Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 31.03.2022 geändert und die Hilfswiderklage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 1.148,69 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.
Die Klägerin ist Trägerin eines nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses. Dieses behandelte den bei der Beklagten versicherten Z. L. (im Folgenden: Versicherter) in der Zeit vom 16.09.2015 bis zum 18.09.2015 stationär und berechnete ausgehend von der Fallpauschale (Diagnosis Related Group 2015 <DRG>) E71C (Neubildungen der Atmungsorgane, ohne äußerst schwere CC oder ein Belegungstag, ohne Bronchoskopie ohne bestimmte Lungenbiopsie) hierfür 2.067,04 Euro (Rechnung Nr. 21526943 vom 02.10.2015). Die Beklagte bezahlte diese Rechnung zunächst vollständig (Zahlungsmitteilung vom 16.10.2015). Am 12.10.2015 leitete die Beklagte eine Überprüfung der Rechnung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung A. (im Folgenden: MDK) zur Frage der primären/sekundären Fehlbelegung ein und informierte die Klägerin hierüber mit Schreiben vom selben Tag (an die Klägerin per Fax übermittelt am 13.10.2015). Der MDK forderte seinerseits mit Schreiben vom 13.10.2015 bei der Klägerin sämtliche prüfungsrelevanten Unterlagen gemäß § 7 Abs. 2 S. 3 PrüfvV, mindestens jedoch Arztbrief(e)/Entlassungsbericht(e), prüfrelevante Prozedurenberichte, Pflegebericht, Operations-, PTCA, PTA-Bericht(e) an, die die Klägerin nach eigenen Angaben auch übersandte.
In seinem Gutachten vom 10.02.2016 kam der für den MDK tätige Arzt R. zu dem Ergebnis, dass keine medizinische Notwendigkeit für die Aufnahme in ein Krankenhaus zur stationären Behandlung bestanden habe. Den vorliegenden Unterlagen sei nicht zu entnehmen, warum das durchgeführte Thorax-CT und die Sonographie nicht ambulant möglich gewesen seien.
Mit mit einfachem Brief versandtem Schreiben vom 01.03.2016 teilte die Beklagte der Klägerin das Ergebnis der Begutachtung mit und erklärte die Aufrechnung eines Erstattungsanspruchs i.H.v. 2.067,04 Euro. Die Einzelheiten, mit welchen Leistungsfällen genau verrechnet worden sei, seien dem entsprechenden Zahlungsavis zu entnehmen, das der Klägerin gesondert zugehe. Der Zahlungsmitteilung vom 01.03.2016 ist eine entsprechende Verrechnung zu entnehmen.
Am 20.10.2016 hat die Klägerin bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen Klage erhoben, mit der sie die Zahlung von 2.067,04 Euro nebst Zinsen sowie die Zahlung einer Aufwandspauschale i.H.v. 300,00 Euro geltend gemacht hat. Eine Prüfung der noch offenen Forderungen habe ergeben, dass die Beklagte weder die Krankenhausrechnung noch die Rechnung über die Aufwandspauschale bezahlt habe. Ein MDK-Gutachten sei bei der Klägerin ebenso wenig eingegangen wie eine Leistungsentscheidung der Beklagten. Die Beklagte sei für deren fristgerechten Zugang beweisbelastet. Da die neunmonatige Ausschlussfrist nach der PrüfvV verstrichen sei, sei die Beklagte zur vollständigen Zahlung der Rechnung verpflichtet. Wegen der somit fehlenden Anspruchsminderung sei die Beklagte auch zur Zahlung der Aufwandspauschale gemäß § 275 Abs. 1c SGB V verpflichtet. Eine entsprechende Rechnung vom 21.07.2016 über die Aufwandspauschale hat die Klägerin ihrer Klageschrift beigefügt.