S 10 KR 585/20

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 10 KR 585/20
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 291/22
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 23/23 B
Datum
Kategorie
Gerichtsbescheid


Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Krankengeldanspruch der Klägerin über den 10.02.2020 hinaus. 

Die 1957 geborene Klägerin ist bei der Beklagten als Bezieherin von Arbeitslosengeld gesetzlich krankenversichert. 

Im Zeitraum ab 28.02.2019 war der Klägerin durch ihre (verschiedenen) behandelnden Orthopäden wegen einer Verletzung sonstiger und nicht näher bezeichneter Muskeln und Sehnen in Höhe des Oberschenkels, Vorhandensein einer Hüftgelenksprothese sowie sonstigen näher bezeichnete Muskelkrankheiten mit Unterbrechungen Arbeitsunfähigkeit bescheinigt worden. Ab dem 15.05.2019 stellten die (verschiedenen) behandelnden Hausärzte der Klägerin - teilweise zusätzlich für die seitens des Orthopäden bescheinigten Arbeitsunfähigkeitszeiten - eine Arbeitsunfähigkeit wegen einer leichtgradig depressiven Episode, Nierensteinen, Schmerzen im Bereich des Oberbauches, essentieller Hypertonie sowie Burnout fest. Auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auf Blatt 1 bis 112 der Behördenakte wird verwiesen. Die Beklagte zahlte der Klägerin nach Auslaufen ihres Leistungsanspruchs auf Arbeitslosengeld I ab dem 20.03.2019 Krankengeld i.H.v. 74,10 Euro (brutto).

Die Beklagte lehnte nach Einholung mehrerer medizinischer Fallberatungen und Gutachten durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Hessen (MDK Hessen) eine Weiterzahlung von Krankengeld mehrmals ab, hob ihre Entscheidung jedoch nach Einschaltung des MDK Hessen mehrmals auf, nachdem ärztlicherseits eine unzureichend eingestellte Hypertonie bescheinigt wurde.

Nach erneuter Beauftragung durch die Beklagte stellte MDK Hessen mit Gutachten nach Aktenlage vom 04.02.2020 fest, dass inzwischen unter laufender Medikation von einer ausreichenden Blutdruckeinstellung auszugehen sei; eine Nierenarterienstenose als Ursache der sekundären Hypertonie habe ausgeschlossen werden können. Die Klägerin sei daher auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für leichte Tätigkeiten ab sofort vollschichtig leistungsfähig.

Mit Bescheid vom 06.02.2020 teilte die Beklagte der Klägerin gestützt auf die Beurteilung des MDK Hessen mit, dass Krankengeld noch bis zum 10.02.2020 gezahlt würde.

Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Widerspruch vom 02.03.2020 und führte zur Begründung aus, dass sie weiterhin unter einer uneinstellbaren Hypertonie, begleitet von Schwindel und Herzrasen leide. Zudem habe sie stechende Schmerzen an der rechten Flanke/Niere, begleitet von heftigen Rückenschmerzen. Aufgrund der anhaltenden Medikation sei sie nicht konzentrationsfähig und könne selbst leichte Tätigkeiten nicht ausüben. Zudem bringe eine ernste psychische Erkrankung ihres Sohnes weitere Belastungen mit sich, mit Erschöpfungszuständen und Anzeichen von Burn-Out.

Die Beklagte befragte daraufhin die behandelnden Ärzte der Klägerin. Die Hausärztin Frau M. gab in dem Bericht über das Fortbestehen von Arbeitsunfähigkeit an, dass eine Arbeitsfähigkeit voraussichtlich ab dem 09.03.2020 bestehe. Ihres Erachtens bestehe eine mangelnde Compliance; die Medikamenteneinnahme sei fraglich. Der Hausarzt Dr. H. gab in dem Bericht über das Fortbestehen von Arbeitsunfähigkeit an, dass eine Arbeitsfähigkeit voraussichtlich ab dem 15.05.2020 bestehe.

Die Klägerin meldete sich ab dem 16.05.2020 wieder arbeitssuchend.

Im Auftrag der Beklagten erstellte der MDK Hessen unter dem 09.06.2020 ein weiteres Gutachten nach Aktenlage. Der MDK kam zu dem Ergebnis, dass lediglich im Oktober 2019 und Januar 2020 erhöhte Blutdruckwerte gemessen worden seien, fachärztliche Befunde oder Blutdruckwerte jedoch nicht vorgelegt worden seien. Eine weitere Arbeitsunfähigkeit könne daher nicht nachvollzogen werden.

