L 15 U 59/22

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 17 U 656/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 59/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 10.01.2022 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 24.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.09.2019 verurteilt, das Ereignis vom 21.01.2019 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

 

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand:

 

 

Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Arbeitsunfalls.

 

Die im Jahre 0000 geborene Klägerin übte am 21.01.2019 als Schülerin im Sportunterricht die Hochsprungtechnik des Fosbury-Flops. Wegen Schmerzen im rechten Knie stellte sie sich am folgenden Tag im Krankenhaus C. vor. In dem von dem Facharzt für Unfallchirurgie N. erstatteten Durchgangsarztbericht vom 22.01.2019 ist als Angabe der Klägerin vermerkt, dass sie sich am 21.01.2019 im Sportunterricht beim Absprung mit dem rechten Bein das rechte Knie verdreht habe. Die Diagnose lautete Knie-Distorsion rechts. Der Befund der am 28.01.2019 durchgeführten Kernspintomographie des rechten Kniegelenks wurde von dem Radiologen Q. als typischer Befund bei Zustand nach Patellaluxation mit Ruptur des medialen Kollateralbandes am Patellarandansatz mit schaliger Avulsion beurteilt. In seinem Verlaufsbericht vom 12.02.2019 nannte N. als Diagnose eine Patella-Luxation rechts mit zartem knöchernen Ausriss des medialen Retinakulum. In dem weiteren Befundbericht vom 12.03.2019, in dem als Schadensanlagen eine Patella-Dysplasie Typ Wiberg III und eine Trochlea-Dysplasie nach Hepp Typ II beschrieben werden, heißt es, die im Durchgangsarztbericht erfasste Ereignisanamnese spreche gegen das Vorliegen eines von außen einwirkenden Ereignisses. In der Zusammenschau der Befunde sei sicherlich eine Spontanluxation aufgrund der Schadensanlage möglich.

 

Die Beklagte holte eine Stellungnahme ihres Beratungsarztes V. ein. Dieser sah eine Patella-Dysplasie Typ III, einen Patellahochstand sowie eine Trochlea-Dysplasie Typ V und meinte, es handele sich um eine anlagebedingte Patella-Luxation mit spontaner Reposition. Die wesentliche Teilursächlichkeit liege in der hochgradigen Trochlea-Dysplasie und dem Patellahochstand mit erhöhter Luxationsbereitschaft.

 

Mit Bescheid vom 24.06.2019 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 21.01.2019 als Arbeitsunfall ab. Zur Begründung führte sie aus, nach dem Ergebnis der Ermittlungen sei das geschilderte Ereignis aufgrund seiner Biomechanik nicht geeignet gewesen, eine Kniescheibenverrenkung zu verursachen. Die ausgeprägten anlagebedingten Veränderungen des rechten Kniegelenks sprächen dafür, dass eine erhöhte Verrenkungsbereitschaft der Kniescheibe rechts vorgelegen habe, die zeitnah wahrscheinlich durch jede andere vermehrte Alltagsbelastung zu einer Kniescheibenverrenkung geführt haben würde. Als vorbestehend seien eine hochgradige Trochlea-Dysplasie (Oberschenkelrollenfehlform) und ein Patellahochstand (Kniescheibenhochstand) mit erhöhter Luxationsbereitschaft der Kniescheibe nachgewiesen worden. Diese hätten nach medizinischer und rechtlicher Wertung mit Wahrscheinlichkeit allein wesentlich die eingetretene Kniescheibenverrenkung rechts herbeigeführt, so dass diese nur anlässlich, nicht aber ursächlich infolge der Begebenheit am 21.01.2019 aufgetreten sei. Mit ihrem dagegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass die auf Weisung im Sportunterricht durchgeführte Begebenheit mit ihrem für ein Knie extrem erhöhten Gefährdungspotential aus mechanischer Belastung und alltagsunüblichem Bewegungsablauf (Absprungübungen für die Durchführung eines Leichtathletik-Hochsprungs) ursächlich für die Herbeiführung der irreversiblen Schädigung ihres vorschädigungsfreien Knies gewesen sei.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.09.2019 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie blieb bei ihrer Auffassung, dass die Patellaluxation nur anlässlich und nicht wesentlich ursächlich infolge der Einwirkung am 21.01.2019 aufgetreten sei.   

 

Die Klägerin hat am 30.09.2019 Klage beim Sozialgericht Dortmund erhoben und vorgetragen, der Unfall sei beim Üben der so genannten Flop-Technik für den Hochsprung erfolgt. Bei dieser Technik laufe die Springerin auf die Latte zu und sie müsse sich kurz vor der Latte im Laufen drehen, um rückwärts über die Stange zu springen Dabei handele es sich nicht um einen natürlichen Bewegungsablauf. Er sei daher geeignet, eine Kniescheibenverrenkung unabhängig von eventuellen anlagebedingten anatomischen Gegebenheiten zu verursachen. Ohne diesen Bewegungsablauf würde der Schaden an ihrem Knie nicht eingetreten sein. Der Bewegungsablauf sei ursächlich im Sinne einer wesentlichen Bedingung für den Schadenseintritt.