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.067,04 Euro nebst zwei Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.10.2015 zu zahlen nebst einer Aufwandspauschale i.H.v. 300,00 Euro nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die von der Klägerin mit der Klage verfolgte Vergütung sei durch Erfüllung erloschen. Die Beklagte habe auch zu Recht die Aufrechnung erklärt, weil ihr ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zugestanden habe. Es habe eine primäre Fehlbelegung vorgelegen. Das durchgeführte CT und die Sonographie bedürften nicht der besonderen Mittel eines Krankenhauses. Die Beklagte habe das Ergebnis der Begutachtung durch den MDK der Klägerin mit Schreiben vom 01.03.2016, also innerhalb der neunmonatigen Frist mitgeteilt. Nach Auskunft des MDK sei der Klägerin außerdem am 11.02.2016 das Gutachten übersandt worden. Entsprechend bestehe auch ein Anspruch auf Zahlung der Aufwandspauschale nicht. Selbst wenn das Gutachten des MDK und die Leistungsentscheidung der Klägerin nicht zugegangen sein sollten, so würde die Fristversäumnis nach § 8 S. 3 PrüfvV nicht zu einem Anspruchsverlust der Beklagten führen. Es sei auf die Entscheidung des BSG vom 19.04.2016 – B 1 KR 33/15 R (Rn. 10) zu verweisen, wonach es das Wirtschaftlichkeitsgebot verbiete, Überprüfungsmöglichkeiten der Krankenkassen gegenüber Vergütungsansprüchen der Krankenhäuser über die allgemeinen gesetzlichen Rahmenvorgaben hinaus zeitlich einzuschränken.
Mit Schreiben vom 18.08.2017 hat die Klägerin klargestellt, dass vorliegend die Vergütung aus dem Behandlungsfall gefordert werde, gegen den die Beklagte mit Zahlungsmitteilung vom 01.03.2016 aufgerechnet habe. Eine solche Aufrechnung sei aber nach § 9 PrüfvV nicht zulässig gewesen. Für den Fall der Erhebung der Widerklage wies die Klägerin zudem darauf hin, dass § 8 S. 3 PrüfvV eine abschließende Ausschlussfrist darstelle, die nach der Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 17.04.2018 – L 11 KR 936/17) von der Ermächtigungsgrundlage des § 17 Abs. 2 KHG gedeckt sei.
Mit Schreiben vom 01.10.2018 hat die Beklagte schließlich hilfswiderklagend beantragt,
die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte 2.367,04 Euro nebst Zinsen i.H.v. zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Klägerin hat diesbezüglich ausdrücklich keinen Antrag gestellt.
Das Sozialgericht hat – nach Übersendung der Patientenakten durch die Klägerin – Beweis erhoben zur Frage der Notwendigkeit einer stationären Behandlung des Versicherten durch Einholung eines Sachverständigengutachtens durch den Arzt für Innere Medizin, Pneumologie und Allergologie D., der sein Gutachten unter dem 23.09.2019 erstattete. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass in der Zusammenschau der bei dem Patienten festgestellten Befunde, insbesondere auf Grund einer bestehenden Blutbildveränderung (Neutropenie) und der respiratorischen Situation (grenzwertige Sauerstoffpflichtigkeit), eine stationäre Abklärung zur Durchführung der erfolgten Untersuchungen absolut gerechtfertigt gewesen sei. Nachdem bei Laboruntersuchungen vom 16.09.2015 eine Normalisierung des Blutbildes sowie eine diskrete Besserung des Sauerstoffpartialdrucks festgestellt worden sei, wäre aber eine Entlassung bereits am 17.09.2015 vertretbar gewesen.
Die Klägerin ist auch in Kenntnis der Ausführungen des Sachverständigen bei ihrer Auffassung verblieben, dass das Gericht wegen der nicht eingehaltenen neunmonatigen Ausschlussfrist nicht berechtigt gewesen sei, weitere Sachverhaltsermittlungen vorzunehmen.
Die Beklagte hat auf Grundlage des Sachverständigengutachtens eine Simulationsrechnung vorgelegt, wonach für die stationäre Behandlung des Patienten 816,85 Euro (an Stelle der abgerechneten 2.067,04 Euro) zu zahlen gewesen wären, und hat eine vergleichsweise Regelung des Rechtsstreits auf dieser Basis angeregt. Die Klägerin hat jedoch unter Verweis auf ein nach ihrer Auffassung bestehendes Beweisverwertungsverbot eine Einigung abgelehnt.
