2022 für die Kammer schlüssig und in sich widerspruchsfrei herausgearbeitet, dass anhand der von Amts wegen eingeholten medizinischen Unterlagen nicht erkannt werden könne, dass die Klägerin ab dem 10.02.2020 (weiterhin) daran gehindert gewesen wäre, eine leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig zu verrichten. Hinsichtlich der bestehenden Gesundheitsstörungen sei aufgrund fehlender Untersuchungs- und Befunddokumentationen in den ärztlichen Befundberichten eine retrospektive Einschätzung nicht möglich. Jedenfalls weise er auch ausdrücklich darauf hin, dass eine suboptimal eingestellte Bluthochdruckerkrankung mit den von der Klägerin selbst gemessenen Werten keinesfalls eine Begründung für eine Arbeitsunfähigkeit sei. Dies sei für die Kammer nachvollziehbar. Insoweit sei auch auffällig, dass die Hausärztin Frau M. eine Behandlung der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum dokumentierte, hierbei jedoch auf die fehlende Compliance und eine etwaige fehlende Medikamenteneinnahme der Klägerin verweise. Dies lasse ebenfalls die von der Klägerin primär vorgebrachte Arbeitsunfähigkeit aufgrund der nicht einstellbaren Bluthochdruckerkrankung äußerst fraglich erscheinen. Die Kammer habe aufgrund der beigezogenen Behandlungsdokumentation keine Zweifel, dass die Klägerin neben Dr. H. - auch entgegen der Behauptung der Klägerin - ebenfalls von Frau M. behandelt worden sei. Auch die vorgebrachte - jedoch nicht medikamentös behandelte - leichte depressive Episode und die nicht durch ärztliche Berichte belegte Nierensteinbildung sowie dessen Abgang, begründeten zur Überzeugung der Kammer keine Arbeitsunfähigkeit, sondern – hinsichtlich der depressiven Episode – allenfalls eine qualitative Einschränkung dahingehend, dass Arbeiten unter Zeitdruck, in Nachtarbeit oder Wechselschicht und mit hohen Anforderungen an Konzentration, Gedächtnis sowie Aufmerksamkeit nicht möglich gewesen seien. Retrospektiv dürften zur Überzeugung der Kammer keine anderen Beweismittel aufzufinden sein. Die vorhandenen medizinischen Unterlagen habe die Kammer beigezogen und durch einen unabhängigen Sachverständigen ergänzend auswerten lassen. Es gelte, dass der Beweiswert einer rückschauenden Leistungsbeurteilung umso größer sei, je genauer seitens des Sachverständigen differenziert werde zwischen den anlässlich der (eigenen) Untersuchung getroffenen aktuellen Feststellungen und der daraus bezogen auf diesen Zeitpunkt abgeleiteten Beurteilung einerseits und der hiervon ausgehend – unter Zuhilfenahme von geeigneten Anknüpfungspunkt der medizinischen Berichtswesen – entwickelten Einschätzung hinsichtlich der Vergangenheit andererseits. Je lückenloser die Kette der so genannten Brückensymptome in die Vergangenheit zurückreiche und je eingehender die Aussagekraft von Untersuchungsberichten aus früherer Zeit sei und in einem Gutachten erläutert werden könne, umso nachvollziehbarer, einleuchtender und schließlich auch überzeugender könne eine rückschauende Leistungsbeurteilung sein (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 07.08.2018 – L 2 R 21/16 – juris), mit der Folge einer dann nachvollziehbar auch in der Vergangenheit bestehenden Arbeitsunfähigkeit. Es lägen insoweit keine Anhaltpunkte und weitere medizinische Unterlagen vor, die das Gericht zu weiteren Ermittlungen drängen müssen (vgl. dazu insbesondere Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 14.12.2017 – L 8 KR 171/17 – juris, Rn. 31).
