1. Eine Versagung auf Dauer ist von § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I nicht gedeckt. Ein Versagungsbescheid muss zum Ausdruck bringen, dass die Leistung nur bis zur Nachholung der Mitwirkung versagt wird. Ein Hinweis am Ende des Bescheides, dass bei einer Nachholung der Mitwirkung und Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen geprüft werde, ob die Leistungen nachträglich ganz oder teilweise erbracht werden können und in diesem Fall die Entscheidung nochmals überprüft werde, ist nicht ausreichend, um den Endzeitpunkt der Versagung festzusetzen.
2. Eine Versagungsentscheidung ist nur rechtmäßig, wenn der Leistungsträger sein Entscheidungs- und Auswahlermessen betätigt, dabei die Grenzen des Ermessensspielraums eingehalten und seine Entscheidung hinreichend begründet hat.
3. Die Ermessensentscheidung muss sich auch auf den Umfang der Versagung erstrecken. Wenn eine Leistung ganz versagt wird, ohne dass hierzu Ermessenserwägungen angestellt werden, liegt hinsichtlich des Umfangs der Versagung Ermessensnichtgebrauch vor.
4. Die vollständige Entziehung der Regelleistung nach dem SGB II bedarf einer besonderen Begründung, insbesondere wenn es um die Frage geht, welchem Leistungssystem (SGB II oder SGB XII) der Leistungsberechtigte zuzuordnen ist.
I. Auf die Berufung werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 28. Juli 2022 und der Bescheid des Beklagten vom 25.05.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2021 aufgehoben.
II. Die Feststellungsklage wird abgewiesen.
III. Der Beklagte trägt 3/4 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Zwischen den Beteiligten ist die Versagung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 01.05.2021 bis 31.10.2021 streitig.
Die 1963 geborene Klägerin ist österreichische Staatsangehörige. Sie ist im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis des Kreisverwaltungsreferats (KVR) München vom 22.09.2000 und bezieht nach ihrem Umzug von R nach A seit Juli 2015 mit Unterbrechungen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Beklagten, zuletzt überwiegend aufgrund von Beschlüssen des Sozialgerichts Augsburg bzw. des Bayerischen Landessozialgerichts im Rahmen von einstweiligen Rechtsschutzverfahren.
Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 16.04.2021 beim Beklagten die Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab Mai 2021.
Der Beklagte wies die Klägerin mit Schreiben vom 06.05.2021 darauf hin, dass ihre Erwerbsfähigkeit abzuklären sei. Es würden das Informationsblatt zur Vorstellung beim Ärztlichen Dienst der Bundesagentur für Arbeit, die Schweigepflichtentbindungserklärung sowie ein Gesundheitsfragebogen übermittelt. Die Klägerin werde aufgefordert, den Gesundheitsfragebogen sowie die Schweigepflichtentbindungserklärung bis spätestens 23.05.2021 an den Ärztlichen Dienst zu übersenden. Das mit "Aufforderung zur Mitwirkung" überschriebene Schreiben enthielt den Hinweis, dass Geldleistungen bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz versagt werden könnten, wenn die Klägerin bis zum genannten Termin nicht reagiert oder die erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht habe. Die Klägerin reagierte hierauf mit Schreiben vom 10.05.2021 und fragte nach, in welchem kausalen Zusammenhang das Schreiben vom 06.05.2021 zu ihrem Antrag stehe. Die erbetenen Unterlagen legte sie nicht vor.
Mit Bescheid vom 25.05.2021 versagte der Beklagte die Gewährung von Leistungen ab 01.05.2021 ganz. Die Klägerin sei am 06.05.2021 aufgefordert worden, fehlende Unterlagen einzureichen, um ihre Erwerbsfähigkeit zu klären. Sie sei ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen, da sie den ausgefüllten Gesundheitsfragebogen und die unterschriebenen Schweigepflichtentbindungserklärungen nicht vorgelegt habe. Deshalb könne die Hilfebedürftigkeit nicht geprüft werden. Von dem eingeräumten Ermessen sei Gebrauch gemacht worden. Dabei sei das Interesse der Klägerin an der beantragten Leistung mit der Verpflichtung des Beklagten zur wirtschaftlichen und sparsamen Mittelverwendung sorgfältig abgewogen worden. Hierzu gehöre auch, im Interesse der Gemeinschaft der Steuerzahler nur bei nachgewiesener Hilfsbedürftigkeit und in rechtmäßiger Höhe Leistungen zu erbringen. Es seien keine Ermessensgesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen, die im Rahmen der Ermessensentscheidung zu Gunsten der Klägerin berücksichtigt werden könnten.
