Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 8. April 2022 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Arbeitslosengeld II (Alg II).
Der 1989 geborene und ledige Kläger absolvierte eine Ausbildung als Rettungsassistent. In diesem Beruf arbeitete er von Juli 2012 bis September 2015. Danach studierte er bis Juni 2018 Medizin an der Medizinischen Fakultät der Universität M1.
Bereits mit Urteil des Amtsgerichts M2 vom 6. Oktober 2015 wurde er zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Die Entscheidung wurde Anfang März 2018 rechtskräftig. Ab Juli 2018 verbüßte er die Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt B1, Außenstelle K1. Mit Beschluss des Landgerichts K2 vom 19. November 2019 wurde die Vollstreckung des Strafrestes nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe ab 9. Januar 2020 zur Bewährung ausgesetzt.
Mitte Juli 2016 hatte er gemeinsam mit der 1986 geborenen S1 (S.) eine 75 Quadratmeter große Wohnung angemietet. Hierfür sind eine monatliche Grundmiete von 500,00 € sowie Neben-und Heizkosten im Wege der Vorauszahlung von jeweils 100,00 € zu leisten. Diese Kosten teilten sich beide hälftig. Das Warmwasser wird dezentral aufbereitet. Der Kläger und S. sind Eltern des im September 2018 geborenen S2. Für diesen wird von der Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit Kindergeld gewährt, 2021 in Höhe von monatlich 219,00 €. Der Kläger bezog vom 22. Januar 2020 bis 20. Januar 2021 Arbeitslosengeld von der Bundesagentur für Arbeit nach einem täglichen Leistungsbetrag von 30,86 €. S. arbeitet bis aktuell als Sozialpädagogin bei der Ö1 in Vollzeit. Aus ihrer Tätigkeit erzielte sie im Oktober 2020 ein Bruttoentgelt von 3.850,46 € (2.361,66 € netto) und im November 2020 von 4.051,67 € (2.478,46 € netto).
Am 14. Dezember 2020 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung von Alg II, was mit Bescheid vom 16. Dezember 2020 abgelehnt wurde. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2021 zurückgewiesen. Nach den vorgelegten Kontoauszügen trage der Kläger zwar seinen Mietanteil selbst. Über Monate hinweg sei jedoch keine einzige Abbuchung für einen Lebensmitteleinkauf ersichtlich. Selbst während des Bezuges von Arbeitslosengeld habe er sich nicht an den Kosten der allgemeinen Lebenshaltung und/oder dem Unterhalt des Sohnes beteiligt. Es seien keinerlei Barabhebungen ersichtlich, mit denen der Einkauf von Lebensmitteln oder eine Beteiligung am Lebensunterhalt erfolgt sei. Die Vermutung eines wechselseitigen Willens, füreinander einzustehen, habe er daher nicht widerlegt. Unter Berücksichtigung des Einkommens seiner Partnerin könne er daher seinen Hilfebedarf decken, weshalb ihm keine Leistungen zustünden.
Hiergegen hat der Kläger am 17. August 2021 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, er bezahle alle Lebensmittel, Hygieneartikel, das Spielzeug und die Kleidung, die er für sich und seinen Sohn anschaffe. Belege habe er dem Beklagten postalisch zugeleitet. Dabei habe es sich um Originale gehandelt. Ab Ende Januar 2021 sei er hilfebedürftig gewesen. Die Kindsmutter sei nicht bereit, seine Lebenshaltungskosten zu decken.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat im Wesentlichen die Begründung aus dem Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2021 wiederholt.
Mit Urteil vom 8. April 2022 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die zulässige Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Alg II ab 21. Januar 2021. Der Kläger bilde mit der Zeugin S. eine Bedarfsgemeinschaft. Hierzu gehörten neben den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nach § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Personen, die mit diesen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenleben, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen sei, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II normiere für das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft drei Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssten: Es müsse sich um Partner handeln, die in einem gemeinsamen Haushalt zusammenlebten, und zwar so, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen sei, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Die Zeugin S. sei die Partnerin des Klägers. 2016 hätten der Kläger und die Zeugin S. beschlossen, ihren gemeinsamen Lebensmittelpunkt in der angemieteten Wohnung zu begründen, in der sie noch heute lebten. Aus ihrer partnerschaftlichen Beziehung sei der mittlerweile dreieinhalbjährige gemeinsame Sohn hervorgegangen, um den sich beide wechselseitig kümmerten. Die Zeugin S., welche einer Erwerbstätigkeit in Vollzeit und im Schichtdienst nachgehe, sorge überwiegend für den finanziellen Lebensunterhalt der Familie. Ihre anderweitige pauschale Einlassung bei ihrer Einvernahme in der mündlichen Verhandlung sei vorgeschoben und überzeuge das Gericht nicht. Der arbeitslose Kläger kümmere sich weitgehend um die Betreuung des gemeinsamen Sohnes. Aus diesem Lebensmodell leite sich die Ausschließlichkeit der Beziehung ab. Der Kläger lebe mit der Zeugin S. in einem gemeinsamen Haushalt zusammen. Hierbei komme es auf zwei Elemente an, das Zusammenleben und kumulativ das Wirtschaften aus einem Topf. Beides sei erfüllt. Es werde auf die Begründung des Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2021 Bezug genommen. Zwischen dem Kläger und der Zeugin S. bestehe auch der wechselseitige Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Beide lebten am 21. Januar 2021, dem Beginn des streitigen Zeitraums, länger als ein Jahr und zudem mit einem gemeinsamen Kind zusammen, weshalb der Gesetzgeber hieran diese Vermutung knüpfe. Diese gesetzliche Vermutung sei nicht widerlegt.