Hierüber informierte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 15.06.2020, welche den Widerspruch aufrechterhielt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.11.2020 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Am 17.11.2020 hat die Klägerin hiergegen Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt erhoben.

Zur Begründung wiederholt sie im Kern ihr Vorbringen aus dem Widerspruchverfahren.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 06.02.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.11.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Krankengeld über den 10.02.2020 hinaus bis zum 15.05.2020 im gesetzlichen Umfang zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen. 

Sie hält die angefochtene Entscheidung aus den Gründen des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2020 für zutreffend. In dem Zeitraum vom 02.05.2020 bis zum 04.05.2020 sei die Arbeitsunfähigkeit zudem nicht lückenlos nachgewiesen worden.

Das Gericht hat im Rahmen seiner Ermittlungen von Amts wegen Befundberichte bei den Hausärzten Dr. H. und Frau M. eingeholt sowie deren Behandlungsdokumentationen (§ 630f Bürgerliches Gesetzbuch – BGB –) beigezogen. 

Des Weiteren hat das Gericht Beweis erhoben durch die Einholung eines sozialmedizinischen Sachverständigengutachtens gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz – SGG – bei dem Allgemeinmediziner und Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin sowie Sozialmediziner Dr. R. Der Sachverständige stützt sein Gutachten vom 28.02.2022 auf die medizinischen Befunde, die in der Verwaltungsakte der Beklagten vorgelegt wurden, und auf die im Gerichtsverfahren eingeholten Befundberichte der behandelnden Hausärzte der Klägerin, sowie auf die ambulante Untersuchung der Klägerin in seiner Praxis. 
Der Sachverständige gelangt zu der Beurteilung, dass anhand der zur Verfügung gestellten Unterlagen nicht erkannt werden könne, dass die Klägerin in der Zeit vom 10.02.2020 bis zum 15.05.2020 daran gehindert gewesen sei, eine leichte Tätigkeit mit bestimmten funktionalen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig zu verrichten. Hinsichtlich der Symptomatik mit deutlich überhöhten Blutdruckwerten sei aufgrund fehlender Untersuchungsbefunde und spärlicher ärztlicher Dokumentation nicht eindeutig nachvollziehbar, warum überhaupt eine Arbeitsunfähigkeit ausgestellt worden sei. Eine suboptimal eingestellte Bluthochdruckerkrankung könne – auch unter Berücksichtigung der dokumentierten, von der Klägerin selbst gemessenen Werten – keinesfalls eine Begründung für eine Arbeitsunfähigkeit sein. Zudem weist Dr. R. auf die Widersprüche der durch Frau M. dokumentierte Behandlung und die von der Klägerin behauptete nicht erfolgte Behandlung durch diese hin. 

Mit Schreiben vom 04.07.2022 hat das Gericht die Beteiligten davon in Kenntnis gesetzt, dass es beabsichtigt, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. 

Wegen der weiteren Einzelheiten und Unterlagen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.


Entscheidungsgründe

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden. Die Beteiligten haben – auch wenn es hierauf nicht ankommt – zudem hierzu ihr Einverständnis erklärt. Der Sachverhalt ist aus Sicht des Gerichts geklärt bzw. nicht weiter aufklärbar und bietet keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten. Es liegt ein objektives Sachverständigengutachten vor, welches den medizinischen Sachverhalt zur Überzeugung des Gerichts umfassend würdigt. Daher übt das Gericht sein Ermessen dahingehend aus, von § 105 Abs. 1 SGG Gebrauch zu machen. 

Die fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. Sie ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 4 SGG) statthaft.

Die Klage ist in der Sache jedoch unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 06.02.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.11.2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Voraussetzungen für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Krankengeld über den 10.02.2020 hinaus bis zum 15.05.2020 liegen nicht vor. Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass die Klägerin in dem streitgegenständlichen Zeitraum weiterhin arbeitsunfähig war.

Versicherte haben gemäß § 44 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) Anspruch auf Krankengeld, wenn Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Der Anspruch auf Krankengeld entsteht bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, im Übrigen von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an (§ 46 Satz 1 SGB V). Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Krankengeld, also nicht nur die Arbeitsunfähigkeit, sondern auch die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit müssen bei zeitlich befristeter Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und dementsprechender Gewährung von Krankengeld für jeden Bewilligungsabschnitt jeweils erneut vorliegen (BSG, Urteil vom 16.12.2014 – B 1 KR 25/14 R – juris).