Den Widerspruch der Klägerin hiergegen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.07.2021 zurück. Die Klägerin sei trotz Aufforderung ihrer Mitwirkungsverpflichtung nicht nachgekommen. SGB II-Leistungen könnten nur bei nachgewiesener Hilfebedürftigkeit erbracht werden. Aufgrund dessen seien die Leistungen mit Bescheid vom 25.05.2021 ab 01.05.2021 ganz versagt worden. Auch im Widerspruchsverfahren sei die Mitwirkung nicht erfolgt. Anhaltspunkte für eine falsche Entscheidung seien weder genannt noch aus den Unterlagen ersichtlich.
Die Klägerin beantragte per Fax am 12.10.2021 die Weiterbewilligung der Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab 01.11.2021. Auf diesen Antrag versagte der Beklagte mit (nicht bestandskräftigem) Bescheid vom 07.07.2023 die Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.11.2021 bis 30.04.2022 ganz.
Am 03.08.2021 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Augsburg. Der angefochtene Bescheid gehe am Sachverhalt vorbei. Der Beklagte erwiderte auf die Klage, die Klägerin habe selbst immer wieder angegeben, erwerbsunfähig zu sein. Sie werde daher seit Jahren aufgefordert, sich zur Feststellung ihrer Erwerbsfähigkeit einer ärztlichen Untersuchung bei der Agentur für Arbeit zu unterziehen und hierzu den ausgefüllten Gesundheitsfragebogen und die unterschriebenen Schweigepflichtentbindungserklärungen vorzulegen. Der Verpflichtung sei die Klägerin bislang ohne Angabe von Gründen nicht nachgekommen. Zweifel an ihrer Erwerbsfähigkeit seien insofern nicht anders als mit einer Versagung auszuräumen. Unter Gleichbehandlungsaspekten sei es nicht vertretbar, die Klägerin den Leistungsberechtigten gleichzustellen, die ihren Mitwirkungspflichten vollumfänglich nachkämen, und einen Leistungsanspruch zu bejahen. Die Klägerin sei in der Lage, behördlichen Aufforderungen nachzukommen. Es sei nicht davon auszugehen, dass ihr die Mitwirkungshandlung krankheitsbedingt unmöglich sei. Mangels Mitwirkung könne nicht eindeutig geklärt werden, ob die mögliche Erwerbsunfähigkeit der Klägerin mit einer psychischen Erkrankung in Zusammenhang stehe. Die Kürzung der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zugesprochenen Leistungen habe bislang nicht dazu geführt, dass die Klägerin ihrer Mitwirkungspflicht nachgekommen wäre. Deswegen sei vorliegend eine vollständige Versagung angemessen und verhältnismäßig. Eine weitere teilweise Kürzung der Leistungen würde nicht dazu führen, dass die Klägerin bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit und Erwerbsfähigkeit endlich mitwirke.
Mit Gerichtsbescheid vom 28.07.2022 wies das Sozialgericht die Klage ab. Statthaft sei die reine Anfechtungsklage. Der Versagungsbescheid vom 25.05.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2021 sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin gebe immer wieder gegenüber dem Beklagten an, dass sie nur unter drei Stunden täglich erwerbsfähig sei. Ihre Angaben hierzu seien widersprüchlich. Einerseits trage sie vor, weniger als drei Stunden täglich arbeiten zu können, andererseits berufe sie sich auf die gutachterliche Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit aus dem Jahr 2017, wonach keine Vermittlungshemmnisse bestünden. Seither gebe es keine neuen Erkenntnisse. Allein deshalb sei es für die Bewilligung von Leistungen zwingend geboten, die Erwerbsfähigkeit der Klägerin im Sinne des § 8 SGB II zu klären. Die Klägerin sei im Schreiben des Beklagten vom 06.05.2021 auf die Rechtsfolge der fehlenden Mitwirkung schriftlich hingewiesen worden. Der Aufforderung sei sie innerhalb der gesetzten Frist nicht nachgekommen. Die Aufklärung des Sachverhalts werde durch die fehlende Mitwirkung der Klägerin erheblich erschwert. Ohne ihre Mitwirkung im Verfahren zur Feststellung ihrer Erwerbsfähigkeit gemäß § 44a Abs. 1 SGB II könne diese Frage nicht geklärt werden. Die Nahtlosigkeitsregelung in § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II solle nur verhindern, dass Leistungsempfänger "zwischen zwei Stühlen sitzen", bis ihre Erwerbsfähigkeit geklärt sei, und einen Zuständigkeitsstreit zu Lasten des Leistungsempfängers vermeiden. Die Vorschrift solle aber nicht die Erforderlichkeit der Ermittlungen, die Erheblichkeit von Beweismitteln und die Mitwirkungsobliegenheiten hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit aufheben.
