Krankengeld ist jedenfalls keine Nachzahlung nach § 11 Abs. 3 SGB II, wenn es für den aktuellen oder den vorherigen Monat erbracht wird.
I. Die Bescheide vom 24.11.2021 und 27.11.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.03.2022 werden abgeändert. Der Beklagte wird verpflichtet,
die wegen des Beschlusses der Kammer vom 17.01.2022 gewährten Zahlungen dem Kläger endgültig zu gewähren. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für den
Zeitraum November 2021 bis April 2022 weitere 857,24 EUR zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger 6/7 der notwendigen außergerichtlichen
Kosten des Verfahrens zu erstatten.
III. Die Berufung wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Der Kläger begehrt vom Beklagten höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit von Oktober 2021 bis April 2022. Streitig ist, ob das dem Kläger am 06.10.2021 für die Zeit vom 24.08. bis 01.10.2021 gezahlte Krankengeld überhaupt, als laufende Einnahme oder als einmalige Einnahme (verteilt auf sechs Monate) zu berücksichtigen ist.
Der im Jahr 1982 geborene Kläger wohnte in den Jahren 2021 und 2022 kostenfrei in der Wohnung seiner Mutter.
Er bezog (zumindest ab 14.07.2021) von seiner Krankenkasse Krankengeld wie folgt:
Überweisungsdatum Arbeitsunfähigkeitszeitraum Höhe
05.08.2021 14.07.2021 - 03.08.2021 1.186 EUR
26.08.2021 04.08.2021 - 23.08.2021 1.186 EUR
06.10.2021 24.08.2021 - 01.10.2021 2.253,40 EUR
11.10.2021 02.10.2021 - 08.10.2021 415,10 EUR
Das Krankengeld betrug 59,30 EUR täglich.
Am 25.10.2021 beantragte der Kläger beim Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Unter Anrechnung des Krankengeldes bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bewilligungsbescheid vom 24.11.2021 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum Oktober 2021 in Höhe von 43,37 EUR und für den Zeitraum November 2021 bis April 2022 in Höhe von 152,39 EUR.
Mit Änderungsbescheid vom 27.11.2021 wurden die Leistungen für Januar 2022 bis April 2022 auf 155,39 EUR erhöht.
Bei der Berechnung der Leistungen legte der Beklagte den Regelbedarf für Alleinstehende zugrunde. Als einziges Einkommen rechnete er das Krankengeld für Oktober 2021 in Höhe von (bereinigt) 402,63 EUR und für die übrigen (streitgegenständlichen) Monate in Höhe von bereinigt 293,61 EUR an.
Gegen den Bescheid vom 24.11.2021 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 27.11.2021 ließ der Kläger mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 22.12.2021 Widerspruch einlegen. Das nachgezahlte Krankengeld sei Vermögen und kein Einkommen. Wenn es Einkommen sei, dann sei es laufendes Einkommen.
In Ausführung eines Beschlusses im einstweiligen Rechtsschutzverfahren S 11 AS 528/21 ER zahlte der Beklagte dem Kläger für Dezember 2021 weitere 23,59 EUR und für die Monate Januar bis März 2022 weitere 293,61 EUR monatlich.
Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 03.03.2022 als unbegründet zurückgewiesen. Wie auch das Bayerische Landessozialgericht bestätigt habe, handele es sich zu einem erheblichen Teil um eine Krankengeldnachzahlung, die auf sechs Monate zu verteilen sei.
Mit Schreiben vom 01.04.2022 hat sich der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigte, an das Sozialgericht Landshut gewandt.
Nach Anhörungen vom 07.03.2022 und 09.03.2022 forderte der Beklagte mit Bescheid vom 12.04.2022 die aufgrund des einstweiligen Rechtsschutzes gezahlten 904,42 EUR vom Kläger zurück. Dieser Bescheid sei Gegenstand des Klageverfahrens.
