L 13 R 91/22

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 26 R 1636/20
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 91/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die Vorschrift des § 30 Abs. 1 VersAusglG in der Fassung (idF) vom 03.04.2009, BGBI. I S. 700, gültig ab 01.09.2009 (a.F.) berechtigt den Rentenversicherungsträger, sich umfassend auf den Schuldnerschutz zu berufen und nicht nur anteilig in der Höhe, in der tatsächlich eine Leistungspflicht gegenüber der bisher berechtigten Person erfüllt wird (vgl. BSG, Urteil vom 09.11.1999, B 4 RA 16/99 R, juris).
2. § 30 Abs. 1 VersAusglG idF vom 12.05.2021, BGBI I S. 1085, gültig ab 01.08.2021 (n.F.) findet auf Zeiträume vor dem 01.08.2021 keine Anwendung. Die mit der Neufassung eingefügte Beschränkung des Schuldnerschutzes auf den Umfang der Überzahlung" ist keine Klarstellung , sondern eine Rechtsänderung. Eine rückwirkende Anwendung der Rechtsänderung für Zeiträume vor dem 01.08.2021 sieht das Gesetz nicht vor.
3. § 30 Abs. 1 S. 1 VersAusglG verpflichtet den Rentenversicherungsträger zu einer gebundenen Entscheidung. Die Gemeinsamen Rechtlichen Anweisungen (GRA) der Deutschen Rentenversicherung (DRV), hier: § 30 VersAusglG 2.2, vermitteln dem Versicherten keinen subjektiven Anspruch gegen den Rentenversicherungsträger, über den Schuldnerschutz nach § 30 Abs. 1 S. 1 VersAusglG a.F. im Wege der Ermessensausübung zu entscheiden.

 

 

I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 14. Januar 2022 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 17. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. November 2020 abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung einer höheren Regelaltersrente in der Zeit vom 01.04.2019 bis 29.02.2020, wobei zwischen den Beteiligten streitig ist, inwieweit sich die Beklagte auf die Befreiungswirkung des § 30 Versorgungsausgleichsgesetz (VersAusglG) berufen kann.

Der 1941 geborene Kläger war vom 01.03.1964 bis 31.01.1992 mit der 1944 geborenen Frau O. verheiratet. Aufgrund des Urteils des Amtsgerichts München vom 20.10.1992 über den Versorgungsausgleich zwischen dem Kläger und seiner geschiedenen Ehefrau O. wurden für die Ehezeit zu Lasten des Versicherungskontos des Klägers Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung auf seine – ebenfalls bei der Beklagten versicherte – geschiedene Ehefrau als ausgleichsberechtigen Ehegatten übertragen. 2008 verstarb O., die erneut geheiratet hatte. An deren Witwer wurde Witwerrente gezahlt. Aufgrund des Antrags des Klägers vom 22.03.2019 änderte das Amtsgericht München mit Beschluss vom 02.12.2019 seine Entscheidung vom 20.10.1992 über den Versorgungsausgleich zwischen dem Kläger und O. ab dem 01.04.2019 ab. Danach findet ein Ausgleich der Anrechte von O. und vom Kläger bei der Beklagten nicht (mehr) statt. Der Beschluss wurde der Beklagten am 10.12.2019 bekannt gegeben und mit Schreiben vom 22.01.2020, eingegangen bei der Beklagten am 24.01.2020, teilte das Amtsgericht mit, dass der Beschluss vom 02.12.2019 am 11.01.2020 Rechtskraft erlangte.

Der Kläger bezog ab dem 01.02.2006 eine Regelaltersrente von der Beklagten (Bescheid vom 29.11.2005). Auf den Überprüfungsantrag des Klägers wurden weitere Ausbildungszeiten bzw. Zeiten als Beamter auf Widerruf anerkannt und die Regelaltersrente neu berechnet (Bescheid vom 16.10.2017).

Am 18.12.2019 beantragte der Kläger unter Hinweis auf den Beschluss des Amtsgerichts vom 02.12.2019 die Neuberechnung der Rente.

Das für die Versicherung von O. zuständige Dezernat 4918 der Beklagten teilte am 27.03.2020 mit, dass die Rente dort ab 01.03.2020 neuberechnet worden sei.

Mit Bescheid vom 17.04.2020 hob die Beklagte den bisherigen Bescheid hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 01.03.2020 auf und berechnete die Regelaltersrente ab 01.03.2020 neu. Sie setzte ab dem 01.05.2020 eine monatliche Rentenhöhe von 1.579,08 € (monatlicher Zahlbetrag 1.410,13 €) fest und verfügte eine Nachzahlung für die Zeit vom 01.03.2020 bis zum 30.04.2020 in Höhe von 552,50 €.

Den dagegen erhobenen und nicht begründeten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.11.2020 zurück. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Neuberechnung der Altersrente ab 01.03.2020 führte die Beklagte unter Verweis auf § 30 VersAusglG Folgendes aus: Entscheide das Familiengericht rechtskräftig über den Versorgungsausgleich oder die Abänderung des Versorgungsausgleichs und zahle der Rentenversicherungsträger bereits Renten an die beteiligten Personen, so sei der Rentenversicherungsträger der ausgleichspflichtigen Person für eine Übergangszeit gegenüber der ausgleichsberechtigten Person von der Leistungspflicht (aus den übertragenen Anteilen) befreit. Die Übergangszeit dauere bis zum letzten Tag des Monats, der dem Monat folge, in dem der Versorgungsträger von der Rechtskraft der Entscheidung Kenntnis erlangt habe. Der Beschluss über den Versorgungsausgleich vom 02.12.2019 sei seit 11.01.2020 rechtskräftig und wirksam geworden. Die Mitteilung sei am 24.01.2020 bei der Beklagten eingegangen. Die Übergangszeit gemäß § 30 VersAusglG ende daher am 29.02.2020. Die Beklagte habe die Rente des Klägers unter Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs daher ab 01.03.2020 neu berechnet. Bis zum 29.02.2020 seien die Anrechte des Klägers an den Witwer seiner geschiedenen Ehefrau mit befreiender Wirkung ausgezahlt worden.

