Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 12. November 2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1963 in der Türkei geborene Klägerin lebt seit 1979 in der Bundesrepublik Deutschland. Hier war sie ab Oktober 1981 versicherungspflichtig beschäftigt, zunächst bis 1986 in einer Buchbinderei, dann bis 1990 als Feldarbeiterin und zuletzt von 1990 bis Ende Oktober 2016 als Montagearbeiterin. Das Beschäftigungsverhältnis wurde durch Auflösungsvertrag mit Abfindung für die Klägerin beendet. Die Klägerin bezog ab Ende Oktober 2016 Krankengeld, im Anschluss hieran nahtlos seit 23.04.2018 Arbeitslosendgeld. Seit 01.08.2019 bezieht sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch. Wegen der Einzelheiten der rentenversicherungsrechtlichen Voraussetzungen wird auf den Versicherungsverlauf vom 02.06.2022 (Bl. 64 ff. Senats-Akte) Bezug genommen.
Bei der Klägerin wurde im Jahr 2013 ein Mamma-Karzinom diagnostiziert. Nach brusterhaltender Operation sowie Chemotherapie und Bestrahlung kam es zu keinem erneuten Rezidiv oder Metastasen.
Einen ersten Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung stellte die Klägerin am 05.05.2014, der mit Bescheid vom 14.07.2014 (Bl. 508 eVA) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.09.2014 (Bl. 601 ff. eVA) abgelehnt wurde, nachdem sich die Klägerin vom 11.03. bis 08.04.2014 in stationärer Rehabilitationsbehandlung (Diagnosen: Mammakarzinom links, Cervikobrachialsyndrom links, anamnestisch Bandscheibenschädigung, keine radikuläre Symptomatik; Periarthritis links mit geringer Funktionseinschränkung, rezidivierende depressive Störung - gegenwärtig mittelgradige Episode, Posttraumatische Belastungsstörung - PTBS -) befand und von dort mit der ärztlichen Einschätzung eines Leistungsvermögens von sechs Stunden und mehr für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen wurde (Reha-Entlassungsbericht vom 08.04.2014, Bl. 712 ff. eVA).
Die Klägerin befand sich vom 28.03. bis 25.04.2017 zur muttersprachlichen stationären Rehabilitations-Behandlung in der B1-Klinik. Dort wurde sie mit den Diagnosen PTBS, rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelschwere Episode und Cervikobrachialsyndrom, sonstiges Schultersyndrom, Urtikaria und der ärztliche Einschätzung eines Leistungsvermögens von sechs Stunden und mehr für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen (u.a. keine überdurchschnittlichen Anforderungen an Aufmerksamkeit und Konzentration) entlassen (Reha-Entlassungsbericht vom 02.05.2017, Bl. 751 ff. eVA). Die Klägerin habe von der stationären Behandlung, vor allem von der Einzelpsychotherapie und Psychoedukation, gut profitieren können. Eine Traumatherapie sei indiziert.
Im September 2017 befand sich die Klägerin zur zweiwöchigen stationären Alkohol-Entzugsbehandlung im Klinikum W1 (Bl. 198, 220 eVA). Im Oktober und November 2017 wurde sie notfallmäßig im H1 Krankenhaus K1 wegen Alkoholintoxikation mit Einnahme von Antidepressiva und verneinten Suizidabsichten aufgenommen (Entlassungsbrief vom 23.10.2017, Bl. 199 ff. eVA, Vorerkrankungsverzeichnis Bl. 220 eVA).
Die Klägerin beantragte am 28.03.2018 Rente wegen Erwerbsminderung (Bl. 552 eVA).
Die Beklagte zog medizinische Befundberichte der behandelnden Ärzte bei, u.a. des B2 vom 08.04.2018 (Bl. 191 f. eVA), wonach die Klägerin an einer PTBS, einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig mittelschwere Episoden und einem Cervikobrachialsyndrom leide.
Die Klägerin wurde vom 24.04. bis 06.07.2018 nach Überweisung durch den S1 wegen nicht mehr ausreichenden ambulanten Maßnahmen erneut stationär und muttersprachlich in der B1-Klinik behandelt. Von dort wurde sie mit den Diagnosen PTBS, rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, Migräne ohne Aura (gewöhnliche Migräne), Adipositas Grad I, zervikaler Bandscheibenschaden, bösartige Neubildung: oberer äußerer Quadrant der Brustdrüse, Allergie und der Beurteilung entlassen, sie habe insgesamt vom Therapieprogramm profitieren können, die Angst- und Depressionssymptomatik habe etwas reduziert werden können, wobei es abzuwarten sei, ob die Symptomatik nachhaltig zurückgehe, da sich die Klägerin erstmalig an die Bearbeitung ihrer Traumatisierungen heranwage (Entlassungsbericht vom 09.07.2018, Bl. 14 ff., 210 ff. eVA). Eine Fortsetzung der Traumabearbeitung, idealerweise in der Muttersprache, wurde empfohlen.
Hierauf gestützt lehnte die Beklagte den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung mit Bescheid vom 06.09.2018 (Bl. 540 ff. eVA) ab. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch.
Die Klägerin befand sich vom 14.05. bis 25.06.2019 erneut in muttersprachlicher stationärer Behandlung der B1-Klinik (Diagnosen: schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, PTBS, benigne essentielle Hypertonie - ohne Angabe einer hypertensiven Krise, Adipositas Grad I, zervikaler Bandscheibenschaden, bösartige Neubildung: oberer äußerer Quadrant der Brustdrüse, Allergie, Migräne ohne Aura; Entlassungsbericht vom 25.06.2019, Bl. 6 ff., 230 ff. eVA). Es wurde dringend eine Psychotherapie, idealerweise in der Muttersprache, empfohlen.
Auf Veranlassung der Beklagten erstattete die P1 nach Untersuchung der Klägerin mit Dolmetscher am 14.11.2019 ihr Gutachten vom 20.02.2020 (Bl. 237 ff. eVA). Dort schilderte die Klägerin, dass es ihr nach der Entlassung aus der B1-Klinik merklich besser gegangen sei, ihr Zustand sich jedoch aufgrund zweier Todesfälle in der Familie massiv verschlechtert habe. P1 diagnostizierte eine Benzodiazepinabhängigkeit. Der Multi-Drug-Screen Test sei positiv gewesen auf Benzodiazepine. Die von der Klägerin beschriebenen subjektiven Merkfähigkeitsstörungen, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen und Gleichgültigkeit sowie der Verlust an Willen seien vereinbar mit einer Abhängigkeit von Benzodiazepine mit entsprechenden Entzugssymptomen. Insoweit empfehle sie eine stationäre Entzugsbehandlung unter Krampfschutz sowie bei bekannter Alkoholerkrankung eine Sucht-Reha. Die von der Klägerin berichteten und die beobachtbaren Symptome würden nicht den diagnostischen Kriterien einer depressiven Episode erfüllen. Gleiches gelte für die PTBS. Die von der Klägerin ihr gegenüber beschriebene Symptomatik stehe im starken Gegensatz zu der in der B1-Klinik beschriebenen Symptomatik. Im Labor habe sich kein Duloxetin nachweisen lassen; auch werde aktuell nicht die empfohlene ambulante Psychotherapie durchgeführt, was für eine Verbesserung der Beschwerden der Klägerin spreche. Im Übrigen seien im Antwortverhalten deutliche inhaltliche Differenzen aufgefallen ebenso wie eine bewusstseinsnahe und zweckorientierte Aggravationstendenz. Die Klägerin sei für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr täglich leistungsfähig. Es werde von Tätigkeiten mit ständigem Kontakt zu Suchtmitteln, besonderen psychomentalen Stressoren oder Nachtschicht abgeraten. Die Klägerin sei in der Lage, vier Mal täglich 500 Meter in angemessener Zeit zurückzulegen.