Mit Urteil vom 31.03.2022, das im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung erging, hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 2.067,04 Euro nebst Zinsen seit dem 03.03.2016 zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Hilfswiderklage hat es die Klägerin verurteilt, an die Beklagte 1.148,69 Euro nebst Zinsen seit dem 05.10.2018 zu zahlen und die Hilfswiderklage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die von der Beklagten vorgenommene Aufrechnung sei gemäß § 9 S. 1 PrüfvV unwirksam gewesen, weil die Beklagte nicht habe nachweisen können, dass sie der Klägerin innerhalb der neunmonatigen Frist des § 8 S. 3 PrüfvV ihren Erstattungsanspruch mitgeteilt habe. Ein Anspruch auf Zahlung der Aufwandspauschale habe jedoch nicht bestanden. Die Abrechnungsprüfung sei innerhalb der maßgeblichen Sechs-Wochen-Frist eingeleitet worden und habe nach Überzeugung der Kammer auch zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages geführt. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass das Ergebnis der Prüfung der Klägerin nicht rechtzeitig mitgeteilt worden sei. Die Minderung des Abrechnungsbetrages sei von dem gerichtlichen Sachverständigen bestätigt worden. Hinsichtlich der Einholung eines Sachverständigengutachtens habe auch kein Beweisverwertungsverbot bestanden. Ein solches bestehe nur, wenn die Krankenkasse ein Prüfverfahren nicht rechtzeitig einleite. Auf die Hilfswiderklage sei die Klägerin im tenorierten Umfang zu verurteilen gewesen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen sei der stationäre Aufenthalt des Versicherten nur vom 16. bis zum 17.09.2015 erforderlich gewesen, so dass sich nach der unwidersprochen gebliebenen Probeberechnung der Beklagten ein zu erstattender Betrag i.H.v. 1.148,69 Euro ergebe. Das Gericht sei aus den genannten Gründen berechtigt gewesen, das Sachverständigengutachten einzuholen. Nach Überzeugung der Kammer wirke die Ausschlussfrist gemäß § 8 S. 3 PrüfvV im vorliegenden Gerichtsverfahren auch nicht fort, weil sich Ausschlussfristen nicht auf den geltend gemachten Erstattungsanspruch auswirkten. Die Regelung des § 8 PrüfvV sei ausschließlich im Zusammenhang mit der Regelung des § 9 PrüfvV zu sehen. Rechtsfolge eines nicht fristgerecht mitgeteilten Ergebnisses eines Prüfverfahrens sei daher nur die fehlende Aufrechnungsmöglichkeit, nicht aber ein vollständiger Anspruchsverlust. Denn bei der PrüfvV handele es sich um eine vertragliche Vereinbarung zwischen dem GKV-Spitzenverband und der Deutschen Krankenhausgesellschaft, auf den die Grundsätze der Vertragsauslegung Anwendung fänden. Ein vollständiger Anspruchsverlust läge aber erkennbar nicht im Interesse der Krankenkassen, zumal diese keinen Einfluss auf die Bearbeitungsgeschwindigkeit des MDK hätten. Ein vollständiger Anspruchsverlust hätte daher einer ausdrücklichen Regelung bedurft.
