Beschäftigte haben den Gesamtsozialversicherungsbeitrag nach § 28m Abs. 1 SGB IV in den Fällen zu zahlen, in denen eine internationale Zuständigkeit der Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland für Aktivklagen gegen den Arbeitgeber fehlt. Die Einzugsstellen der Krankenkassen sind nicht verpflichtet, die Sozialversicherungsbeiträge gegenüber dem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland nach den Regelungen eines Sozialversicherungsabkommens beizutreiben.
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Beitragsbescheides, mit welchem die Beklagte von der Klägerin für den Zeitraum von April 2019 bis Januar 2021 Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge fordert.
Die 1995 geborene Klägerin ist israelische Staatsbürgerin. Seit Juli 2016 war sie bei der GLtd. mit Sitz in Israel beschäftigt und betreute online die Vermarktung von Apps auf dem amerikanischen Markt. Um ihrer in Deutschland lebenden Schwester nach der Trennung ihrer Eltern näher zu sein, zog die Klägerin am 15. April 2019 nach Deutschland. Ihr Arbeitgeber hatte gegen die Erbringung der Arbeitsleistung aus Deutschland keine Einwände. Die Klägerin arbeitete ausschließlich im Home Office via Internet, Kunden mit Sitz in Deutschland betreute sie nicht. Sie erzielte aus ihrer Tätigkeit ein Einkommen von monatlich 8.000,00 Neue Israelische Schekel (ILS) brutto, nach Abzug von Steuern, Versicherungs- und Pensionsbeiträgen 7.002 ILS netto. Der Arbeitgeber und die Klägerin stellten keinen Antrag auf Befreiung von den deutschen Rechtsvorschriften. Der Arbeitgeber leistete keine Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Tätigkeit der Klägerin in Deutschland.
Nach Kontaktaufnahme der Klägerin mit der beklagten Krankenkasse, erstem Informationsaustausch am 2. Juli 2020 sowie nach telefonischer Beratung der Klägerin in englischer Sprache am 11. September 2020 erließ die Beklagte am 15. September 2020 einen Beitragsbescheid und forderte von der Klägerin für den Zeitraum vom 16. April 2019 bis 30. September 2020 die Zahlung von rückständigen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitslosenversicherung von insgesamt 9.458,75 Euro. Ferner setzte die Beklagte die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile zur Gesamtsozialversicherung ab Oktober 2020 auf monatlich insgesamt 572,62 Euro fest und forderte von der Klägerin deren Zahlung. Bei der Berechnung hatte die Beklagte den in Euro umgerechneten Netto-Monatsverdienst der Klägerin um fiktive Arbeitgeberbeiträge vermindert und der Beitragsfestsetzung ein fiktives Bruttoarbeitsentgelt von monatlich 1.446,05 Euro zugrunde gelegt. Zur Begründung der Entscheidung führte sie aus, dass für die Beschäftigung der Klägerin die deutschen Rechtsvorschriften gälten und die Klägerin zur Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages verpflichtet sei.
Hiergegen erhob die Klägerin am 14. Oktober 2020 Widerspruch und verwies darauf, dass der Arbeitgeber verpflichtet sei, Beiträge zur Sozialversicherung zu leisten. Zu Unrecht fordere die Beklagte von ihr diese in voller Höhe.
Mit Änderungsbescheid vom 21. Januar 2021 setzte die Beklagte die Beiträge für die Zeit ab Januar 2021 in Höhe von insgesamt monatlich 578,66 Euro für Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge fest. Zum 1. Februar 2020 nahm die Klägerin eine selbstständige Tätigkeit auf und begründete eine freiwillige Versicherung bei der Beklagten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 2. September 2021 wies die Beklagte den Widerspruch gegen die Beitragsentscheidungen zurück. Nach § 28m Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) sei die Klägerin leistungspflichtig, wenn der Arbeitgeber nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterstehe und keine Beiträge zur Sozialversicherung zahle.
Hiergegen hat die Klägerin am 30. September 2021 vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben. Zwar unterliege sie nach dem deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommen den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates, jedoch habe weiterhin gemäß § 28e Abs. 1 SGB IV der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen. Zu Unrecht fordere die Beklagte die Zahlung von der Klägerin ohne einen Versuch unternommen zu haben, die Beiträge vom Arbeitgeber einzuziehen.
Mit Gerichtsbescheid vom 23. März 2022 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Der angefochtene Beitragsbescheid sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Rechtsgrundlage sei § 28m SGB IV. Die Klägerin werde nicht anders behandelt als deutsche Staatsangehörige. Ein Verstoß gegen das deutsch-israelische Sozialversicherungsabkommen sei nicht ersichtlich. Die Krankenkasse sei nicht verpflichtet, den Arbeitgeber zu mahnen oder Beitreibungsversuche zu unternehmen.
Gegen die dem Klägervertreter am 28. März 2022 zugestellte Entscheidung hat dieser am 26. April 2022 Berufung beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg erhoben und zur Begründung auf den erstinstanzlichen Vortrag verwiesen. Ergänzend hat er vorgetragen, dass die Krankenkasse ihre Beratungspflichten gegenüber der Klägerin verletzt habe.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 23. März 2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. September 2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21. Januar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. September 2021 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und hat ergänzend vorgetragen, keine Handhabe gegenüber israelischen Arbeitgebern zu haben, sodass Beiträge vom Arbeitgeber der Klägerin nicht erfolgreich hätten erhoben werden können.
Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 20. Oktober 2022 dem Berichterstatter übertragen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Gerichts über die Zulassung der Revision einverstanden erklärt.
Klarstellend hat die Beklagte im Termin vom 11. Januar 2024 den streitigen Beitragsbescheid für die Zeit ab Februar 2021 aufgehoben, da die Klägerin seither freiwillig versichert ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den des Verwaltungsvorganges der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
Gegenstand des Rechtsstreits sind der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin 23. März 2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. September 2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21. Januar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. September 2021 in der Fassung der Aufhebungsentscheidung vom 11. Januar 2024. Der Änderungsbescheid vom 21. Januar 2021 ist nach § 86 Sozialgerichtgesetz (SGG) zum Gegenstand des Widerspruchsverfahrens, die Aufhebungsentscheidung vom 11. Januar 2024 ist nach § 96 SGG zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene und auch statthafte Berufung der Klägerin (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 151 SGG) ist unbegründet. Die der Berufung zugrunde liegende Klage ist als Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG zulässig, jedoch unbegründet. Die angegriffene Entscheidung der Beklagten ist im Ergebnis rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin kann die Aufhebung des Beitragsbescheides nicht beanspruchen.
Die Voraussetzungen für die Erhebung von Beiträgen gegenüber der Klägerin dem Grunde nach sind erfüllt (dazu 1.). Die Festsetzung der Beitragshöhe erfolgte zwar in Abweichung von den gesetzlichen Vorgaben, die Klägerin ist dadurch jedoch nicht in ihren Rechten verletzt (dazu 2.). Der Beitragserhebung stehen keine Beratungspflichtverletzungen der Beklagten entgegen (dazu 3.)
1.
Rechtsgrundlage für die Beitragsentscheidung ist § 28m Abs. 1 SGB IV. Danach hat der Beschäftigte den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen, wenn sein Arbeitgeber ein ausländischer Staat, eine über- oder zwischenstaatliche Organisation oder eine Person ist, die nicht der inländischen Gerichtsbarkeit untersteht und die Zahlungspflicht nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV nicht erfüllt.
Die Voraussetzungen waren im Streitzeitraum von April 2019 bis Januar 2021 erfüllt. Die Klägerin unterlag als Beschäftigte den nationalen Vorschriften (dazu a.) und damit der Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung (dazu b.). Der Arbeitgeber der Klägerin unterfällt dem von § 28m SGB IV erfassten Personenkreis (dazu c.) Er hat seine Zahlungspflichten nicht erfüllt (dazu d.). Ein vorheriger Beitreibungsversuch der Beklagten war nicht erforderlich (dazu e.).
a) Die Klägerin unterlag für die Zeit nach ihrer Einreise als Beschäftigte dem Recht der Bundesrepublik Deutschland.
