L 2 AS 1758/23 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 5 AS 3199/23 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 AS 1758/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 08.12.2023 wird zurückgewiesen.

 

Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

 

Gründe:

 

I.

Die Antragsteller führen beim Sozialgericht Dortmund gegen den Antragsgegner mehrere Klage- und Eilverfahren zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

 

Die miteinander verheirateten Antragsteller beantragten am 30.06.2023 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Bei Antragstellung gaben die Antragsteller an, seit dem 15.01.2023 die Wohnung auf der A.-straße,  I., zu bewohnen. Für diese Wohnung war ausweislich des Mietvertrages eine Warmmiete in Höhe von 690,00 Euro nebst Miete für eine Garage in Höhe von 50,00 Euro, mithin insgesamt 740,00 Euro zu zahlen. Da die Wohnung wegen eines Wasserschadens Schimmelprobleme aufgewiesen habe, hätten sie nur die Miete für die Monate Januar und Februar 2023 gezahlt, nicht mehr die Kaution und die Mieten ab März 2023. Der Vermieter habe daraufhin die fristlose Kündigung ausgesprochen, von ihnen, den Antragstellern, sei die Wohnung ebenfalls zum 31.08.2023 gekündigt worden. Es sei ein Mietrechtsstreit vor dem Amtsgericht I. anhängig.

 

Der Antragsgegner bewilligte aufgrund des anhängigen Mietrechtsstreits nur Regelleistungen für die Zeit vom 01.06.2023 bis zum 30.11.2023 in Höhe von jeweils 451,00 Euro monatlich. Kosten der Unterkunft und Heizung seien wegen des anhängigen Räumungsverfahrens nicht zu übernehmen. Im Hinblick auf den bevorstehenden Umzug tauschten die Antragsteller mit dem Antragsgegner mehrere E-Mails aus, in denen sie diverse Anträge stellten, wie u.a. Übernahme von Umzugskosten, Erteilung einer Zusicherung für eine neue Wohnung, Übernahme der Kosten eines Deutschlandtickets, Übernahme der Kosten für die Einlagerung von vorhandenen Möbeln wie auch der Neubeschaffung weiterer Möbel. Die Räumung der Wohnung auf der A-straße, 00000 I., erfolgte zum 15.09.2023. Mit E-Mail vom 15.09.2023 teilte der Antragsteller zu 1) mit, dass nunmehr eine sog. Monteurwohnung auf der Q.-straße, 00000 I., für den Preis von 60,00 Euro täglich gefunden worden sei. Er beantragte insoweit die Erteilung einer Kostenübernahme. Am 25.09.2023 reichten die Antragsteller eine Rechnung über den Aufenthalt in dieser Monteurwohnung für die Zeit vom 14.09.2023 bis 25.09.2023 in Höhe von 690,00 Euro bei dem Antragsgegner ein.

 

Mit Bescheid vom 21.09.2023 bewilligte der Antragsgegner für die Zeit vom 01.06.2023 bis 30.11.2023 Leistungen. Mit mehreren Bescheiden vom 27.09.2023 lehnte er jedoch den Antrag auf Übernahme der Kosten eines Deutschlandtickets, von Telefon-, von Wohnungsbeschaffungskosten und von umzugsbedingten Folgekosten sowie die Erteilung einer Zusicherung zur Anmietung der Monteurwohnung ab. Der Antragsgegner veranlasste eine Zustellung dieser Bescheide gegen Postzustellungsurkunde an die Q.-straße, I..

 

Am 27.09.2023 sprach der Antragsteller zu 1) bei dem Antragsgegner vor und beantragte die Gewährung eines Darlehens, da mit Krankengeldzahlungen durch die Krankenkasse BARMER erst – nach Klärung des Erstattungsanspruchs des Antragsgegners – ab dem 16.10.2023 wieder zu rechnen sei. Der Antragsgegner bewilligte daraufhin mit Bescheid vom 04.10.2023 ein Darlehen in Höhe von 415,65 Euro für die Zeit vom 01.10.2023 bis 15.10.2023. Mit Bescheid vom 04.10.2023 lehnte er einen Antrag auf Übernahme von Benzinkosten und mit Bescheid vom 06.10.2023 einen Antrag auf Übernahme der Anwaltskosten des Vermieters in dem Räumungsverfahren ab. Auch diese Bescheide versandte der Antragsgegner mittels Postzustellungsurkunde an die Q.-straße, I..