Mit der Klagebegründung vom 25.07.2023 wendet sich der Kläger zunächst gegen den Erstattungsbescheid vom 12.04.2022. Für eine Rücknahme fehle es bereits an einer Rechtsgrundlage.
Das Gericht hat den Rechtsstreit betreffend den Bescheid vom 12.04.2022 abgetrennt. Das neue Aktenzeichen lautet S 11 AS 39/24. Das Verfahren ist zum Ruhen gebracht worden.
Hinsichtlich des Krankengeldes hält der Kläger daran fest, dass es sich um Vermögen handele. Der Anspruch habe bereits vor dem 01.10.2021 bestanden. Sollte es dennoch als Einkommen zu werten sein, handele es sich um laufendes Einkommen. Das Bayerische Landessozialgericht verkenne, dass das Krankengeld nicht "als Nachzahlung" erbracht worden sei. Dieses Tatbestandsmerkmal hätte sonst keinen Sinn. Hier liege ein Fall der turnusmäßigen Zahlung vor. Schließlich müsse beachtet werden, dass das Einkommen bereits verbraucht worden sei.
Der Kläger beantragt zuletzt,
die Bescheide vom 24.11.2021 und 27.11.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.03.2022 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, die wegen des Beschlusses der Kammer vom 17.01.2022 gewährten Zahlungen dem Kläger endgültig zu gewähren und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für den Zeitraum Oktober 2021 bis April 2022 weitere Leistungen zu zahlen, hilfsweise den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 24.11.2021 und 27.11.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.03.2022 zu verurteilen, den Antrag des Klägers vom 28.10.2021 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der Einkommensanrechnung werde auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und auf den Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28.02.2022, L 7 AS 40/22 ER, verwiesen. Vertrauensschutz für das Behaltendürfen der vorläufig ausgezahlten Leistungen gebe es zudem nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere des ergänzenden Vorbringens der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. Diese hat das Gericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Gegenstand der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage ist der Bescheid vom 24.11.2021 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 27.11.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.03.2022 für den Zeitraum Oktober 2021 bis April 2022. Dieser erweist sich als rechtswidrig und verletzt den Kläger insoweit in seinen Rechten, als für den Zeitraum November 2021 bis April 2022 keine höheren Leistungen bewilligt worden sind. Hinsichtlich des Monats Oktober 2021 ist die Klage unbegründet. Für den Monat Oktober 2021 sind bereits zu hohe Leistungen bewilligt worden.
Der Bedarf des Klägers beträgt für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2021 insgesamt 446 EUR monatlich. Er besteht allein aus dem ab 01.01.2021 geltenden Regelbedarf für Alleinstehende nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Bedarfe für Unterkunft und Heizung fielen nicht an. Der Bedarf für den Zeitraum Januar bis April 2022 betrug dementsprechend 449 EUR monatlich.
1. Der Kläger hat für die Zeit vom 01.11.2021 bis 30.04.2022 Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne Anrechnung von Einkommen.
a) Arbeitslosengeld II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte (vgl. § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Erwerbsfähige Leistungsberechtigte sind nach der Legaldefinition in § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2), hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Der Kläger erfüllt, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 SGB II.
Darüber hinaus war der Kläger auch in der Zeit vom 01.11.2021 bis 30.04.2022 hilfebedürftig nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. §§ 9, 11, 12 SGB II. Hilfebedürftig ist nach § 9 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen (§ 11 SGB II) oder Vermögen (§ 12 SGB II) sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Im Zeitraum vom 01.11.2021 bis 30.04.2022 hat der Kläger kein Einkommen erzielt. Der Kläger hat auch keine Zuwendungen von Angehörigen, z.B. seiner Mutter, erhalten. Die im streitgegenständlichen Zeitraum erhaltenen Darlehen - die kein Einkommen darstellen (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 6. Oktober 2011 - B 14 AS 66/11 R -, SozR 4-4200 § 11 Nr 52, SozR 4-4200 § 22 Nr 56, Rn. 17ff) - zahlt der Kläger fortlaufend zurück. Vorhandenes Vermögen ist ebenfalls nicht ersichtlich.