Gegen den ihr am 02.08.2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 16.08.2022 Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Die Bundesagentur für Arbeit habe mit Schreiben vom 28.06.2022 auf die Vorlage eines neuerlichen Gesundheitsfragebogens verzichtet. Aus diesem Schreiben gehe hervor, dass der Beklagte den Gutachtensauftrag an den Ärztlichen Dienst erst am 31.05.2022 erteilt habe, was offensichtlich als Reaktion auf ihre zehn Tage zuvor erhobene Dienstaufsichtsbeschwerde hin erfolgt sei. Ein externer Gutachter könne auch auf der Basis der bekannten Unterlagen aus dem Jahr 2017 tätig werden. Die Zustimmung zur Überprüfung bereits vorhandener Befundberichte sowie zur Einholung von aktuellen Befundberichten habe sie bereits im Rahmen des Verfahrens S 15 AS 186/22 ER erteilt. Im Rahmen dieses einstweiligen Rechtsschutzverfahrens hatte die Klägerin mit Schreiben vom 07.05.2022 an den Ärztlichen Dienst die Zustimmung erteilt, auf die Unterlagen ihrer Akten aus den Jahren 2015 und 2017 zurückzugreifen. Hierin befänden sich u.a. die vollständig ausgefüllten Formblätter und die bisher eingeholten Informationen der von der Schweigepflicht entbundenen Ärzte. Die bereits bekannten Diagnosen hätten immer noch unveränderte Gültigkeit. Davon abweichende Diagnosen lägen seither nicht vor.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 28.07.2022 sowie den Bescheid vom 25.05.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2021 aufzuheben und festzustellen, dass kein Sachgrund für die Einschaltung des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit besteht.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hat zur Begründung auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und die aus seiner Sicht überzeugenden Ausführungen im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts verwiesen. Die Klägerin habe nach wie vor die erforderlichen Unterlagen nicht vorgelegt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen, der Gerichtsakten im Verfahren S 15 AS 186/22 ER und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 28.07.2022 ist begründet. Die im Berufungsverfahren weiter erhobene Feststellungsklage ist unzulässig.
Streitgegenständlich ist vorliegend die Versagung der Leistungen für den Zeitraum vom 01.05.2021 bis 31.10.2021. Da der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab 01.05.2021 versagt hat und auf den Weiterbewilligungsantrag der Klägerin für die Zeit ab 01.11.2021 am 07.07.2023 erneut einen (noch nicht bestandskräftigen) Versagungsbescheid erlassen hat, ist der streitgegenständliche Zeitraum begrenzt auf die Zeit bis 31.10.2021 (vgl. zur den streitigen Zeitraum begrenzenden Wirkung eines neuen Leistungsantrags Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 26.11.2020 - B 14 AS 13/19 R, Rdnr. 9 juris; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 99/11 R, Rdnr. 11 juris).
Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Klage gegen den Versagungsbescheid vom 25.05.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2021 abgewiesen. Der Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, da es darin an einer pflichtgemäßen Ermessensausübung fehlt, so dass der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts und der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben sind.
Statthafte Klageart ist die isolierte Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGG (vgl. auch BSG, Urteil vom 26.11.2020 - B 14 AS 13/19 R, Rdnr. 12 juris). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides ist bei der Anfechtungsklage der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (vgl. BSG, Urteil vom 12.10.2018 - B 9 SB 1/17 R, Rdnr. 14 juris), hier der Erlass des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2021.