Hiergegen hat der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, am 07.12.2020 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Die Beklagte dürfe sich nur insoweit auf die Regelung des § 30 VersAusglG berufen, als Leistungen an den Witwer der verstorbenen O. erbracht worden seien. Da die Versicherte 2008 verstorben sei, seien für die Zeit vom 01.04.2019 bis 29.02.2020 keine Leistungen aus dem Versorgungsausgleich zu 100 % geleistet worden. Sofern es zu einer Zahlung einer Hinterbliebenenrente gekommen sei, könne diese höchstens 60 %, unter Berücksichtigung einer Einkommensanrechnung auch weniger, betragen haben. Der Kläger habe daher mindestens Anspruch auf 40 % der Differenz, da die Beklagte insoweit keinerlei Leistungen erbracht habe. Die Beklagte behalte Zahlungen ein, die dem Kläger zustehen würden und von ihr tatsächlich offensichtlich gar nicht ausgezahlt worden seien. Die Beklagte könne den Kläger auch nicht auf das Bereicherungsrecht verweisen, denn der Witwer der verstorbenen Exfrau des Klägers könne von Gesetzes wegen gerade keine Leistungen im Umfang der hier streitigen 40 % erhalten haben.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, sich über § 30 VersAusglG für die Übergangszeit bis 29.02.2020 auf eine vollständige Leistungsbefreiung berufen zu können.

Nach Anhörung der Beteiligte hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 14.01.2022 die Beklagte verpflichtet, unter Abänderung der Rentenbescheide vom 16.10.2017 und vom 17.04.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.11.2020 die Regelaltersrente des Klägers auch für die Zeit vom 01.04.2019 bis 29.02.2020 unter Berücksichtigung des Beschlusses des Amtsgerichts – Familiengericht – München vom 02.12.2019 neu zu berechnen und den sich ergebenden Nachzahlungsbetrag an den Kläger auszuzahlen, wobei sich die Beklagte nur in dem Umfang auf die Befreiungswirkung des § 30 VersAusglG berufen dürfe, in dem das für die Zahlung der Hinterbliebenenrente nach der 1944 geborenen und 2008 verstorbenen Versicherten O. zuständige Dezernat der Beklagten in diesem Zeitraum tatsächlich Leistungen an deren Witwer aufgrund der Entscheidung des Amtsgerichts München vom 20.10.1992 über den Versorgungsausgleich zwischen dem Kläger und O. ausgezahlt habe. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass die Beklagte gemäß § 30 Abs. 1 VersAusglG für die Übergangszeit nach Abs. 2 der Vorschrift nur im Umfang einer etwaigen Überzahlung und – entgegen ihrer bislang vertretenen Auffassung – nicht vollständig von der Leistungspflicht befreit sei. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass das Gesetz zur Änderung des Versorgungsausgleichsrechts vom 12.05.2021 erst am 01.08.2021 in Kraft getreten sei, denn mit Art. 1 Nr. 3 dieses Gesetzes habe der Gesetzgeber die Regelung des § 30 Abs. 1 VersAusglG in der Fassung vom 03.04.2009 nicht inhaltlich geändert, sondern lediglich klargestellt, dass die Leistungsbefreiung nur in dem Umfang einer tatsächlichen betragsmäßigen Überzahlung an die bisher berechtigte Person greife. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/26383, S. 10) werde die Befreiungswirkung des § 30 gegenüber der ausgleichsberechtigten Person ausdrücklich betragsmäßig auf die Höhe beschränkt, in welcher während der Übergangszeit auch tatsächlich an die bisher berechtigte Person eine nach der Versorgungsausgleichsentscheidung gegenüber der nunmehr berechtigten Person geschuldete Leistung erbracht worden sei. Nur im Umfang dieser Überzahlung kämen auch bereicherungsrechtliche Ansprüche zwischen der nunmehr auch berechtigten (ausgleichsberechtigten) Person und der bisher berechtigten (ausgleichspflichtigen) Person in Betracht. Und nur insoweit drohe dem Versorgungsträger eine doppelte Inanspruchnahme, die die Vorschrift des § 30 ihrem Sinn und Zweck nach vermeiden wolle (BT-Drs. 16/10144, S. 70). Würde dagegen jede Zahlung an die ausgleichspflichtige Person unabhängig von ihrer Höhe während der Übergangszeit zu einer vollständigen Leistungsbefreiung des Versorgungsträgers gegenüber der ausgleichsberechtigten Person führen, verbliebe regelmäßig ein Fehlbetrag, den die ausgleichsberechtigte Person weder vom Versorgungsträger noch von der ausgleichspflichtigen Person beanspruchen könne. Soweit die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung ab dem 01.06.2021 auf die Geltendmachung des Schuldnerschutzes verzichten würden, sei die Beklagte darauf hinzuweisen, dass nach den Gemeinsamen Rechtlichen Anweisungen (GRA) in geeigneten Fällen auch schon zuvor darauf verzichtet werden könne (vgl. GRA § 30 VersAusglG 2.2).