Unter einer Krankheit ist ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand zu verstehen, der entweder Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit oder beides zur Folge hat (allgemeine Meinung, vgl. Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Kommentar, zu § 27 SGB V, Rn. 5). Behandlungsbedürftigkeit liegt vor, wenn der regelwidrige körperliche Zustand nach den Regeln der ärztlichen Kunst eine Behandlung mit dem Ziel der Heilung, zumindest der Besserung oder der Verhinderung der Verschlimmerung des anormalen Zustandes oder Linderung bei Schmerzen zugänglich ist (vgl. Krauskopf, a.a.O., Rn. 12). Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte überhaupt nicht oder nur auf die Gefahr hin, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig ist, seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit oder einer ähnlichen Tätigkeit nachzugehen (Sonnhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4.  Aufl. 2020, § 44 SGB V, Rn. 75; BSG v. 14.02.2001 – B 1 KR 30/00 R – juris, vgl. auch die Nachweise bei Brandts in: KassKomm-SGB, SGB V, § 44 Rn. 52). Der Maßstab für die Arbeitsunfähigkeit ergibt sich allein aus dem Umfang des Versicherungsschutzes im jeweils konkret bestehenden Versicherungsverhältnis (BSG, Urteil vom 19.09.2002 – B 1 KR 11/02 R – juris). Wegen des Zwecks des Krankengelds, das den vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bestehenden Lebensstandard des Versicherten sichern soll, kommt als berufliches Bezugsfeld, als Maßstab, der Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich nur die konkrete, zuletzt ausgeübte Erwerbstätigkeit in Betracht. Eine umfassende Verweisbarkeit besteht dagegen bei Versicherten, die bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit arbeitslos waren (BSG, Urteil vom 04.04.2006 – B 1 KR 21/05 R –, juris). 

Schließlich stellt sich der Begriff der Arbeitsunfähigkeit als ein Rechtsbegriff dar, dessen Voraussetzungen anhand ärztlich erhobener Befunde allein von den Krankenkassen und im Rechtsstreit von den Gerichten festzustellen ist, denn dem Attest mit der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit kommt lediglich die Bedeutung eines medizinischen Gutachtens zu. 

Für das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 44 Abs. 1 SGB V trägt die Klägerin als eine ihren Anspruch begründende Tatsache die objektive Beweislast (vgl. Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 27.06.2005 – L 1 KR 46/02 – juris, Rn. 60). Es gilt der Grundsatz, dass jeder Beteiligte die Beweislast für diejenigen Tatsachen – in Bezug auf das Vorhandensein positiver wie für das Fehlen negativer Tatbestandsmerkmale – trägt, welche die von ihm geltend gemachte Rechtsfolge begründen (vgl. schon; BSGE 71, 256, 260 m.w.N.; ferner z.B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 103 Rn. 19a, m.w.N.). Bezogen auf den hier streitigen, aus § 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB V hergeleiteten Krankengeldanspruch bedeutet dies, dass ein Versicherter regelmäßig kein Krankengeld beanspruchen kann, wenn sich mit den zu Gebote stehenden Ermittlungsmöglichkeiten nicht nachweisen lässt, dass er aus Krankheitsgründen nicht in der Lage gewesen ist, (seine) Arbeit zu verrichten (siehe zum Vorstehenden BSG, Urteil vom 08.11.2005 – B 1 KR 18/04 – juris, Rn. 19, m.w.N.).

Dieser Grundsatz greift gerade typischerweise in den Fällen, in denen die Beurteilungen der Arbeits(un)fähigkeit durch den behandelnden Arzt auf der einen Seite und durch den MDK auf der anderen Seite voneinander abweichen. Dementsprechend sind nach der ständigen Rechtsprechung des BSG Krankenkassen und Gerichte an den Inhalt einer ärztlichen Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit nicht gebunden. Einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt vielmehr lediglich die Bedeutung einer ärztlich-gutachtlichen Stellungnahme zu, welche die Grundlage für den über den Krankengeldanspruch zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bildet (vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2005 – B 1 KR 18/04 – juris, Rn. 20 m.w.N.)

Im sozialgerichtlichen Verfahren ist eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in diesem Sinne ein Beweismittel wie jedes andere, sodass der durch sie bescheinigte Inhalt durch andere Beweismittel widerlegt werden kann; ob eine solche Bescheinigung dort als ausreichender und keiner weiteren Überprüfung bedürfender Nachweis angesehen werden kann, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und unterliegt pflichtgemäßem richterlichen Ermessen (BSG, a.a.O.).