Nach Artikel 5 des deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommens (Abkommen zwischen dem Staat Israel und der Bundesrepublik Deutschland über soziale Sicherheit vom 17. Dezember 1973, gültig ab 1. Mai 1975 – im Folgenden SozVersAbk) richtet sich die Versicherungspflicht von Arbeitnehmern nach den Rechtsvorschriften des Vertragsstaates, in dessen Gebiet sie beschäftigt sind; dies gilt auch, wenn sich der Arbeitgeber im Gebiet des anderen Vertragsstaates befindet, soweit die Artikel 6 bis 10 des Abkommens nichts anderes bestimmen.
Die Klägerin war nach ihrer Einreise nach Deutschland am 15. April 2019 auf dem Gebiet der Bundesrepublik beschäftigt. Die Erbringung der Arbeitsleistung erfolgte durch die Klägerin in Berlin, unabhängig davon, dass der Arbeitserfolg elektronisch im Ausland eintrat. „Beschäftigung“ ist nach Art. 1 Nr. 7 SozVersAbk eine Beschäftigung oder Tätigkeit im Sinne der anzuwendenden Rechtsvorschriften. Nach § 9 Abs. 1 SGB IV ist Beschäftigungsort der Ort, an dem die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird.
Ausnahmen nach Art. 6 bis 10 SozVersAbk greifen nicht ein. Die Klägerin war nicht im Sinne von Art. 6 SozVersAbk von ihrem Arbeitgeber entsandt (vgl. § 5 Abs. 1 SGB IV; zum Begriff auch Art 1 und 2 Arbeitnehmerentsenderichtlinie RL 96/71/EG vom 16. Dezember 1996). Denn sie war nicht vom Arbeitgeber vorübergehend nach Deutschland geschickt worden, um in der Bundesrepublik Dienstleistungen zu erbringen, sondern hat ihren Arbeitsort aus privaten Gründen dauerhaft in die Bundesrepublik verlegt und ihre Arbeitsleistung unverändert online auf den Servern des israelischen Unternehmens zur Erbringung von Dienstleistungen auf dem amerikanischen Markt erbracht. Die Klägerin gehörte ferner nicht zu dem von Art. 7 bis 9 SozVersAbk erfassten Personenkreis (Schiffsbesatzung, gleichgestellte Personen, Beschäftigte des Vertragsstaates). Zudem hatten der Arbeitgeber und sie keinen Antrag auf Befreiung von den Rechtsvorschriften gestellt und hatte die zuständige deutsche Behörde keine Befreiung im Sinne von Art. 10 SozVersAbk erteilt.
b) Die Klägerin war gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV Beschäftigte, da sie gegen Entgelt ein Arbeitsverhältnis ausübte und nicht auf selbständiger Basis tätig war, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist. Sie unterfiel damit der Sozialversicherungspflicht, die kraft Gesetzes eintritt und nicht vom Willen der Beteiligten abhängt. Sie war in der Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), in der Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), in der Rentenversicherung nach § 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) und in der sozialen Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI).
c) Zu Recht geht die Beklagte davon aus, dass der Arbeitgeber der Klägerin dem von § 28m SGB IV erfassten Personenkreis unterfällt.
Nach dem Wortlaut des § 28m SGB IV kann ein Beschäftigter nur zur Tragung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge verpflichtet werden, wenn sein Arbeitgeber ein ausländischer Staat, eine über- oder zwischenstaatliche Organisation oder eine Person ist, die nicht der inländischen Gerichtsbarkeit untersteht.