Gegen das der Klägerin am 20.04.2022 zugestellte Urteil hat allein die Klägerin am 20.05.2022 Berufung eingelegt, soweit sie dazu verurteilt worden sei, an die Beklagte 1.148,69 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Nach Ablauf der neunmonatigen Frist nach Übermittlung der Prüfanzeige seien Erstattungsansprüche der Beklagten aus dem Behandlungsfall des Versicherten ausgeschlossen. Es handele sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist mit der Folge, dass der Erstattungsanspruch der Beklagten allein wegen Fristablaufs untergegangen sei. Dem Sinn einer solchen Ausschlussfrist – nämlich der Beschleunigung des Prüfverfahrens – würde es widersprechen, wenn die Krankenkasse einen nach Art und Umfang nicht konkretisierten Erstattungsanspruch im gerichtlichen Verfahren weiterverfolgen könne. Zumindest regele § 8 S. 4 PrüfvV eine materiell-rechtliche Präklusion. Danach sei es der Krankenkasse verwehrt, Erstattungsansprüche auf Umstände zu stützen, die der MDK bereits in der von ihr veranlassten Prüfung geprüft habe. Die Regelung des § 8 S. 4 PrüfvV sei auch von der Ermächtigungsgrundlage des § 17c Abs. 2 KHG gedeckt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 31.03.2022 abzuändern, soweit die Klägerin verurteilt wurde, an die Beklagte 1.148,69 € nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.10.2018 zu zahlen, und die Hilfswiderklage abzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die Ausschlussfrist des § 8 PrüfvV entfalte vorliegend keine Auswirkungen. Die Regelung sei zusammen mit § 9 PrüfvV als einheitliche Regelung anzusehen und führe lediglich dazu, dass ein nicht fristgerecht mitgeteilter Erstattungsanspruch nicht mehr durch Aufrechnung realisiert werden könne. Die Regelung führe jedoch nicht zu einem vollständigen Anspruchsverlust. Im Übrigen habe der Sachverständige zu Recht festgestellt, dass der stationäre Aufenthalt des Versicherten lediglich vom 16.09.2015 bis zum 17.09.2015 erforderlich gewesen sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt dieser Akten ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
A. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist auch begründet.
1.) Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, nachdem nur die Klägerin Berufung eingelegt hat, allein die auf die Hilfswiderklage erfolgte Verurteilung der Klägerin zur Zahlung von 1.148,69 Euro. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist demgegenüber der durch das Sozialgericht abgelehnte Anspruch auf Zahlung einer Aufwandspauschale i.H.v. 300,00 Euro, weil die Klägerin diesen weder in den Berufungsantrag noch in die –begründung miteinbezogen hat.
2.) Die als Hilfswiderklage im Gleichordnungsverhältnis erhobene echte Leistungsklage der Klägerin gemäß § 54 Abs. 5 SGG ist zulässig. Insbesondere liegen die besonderen Voraussetzungen der Widerklage gemäß § 100 SGG vor. Der von der Beklagten gegen die Klägerin geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch aus dem Behandlungsfall des Versicherten steht mit der ursprünglichen Klageforderung der Klägerin in einem Zusammenhang. Nur für den – hier eingetretenen Fall –, dass das Sozialgericht von einer Unzulässigkeit der durch die Beklagte vorgenommenen Aufrechnung ausgehen und der Klage der Klägerin stattgeben sollte, sollte die dann nicht befriedigte Forderung aus dem Erstattungsanspruch selbstständig geltend gemacht werden.
3.) Die Hilfswiderklage ist jedoch nicht begründet. Die Beklagte hat keinen Anspruch auf (Rück-)Zahlung des geltend gemachten Betrages. Denn die Beklagte konnte den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen zu viel gezahlter Vergütung aus dem Behandlungsfall des Versicherten nicht mit Erfolg geltend machen.
Vorliegend anzuwenden ist die PrüfvV 2014 (im Folgenden: PrüfvV), weil hier die Abrechnung eines Behandlungsfalles aus dem Jahr 2015 zu beurteilen ist (vgl. § 12 Abs. 1 S. 2 PrüfvV). Ihr sachlicher Anwendungsbereich ist ebenfalls eröffnet, weil eine Wirtschaftlichkeitsprüfung in Streit steht (vgl. zur Anwendbarkeit der PrüfvV auf Wirtschaftlichkeitsprüfungen, nicht aber auf Prüfungen sachlich-rechnerischer Art bis zum 31.12.2015 nur BSG, Urteil vom 10.11.2021 – B 1 KR 43/20 R Rn. 14 m.w.N.).
Nach § 8 PrüfvV 2014 hat die Krankenkasse dem Krankenhaus ihre abschließende Entscheidung zur Wirtschaftlichkeit der Leistung oder zur Korrektur der Abrechnung und den daraus folgenden Erstattungsanspruch mitzuteilen (Satz 1). Wenn die Leistung nicht in vollem Umfang wirtschaftlich oder die Abrechnung nicht korrekt war, sind die wesentlichen Gründe darzulegen (Satz 2). Die Mitteilungen nach den Sätzen 1 und 2 haben innerhalb von neun Monaten nach Übermittlung der Prüfanzeige nach § 6 Absatz 3 PrüfvV zu erfolgen (Satz 3). Die Regelung des Satzes 3 wirkt als Ausschlussfrist (Satz 4).
a) Vorliegend steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Beklagte der Klägerin ihre abschließende Entscheidung zur Wirtschaftlichkeit der Leistung und die wesentlichen Gründe hierfür nicht innerhalb der neunmonatigen Frist des § 8 S. 3 PrüfvV mitgeteilt hat. Aus den Verwaltungsakten der Beklagten geht zwar ein entsprechendes Schreiben an die Klägerin vom 01.03.2016 hervor. Die insofern beweisbelastete Beklagte ist aber den Nachweis über den Zugang des Schreibens bei der Beklagten schuldig geblieben. Allein der Zugang des Zahlungsavis vom 01.03.2016, den auch die Klägerin nicht bestreitet und dem die Verrechnung des im Behandlungsfall des Versicherten gezahlten Betrages nebst Rechnungsnummer zu entnehmen ist, reicht für eine Mitteilung i.S.d. § 8 S. 1 und 2 PrüfvV nicht aus. Denn aus dem Avis geht weder hervor, dass es sich um eine abschließende Entscheidung zum Prüfverfahren handeln soll, noch ist ihm eine wesentliche Begründung zu entnehmen. Entsprechend wird auch nicht deutlich, dass ein „daraus folgender“ Erstattungsanspruch geltend gemacht werden soll. Im Übrigen geht auch die Beklagte im Berufungsverfahren offenbar nicht mehr von einem rechtzeitigen Zugang aus; sie hat dazu jedenfalls nichts mehr vorgetragen.
b) Die Klägerin konnte aus diesem Grund einen Erstattungsanspruch aus dem Behandlungsfall des Versicherten nicht mehr geltend machen. Die in § 8 S. 3 PrüfvV niedergelegte Frist zur Mitteilung der abschließenden Entscheidung und der wesentlichen Gründe ist dabei zwar nicht als materiell-rechtliche Ausschlussfrist anzusehen (dazu aa). Die Regelung wirkt aber i.S. einer materiellen Präklusion mit der Folge, dass die Beklagte nach Ablauf der Frist eine abschließende Entscheidung nicht mehr nachholen und eine entsprechende Begründung nicht mehr vorlegen kann (dazu bb).
aa) Die Anwendung der normenvertraglichen Bestimmungen der PrüfvV unterliegt den allgemeinen für Gesetze geltenden Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Es ist nicht auf den subjektiven Willen der Beteiligten, sondern auf die objektive Erklärungsbedeutung abzustellen. Den jeweils nicht mitvereinbarten "Umsetzungshinweisen" der DKG und den "Hinweisen" des GKV-Spitzenverbandes zur PrüfvV 2014 kommt deshalb keine Bedeutung bei der Auslegung zu. Die objektive Erklärungsbedeutung ist umfassend zu ermitteln (BSG, Urteil vom 18.05.2021 – B 1 KR 34/20 R Rn. 21).
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist das Vorliegen einer materiell-rechtlichen Ausschlussfrist zu verneinen. Zwar mag der Wortlaut des § 8 S. 4 PrüfvV, der die Frist des Satzes 3 ausdrücklich als Ausschlussfrist bezeichnet, zunächst für ein solches Verständnis sprechen. Diese Auslegung ist indes nicht zwingend. Denn auch bei einer bloßen materiellen Präklusion sind die nach dem jeweiligen Regelungszusammenhang erforderlichen Handlungen zur Durchsetzung oder Abwehr eines Anspruchs „ausgeschlossen“. Der Wortlaut zwingt daher nicht zu der Annahme, dass § 8 S. 4 PrüfvV im Sinne eines vollständigen Anspruchsverlustes verstanden werden muss.