Gegen den der Beklagten am 18.01.2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 16.02.2022 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Die Voraussetzungen zur Anwendung der Schuldnerschutzregelung des § 30 VersAusglG für die Zeit vom 01.04.2019 bis 29.02.2020 seien erfüllt, wobei die Vorschrift nur eine zeitraumbezogene Betrachtungsweise zulassen würde. Das Bundessozialgericht (BSG) habe bereits für die bis zum 31.08.2009 geltende Vorgängerregelung des § 10a Abs. 7 Satz 2 Gesetz zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich (VAHRG), deren Voraussetzungen denen des § 30 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG entsprechen würden, entschieden, dass diese die betroffenen Versorgungsträger vollumfänglich vor Rückabwicklungsansprüchen im Verhältnis zu den betroffenen Ehegatten bewahre, als auch eine Rückabwicklung der von einem Versorgungsträger an den Träger der Rentenversicherung erstatteten Aufwendungen nach § 225 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) ausgeschlossen sei (BSG, Urteil vom 09.11.1999, B 4 RA 16/99 R, juris Rn. 39). Die Regelungen zum Versorgungsausgleich orientierten sich grundsätzlich am aus dem Zugewinnausgleich übernommenen Halbteilungsgrundsatz. Mit diesem, das Verhältnis der geschiedenen Ehegatten betreffenden Prinzip der materiellen Gerechtigkeit kollidiere jedoch das Prinzip der Kostenneutralität, welches für die beteiligten Versorgungsträger gelte. Deshalb müsse der Versorgungsträger nach § 30 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG so behandelt werden, als hätte er bisherige Leistungen mit Rechtsgrund erbracht bzw. seien die früheren Ehegatten untereinander auf den bereicherungsrechtlichen Ausgleich zu verweisen. Dementsprechend habe das BSG die bis zum 31.08.2009 für Fälle von Änderungsentscheidungen im Bereich des Versorgungsausgleichs geltende Vorgängerregelung des § 10a Abs. 7 Satz 2 VAHRG dahingehend ausgelegt, dass die Vorschrift die betroffenen Versorgungsträger vollumfänglich vor Rückabwicklungsansprüchen bewahre. Gleiches müsse auch für § 30 VersAusglG gelten. Nach dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG setze die Anwendung der Norm lediglich voraus, dass der Versorgungsträger im Übergangszeitraum an die bisher leistungsberechtigte Person leiste und er aufgrund der nunmehr rechtskräftigen familiengerichtlichen Entscheidung im gleichen Zeitraum auch an die nunmehr berechtigte Person leisten müsse. Eine Differenzierung nach der Höhe der Leistung nehme die Norm ausdrücklich nicht vor. Die Leistungspflicht an den neuen Berechtigten entfalle, unabhängig von der konkreten Höhe der Leistung an den bisher Berechtigten. Hierfür würden auch Sinn und Zweck des § 30 VersAusglG sprechen, nämlich die Sicherstellung der Kostenneutralität für die beteiligten Versorgungsträger. Damit werde im Verhältnis zwischen den Versorgungsträgern und den Ehegatten die Wirksamkeit der familiengerichtlichen Abänderungsentscheidung für die Dauer des in § 30 Abs. 2 VersAusglG geregelten Übergangszeitraums hinausgeschoben. Dagegen bleibe es im Verhältnis zwischen den geschiedenen Ehegatten untereinander bei dem in § 226 Abs. 4 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) festgelegten Zeitpunkt, weshalb der ausgleichsberechtigte Ehegatte gegenüber dem ausgleichsverpflichteten Ehegatten einen bereicherungsrechtlichen Anspruch geltend machen könne, was § 30 Abs. 3 VersAusglG ausdrücklich klarstelle. Die Neuregelung des Gesetzes zur Änderung des Versorgungsausgleiches vom 12.05.2021 könne nicht zur Anwendung kommen, da dieses erst ab dem 01.08.2021 in Kraft getreten sei. Es handele sich gerade nicht um eine Klarstellung, sondern um eine Neuregelung. Zutreffend sei, dass die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung beschlossen hätten, ab dem 01.06.2021 auf die Geltendmachung des Schuldnerschutzes zu verzichten und, dass in geeigneten Fällen auch schon zuvor darauf verzichtet werden könne. Unabhängig davon, dass sich daraus ein Anspruch auf Nichtanwendung des § 30 VersAusglG nicht herleiten lasse, liege hier angesichts des Datums der Abänderungsentscheidung, dem 02.12.2019, bereits kein „geeigneter Fall“ in diesem Sinne vor. Der Kläger könne bereicherungsrechtliche Ansprüche gegenüber dem Witwer der O. geltend machen. Ergänzend hat die Beklagte ausgeführt, dass der Kläger ohne Anwendung der Schuldnerschutzregelung des § 30 VersAusglG für die Zeit vom 01.04.2019 bis 29.02.2020 einen Anspruch auf Nachzahlung in Höhe von insgesamt 3.013,13 € (netto) aus der Altersrente haben würde. Die Überzahlung des Witwers der geschiedenen Ehefrau des Klägers O. würde ohne Anwendung der Schuldnerschutzvorschrift für die Zeit vom 01.04.2019 bis 29.02.2020 insgesamt 1.807,78 € betragen. Diesen Betrag könne der Kläger im Rahmen bereicherungsrechtlicher Ansprüche geltend machen. Unter Berücksichtigung dieser bereicherungsrechtlichen Ansprüche würde für den Kläger ein zu berücksichtigender Betrag in Höhe von 1.205,35 € (netto) verbleiben.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 14. Januar 2022 (Az.: S 26 R 1636/20) aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 17. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. November 2020 abzuweisen.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung hat er ausgeführt, dass sich die Beklagte nicht auf Schuldnerschutz berufen könne, soweit sie keine Leistungen erbracht habe. Es gehe ihm im Verfahren mithin um 1205,35 € (netto). Der Gesetzgeber habe insoweit auch keine Neuregelung vorgenommen, sondern es sei lediglich eine gesetzliche Klarstellung erfolgt; der Gesetzgeber sei zum Handeln aufgerufen gewesen wegen des Verwaltungsgebarens einiger Versorgungsträger, wie der Beklagten. Die Beklagte könne den Kläger auch nicht auf das Bereicherungsrecht verweisen. Denn die Gegenseite, hier der Witwer der verstorbenen Exfrau, könne von Gesetzes wegen gerade keine Leistungen im Umfang der hier strittigen 40 % erhalten haben. Die von der Beklagten zitierte Entscheidung des BSG vom 09.11.1999, 8 4 RA 16/99 R, juris Rn. 39, spreche von einer Rückabwicklung zwischen den früheren Ehegatten. Unberücksichtigt bleibe der Sonderfall, wie er aufgrund der Reform des Versorgungsausgleichsrechts zum 01.09.2009 vorliegend zwischen dem Kläger (Ehemann) und der Beklagten (als Leistungsträger von maximal 60 Prozent) eingetreten sei. Das Risiko einer Doppelzahlung liege nicht vor. Schließlich sei der Einbehalt von Rentenleistungen, für die der Kläger in Vorleistung getreten sei, unverhältnismäßig. Weiter eröffne § 30 VersAusglG der Beklagten Ermessen, ob sie sich auf Schuldnerschutz berufe oder nicht. Es sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte Ermessen ausgeübt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft, da der Wert der Beschwer gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Höhe von 750 € erreicht ist. Die Berufungsfrist ist gewahrt (§ 151 SGG).