Die Klägerin hat gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 29.09.2022 zugestellte Urteil am 26.10.2022 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht erhoben und zur Begründung vorgetragen: Die Klägerin habe im streitigen Zeitraum unter einer Vielzahl von Erkrankungen gelitten: Bluthochdruck, Nierensteinbildung, Depression (mittelgradige Episode), Verschleiß der Wirbelsäule, Verengung des Rückenmarkkanals in Höhe der Lendenwirbelsäule; künstliches Hüftgelenk links. Schon allein hieraus lasse sich ableiten, dass die Klägerin arbeitsunfähig gewesen sei. Die Einschätzung des Internisten Dr. H. in seinem Schreiben vom 18.05.2021 seien nicht ausreichend gewürdigt worden; danach habe erst stufenweise eine antihypertensive Therapie etabliert werden müssen, was mehrere Wochen dauern könne. Außerdem sei die psychiatrische Erkrankung im Rahmen eines psychiatrischen Zusatzgutachtens abzuklären.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 26.09.2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 06.02.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.11.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Krankengeld über den 10.02.2020 hinaus bis zum 15.05.2020 im gesetzlichen Umfang zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte folge den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigengutachtens. Dr. R. habe in seinem Gutachten vom 28. Februar 2022 für die Beklagte schlüssig und in sich widerspruchsfrei herausgearbeitet, dass anhand der medizinischen Unterlagen nicht erkannt werden könne, dass es der Klägerin ab dem 11. Februar 2020 nicht möglich gewesen sei, eine leichte und gelegentlich mittelschwere Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Die in der Berufungsbegründung genannten vielseitigen Gesundheitsstörungen seien von dem Gutachter Dr. R. gesehen und umfassend gewürdigt worden.
Die Berichterstatterin des Senats hat mit den Beteiligten am 16.03.2023 einen Termin zur Erörterung des Sach- und Rechtslage durchgeführt; auf die Sitzungsniederschrift (Bl. 245 bis 246 der elektr. Gerichtsakte) wird verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten und Unterlagen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berichterstatterin des Senats konnte im vorliegenden Fall im schriftlichen Verfahren anstelle des Senats entscheiden, da alle Beteiligten hierzu am 16.03.2023 ihr Einverständnis erklärt haben, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Das Sozialgericht Darmstadt hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26.09.2022 zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 06.02.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Krankengeld in gesetzlicher Höhe über den 10.02.2020 hinaus bis zum 15.05.2022, denn es ist nicht ausreichend bewiesen, dass die Klägerin insbesondere am 11.02.2020 und nachfolgend arbeitsunfähig erkrankt war.
Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG vollumfänglich Bezug auf die Ausführungen des Sozialgerichts Darmstadt im Gerichtsbescheid vom 26.09.2022; diese sind überzeugend und würdigen alle fallentscheidenden Aspekte vollständig.
Lediglich ergänzend ist anzumerken:
Das Sozialgericht Darmstadt hat nach Beiziehung der vorhandenen Behandlungsunterlagen der behandelnden Ärzte und Einholung eines Sachverständigengutachtens zu Recht festgestellt, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin über den 10.02.2020 nicht ausreichend bewiesen sei. Der durch das Sozialgericht beauftragte Sachverständige Dr. R. weist zutreffend darauf hin, dass sich aufgrund der „sehr spärlichen ärztlichen Befunddokumentation“ eine Arbeitsunfähigkeit für alle Tätigkeiten, also auch für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, nicht begründen lasse. Tatsächlich liegen für den Zeitraum ab 11.02.2020 bis Anfang März 2020 keine Unterlagen vor, die eine schwerwiegende Bluthochdruckerkrankung oder eine psychische Erkrankung in Form einer zumindest mittelgradigen depressiven Episode belegen. Dr. H. hat die Klägerin erst ab 04.03.2020 behandelt und dementsprechend auch erst ab diesem Tag eine (Erst-) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt. Auch in Karteikarte der Hausärztin M. findet sich im Februar 2020 kein Eintrag; zuletzt war die Klägerin dort am 31.01.2020 vorstellig und sodann erst wieder am 06.03.2020. Vor diesem Hintergrund gilt der Grundsatz, dass jeder Beteiligte die Beweislast für diejenigen Tatsachen - in Bezug auf das Vorhandensein positiver wie für das Fehlen negativer Tatbestandsmerkmale - trägt, welche die von ihm geltend gemachte Rechtsfolge begründen (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl, § 103 RdNr 19a m.w.N). Bezogen auf einen aus § 44 Abs. 1 Satz 1 1. Alt SGB V hergeleiteten Krankengeldanspruch bedeutet dies, dass ein Versicherter regelmäßig kein Krankengeld beanspruchen kann, wenn sich mit den zu Gebote stehenden Ermittlungsmöglichkeiten nicht nachweisen lässt, dass er aus Krankheitsgründen nicht in der Lage gewesen ist, seine Arbeit zu verrichten (non-liquet, BSG, Urteil vom 08.11.2005, B 1 KR 18/04 R). Die Klägerin bleibt beweisfällig, denn sie kann im Zeitpunkt des Bestehens einer Krankenversicherung mit Anspruch auf Krankengeld gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V am 10.02.2020 mangels ausreichender Unterlagen eine Arbeitsunfähigkeit nicht beweisen.