Gegen das Vorliegen einer materiellen Ausschlussfrist im Sinne höchstrichterlicher Rechtsprechung spricht zudem die historische Entwicklung. Es ist nicht erkennbar, dass die Vertragsparteien der PrüfvV über die vom Gesetzgeber vorgegebene und höchstrichterlich immer wieder betonte Grenze der gesetzlichen Ermächtigung hinausgehen wollten:
Die Vereinbarung einer materiell-rechtlichen Ausschlussfrist im Rahmen der PrüfvV wäre von der gesetzlichen Ermächtigung in § 275 Abs. 1c SGB V i.V.m. § 17c Abs. 2 KHG nicht gedeckt (so auch SG Dortmund, Urteil vom 21.04.2017 – S 49 KR 642/16 Rn. 30; SG Gießen, Urteil vom 10.11.2017 – S 7 KR 70/16 Rn. 32; a.A. SG Rostock, Urteil vom 04.05.2023 – S 11 KR 151/21). Das BSG hat zu Begriff und Wirkung materiell-rechtlicher Ausschlussfristen ausgeführt, dass solche zum Erlöschen des davon erfassten Anspruchs durch Zeitablauf führen. Materiell-rechtliche Ausschlussfristen zu Lasten der Versichertengemeinschaft haben danach zur Folge, dass Krankenkassen verpflichtet werden, im Widerspruch zum Wirtschaftlichkeitsgebot Vergütungen auch für nicht erforderliche Krankenhausbehandlungen zu zahlen, und zudem gehindert sind, eigene Erstattungsansprüche geltend zu machen (vgl. BSG, Urteil vom 13.11.2012 – B 1 KR 27/11 R Rn. 35; darauf ausdrücklich verweisend auch BSG, Urteil vom 18.05.2021 – B 1 KR 32/20 R Rn. 17; ebenso BSG, Urteil vom 19.04.2016 - B 1 KR 33/15 R Rn. 10).
Die auch vom Gesetzgeber erkannte Notwendigkeit von Regelungen zur Beschleunigung des Prüfverfahrens bei Krankenhausbehandlung hat dieser in § 275 Abs. 1c S. 1 SGB V (hier anzuwenden in der ab 23.07.2015 geltenden Fassung) normiert. Für das ab 01.04.2007 in § 275 Abs. 1c S. 1 SGB V normierte Beschleunigungsgebot hat das BSG – allerdings für Fallgestaltungen vor Geltung der PrüfvV – bereits entschieden, dass dieses allein durch die Frist des § 275 Abs. 1c S. 2 SGB V, der die Sechs-Wochen-Frist zur Einleitung des Prüfverfahrens regelt, konkretisiert wird. Eine weitere Einschränkungsmöglichkeit des Wirtschaftlichkeitsgebots durch materiell-rechtliche Ausschlussfristen bestehe normativ nicht, sie stehe insbesondere nicht zur Disposition der Vertragspartner (BSG, Urteil vom 13.11.2012 – B 1 KR 27/11 R Rn. 39; ebenso BSG, Urteil vom 19.04.2016 – B 1 KR 33/15 R Rn. 10).