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung einer höheren Rente verurteilt. Der streitgegenständliche, angefochtene Bescheid vom 17.04.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.11.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die dagegen erhobene Klage war daher als unbegründet abzuweisen.

Nicht Streitgegenstand des Verfahrens ist der Rentenbescheid vom 16.10.2017, der auf einen Überprüfungsantrag des Klägers nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) erlassen worden ist, was zwischen den Beteiligten im Rahmen der mündlichen Verhandlung klargestellt worden ist. Eine Klage, die sich auch gegen diesen Bescheid richten würde, wäre unzulässig, da der Bescheid vom 16.10.2017 bindend geworden ist und kein Fall der §§ 86 oder 96 SGG vorliegt. Aufgrund des hier streitigen Antrags vom 18.12.2019 auf Neuberechnung der Rente wegen der Abänderung des Versorgungsausgleichs hat die Beklagte mit Bescheid vom 17.12.2020 den „bisherigen“ Bescheid ab 01.03.2020 aufgehoben und die Regelaltersrente ab 01.03.2020 neu festgesetzt. Nur dieser Bescheid ist angefochten. Zwar ist das Begehren darauf gerichtet, eine höhere Regelaltersrente ab 01.04.2019 zu erhalten, mithin für einen Zeitraum, der vom angefochtenen Bescheid nicht genannt wird, schon aber vom Bescheid vom 16.10.2017 umfasst ist. Allerdings kann der Kläger sein Begehren nur dadurch erreichen, dass aufgrund seines Antrags vom 18.12.2019 der angefochtene Bescheid vom 17.12.2020 dahingehend geändert wird, dass er den bisherigen Bescheid zu dem vom Kläger begehrten früheren Zeitpunkt aufhebt. Er kann gerade nicht durch eine Anfechtung des früheren Bescheids vom 16.10.2017, welcher bindend geworden ist, dieses Klageziel in zulässiger Weise erreichen.

Der Kläger muss sein Begehren statthaft mit einer Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, 4 SGG), gerichtet auf teilweise Aufhebung des Bescheids vom 17.12.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.11.2020 und Verpflichtung der Beklagten, die Rente ab 01.04.2019 unter Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs und unter (teilweisen) Verzicht auf den Schuldnerschutz des § 30 VersAusglG abzuändern und die Beklagte zur Zahlung einer höheren Rente ab 01.04.2019 zu verurteilen, verfolgen.

Das so verstandene Klagebegehren ist unbegründet.

Die Beklagte war berechtigt, nach Abänderung des Versorgungsausgleichs die Rente gemäß § 101 Abs. 3 SGB VI abzuändern – § 48 SGB X ist gemäß § 101 Abs. 3 Satz 2 SGB VI insoweit nicht anzuwenden – und sich für die Übergangszeit vom 01.04.2019 bis 29.02.2020 auf die Befreiungswirkung des § 30 VersAusglG zu berufen.

Ist nach Beginn der Rente ein Versorgungsausgleich durchgeführt, wird gemäß § 101 Abs. 3 SGB VI in der Fassung (idF) vom 08.12.2006 die Rente der leistungsberechtigten Person von dem Kalendermonat an um Zuschläge oder Abschläge an Entgeltpunkten verändert, zu dessen Beginn der Versorgungsausgleich durchgeführt ist. Der Rentenbescheid ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben. Bei einer rechtskräftigen Abänderung des Versorgungsausgleichs gelten die Sätze 1 und 2 des § 101 Abs. 3 SGB VI mit der Maßgabe, dass auf den Zeitpunkt nach § 226 Abs. 4 FamG abzustellen ist. § 30 VersAusglG bleibt unberührt.