b) Das dem Kläger am 06.10.2021 für die Zeit vom 24.08.2021 bis 01.10.2021 zugeflossene Krankengeld in Höhe von 2.253,40 EUR sowie das am 11.10.2021 für die Zeit vom 02.10.2021 bis 08.10.2021 zugeflossene Krankengeld in Höhe von 415,10 EUR sind in der Zeit vom 01.11.2021 bis 30.04.2022 nicht als Einkommen oder Vermögen zu berücksichtigen.
aa) Das im Oktober 2021 zugeflossene Krankengeld ist grundsätzlich Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II (§ 11 SGB II im Folgenden stets in der Fassung vom 26.07.2016), da es sich um eine Einnahme in Geld handelt und keine Ausnahme nach § 11a SGB II vorliegt. Aufgrund der Rückwirkung der Antragstellung nach § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II ist der Erste des Monats maßgeblich, in dem die Antragstellung erfolgt.
Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich bei der Zahlung von Krankengeld um Einkommen und nicht um Vermögen. Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II ist grundsätzlich alles, was jemand nach der Antragstellung wertmäßig dazu erhält, Vermögen das, was er vor der Antragstellung hatte. Es ist auf den tatsächlichen Zufluss abzustellen, es sei denn, das Gesetz bestimmt einen anderen Zufluss als maßgeblich. Auch wenn Einnahmen - wie vorliegend - aus bereits bestehenden Rechtspositionen erzielt werden (wie auch z.B. Auszahlung des Gehalts als Erfüllung der Gehaltsforderung) und eine auf Geld oder Geldeswert gerichtete (noch nicht erfüllte) Forderung einen wirtschaftlichen Wert darstellt, gehört die Forderung, wenn sie dem Inhaber bereits zusteht (z.B. noch nicht erfüllte Gehaltsforderungen für zurückliegende Monate), zu seinem Vermögen. Dies führt jedoch nicht zu einer Konkurrenz dergestalt, dass die Forderung als Vermögen und daneben die Leistung aus der Forderung als Einkommen zu berücksichtigen wären. Vielmehr kommt es nach § 11 SGB II im Falle der Erfüllung einer (Geld-)Forderung grundsätzlich nicht auf das Schicksal der Forderung an, sondern das Gesetz stellt insoweit allein auf die Erzielung von Einnahmen in Geld oder Geldeswert als Einkommen ab. Dies gilt allerdings nicht für Fälle, in denen mit bereits erzielten Einkünften Vermögen angespart wurde, z.B. bei Banken, Sparkassen oder Versicherungen. Andernfalls würde der Rückgriff auf Erspartes unzulässigerweise erneut als Einkommen gewertet. Dementsprechend bleibt ein Sparguthaben bei seiner Auszahlung Vermögen (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2011 - B 14 AS 185/10 R -, SozR 4-4200 § 11 Nr. 42, SozR 4-4200 § 20 Nr. 14, Rn. 10 - 11 m.w.N.). Vorliegend geht es nicht um angespartes, sondern um laufendes Krankengeld.
bb) Bei der Zahlung vom 06.10.2021 handelt es sich hinsichtlich der Gewährung von Krankengeld für die Monate September und Oktober um laufend zu berücksichtigendes Einkommen und nicht um eine auf sechs Monate aufzuteilende Nachzahlung nach § 11 Abs. 3 SGB II.
(1) Es liegt kein Fall des § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB II vor.
Danach sind laufende Einnahmen, die in größeren als monatlichen Zeitabständen zufließen, als einmalige Einnahmen nach § 11 Abs. 3 SGB II zu behandeln. § 11 Abs. 2 S. 3 SGB II ist jedoch nur einschlägig, wenn es sich um Zahlungen handelt, die bereits ihrem Rechtsgrund nach in größeren als monatlichen Zeitabständen zufließen, wie etwa Jahressonderzahlungen (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. Oktober 2018 - L 31 AS 462/16 -, Rn. 34; aA Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 28. Januar 2015 - L 7 AS 16/15 B ER -, Rn. 16). Dies ist beim Krankengeld nicht der Fall.