 

Ausweislich der Zustellungsurkunden vom 04.10.2023 und vom 12.10.2023 war die Zustellung über die Q.-straße, I., nicht möglich.

 

In ihrer E-Mail vom 17.10.2023 wiesen die Antragsteller den Antragsgegner darauf hin, dass sie ein Postfach unterhielten, und beantragten sämtliche Korrespondenz über das „Postfach N01, 00000 “ zu führen. Der Antragsgegner übersandte eine Kopie der vorgenannten Bescheide an dieses Postfach und veranlasste zudem eine öffentliche Zustellung am 06.11.2023.

 

Mit Bescheid vom 20.11.2023 nahm der Antragsgegner die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab 01.10.2023 im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung teilweise zurück. Die Zustellung gegen Postzustellungsurkunde an „M. I., zu Händen Herrn X. S., L.-straße, 00000 I.“, wurde veranlasst. Das Schreiben wurde ausweislich der Zustellungsurkunde vom 23.11.2023 in den Briefkasten der Wohnung/ des Geschäftsraums eingelegt.

 

Die Antragsteller wurden vom Antragsgegner in verschiedenen Schreiben darauf hingewiesen, dass eine Zustellung an das Postfach nicht möglich sei, und um Mitteilung einer Anschrift gebeten. Der Antragsteller zu 1) ist dem mehrmals entgegengetreten und hat unter Hinweis auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs die Zustellung weiterhin an das Postfach beantragt.

 

In seiner E-Mail vom 25.11.2023 teilte der Antragsteller zu 1) schließlich mit: „die Meldeadresse lautet nunmehr dann: S., c/o V. Stiftung, T.-straße, 00000 I.“. Die Originale der Schriftsätze sollten an diese Meldeadresse zugestellt werden, an das Postfach sollten weiterhin die Kopien versendet werden. Der Antragsgegner hat daraufhin am 30.11.2023 die Zustellung der vorgenannten Bescheide wie auch weiterer Bescheide an „Eheleute X. und R. S., c/o Sozialberatungsstelle I., T.-straße, 00000 I.“, mittels Postzustellungsurkunde veranlasst.

 

Am 06.12.2023 haben die Antragsteller den streitgegenständlichen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem Sozialgericht Dortmund gestellt. Zur Begründung haben sie vorgetragen, dass sie im Rahmen eines Telefonats vom 05.12.2023 zufällig erfahren hätten, dass der Antragsgegner Zustellungen „bei irgendeinem Sozialwerk in I.“ vorgenommen habe. Über die zugestellten Sendungen bestehe keine Kenntnis. Dem Antragsgegner sei ein Postfach mitgeteilt worden, an welches nach der bereits zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs Zustellungen zulässig seien. Die Zustellungen, die unter Missachtung dieser Rechtsprechung vorgenommen worden seien, seien unwirksam. Das Gericht müsse per Eilantrag anerkennen, dass sämtliche Sendungen – „Schriftverkehr, Bescheide und Beschlüsse“ – an ein Sozialwerk in I. „als nicht zugestellt“ zu behandeln seien.

 

Mit Beschluss vom 08.12.2023 hat das Sozialgericht Dortmund (SG) den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Antrag unzulässig sei. Die Antragsteller verfügten nicht über eine ladungsfähige Adresse. Unter der bisherigen dem Gericht bekannten Adresse sei eine förmliche Zustellung von gerichtlichen Schreiben nicht möglich gewesen, weil die Antragsteller unbekannt verzogen seien. Eine neue Adresse sei (in den Parallelverfahren) auch auf wiederholte Nachfrage nicht benannt worden. Die Antragsteller hätten ausdrücklich nur eine Postfachadresse mitgeteilt. Eine solche stelle aber keine ladungsfähige Anschrift dar. Das SG hat am 08.12.2023 zugleich die öffentliche Zustellung des Beschlusses vom 08.12.2023 angeordnet.