Das Bestehen von Arbeitsunfähigkeit ist zur Überzeugung der Kammer vorliegend jedoch nicht erwiesen und ergibt sich insbesondere auch nicht aus den seitens des Gerichts eingeholten medizinischen Unterlagen und dem von Amts wegen eingeholten Sachverständigengutachten. Es gilt insoweit der Beweismaßstab des Vollbeweises. Das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit über den 10.02.2020 hinaus ist nicht mit der für den Vollbeweis erforderlichen an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 128, Rn. 3b) nachgewiesen. 

Durch die nachvollziehbaren Gutachten des MDK und das durch Gericht eingeholte Sachverständigengutachten des Dr. R. ist der Vollbeweis der Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum 10.02.2020 bis zum 15.05.2020 zur Überzeugung der Kammer nicht erbracht. Dr. R. hat in seinem Gutachten vom 28.02.2022 für die Kammer schlüssig und in sich widerspruchsfrei herausgearbeitet, dass anhand der von Amts wegen eingeholten medizinischen Unterlagen nicht erkannt werden könne, dass die Klägerin ab dem 10.02.2020 (weiterhin) daran gehindert gewesen wäre, eine leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig zu verrichten. Hinsichtlich der bestehenden Gesundheitsstörungen sei aufgrund fehlender Untersuchungs- und Befunddokumentationen in den ärztlichen Befundberichten eine retrospektive Einschätzung nicht möglich. Jedenfalls weist er auch ausdrücklich darauf hin, dass eine suboptimal eingestellte Bluthochdruckerkrankung mit den von der Klägerin selbst gemessenen Werten keinesfalls eine Begründung für eine Arbeitsunfähigkeit sei. Dies ist für die Kammer nachvollziehbar. Insoweit ist auch auffällig, dass die Hausärztin Frau M. eine Behandlung der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum dokumentierte, hierbei jedoch auf die fehlende Compliance und eine etwaige fehlende Medikamenteneinnahme der Klägerin verweist. Dies lässt ebenfalls die von der Klägerin primär vorgebrachte Arbeitsunfähigkeit aufgrund der nicht einstellbaren Bluthochdruckerkrankung äußerst fraglich erscheinen. Die Kammer hat aufgrund der beigezogenen Behandlungsdokumentation keine Zweifel, dass die Klägerin neben Dr. H. – auch entgegen der Behauptung der Klägerin –  ebenfalls von Frau M. behandelt worden ist. Auch die vorgebrachte – jedoch nicht medikamentös behandelte – leichte depressive Episode und die nicht durch ärztliche Berichte belegte Nierensteinbildung sowie dessen Abgang, begründen zur Überzeugung der Kammer keine Arbeitsunfähigkeit, sondern – hinsichtlich der depressiven Episode – allenfalls eine qualitative Einschränkung dahingehend, dass Arbeiten unter Zeitdruck, in Nachtarbeit oder Wechselschicht und mit hohen Anforderungen an Konzentration, Gedächtnis sowie Aufmerksamkeit nicht möglich sind.

Retrospektiv dürften zur Überzeugung der Kammer keine anderen Beweismittel aufzufinden sein. Die vorhandenen medizinischen Unterlagen hat die Kammer beigezogen und durch einen unabhängigen Sachverständigen ergänzend auswerten lassen.

Es gilt, dass der Beweiswert einer rückschauenden Leistungsbeurteilung umso größer ist, je genauer seitens des Sachverständigen differenziert wird zwischen den anlässlich der (eigenen) Untersuchung getroffenen aktuellen Feststellungen und der daraus bezogen auf diesen Zeitpunkt abgeleiteten Beurteilung einerseits und der hiervon ausgehend – unter Zuhilfenahme von geeigneten Anknüpfungspunkt der medizinischen Berichtswesen – entwickelten Einschätzung hinsichtlich der Vergangenheit andererseits. Je lückenloser die Kette der so genannten Brückensymptome in die Vergangenheit zurückreicht und je eingehender die Aussagekraft von Untersuchungsberichten aus früherer Zeit ist und in einem Gutachten erläutert werden kann, umso nachvollziehbarer, einleuchtender und schließlich auch überzeugender kann eine rückschauende Leistungsbeurteilung sein (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 07.08.2018 – L 2 R 21/16 – juris), mit der Folge einer dann nachvollziehbar auch in der Vergangenheit bestehender Arbeitsunfähigkeit.

Es liegen insoweit keine Anhaltpunkte und weitere medizinische Unterlagen vor, die das Gericht zu weiteren Ermittlungen drängen müssten (vgl. dazu insbesondere Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 14.12.2017 – L 8 KR 171/17 – juris, Rn. 31).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens. Die Zulässigkeit der Berufung folgt aus §§ 105 Abs. 2, 143, 144 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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