Nach § 101 Abs. 3 Satz 3 SGB VI ist die Rente nach Abänderung des Versorgungsausgleichs aufzuheben und zwar zu dem nach § 226 Abs. 4 FamFG maßgeblichen Zeitpunkt. Danach wirkt die Abänderung ab dem ersten Tag des Monats, der auf den Monat der Antragstellung folgt (vgl. § 226 Abs. 4 FamFG). Die Regelungen der Sätze 1 und 2 gelten nach Satz 3 nicht nur bei einer Erstentscheidung über den Versorgungsausgleich, sondern auch bei dessen Abänderung nach §§ 225 bis 227 FamFG, allerdings mit einer Maßgabe: Der Zeitpunkt, von dem an die Rente umzustellen ist, richtet sich nicht nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Familiengerichts, sondern bereits nach dem der Antragstellung auf die Änderung des Versorgungsausgleichs (§ 226 Abs. 4 FamFG). Die umgestellte Rente beginnt also früher als nach Satz 1, nämlich mit Beginn des auf die Antragstellung folgenden Monats (vgl. Kater in beck-online.GROSSKOMMENTAR (Kasseler Kommentar), Hrsg: Rolfs (geschf.)/Körner/Krasney/Mutschler, Stand: 01.07.2017, SGB VI, § 101 Rn. 17). Dies bewirkt in der Regel, dass der Rentenbewilligungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit abgeändert wird (vgl. Kador in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 101 (Stand 12.06.2023) Rn. 51).

Der Abänderungsantrag des Klägers beim Familiengericht datierte vom 22.03.2019, so dass die Abänderung ab dem 01.04.2019 wirkt (so auch der Beschluss des Familiengerichts). Danach ist die Rente zum 01.04.2019 abzuändern.

Eine ausdrückliche Verfügung über die Abänderung findet sich im angefochtenen Bescheid zwar nicht, eine solche Regelung ist jedoch im Wege der Auslegung des Verwaltungsakts gegeben. Im Widerspruchsbescheid konkretisiert die Beklagte unter Hinweis auf § 30 VersAusglG den Zeitpunkt der Neuberechnung ab 01.03.2020 unter Anwendung der Übergangszeit. Daraus ist bei verständiger Würdigung zu schließen, dass die Beklagte die Abänderung zwar zum 01.04.2019 vornimmt, wegen der Berufung auf die Schuldnerschutzvorschrift des § 30 VersAusglG die Rente jedoch erst ab 01.03.2020 neu berechnet. Nur bei einem solchen Verständnis ergibt es Sinn, dass sich die Beklagte auf die Schuldnerschutzvorschrift beruft, zumal die Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid ohne eine entsprechende Begründung des Widerspruchs erfolgt sind, was ebenfalls für eine Auslegung in diese Richtung spricht. Die Beklagte hat im Widerspruchsverfahren erkannt, dass hierzu noch eine Regelung erforderlich ist. Schließlich hat der Kläger den Bescheid auch in diesem Sinne verstanden, da er die Gewährung der höheren Rente – mithin die Abänderung der bisherigen Rente – ab 01.04.2019 begehrt und die Beklagte auf den Schuldnerschutz verzichten solle (vgl. Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 31 Rn. 43 ff.).

Die Beklagte hat sich zu Recht in vollem Umfang auf § 30 VersAusglG iVm § 101 Abs. 3 Satz 4 SGB VI, der eine § 407 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vergleichbare Regelung enthält (vgl. Kador a.a.O., Rn. 52), berufen.

Entscheidet das Familiengericht rechtskräftig über den Ausgleich und leistet der Versorgungsträger innerhalb einer bisher bestehenden Leistungspflicht an die bisher berechtigte Person, so ist er für eine Übergangszeit gegenüber der nunmehr auch berechtigten Person von der Leistungspflicht befreit; dies gilt für Leistungen des Versorgungsträgers an die Witwe oder den Witwer entsprechend (vgl. § 30 Abs. 1 VersAusglG idF des Gesetzes vom 03.04.2009 (BGBl I 2009, Nr. 18 vom 08.04.2009, S. 700) gültig vom 01.09.2009 bis 31.07.2021 (a.F.). Die Übergangszeit dauert bis zum letzten Tag des Monats, der dem Monat folgt, in dem der Versorgungsträger von der Rechtskraft der Entscheidung Kenntnis erlangt hat (§ 30 Abs. 2 VersAusglG). Bereicherungsansprüche zwischen der nunmehr auch berechtigten Person und der bisher berechtigten Person sowie der Witwe oder dem Witwer bleiben nach § 30 Abs. 3 VersAusglG unberührt.

§ 101 Abs. 3 Satz 4 SGB VI dient dem Schutz des verpflichteten Rentenversicherungsträgers vor Doppelleistungen, indem er auf § 30 VersAusglG verweist. Diese Vorschrift räumt dem Versorgungsträger eine Frist zur technischen Umsetzung familiengerichtlicher Entscheidungen zum Versorgungsausgleich von einem Kalendermonat ein. Da der Versorgungsträger Beteiligter des familiengerichtlichen Verfahrens ist (§ 219 FamFG), wird ihm die Entscheidung ebenfalls zugestellt. § 30 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG ordnet insoweit in einer Übergangszeit die Leistungsbefreiung des Versorgungsträgers an, wenn der Träger innerhalb einer bisher bestehenden Leistungspflicht an die bisher berechtigte Person weiterhin ungekürzt Leistungen zahlt. Adressat der Leistungsbefreiung – also die Person, gegenüber der der Träger die Leistungsbefreiung geltend machen kann – ist die durch den Versorgungsausgleich nunmehr auch berechtigte Person. Der Zeitraum der Übergangszeit der Leistungsbefreiung wird grundsätzlich durch § 30 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG festgelegt; maßgeblich ist die Rechtskraft der Entscheidung des Familiengerichts. § 30 Abs. 2 VersAusglG ordnet insoweit an, dass die Übergangszeit bis zum letzten Tag des Monats dauert, der dem Monat folgt, in dem der Versorgungsträger von der Rechtskraft der Entscheidung Kenntnis erlangt hat. Der Kürzungszeitpunkt einer gewährten Leistung liegt daher regelmäßig erst im übernächsten Monat. Maßgeblich für den Fristbeginn ist die positive Kenntnis des Leistungsträgers von der Rechtskraft des familiengerichtlichen Urteils. Diese erlangt der Leistungsträger in der Regel mit der förmlichen Rechtskraftmitteilung des zuständigen Amtsgerichts (vgl. Kador a.a.O. Rn. 52).