Rechtsgrundlage für die Versagung der Leistungen ist § 66 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I): Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Nach § 66 Abs. 3 SGB I dürfen Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.
Zutreffend hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass diese Vorschriften nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch für das Verfahren zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit nach § 44a Abs. 1 bis 3 SGB II gelten und dass die Nahtlosigkeitsregelung des § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II dem nicht entgegensteht (vgl. BSG, Urteil vom 26.11.2020 - B 14 AS 13/19 R, Rdnr. 14 ff. juris).
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I sind erfüllt. Die Klägerin ist ihren Mitwirkungspflichten bis zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides am 29.07.2021 (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23.11.2021 - L 25 AS 1035/19, Rdnr. 38 juris) nicht ausreichend nachgekommen. Ihre relevanten Mitwirkungsobliegenheiten ergeben sich aus § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 SGB I. Danach hat, wer Sozialleistungen beantragt, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen (Nr. 1) und Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen (Nr. 3); soweit für die genannten Angaben Vordrucke vorgesehen sind, sollen diese benutzt werden (§ 60 Abs. 2 SGB I).
Diesen Mitwirkungspflichten hat die Klägerin nicht vollständig genügt, da sie den Gesundheitsfragebogen und die Schweigepflichtentbindungserklärungen nicht vorgelegt hat. Diese Unterlagen sind erforderlich, damit der Ärztliche Dienst der Bundesagentur für Arbeit in die Lage versetzt wird, eine Einschätzung zur Erwerbsfähigkeit der Klägerin iSd § 8 SGB II vorzunehmen. Zwar hatte die Klägerin in ihrem formlos gestellten Leistungsantrag vom 16.04.2021 zum streitgegenständlichen Zeitraum keine Angaben zu ihrer (fehlenden) Erwerbsfähigkeit gemacht. Zuletzt hatte sie jedoch dem Beklagten gegenüber in ihrem ebenfalls formlos gestellten Leistungsantrag vom 26.09.2020 zum vorherigen Leistungszeitraum ausgeführt, sie sei weiterhin weniger als drei Stunden täglich arbeitsfähig. In einem weiteren Antrag vom 24.11.2020 verwies die Klägerin darauf, die Angaben aus ihrem Antrag vom 26.09.2020 seien weiterhin gültig. Eine Klärung der Erwerbsfähigkeit war bis zum erneuten Leistungsantrag vom 16.04.2021 noch nicht herbeigeführt worden. Damit bestanden für den Beklagten hinreichende Anhaltpunkte, in Erfüllung seiner Amtsermittlungspflicht nach § 20 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) Ermittlungen zur Klärung der Erwerbsfähigkeit nach § 8 SGB II einzuleiten. Es ist dabei nicht ausreichend, wenn die Klägerin auf die dem Ärztlichen Dienst bereits vorliegenden Unterlagen aus den Jahren 2015 bis 2017 verweist, da diese keinen Aufschluss über die gesundheitlichen Verhältnisse der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum geben können. Unterlagen, die wie vorliegend gemessen am streitigen Zeitraum von Mai bis Oktober 2021 über vier bis sieben Jahre alt sind, sind in der Regel für die Beurteilung der aktuellen Erwerbsfähigkeit von untergeordneter bzw. keiner Bedeutung (vgl. auch BSG, Urteil vom 26.11.2020 - B 14 AS 13/19 R, Rdnr. 28 juris). Zudem ist die Klägerin durch den Ärztlichen Dienst auch darauf hingewiesen worden, dass für jeden Auftrag gesonderte Schweigepflichtentbindungen erforderlich sind, so dass der Verweis auf die Erklärungen aus dem Jahr 2017 nicht genügt.
Durch die fehlende Vorlage dieser Unterlagen war die Aufklärung des Sachverhalts, nämlich die Feststellung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin iSd § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 iVm § 8 SGB II, erheblich erschwert, da es dem Ärztlichen Dienst damit unmöglich gemacht wurde, von den die Klägerin behandelnden Ärzten aktuelle Befundberichte einzuholen und eine fundierte Einschätzung zur aktuellen Leistungsfähigkeit der Klägerin vorzunehmen.