Auch das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren begründet keine andere Entscheidung.
Der Vortrag der Klägerin, verschiedene Ärzte hätten bei ihr im streitigen Zeitraum verschiedene Diagnosen (Bluthochdruck, Nierensteinbildung, Depression -mittelgradige Episode), Verschleiß der Wirbelsäule, Verengung des Rückenmarkkanals in Höhe der Lendenwirbelsäule; künstliches Hüftgelenk links) gestellt, begründet keine Arbeitsunfähigkeit. Maßgeblich ist grundsätzlich nicht die Diagnose einer Krankheit, sondern die Feststellung, dass eine Krankheit den Versicherten arbeitsunfähig macht (§ 44 Abs. 1 SGB V).
Der Senat sah sich auch nicht veranlasst, ein Gutachten auf psychiatrischem Fachgebiet einzuholen, wie von der Klägerin mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 28.11.2022 angeregt. Die Berichterstatterin kann nachvollziehen, dass die Klägerin durch ihre eigene Erkrankung, aber auch die Erkrankung ihres Sohnes stark belastet war. Die Diagnose „psychische Belastung“ ist entsprechend mehrfach in der Karteikarte der Hausärztin vermerkt; eine Behandlung einer psychiatrischen Erkrankung fand jedoch zu keinem Zeitpunkt statt; es existieren auch keine ärztlichen Angaben dazu, dass die Klägerin infolge einer Depression (Burn-Out-Syndrom) arbeitsunfähig gewesen sein könnte. Denn auch zur Diagnose „psychische Belastung“ oder einer Depression existieren keine Behandlungsunterlagen, so dass auch insoweit eine gutachterliche Beurteilung scheitern dürfte. Entscheidend ist jedoch, dass es nach Auffassung des Senats insoweit bereits an einem prozessordnungsgemäßen Beweisantrag der Klägerin fehlt. Merkmal eines substantiierten Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache. Dafür ist die behauptete Tatsache möglichst präzise und bestimmt zu behaupten und zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur dies versetzt den Senat in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit eines Antrags zu prüfen und gegebenenfalls seine Ablehnung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG ausreichend zu begründen. Unbestimmte bzw. unsubstantiierte Beweisanträge oder -anregungen brauchen dem Gericht dagegen keine Beweisaufnahme nahe zu legen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Oktober 2011, B 13 R 33/11 R; Beschlüsse vom 19. November 2009, B 13 R 303/09, vom 7. Oktober 2016, B 9 V 28/16 B und vom 16. Februar 2017, B 9 V 48/16 B - juris -). Beweisanregungen, die so unsubstantiiert sind, dass im Grunde erst die Beweisaufnahme selbst die entscheidungs- und damit beweiserheblichen Tatsachen aufdecken soll beziehungsweise die allein den Zweck haben, dem Beweisführer, der nicht genügend Anhaltspunkte für seine Behauptungen angibt, erst die Grundlage für substantiierte Tatsachenbehauptungen zu verschaffen, legen dem Tatsachengericht erst recht keine weitere Beweisaufnahme nahe. Um eine solche „Ausforschungsbeweisanregung“ handelt es sich vorliegend, weil offenbar sachverständig geklärt werden soll, ob durch weitere Ermittlungen „hinreichende Hinweise“ auf eine psychiatrische Erkrankung sowie eine daraus resultierende Arbeitsunfähigkeit zu finden sind. Hiervon musste sich der Senat nicht „gedrängt“ fühlen, weiteren Beweis zu erheben (vgl. hierzu auch noch BSG, Urteil vom 18.11.2015 - B 9 V 1/14 R).
Aus Sicht der Berichterstatterin kann es vorliegend dahinstehen, ob die Klägerin ab März 2020 und nachfolgend aufgrund eines zeitweise entgleisten Bluthochdrucks, depressiver Episoden und/oder aufgrund eines Infekts erneut arbeitsunfähig erkrankt war, denn ab 11.02.2023 war die Klägerin nicht mehr mit einem Anspruch auf Krankengeld, sondern im Rahmen einer Familienversicherung, die sich an die Fortführung der Versicherung gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V anschloss, versichert. Besonderheiten der Beurteilung einer Arbeitsunfähigkeit während des ersten Lockdowns aufgrund der Corona-Pandemie ab 22.03.2020 sind daher vorliegend nicht zu berücksichtigen.
Die Berufung war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.