Das Sozialgeld eines Kindes, das durch den hilfebedürftigen Elternteil überwiegend betreut wird, entfällt nicht für Tage, an denen es sich bei dem nicht hilfebedürftigen Elternteil aufhält.
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 24. März 2022 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
G r ü n d e :
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Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf höheres Sozialgeld für April bis Juni 2016 streitig.
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Der Kläger ist 2007 geboren. Seine Eltern lebten im streitbefangenen Zeitraum getrennt. Mit dem Vater bestand eine Umgangsregelung, wonach der Kläger und seine damals noch minderjährige Schwester an bestimmten Tagen, auch an Schul- und Werktagen, bei ihm lebten.
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Das beklagte Jobcenter bewilligte dem Kläger in der Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter für April bis Juli 2016 vorläufig Leistungen, wobei Leistungen für die Tage nicht bewilligt wurden, an denen er sich zeitlich überwiegend bei seinem Vater aufhielt. Für diese Tage nahm der Beklagte hinsichtlich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung einen entsprechend höheren Bedarf der Mutter an, sodass diese Bedarfe im Ergebnis vollständig gedeckt wurden (Bescheid vom 7.4.2016; Widerspruchsbescheid vom 22.4.2016).
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Das SG hat den Beklagten auf die auf höheres Alg II bzw Sozialgeld (mit Ausnahme von Kosten für Unterkunft und Heizung) gerichtete Klage verurteilt, den Klägern (neben dem Kläger auch seine Schwester und die Mutter) in den Monaten April bis Juni 2016 Sozialgeld und Mehrbedarf für Warmwasser ungekürzt in Höhe des jeweiligen Monatsbetrags auszuzahlen und die Berufung zugelassen (Urteil vom 26.10.2018). Auf die Berufung des Beklagten hat das LSG das Urteil des SG abgeändert und den Beklagten verurteilt, dem Kläger und seiner Schwester unter Änderung der angefochtenen Bescheide für April bis Juni 2016 Leistungen unter Berücksichtigung von Mehrbedarfen nach § 21 Abs 6 SGB II in Höhe der anteiligen Beträge der Abteilungen 3 (Bekleidung und Schuhe), 4 (Energie und Wohnungsinstandhaltung), 5 (Innenausstattung, Haushaltsgeräte und Haushaltsgegenstände, laufende Haushaltsführung) und 8 (Post und Telekommunikation) gemäß § 6 Abs 1 Nr 2 Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) für die Tage, an denen sie sich nicht im Haushalt ihrer Mutter aufgehalten haben, zu gewähren. Im Übrigen, soweit es die am Verfahren vor dem LSG noch beteiligte Mutter der Kläger betraf, hat es die Klage ab- und die Berufung zurückgewiesen. Das SG habe den Beklagten zu Unrecht verurteilt, Leistungen zugunsten der Kläger ohne anteilige Kürzung des Sozialgeldes und des Mehrbedarfs für Warmwasser für die Tage des Aufenthalts bei ihrem Vater zu erbringen. Mehrbedarfen durch den Aufenthalt in zwei Bedarfsgemeinschaften sei durch § 21 Abs 6 SGB II Rechnung zu tragen. Deren Höhe richte sich nach den maßgeblichen Werten der Abteilungen 3 bis 5 und 8 des RBEG. Diese Bedarfspositionen bestünden in der Bedarfsgemeinschaft mit der Mutter durchgehend fort, auch wenn die Kläger zeitweise im Haushalt des Vaters lebten (Urteil vom 24.3.2022).
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Hiergegen hat der Beklagte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung des § 21 Abs 6 SGB II. Die Schwester des Klägers, die frühere Klägerin zu 1, die während des Revisionsverfahrens volljährig geworden ist, hat ihre Klage vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
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Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 24. März 2022 und des Sozialgerichts Schleswig vom 26. Oktober 2018 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Er stützt sich zur Begründung im Wesentlichen auf die Ausführungen des LSG im angefochtenen Urteil.