(2) Die Krankengeldzahlung vom 06.10.2021 ist jedenfalls, soweit sie für den Zeitraum 01.09. bis 01.10.2021 erfolgt, keine Nachzahlung im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II. Der zum 01.08.2016 eingeführte § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II hat nicht zur Folge, dass die Zahlung von Krankengeld eine Nachzahlung im Sinne des Gesetzes darstellt. Mit der Ergänzung des § 11 Abs. 3 S. 2 SGB II wird ausweislich der Gesetzesbegründung klargestellt, dass Nachzahlungen von Arbeitsentgelt oder Sozialleistungen wie einmalige Einnahmen auf das Arbeitslosengeld II anzurechnen sind. "Wegen des Zuflussprinzips können diese Nachzahlungen nicht in den Monaten angerechnet werden, für die sie bestimmt sind. Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 16. Mai 2012 (B 4 AS 154/11 R) festgestellt, dass eine Nachzahlung von Arbeitsentgelt für zurückliegende Zeiträume, Einkommen - und nicht Vermögen - darstellt. Die einmalige Erbringung einer an sich laufenden Leistung ändere allerdings nichts an deren grundsätzlicher Qualifizierung. Eine konsequente Auslegung dieser Auffassung hätte zur Folge, dass Nachzahlungen jeglicher Art und unbeschadet ihrer Höhe nur im Monat des Zuflusses auf das Arbeitslosengeld II angerechnet werden könnten. Es besteht jedoch keine Veranlassung, höhere Nachzahlungen anders als sonstige einmalige Zahlungen zu behandeln, weil auch diese nicht für den Zuflussmonat erbracht werden. Führt eine Nachzahlung zum Wegfall des Leistungsanspruchs in dem Monat des Zuflusses, ist auch diese auf einen Zeitraum von sechs Monaten aufzuteilen." (Bundesratsdrucksache 66/16 vom 05.02.16, Seite 33).
Zudem ist der Wortlaut des § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II zu beachten. Danach gehören zu den einmaligen Einnahmen auch als Nachzahlung zufließende Einnahmen, die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht werden. Die Formulierung "als Nachzahlung" zeigt, dass es sich bei der Nachzahlung um ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal handelt und der zweite Halbsatz "die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht werden" nicht die alleinige Definition der Nachzahlung ist (aA Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 28. Februar 2022 - L 7 AS 40/22 B ER -, Rn. 31).
Es handelt sich - jedenfalls soweit das Krankengeld für die Zeit vom 1. September bis 1. Oktober 2021 gezahlt wurde - nicht um eine Nachzahlung im Sinne des Gesetzes (ebenso bereits zur alten Rechtslage BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 4 AS 70/07 R -, SozR 4-4200 § 11 Nr. 19, Rn. 23). Krankengeld ist nicht schon deshalb eine als Nachzahlung zufließende Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II, weil es "abschnittsweise nachträglich" gezahlt wird.
Es ist bereits zweifelhaft, ob das Krankengeld vorliegend überhaupt verspätet zugeflossen ist. Mit beachtlichen Argumenten weist das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. September 2022 - L 5 AS 1449/19 - unter Verweis auf BSG, Urteil vom 13. Mai 1992 - 1 RK 26/91 -, BSGE 70, 280-285, SozR 3-1200 § 53 Nr. 5 darauf hin, dass § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V die Krankenkassen nicht verpflichte, das Krankengeld täglich auszuzahlen. Die Vorschrift solle lediglich zum Ausdruck bringen, dass in die Krankengeldgewährung alle Tage einzubeziehen seien, an denen der Arbeitnehmer arbeitsunfähig sei. Die Vorschrift bestimme nur den Umfang der Leistungspflicht der Krankenkasse.