Hierauf gestützt wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.2020 (Bl. 697 ff. eVA) als unbegründet zurück.
Hiergegen richtet sich die von der Klägerin am 26.05.2020 zum Sozialgericht (SG) Heilbronn erhobene Klage.
Das SG hat die die Klägerin behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Der behandelnde S1 hat mit Schreiben vom 30.07.2020 (Bl. 52 ff. SG-Akte) mitgeteilt, es bestehe eine rezidivierende depressive Störung mit mittelgradigen und schweren Episoden, eine PTBS und eine Migräne ohne Aura. Die Klägerin könne seit mindestens 24.08.2018 (Aufnahme in der B1-Klinik) dauerhaft keine drei Stunden täglich mehr arbeiten.
Dem ist die Beklagte unter Vorlage der sozialmedizinischen Stellungnahme des N1 vom 13.08.2020 (Bl. 67 SG-Akte) entgegengetreten.
Das SG hat von Amts wegen das Sachverständigengutachten des M1 vom 18.01.2021 eingeholt (Bl. 75/117 SG-Akte), der nach Untersuchung der Klägerin mit Dolmetscher am 12.01.2021 auf seinem Fachgebiet eine maximal leichte depressive Verstimmung im Sinne einer Dysthymia und eine Abhängigkeit von Alkohol (seit Jahren abstinent) diagnostiziert hat und ausgeführt hat, dass es keinen sicheren Anhalt für eine PTBS gebe. Weder hätten sich entsprechende Symptome zweifelsfrei erfragen lassen noch seien bei Schilderung der Auseinandersetzungen oder Misshandlungen oder Bedrohung durch den Ex-Ehemann eine vegetative Reaktion im Sinne von Schweißausbrüchen, Gesichtsblässe, allgemeiner innerer Anspannung etc. beobachtbar gewesen. Am ehesten bestünden leichtere reaktiv-depressive Verstimmungen, möglicherweise als Folge von erlebten Misshandlungen und nach der Trennung auch Bedrohungen durch den Ex-Ehemann. Vor knapp vier Jahren habe wohl ein massiver Alkoholmissbrauch bestanden. Das sei neben familiären Gründen am ehesten ein Grund, warum die Klägerin nun bei der Tochter, dem Schwiegersohn und Enkel im Haushalt wohne. Es sei davon auszugehen, dass weiterhin langfristig ein Rückfallrisiko bestehe. Die Klägerin habe sich im November letzten Jahres auf die Warteliste bei einem türkischsprachigen Therapeuten setzen lassen. Aktuell sei sie alle zwei Monate bei dem S1 vorstellig, der die Medikamente verordne. Bei Bedarf nehme sie Lorazepam ein. Eine Abhängigkeit von diesem Medikament könne nicht sicher diagnostiziert werden, sie könne aber auch nicht ausgeschlossen werden. Der behandelnde Arzt gehe von einer niederfrequenten Einnahme aus, zumindest zeitweise habe eine tägliche Einnahme bestanden, so dass zumindest das hohe Risiko einer Abhängigkeit bestanden habe. Aufgrund der Alkoholvorgeschichte sei jedoch auch die niedrigdosierte gelegentliche Einnahme zumindest problematisch. Für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit sei dies allerdings bisher nicht relevant. Im Übrigen könne die Klägerin jederzeit bei Bedarf eine Entwöhnungstherapie durchführen. Die Klägerin sei in der Lage körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen (keine Tätigkeiten in Verbindung mit dem Ausschank von Alkoholika, aufgrund etwas reduzierter Stressbelastbarkeit und der emotionalen Belastbarkeit keine Tätigkeiten mit hohem Zeitdruck wie Akkordarbeit oder sehr hoher Verantwortung, wie bspw. als Vorgesetzter für mehr als fünf Mitarbeiter; keine Tätigkeit in der Pflege mit Zugang zu Medikamenten, keine Überkopfarbeiten) noch mindestens sechs Stunden täglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche zu verrichten. Von der Einschätzung des behandelnden S1 und den Ärzten der B1-Klinik weiche er ab, da zum einen die Darstellung der Aufgabe der Berufstätigkeit so nicht zutreffend sei, da betriebsbedingte Gründe zumindest mit eine erhebliche Rolle gespielt hätten und wahrscheinlich sogar die ausschließlichen Gründe seien. Auch gehe er davon aus, dass es Gewalttätigkeiten des Ehemannes gegeben habe. Die Darstellung der Geschichte der Ehe sei spontan erfolgt, bei Nachfragen hätten sich jedoch immer wieder Widersprüche ergeben, die zum Teil sehr groß waren und eine Auflösung nicht möglich gewesen sei; dies ohne dass es Hinweise gegeben habe, dass dies an den kognitiven Fähigkeiten der Klägerin selbst gescheitert wäre. Zum anderen hätten weder der S1 noch die Ärzte der B1-Klinik eine aggravierende Darstellung im bereits laufenden Rentenverfahren mit berücksichtigt. Bereits in der Untersuchung bei P1 wie auch aktuell hätten sich ganz erhebliche Hinweise auf eine aggravierende Beschwerdedarstellung bis hin zur Simulation gezeigt, die letztlich eine Bewertung anderer Angaben fast unmöglich machen würden. Beeinträchtigungen der Wegefähigkeit bestünden nicht. Die Klägerin habe zwar angegeben, das Haus aus Angst davor, dass ihr Ex-Ehemann ihr auflauern und sie umbringen könnte, nicht mehr zu verlassen. Indes bestünden aus den vorgenannten Gründen Zweifel an den Angaben, u.a. auch, da der Ex-Ehemann nach den Angaben der Klägerin seit vielen Jahren dauerhaft in der Türkei lebe und nur besuchsweise nach Deutschland komme und dann die Tochter, die zu ihm noch Kontakt habe, informiert sei.