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Die zulässige Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Die Feststellungen des LSG lassen keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob dem Kläger im Streitzeitraum höheres Sozialgeld zusteht.
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1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Urteilen die als abschließend festgesetzt geltende Bewilligung von Sozialgeld für April bis Juni 2016 aus dem Bescheid des Beklagten vom 7.4.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.4.2016. Der Beklagte hat den Leistungsanspruch nach zunächst vorläufiger Bewilligung gemäß § 40 Abs 2 Nr 1 SGB II (idF der Neubekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850) iVm § 328 SGB III (idF des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011, BGBl I 2854) nicht innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Bewilligungszeitraums endgültig festgesetzt. Auch für diesen Fall gilt § 41a Abs 5 Satz 1 SGB II und mit der Maßgabe, dass die Jahresfrist mit dem 1.8.2016 beginnt (zum Ganzen BSG vom 18.5.2022 - B 7/14 AS 1/21 R - SozR 44200 § 41a Nr 4 RdNr 14). Die Vorläufigkeit der Bewilligung hat sich mithin durch Zeitablauf mit Ablauf des 31.7.2017 erledigt.
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Dass die Klage bereits gegen die vorläufige Bewilligungsentscheidung erhoben worden ist, hindert den Eintritt der Fiktionswirkung nicht, wie der Senat mittlerweile entschieden hat (vgl BSG vom 18.5.2022 - B 7/14 AS 1/21 R - SozR 44200 § 41a Nr 4 RdNr 15). Die infolge des Zeitablaufs als abschließend geltende Bewilligung von Sozialgeld bleibt Gegenstand des Klageverfahrens, in dem ursprünglich der vorläufige Bewilligungsbescheid angefochten worden war. Durch den Eintritt der Fiktion erledigt sich nur der sich auf die Vorläufigkeit der Leistungsbewilligung beziehende Teil der Verfügung (vgl § 39 Abs 2 SGB X; BSG vom 18.5.2022 - B 7/14 AS 1/21 R - SozR 44200 § 41a Nr 4 RdNr 26).
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2. Der Kläger begehrt höheres Sozialgeld für April bis Juni 2016. Mehrbedarfe nach § 21 SGB II sind Bestandteil dieser Leistungen (§ 19 Abs 1 Satz 3 SGB II; vgl BSG vom 2.7.2009 - B 14 AS 54/08 R - BSGE 104, 48 = SozR 41500 § 71 Nr 2, RdNr 11). Bedarfe für Unterkunft und Heizung als prozessual abtrennbare Streitgegenstände sind nicht im Streit.
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3. Im Revisionsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensfehler liegen nicht vor. Die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1, 4 SGG), gerichtet auf ein Grundurteil (§ 130 SGG) im Höhenstreit, ist statthaft. Der Höhe nach begrenzt ist der geltend gemachte Anspruch auf den im streitbefangenen Zeitraum maßgeblichen Regelbedarf einschließlich eines möglichen Mehrbedarfs für die dezentrale Warmwassererzeugung nach § 21 Abs 7 SGB II. Darauf hatten die auch vor dem SG anwaltlich vertretenen Kläger ihre Klage durch ihren Antrag beschränkt, ihnen "Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts … ohne Kürzungen des Sozialgelds und des Mehrbedarfs für die dezentrale Wassererwärmung … aufgrund des Umgangs mit dem Kindesvater zu gewähren". Dass das Sozialgeld in der Sache auch Mehrbedarfe (§ 19 Abs 1 Satz 3 SGB II) umfasst, ändert an der durch die Antragstellung vorgegebenen höhenmäßigen Begrenzung nichts.
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4. Ob und ggf in welchem Umfang der Kläger einen Anspruch auf höhere Leistungen hat, kann der Senat nicht abschließend entscheiden.