Weiter führt das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 25. Oktober 1994 - 3/1 RK 51/93 -, SozR 3-2500 § 57 Nr. 4, SozR 3-1200 § 41 Nr. 2 aus, dass das SGB V für das Krankengeld den Auszahlungszeitpunkt nicht ausdrücklich regele. Aus dem Charakter des Krankengeldes als Ersatz für einen konkreten kurzfristigen Lohnausfall ergebe sich jedoch, dass die Auszahlung wie beim ausfallenden Arbeitsentgelt abschnittsweise im Nachhinein erfolge (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. September 2022 - L 5 AS 1449/19 -, Rn 49).
Die Kammer schließt sich der überzeugenden Rechtsprechung des SG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 27. November 2019 - S 39 AS 1759/18 -) an. Es ist nach der gesetzgeberischen Wertung des § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II zu unterscheiden, ob es sich um eine Nachzahlung handelt oder nicht. Wie sich aus § 11 Abs. 3 S. 2 SGB II am Ende ergibt, sind Nachzahlungen dann nicht als einmalige Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 3 SGB II zu berücksichtigen, wenn sie für den Monat des Zuflusses gezahlt werden. Nach der bereits zitierten Gesetzesbegründung sollen von der Regelung des § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II (Nach-)Zahlungen erfasst werden, die im Zuflussmonat nicht der Sicherung des Lebensunterhalts dienen. Im Hinblick darauf, dass es sich bei Krankengeld um eine Entgeltersatzleistung handelt, die regelmäßig und typischerweise monatlich für mehrere Wochen abgerechnet wird, kann eine Krankengeldzahlung daher nur dann eine nicht der Sicherung des Lebensunterhalts im Zuflussmonat dienende Nachzahlung i.S.d. § 11 Abs. 3 S. 2 SGB II darstellen, wenn das Krankengeld entweder tatsächlich nicht laufend gezahlt wird (z.B. bei Nachzahlungen aufgrund von Nachberechnungen, Nachbewilligungen, für deutlich zurückliegende Zeiträume etc.) oder wenn es für einen so langen Zeitraum gezahlt wird, dass es über den laufenden Lebensunterhalt hinaus auch Zahlungen enthält, die nicht mehr dem aktuellen Lebensunterhalt dienen. Dies ist bei laufenden Krankengeldzahlungen jedenfalls dann nicht der Fall, wenn sie für Arbeitsunfähigkeitszeiten im Zuflussmonat und im Vormonat des Zuflussmonats erbracht werden, da diese Zahlungen noch als Lebensunterhalt für den aktuellen Bedarf des Versicherten im Zuflussmonat anzusehen sind (SG Frankfurt (Oder), Urteil vom 27. November 2019 - S 39 AS 1759/18 -, Rn. 31).
Würde man der Rechtsprechung der Gegenauffassung folgen, hinge es im Ergebnis vom zufälligen Zeitpunkt der Bearbeitung des Krankengeldantrags ab, ob dem Leistungsberechtigten derselbe Betrag als Nachzahlung oder als laufende Einnahme angerechnet wird. Ob der Zeitraum, für den Krankengeld gewährt wird, zufällig die Monatsgrenze überschreitet oder nicht und ob die Bearbeitung bei der Krankenkasse z. B. vor oder nach einem Wochenende stattfindet, an dem der Monat wechselt, kann kein überzeugendes Abgrenzungskriterium sein. Der Begriff der "Nachzahlung" impliziert jedoch bereits dem Wortlaut nach eine Form der Verspätung oder Korrektur. Der Begriff enthält ein Element der Verspätung, da ansonsten lediglich der Begriff "Zahlung" verwendet wird. Das Wort setzt voraus, dass die Zahlung nach einer anderen Zahlung oder jedenfalls nach dem Zeitpunkt erfolgt, zu dem üblicherweise mit der Zahlung zu rechnen ist. Demgegenüber ist es überzeugend, die Nachzahlung von einer "regelmäßigen" Zahlung zwar durch eine zeitliche Zäsur abzugrenzen, dafür aber nicht auf das zufällige Eintreffen oder Ausbleiben des Monatswechsels abzustellen. Überzeugender ist es, dafür auf den Zweck des Krankengeldes als Lohnersatzleistung abzustellen. Wenn jedoch das Krankengeld als Ersatz für Arbeitsentgelt anzusehen ist, muss auch der Zeitraum, der als "nachträglich" oder "verspätet" angesehen wird, sich daran orientieren. Die Auszahlung des Arbeitsentgelts erfolgt in der Regel am Ende des Monats oder im Folgemonat.