Das Familiengericht hat mit Beschluss vom 02.12.2019 den Versorgungsausgleich ab 01.04.2019 rechtskräftig abgeändert, mithin entschieden, dass ab 01.04.2019 ein Ausgleich der Anrechte nicht mehr stattfindet.

Die Beklagte – bei der auch Frau O. versichert war – hat innerhalb einer bis dahin aufgrund des Versorgungsausgleichs mit Urteil vom 20.10.1992 bestehenden Leistungspflicht an O. bzw. an den Witwer (vgl. § 30 Abs. 1 Satz 2 VersAusglG) geleistet.

Von der Rechtskraft hatte die Beklagte am 24.01.2020 Kenntnis erlangt. Die Übergangszeit nach § 30 Abs. 2 VersAusglG dauerte somit bis zum Ablauf des Monats Februar 2020.

Die Beklagte war auch berechtigt, sich in vollem Umfang auf die Schuldnerschutzvorschrift zu berufen – sog. zeitraumbezogene Betrachtungsweise – und nicht nur „anteilig“, soweit sie tatsächlich „doppelt“ geleistet hat.

Nach dem Wortlaut der hier maßgeblichen Vorschrift wird nicht differenziert, ob und in welcher Höhe eine Leistungspflicht gegenüber der bisher berechtigten Person erfüllt wird. Vielmehr ist danach ausreichend, dass innerhalb einer bisher bestehenden Leistungspflicht geleistet wird.

Der Gesetzesbegründung bei Einführung der hier maßgeblichen Vorschrift, lässt sich nicht entnehmen, dass eine „Teilung“ des Schuldnerschutzes gewollt war. Der Gesetzgeber wollte in Anlehnung an das bis dahin geltende Recht (§ 1587p BGB, § 3a Abs. 7 VAHRG, § 10a Abs. 7 VAHRG) den Schutz des Versorgungsträgers in einer Norm zusammenfassen und regeln. Zur Begründung des § 30 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG heißt es in der Gesetzesbegründung lediglich, dass Tatbestand und Rechtsfolge in allgemeiner Form bestimmen, dass die gestaltende Entscheidung des Familiengerichts von den Versorgungsträgern technisch umgesetzt werden muss und der Versorgungsträger unter Umständen zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung einer bereits bestehenden Leistungspflicht nachkommen muss. Diese Leistungspflicht ändert sich und ggf. tritt eine neue hinzu. „Deshalb bestimmt Absatz 1, dass der Versorgungsträger nach einer rechtskräftigen Entscheidung für eine Übergangszeit gegenüber der nunmehr auch berechtigten Person von der Leistungspflicht befreit wird, um so Doppelleistungen zu vermeiden“ (vgl. BT-Drs. 16/10144, S. 70). Dieser Begründung kann nicht entnommen werden, dass sich der Versorgungsträger nur insoweit auf den Schuldnerschutz berufen kann, wie tatsächlich eine Doppelleistung erfolgt ist. Vielmehr lässt sich der Begründung entnehmen, dass technische und verwaltungsvereinfachende Aspekte im Vordergrund standen.

Auch eine historische Betrachtungsweise stützt das Vorbringen des Klägers nicht. Sofern der Gesetzgeber mit der Einführung des § 30 VersAusglG das bis dahin geltende Recht in einer Vorschrift zusammenfassen wollte, zeigt auch der Blick auf die Vorgängervorschriften, dass für eine Auslegung der Neuregelung in der vom Kläger gewünschten Form kein Raum ist. § 10a Abs. 7 VAHRG (idF vom 25.07.1991) lautete wie folgt: „Die Abänderung wirkt auf den Zeitpunkt des der Antragstellung folgenden Monatsersten zurück. Die Ehegatten und ihre Hinterbliebenen müssen Leistungen des Versorgungsträgers gegen sich gelten lassen, die dieser auf Grund der früheren Entscheidung bis zum Ablauf des Monats erbringt, der dem Monat folgt, in dem er von dem Eintritt der Rechtskraft der Abänderungsentscheidung Kenntnis erlangt hat. Werden durch die Abänderung einem Ehegatten zum Ausgleich eines Anrechts Anrechte übertragen oder für ihn begründet, so müssen sich der Ehegatte oder seine Hinterbliebenen Leistungen, die der Ehegatte wegen dieses Anrechts gemäß § 3a erhalten hat, anrechnen lassen.“ Das BSG hat hierzu ausgeführt, dass die Norm gerade im Interesse der beteiligten Träger erlassen worden ist und diese im Ausnahmefall des beiderseitigen Leistungsbezuges umfassend und endgültig vor dem Risiko einer Doppelzahlung wie vor der Notwendigkeit der Rückabwicklung bewahrt. Es bleibt laut BSG der internen Auseinandersetzung der früheren Ehegatten vorbehalten, ggf. im Wege des bereicherungsrechtlichen Ausgleichs ein wirtschaftlich der Änderungsentscheidung entsprechendes Ergebnis auch für die Vergangenheit herzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 09.11.1999, B 4 RA 16/99 R, juris Rn. 39). Ausgehend von dieser Entscheidung und dem erklärten Willen des Gesetzgebers, diese Vorschrift in die Neuregelung zu übernehmen, kann der klare Wortlaut nicht dahingehend erweiternd ausgelegt werden, dass die Schuldnerschutzvorschrift nur anteilig zur Anwendung kommt.