Das SG hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Sachverständigengutachten des S2 vom 24.08.2021 eingeholt (Bl. 132/187 SG-Akte), der nach Untersuchung der Klägerin mit Dolmetscherin am 04.08.2021 auf seinem Fachgebiet eine generalisierte Angststörung, eine schwere Depression ohne psychotische Symptome, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren und eine PTBS und eine Migräne ohne Aura diagnostiziert hat. Die Erkrankungen würden „bei bereits gegebenen Pflegegrad 1 in der Summe“ zu einer Aufhebung der beruflichen Leistungsfähigkeit (null Stunden täglich) führen. Das Konzentrations-, Reaktions-, Umstellungs- und Anpassungsvermögen sei erheblich reduziert, die Klägerin nicht in der Lage, Verantwortung für Personen oder Maschinen zu übernehmen noch komplexe Arbeitsvorgänge zu steuern oder zu überwachen. Sie befinde sich in regelmäßiger psychiatrischer Behandlung, werde angemessen psychopharmakologisch therapiert und warte auf eine psychotherapeutische Behandlung. Zweimalig habe sie sich bereits in einer psychosomatischen Klinik befunden. Die Summe der Maßnahmen habe nicht zu einer Stabilisierung des Krankheitsbildes beitragen können, insgesamt müsse das Krankheitsbild als instabil gesehen werden. Das schwere chronifizierte Krankheitsbild mit der insgesamt frustranen Behandlung lasse eine Besserung des Beschwerdebildes bei der Vielzahl der vorliegenden psychiatrischen Erkrankungen nicht mehr erwarten, sodass von Leistungsunfähigkeit auf Dauer auszugehen sei. Dies gelte seit Rentenantragstellung.
Dem Gutachten ist die Beklagte unter Vorlage der sozialmedizinischen Stellungnahme des N1 vom 17.09.2021 (Bl. 190 SG-Akte) entgegengetreten.
Das SG hat mit Urteil vom 12.11.2021 die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und unter Berücksichtigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen könne es sich nicht davon überzeugen, dass die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine Tätigkeiten von mehr als sechs Stunden arbeitstäglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche mehr verrichten kann. Die von S2 und dem behandelnden Arzt S1 angenommene aufgehobene Leistungsfähigkeit sei nicht zur Überzeugung des SG nachgewiesen. Es stütze sich insoweit maßgeblich auf das schlüssige und überzeugende gerichtliche Sachverständigengutachten von M1.
Maßgebend für die Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit sei eine rezidivierende depressive Störung in wechselnder Ausprägung bei Zustand nach traumatisch erlebter Ehe. Eine Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin in zeitlicher Hinsicht lasse sich daraus nicht ableiten, wie sich nachvollziehbar aus dem Gutachten von M1 ergebe. In dem Gutachten seien sorgfältig unter ausführlichster Anamnese unter Mitwirkung eines Dolmetschers eigene Befunde erhoben und unter Berücksichtigung der Vorbefunde eingehend dargelegt und in ihren Auswirkungen erörtert worden. Dieses Gutachten überzeuge. Der psychische Befund der Klägerin sei bei der Untersuchung durch M1 weitgehend unauffällig gewesen. Die Stimmung habe durchgehend ausgeglichen imponiert, das affektive Schwingungsverhalten sei normal erschienen, der Antrieb unauffällig gewesen. Im gesamten Verlauf (der 3,5 stündigen Untersuchung) habe sich kein Hinweis auf ein Nachlassen von Konzentration, Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit ergeben. Gegenüber der letzten stationären Behandlung 2019 in der B1-Klinik sei damit eindeutig eine Besserung zu verzeichnen. Häufig seien Fragen ausweichend beantwortet worden, auch bei mehrfacher Nachfrage habe sich zum Teil keine Antwort finden lassen. Es hätten sich keine krankhaften neurologischen Befunde gefunden. Sehr auffällig sei - wie schon bei der Untersuchung im Verwaltungsverfahren durch P1 - das Ergebnis des strukturierten Fragebogens simulierter Symptome (SFSS) gewesen. Bei einem Cut-off-Wert von 16 Punkten habe die Klägerin bei P1 52 Punkte und bei M1 45 Punkte erreicht, somit extrem hohe Werte, die sehr deutlich für eine aggravierte Beschwerdedarstellung sprechen würden. In Übereinstimmung damit habe bei beiden Untersuchungen ein ausweichendes und zum Teil widersprüchliches Antwortverhalten bestanden, das nach den nachvollziehbaren Ausführungen von M1 insgesamt Zweifel an vielen Angaben wecke. Auch der von M1 durchgeführte TOMM (Test of Memory Malingering) mit 25 Punkten im ersten und 30 Punkten im zweiten Durchgang spreche für eine Simulation kognitiver Defizite (so bereits bei weniger als 45 Punkten im zweiten Durchgang). Auch der klinische Eindruck habe im Widerspruch zu den Beschwerdeangaben gestanden. So habe die Klägerin angegeben, sie putze und koche nicht, sie könne den Kopf nicht nach vorne nehmen, da sie sonst Nackenschmerzen bekomme. Eine Nackensteifigkeit habe bei der Untersuchung indes nicht vorgelegen; in der Untersuchungssituation habe die Klägerin nach den Ausführungen im Gutachten von M1 reichlich gestikuliert und dabei auch den Kopf bewegt, spontan häufig auch nach vorne, um etwas in ihrer Tasche zu suchen oder zur Seite im Kontakt zum Dolmetscher. Die Bewegung sei dabei frei und spontan auch großzügig gewesen. Die angegebenen Beschwerden im Bereich der Daumen (linker Daumen taub, rechter Daumen schmerzhaft und schnappend) würden wiederum in Widerspruch zu den durchaus vorhandenen erheblichen Gebrauchsspuren an beiden Daumenkuppen mit deutlicher Beschwielung stehen.