 

Am 15.12.2023 haben die Antragsteller Beschwerde eingelegt. Das SG habe fehlerhaft entschieden. Es sei möglich, an das mitgeteilte Postfach zuzustellen. Dies habe der Bundesgerichtshof bereits entschieden. Es werde daher eine Zurückverweisung an das SG und eine Wiedereinsetzung beantragt, zudem Revision und Berufung in der Sache wie auch eine Zulassung vor dem Bundessozialgericht, Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht. Darüber hinaus bestehe auch die Möglichkeit in der nunmehr im Briefkopf angegebenen Adresse „c/o Sozialberatungsstelle I., T.-straße, 00000 I.“ zuzustellen.

 

Die Antragsteller und Beschwerdeführer beantragen schriftsätzlich (sinngemäß),

 

den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 08.12.2023 abzuändern und festzustellen, dass Bescheide, die der Antragsgegner an die „M. I., L.-straße, 00000 I.“ zugestellt hat, unwirksam sind.

 

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner beantragt schriftsätzlich,

 

die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Zur Begründung verweist er zunächst auf die den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund tragenden Gründe. Ergänzend weist er darauf hin, dass die Antragsteller eine ladungsfähige Anschrift nicht mitgeteilt hätten und die nunmehr angegebene c/o Anschrift nicht ausreichend sei. Da die Antragsteller weiterhin ein Postfach unterhielten, müsse der Deutschen Post gegenüber eine Hausanschrift mitgeteilt worden sein. Diese Anschrift müsse auch dem Gericht gegenüber angegeben werden.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte und den Inhalt der Prozessakten L 2 AS 1554/23 B ER und L 2 AS 1609/23 B ER sowie der Verwaltungsakte Bezug genommen. Die Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen.

 

II.

Die Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg, da sie unbegründet ist.

 