Auch die zum Anwendungsbereich des § 30 VersAusglG a.F. ergangene Rechtsprechung zeigt keine Entwicklung dahingehend, dass eine anteilige Anwendung der Schuldnerschutzvorschrift zu erfolgen habe. Vielmehr gab es divergierende Rechtsprechung verschiedener Verwaltungsgerichte zu der Frage, inwieweit sich ein Versorgungsträger gegenüber der nunmehr auch ausgleichsberechtigten Person wegen innerhalb der bisher bestehenden Leistungspflicht an die jetzt ausgleichspflichtige Person erbrachten Zahlungen auf die Befreiungswirkung des § 30 berufen kann (vergleiche einerseits etwa Verwaltungsgericht (VG) Regensburg, Urteil vom 07.08.2014, RN 5 K 13.643, juris; VG A-Stadt, Urteil vom 05.01.2017, M 21 K 14.3864, juris; andererseits VG Lüneburg, Urteil vom 28.06.2017, 5 A 181/15, juris). Einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) ist nichts Anderes zu entnehmen (vgl. Beschluss vom 26.06.2017, 10 B 25.16, juris Rn. 7 ff.). Zwar mag der Leitsatz („Die aus § 30 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG folgende Befreiung des Versorgungsträgers von der Leistungspflicht besteht nur im Umfang von Leistungen, die er an die bisher berechtigte Person erbracht hat.“) eine andere Rechtsanwendung nahelegen. Die Entscheidung betraf jedoch einen anderen Sachverhalt bzw. eine andere Rechtsfrage, nämlich, ob Leistungen von berufsständischen Versorgungswerken die Schutzwirkung des § 30 VersAusglG zugunsten der betroffenen Versorgungsträger entfalten.

Der Kläger kann sich schließlich nicht auf die ab 01.08.2021 geltende Rechtslage berufen oder daraus ableiten, dass auch vor diesem Zeitpunkt der Schuldnerschutz „nur im Umfang der Überzahlung“ greifen würde.

§ 30 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG idF vom 12.05.2021, gültig ab 01.08.2021 lautet: „Entscheidet das Familiengericht rechtskräftig über den Ausgleich und leistet der Versorgungsträger innerhalb einer bisher bestehenden Leistungspflicht an die bisher berechtigte Person, so ist er für eine Übergangszeit gegenüber der nunmehr auch berechtigten Person im Umfang der Überzahlung von der Leistungspflicht befreit.“

Den Übergangsvorschriften (§§ 48 ff. VersAusglG) ist zunächst nicht zu entnehmen, dass die Neufassung des § 30 VersAusglG auch rückwirkend zur Anwendung kommt. Auch in der Gesetzesbegründung finden sich keine Hinweise, die für eine rückwirkende Anwendung der Norm sprechen könnten (vgl. dazu Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 21.07.2010, 1 BvL 11/06, juris Rn. 72 ff.).

Die Rechtsauffassung des Klägers, die Neufassung der Regelung ab 01.08.2021 belege, dass die Vorschrift auch in ihrer bisherigen Fassung im Sinne des Klägers anzuwenden wäre, überzeugt nicht.

Zwar ist richtig, dass in der Gesetzesbegründung auf Seite 2 (vgl. BT-Drs. 19/26838) formuliert ist, dass „klargestellt“ werden soll, „dass die Leistungsbefreiung nur im Umfang einer tatsächlichen betragsmäßigen Überzahlung an die bisher berechtigte Person greift, da auch nur insoweit eine Doppelleistung gegenüber den Ehegatten droht“. Die nähere Gesetzesbegründung (Zu Nummer 3 (§ 30), Seite 15 ff.) spricht jedoch eindeutig gegen eine „nur“ Klarstellung. Dort heißt es nämlich, dass auf der Grundlage der geltenden Fassung des § 30 umstritten ist, inwieweit sich der Versorgungsträger gegenüber der nunmehr auch berechtigten (ausgleichsberechtigten) Person wegen seiner innerhalb der bisher bestehenden Leistungspflicht an die bisher berechtigte (ausgleichspflichtige) Person erbrachten Zahlungen auf die Befreiungswirkung des § 30 berufen kann. Es wurde auf die bereits oben zitierte divergierende Rechtsprechung verschiedener Verwaltungsgerichte Bezug genommen und anhand eines Beispiels die vom Kläger im hiesigen Verfahren vorgebrachte Problematik geschildert (vgl. Seite 16 der o.g. BT-Drs.). Weiter heißt es wörtlich: „Vor diesem Hintergrund wird vorgeschlagen, die Befreiungswirkung des § 30 gegenüber der ausgleichsberechtigten Person ausdrücklich betragsmäßig auf die Höhe zu beschränken, in welcher während der Übergangszeit auch tatsächlich an die bisher berechtigte Person eine nach der Versorgungsausgleichsentscheidung gegenüber der nunmehr berechtigten Person geschuldete Leistung erbracht worden ist. Nur im Umfang dieser Überzahlung kommen auch bereicherungsrechtliche Ansprüche zwischen der nunmehr auch berechtigten (ausgleichsberechtigten) Person und der bisher berechtigten (ausgleichspflichtigen) Person in Betracht. Und nur insoweit droht dem Versorgungsträger eine doppelte Inanspruchnahme, die die Vorschrift des § 30 ihrem Sinn und Zweck nach vermeiden will (Bundestagsdrucksache 16/10144, S. 70). Würde dagegen jede Zahlung an die ausgleichspflichtige Person unabhängig von ihrer Höhe während der Übergangszeit zu einer vollständigen Leistungsbefreiung des Versorgungsträgers gegenüber der ausgleichsberechtigten Person führen, verbliebe regelmäßig ein Fehlbetrag, den die der ausgleichsberechtigten Person weder vom Versorgungsträger noch von der ausgleichspflichtigen Person beanspruchen könnte.“ Damit ist jedoch belegt, dass es sich nicht nur um eine rein sprachliche „Klarstellung“ bei ansonsten einheitlicher Rechtsanwendung handelt, sondern um eine Änderung der Vorschrift, um eine bis dahin uneinheitliche Rechtsprechung zu beenden.

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat es insoweit offengelassen, ob und in welchem Umfang sich der Versorgungsträger für den Übergangszeitraum überhaupt auf § 30 VersAusglG a.F. berufen durfte und dabei auch auf die Einfügung der Worte „im Umfang der Überzahlung“ seit 01.08.2021 im Blick gehabt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.12.2022, OVG 6 B 10.22, juris Rn. 50 f.). Daraus abzuleiten, die Vorschrift sei im Sinne des Klägers anzuwenden, gelingt daher ebenfalls nicht.

Schließlich ist die Kommentierung von Norpoth/Sasse in Erman BGB, Kommentar, 17. Aufl. 2023, § 30 VersAusglG, Rn. 3, „dass der Versorgungsträger auch nur schutzbedürftig ist, soweit er an die bisher berechtigte Person Zuvielleistungen erbringt“, was der Gesetzgeber durch Ergänzung des Abs. 1 angesichts divergierender verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung ausdrücklich klargestellt habe, nicht weiter hilfreich. Denn die dort in Bezug genommene Entscheidung des BVerwG bzw. die BT-Drs. sind nicht geeignet, die Neuformulierung des § 30 VersAusglG ab August 2021 auch auf davorliegende Zeiträume zu begründen (vgl. dazu oben). Auch die Entscheidung des VG Stuttgart (Urteil vom 27.06.2012, 8 K 4605/11, juris Rn. 26) kann nicht als Argumentationshilfe dienen, da im dort entschiedenen Fall die „bisher berechtigte Person“ weder im Rentenbezug stand noch Versorgungsempfänger war.

Auch greift das Argument des Klägers, die Verwaltungspraxis sei uneinheitlich, weshalb eine einheitliche Anwendung auch für § 30 VersAusglG a.F. herzustellen sei, nicht durch. Zwar ist in den GRA der DRV zu § 30 VersAusglG, 2.2 – welche die Gerichte nicht binden – festgehalten, dass die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung ab dem 01.06.2021 auf die Geltendmachung des Schuldnerschutzes verzichten und dass in geeigneten Fällen auch schon zuvor darauf verzichtet werden kann (EGVA 1/2021, TOP 12). Durch den Verzicht auf die Geltendmachung des Schuldnerschutzes innerhalb der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung ist es – so die GRA weiter – nun nicht mehr erforderlich zu ermitteln, ob aus beiden Versicherungsverhältnissen für die Übergangszeit Rente gezahlt wird oder ein Rentenanspruch entstanden ist. Wird die Entscheidung des Familiengerichts ab dem 01.06.2021 getroffen, wird insofern kein Schuldnerschutz gegenüber anderen Rentenversicherungsträgern oder Versorgungsträgern geltend gemacht. Die Ausführungen zu Anwendungsmöglichkeiten der Schuldnerschutzregelung in dieser GRA beziehen sich insoweit nur noch übergangsweise auf Versorgungsausgleichsentscheidungen, die vor dem 01.06.2021 durch das Familiengericht beschlossen wurden.

Nach Satz 1 der GRA der DRV zu § 30 VersAusglG, 2.2 ist nicht auf die Geltendmachung des Schuldnerschutzes zu verzichten, da der entscheidungserhebliche Tatbestand vor dem Stichtag 01.06.2021 liegt. Soweit in Satz 2 der GRA geregelt wird, dass in „geeigneten Fällen“ auch schon zuvor auf Schuldnerschutz verzichtet werden kann, legen die GRA keine Kriterien fest, was unter „geeigneten Fällen“ zu verstehen ist. Nach Ansicht der Beklagten (vgl. Schriftsatz vom 05.05.2022) und auch des Senats ist ein Verzicht nach Satz 2 der GRA hier nicht geboten, da der zeitliche Abstand von eineinhalb bis mehr als zwei Jahren zwischen der familiengerichtlichen Abänderungsentscheidung (02.12.2019) bzw. dem Zeitraum, für den Schuldnerschutz begehrt wird (April 2019 bis Februar 2020), und dem Stichtag gegen das Vorliegen eines geeigneten Falles spricht.

Sofern der Kläger meint, aus der GRA einen Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung über den Verzicht auf den Schuldnerschutz ableiten zu können, kommt dies nicht in Betracht. Die für den Senat allein bindende Vorschrift des § 30 VersAusglG a.F. eröffnet der Beklagten gerade kein Ermessen (vgl. insoweit auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.12.2022, OVG 6 B 10/22, juris Rn. 45), sodass insoweit auch keine Prüfungskompetenz des Gerichts besteht.

Der zuletzt vom Kläger noch vorgebrachte Einwand, die Anwendung der Schuldnerschutzvorschrift des § 30 VersAusglG a.F. sei nicht verhältnismäßig, weshalb die Beklagte sich nicht darauf berufen dürfe, überzeugt ebenfalls nicht. Denn der Kläger legt bereits nicht dar, worin er eine unverhältnismäßige Benachteiligung sieht.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.

Die Revision wird gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen. Die Frage, wie § 30 VersAusglG auch im Lichte der ab 01.08.2021 geltenden Neufassung auszulegen ist und ob der ab 01.08.2021 geltenden Fassung des § 30 VersAusglG eine (echte) Rückwirkung beizumessen ist, ist von grundsätzlicher Bedeutung.

Rechtskraft
Aus
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