Dem Gutachten von S2 vermöge das SG nicht zu folgen. Das Gutachten stütze sich allein auf die subjektiven Angaben der Klägerin und lasse eine Konsistenzprüfung weitgehend vermissen. Festgehalten werde lediglich, dass sich keine Hinweise für eine bewusstseinsnahe zielgerichtete Ausweitung oder Übertreibung der Beschwerden noch für eine Vortäuschung fänden. Die erhobenen Befunde (aufgehobene affektive Resonanz, Anhedonie mit sozialem Rückzug, Antriebsstörung, Psychomotorik während der Untersuchung verarmt) blieben angesichts der sonstigen Darlegungen im Gutachten und der Beschwerdeschilderung wenig nachvollziehbar. Insbesondere angesichts der sehr klaren Hinweise auf Aggravation in den Vorgutachten sei eine kritische Auseinandersetzung mit den subjektiven Angaben dringend erforderlich gewesen. M1 habe insoweit vermerkt, dass die Klägerin im Rahmen der Untersuchung viermal nachgefragt hatte, ob sie die Rente jetzt bekäme. Dies spreche ganz klar für ein bestehendes Rentenbegehren. Zum Tagesablauf habe S2 lediglich festgehalten: „Sie habe wenig Struktur, habe immer wieder Ruhepausen. Sie könne selbst nicht viel machen, ziehe sich in der eigenen Wohnung zurück. Sie habe keine Lust zu gar nichts, keine Kraft, kein Selbstvertrauen, sei auf die Hilfe der Tochter angewiesen.“ Demgegenüber habe sie bei M1 noch angegeben, dass sie um 7.00 Uhr aufstehe, dem Enkel das Frühstück richte, ihm die Anziehsachen hinlege, schaue, dass er sich die Zähne putze und den Tisch abräume. Auf die Nachfrage, was sie den ganzen Tag mache, wenn der Schwiegersohn und die Tochter arbeiten seien, habe sie angegeben „nichts“; auf die Nachfrage, wer sich um den Enkel kümmere, habe sie gesagt, die Tochter habe Home-Office. Auf weitere Nachfrage habe sich allerdings ergeben, dass dies erst seit dem Vortag der Untersuchung der Fall sei; schließlich habe sie angegeben, sie mache die Wäsche, räume auf, putzen könne sie aber nicht. Weiter habe sie angegeben, viel zu lesen, sie nutze das Internet, sehe türkische Nachrichten und türkische Filme auf dem Handy. Diese Divergenzen in den beiden Gutachten hinsichtlich der anamnestischen Angaben würden eindeutig zeigen, dass zum einen bei der Klägerin ein gewisser Lerneffekt eingetreten sei bei der nunmehr dritten Rentenbegutachtung und zum anderen, dass bei kritischem Nachfragen durch den Gutachter doch ein deutlich differenzierteres Bild entstehe. In gleicher Weise habe die Klägerin gegenüber S2 jetzt Symptome für eine PTBS angegeben, die von M1 noch vergeblich erfragt worden seien. Ob eine PTBS bestehe, sei für das SG nach alledem nicht eindeutig erwiesen. Angesichts der objektivierbaren Leistungseinschränkungen lasse sich jedenfalls keine zeitliche Leistungseinschränkung feststellen. Die von S2 zur Begründung seiner Leistungseinschätzung herangezogenen weiteren Erkrankungen spielten nach sämtlichen anderen ärztlichen Berichten keine Rolle. Die Brustkrebserkrankung sei im Jahr 2013 aufgetreten und erfolgreich behandelt worden. Seither sei es zu keinerlei Rezidiven und Metastasen gekommen. Der vor Jahrzehnten aufgetretene Bandscheibenvorfall im Bereich der Halswirbelsäule habe zu keinen überdauernden sensorischen oder motorischen Defiziten geführt, wie sich dem Gutachten von M1 entnehmen lasse.
Soweit S2 rüge, M1 habe sich auf den Querschnittsbefund zum Zeitpunkt der Begutachtung fokussiert und den Längsschnitt außeracht gelassen, überzeuge dies nicht. Unter Berücksichtigung der Vorbefunde ergebe sich durchaus, dass schwerwiegendere depressive Episoden vorhanden gewesen seien, von einem durchgehend schwer depressiven Zustand könne jedoch auch unter Berücksichtigung der Vorbefunde insbesondere der B1-Klinik nicht ausgegangen werden. 2018 sei dort eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert worden. Dem Entlassungsbericht zum Aufenthalt von 2019 sei zu entnehmen, dass es der Klägerin nach dem Aufenthalt von 2018 deutlich besser gegangen sei, erst im Frühjahr 2019 sei es u.a. nach dem Tod ihres Vaters zu einer deutlichen Verschlechterung mit der Diagnose einer nunmehr schweren depressiven Episode gekommen. Bei den Untersuchungen durch P1 und M1 habe dieses schwere Zustandsbild jedoch nicht mehr bestanden, so dass nicht von einem dauerhaft eingeschränkten Leistungsvermögen ausgegangen werden könne.
Soweit der behandelnde S1 von einer aufgehobenen beruflichen Belastbarkeit ausgehe, überzeuge dies angesichts des Gutachtens von M1 nicht. Der von S1 angenommene Schweregrad der depressiven Erkrankung habe durch das Gutachten von M1 nicht bestätigt werden können. Insoweit messe das SG der objektiven Beurteilung durch den gerichtlichen Sachverständigen ein höheres Maß an Überzeugungskraft zu, als der Einschätzung behandelnder Ärzte. Deren Aufgabe sei es, unter Zugrundelegung der subjektiven Angaben ihrer Patienten eine optimale Behandlung zu gewährleisten, ohne diese Angaben einer kritischen Plausibilitätsprüfung zu unterziehen, wie dies vom Gutachter gefordert werde. Insbesondere gelte dies in Fällen, in denen - wie hier - sich im Rahmen der Begutachtung massive Anzeichen für Aggravation ergäben.
Die Klägerin sei auch wegefähig im rentenrechtlichen Sinne. Dies würden die Gutachter M1 und S2 übereinstimmend bestätigen. Es seien keine Befunde erhoben worden, die dem entgegenstehen würden. Abgesehen davon fahre die Klägerin selbst Auto, so dass es schon aus diesem Grund auf etwaige Einschränkungen der Gehfähigkeit ohnehin nicht ankomme.
Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person der Klägerin eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre, bestünden nicht. Schließlich sei hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen. Eine spezifische Leistungseinschränkung liege jedenfalls dann nicht vor, wenn ein Versicherter - wie hier - noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über fünf kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren verrichten könne. Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedürfe es nicht, wenn - wie hier - typische Verrichtungen wie z.B. das Bedienen von Maschinen oder das Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen möglich seien. Einschränkungen, die dem entgegenstehen könnten, würden sich den vorliegenden Gutachten nicht entnehmen lassen. Es sei im Übrigen im Hinblick auf das zur Überzeugung des SG bestehende Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden pro Arbeitstag unter Berücksichtigung nicht arbeitsmarktunüblicher qualitativer Leistungseinschränkungen zu der Frage, inwieweit welche konkrete Tätigkeit der Klägerin noch leidensgerecht und zumutbar sei, keine Prüfung durchzuführen, da die jeweilige Arbeitsmarktlage bei einer Leistungsfähigkeit von sechs Stunden täglich und mehr nicht zu berücksichtigen sei.
Auch ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit komme nicht in Betracht, da die Klägerin nach dem maßgeblichen Stichtag geboren sei.
Der Sachverhalt sei vollständig aufgeklärt; das vorhandene Gutachten und die Arztauskünfte würden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des SG bilden. Insbesondere das Gutachten von M1 habe dem SG die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt. Das Gutachten gehe von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthalte keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und gebe auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen seien daher von Amts wegen nicht mehr notwendig gewesen. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse oder unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen zur Leistungsfähigkeit des Versicherten gehöre wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zu weiterer Beweiserhebung bestehe auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im Allgemeinen nicht; vielmehr habe sich das SG im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehenden Ergebnissen auseinanderzusetzen. Halte das SG eines von mehreren Gutachten für überzeugend, dürfe es sich diesem anschließen, ohne eine weitere Sachaufklärung zu betreiben. Bei einer derartigen Fallkonstellation sei für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum. Erst recht gelte dies bei einer abweichenden Beurteilung durch die behandelnden Ärzte.
Die Klägerin hat am 15.12.2021 gegen das - ihren früheren Prozessbevollmächtigten am 19.11.2021 zugestellte Urteil - Berufung zum Landessozialgericht (LSG) eingelegt.
Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen, dass sich aus der Akte „völlig unstreitig“ das Vorliegen einer PTBS ergebe. Der Gutachter M1 sei bei der Beantwortung der Fragen häufig zu ungeduldig gewesen, was sicherlich einerseits daran gelegen habe, dass ein Dolmetscher eingeschaltet worden sei und daher schon alleine durch die Übersetzung eine zeitliche Verzögerung eingetreten sei. Darüber hinaus sei sie nun auch tatsächlich depressiv, des Weiteren auch aufgrund ihres intellektuellen Hintergrundes mit vielen Fragen von M1 in der Art, wie er sie gestellt habe, intellektuell überfordert gewesen und sie habe oft die Fragen nicht verstanden. Die Fragen von M1 seien oft zu schnell, zu viel und ohne Pausen gewesen. Dagegen habe sich der Gutachter S2 vielmehr Zeit gelassen. Insgesamt sei es daher dem Gutachter S2 gelungen eine Situation der Befragung zu schaffen, die ihr Sicherheit und Leichtigkeit verschafft habe, was sich dann auch positiv darauf ausgewirkt habe, dass sie die Fragen vollständig und richtig habe beantworten können. Soweit das SG der Auffassung sei, dass sie aggraviere, die depressiven Episoden so nicht bestanden hätten und sie leistungsfähig sei, müsse dem entgegengehalten werden, dass sie inzwischen Pflegegrad 2 habe. Insgesamt habe der Gutachter M1 übersehen bzw. nicht ausreichend berücksichtigt, dass sie bereits seit vielen Jahren bei ihrer Tochter lebe und von ihr Tagesstruktur erhalte. Sie stehe bei dem S3, der früher in der B1-Klinik tätig gewesen sei, auf der Warteliste.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 12. November 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. September 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides 14. Mai 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Berichterstatterin des vormals zuständigen 4. Senats hat die die Klägerin behandelnde S4, Praxisnachfolgerin des S1, schriftlich als sachverständige Zeugin befragt. Diese hat mit Schreiben vom 13.03.2023 (Bl. 87 f. Senats-Akte) mitgeteilt, dass es bei der Klägerin zu keiner relevanten Besserung des psychischen Zustandes, sondern eher zu einer langsamen Verschlechterung gekommen sei.
Die Beklagte hat die sozialmedizinische Stellungnahme der G1 vom 14.04.2023 vorgelegt. Insoweit wird auf Bl. 96 f. der Senats-Akte Bezug genommen.
Sodann ist von Amts wegen das Sachverständigengutachten der B3 vom 05.07.2023 (Bl. 105 ff. Senats-Akte) eingeholt worden. Diese hat nach Exploration und Untersuchung der Klägerin (vom selben Tag) in Anwesenheit eines Dolmetschers folgende Diagnosen gestellt: Dysthymia, rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert. Es ergebe sich das klinische Bild einer sogenannten „double depression", wie es bei Personen mit entwicklungsgeschichtlich früh aufgetretenen emotionalen Mangel und Gewalterfahrungen gut bekannt sei. Die von dem Sachverständigen S2 erhobenen Befunde seien hinsichtlich des Schweregrades der depressiven Episoden aus ihrer Sicht nur teilweise nachvollziehbar. Die Klägerin habe von Ängsten berichtet. Allerdings seien weder auf der Befundebene noch bei weiterer diagnostischer Exploration auf der Beschwerdeebene Panikattacken oder Anhaltspunkte für eine generalisierte Angststörung zu sichern. Die hier beschriebenen Ängste seien teils unspezifisch, teils situativ nachvollziehbar in Form von gewissen Realängsten beispielsweise in Bezug auf den befürchteten Kontakt zu dem als gewalttätig beschriebenen Ex-Ehemann. Befunde, die die Diagnose einer spezifischen Angststörung rechtfertigen würden, hätten sich nicht ergeben. Die Klägerin leide außerdem an einer episodischen Migräne, wobei die Einstellung mit Topiramat zu einer deutlichen Reduktion der Anfallsfrequenz und auch der Intensität geführt habe. Bezüglich der vordiagnostizierten PTBS hat B3 ausgeführt, dass diese Diagnose nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu stellen sei. Diese Diagnose solle nur gestellt werden, wenn alle Symptome (Kriterien A bis E) nach ICD-10 nachweisbar seien; Teilsymptome der PTBS fänden sich auch bei alltäglichen Lebensereignissen und seien daher unspezifisch. Eine über mehrere Jahre anhaltende PTBS stelle hohe Anforderungen an den Nachweis des Vorhandenseins der psychopathologischen Kriterien. Vorliegend stünden als mögliche traumatische Belastungen wiederkehrende Übergriffe des damaligen Ehemannes zur Diskussion. Indes seien weder das B-Kriterium (Wiedererlebenskriterium) noch das D-Kriterium (Hypersensitivität/Amnesie - Erinnerungsstörung) und auch nicht das E-Kriterium (Zeit-Kriterium) hinreichend nachgewiesen und daher nicht erfüllt. Bei der Anwendung etablierter Konsistenzkriterien hätten sich aus den eigenanamnestischen Beschwerdeangaben gewisse Inkonsistenzen, Unschärfen und auch Implausibilitäten ergeben, allerdings sei eine besondere Vagheit der Beschwerdeschilderung nicht festzustellen gewesen. Atypische verbale oder nonverbale Beschwerdedarstellungen (etwa appellatives oder demonstratives, dramatisches Verhalten) habe sie – B3 - nicht beobachtet. Die Beschwerden, die bereits als eher stark ausgeprägt formuliert worden seien, seien angesichts des beobachteten Verhaltens nicht in dem reklamierten Umfang nachvollziehbar gewesen. Es hätten sich keine Hinweise auf negative Antwortverzerrungen mithilfe des eingesetzten Testverfahrens ergeben. Die diagnostizierten Erkrankungen würden zu einer Minderung der psychovegetativen Stressbelastbarkeit führen. Daher seien Tätigkeiten mit erhöhtem Zeitdruck oder Akkordarbeit, Tätigkeiten mit unphysiologischen psychovegetativen Belastungen wie z. B. Nachtarbeit, Tätigkeiten mit andauernd hohen Anforderungen an die Daueraufmerksamkeit, Tätigkeiten mit erhöhter Anforderung für Personen oder Sachwerte sowie Tätigkeiten mit hoher oder anhaltend mittelhoher körperlicher Belastung nicht mehr leidensgerecht. Eine längere Überforderung im Hinblick auf die Stressbelastbarkeit erhöhe das Risiko im Hinblick auf die Auslösung gravierender depressiver Episoden. Unter Berücksichtigung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen sei die Klägerin noch in der Lage, Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche zu verrichten. Die Klägerin sei auch in der Lage Wegstrecken von vier Mal 500 Meter in 15 bis 20 Minuten zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen.