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a) Der Kläger war grundsätzlich leistungsberechtigt. Er hatte im verfahrensgegenständlichen Zeitraum das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet und war kein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II. Er hatte Anspruch auf Sozialgeld stets nur als eine in einer Bedarfsgemeinschaft mit einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten lebende Person (§ 19 Abs 1 Satz 2 SGB II). Nach § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II sind Teil der Bedarfsgemeinschaft die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können. Die Regelung verlangt nach ihrem Wortlaut ("dem Haushalt angehörend") zwar kein dauerhaftes Leben im Haushalt, setzt aber voraus, dass das Kind dem Haushalt der in § 7 Abs 3 Nr 1 bis 3 SGB II genannten Personen angehört. Das ist in einer "Hauptbedarfsgemeinschaft" nicht der Fall in Zeiten, in denen Kinder (in der Regel zwölf Stunden und länger) bei einem umgangsberechtigten, ebenfalls nach dem SGB II leistungsberechtigten anderen Elternteil leben. Die jeweiligen Ansprüche schließen sich in zeitlicher Hinsicht aus und sind auf insgesamt 30 Tage im Monat beschränkt (vgl zum Ganzen zusammenfassend zuletzt BSG vom 14.12.2021 - B 14 AS 73/20 R - SozR 44200 § 41a Nr 3 RdNr 22 ff mit umfassenden weiteren Nachweisen).
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b) Ob der Beklagte zu Recht für bestimmte Tage davon ausgegangen ist, dem Kläger stehe Sozialgeld in der Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter nicht zu, lässt sich allerdings nicht abschließend beurteilen.
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aa) Das LSG hat bereits keine hinreichenden tatsächlichen Feststellungen zum praktizierten Betreuungsmodell getroffen, die insbesondere die Beurteilung erlauben, ob es sich um ein sog "paritätisches Wechselmodell" (dazu BGH vom 5.11.2014 - XII ZB 599/13 - juris; BGH vom 12.3.2014 - XII ZB 234/13 - juris; zuletzt BGH vom 1.2.2017 - XII ZB 601/15 - BGHZ 214, 31; zum Begriff auch BSG vom 11.2.2015 - B 4 AS 26/14 R - SozR 44200 § 21 Nr 20 RdNr 14) mit einer etwa hälftigen Aufteilung der Betreuungs- und Erziehungszeiten handelt oder ob die Betreuung überwiegend durch die Mutter erfolgte. Festgestellt ist allein, dass sich der Kläger (und seine Schwester) abwechselnd in den Haushalten der Mutter und des Vaters aufgehalten hätten, aber "überwiegend" bei ihrer Mutter. Sie hätten jeweils mehrere Tage in der Woche im Haushalt des Vaters verbracht und der Wechsel sei oft so erfolgt, dass die Kinder nach der Schule zu dem anderen Elternteil gegangen seien.
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Zwar könnte in beiden Betreuungsvarianten, die Leistungsberechtigung des Vaters insoweit unterstellt (dazu gleich), eine temporäre Bedarfsgemeinschaft des Klägers auch mit seinem Vater anzunehmen sein. Da die Höhe der Ansprüche des Klägers aber wegen der vorzunehmenden horizontalen Bedarfsberechnung (§ 9 Abs 2 Satz 2 und 3 SGB II) auch vom Umfang der Ansprüche der Mutter abhängt und diese sich wiederum je nach Betreuungsmodell - etwa im Hinblick auf einen nur anteilig zuzuerkennenden Mehrbedarf für Alleinerziehende beim paritätischen Wechselmodell (vgl dazu BSG vom 3.3.2009 - B 4 AS 50/07 R - BSGE 102, 290 = SozR 44200 § 21 Nr 5, RdNr 16; BSG vom 2.7.2009 - B 14 AS 54/08 R - BSGE 104, 48 = SozR 41500 § 71 Nr 2, RdNr 16; BSG vom 11.2.2015 - B 4 AS 26/14 R - SozR 44200 § 21 Nr 20 RdNr 12; BSG vom 12.11.2015 - B 14 AS 23/14 R - SozR 44200 § 21 Nr 24 RdNr 13 f; BSG vom 11.7.2019 - B 14 AS 23/18 R - BSGE 128, 270 = SozR 44200 § 21 Nr 33, RdNr 14 ff) - unterschiedlich darstellen können, sind entsprechende Feststellungen nicht entbehrlich.