An der somit fehlenden gesetzlichen Ermächtigung für eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist hat sich auch durch die Neuregelung des § 17c Abs. 2 KHG zum 01.08.2013 (durch das Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15.07.2013, BGBl I 2423), mit dem die Ermächtigungsgrundlage zur Vereinbarung der PrüfvV geschaffen wurde, nichts geändert. Durch die gesetzliche Neuregelung wurden der GKV-Spitzenverband und die Deutsche Krankenhausgesellschaft beauftragt, die nähere, bundeseinheitliche Ausgestaltung des Prüfverfahrens für die Einzelfallprüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung vorzunehmen, weil die landesvertraglichen Regelungen auf Grundlage des § 112 Abs. 1 SGB V als unzureichend bzw. veraltet angesehen wurden (vgl. BT-Drs. 17/13947 S. 38). Die darin getroffene, nicht abschließende Regelung sieht unter anderem eine Ermächtigung zur Vereinbarung der Prüfdauer zur Beschleunigung des Prüfverfahrens und über die Abwicklung von Rückforderungen vor. § 17c Abs. 2 S. 2 KHG sieht am Ende allerdings auch ausdrücklich vor, dass die §§ 275 bis 283 SGB V im Übrigen unberührt bleiben; nach § 17c Abs. 2 S. 1 letzter Halbsatz KHG sind lediglich abweichende Regelungen zur Sechs-Wochen-Frist des § 275 Abs. 1c S. 2 SGB V möglich (so die ausdrückliche Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/13947 S. 38). Es ist daher nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber in Kenntnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Ermächtigung zur Schaffung weiterer materiell-rechtlicher Ausschlussfristen schaffen wollte. Entsprechend hat auch der 1. Senat des BSG ausgeführt, dass die Vorschrift des § 17c Abs. 2 KHG die Parteien der PrüfvV zwar ermächtigt, an die Verletzung von Mitwirkungsobliegenheiten im Prüfverfahren Rechtsfolgen zu knüpfen, die auch die Durchsetzbarkeit des Vergütungsanspruchs betreffen (BSG, Urteil vom 18.05.2021 – B 1 KR 34/20 R Rn. 19). Eine Ermächtigung zur Schaffung einer materiell-rechtlichen Ausschlussfrist hat er jedoch – wenn auch für die Verletzung von Mitwirkungspflichten der Krankenhäuser – verneint (BSG, Urteil vom 18.05.2021 – B 1 KR 32/20 R Rn. 25).
Soweit die Klägerin sich auf die Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 17.04.2018 – L 11 KR 936/17 Rn. 52) beruft und daraus ein Argument für das Vorliegen einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage zur Vereinbarung von materiell-rechtlichen Ausschlussfristen herleiten möchte, folgt dem der Senat nicht. Zum einen ist dem entgegenzuhalten, dass Gegenstand der zitierten Entscheidung schon nicht die Frist des § 8 S. 3 PrüfvV, sondern die des § 7 Abs. 2 S. 3 PrüfvV war, so dass eine Übertragung des dort gefundenen Ergebnisses schon aus diesem Grunde zweifelhaft wäre. Zum anderen ist höchstrichterlich zwischenzeitlich geklärt (vgl. nur BSG, Urteil vom 18.05.2021 – B 1 KR 32/20 R), dass es sich bei der Regelung des § 7 Abs. 2 PrüfvV gerade nicht um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, sondern um eine materielle Präklusionsnorm handelt, so dass die Ausführungen des LSG Baden-Württemberg auch vor diesem Hintergrund nicht tragen.
bb) Nach den vorstehenden Ausführungen ist daher davon auszugehen, dass es sich auch bei der Frist des § 8 S. 3 PrüfvV um eine materielle Präklusionsregelung handelt. Denn für die Vertragsparteien der PrüfvV besteht ein tatsächliches Bedürfnis, die Dauer des Prüfverfahrens zu begrenzen und damit Fristen für dessen Abschluss festzusetzen, um das Verfahren einerseits zu beschleunigen und andererseits für alle Beteiligten Rechtssicherheit zu schaffen. Eine Regelung der Dauer des Prüfverfahrens war auch von der gesetzlichen Ermächtigung des § 17c Abs. 2 KHG ausdrücklich gedeckt (s.o.), soweit damit nicht ein vollständiger Anspruchsausschluss einherging. § 8 S. 3 PrüfvV stellt damit gleichsam das Pendant zu § 7 Abs. 2 S. 3 PrüfvV, der dem Krankenhaus zur Beschleunigung des Prüfverfahrens eine Frist zur Vorlage der erforderlichen Unterlagen setzt, dar. Sofern das Krankenhaus das seinerseits erforderliche zur Durchführung der Prüfung getan hat, soll auch der Krankenkasse eine Obliegenheit auferlegt werden, um die Dauer der Prüfung wirksam zu begrenzen. Die Regelung ist daher – ebenso wie § 7 Abs. 2 S. 3 PrüfvV (vgl. dazu BSG, Urteil vom 18.05.2021 – B 1 KR 32/20 R) – als materielle Präklusionsregelung anzusehen. Folge einer solchen ist es, dass die nach dem jeweiligen Regelungszusammenhang erforderlichen Handlungen zur Durchsetzung oder Abwehr eines Anspruchs ausgeschlossen sind (BSG, a.a.O. Rn. 17).
Die Beklagte war folglich nach Ablauf der neunmonatigen Frist mit einer nachgeholten Mitteilung einer abschließenden Entscheidung zur Wirtschaftlichkeit der Leistung und der Vorlage einer diesbezüglichen Begründung ausgeschlossen. Dass sie der Klägerin das Ergebnis unabhängig von dem Schreiben vom 01.03.2016 auch mündlich oder auf sonstige Weise mitgeteilt hätte, hat die Beklagte schon nicht dargetan. Entsprechend konnte sie den von ihr behaupteten Erstattungsanspruch weder gemäß § 9 S. 1 PrüfvV aufrechnen noch diesen selbstständig im Rahmen der Hilfswiderklage erfolgreich durchsetzen, weil auch im Klageverfahren eine entsprechende Begründung nicht mehr berücksichtigt werden durfte.
Soweit das SG Beweis erhoben hat durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens, ist auch dessen Ergebnis nicht verwertbar. Denn Sinn und Zweck der Regelung des § 8 PrüfvV ist es – auch nach seiner Überschrift („Entscheidung der Krankenkasse nach MDK-Gutachten“) –, einen zeitnahen Abschluss der im Prüfverfahren gegenständlichen Fragen herbeizuführen. Dieser Zweck kann jedoch nur erreicht werden, wenn die Tatsachengrundlagen, die zu der erforderlichen Entscheidung und Begründung i.S.d. § 8 S. 1 und 2 PrüfvV führen sollten, nach Fristablauf nicht mehr zur Durchsetzbarkeit des Erstattungsanspruchs herangezogen werden können. Der Sachverständige konnte hier sein Gutachten aber nur auf Grundlage der Patientenakten erstatten, die bereits im Prüfverfahren dem MDK vorlagen. Durch eine Beweiserhebung im gerichtlichen Verfahren würde der Sinn und Zweck der Regelung ansonsten unterlaufen.
Auch die Rechtsauffassung des SG, die Frist des § 8 S. 3 PrüfvV habe nur Bedeutung im Zusammenhang mit § 9 S. 1 PrüfvV, der eine Aufrechnungsmöglichkeit lediglich gegen einen „nach § 8 fristgerecht mitgeteilten“ Erstattungsanspruch vorsieht, wird dem offenkundigen Sinn des § 8 S. 3 PrüfvV, die Dauer des Prüfverfahrens zu begrenzen und eine Beschleunigung zu erreichen, nicht gerecht. Sie würde im Ergebnis dazu führen, dass die Krankenkasse eine abschließende Entscheidung in einem Prüfverfahren ggf. bis zum Eintritt der Verjährung des Erstattungsanspruchs hinauszögern könnte, ohne mit weiteren Konsequenzen als der fehlenden Aufrechnungsmöglichkeit rechnen zu müssen. Eine Beschleunigung des Prüfverfahrens würde dadurch nicht erreicht.
B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Eine Kostenquote für das erstinstanzliche Verfahren kam hingegen nicht in Betracht. Zwar hat die Beklagte hinsichtlich der Aufwandspauschale erstinstanzlich obsiegt und diese Entscheidung ist nicht mit der Berufung angegriffen worden. Im Vergleich zum (erstinstanzlichen) Gesamtstreitwert fällt dies allerdings nur untergeordnet ins Gewicht.
C. Die Revision war gemäß § 160 Abs. 1 SGG zuzulassen. Eine höchstrichterliche Entscheidung zu der hier streitentscheidenden Frage, ob § 8 S. 3 und 4 PrüfvV eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist beinhalten und ob dies von der Ermächtigungsnorm gedeckt ist, existiert bislang, soweit ersichtlich, nicht. Das BSG hat lediglich im Rahmen einer vom LSG nach Zurückverweisung noch näher zu prüfenden Aufrechnung auf die Frist des § 8 S. 3 PrüfvV Bezug genommen, ohne dass es jedoch die hier streitige Frage vertiefen musste (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.2021 – B 1 KR 36/20 R Rn. 27).
D. Die Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 3, 47 Abs. 1 und 2 GKG.