Gegen das dem Kläger mit Zustellungsurkunde am 30. April 2022 zugestellte Urteil hat dieser am 31. Mai 2022 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, er sei hilfebedürftig und berechtigt, Alg II zu erhalten. Die Mutter des Kindes sei nicht bereit, seine Lebenshaltungskosten zu decken. Er lebe nicht in einer Bedarfsgemeinschaft mit S. Es bestehe eine räumliche und wirtschaftliche Trennung. Es handele sich bloß um eine Wohngemeinschaft. Die partnerschaftliche Beziehung habe spätestens mit Beginn der Haftstrafe im Juni 2018 geendet.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 8. April 2022 sowie den Bescheid des Beklagten vom 16. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 2021 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm ab 21. Januar 2021 Arbeitslosengeld II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Mit Schreiben vom 10. Oktober 2023 ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass der Senat davon ausgehe, dass die Berufung verfristet erhoben worden sein könnte; es wurde ihm Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu gegeben.
Die Beteiligten wurden mit Schreiben vom 6. November 2023 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung mit Beschluss als unzulässig zu verwerfen. Es wurde ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
II.
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Die Berufung des Klägers ist unzulässig.
Die Berufung ist nicht innerhalb der gesetzlichen Berufungsfrist eingelegt worden. Nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Berufung bei dem LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten in der Geschäftsstelle einzulegen. Nach § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG ist die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten in der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Dem anwaltlich nicht vertretenen Kläger ist das Urteil vom 8. April 2022 ausweislich der Postzustellungsurkunde am 30. April 2022 zugestellt worden. Der Lauf einer Frist beginnt nach § 64 Abs. 1 SGG, soweit - wie hier - nichts Anderes bestimmt ist, mit dem Tag nach der Zustellung. Nach § 64 Abs. 2 SGG endet eine nach Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher nach der Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Daraus folgt, dass bei einer Zustellung am 30. April 2022 die Einmonatsfrist des § 151 Abs. 1 SGG mit Ablauf des 30. Mai 2022 (einem Montag) endete. Der Kläger hat jedoch erst am 31. Mai 2022 beim LSG schriftlich die Berufung erhoben. Damit hat der Kläger die Berufungsfrist nicht eingehalten.
Den Antrag (§ 123 SGG) des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist lehnt der Senat ab. Denn der Kläger war nicht ohne Verschulden gehindert, die Berufungsfrist einzuhalten. Die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag erfolgt im Rahmen der Entscheidung in der Hauptsache (Senger in jurisPK-SGG, 2. Aufl. 2022, Stand 4/2023, § 67 Rn. 87).
Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm nach § 67 Abs. 1 SGG auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Die versäumte Rechtshandlung ist innerhalb der Antragsfrist nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 67 Abs. 1 Sätze 1 bis 4 SGG).
Der Kläger kann nicht glaubhaft machen, dass er im Sinne des § 67 Abs. 1 SGG ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert gewesen wäre.
Gemäß § 276 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bedeutet Verschulden u.a. Fahrlässigkeit. Fahrlässig handelt gemäß § 276 Abs. 2 BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. § 67 Abs. 1 SGG liegt ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab zugrunde. Ein Fristversäumnis ist deshalb dann nicht verschuldet, wenn ein Beteiligter die ihm zumutbare Sorgfalt beachtet, die unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles zur gewissenhaften Prozessführung nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftigerweise erforderlich ist (Senger in jurisPK-SGG, a.a.O., § 67 Rn. 28). Umgekehrt ist eine Fristversäumnis dann schuldhaft, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten ist
Der Kläger hat Tatsachen zur Begründung des Antrages nicht glaubhaft gemacht. In seinem Schreiben von 15. November 2023 hat er vorgebracht, „er habe die Klage an die Hausanschrift gesandt, vielleicht liege da das Problem der Zustellverzögerung. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sei die Postlaufzeit von 2-3 Tagen überschritten worden. Der Brief sei rechtzeitig der Deutschen Post zugeführt worden“. Für die Glaubhaftmachung der Tatsachen zur Begründung seines Antrages fehlt es aber schon an genauen Angaben dazu, wann der Kläger den Brief mit der Berufungsschrift bei der Post aufgegeben hat; dies wäre Voraussetzung dafür, die Einhaltung der Berufungsfrist ausgehend von der tatsächlichen Postlaufzeit zu prüfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 AS 2024/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 1606/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Rechtskraft
Aus
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