Der Senat lässt dahinstehen, ob die Klägerin evtl. deshalb nicht ausreichend mitgewirkt hat, da ihr die Mitwirkungshandlung krankheitsbedingt nicht möglich gewesen ist, was im Rahmen der Zumutbarkeit der konkreten Mitwirkungshandlung iSd § 65 Abs. 1 Nr. 2
SGB I zu berücksichtigen wäre.
Denn jedenfalls hat der Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 25.05.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2021 das ihm zustehende Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt.
Gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG dürfen die Gerichte bei Ermessensentscheidungen nur prüfen, ob die Verwaltung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, ob sie also die ihr durch das Verwaltungsverfahrensrecht (vgl.
§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I) auferlegte Verhaltenspflicht beachtet hat, ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23.11.2021 - L 25 AS 1035/19, Rdnr. 39 juris). Fehler in der Ermessensausübung sind Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung, Ermessensunterschreitung/Ermessensmangel und schließlich Ermessensfehlgebrauch/Ermessensmissbrauch (vgl. Urteil des Senats vom 06.05.2021 - L 16 AS 652/20, Rdnr. juris). Ermessensnichtgebrauch liegt vor, wenn überhaupt keine Ermessenserwägungen angestellt werden und so gehandelt wird, als ob eine gebundene Entscheidung zu treffen ist. Bei einer Ermessensüberschreitung wird eine Rechtsfolge gesetzt, die in der gesetzlichen Regelung nicht vorgesehen ist. Ermessensmissbrauch liegt vor, wenn ein unsachliches Motiv oder ein sachfremder Zweck verfolgt wird. Ermessensfehlgebrauch liegt als Abwägungsdefizit vor, wenn nicht alle Ermessensgesichtspunkte, die nach Lage des Falles zu berücksichtigen sind, in die Entscheidungsfindung einfließen. Der Fehlgebrauch kann auch als Abwägungsdisproportionalität vorliegen, wenn die Behörde die abzuwägenden Gesichtspunkte rechtlich fehlerhaft gewichtet hat. Des Weiteren kann ein Fehlgebrauch erfolgt sein, wenn die Behörde ihrer Ermessensbetätigung einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat. Schließlich liegt eine Ermessensunterschreitung oder ein Ermessensmangel vor, wenn zwar Ermessenserwägungen angeführt werden, diese aber unzureichend sind, weil sie zum Beispiel nur aus formelhaften Wendungen bestehen (vgl. Keller in Meyer-Lade-wig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 54 Rdnr. Rdnr. 27; BSG, Urteil vom 09.11.2010 - B 2 U 10/10 R, Rdnr. 15 juris).
Die Versagungsentscheidung ist nur dann rechtmäßig, sofern der Leistungsträger sein Entscheidungs- und Auswahlermessen betätigt, dabei die Grenzen des Ermessensspielraumes eingehalten und seine Entscheidung hinreichend begründet hat (vgl. Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl. 2018, Stand 02.12.2022, § 66 Rdnr. 67). Die Ermessensentscheidung muss sich dabei auch auf den Umfang der Versagung erstrecken. Ein Ermessensnichtgebrauch liegt vor, wenn eine Leistung ganz versagt wird, jedoch Ermessenserwägungen hierzu nicht angestellt werden (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 17.01.2020 - L 4 AS 269/18, Rdnr. 29 juris). Die vollständige Entziehung der Regelleistung bedarf einer besonderen Begründung (vgl. Urteil des Senats vom 06.05.2021 -
L 16 AS 652/20, Rdnr. 28 juris).