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bb) Es fehlen zudem Feststellungen dazu, ob der umgangsberechtigte Vater im streitgegenständlichen Zeitraum überhaupt leistungsberechtigt nach dem SGB II war. Das LSG hat in seinem Urteil vom 24.3.2022 lediglich festgestellt, dass der Vater "Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II von dem Beklagten bezieht", nicht aber, für welchen Zeitraum. Unter Berücksichtigung der Aktenlage, wonach die Bewilligung von Alg II für April bis Juni 2016 ua wegen eines vorrangigen Wohngeldanspruchs abgelehnt bzw aufgehoben worden ist, bestehen daran begründete Zweifel.
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Gehörte der Kläger aber wegen fehlender SGB II-Leistungsberechtigung seines Vaters im streitbefangenen Zeitraum schon nicht (temporär) zwei Bedarfsgemeinschaften an, sondern war er nur Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter, fehlte es an einem Rechtsgrund für die teilweise Ablehnung des Anspruchs auf Sozialgeld wegen und während des Aufenthalts beim Vater.
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Dem seine Umgangsrechte mit einem Elternteil wahrnehmenden Kind stehen auch bei regelmäßigen Aufenthalten in den Haushalten beider Eltern monatlich insgesamt (nur) Leistungen für 30 Tage zu. Voraussetzung für eine anteilige "Kürzung" bzw Ablehnung des Sozialgeldanspruchs in der Bedarfsgemeinschaft mit dem Obhutselternteil an Abwesenheitstagen des Kindes ist aber nicht der bloße Umstand, dass das Kind sein Umgangsrecht wahrnimmt oder sich im Haushalt des anderen Elternteils aufhält, sondern die zeitweise Zugehörigkeit zu einer weiteren Bedarfsgemeinschaft. Diese wird zum einen durch die Zugehörigkeit des Kindes zum Haushalt des umgangsberechtigten Elternteils, aber vor allem durch dessen SGB II-Leistungsberechtigung begründet, mithin dem Umstand, dass das Kind in dieser Zeit einem Haushalt der in § 7 Abs 3 Nr 1 bis 3 SGB II genannten Personen angehört (zuletzt BSG vom 14.12.2021 - B 14 AS 73/20 R - SozR 44200 § 41a Nr 3 RdNr 24). Durch die Aufteilung des Sozialgelds entsprechend der Aufenthaltstage (soweit der jeweilige Aufenthalt zwölf Stunden und länger dauert) soll jedenfalls sichergestellt werden, dass das Umgangsrecht des Kindes auch bei Bedürftigkeit des umgangsberechtigten Elternteils durch die Gewährung existenzsichernder Leistungen für das Kind selbst als Anspruchsinhaber gesichert wird (BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 44200 § 20 Nr 1, RdNr 28 mwN).
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Eine Aufteilung kommt folglich nicht in Betracht, wenn im Fall der überwiegenden Betreuung durch ein Elternteil der umgangsberechtigte andere Elternteil unter Berücksichtigung seines Einkommens und Vermögens die Bedarfe des Kindes im Rahmen des Umgangsrechts ohne Rückgriff auf existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II decken kann (vgl insoweit auch Fachliche Weisungen der Bundesagentur für Arbeit "zu den Besonderheiten der Temporären Bedarfsgemeinschaft", TBG.1 Nr 1, TBG.23 Nr 4.1, Stand 20.9.2017). Zugleich begründet diese Bedarfsdeckung kein Recht auf Nichtgewährung des Sozialgelds an den Abwesenheitstagen des Kindes in der Obhutsbedarfsgemeinschaft. Dies folgt aus dem Pauschalierungsgedanken der Regelbedarfe, der Abschläge für Bedarfe, die in einer Bedarfsgemeinschaft regelmäßig oder typischerweise nicht zu decken sind, ausschließt (BSG vom 12.6.2013 - B 14 AS 50/12 R - SozR 44200 § 7 Nr 35 RdNr 20 unter Verweis auf BSG vom 2.7.2009 - B 14 AS 75/08 R - SozR 44200 § 7 Nr 13 RdNr 17).
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Davon zu trennen ist die Frage, ob das Kind deswegen nicht hilfebedürftig ist, weil Unterhalt gezahlt wird, der als Einkommen zu berücksichtigen ist. Im Übrigen wird der Nachrang existenzsichernder Leistungen nach dem SGB II (§ 2 SGB II) durch den gesetzlichen Anspruchsübergang (§ 33 SGB II) wiederhergestellt (vgl dazu auch BSG vom 2.7.2009 - B 14 AS 75/08 R - SozR 44200 § 7 Nr 13 RdNr 22 f). Ob dies gleichermaßen in Fällen gilt, in denen umgekehrt das überwiegend betreuende Elternteil nicht hilfebedürftig ist oder in Fällen des paritätischen Wechselmodells, muss an dieser Stelle nicht entschieden werden.
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c) Sollten die nachzuholenden Feststellungen des LSG hingegen ergeben, dass der Kläger im streitbefangenen Zeitraum mit seinem umgangsberechtigten Vater eine zweite Bedarfsgemeinschaft bildete, fehlt es auch an hinreichenden Feststellungen für eine abschließende Prüfung eines Anspruchs auf einen Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB II.
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aa) Nach § 21 Abs 6 SGB II (in der ab 3.6.2010 maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Abschaffung des Finanzplanungsrates und zur Übertragung der fortzuführenden Aufgaben auf den Stabilitätsrat sowie zur Änderung weiterer Gesetze vom 27.5.2010, BGBl I 671) wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Hilfebedürftigen gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.
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bb) Der entstehungsgeschichtlich geprägte Sinn und Zweck der Norm, ihr Wortlaut sowie die Systematik der Regelung stehen der vom LSG vorgenommenen Pauschalierung von Mehrbedarfen nach § 21 Abs 6 SGB II sowohl hinsichtlich des "Ob" als auch in Bezug auf ihre Höhe entgegen.
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§ 21 Abs 6 SGB II wurde 2010 in das SGB II aufgenommen und diente der Umsetzung der Entscheidung des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175). Das BVerfG hatte zwar einerseits verfassungsrechtlich nicht beanstandet, dass der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums bei der Bemessung des Existenzminimums die Deckung typischer Bedarfe zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums durch einen monatlichen, pauschalen Festbetrag sicherstellt; zugleich hat es als unvereinbar mit Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG das Fehlen einer Regelung im System des SGB II angesehen, die einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs vorsieht (aaO, juris RdNr 204 ff). Das BVerfG hatte dabei sowohl besondere Bedarfslagen vor Augen, die in der Regelleistung nicht berücksichtigt werden wie zB Umgangsmehrbedarfe (aaO, juris RdNr 207), zum anderen aber auch Bedarfe, die bei der Bemessung der Regelleistung im Grundsatz Berücksichtigung finden, deren Höhe sich aber in Sondersituationen abweichend vom durchschnittlichen Bedarf darstellt (aaO, juris RdNr 208). Vor diesem Hintergrund mahnte das BVerfG eine Härtefallregelung an, die mit § 21 Abs 6 SGB II geschaffen werden sollte (vgl BT-Drucks 17/1465, 8 f).
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Dieser entstehungsgeschichtliche Hintergrund spiegelt sich im Wortlaut der Norm. Diese verlangt einen besonderen Bedarf im Einzelfall. Dem widerspricht das vom LSG entwickelte Konzept, das auch in Bezug auf die Frage, welche Bedarfe anfallen, eine pauschalierende Betrachtung unter Rückgriff auf das RBEG vornimmt. Zwar wäre zumindest offen, ob dem Wortlaut der Norm insoweit ein Verständnis widerspräche, das nur hinsichtlich des "Ob" eine besondere Bedarfssituation verlangte - die, anders als der Beklagte meint, im Grundsatz in der temporären Zugehörigkeit von Kindern zu zwei Bedarfsgemeinschaften liegen kann (vgl dazu nur BT-Drucks 17/1465 S 9; so schon BSG vom 12.6.2013 - B 14 AS 50/12 R - SozR 44200 § 7 Nr 35 RdNr 20), hinsichtlich der Höhe aber eine Pauschalierung zuließe, wie sie zB normativ beim Mehrbedarf für Alleinerziehung (§ 21 Abs 3 SGB II) Eingang in das SGB II gefunden hat.
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Allerdings steht einem solchen Verständnis der weitere Normtext des § 21 Abs 6 Satz 1 SGB II entgegen, der neben einem besonderen Bedarf im Einzelfall dessen Unabweisbarkeit verlangt. Neben der Prüfung der Unabweisbarkeit dem Grunde nach ist insoweit auch eine wertende Betrachtung des Einzelfalls bezogen auf die Höhe des geltend gemachten Bedarfs geboten, deren Maßstab § 21 Abs 6 Satz 2 SGB II vorgibt. Unabweisbar ist ein Mehrbedarf dann, wenn er ua seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Auch bei einem dem Grunde nach unabweisbaren Bedarf ist also die Höhe der zu gewährenden Leistungen nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu bemessen, die abhängig von der Lebenssituation der Beteiligten, zB der Entfernung der Wohnorte der Eltern zueinander, sehr unterschiedlich ausgestaltet sein können (so zB zu Reisekosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts BSG vom 11.2.2015 - B 4 AS 27/14 R - BSGE 118, 82 = SozR 44200 § 21 Nr 21, RdNr 21; BSG vom 12.5.2021 - B 4 AS 88/20 R - SozR 44200 § 21 Nr 35 RdNr 20; BSG vom 26.1.2022 - B 4 AS 3/21 R - SozR 44200 § 21 Nr 36 RdNr 15). Entsprechende Bedarfe müssen nachgewiesen sein (vgl BSG vom 12.6.2013 - B 14 AS 50/12 R - SozR 44200 § 7 Nr 35 RdNr 20 "nachgewiesenermaßen"). Demgegenüber greift das LSG insoweit ebenfalls pauschalierend auf tagesanteilige Beträge einzelner Abteilungen nach Maßgabe des Lebensalters eines Kindes zurück (§ 6 Abs 1 RBEG).
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cc) Der Gesetzgeber war weder durch Vorgaben des BVerfG noch aus anderen Gründen gehalten, für Fälle eines Umgangsmehrbedarfs zur Sicherstellung des Existenzminimums der Kinder eine pauschalierende Mehrbedarfsregelung zu schaffen; ihm steht insoweit eine Einschätzungsprärogative zu. Er hat sich für einen in Grund und Höhe nachzuweisenden Bedarf im Einzelfall entschieden. Dieses Vorgehen unterliegt verfassungsrechtlichen Bedenken so lange nicht, wie durch die Regelung - in ihrer Ausformung durch die Gerichte - die Deckung entsprechender Bedarfe im Einzelfall sichergestellt wird. Dies ist der Fall. Ob sozialpolitisch vor dem Hintergrund nach wie vor bestehender Probleme und Unsicherheiten bei der verwaltungspraktischen Umsetzung der Rechtsfigur der "temporären Bedarfsgemeinschaft" (pauschalierende) Regelungen begrüßenswert wären, ist von der Frage der Sicherstellung der Bedarfsdeckung im konkreten Einzelfall nach Maßgabe des geltenden Rechts zu trennen. Abweichungen hiervon sind auch unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung oder Praktikabilität mit dem Ziel der Fortbildung des Rechts nicht zulässig.
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Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.