Die Beschwerde ist zulässig. Zum maßgeblichen Zeitpunkt ist vom Vorliegen der notwendigen Sachurteilsvoraussetzungen auszugehen. Das Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen einer Klage prüft das Gericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, Vor § 51 Rn. 20, m.w.N.). Ob die jeweiligen Sachurteilsvoraussetzungen einer Klage bzw. eines Antrags (vgl. Keller, a.a.O., Vor § 51 Rn. 4) gegeben sind, beurteilt sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. wenn eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergeht – wie hier im Falle – nach dem Zeitpunkt der Abfassung der Entscheidung (Böttiger, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 3. Aufl. 2014, § 54 Rn. 21). Bis zu diesem Zeitpunkt müssen die jeweiligen Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen bzw. noch fehlende Voraussetzungen wirksam vorgenommen oder nachgeholt sein. Ein zulässiges Rechtsschutzbegehren setzt im Regelfall voraus, dass im Verfahren auch die Anschrift des Rechtsuchenden genannt wird (vgl. BSG, Beschluss vom 18.11.2003 – B 1 KR 1/02 S, Rn. 4, juris m.w.N.; Hessisches LSG, Urteil vom 16.09.2022 – L 7 AS 51/22, Rn. 16, juris; Föllmer, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 92 SGG (Stand: 19.12.2023), Rn. 14 m.w.N.). Ausnahmen von der Pflicht, die Anschrift zu nennen, können nach den Umständen des Einzelfalls nur anerkannt werden, wenn dem Betroffenen dies aus schwerwiegenden beachtenswerten Gründen unzumutbar ist. Im Hinblick auf den aus Art. 19 Abs. 4 GG fließenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz kann die Pflicht zur Angabe der Anschrift ausnahmsweise bei fehlendem Wohnort wegen Obdachlosigkeit entfallen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.02.2012 – 9 B 79/11, Rn. 11, juris; Hessisches LSG, Urteil vom 27.04.2022 – L 4 SO 180/19, Rn. 40 ff., juris; Hessisches LSG, Urteil vom 27.04.2022 – L 4 SO 296/19, Rn. 31 ff, juris). Erforderlich ist auch dann, dass die Identität des Klägers und die Möglichkeit der Zustellung an diesen sichergestellt ist (Föllmer, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 92 SGG (Stand: 19.12.2023), Rn. 19). Ausgehend hiervon haben die Antragsteller im Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung keine ladungsfähige Anschrift mitgeteilt, sondern nur ein Postfach, welches insofern nicht ausreichend ist (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 30.11.2015 – L 19 AS 1912/15 B, Rn. 8, juris). Zuletzt mit Schriftsatz vom 06.01.2024 haben sie aber die Zustellung über die Sozialberatungsstelle der Evangelische V.-Stiftung e.V., T.-straße, 59063 I., beantragt. Unerheblich ist hierbei, ob sich die Antragsteller – wie im Schriftsatz vom 15.01.2024 vorgetragen – aufgrund einer Aufforderung des Antragsgegners genötigt sahen, diese Zustellmöglichkeit zu wählen. Die Antragsteller haben dabei zur Überzeugung des Senats glaubhaft gemacht, dass sie nach der Zwangsräumung der Wohnung auf der A.-straße und des zweiwöchigen Aufenthalts in der Monteurwohnung gegenwärtig obdachlos sind (vgl. bereits eigener Vortrag im Schriftsatz vom 27.09.2023). Im Hinblick auf den aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz entfällt in diesem Fall die Pflicht zur Angabe einer Wohnanschrift (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.02.2012 – 9 B 79/11, Rn. 11, juris). Die Zustellung über die Sozialberatungsstelle genügt hier den Anforderungen an § 92 SGG. Es bestehen zudem keine Zweifel an der Identität der Antragsteller, die für den Senat erreichbar sind und mit denen er über das angegebene Postfach kommuniziert. Einfache Briefe können an dieses versendet werden, für Zustellungen kann darüber hinaus die Zustellung über die Sozialberatungsstelle erfolgen. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Antragsgegner im Schriftsatz vom 20.12.2023 darauf hingewiesen hat, dass die Antragsteller weiterhin ein Postfach unterhalten und aufgrund der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutschen Post dieser gegenüber eine Hausanschrift mitgeteilt haben müssen. Die Antragsteller haben bei Einlegung der Beschwerdeschrift am 06.11.2023 ihre alte Anschrift auf der A.-straße, I., und das Postfach angegeben, obgleich sie zu diesem Zeitpunkt dort aufgrund der Zwangsräumung nicht mehr erreichbar waren. Möglicherweise haben die Antragsteller auch der Deutschen Post gegenüber diese unzutreffende Angabe gemacht. Dies kann ggf. im Rahmen des Verwaltungs- und Klageverfahrens noch weiter aufgeklärt werden. Der gegenwärtigen Annahme von Obdachlosigkeit steht dies allerdings nicht entgegen.

 