Dem Gutachten ist der Kläger mit anwaltlichem Schriftsatz vom 13.09.2023 entgegengetreten. Insoweit wird auf Bl. 139 der Senats-Akte Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 25.07.2023 und 18.09.2023 sind die Beteiligten auf die Absicht des Senats hingewiesen worden, gemäß § 153 Abs. 4 SGG über die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zu entscheiden. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
II.
Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG die zulässige Berufung der Klägerin durch Beschluss zurückweisen können, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (vgl. § 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).
Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die statthafte kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGG) zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht die geltend gemachte Rente wegen Erwerbsminderung nicht zu. Der Bescheid vom 06.09.2018 in Gestalt des Widerspruchsescheides vom 14.05.2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Rechtsgrundlage für die begehrte Rente wegen Erwerbsminderung ist § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser (Abs. 1 der Regelung) bzw. voller (Abs. 2 Satz 1 der Regelung) Erwerbsminderung, wenn sie - u.a. - teilweise oder voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht über die Regelung des § 43 Abs. 2 SGB VI hinaus, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Großer Senat, Beschluss vom 10.12.1976, u.a. GS 2/75) bei regelmäßig bejahter Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auch dann, wenn eine zeitliche Leistungseinschränkung von drei bis unter sechs Stunden vorliegt. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Das SG hat in den Gründen angefochtenen Entscheidung zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier begehrte Rente wegen Erwerbsminderung dargelegt und gestützt auf Gutachten des Sachverständigen M1 und untermauernd das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten der P1, dass das SG im Wege des Urkundsbeweises verwertet hat, ebenso zutreffend ausgeführt und begründet, dass die Klägerin diese Voraussetzungen nicht erfüllt, weil ihr Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht weniger als sechs Stunden beträgt. Es hat weiter zutreffend die rechtlichen Grundlagen zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung bei eingeschränkter Wegefähigkeit sowie bei Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen und einer spezifischen Leistungsbeeinträchtigung dargelegt und begründet, warum bei der Klägerin diese Einschränkungen nicht vorliegen. Schließlich hat das SG überzeugend dargelegt, dass und warum es der Leistungseinschätzung des Sachverständigen S2 und des behandelnden S1 nicht folgt.
Der Senat schließt sich daher der Begründung des SG nach eigener Prüfung uneingeschränkt an, sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung gemäß § 153 Abs. 2 SGG aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.
Ergänzend stellt der Senat fest, dass der Schwerpunkt der klägerischen Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet liegt und bei der Klägerin aufgrund der vom SG zutreffend auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen M1 und der ärztlichen Vorbefunde festgestellten rezidivierenden depressiven Störung wechselnder Ausprägung qualitative Einschränkungen bestehen für Tätigkeiten mit ständigem Kontakt zu Suchtmitteln, für Tätigkeiten in Verbindung mit dem Ausschank von Alkoholika, aufgrund etwas reduzierter Stressbelastbarkeit und der emotionalen Belastbarkeit für Tätigkeiten mit besonderen psychomentalen Stressoren, wie Nachtschicht, Tätigkeiten mit erhöhtem und hohem Zeitdruck, Akkordarbeit, für Tätigkeiten mit sehr hoher Verantwortung, wie bspw. als Vorgesetzter für mehr als fünf Mitarbeiter, für Tätigkeiten mit andauernd hohen Anforderungen an die Daueraufmerksamkeit sowie überdurchschnittliche Anforderungen an Aufmerksamkeit und Konzentration, für Tätigkeiten mit erhöhter Anforderung für Personen oder Sachwerte, für Tätigkeiten mit hoher oder anhaltend mittelhoher körperlicher Belastung sowie für Tätigkeiten in der Pflege mit Zugang zu Medikamenten und mit Überkopfarbeiten. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten der P1, das auch der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, sowie aus den Gutachten der Sachverständigen M1 und B3 und dem Reha-Entlassungsbericht vom 02.05.2017. Rentenrelevante Auswirkungen auf das zeitliche Leistungsvermögen, die Wegefähigkeit oder bezüglich einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbeeinträchtigung werden hierdurch - wie vom SG insoweit im Ergebnis ebenfalls zutreffend dargelegt - indes nicht begründet.
Die im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen führen zu keiner anderen Beurteilung des klägerischen Leistungsvermögens. Denn auch die gerichtliche Sachverständige B3 ist - übereinstimmend mit dem gerichtlichen Sachverständigen M1 - zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin trotz ihrer Erkrankungen unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem zeitlichen Umfang von mindestens sechs Stunden im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche verrichten kann. Diese Leistungseinschätzung ist für den Senat angesichts der von B3 erhobenen Anamnese, den von ihr erhobenen Befunden und den daraus ableitend diagnostizierten Erkrankungen schlüssig und nachvollziehbar und daher überzeugend.
B3 hat einen unauffälligen neurologischen Befund erhoben. Auch der von ihr erhobene psychopathologische Befund lässt keinen Rückschluss auf rentenrelevante, das zeitliche Leistungsvermögen beeinträchtigende Funktionsstörungen zu. Insbesondere haben sich bei der Untersuchung weder Einschränkungen der kognitiven Funktionen noch wesentliche Einschränkungen der Affektivität oder des Antriebs gezeigt. Trotz Beschwerden der Klägerin über Auffassungs- und Konzentrationsstörungen ist die Klägerin für die Dauer der zweistündigen Exploration und Untersuchung - mit Ausnahme einer siebenminütigen Raucherpause - anhaltend aufmerksam und von guter Auffassung gewesen (S. 12 des Gutachtens). Klinisch haben sich keine mnestischen Ermüdungszeichen als Ausdruck einer fortschreitenden kognitiven Einschränkung gezeigt. Die Klägerin hat keine Störungen der Vigilanz, des Bewusstseins und der Orientierung gezeigt; ebenso wenig formale Denkstörungen, insbesondere keine Hemmungen oder Verlangsamungen des Denkens und kein eingeengtes oder grübelndes Denken. Die Klägerin hat sachlich in Ansätzen - für B3 - nachvollziehbare spezifische Befürchtungen hinsichtlich des Ex-Ehemanns angegeben, wobei sich jedoch keine Panikstörung, keine Hinweise auf eine generalisierte Angststörung, keine hypochondrischen Ängste, keine Zwangssymptomatik und kein pathologisches Misstrauen gezeigt haben. Die Stimmungslage (Affektivität) ist insgesamt leicht herabgemindert, die affektive Modulationsfähigkeit dabei nicht eingeschränkt gewesen (S. 13 des Gutachtens). Themenkongruent (Misshandlungserfahrungen) haben sich ein ernster Affekt und Hinweise auf Insuffizienzgefühle und Minderung des Selbstwerterlebens gezeigt. Der Antrieb ist der Situation angemessen und angepasst gewesen, das Ausdrucksverhalten affektkongruent und kurzfristig durchaus lebhaft. Hinweise auf Ich-Störungen, Sinnestäuschung und Suizidalität haben sich nicht gefunden.