Der Beklagte hat mit Bescheid vom 25.05.2021 die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unbefristet ab 01.05.2021 vollumfänglich versagt und damit das ihm gesetzlich eingeräumte Ermessen überschritten (vgl. auch Bayerisches LSG, Urteil vom 19.05.2022 - L 7 AS 460/21, Rdnr. 25 f. juris). Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I kann die Leistung nur bis zur Nachholung der Mitwirkung versagt werden. Ein solcher Endzeitpunkt ist im angefochtenen Bescheid weder im Tenor noch in den Gründen benannt worden. Der Hinweis auf der letzten Seite des Bescheides vom 25.05.2021, wonach zu beachten sei, dass bei einer Nachholung der Mitwirkung und Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen geprüft werde, ob die Leistungen nachträglich ganz oder teilweise erbracht werden könnten, und in diesem Fall die Entscheidung nochmals überprüft werde, ist nicht ausreichend, um den Endzeitpunkt der Versagung festzusetzen. Denn es kommt nicht zum Ausdruck, dass die Versagung bis zur Nachholung der Mitwirkung befristet ist, sondern es wird lediglich eine Überprüfung der Versagung bei der Nachholung der Mitwirkung angekündigt. Auch der Widerspruchsbescheid vom 29.07.2021 nennt keinen Endzeitpunkt der getroffenen Versagungsentscheidung. Die damit angeordnete Versagung "auf Dauer" ist von § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I nicht gedeckt (vgl. BSG, Urteil vom 05.04.2000 - B 5 RJ 38/99 R, Rdnr. 23 juris) und als Ermessensüberschreitung im Rahmen der gerichtlichen Rechtskontrolle zu beanstanden (vgl. Keller, a.a.O., § 54 Rdnr. 27, 28; Bayerisches LSG, Urteil vom 19.05.2022 - L 7 AS 460/21 Rdnr. 26 juris).
Zudem liegt hinsichtlich des Umfangs der Versagung Ermessensnichtgebrauch vor. Bei Erlass des Bescheides vom 25.05.2021 war dem Beklagten zwar bewusst, dass er eine Ermessensentscheidung zu treffen hatte. So hat er ausgeführt, er habe das Interesse der Klägerin an der beantragten Leistung mit seiner Verpflichtung zur wirtschaftlichen und sparsamen Mittelverwendung abgewogen. Hierzu gehöre - auch im Interesse der Gemeinschaft der Steuerzahler -, nur bei nachgewiesener Hilfebedürftigkeit und rechtmäßiger Höhe Leistungen zu erbringen. Es seien keine Ermessensgesichtspunkte zu erkennen oder vorgetragen worden, die im Rahmen einer Ermessensentscheidung zu Gunsten der Klägerin hätten berücksichtigt werden können. Auch diese Erwägungen reichen jedoch für eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung, die auch im Widerspruchsverfahren nicht nachgeholt wurde, nicht aus. Denn der Beklagte macht im angefochtenen Bescheid überhaupt keine Ausführungen zum Umfang der Leistungsversagung. Er beschränkt sich auf den Hinweis, dass die Klägerin der Aufforderung zur Vorlage der unterschriebenen Schweigepflichtentbindungen und des ausgefüllten Gesundheitsfragebogens nicht nachgekommen sei, so dass der Anspruch nicht geprüft werden könne. Nach Abwägung des Sinns und Zwecks der Mitwirkungsvorschriften mit dem Interesse der Klägerin an den Leistungen sowie dem öffentlichen Interesse an Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit würden die Leistungen ab dem 01.05.2021 ganz versagt. Insoweit liegt hinsichtlich des Umfangs der Versagung Ermessensnichtgebrauch vor (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 17.01.2020 - L 4 AS 269/18 R, Rdnr. 29 juris). Der Beklagte hat die Leistungen vorliegend ganz versagt, ohne dies näher zu begründen oder eine teilweise Versagung der Leistungen auch nur in Betracht zu ziehen. Jedenfalls eine nur teilweise Versagung der Leistungen hätte hier jedoch nahegelegen, da es letztlich vor allem um die Frage geht, welchem Leistungssystem - dem SGB II oder dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) - die Klägerin zuzuordnen ist (vgl. auch Urteil des Senats vom 06.05.2021 - L 16 AS 652/20, Rdnr. 28 juris). Soweit der Beklagte in der Klageerwiderung erstmals Ermessenserwägungen zur vollständigen Versagung anführt, kann dies die im Bescheid vom 25.05.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2021 fehlende Ermessensausübung nicht heilen. Zwar können Begründungsmängel nach § 41 Abs. 2 SGB X bis zum Ende der letzten Tatsacheninstanz geheilt werden. Beim Fehlen der Ermessensbetätigung iSd § 39 SGB I (Ermessensnichtgebrauch, Ermessensausfall), wie er hier im Hinblick auf den Umfang der Versagung vorliegt, handelt es sich aber nicht um einen formellen Fehler der Begründung, der allein von § 41 SGB X erfasst ist. Entsprechend den Grundsätzen zum Nachschieben von Gründen im Gerichtsverfahren sind zwar Ergänzungen der Ermessenserwägungen im Sinne der Nachholung der Begründung in Form der nachträglichen Mitteilung der bei Erlass aus Sicht der Behörde maßgebenden Ermessenserwägungen möglich. Ein Nachschieben von Gründen ist jedoch nicht zulässig, soweit eine vollständige Nachholung - hier hinsichtlich des Umfangs der Versagung - erfolgt. Dementsprechend ist die Heilung eines Ermessensfehlgebrauchs oder eines Ermessensausfalls unzulässig und eine Heilung nach § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X nicht möglich (vgl. Keller, a.a.O., § 54 Rdnr. 35, 36; Sandbiller in beck-online.Grosskommentar (Kasseler Kommentar), Stand: 15.08.2023, § 41 Rdnr. 16, 19; § 45 Rdnr. 88; Schütze in Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 41 Rdnr. 11; Baumeister in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 41 Rdnr. 48 mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung; BSG, Urteil vom 01.03.2011 - B 7 AL 2/10 R, Rdnr. 14; Littmann in Hauck/Noftz, SGB X, 4. EL 2023, § 41 Rdnr. 17, 20). Für eine Ermessensreduzierung auf Null hinsichtlich des Umfangs der Versagung bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte.
Die von der Klägerin im Berufungsverfahren weiter erhobene Feststellungsklage, gerichtet auf die Feststellung, dass kein Sachgrund für die Einschaltung des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit bestehe, ist unzulässig. Nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Die von der Klägerin begehrte Feststellung wird im Rahmen der erhobenen Anfechtungsklage gegen den Versagungsbescheid vom 25.05.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2021 inzident beantwortet, soweit es um die Frage der bestehenden Mitwirkungsobliegenheiten der Klägerin aus § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I geht. Für eine zusätzliche formelle Feststellung, dass kein sachlicher Grund für die Beauftragung des Ärztlichen Dienstes bestehe, fehlt es daher am erforderlichen Feststellungsinteresse. Darüber hinaus ist die Feststellung einzelner Elemente eines Rechtsverhältnisses (sog. Elementenfeststellungsklage) im Gegensatz zu der zulässigen Feststellung einzelner Rechte und Pflichten aus einem Rechtsverhältnis grundsätzlich nicht möglich (vgl. Keller, a.a.O., § 55 Rdnr. 9). Das Vorliegen einzelner Anspruchsvoraussetzungen bzw. - wie hier - von Vorfragen einer einzelnen Anspruchsvoraussetzung (der Erwerbsfähigkeit nach § 8 SGB II) stellt kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis iSd § 55 SGG dar. Dieser Grundsatz beruht auf dem Gedanken der Prozessökonomie. Bei einer Elementenfeststellung ist die Feststellungsklage subsidiär gegenüber einer Gestaltungs- und Leistungsklage. Aus Gründen der Prozessökonomie und der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz - GG) kann zwar eine Elementenfeststellungsklage ausnahmsweise zulässig sein. Das SGG geht in § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG und in § 55 Abs. 2 SGG selbst von der Zulässigkeit einer Elementenfeststellung aus (vgl. auch Böttiger in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl., § 55 Rdnr. 6). Nach der Rechtsprechung des BSG kommt sie aber nur dann in Betracht, wenn sicher anzunehmen ist, dass durch sie der Streit zwischen den Beteiligten insgesamt bereinigt wird. Nicht ausreichend und insbesondere nicht durch Art. 19 Abs. 4 GG geboten ist hingegen, dass zwischen dem Leistungsempfänger und dem Leistungserbringer nur ein Element der Leistungsberechnung streitig ist. Insofern wird ausreichender Rechtsschutz durch die Gestaltungs- und Leistungsklage gewährt (vgl. Senger in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl. 2022, § 55, Rdnr. 43, 44). Dies ist vorliegend durch die inzidente Prüfung im Rahmen der Anfechtungsklage der Fall. Eine vollständige Bereinigung des Rechtsstreits zwischen den Beteiligten ist durch die begehrte Feststellung nicht zu erwarten, da die Beteiligten auch darüber streiten, in welchem Umfang die Klägerin zur Mitwirkung gegenüber dem Ärztlichen Dienst verpflichtet ist, konkret, welche Unterlagen sie zur Feststellung ihrer Erwerbsfähigkeit vorzulegen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.