Für die hier vertretene Auffassung spricht im Ergebnis auch, dass die Einordnung das Verfahren der Leistungsberechnung nicht unerheblich vereinfacht, weil dadurch das nachträglich gezahlte Krankengeld nicht in einen Teil vor und einen Teil nach einer zufällig überschrittenen Monatsgrenze unterschieden werden muss. Dies entspricht auch der Intention des Gesetzgebers bei der Einführung des § 11 Abs. 3 S. 2 SGB II, schließlich diente die Änderung nach ihrem Titel auch der "Rechtsvereinfachung" (zum Ganzen Klerks, Info also 2023, 147-150).
Da vorliegend das Krankengeld verfahrenstypisch zeitnah im Nachhinein abgerechnet wurde und das Krankengeld als Erwerbsersatzeinkommen den Lebensunterhalt des Klägers sichern soll, ist die am 06.10.2021 erfolgte Zahlung an den Kläger für die Monate September und Oktober 2021 nicht als Nachzahlung zu qualifizieren.
cc) Mit der Zahlung am 11.10.2021 wird das Krankengeld für den Zeitraum 02.10.2021 bis
08.10.2021 geleistet. Es handelt sich daher in jedem Fall um eine laufende Einnahme, die (unstrittig) nur im Monat Oktober 2021 zu berücksichtigen ist.
dd) Ob es sich bei dem Krankengeld für die Zeit vom 24.08.21 bis 31.08.21 um eine Nachzahlung handelt, kann im Ergebnis dahinstehen.
Nach Auffassung der Kammer und insbesondere bei teleologischer Auslegung und Anwendung des § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II liegt es zwar nahe, eine Zahlung, die noch weiter zurückliegt als die Lohnersatzleistung für den letzten Monat, nicht mehr als laufende Einnahme, sondern tatsächlich als Nachzahlung zu qualifizieren. Denn in diesem Fall ist aufgrund des nicht unerheblichen zeitlichen Abstands nicht mehr gewährleistet, dass der Leistungsempfänger mit der Zahlung seinen Lebensunterhalt bestreiten kann.
Unabhängig davon, ob es sich um eine laufende Einnahme oder eine Nachzahlung handelt, ist die Leistung im vorliegenden Fall jedoch nicht nach § 11 Abs. 3 Satz 4 SGB II auf die folgenden sechs Monate zu verteilen.
Denn für den Zeitraum 02. bis 08.10.21 wurde im Oktober 2021 Krankengeld in Höhe von 415,10 EUR gezahlt.
Darüber hinaus erhielt der Kläger für den Zeitraum 24.08.21 bis 01.10.21 Krankengeld in Höhe von 2.253,40 EUR. Legt man den Tagessatz von 59,30 EUR zugrunde, ergibt sich für den Monat September eine Krankengeldleistung in Höhe von 1.779 EUR. Addiert man nur die Krankengeldzahlungen für die Monate September und Oktober 2021, die nach den obigen Ausführungen als laufendes Einkommen zu qualifizieren sind, entfällt der Leistungsanspruch des Klägers im Oktober 2021 bereits aufgrund des laufenden Einkommens. Eine Verteilung des Einkommens auf sechs Monate nach § 11 Abs. 3 Satz 4 SGB II scheidet aus, weil der Leistungsanspruch nicht durch die Berücksichtigung der Einmalzahlung entfällt.