Der Antrag ist im wohlverstandenen Interesse der Antragsteller nach dem Meistbegünstigungsprinzip auszulegen, da das Gericht über erhobene Ansprüche entscheidet, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein (§ 123 SGG). Diese Grundsätze für das Klageverfahren gelten aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes auch für das Beschlussverfahren im vorläufigen Rechtsschutz (vgl. Keller, a.a.O., § 86b Rn. 9b und 26a, m.w.N.). Ausgehend hiervon legt der Senat den Antrag der Antragsteller dahingehend aus, dass diese die Feststellung begehren, dass sämtliche Bescheide, die der Antragsgegner an die „M. I., zu Händen Herrn X. S., L.-straße, 00000 I.“, zugestellt hat, unwirksam sind. Die Antragsteller rügen in ihrer Antragsschrift vom 06.12.2023 die Zustellung „bei irgendeinem Sozialwerk in I.“ und tragen vor, erst am 05.12.2023 hiervon erfahren zu haben. In ihrer E-Mail vom 06.12.2023 an den Antragsgegner findet sich der Hinweis, dass die Antragsteller durch Zufall erfahren haben wollen, dass der Antragsgegner Post „irgendwo in I. … bei einem Sozialdienst“ zugestellt habe. Diese Zustellung werde nicht anerkannt. Der Senat geht davon aus, dass die Antragsteller damit die Zustellung über die „M. I., c/o X. S., L.-straße, 00000 I.“, rügen. Ob es nur den Bescheid vom 20.11.2023 oder, wie von den Antragsstellern vermutet, „mehrere Sendungen“ gibt, die der Antragsgegner an diese Adresse versendet hat, kann dabei offenbleiben. Da die Antragsteller den Antragsgegner in ihrer E-Mail vom 25.11.2023 auf die Zustellmöglichkeit über „c/o Sozialberatungsstelle I., T.-straße, 00000 I.“, hingewiesen und diese ausdrücklich beantragt haben, geht der Senat davon aus, dass die Antragsteller nur die Zustellung über die M. I. rügen wollen, nicht aber zugleich auch die Zustellung über die Sozialberatungsstelle I., weil sie sich sonst widersprüchlich verhalten würden. Die Zustellmöglichkeit über die „c/o Sozialberatungsstelle I., T.-straße, 00000 I.“, haben sie nicht nur in ihrer E-Mail dem Antragsgegner gegenüber erklärt, sondern auch dem Senat gegenüber (wie etwa mit Schriftsatz vom 06.01.2014 und 15.01.2024) haben sie die Zustellung über diese Anschrift beantragt.

 

Das Begehren der Antragsteller ist auf die Feststellung gerichtet, mangels einer Bekanntgabe (§ 39 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGB X) liege überhaupt kein Bescheid, mithin kein wirksamer Verwaltungsakt i.S.d. § 31 Satz 1 SGB X vor. In der Hauptsache ist hierfür die Feststellungsklage nach § 55 SGG statthaft. Mit einer Klage kann gemäß § 55 Abs. 1 SGG die Feststellung des Bestehens oder Nicht­bestehens eines Rechtsverhältnisses (Nr. 1) oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts (Nr. 4) begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Ebenso wie in dem Fall, dass der Kläger einen Bescheid für nichtig hält, gilt dies in gleicher Weise, soweit der Kläger einen Bescheid für nicht wirksam geworden hält (vgl. OVG für das Land Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 24.03.2015 – 1 L 313/11, Rn. 34, juris). Mit einer solchen Feststellungsklage wird dann nicht die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG, sondern die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG begehrt, und zwar die Feststellung, dass der Verwaltungsakt nicht wirksam (geworden) ist und deshalb die mit ihm beabsichtigte Regelung nicht erreicht hat (vgl. auch Senger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 55 SGG (Stand: 15.06.2022), Rn. 57; Scholz, in: Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK, SGG, Stand: 01.11.2023, § 55 Rn. 50).

 

Ist in der Hauptsache eine andere Klageart als die Anfechtungsklage gegeben – wie hier die Feststellungsklage – kann vorläufiger Rechtsschutz nur durch Erlass einer einst­weiligen Anordnung nach § 86b SGG gewährt werden (vgl. Keller, a.a.O., § 86b Rn. 24 und 26). Für die Zulässigkeit müssen sowohl die allgemeinen Prozessvoraussetzungen (wie Rechtsschutzbedürfnis) als auch die besonderen Voraussetzungen einer Feststel­lungsklage (wie klärungsbedürftiges Rechtsverhältnis und Feststellungsinteresse) vorlie­gen. Unabhängig von der Frage, ob ein Feststellungsantrag im Rahmen des § 86b Abs. 2 SGG überhaupt statthaft ist, weil eine einstweilige Anordnung den auf eine endgültige Feststellung gerichteten Zweck nicht erfüllen kann (vgl. Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 86b SGG (Stand: 12.01.2024), Rn. 337 ff. m.w.N.; a.A. Keller, a.a.O., Rn. 26 und 30 m.w.N.), fehlt dem Feststellungsantrag das Rechtsschutzbedürfnis.

 

Das Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben, wenn die gerichtliche Eilentscheidung dem Antragsteller einen tatsächlichen oder rechtlichen Vorteil bringt und der Antragsteller sein Begehren nicht auf einfachere, schnellere und billigere Art durchsetzen kann (vgl. Keller, a.a.O., § 86b Rn. 26b). Vorliegend bestehen für die Antragsteller weitere Rechtsschutz­möglichkeiten, mit denen sie das erstrebte Ziel auf einfachere und schnellere Art errei­chen können. Der Antragsgegner muss Verwaltungsakte (§ 37 SGB X) und Widerspruchs­bescheide bekanntgeben (§ 85 Abs. 3 Satz 1 SGG). Ist gegen Bekanntgabevorschriften verstoßen und sind diese Mängel nicht geheilt worden, treten die Wirkungen der Bekanntgabe (insbesondere Wirksamkeit des Verwaltungsaktes nach § 39 SGB X und der Beginn von Rechtsbehelfsfristen § 84, 87 SGG) nicht ein (vgl. Pattar, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl, § 37 SGB X (Stand: 21.12.2020), Rn. 159). Ob im Einzelfall eine wirksame Bekanntgabe vorliegt und der Verwaltungsakt damit wirksam geworden ist, ist jeweils im gesonderten Rechtsschutzverfahren gegen diesen Verwaltungsakt zu prüfen. Dabei ist im Einzelfall auch zu prüfen, ob ein Mangel der Bekanntgabe im Nachhinein (z.B. durch tatsächlichen Zugang) geheilt worden ist. Entgegen der Auffassung der Antragsteller kann die Prüfung nicht im Rahmen eines abstrakten Feststellungsantrags für „sämtliche Bescheide bzw. Sendungen“ vorgezogen werden. Im Hinblick auf den aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz besteht hierfür auch keine Veranlassung. Ausreichender Rechtsschutz wird den Antragstellern dadurch ge­währt, dass ihnen im Einzelfall Rechtsschutzmöglichkeiten (in Form der Feststellungs­klage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG und der Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 SGG sowie in Form eines Eilantrags nach § 86b SGG) gegen die jeweilige Entscheidung des Antragsgegners offenstehen.

 

Darüber hinaus ist der Antrag mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes auch unbegründet. Ein Anordnungsgrund ist nur glaubhaft gemacht, wenn überwiegend wahrscheinlich ist, dass dem Antragsteller bei einem Abwarten des Ausgangs des Haupt­sacheverfahrens unzumutbare Nachteile entstünden (vgl. Burkiczak, a.a.O., § 86b SGG (Stand: 12.01.2024), Rn. 412). Ein solcher wesentlicher Nachteil liegt insbesondere vor, wenn der Antragsteller konkret in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht ist. Dass ihnen durch die Vollziehung eines nicht ordnungsgemäß zugestellten, mithin unwirksamen Bescheides Rechtsnachteile drohen, haben die Antragsteller schon nicht vorgetragen. In einem solchen Fall bestünde die Möglichkeit, eine Sicherungsanordnung (§ 86b Abs. 2 Satz 1 SGG) mit dem Inhalt zu beantragen, dem Antragsgegner zu untersagen, den unwirksam Verwaltungsakt zu vollziehen (vgl. zum nichtigen Verwaltungsakt Burkiczak, a.a.O., § 86b SGG (Stand: 12.01.2024), Rn. 160).

 

Der Senat hat von Amts wegen über die Zulassung Rechtsmittel zu entscheiden, so dass die diesbezüglichen Anträge der Antragsteller (wie Zulassung der Berufung, der Revision, Vorlage vor dem BGH, BSG und BVerfG) keiner gesonderten Entscheidung bedürfen.

 

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Mangels hinreichender Aussichten auf Erfolg war der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren abzulehnen, § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m § 114 Satz 1 ZPO.

 

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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