 

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.09.2019 zu verurteilen, das Ereignis vom 21.01.2019 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

 

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage anzuweisen.

 

Sie ist auf ihrem Standpunkt verblieben.

 

Das Sozialgericht hat zunächst von Amts wegen ein medizinisches Sachverständigengutachten von der Fachärztin für Allgemeinchirurgie U. eingeholt. Diese ist zu dem Ergebnis gekommen, dass bei der Klägerin Faktoren im Sinne einer Schadensanlage vorlägen, die eine Kniescheiben-Luxation begünstigen würden, nämlich eine Patella Typ Wiberg III, eine Trochlea-Dysplasie Hepp III, eine X-Bein-Stellung, ein Hochstand und eine vermehrte Außenstellung der Kniescheibe sowie eine Bandlaxizität. Ohne die prädisponierenden Faktoren würde das von der Klägerin geschilderte Ereignis nicht zu einer Luxation der Kniescheibe geführt haben (Gutachten vom 06.03.2020).

 

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG ist anschließend der Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie und Sozialmedizin I. mit der Erstattung eines medizinischen Sachverständigengutachtens beauftragt worden. Dieser hat ausgeführt, bei dem so genannten Fosbury-Flop-Sprung handele es sich um eine komplexe Bewegungsbelastung, die im alltäglichen Leben überhaupt nicht vorkomme. Vorschäden seien bei der Klägerin nicht bekannt. Die Gesundheitsstörung sei bei der Klägerin nicht in dem Sinne angelegt gewesen, dass es nur eines auslösenden Ereignisses bedurft hätte. Das Ereignis vom 21.01.2019 sei vielmehr die überwiegende Ursache der Gesundheitsstörung (Gutachten vom 29.07.2020).

 

Mit Urteil vom 10.01.2022 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

 

Gegen die ihren Prozessbevollmächtigten am 24.01.2022 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 03.02.2022 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, dass das Vorhandensein einer Schadensanlage nicht ausschließe, dass der Körperschaden durch ein Unfallereignis mitverursacht werde. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen, ob die Krankheitsanlage so stark und so leicht ansprechbar gewesen sei, dass es zur Auslösung akuter Erscheinung keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlichen äußeren Einwirkung bedurft habe.

 

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 10.01.2022 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides 24.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.09.2019 zu verurteilen, das Ereignis vom 21.01.2019 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

 

Die Beklagte, die im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht vertreten gewesen ist, beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

 

Das Berufungsgericht hat zunächst eine ergänzende Stellungnahme von U. eingeholt. Diese ist auf ihrem Standpunkt verblieben und hat gemeint, dass bereits normale, alltäglich vorkommende Ereignisse unter den bei der Klägerin gegebenen anatomischen Verhältnissen geeignet seien, eine Luxation der Kniescheibe auszulösen.

 

Anschließend ist der Arzt für Orthopädie G. mit der Erstattung eines medizinischen Sachverständigengutachtens beauftragt worden. Dieser hat bei der Klägerin als Gesundheitsstörungen Restbeschwerden am rechten Kniegelenk bei Zustand nach konservativ behandelter gedeckter Kniescheibenausrenkung sowie anlagebedingte Veränderungen des Kniescheibengleitweges mit dysplastischer Kniescheibenrückfläche und dysplastischem Gleitlager beschrieben und ausgeführt, dass bei normalen anatomischen Verhältnissen nur starke, in der Regel indirekte Krafteinwirkungen, typischerweise mit Außendrehung des Unterschenkels bei Innendrehung des Oberschenkels und unter voller Belastung des Beines und gleichzeitigem Zug des Quadrizepsmuskels geeignet seien, eine Kniescheibenverrenkung zu verursachen. Auch eine plötzliche Vergrößerung des so genannten Q-Winkels (zwischen der Oberschenkellängsachse und dem Ansatz der Kniestrecksehne) durch überraschende Anspannung der Streckmuskulatur könne zu einer seitlichen Dislokation der Kniescheibe führen. Bestehe eine körperliche Disposition zur Ausrenkung, könne die Kniescheibe auch bei alltäglicher kraftvoller Streckbewegung des Kniegelenks ohne von außen auf dem Körper einwirkende Kraft luxieren. In diesem Fall sei der Sturz nicht Ursache, sondern Folge der Verrenkung. Dispositionelle Faktoren für die Entstehung einer Kniescheibenausrenkung seien dysplastische Veränderungen der Kniescheibenrückfläche und des Gleitlagers, ein eventueller Kniescheibenhoch- oder -tiefstand, X-Beine, anlagebedingte Torsionsanomalien von Ober- oder Unterschenkel oder Verkürzungen des Quadrizepsmuskels oder dessen ausgeprägte Schwäche sowie ein anlagebedingt besonders bandlockeres Kniegelenk. Mit einem sehr hohen Grad an Wahrscheinlichkeit könne davon ausgegangen werden, dass es bei dem in Frage stehenden Ereignis zu einer Schädigung des Gleitweges wahrscheinlich mit vorübergehender Ausrenkung der Kniescheibe und spontaner Reposition gekommen sei. Hierfür typisch sei neben dem klinischen Erstbefund der Befund der Kernspintomographie vom 28.01.2019, der neben Zeichen eines ausgeprägten Gelenkergusses auch Zeichen einer Gewalteinwirkung auf die Innenseite der Kniescheibe und Außenseite des Kniescheibengleitweges (so genanntes Bone Bruise) zeige, die beim Aus- bzw. Wiedereinrenken der Kniescheibe entstünden. Auch die wahrscheinlich aufgetretene knöcherne Avulsions-Verletzung an der Innenseite der Kniescheibe, die sich in der Patella-Axial-Aufnahme zeige, sei hierfür typisch. Andererseits könne kein Zweifel daran bestehen, dass bei der Klägerin ausgeprägte morphologische Veränderungen an der Kniescheibe und an dem Kniescheibengleitweg vorlägen, von denen bekannt sei, dass sie zur Kniescheibenausrenkung prädisponierten. Hierzu zählten neben der leicht vermehrten X-Stellung der Beinachse der Klägerin in Kniehöhe und dem konstitutionell eher schlaffen Bandapparat vor allem eine Kniescheibenfehlform mit sehr kleiner konvex geformter innenseitiger Kniescheibenfacette (Typ Wiberg III/IV), ein sehr flach angelegter Kniescheibengleitweg (Typ IV/V nach Hepp) und ein relativer Hochstand der Kniescheibe im Vergleich zum Gleitlager mit einem Verhältnis von Länge der Kniescheibe zur Länge der Kniescheibensehne von etwa 0,66. Ab einem Index von 0,75 werde von einer so genannten Patella alta gesprochen. Da insofern sowohl Einwirkungen des infrage stehenden Ereignisses als auch körpereigene Ursachenfaktoren vorlägen, sei es eine Frage der abschließenden rechtlichen Bewertung, ob das Ereignis rechtlich wesentlich mitursächlich gewesen sei. Aus medizinisch-sachverständiger Sicht spreche für die Bedeutung des Ereignisses, dass die Klägerin weder vor noch nach dem infrage stehenden Ereignis Beschwerden oder Luxationsereignisse im Bereich der Kniescheibe gehabt habe und insofern auch das nicht betroffene Bein unauffällig sei. Für die Bedeutung des Ereignisses spreche auch, dass es dabei vermutlich zu einer Gewalteinwirkung auf den Kniescheibengleitweg gekommen sei. Gegen die Bedeutung des Ereignisses spreche, dass bei der Klägerin anlagebedingte körpereigene Faktoren in Form einer dysplastischen Anlage der Kniescheibenrückfläche und des Kniescheibengleitweges und vermehrten X-Stellung der Gelenkachse sowie eines relativen Hochstandes der Kniescheibe vorlägen, von denen bekannt sei, dass sie zur Kniescheibenausrenkung disponierten. Die Veränderungen seien allerdings bei der Klägerin nicht so schwerwiegend ausgeprägt, dass bereits aus rein medizinischer Sicht und unter Berücksichtigung des Ausprägungsgrades der Veränderungen diese als allein überragend ursächlich angesehen werden könnten, zumal jüngere Arbeiten zeigten, dass die Parameter zur Charakterisierung des patello-femoralen Alignments auch bei gesunden Probanden eine hohe Variabilität zeigten und es insofern wenig Evidenz gebe. Wäge man die medizinisch unmittelbar bewertbaren Anknüpfungstatsachen ab, lasse sich aus seiner Sicht ein eindeutiges Überwiegen der für bzw. gegen eine wesentliche Unfallursächlichkeit sprechenden Gesichtspunkte nicht erkennen. Aus medizinischer Sicht von besonderer Bedeutung sei das Verhältnis von Belastung und Belastbarkeit. Im Hinblick auf die Belastbarkeit sei zunächst festzustellen, dass bei der Klägerin Faktoren vorlägen, die deren Belastbarkeit im Hinblick auf eine Kniescheibenausrenkung aus körpereigener Ursache reduzierten. Dem gegenüberzustellen sei die Frage der tatsächlichen Belastung, also des Geschehensablaufs. Dabei sei es wie im konkreten Fall nicht untypisch, dass wichtige Aspekte des Geschehensablaufs nicht bekannt bzw. nicht eindeutig geklärt seien. Die hochkomplexen biomechanischen Abläufe einer Sprungbewegung, wie sie im konkreten Fall durchgeführt worden sei, seien in ihren Einzelheiten gar nicht geklärt. Eine als zutreffend angenommene Verlagerung des gesamten Körpergewichts auf das Sprungbein unterstelle, dass dann die Belastung des Beines zwangsläufig muskulär kontrolliert sein müsse, weil andernfalls der Betroffene stürze. Aus den grundsätzlichen Anforderungen eines derartigen Sprungs sei daher aus medizinischer Sicht zu unterstellen, dass vor allem derjenige, der einen solchen Sprung bereits durchgeführt habe, auf diese Besonderheit eingestellt sei, wenn nichts Ungewöhnliches, Überraschendes auftrete. Die Vermutung des Sachverständigen I., es komme dabei (regelmäßig) zu unkontrollierten Axial- und Rotationsbelastungen auf das Kniegelenk, könne er nicht nachvollziehen. Vielmehr sei aus seiner Sicht zu unterstellen, dass bei einem regelhaft durchgeführten Sprung ohne zusätzliche äußere Einwirkung auch nichts passiere. Passiere dennoch etwas, könne aus medizinischer Sicht grundsätzlich vermutet werden, dass entweder köpereigene Faktoren oder aber äußere Umstände dazu geführt hätten, dass das komplexe Regelsystem nicht mehr funktioniert habe. Aus seiner Sicht sei es hochwahrscheinlich, dass es bei dem Sprung über das Hindernis zu komplexen Hebel- und Torsionsmechanismen mit Einwirkungen auf das Kniegelenk und zusätzlich einem fehlgelenkten Muskelzug des Streckapparates gekommen sei, der dann letztlich zur Ausrenkung der Kniescheibe geführt habe. In dem Ereignis selbst könne er aber keine Besonderheiten erkennen, die eine wesentliche Störung der physiologischen Bewegungsabläufe durch das Ereignis selbst erklären würden. Vorbehaltlich einer abschließenden rechtlichen Würdigung könne er damit ein Überwiegen der Anzahl und Bedeutung der für die Wesentlichkeit des Ereignisses sprechenden Gesichtspunkte nicht erkennen. Ob die bei der Klägerin zweifellos vorliegende Schadensanlage so ausgeprägt oder so leicht ansprechbar gewesen sei, dass auch jedes alltägliche Ereignis zu der selben Zeit den Körperschaden ausgelöst hätte, lasse sich aus dem Schweregrad/Ausprägungsgrad der Schadensanlage nicht sicher ablesen. Hierfür fehle die gesicherte medizinische Evidenz. Es lasse sich aus medizinischer/sachverständiger Sicht lediglich feststellen, dass es an der gesicherten Besonderheit des Ereignisses fehle, die unter biomechanischen /medizinischen Gesichtspunkten eine Störung der physiologischen Abläufe/Schutzmechanismen erklären würde (Gutachten vom 13.01.2023).

 

Sowohl die Klägerin als auch die Beklagte sehen sich durch das Gutachten in ihrer Auffassung bestätigt.

 

Der Senat hat im Internet veröffentlichtes Lehrmaterial zur Hochsprungtechnik des Berner Leichtathletikverbandes (Kreiskurs TBOE vom 30.10.2005, Autor: Isidor Fuchs, veröffentlicht unter www.blv-nachwuchs.ch) beigezogen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Ihr wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Der Senat durfte die Streitsache mündlich verhandeln und durch Urteil entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 12.12.2023 nicht erschienen ist, weil die Beklagte in der ihr ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

 

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das Sozialgericht hat die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zu Unrecht abgewiesen, denn die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 24.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids (§ 95 SGG) vom 18.09.2019 im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, denn die Bescheide sind rechtswidrig. Die Klägerin hat Anspruch auf die Feststellung, dass das Ereignis vom 21.01.2019 ein Arbeitsunfall ist.

 

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang). Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; ständige Rechtsprechung vgl. BSG, Urt. v. 30.03.2017 - B 2 U 15/15 R -, juris Rn. 14 m.w.N.; BSG, Urt. v. 15.11.2016 - B 2 U 12/15 R -, juris Rn. 14 m.w.N). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie "Gesundheits(erst)schaden" im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Möglichkeit (vgl. BSG Urt. v. 02.04.2009 - B 2 U 30/07 R -, juris Rn. 16 m.w.N.).

 

Das Ereignis vom 21.01.2019 erfüllt diese Voraussetzungen.

 

1. Die Klägerin war als Schülerin gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b SGB VII während der Teilnahme am Sportunterricht ihrer Schule versichert. Sie ging bei der zum Unfall führenden Tätigkeit, dem Üben des Hochsprungs in der Technik des Fosbury-Flops, auch einer versicherten Verrichtung nach, denn ihr war von ihrem Lehrer aufgetragen worden, den entsprechenden Sprung auszuführen.

 

2. Der Absprung mit dem Ziel, die Latte zu überqueren, stellt eine Einwirkung von außen auf den Körper der Klägerin dar.

 

Das Erfordernis der Einwirkung von außen dient der Abgrenzung von unfallbedingten Gesundheitsschäden zu Gesundheitsbeeinträchtigungen aus inneren Ursachen sowie zu absichtlichen Selbstschädigungen (vgl. BSG, Urt. v. 15.05.2012 - B 2 U 16/11 -, juris Rn. 16). Eines außergewöhnlichen Vorgangs bedarf es insoweit nicht. Vielmehr genügt jedes Ereignis, bei dem ein Teil der Außenwelt auf den Körper einwirkt (vgl. BSG, Beschl. v. 06.10.2020 - B 2 U 127/20 B -, juris Rn. 9).

 

Ein solches Ereignis liegt hier darin, dass die Klägerin vom Boden der Sporthalle abgesprungen ist, um ein in der Sporthalle aufgestelltes Hindernis zu überwinden. Der Boden der Sporthalle sowie die Hochsprunglatte mit der dahinterliegenden Sprungmatte sind Teile der Außenwelt, die auf den Körper der Klägerin eingewirkt haben.

 

3. Die Unfallkausalität zwischen der versicherten Verrichtung und der Einwirkung auf den Körper liegt ebenfalls vor.

 

4. Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin einen Gesundheitsschaden in Gestalt einer Patellaluxation im rechten Knie mit Ruptur des medialen Kollateralbandes am Patellarandansatz mit schaliger Avulsion erlitten hat. Dies folgt aus den Durchgangsarztberichten vom 22.01.2019 und 12.02.2019 sowie dem im Berufungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten von G.. Dieser hat ausgeführt, für die bezeichnete Verletzung sei neben dem klinischen Erstbefund der Befund der Kernspintomografie vom 28.01.2019 typisch. Dieser zeige neben Zeichen eines ausgeprägten Gelenkergusses auch Zeichen einer Gewalteinwirkung auf die Innenseite der Kniescheibe und die Außenseite des Kniescheibengleitweges (sog. Bone Bruise), die beim Aus- bzw. Wiedereinrenken der Kniescheibe entstehe. Auch die knöcherne Avulsions-Verletzung an der Innenseite der Kniescheibe, die sich in der Patella-Axial-Aufnahme zeige, sei hierfür typisch. Aufgrund dieser Ausführungen steht zur vollen Überzeugung des Senats mit der notwendigen an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass bei der Klägerin tatsächlich eine Patellaluxation im rechten Knie mit den dargestellten Folgeschäden stattgefunden hat.

 

5. Schließlich ist entgegen der Auffassung des Sozialgerichts und der Beklagten auch die haftungsbegründende Kausalität zu bejahen.

 

a) Für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs (haftungsbegründende Kausalität) zwischen dem Unfallereignis und den im Vollbeweis gesicherten Gesundheitsstörungen gilt die Zurechnungslehre der Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. u. a. BSG, Urt. v. 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R -, juris Rn. 12 m.w.N.). Diese Kausalitätsprüfung erfordert zunächst die Ermittlung der objektiven - naturwissenschaftlichen - Verursachung, bei der es darauf ankommt, ob die versicherte Verrichtung für das Unfallereignis und dadurch für den Gesundheitserstschaden oder den Tod eine Wirkursache war (BSG, Urt. v. 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112,177 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 46, Rz.31 ff; hierzu auch Ricke, WzS 2013, 241). Wirkursachen sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die infrage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführen. Insoweit ist Ausgangspunkt die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der schon jeder beliebige Umstand als notwendige Bedingung eines Erfolges gilt, der nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Ob die versicherte Verrichtung eine Wirkursache in diesem Sinne war, ist eine rein tatsächliche Frage. Sie muss aus der nachträglichen Sicht (ex post) nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand des Fach- und Erfahrungswissens über Kausalbeziehungen beantwortet werden (grundlegend BSG, Urt. v. 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 44, Rz.55 ff; BSG, Urt. v. 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 46, Rz. 31 ff.). Dies schließt die Prüfung mit ein, ob ein Ereignis nach medizinisch-wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen und welche Vorerkrankungen/Schadensanlagen ggfls. bestanden haben, die nach den genannten wissenschaftlichen Kriterien ebenfalls geeignet sind, die geltend gemachte Gesundheitsstörung zu bewirken (BSG, Urt. v. 09.05.2006 - B 2 U 1/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit eines naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachenzusammenhangs zwischen einem Körper- und/oder einem psychischen Gesundheitsschaden und einem Unfall ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernstliche Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl. BSG, Urt. v. 09.12.2003 - B 2 U 8/03 R - SozR 4-2200 § 589 Nr. 1 m. w. N).

 

Steht fest, dass neben der versicherten auch eine konkurrierende, nicht versicherte Ursache das Unfallereignis objektiv kausal (mit-)bewirkt hat, ist auf der 2. Stufe juristisch zu entscheiden, welche der Ursachen rechtserheblich nach der Theorie der wesentlichen Bedingung gewesen sind. Selbst wenn eine versicherte Verrichtung als Ursache für einen Gesundheitsschaden feststeht, muss auf der 2. Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der 1. Stufe festgestellten weiteren mitwirkenden, nicht versicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Bei dieser reinen Rechtsfrage nach der "Wesentlichkeit" der versicherten Verrichtung für den Erfolg der Einwirkung muss entschieden werden, ob sich durch die Verrichtung ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren soll. Andere nicht versicherte Mitursachen können die rechtliche Zurechnung ausschließen. Das ist der Fall, wenn die nicht versicherten (Mit-)Ursachen das Unfallgeschehen derart geprägt haben, dass sie die versicherte Ursache verdrängen, weil sie überragende Bedeutung haben, so dass der Schaden "im Wesentlichen" rechtlich nicht mehr dem Schutzbereich des jeweiligen Versicherungstatbestandes unterfällt. Die versicherten und die auf der ersten Zurechnungsstufe festgestellten nicht versicherten Ursachen und ihre Mitwirkungsanteile sind in einer rechtlichen Gesamtbeurteilung anhand des zuvor festgestellten Schutzzwecks des Versicherungstatbestandes zu bewerten (vgl. zum Ganzen zuletzt BSG, Urt. v. 06.05.2021 - B 2 U 15/19 R -, juris Rn. 21 m.w.N.). Kriterien zur Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache bei medizinischen Sachverhalten sind die versicherte Ursache als solche hinsichtlich Art und Stärke, einschließlich des zeitlichen Ablaufs, die konkurrierende(n) Ursache(n) hinsichtlich Art und Stärke, Krankheitsbild und Krankengeschichte, also die weitere Entwicklung und mögliche Vorgeschichte (siehe hierzu statt vieler BSG, Urt. v. 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, juris Rn. 15 f. m.w.N.). Für die zur Beurteilung der Wesentlichkeit der versicherten Ursache erforderliche Abwägung zwischen der versicherten Ursache und der nichtversicherten Ursache ist zu beachten, dass "wesentlich" nicht gleichzusetzen ist mit "gleichwertig" oder "annähend gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere Ursache keine überragende Bedeutung hat und als rechtlich allein wesentliche Ursache anzusehen ist. Eine naturwissenschaftliche Ursache, die nicht als wesentlich anzusehen ist und damit keine Ursache im Sinn der Theorie der wesentlichen Bedingung ist, kann als Gelegenheitsursache bezeichnet werden (vgl. BSG, Urt. v. 30.01.2007 - B 2 U 23/05 R -, juris Rn. 18). Dies ist namentlich dann der Fall, wenn eine Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (vgl. BSG, Urt. v. 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, juris Rn. 15 m.w.N.).

 

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen war der Absprung vom Boden der Sporthalle zur Überwindung der Hochsprunglatte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich für den vorstehend bezeichneten Gesundheitsschaden der Klägerin.

 

aa) Zwischen allen gutachterlich gehörten Ärzten besteht Übereinstimmung dahingehend, dass das Ereignis vom 21.01.2019 mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Bedingung im naturwissenschaftlichen Sinne für die Ausrenkung der Kniescheibe am rechten Kniegelenk der Klägerin im Sinne der 1. Stufe der Kausalitätsprüfung war. Dass es ohne die beschriebene Einwirkung von außen auf den Körper der Klägerin ebenfalls zu einer Patellaluxation gekommen wäre, behauptet auch die Beklagte nicht.

 

bb) Es steht allerdings zur Überzeugung des Senats nach dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen ebenfalls fest, dass bei der Klägerin für eine Kniescheibenausrenkung prädisponierende anatomische Besonderheiten in Form einer dysplastischen Anlage der Kniescheibenrückfläche und des Kniescheibengleitweges und vermehrten X-Stellung der Gelenksachse sowie eines relativen Hochstandes der Kniescheibe vorliegen. Dies haben alle gehörten gerichtlichen Sachverständigen übereinstimmend festgestellt.

 

cc) Der Senat hält es auch für hinreichend wahrscheinlich, dass die genannten für eine Kniescheibenausrenkung prädisponierenden Faktoren ebenfalls im naturwissenschaftlichen Sinne wirkursächlich für die Patellaluxation der Klägerin waren. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass es ohne die genannten körpereigenen Anlagen der Klägerin ebenfalls zu einer Patellaluxation im rechten Knie gekommen wäre. Der Senat folgt insoweit der Einschätzung der erstinstanzlich beauftragten Sachverständigen U. sowie der urkundsbeweislich verwertbaren, im Verwaltungsverfahren eingeholten Stellungnahme von V.. Diese Einschätzung bestätigt im Ergebnis auch der im Berufungsverfahren beauftragte Sachverständige G.. Dieser hat ausgeführt, dass bei normalen anatomischen Verhältnissen nur starke, in der Regel indirekte Krafteinwirkungen typischerweise mit Außendrehung des Unterschenkels bei Innendrehung des Oberschenkels unter voller Belastung des Beines und gleichzeitigem Zug des Quadrizepsmuskels geeignet sind, eine Verrenkung zu verursachen. Auch eine plötzliche Vergrößerung des so genannten Q-Winkels (zwischen der Oberschenkellängsachse und dem Ansatz der Kniestrecksehne) durch überraschende Anspannung der Streckmuskulatur kann zu einer seitlichen Dislokation der Kniescheibe führen. Dass eine diesen Vorgaben entsprechende Belastung bzw. Krafteinwirkung hier vorgelegen hat, ist nicht ersichtlich. G. hat zwar konstatiert, es sei hochwahrscheinlich, dass es bei dem Sprung über das Hindernis zu komplexen Hebel- und Torsionsmechanismen mit Einwirkungen auf das Kniegelenk und zusätzlich einem fehlgelenkten Muskelzug des Streckapparates gekommen ist, der dann letztlich zur Ausrenkung der Kniescheibe geführt hat. Der von der Klägerin geschilderte Bewegungsablauf war jedoch gewollt und muskulär kontrolliert. Die Klägerin hatte den Sprung zuvor schon geübt und erfolgreich bewältigt. Ein Bewegungsablauf, der auch ohne die genannten prädisponierenden Faktoren zu einer Patellaluxation geführt hätte, kann vor diesem Hintergrund nicht unterstellt werden.

 

dd) Ungeachtet der wirkursächlichen Mitwirkung der genannten prädisponierenden Faktoren ist die versicherte Einwirkung von außen auf den Körper, der Absprung von dem Boden der Sporthalle zur Überwindung der Hochsprunglatte, jedoch wesentlich kausal für die eingetretene Patellaluxation im rechten Knie im Sinne der 2. Stufe der Kausalitätsprüfung. Es ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die bei der Klägerin vorliegenden, eine Kniescheibenluxation begünstigenden körperlichen Anlagen von überragender Bedeutung für den bei der Klägerin entstandenen Gesundheitsschaden waren. Es kann nicht festgestellt werden dass die bei der Klägerin vorhandenen Krankheitsanlagen so stark oder so leicht ansprechbar waren, dass eine Patellaluxation auch durch jedes andere alltägliche Ereignis in etwa zu derselben Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgelöst worden wäre.

 

Bereits für sich genommen steht der Ausprägungsgrad der eine Verrenkung der Kniescheibe begünstigenden körperlichen Anlagen der Klägerin nicht fest. Die erstinstanzlich beauftragte Sachverständige U. hat eine Fehlform der Kniescheibe in Form einer Patelladysplasie Typ Wiberg III und eine Trochleadysplasie Typ III nach Hepp festgestellt, was jeweils lediglich im mittleren Bereich der Bandbreite prädisponierender Faktoren liegt, wohingegen der im Berufungsverfahren beauftragte Sachverständige G. insoweit höhere Ausprägungsgrade (Wiberg III/IV und Typ IV/V nach Hepp) angenommen hat. Welche Befundung zutreffend ist, vermag der Senat nicht zu entscheiden.

 

Unabhängig davon hat auch G. ausgeführt, dass die entsprechenden Veränderungen bei der Klägerin nicht so schwerwiegend ausgeprägt seien, dass bereits aus rein medizinischer Sicht und unter Berücksichtigung des Ausprägungsgrades der Veränderungen diese als allein überragend ursächlich angesehen werden könnten. Für diese Einschätzung spricht, dass bei der Klägerin weder vor dem Ereignis vom 21.01.2019 noch danach Kniescheibenluxationen aufgetreten sind. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kniescheibe der Klägerin bei jeder Bewegung des Kniegelenkes nach außen springt, was die Sachverständige U. als kennzeichnend für eine anlagebedingte Luxation hervorgehoben hat. Ein entsprechender Befund ist bei keiner ärztlichen Untersuchung erhoben worden.

 

Darüber hinaus hat ein nicht alltäglicher Bewegungsablauf am 21.01.2019 die Kniescheiben Luxation im rechten Knie der Klägerin herbeigeführt. Dies allein führt zwar nicht dazu, dass ein gegenüber einer Krankheitsanlage rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne weiteres zu unterstellen ist (siehe hierzu BSG, Urt. v. 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, juris Rn. 15). Der Unfallhergang hat jedoch zur Überzeugung des Senats auch unter Berücksichtigung der körperlichen Anlagen der Klägerin eine Luxation der Kniescheibe erheblich begünstigt. So ist es nach den Feststellungen von G., denen der Senat folgt, hochwahrscheinlich, dass es bei dem Sprung über die Hochsprunglatte zu komplexen Hebel- und Torsionsmechanismen mit Einwirkungen auf das Kniegelenk und zusätzlich einem fehlgelenkten Muskelzug des Streckapparates gekommen ist, der dann letztlich zur Ausrenkung der Kniescheibe geführt hat. Vergleichbare Belastungen kommen im Alltag nicht ohne weiteres vor.

 

Zudem ist davon auszugehen, dass die Klägerin den Sprung nicht in jeder Hinsicht technisch korrekt ausgeführt hat und dies zur Luxation der Kniescheibe im naturwissenschaftlichen Sinne beigetragen hat. So hat die Klägerin sowohl gegenüber Frau U. als auch gegenüber dem erstinstanzlich nach § 109 SGG beauftragten Sachverständigen I. angegeben, sie habe sich „beim Absprung“ bzw. „kurz vor Absprung“ umgedreht. Nach den vom Senat beigezogenen Unterlagen über die technisch korrekte Ausführung des Hochsprungs in der Flop-Technik liegt darin eine technisch fehlerhafte Ausführung. Der Hochsprung in der Flop-Technik ist zwar mit einer Drehung verbunden. Diese hat aber nicht beim oder vor dem Absprung zu geschehen, sondern soll nach dem Absprung in der Luft erfolgen (siehe hierzu die letzte Seite, dritte Zeile, linkes Kästchen der beigezogenen Unterlagen). Bei technisch korrekter Ausführung geschieht die Drehung aufgrund des in einem Bogen erfolgenden Anlaufs sowie der Anhebung des Schwungarms und des Sprungbeins nach dem gerade erfolgen Absprung automatisch in der Luft. Die von der Klägerin praktizierte fehlerhafte Sprungtechnik begünstigt im besonderen Maße gerade bei bestehenden prädisponierenden Faktoren die Luxation der Kniescheibe, weil bei einer Drehung vor oder beim Absprung starke Rotationskräfte auf die Kniescheibe und das Kniescheibengleitlager einwirken.

 

In Anbetracht dieser Umstände muss das Ereignis vom 21.01.2019 nach dem Schutzzweck des § 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b SGB VII als rechtlich wesentlich angesehen werden. Der Zweck der Schülerunfallversicherung besteht gerade auch darin, Schülerinnen und Schüler vor den Folgen ungewohnter, aber zugleich technisch anspruchsvoller Bewegungen im Sportunterricht zu schützen. Hat eine sportive Bewegung, zu der eine Schülerin oder ein Schüler, wie hier die Klägerin, durch Lehrerinnen und Lehrer veranlasst worden ist, den Eintritt der entstandenen Verletzungsfolge begünstigt, kann deshalb das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nicht mit dem Vorliegen von Krankheitsanlagen verneint werden, jedenfalls wenn diese, wie hier, nach ihrem Ausprägungsgrad für sich genommen keine überragende Bedeutung haben.

 

Die Ausführungen von V. im Verwaltungsverfahren und der erstinstanzlich beauftragten Sachverständigen U. führen zu keiner anderen Bewertung. Beide Mediziner gehen von der rechtlich unzutreffenden Wertung aus, dass bereits das Vorhandensein prädisponierenden Faktoren und deren Mitursächlichkeit im naturwissenschaftlichen Sinne die Wesentlichkeit einer versicherten Ursache ausschließen. Sie verkennen bereits im Ansatz, dass die Abwägung, ob das Unfallereignis den Gesundheitsschaden wesentlich (mit-)verursacht hat, auf dem Boden der individuellen körperlichen und seelischen Konstitution des einzelnen Versicherten im Zeitpunkt der jeweiligen Einwirkung zu treffen ist (vgl. BSG, Beschl. v. 06.10.2020 - B 2 U 127/20 B -, juris Rn. 9). Darüber hinaus ist die Frage nach der Wesentlichkeit des Unfallereignisses keine medizinische, sondern eine rechtliche Frage, die zwar auf der Grundlage eines medizinisch geklärten Sachverhalts, aber durch den Richter selbst und nicht durch medizinische Sachverständige zu beantworten ist.

 

Auch die Ausführungen von G. führen zu keiner anderen Bewertung. Der Sachverständige erkennt zunächst zutreffend, dass die Beurteilung der Wesentlichkeit des Ereignisses vom 21.01.2019 eine Frage der abschließenden rechtlichen Bewertung ist. Soweit er aus medizinischer Sicht meint, er selbst könne in dem Ereignis keine Besonderheiten erkennen, die eine wesentliche Störung der physiologischen Bewegungsabläufe durch das Ereignis selbst erklären würden, berücksichtigt er nicht hinreichend die nach den vorstehenden Ausführungen technisch fehlerhafte Ausführung des Sprungs durch die Klägerin. Ihm kann auch nicht dahingehend gefolgt werden, dass zu unterstellen sei, dass die Klägerin deshalb, weil sie zuvor einen entsprechenden Sprung ohne Verletzung durchgeführt habe, auf die Belastungen des Sprungs eingestellt gewesen sei. Die Hochsprungtechnik ist so komplex, dass sich trotz eines technisch korrekten bzw. ohne Verletzung abgelaufenen Versuchs bei einem erneuten Versuch Fehler im Bewegungsablauf einschleichen können. Selbst professionelle Hochspringer sind nicht in der Lage, jeden Sprung technisch in jeder Hinsicht sauber auszuführen. Im Übrigen kommt auch G. zu der Einschätzung, es lasse sich aus medizinischer Sicht aus dem Schweregrad/Ausprägungsgrad der Schadensanlage nicht sicher ablesen, dass auch jedes alltägliche Ereignis zu derselben Zeit die Patellaluxation ausgelöst hätte. Dies entspricht der rechtlichen Wertung des Senats.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
Saved