Der Arbeitgeber der Klägerin war kein ausländischer Staat und keine über- oder zwischenstaatliche Organisation. Der Arbeitgeber unterfällt jedoch dem Begriff der „Person .., die nicht der inländischen Gerichtsbarkeit untersteht.“
Nach der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ist hierunter eine exterritoriale natürliche oder juristische Person zu verstehen. Das ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, die auf Art. 18 bis 20 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) verweist (BT-Drucks. 11/2221, S. 26). Bei den nicht der inländischen Gerichtsbarkeit unterliegenden Personen handelt es sich um Mitglieder diplomatischer Missionen, ihre Familienmitglieder und ihre privaten Hausangestellten (Art. 18 GVG), Mitglieder der im Geltungsbereich dieses Gesetzes errichteten konsularischen Vertretungen einschließlich der Wahlkonsularbeamten (Art. 19 GVG) und Repräsentanten anderer Staaten und deren Begleitung (Art. 20). Die Regelungen gehen zurück auf das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961 und das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 sowie auf allgemeine völkerrechtliche Regelungen. Die Befreiung von der deutschen Gerichtsbarkeit ist ein selbständiges Hindernis prozessualer Art, welches dem gerichtlichen Tätigwerden entgegensteht und weder die Zuständigkeit des Gerichts noch die Zulässigkeit des Rechtswegs betrifft (vgl. Lückemann in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024, Vorb zu §§ 18-20 GVG, Rn. 1 und 3).
Bei Inkrafttreten des § 28m SGB IV am 1. Januar 1989 war eine von einem Sitz oder einer Niederlassung des Arbeitgebers getrennte Arbeitsleistung von Arbeitnehmern außerhalb der Fälle einer Entsendung kaum denkbar. Dies erklärt die Fokussierung des historischen Gesetzgebers auf die Fälle der Exterritorialität. Durch die Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten können Arbeitnehmer ihre Arbeitsleistung nunmehr jedoch von überall auf der Welt erbringen, auch in der Bundesrepublik für Arbeitgeber mit Sitz im Ausland. § 28m SGB IV verweist nicht selbst auf die Regelungen der Art. 18 ff GVG und erfasst damit auch die gewandelten Fallkonstellationen des Internetzeitalters, in denen durch moderne Gestaltung der Arbeitsverhältnisse zwar Beschäftigte dem Schutz des nationalen Sozialversicherungssystems unterfallen, die Durchsetzbarkeit der Zahlungspflichten zum Sozialversicherungssystem hingegen wegen des Fehlens der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte für Aktivklagen nicht vollständig sichergestellt ist. Für eine Beschränkung der Anwendung des § 28m SGB IV auf die in der Gesetzesbegründung genannten Personen besteht kein Grund.
Vielmehr unterfallen § 28m SGB IV – nach zutreffender Auslegung durch die Beklagte – alle Arbeitgeber, bei denen für Aktivklagen eine internationale Zuständigkeit in Deutschland fehlt (zu dieser Praxis Mecke, SGb 2016, 481, 484, a.A. wohl Dahm, Die Beiträge 2012, 193). Dies ergibt sich im Rahmen der Auslegung der Vorschrift. Denn es ist Sinn und Zweck des § 28m SGB IV, durch Anordnung einer Zahlungspflicht des Arbeitnehmers sicherzustellen, dass der Leistungspflicht der Sozialversicherungsträger eine Beitragszahlung auch dann gegenübersteht, wenn eine zwangsweise Durchsetzung der Beitragspflichten gegenüber dem Arbeitgeber nicht möglich ist (BT-Drucks. 11/2221, S. 26). Die Norm hat eine Schutzfunktion zur Sicherung von Leistungsansprüchen (BeckOK SozR/Wagner, 71. Ed. 1.12.2023, SGB IV § 28m Rn. 2) und auch eine soziale Schutzfunktion zugunsten des von Beitragszahlungen abhängigen Beschäftigten (Knickrehm/Roßbach/ Waltermann/Roßbach, 8. Aufl. 2023, SGB IV § 28m Rn. 1).
Das Gericht stützt sich auf die nachvollziehbaren und glaubhaften Angaben der Beklagtenvertreter, wonach in der Praxis die Durchsetzung von Beitragsforderungen schon innerhalb der Europäischen Gemeinschaft aufgrund rechtlicher und tatsächlicher Hürden kaum möglich und gegenüber Arbeitgebern im nichteuropäischen Ausland – auch bei Bestehen von Sozialversicherungsabkommen – faktisch unmöglich ist. Das Gericht folgt der Beklagten in der Ansicht, dass die genannte Auslegung des § 28m Abs. 1 SGB IV geboten ist, um einerseits die Äquivalenz zwischen Leistungsansprüchen und einkommensabhängigen Beitragsleistungen zu erhalten und andererseits einer Verlagerung von Unternehmenssitzen ins außereuropäische Ausland zur faktischen Umgehung der Sozialversicherungspflichten der Arbeitgeber entgegen zu wirken.
Dabei hat das Gericht beachtet, dass nach Art. 26 SozVersAbk für die Beklagte eine Kommunikation mit den ausländischen Beteiligten in deutscher Sprache zulässig wäre und Bescheide unmittelbar durch eingeschriebenen Brief mit Rückschein zugestellt werden könnten; dass der Arbeitgeber gegenüber der Beklagten in Deutschland Widerspruch erheben müsste und für ein gegen den Beitragsbescheid geführtes Klageverfahren nach § 57 Abs. 3 SGG das Sozialgericht am Sitz der Beklagten zuständig wäre. Das Gericht hat auch beachtet, dass nach Art. 24 SozVersAbk die vollstreckbaren Entscheidungen der Gerichte sowie die vollstreckbaren Urkunden der Träger oder der Behörden über Beiträge und sonstige Forderungen aus der Sozialversicherung in Israel anerkannt werden. Dabei handelt es sich jedoch um – in der Praxis theoretische – ergänzende Möglichkeiten, welche keinen Einfluss auf die Auslegung des § 28m SGB IV haben.
d) Der Arbeitgeber der Klägerin hat die Zahlungspflicht nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV nicht erfüllt. Nach § 28d Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IV werden die Beiträge in der gesetzlichen Kranken-, der sozialen Pflege- und der gesetzlichen Rentenversicherung für einen kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten sowie der Beitrag aus Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach dem Recht der Arbeitsförderung als Gesamtsozialversicherungsbeitrag gezahlt. Nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist der Arbeitgeber zahlungspflichtig. Nach § 28h Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist der Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Krankenkassen (Einzugsstellen) zu zahlen. Eine Zahlung durch den Arbeitgeber der Klägerin ist – unstreitig – nicht erfolgt.
e) Ein vorheriger Beitreibungsversuch der Beklagten war nicht erforderlich. Weder § 28m SGB IV noch andere Vorschriften des SGB IV sehen den verpflichtenden Versuch einer Beitragsdurchsetzung gegenüber einem anderen Zahlungspflichtigen vor. § 28m SGB IV setzt nachvollziehbar voraus, dass es dem von der Beitragszahlungspflicht erfassten Beschäftigten leichter möglich und daher zumutbar ist, den sich aus § 28m Abs. 4 SGB IV ergebenden Erstattungsanspruch im Rechtsverhältnis zum Arbeitgeber mit den Mitteln der Aufrechnung, Zurückbehaltung oder Leistungsforderung durchzusetzen.
2.
Die Höhe der Beitragsfestsetzung verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, da die festgesetzte Beitragshöhe deutlich hinter der gesetzlich vorgesehen zurückbleibt. Denn die Beklagte hat die Beiträge nicht aus dem Arbeitsentgelt der Klägerin berechnet, sondern – nach der Darstellung des Beklagtenvertreters in ständiger Praxis – zugunsten der Klägerin ein fiktives geringeres Entgelt der Beitragsberechnung zugrunde gelegt.
Die der Beitragsberechnung gesetzlich zugrunde zu legenden Einnahmen ergeben sich gemäß § 342 SGB III, § 226 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 162 Nr. 1 SGB VI, § 57 Abs. 1 SGB XI aus der Höhe des Arbeitsentgeltes. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung. Der Beitragsbemessung hätte somit der vom Arbeitgeber gewährte Bruttolohn in Höhe von monatlich 8.000 ILS zugrunde gelegt werden müssen, welcher gemäß § 17a Abs. 1 Satz 1 SGB IV in Euro nach dem Referenzkurs umzurechnen ist, den die Europäische Zentralbank öffentlich bekannt gibt. Zum Zeitpunkt der Beitragsfestsetzung betrug der Referenzkurs 1 Euro = 4,0461 ILS. Statt von einem Bruttoeinkommen in Höhe von 1.977,21 Euro auszugehen, verminderte die Beklagte das umgerechnete Nettoeinkommen um fiktive Arbeitgeberanteile und ermittelte die Beiträge aus 1.446,05 Euro. Die Berechnung entsprach auch nicht den Vorgaben des § 14 Abs. 2 SGB IV zur Beitragsermittlung bei Vereinbarung eines – hier nicht vorliegenden – Nettoarbeitsentgelts. Hierzu hat die Beklagte angegeben, dass durch die praktizierte Berechnung die Beschäftigten ausländischer Arbeitgeber nicht stärker belastet werden sollen als Beschäftigte mit inländischen Arbeitgebern.
Wegen der erheblichen Reduzierung des der Beitragsbemessung zugrunde gelegten Entgelts kann dahinstehen, ob die Beitragshöhe wegen der Kursentwicklung im Verhältnis EUR:ILS im Streitzeitraum nach § 17a Abs. 3 SGB IV hätte angepasst werden müssen.
Die Beklagte hat die Höhe der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge unter Berücksichtigung der maßgeblichen Beitragssätze nach allem also rechnerisch nicht zu Lasten der Klägerin berechnet, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist.
3.
Der Geltendmachung der Beiträge steht keine Beratungspflichtverletzung der Beklagten entgegen. Denn eine solche ist bereits nicht erkennbar. Die Beklagte hat die Klägerin zeitnah nach ihrer Meldung telefonisch beraten. Eine Beratungspflicht bei der Einreise von Beschäftigten ist nicht möglich und gesetzlich auch nicht vorgesehen. Beratungs-, Aufklärungs- und Auskunftspflichten nach §§ 13 bis 15 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) setzen die Kontaktaufnahme des Beschäftigten mit dem Sozialversicherungsträger voraus. Nach Kontaktaufnahme der Klägerin ist die Beklagte in zutreffender Weise den ihr obliegenden Pflichten nachgekommen. Zudem hätte eine zeitlich frühere Beratung der Klägerin die Festsetzung des Beitrages ihr gegenüber nicht verändert. Schließlich hätte selbst eine Verletzung von Beratungspflichten nicht dazu führen können, das die Beklagte von einer Beitragserhebung absieht.
4.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG, folgt dem Ergebnis der Hauptsache und berücksichtigt das Unterliegen der Klägerin.
5.
Die Zulassung der Revision erfolgte wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache, § 160 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGG. Zur Anwendbarkeit des § 28m SGB IV auf die Gegebenheiten der modernen Arbeitswelt und zum Verhältnis zu Sozialversicherungsabkommen liegt bislang keine höchstrichterliche Rechtsprechung vor. Zugleich ist die Rechtsfrage für die betroffenen Beschäftigten und die gesetzlichen Krankenkassen von hoher praktischer Bedeutung.
Unabhängig von der Zulässigkeit einer Rückübertragung des Verfahrens auf den mit drei Berufsrichtern besetzten („großen“) Senat (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschl. v. 14. Oktober 2020 – B 4 AS 188/20 B –, Rn. 9 ff, juris; Burkiczak in: jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 153 SGG (Stand: 12.01.2024), Rn. 212 m.w.N.; a.A. BSG, Beschl. v. 6. Dezember 2018 – B 8 SO 53/18 B –, Rn. 5 ff., juris) war eine Rückübertragung vorliegend nicht geboten, da die Beteiligten einer Entscheidung über die Revisionszulassung durch den Berichterstatter und die beiden ehrenamtlichen Richter („kleiner“ Senat gemäß § 153 Abs. 5 SGG) nach Hinweis des Gerichts auf die in Betracht kommende Zulassung zuvor zugestimmt haben.