Auf dieser Grundlage hat B3 für den Senat nachvollziehbar das Vorliegen einer Dysthymie diagnostiziert und ausgeführt, dass die ebenfalls vorliegende rezidivierende depressive Störung - zumindest gegenwärtig - remittiert ist. Den psychischen Erkrankungen und der durch sie bedingten funktionellen Einschränkungen im Erwerbsleben wird zur Überzeugung des Senats durch die Berücksichtigung der zuvor festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen hinreichend Rechnung getragen. Eine Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes lässt sich hieraus indes zur Überzeugung des Senats nicht ableiten.
Soweit die behandelnde S4 im Berufungsverfahren mitgeteilt hat, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin weiter verschlechtert habe, ist dies für den Senat in Anbetracht des Gutachtens von B3 nicht nachvollziehbar, sondern vielmehr widerlegt worden.
Der Senat hat sich im Übrigen, wie schon das SG, nicht vom Vorliegen einer PTBS überzeugen können. Denn weder die Sachverständige B3 noch der Sachverständige M1 noch P1 haben die Kriterien für diese Diagnose als erfüllt angesehen. B3 hat überzeugend dargelegt, dass diese Diagnose nach gegenwärtigem fachwissenschaftlichem Kenntnisstand und Konsens „häufig unkritisch gestellt“ wird (S. 17 des Gutachtens) und sie nur gestellt werden soll, wenn alle Symptome nach ICD-10 F 43.1 nachweisbar sind. Da - so B3 nachvollziehbar und wie schon der Sachverständige M1 - hier wesentliche Kriterien nicht erfüllt sind, hat sie diese, von den behandelnden Ärzten gestellte Diagnose nicht bestätigen können.
Grundsätzlich ist das Stellen der Diagnose PTBS nach ICD- 10 F 43.1 - so B3 (S. 18 des Gutachtens) - an die Erfüllung von fünf operational definierten Kriterien geknüpft, wobei die ersten vier Kriterien (A bis D) obligat zu erfüllen sind. Dabei verlangt das A- oder Traum-Kriterium, dass Betroffene einem kurz oder lang anhaltenden Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt sein müssen. Über die subjektive Traumatisierung hinaus enthält das Kriterium noch ein gewisses objektives Korrektiv, weil die hierzu überhaupt in Frage kommenden Ereignisse dazu in der Lage sein müssen, "nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung" auszulösen. Dieser Passus kann - so B3 weiter - dahingehend verstanden werden, dass auch bei psychisch sonst robusten Menschen mit überdurchschnittlich starkem Nervenkostüm eine solche Störung ausgelöst werden könnte. In dem hier vorliegenden Fall stehen laut B3 als mögliche traumatische Belastungen wiederkehrende Übergriffe des damaligen Ehemannes zur Diskussion. Die Klägerin hat über Tritte /Schläge und auch psychische Misshandlungen berichtet; weiteres Material zur Analyse der damaligen Vorfälle etwa Strafakten etc. haben nicht vorgelegen. Es kann also sein, so B3, dass ein Übergriff Trauma-Merkmale und das A-Kriterium der ICD 10 Kategorie F 43.1 erfülle. Weitere mögliche traumatische Belastungen würden die wiederkehrende Auseinandersetzung mit dem besuchenden Ex-Ehemann betreffen, den sie nach eigenen Angaben zuletzt zwei Monate vor der gutachterlichen Untersuchung in der von ihr mitbewohnten Wohnung der Tochter gesehen hat (S. 18, 10 des Gutachtens). Allerdings - so B3 - erfüllen die von der Klägerin mitgeteilten Verhaltensmerkmale keine Trauma-Kriterien. Das B- oder Wiedererleben-Kriterium verlangt, dass es bei Betroffenen zu anhaltenden Erinnerungen oder unwillkürlichem Wiedererleben der Belastung durch aufdrängende Nachhallerinnerungen, lebendige Erinnerungen, sich wiederholende Träume usw. kommt. Im Zuge der hiesigen Exploration haben sich - so B3 - indes keine Hinweise auf konkrete unwillkürlich sich aufdrängende Erinnerungen tagsüber gezeigt; auch Albträume Trauma-spezifischen Inhaltes sind nicht festzustellen gewesen. Auch von keinem der vorbehandelnden Ärzte, die bei der Klägerin eine PTBS diagnostizierten, ist nach Ausführungen von B3 das B- oder Wiedererleben-Kriterium hinreichend belegt worden; auch nicht von S1. Daher hat B3 das sog. B-Kriterium sowohl im Zuge ihrer Begutachtung als auch in dem aktenkundig abgedeckten Zeitintervall als nicht hinreichend nachgewiesen angesehen. Das C- oder Vermeidungskriterium verlangt nach den Ausführungen von B3, dass Betroffene Umstände, die der Belastung ähneln oder mit ihr im Zusammenhang stehen, tatsächlich oder möglichst vermeiden. Laut B3 kann das auch normal psychologisch gut nachvollziehbare Vermeidungsverhalten in Bezug auf den Kontakt mit dem gewalttätigen Ex-Ehemann rein formal betrachtet werden, weshalb sie formal das C- oder Vermeidungskriterium als erfüllt betrachtet hat. Hingegen ist nach den Ausführungen von B3 das D- oder Hypersensitivität-/Amnesie-Kriterium nicht erfüllt. Dieses verlangt, so B3, dass bei Betroffenen Zeichen einer belastungsassoziierter Amnesie oder Übersensitivität vorliegt. Das Merkmal "Amnesie" meint dabei die teilweise oder vollständige Unfähigkeit, sich an einige wichtige Aspekte der Belastung zu erinnern. Eine solche Erinnerungsstörung ist laut B3 nicht gegeben. Das Merkmal "Hypersensitivität" ist erfüllt, wenn mindestens zwei der folgenden fünf Merkmale erfüllt sind: Ein- und Durchschlafstörungen; Reizbarkeit oder Wutausbrüche; Konzentrationsschwierigkeiten; Hypervigilanz; erhöhte Schreckhaftigkeit. Von der Klägerin sind zwar Ein- und Durchschlafstörungen berichtet worden, auf der Befundebene sind hingegen keine Reizbarkeit, Wutausbrüche, Konzentrationsschwierigkeiten, Hypervigilanz bzw. erhöhte Schreckhaftigkeit nachgewiesen worden. Zuletzt ist auch das E- oder Zeitkriterium nach den Ausführungen von B3 nicht erfüllt (Auftreten der Kriterien B, C und D innerhalb von sechs Monaten nach Ende einer Belastungsperiode).