Auch der Zweck des § 11 Abs. 3 Satz 4 SGB II gebietet keine Aufteilung der einmaligen Einnahme. Schließlich dient die Anrechnung einer einmaligen Einnahme, die den Leistungsanspruch zumindest für einen Monat entfallen lässt, dazu, praktische und sozialversicherungsrechtliche Probleme für die Leistungsberechtigten zu vermeiden, die mit dem kurzzeitigen Wegfall des Leistungsanspruchs verbunden wären (SG Landshut, Urteil vom 27. Juli 2017 - S 11 AS 170/16 -, Rn. 50 - 53). Dieses Ziel kann nicht erreicht werden, wenn der Anspruch ohnehin bereits durch laufendes Einkommen entfällt.
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch bei einer Aufteilung auf sechs Monate die Aufteilung im Oktober 2021 hätte beginnen und damit im März 2022 hätte enden müssen. Ein Fall des § 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II lag nicht vor. Die Verteilung bis April 2022 war in jedem Fall rechtswidrig.
3. Der Kläger hat im Ergebnis für die Zeit vom 01.11.2021 bis 30.04.2022 Anspruch auf um monatlich 293,61 EUR höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Aufgrund des Beschlusses des Sozialgerichts Landshut vom 17.01.2022 im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Az.: S 11 AS 528/21) hat der Beklagte bereits für Dezember 2021 weitere 23,59 EUR und für die Monate Januar bis März 2022 weitere mtl. 293,61 EUR nachgezahlt. Diese Beträge darf der Kläger behalten, womit auch die Verpflichtungsklage korrespondiert.
Offen sind somit noch die Nachzahlung für November 2021 (293,61 EUR), die Restzahlung für Dezember 2021 (270,02 EUR) und die Zahlung für April (293,61 EUR). Insgesamt ergibt sich eine weitere Nachzahlung in Höhe von 857,24 EUR. Insoweit hat die Leistungsklage Erfolg.
4. Die Kostenentscheidung nach § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.
Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1).
Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn der Rechtsstreit eine bisher ungeklärte Rechtsfrage abstrakter Natur aufwirft, deren Klärung zur Erhaltung der Rechtseinheit und zur Förderung der Rechtsentwicklung im Interesse der Allgemeinheit liegt, wobei ein Individualinteresse nicht ausreicht (Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt SGG/Keller, 14. Aufl. 2023, SGG § 144 Rn. 28). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die sich nach der Gesetzeslage und dem Stand von Rechtsprechung und Literatur nicht ohne Weiteres beantworten lässt. Nicht klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn ihre Beantwortung praktisch unstreitig ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr. 17) oder praktisch von vornherein außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 § 160a Nr. 4).
Vorliegend ist die Anrechnung des Krankengeldes für den Vormonat ungeklärt. Es handelt sich nicht um einen Einzelfall. Die aufgeworfene Rechtsfrage ist daher über den Einzelfall hinaus klärungsbedürftig und im konkreten Fall klärungsfähig. Zudem liegt eine widerstreitende obergerichtliche Rechtsprechung vor.
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Rechtsmittelbelehrung
Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder beim Bayer. Landessozialgericht in elektronischer Form einzulegen. Rechtsanwälte, Behörden oder juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse müssen die Berufung als elektronisches Dokument übermitteln (§ 65d Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Gleiches gilt für die nach dem Sozialgerichtsgesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGG zur Verfügung steht (§ 65d Satz 2 SGG).
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Landshut, Seligenthaler Straße 10, 84034 Landshut, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder beim Sozialgericht Landshut in elektronischer Form eingelegt wird.
Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und
- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist oder
- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 65a Abs. 4 SGG eingereicht wird.
Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils gültigen Fassung.
Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden; dies gilt nicht im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs.