L 2 AS 211/20 B

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 11 AS 1210/19 - PK
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 2 AS 211/20 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Für den Wert des Beschwerdegegenstandes iSv § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG kommt es auf den Zeitpunkt der Berufungseinlegung an. Ein Bescheid, der erst während des Berufungsverfahrens ergeht und gem § 153 Abs 1 iVm § 96 Abs 1 SGG in dieses einbezogen wird, ist deshalb nicht zu berücksichtigen.

Die Beschwerde wird verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Kläger wenden sich gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Prozesskostenhilfe (PKH) für ein erstinstanzliches Klageverfahren. In der Sache geht es ihnen um höhere Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Die Kläger bezogen als Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Beklagten. Mit Bescheid vom 8. August 2018 hatte dieser ihnen vorläufig Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld für die Zeit von August 2018 bis Januar 2019 gewährt. Die Vorläufigkeit begründete er mit der Ungewissheit, ob der Kläger zu 2. Einkommen aus selbständiger Tätigkeit erzielen würde. Bei der Ermittlung des Leistungsanspruchs berücksichtigte er als Einkommen u.a. eine Ausbildungsvergütung des Klägers zu 3.

Mit Bescheid vom 16. Oktober 2018 änderte der Beklagte die vorläufige Bewilligung für die Zeit von Oktober 2018 bis Januar 2019 ab, weil ein zuvor bestehender Krankengeldanspruch des Klägers zu 2. geendet habe, die Kläger eine Betriebskostennachzahlung zu leisten hätten und die Klägerin zu 1. ab November 2018 Arbeitslosengeld erhalte.

Gegen diesen Bescheid legten die Kläger, anwaltlich vertreten, Widerspruch ein. Sie rügten, dass die beim Kläger zu 3. angerechnete Ausbildungsvergütung nur um „die ‚normalen‘ Freibeträge nach § 11b SGB II“ bereinigt worden sei, obwohl verschiedene Kosten zu berücksichtigen seien. Für die Versicherungspauschale, die Kfz-Haftpflichtversicherung und Fahrtkosten fielen monatlich durchschnittlich 172 € an.

Während des Widerspruchsverfahrens wurde die vorläufige Leistungsbewilligung für Januar 2019 mit Änderungsbescheid vom 24. November 2018 an die geänderten gesetzlichen Regelbedarfssätze angepasst.

Den Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2019 als unbegründet zurück. Es gehe um eine vorläufige Bewilligung, und die Voraussetzungen, um eine solche zu ändern, lägen nicht vor.

Dagegen haben die Kläger am 24. Juni 2019 beim Sozialgericht (SG) Halle Klage erhoben und beantragt, den angegriffenen Bescheid zu korrigieren. Beziffert haben sie ihren Antrag nicht. Zur Begründung ihrer Klage haben sie auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren verwiesen. Im streitigen Zeitraum von Oktober 2018 bis Januar 2019 sei die Ausbildungsvergütung des Klägers zu 3. fehlerhaft angerechnet worden. Freibeträge seien i.H.v. ca. 72 € monatlich unberücksichtigt geblieben. Weiter haben die Kläger im Klageverfahren wiederholt eine endgültige Leistungsfestsetzung durch die Beklagte gefordert. Für das Klageverfahren haben sie PKH beantragt.

Mit Gerichtsbescheid vom 20. April 2020 hat das SG die Klage abgewiesen und den Antrag auf PKH mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es liege kein Fall vor, in dem eine vorläufige Bewilligung nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) oder nach § 41a Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II; jetzt: Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende) zu korrigieren sei. In der Rechtsmittelbelehrung des Gerichtsbescheids wird die Berufung als statthaftes Rechtsmittel angegeben. Eine gesonderte Rechtsmittelbelehrung zur Ablehnung des PKH-Antrags enthält der Gerichtsbescheid nicht. Er ist dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 21. April 2020 zugestellt worden.

Am 22. Mai 2020, dem Tag nach dem Feiertag Christi Himmelfahrt, haben die Kläger, wiederum anwaltlich vertreten, beim Landessozialgericht (LSG) Berufung und Beschwerde gegen die Ablehnung von PKH eingelegt. Das Berufungsverfahren wird unter dem Aktenzeichen L 2 AS 210/20 geführt. Die Kläger verweisen darauf, dass die Berufung nach Ansicht des SG zulässig sei. Streitig seien Leistungen für den Zeitraum von Oktober 2018 bis Januar 2019, wobei im Wesentlichen ein den Grundfreibetrag übersteigender Betrag streitgegenständlich sei, so dass die Berufungssumme durchaus nicht erreicht sein könnte. Dies könne jedoch nicht mit Gewissheit gesagt werden, insbesondere weil nicht klar sei, ob bereits eine endgültige Leistungsfestsetzung erfolgt sei.

Mit Bescheid vom 3. Juni 2020 setzte der Beklagte die den Kläger gewährten Leistungen für die Zeit von August 2018 bis Januar 2019 endgültig fest.

Mit Schreiben vom 27. Juni 2022 hat die damalige Berichterstatterin die Kläger darauf hingewiesen, dass ihre Beschwerde wohl unzulässig sei, weil der Beschwerdewert 750 € nicht überschreite.

Im Berufungsverfahren haben die Kläger ihre Beschwer nunmehr – mit Blick auf die endgültige Festsetzung – mit 1.540,01 € beziffert.

II.

Die Beschwerde ist zu verwerfen, weil sie unzulässig ist. Sie ist gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b) Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen, weil in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 € nicht übersteigt und die Berufung auch nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes ist danach zu bestimmen, was das SG dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was dieser mit seinen Berufungsanträgen zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung weiter verfolgt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 5. August 2015 – B 4 AS 17/15 B – juris Rn. 6). Bei einem unbezifferten Antrag muss das Gericht den Wert ermitteln bzw. anhand des wirtschaftlichen Interesses des Klägers am Ausgang des Rechtsstreits gemäß § 202 SGG i.V.m. § 3 Zivilprozessordnung (ZPO) schätzen; dabei ist auf die Angaben des Berufungsklägers zumindest solange abzustellen, wie keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Bezifferung mutmaßlich falsch ist (vgl. BSG, Beschluss vom 21. September 2017 – B 8 SO 32/17 B – juris Rn. 9).

Im Klageverfahren haben die Kläger – ebenso wie zuvor im Widerspruchsverfahren – ausschließlich geltend gemacht, dass das Einkommen des Klägers zu 3. nicht ausreichend bereinigt worden sei. Ihr Vorbringen ist so zu verstehen, dass bei der Ermittlung des anrechenbaren monatlichen Einkommens anstelle des Grundfreibetrags von 100 € (§ 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II) die um ca. 72 € höheren tatsächlichen Aufwendungen (§ 11b Abs. 2 Satz 2 SGB II) zu berücksichtigen seien. Bei einem vier Monate umfassenden Streitzeitraum ergibt sich damit ein Wert von ca. 288 €. Soweit die Kläger daneben eine endgültige Festsetzung (durch die Beklagte) beantragt haben, ergibt sich daraus kein höherer Betrag. Dem gesamten klägerischen Vorbringen bis zur Beschwerde- und Berufungseinlegung ist kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass es den Klägern um mehr als ca. 288 € ging.

Die erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist erfolgte endgültige Festsetzung und die dagegen von den Klägern vorgebrachten Einwände spielen für die Bestimmung des Beschwerdewerts keine Rolle. Ein zum Zeitpunkt seiner Einlegung mangels Erreichens der Wertgrenze unzulässiges Rechtsmittel wird durch eine spätere Erhöhung des Beschwerdewerts nicht nachträglich statthaft (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 144 Rn. 20). Gleiches gilt, wenn sich das Leistungsbegehren – wie hier – während des Berufungsverfahrens aufgrund der Einbeziehung eines neuen Bescheids gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 96 Abs. 1 SGG erhöht (vgl. Klein in: jurisPK-SGG, 2. Auflage 2022, § 96 Rn. 100; zur Behandlung des neuen Bescheids siehe BSG, Urteil vom 26. Januar 1983 – 1 RA 55/81 – juris Rn. 15; Klein, a.a.O.; Binder in: Berchtold, SGG, 6. Auflage 2021, § 96 Rn. 23; Behrend in: Hennig, SGG, § 96 Rn. 96 f. [Stand: Juni 2015]).

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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