Ungeachtet all dessen merkt der Senat nur am Rande an, dass die Annahme einer PTBS unter Berücksichtigung der zuvor dargelegten Kriterien und im Übrigen einer generalisierten Angststörung (S2) auch vor dem Hintergrund nicht gerechtfertigt sein dürfte, dass die Klägerin ihren Ex-Ehemann nach eigenen Angaben in der gutachterlichen Untersuchung durch B3 zuletzt zwei Monate vor der Begutachtung gesehen hat und zwar in der Wohnung der Tochter, in der sie ebenfalls lebt. Angesichts der von der Klägerin während des gesamten Verfahrens geschilderten Gewalterfahrungen mit diesem Ex-Ehemann, kann der Senat eine Begegnung der Klägerin mit eben diesem Mann in der häuslichen Umgebung nicht nachvollziehen. Auch wenn, wie von der Klägerin angegeben, diese Begegnung zustande gekommen ist, weil ihre Tochter noch Kontakt zu ihrem Vater/dem Ex-Ehemann der Klägerin hat, legt dieses Zusammentreffen zumindest nahe, dass die psychischen Nachwirkungen der früheren Gewalterfahrungen für die Klägerin nicht (mehr) massiv belastend sein dürften. Andernfalls wäre ein Treffen der Tochter mit ihrem Vater außerhalb der Wohnung zu erwarten gewesen. Auch B3 hat in ihrem Gutachten (S. 15) zum Ausdruck gebracht, dass sich die Kinder (die Klägerin hat neben der Tochter noch einen Sohn) scheinbar keine besonderen Sorgen machen, dass der Klägerin durch den Kontakt mit dem besuchenden Vater etwas passieren könnte oder dass sie dadurch psychisch belastet wird.
Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass es im Rahmen der Prüfung von Erwerbsminderung nicht maßgeblich auf eine bestimmte Diagnosestellung, die Art und Anzahl von Diagnosen oder auf die Bezeichnung von Befunden ankommt, sondern auf die Beeinflussung des individuellen quantitativen sowie qualitativen Leistungsvermögens durch dauerhafte Gesundheitsstörungen (BSG, Beschluss vom 28.02.2017 - B 13 R 37/16 B), also auf die durch die Gesundheitsstörungen verursachten funktionellen Beeinträchtigungen. Dementsprechend spielen auch die Ursachen der Gesundheitsstörung keine entscheidende Rolle (BSG, a.a.O.).
Rentenrelevante funktionelle Beeinträchtigungen in diesem Sinne sind nach dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen in beiden Instanzen nicht nachgewiesen.
Der von der Klägerin gegenüber B3 angegebene Tagesablauf, der letzten Endes als völlig nivelliert und von der Tochter abhängig dargestellt wird (S. 6 des Gutachtens: Ihre Tochter wecke sie telefonisch ab 9 Uhr, zwischen 10 und 11 Uhr gehe sie dann ans Telefon, sie stehe dann meistens auch auf. Die Tochter sage ihr dann, dass sie ihre Medikamente nehmen solle, was sie mache. Sie selbst bereite kein Essen mehr zu, sondern nehme das von der Tochter zubereitete Essen zu sich. Ihre Tochter rufe sie tagsüber in regelmäßige Abständen an. Immer wenn sie Anweisungen ihrer Tochter bekomme, dann führe sie sie aus. Einkaufen gehe sie nicht, ganz selten mal in einen nahe gelegenen Supermarkt. Sie liege mal im Bett, dann gehe sie mal in die Küche und von dort aufs Sofa. Hobbies habe sie keine mehr, früher habe sie gern gelesen.), schreibt der Senat - wie bereits das SG - einem Lerneffekt der Klägerin zu, der bei ihr angesichts der Vielzahl der Begutachtungen zwischenzeitlich eingetreten sein dürfte. Anders lässt sich jedenfalls die Veränderung des gegenüber dem Sachverständigen M1 geschilderten Tagesablaufs (S. 21 des Gutachtens: In der Regel stehe sie um 7 Uhr auf, kümmere sich schon morgens um den Enkelsohn, mache ihm das Frühstück und einen Tee, lege ihm seine Kleidung hin, schaue, dass er sich die Zähne putzt und räume dann den Tisch ab. Sie mache auch die Wäsche und räume auf. Sie lese viel, türkische Romane, am liebsten historische. Das Internet nutze sie über ihr Handy, kaufe ein bei Zalando, nutze WhatsApp mit Freunden, ihrem Bruder, ihrer Schwägerin. Sie sehe türkische Nachrichten, türkische Filme auf dem Handy, am liebsten Gruselfilme. Mit viel Überredung gehe sie ab und zu mit Tochter und Sohn einkaufen.) hin zu jenem gegenüber S2 geschilderten (vgl. Feststellungen des SG und S. 17, 19, 23, 24 des Gutachtens: Sie könne gar nichts mehr machen, nicht mal mehr etwas im Haushalt. Das müsse die Tochter übernehmen. Sie habe wenig soziale Kontakte nach außen. Eine Freizeitgestaltung gebe es nicht. Sie habe keine Hobbies. Nachrichten im Fernsehen würden sie sehr beeinträchtigen. Früher habe sie viel gelesen, heute gehe das nicht mehr) und zuletzt gegenüber B3 geschilderten Tagesablauf nicht erklären. Der von B3 und im Übrigen auch vom Sachverständigen M1 erhobene Befund bietet dafür jedenfalls keine Grundlage.
Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 27.05.2022 und wiederholend mit jenem vom 13.09.2023 vorgetragen hat, dass bei ihr zwischenzeitlich aufgrund eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen vom 24.01.2022 ein Pflegegrad 2 anerkannt worden sei, weist der Senat daraufhin, dass die rechtlichen Grundlagen für die Feststellung eines Pflegegrades andere sind als jene für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Ungeachtet dessen, wird in diesem Gutachten (S. 12,13/Bl. 58 f. Senats-Akte) ausgeführt, dass sich die Klägerin - anders als bei den anderen Begutachtungen teilweise angegeben - noch selbstständig im außerhäuslichen Bereich fortbewege und selbstständig einfache Mahlzeiten zubereite, einfache Aufräum- und Reinigungsarbeiten erledige und an sonstigen Aktivitäten mit anderen Menschen teilnehme.
Soweit die Klägerin mit demselben Schriftsatz vorgetragen hat, dass sie von ihrer Tochter Tagesstruktur erhalte und deswegen in ihre Wohnung gezogen sei, weil sie zu verwahrlosen drohte und tatsächlich verwahrlost sei, überzeugt dies den Senat angesichts der Beobachtungen der Sachverständigen M1, B3 und P1 nicht, wonach die Klägerin bei den gutachterlichen Terminen in einem gepflegten und guten Allgemeinzustand erschienen war. Auch das von ihr bei allen Begutachtungen behauptete Vergessen von Essen und Trinken, hat sich zu keinem Zeitpunkt objektivieren lassen, dies auch angesichts ihres konstanten Gewichts und der zwischenzeitlichen Gewichtszunahme.
Soweit der Klägerin im Übrigen Einwendungen gegen das Gutachten des Sachverständigen M1 erhoben hat, weil sie ihn intellektuell teilweise nicht verstanden habe, ist dies für den Senat nicht nachvollziehbar. Derlei Einwand hat sie zum einen nach keiner der anderen Begutachtungen vorgetragen. Zum anderen hat sie diesen Einwand nicht unmittelbar nach der Begutachtung vorgebracht, sondern erstmals im Berufungsverfahren.
Aus den vorgenannten Gründen ist die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 1367/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 3844/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Rechtskraft
Aus
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